Kennung: 983

Berlin, 1. April 1897 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Weinhöppel, Hans Richard

Inhalt

Berlin, 1.IV.1897.
Marienstraße 9IV. l.


Lieber Richard

voraussichtlich komme ich nächster TageTatsächlich verließ Wedekind Berlin erst im September 1897 in Richtung Dresden [vgl. Wedekinds Brief an Weinhöppel vom 17.1.1897]. nach München zurück. Ich komme aber nur, wenn es anständiger Weise möglich ist. Sonst bleibe ich für diese Welt Ihr Schuldner. Die EntscheidungBezieht sich auf Wedekinds Tanzpantomime „Bethel“. Der Text entstand während Wedekinds Aufenthalt in Berlin im Frühjahr 1897 als Auftragsarbeit für den Zirkus Renz, der in Berlin über eine fest Spielstätte an der Friedrichstraße mit annähernd 6000 Sitzplätzen verfügte. Eine erste Fassung lag vermutlich bereits Ende März 1897 vor [vgl. KSA 3/II, S. 803f.]. In einem Brief an Wilhelm Bölsche vom 30.4.1897 teilte Wedekind mit, dass Stück sei „so gut wie angenommen“, er sei nur gebeten, „die Ballets zu verstärken“. Das Projekt, auf das Wedekind große Hoffnungen gesetzt hatte, zerschlug sich durch den Konkurs des Zirkus Renz, der Ende Juli 1897 seine Pforten schloss [vgl. Wedekinds Brief an Weinhöppel vom 15.7.1897]. „Bethel“ erschien erst 1921 aus Wedekinds Nachlass. fällt morgen oder übermorgen. Wenn ich komme, dann bringe ich Ihnen etwas mit, meine Kaiserin, v. NeufundlandWedekinds Pantomime „Die Kaiserin von Neufundland“ entstand im Januar/Februar 1897 in Berlin und wurde zeitnah in dem Sammelband „Die Fürstin Russalka“ veröffentlicht. Auf Wedekinds Wunsch, Weinhöppel möge das Stück vertonen, reagierte dieser offenbar reserviert [vgl. Wedekinds Briefe an Weinhöppel vom 30.6.1897 und 15.7.1897]. Bei der Uraufführung der Pantomime, die am 13.11.1902 im Kabarett Die Elf Scharfrichter in München stattfand, zeichnete Weinhöppel als Hauskomponist für das musikalische Arrangement verantwortlich., von der ich halbwegs sicher bin, daß sie Ihnen gefallen wird und daß Sie sie in Musik setzen. Wenn Sie sich dazu entschließen, so werde ich schon dafür sorgen, daß Sie es auch thun. Ich habe Ihren letzten lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondezstück: Weinhöppel an Wedekind, 28.1.1897. unbeantwortet gelassen, aber es kann mir keine Genugthuung sein, Ihnen Unannehmlichkeiten zu schreiben, denen ich gerade ausgesetzt war. Ich will gerne alles Glück mit meinen Freunden theilen, aber in mein Mißgeschick haben Sie sich selber mehr hineingedrängt. Meines Dankes dafür sind Sie gewiß, aber ich sage ihn Ihnen mit tiefer Beschämung.

Für den Augenblick stehen meine Angelegenheiten nicht schlecht, das heißt voraussichtlich. Und ich werde nicht nach München zurückkommen, ehe ich die positive, klingende Gewißheit in der Tasche habe. In den nächsten Wochen erscheint bei Langen ein Buch von mirWedekinds Sammelband „Die Fürstin Russalka“, der neben der titelgebenden Erzählung und weiteren Prosatexten die Gedichtsammlung „Die Jahreszeiten“ sowie drei seiner Tanzpantomimen – darunter „Die Kaiserin von Neufundland“ – enthält, erschien Mitte Juni 1897 im Verlag von Albert Langen (München) [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 133, 12.6.1897, S. 4287]. , das jedenfalls Skandal machen„Die Fürstin Russalka“ wurde in der Presse mehrheitlich negativ aufgenommen. Anstoß erregten besonders Wedekinds erotische Gedichte, die wiederholt mit Schlagwörtern wie ‚Pornographie‘ belegt wurden [vgl. KSA 1/I, S. 831f.]. Der antisemitische Kritiker Adolf Bartels bezeichnete das Buch insgesamt als „Afterkunst“, in der das „zwecklos Gemeine“ überwiege, und bezeichnete Wedekind als Epigonen Heines: „Auch Wedekind hat Talent, aber er hat sein Talent zu virtuosenhafter Manier ausgebildet und ist frivol und frech mit Bewußtsein. Da wir Heine gehabt haben, so brauchen wir Wedekind nicht mehr.“ [Adolf Bartels: Literarische Afterkunst? In: Der Kunstwart 11 (1897/98), Bd. 2, Heft 13, April 1898, S. 5-7, hier: S. 6f.] wird. Außerdem habe ich die Kaiserin von Neufundland und die braune Traberstute BethelTitelfigur in Wedekinds Pantomime „Bethel“., die mich vor der Hand pecuniär über Wasser halten muß.

Im übrigen, und das sage ich mit einem gewissen Stolz, ist im Augenblick kein Schriftstellername in Berlin verrufener als der meine. Wie das kommt, weiß ich nicht, da ich wenig in Gesellschaft war. Aber ich habe die Gewißheit, daß es wenig braucht, um meine Verrufenheit in das Gegenteil zu verwandeln.

Ich lege diesem Brief ein Billetnicht überliefert; wohl an Lotte Dreßler, die Frau des Gesangspädagogen Anton Dreßler, mit der Wedekind seit etwa Ende 1896 eine Liebesbeziehung unterhielt; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Lotte Dreßler, 1.4.1897. bei, das ich Sie bitte schließen zu wollen und persönlich zu übergeben. Wenn Sie es nicht übergeben können, wenn ich Sie damit verletze, dann lassen Sie es ganz einfach und schreiben Sie es mir gelegentlich. Sie sehen daraus, daß ich ein doppeltes SpielAnspielung auf Wedekinds gleichzeitige Beziehung mit Frida Strindberg, die er bald darauf – vermutlich im Mai 1897 – löste. spiele, aber wer von uns spielt das nicht. Ich habe keinen anderen sicheren Weg, um die Zeilen an ihre Adresse gelangen zu lassen. Aber mit Ihrer Freundschaft erkaufe ich mir die Gunst nicht. Das wäre zu theuer.

Und nun leben Sie wohl. Empfehlen Sie mich Miß B.vermutlich Stella Brockow. Weinhöppel hatte die Amerikanerin während eines Aufenthalts in den USA (1892-1896) kennengelernt und war später (1900-1906) mit ihr verheiratet. und richten Sie Ihrer Mizzi meinen ergebensten und respectvollsten Gruß aus.

Mein Lebensglück hängt momentan in des Wortes verwegenster Bedeutung an einem Pferdehaarnochmalige Anspielung auf die Figur der Traberstute Bethel in der gleichnamigen Tanzpantomime. . Hoffentlich hält es.

In alter Treue Ihr
Frank.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Berlin
    1. April 1897 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
280-281
Briefnummer:
122
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort..

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 1.4.1897. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Zuletzt aktualisiert

11.02.2024 12:02