Briefwechsel

von Donald (Doda) Wedekind und Frank Wedekind

Frank Wedekind schrieb am 18. Dezember 1884 in München folgenden Brief
an Friedrich Wilhelm Wedekind , Friedrich Wilhelm Wedekind , Friedrich Wilhelm Wedekind , Friedrich Wilhelm Wedekind , Friedrich Wilhelm Wedekind , William Wedekind , Emilie (Mati) Wedekind , Donald (Doda) Wedekind , Erika (Mieze) Wedekind , William Wedekind , Emilie (Mati) Wedekind , Donald (Doda) Wedekind , Erika (Mieze) Wedekind , Emilie Wedekind

München, im December 1884.


Ihr Lieben,

ich wünsche e/E/uch allenDer Brief wendete sich an die Eltern und die zu Weihnachten auf Schloss Lenzburg versammelten Geschwister. eine recht fröhliche Weihnachtszeit und für die Zukunft alles Gute, das der Himmel beschehrenSchreibversehen, statt: bescheren. kann. Von den Herrlichkeiten Münchens wüßt’ ich Euch viel zu erzählen und wills auch thun in einem längeren Briefe so bald die FerienDie Weihnachtsferien der Ludwig-Maximilians-Universität dürften am Montag, den 22.12.1884 begonnen haben und dauerten bis zum 4.1.1885. begonnen haben. Beiliegend einstweilen einige Beispielewohl beigelegte Ansichtskarten oder Fotografien.. Doda möge seinen Schiller brav durchstudiren und zwar mit Maria Stuart anfangen und | Fiesko und die Räuber erst nach dem Wallenstein lesen.

Es ist dies das erste Mal, das ichSchreibversehen, statt: daß ich. Weihnachten in der Fremde zubringen und bin sehr darauf gespannt, wie mir das vorkommen wird. Hoffentlich denkt i/I/hr am Heiligen Abend an unsFrank und Armin Wedekind, die sich ein Zimmer in München (Türkenstraße 30, 1. Stock) teilten.; so wird uns der Verlust und das Heimweh leichter zu ertragen sein. Ich weiß noch nicht recht, ob wir hier in München auch einen Weihnachtsbaum bekommen, aber viel Rares wird wol schwerlich daran hängen und auch die Fröhlichkeit dabei wird nicht den heimischen Familien-Charakter tragen. Aber wenn mir dieses Jahr die Gunst versagt ist, Weihnachten in Euerm lieben Kreise zu feiern, | so weiß ich umso mehr das Glück zu schätzen, einen so herben Verlust schmerzlich empfinden zu können in der schönen Erinnerung an andere Jahre und in der Hoffnung Euch, meine Lieben froh und gesund einst wiederzufinden. –– Mit tausend herzlichen Grüßen an Euch alle zusammen und an den strahlenden Weihnachtsbaum verbleib’ ich in unvergänglicher Treue Euer Franklin.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 23. Juli 1886 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Bebiefamiliärer Kosename von Frank Wedekind (auch: Bebi).!

Ich gratulire die/r/ herzlich zu deinem GeburtstagFrank Wedekinds 22. Geburtstag am 24.7.1886. und hoffe, daß ich dich bald sehen werde. Vor 4 Wochen hat der Goldigedie Katze auf Schloss Lenzburg [vgl. Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 31.12.1885], die auch Schneekönig genannt wurde. Donald Wedekind widmete ihr ein Kapitel in seinen Erinnerungen „Kindheitstage“ [in: Donald Wedekind: Oh, du mein Schweizerland! Novellen und Erinnerungen. Berlin 1905, S. 22-26]. 3/1/ Prinzensiehe dazu auch die Schilderung in Emilie (Mati) Wedekinds Geburtstagsbrief [vgl. Emilie (Mati ) Wedekind, 23.7.1886]. und 2 Prinzessinen gelegt. Der Prinz ist gelb und heißt Murr. D. Meine Prinzessin heißt Nora und Miezefamiliärer Kosename von Erika Wedekind. ihre Kathakinka. Sie spielen jetzt schon, aber der Schneekönig behandelt sie gar nicht wie Prinzen, sondern beißt viel in den Schwanz. Einmal versteckte er sie in den Schrang/k/ in der Wohnstube. Die Nora (Nurr) hat | einen ganz schwarzen Mund. Bis vor 14 Tagen war das „Männle“nicht identifiziert. bei uns, und vie hat oft mit uns SöldenDonald Wedekind hatte zu seinem 14. Geburtstag am 4.11.1885 von seinem Bruder Armin „Amerikanische Sölden“ [Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 19.12.1885] geschenkt bekommen; gemeint sein dürften Spielzeugsoldaten. gesti/p/ielt. Vor 8/4/ Tagen kam Walther Dürst mit KreisförstersRudolf Heusler, der Onkel von Walter Dürst; mit beiden war Armin Wedekind 1877 als Jugendlicher gemeinsam auf Wildschweinjagd [vgl. Lenzburger Neujahrsblätter, 27 (1956), S. 54]. J/V/olantjägergemeint ist vermutlich ein Jagdhund für Flugwild (von frz. ‚voler‘) – der dann genannte „Naßrieshund“, möglicherweise eine verballhornte Bezeichnung einer dafür geeigneten Hunderasse. zu uns. Auf einmal sprang der Goldige dem Naßrieshund auf den Kopf und hat ihn so zerkrazt, daß er jämmerlich heulte. Am Dienstag ist HermannEs dürfte sich um Wedekinds Freund Hermann Plümacher handeln, den Sohn der ‚philosophischer Tante‘ Olga Plümacher, der seit Längerem erkrankt war. Vier Wochen zuvor hatte Frank Wedekind ihm Grüße nach Lenzburg bestellt [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 27.6.1886]. fo abgereist. Es gru/ü/ßt und kann dich leider nicht küssen

Dein Bruder
D. Wedekind.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 25. September 1887 in Lenzburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte.
Carte postale. – Cartolina postale.

Herrn Franklin Wedekind
Schönbühlstrasse No 10
Fluntern (Hottingen)
Zürich. |


25. Sept. 1887.


Lieber Bebi!

Aufs Papas Veranlassung hin frage ich dich, ob ich nicht na Mitte oder Ende nächster Woche zu dir kommen könnte, um 8 Tage bei dir zu bleiben. Papa würde allen Unterhalt bez für mich bezahlen und ich e/ä/sse an eurem TischWedekind aß mittags in der Pension Buchmann (Seefeldstr. 1) im Züricher Vorort Riesbach [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1887, Teil I, S. 62]. Über die große Runde berichtete er später in einem Interview: „allmittags war der Tisch recht groß, da eine kunterbunte Gesellschaft mit hungrigen Mägen sich einfand. Kaufleute, Reisende und auch zwei junge Stürmer und Dränger, die die Welt am liebsten aus den Angeln gehoben hätten, zwei – – – Dichter: Karl Henckell und Frank Wedekind.“ [KSA 5/II, S. 568] bei Frau Buchmann,. mit der ich Du würdest mir einen grossen Gefallen tun damit. Schreibe mir baldSchreibversehen, statt: mir so bald. wie möglich. Papa lässt dir sagen, deinen Briefvgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 19.9.1887. bekommen zu haben. Adieu lieber Bruder, grüsse Hamifamiliärer Kosename für Armin Wedekind (auch: Hammi)., Herrn HenkellDer Schriftsteller Karl Henckell aus Hannover war aufgrund von politischer Verfolgung im Deutschen Reich im April 1886 nach Lenzburg gekommen, wo sein Bruder Gustav Henckell eine Konservenfabrik betrieb. Er verlobte sich Ende Mai 1887 kurzzeitig mit Wedekinds Schwester Erika [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 318]. von mir.
Donald Wedekind.


[um 90 Grad gedreht über den Text geschrieben:]

Heute Morgen war ich mit Herrn GustavGustav Henckell aus Hannover, seit 1886 Konservenfabrikant in Lenzburg (Henckell, Zeiler und Cie, später Hero) und Bruder von Karl Henckell. bummeln gewesen. Hoffentlich sehenSchreibversehen, statt: sehe. ich dich bald.

Frank Wedekind schrieb am 26. September 1887 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 28.9.1887 aus Zürich:]


Den Brief an Donald hab’ ich bereits von Herzen bereut. […] Mein Brief an Doda war die einzige Kundgebung meiner inneren Stimmung […].

Frank Wedekind schrieb am 27. September 1887 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 28.9.1887 aus Zürich:]


Ich habe ihn bereits um Verzeihung gebetenHinweis auf das nicht überlieferte Schreiben. […].

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 12. April 1888 in Livorno folgenden Brief
an Frank Wedekind

LivornoDonald Wedekind war nach dem Besuch der 1. Klasse des Gymnasiums zum Ende des Schuljahres (am 7.4.1888) von der Kantonsschule Aarau abgegangen und sollte in Livorno auf Wunsch des Vaters eine kaufmännische Lehre absolvieren. den 12. April 1888.


Lieber Bebi!

Soeben komme ich vom Caffeé postaléDas Caffè della Posta befand sich in der Via Vittorio Emanuele 52 in der Nähe der Piazza Guerrazzi, „der Post gegenüber“ [Karl Baedeker: Italien. Handbuch für Reisende. Zweiter Theil: Mittel-Italien und Rom. Coblenz 1862, S. 10] und besaß einen Garten. heim. Es ist dort ungemein schön. Man sitzt do unter Orangenbäumen und schlürft seinen Sorbet„Getränk von abgezogenem Wasser von Rosen, Veilchen, Lindenblüthen, Safran u. dgl., mit Saft von Citronen, Limonen u. Pomeranzen gemischt u. mit Ambra, Moschus u. dgl. gewürzt, oft mit Eis gekühlt“ [Pierer's Universal-Lexikon. 4. Aufl. Bd. 16. Altenburg 1863, S. 305]. ein. Ein edles Getränke. Gerade gemacht dazu, um nachher die gesichert zu sein gegen die vielen, feurigen Augen, die man auf der F/V/ittorio Emanuele“Die Via Vittorio Emanuele II, die Hauptstraße Livornos, führte von der Piazza Micheli zur Piazza della Repubblica – 1946 wurde die im Volksmund verbreitete Bezeichnung Via Grande offizieller Straßenname. zu sehen bekommt. O, sie sind prachtvoll, die italjänischen Mädchen. Ich habe noch nie so viel schöne Gesichter unter so schlechten Kleidern gesehen, wie hier. Und wie wenig spröde sie sind. Das bekam ich schon auf meiner Reise von Mailand nach Genua zu schmecken. Ich sass zwischen, oder lag viel mehr, denn es war Nachts um 11 Uhr und die wenigen Passagier/re/ hatten es sich bequem gemacht, zwischen 2 Genueserinnennicht identifiziert., welche mich von beiden Seiten küssten, was mir in beiden Leben noch nie passirt ist, indem sie einander immer zu kicherten „profitare di l’occasione“(ital.) ‚Nutzen Sie die Gelegenheit‘. | In Alessandria hatten wir Aufenthalt. Da holte die eine aus ihrem Busen, der hier in Italien als gebräuchliche Speisekammer dient, ein paar Mandeln und bot sie mir an. Ich ass und wir assen eine Viellie doppelte„Vielliebchen-Essen, die Sitte, Zwillingsfrüchte oder die in Krachmandeln etc. vorkommenden Doppelkerne geteilt zu essen, worauf die Beteiligten sich beim Wiedersehen mit ‚Guten Morgen, Vielliebchen‘ zu begrüßen haben und derjenige, der dies zuerst tut, vom andern ein Geschenk erwartet.“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. Bd. 20. Leipzig, Wien 1908, S. 153], a/w/orauf sie mich eidas hier vermutlich begonnene und zunächst gestrichene „einluden“, hat Donald Wedekind später vergessen in den Satz wiederaufzunehmen. ohne die Entscheidung des Zufalls abzuwarten, ich solle morgen und/m/ 10 Uhr in der Via grande del Norte No 21 mich einfinden. Ich tat dass und war punkt 10 Uhr da. Die Damen sind leider noch d nicht aufgestanden. Ich tat wartete und bald darauf kamen 2 ganz kolossal steife junge Damen herein, unter in denen ich kaum meine Reisegefährtinnen erkannte. Die Nacht speziell scheint bei den Italjänern di das Leben zu sein.

Hier in Livorno gefällt es mir sehr gut, dassSchreibversehen, statt: das. heisst, so lange wie’s dauertDonald Wedekind brach seine Lehre in Livorno bereits nach wenigen Monaten ab.. Die Stadt ist gross, schön, das aber etwas langweilig. Ich gehe jetzt sehr viel in die Kirche. Erstens wegen me der schönen MussikSchreibversehen, statt: Musik., die man dort umsonst geniessen kann,. Dann aber auch wegen | wegen meiner pfäffischen Bekanntschaft, die ich auf eine eigene Weise gemacht habe. Es war 6 Uhr Abends, der DomDer dem heiligen Franziskus geweihte Dom befand sich an der Piazza Vittorio Emanuele (heute: Piazza Grande). gedrängt voll, als die Messe zu Ende war. Der BischoffLeopoldo Franchi war am 7.6.1886 zum Bischof von Livorno ernannt worden und hatte das Amt bis 1898 inne., der in der Festwochedie Osterwoche; der Ostersonntag fiel auf den 1.4.1888. celebrirtdie katholische Messe gefeiert, eine kirchliche Zeremonie durchgeführt., verliess das Gebäude. Hinter ihm her der Vikarnicht identifiziert., der die grosse Bibel trug, aus der er das goldene Buchzeichen verlor. Ich hob es auf und brachte es ihm in den Wagen. Er sagte, ich solle um 68 Uhr abends zu ihm in sein Haus PizzaSchreibversehen, statt: Piazza (ital.: ‚Platz‘). Cavour kommen. Ich folgte dieser Einladung und verlebte einen äusserst angehnehmen Abend, bei famosem Wein, famosem Gebäck und unter lauter schwarzen Pfaffen. Sie lockten unp/d/ pfiffen aufs feinste und ich zeigte mich ihnen gegenüber auch nicht ganz abgeneigt, nur um solche Abende noch öfters zu geniessen. Der Grosspfaffhier wohl als (nicht zwingend ironisches) Synonym für General- oder Großvikar, als dem Stellvertreter des Bischofs und Vorgesetzten der Pfarrer – Donald Wedekinds Gastgeber. lud mich denSchreibversehen, statt: denn. auch ein, wieder zu kommen. Die Liebeserklärungen werden hier in Livorno auf die gelungenste Weise gemacht die ich je gesehen habe. Man stellt sich nämlich, bevor die Messe zu Ende ist vor die H/K/irchentüre und wartet, bis die | betreffende herauskommt. Dann giebt man ihr meuchlingsaus dem Hinterhalt, hinterrücks. einen Kuss, der, wenn man ihr gefällt mit einem Kuss, wenn nicht, mit einer Ohrfeige erwiedertSchreibversehen, statt: erwidert. wird. Ohrfeigen giebts viele, aber wenn man zuletzt nur den Kuss hat, so hat man daran schon etwas, was man anderswo nicht so leicht bekommt. Man hat dann allerdings nach einer solchen Katastrophe auch einen Stärkepudding der Hauptbestandteil von Gesichtspuder ist Mais- oder Kartoffelstärke.auf den Lippen, denn die Damen hier sind alle geschminkt. Selbst die gemeinsten und schmutzigsten, alten Fischerweiber haben eine Tournürehier: im Unterrock zu tragendes Formkissen über dem Gesäß (auch: ‚Cul de Paris‘); kurzlebige Frauenmode Ende der 1880er Jahre. und sind geschminkt. Das Meer ist wundervoll. Man kommt fast in Versuchung zu dichten. Grüsse alle, Henckell k den kleinender Schriftsteller Karl Henckell, der fünf Jahre jüngere Bruder des Lenzburger Konservenfabrikanten Gustav Henckell; mit beiden war die Familie Wedekind befreundet. nämlich, besonders. Sage ihm, er solle doch hierher kommen, oder komm du, es ist wirklich schön. Grüsse auch EmmyEmma Frey, die Verlobte von Armin Wedekind, wie spätere Briefe Donald Wedekinds nahelegen.,

Dein Bruder
Donald.


Meine Adresse ist.

S. D. W.
presso la Sigra(ital.) bei Frau. Benedetta Botta
Via Goldoni 3/I.
Livorno

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 4. Mai 1888 in Livorno folgenden Brief
an Frank Wedekind

Livorno 4. Maggio(ital.) Mai.


Lieber Bebi!

Habe die Güte und gieb diesen Brief so bald als möglich an Hamifamiliärer Kosename für Armin Wedekind (auch: Hammi). ab, da ich seine AdresseVor seiner Niederlassung als Arzt in Riesbach im Herbst 1888 wohnte Armin Wedekind gegenüber dem Bezirksarzt Gottlieb Frey im Zürcher Vorort Hottingen (Freie Straße 14) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1888, Teil I, S. 93]. nicht weiss. Ich glaube, es hat noch keinen Maler gegeben, der während seines Werdens schon so viel Bedeud’s gemacht hat, wie dein SchnellmalerWedekind schloss eine erste Fassung von „Der Schnellmaler“, seiner „Großen tragikomischen Originalcharakterposse in drei Aufzügen“, im April 1886 ab, und überarbeitete sie später mehrfach– so im Frühjahr und Herbst 1887 [vgl. KSA 2, S. 545f.]. Die endgültige Fassung schloss er vermutlich im Sommer 1888 ab; sie diente „als Druckvorlage für die – auf Vermittlung von Karl Henckell – 1889 bei J. Schabelitz in Zürich erschienene Erstausgabe“ [KSA 2, S. 546]. , Papa schrieb mirDer Brief Friedrich Wilhelm Wedekinds an Donald Wedekind ist nicht überliefert. Frank Wedekind hat seinem Vater offenbar regelmäßig über den Arbeitsfortschritt an seinem Stück berichtet [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 17.11.1887]. auch davon. Übrigens scheint er so schnell nicht zu sein, denn du gehst doch schon eine lange Zeit mit | ihm schwanger. Er verspricht eine recht schwierige Geburt. Macht er dir aber solche Wehen, dass du mir noch nicht mal kannst schreiben, so bedaure ich dich sehr. Henckell hat mir eine Cartedie Postkarte von Karl Henckell an Donald Wedekind ist nicht überliefert. geschrieben. Indess verbleibe ich immer dein treuer Bruder, der immer gern deinen Cacao und deine NovellenBis Anfang Mai 1888 hatte Wedekind die Erzählungen „Fanny“ [vgl. KSA 5/I, S. 14-19; 594], „Marianne“ [vgl. KSA 5/I, S. 37-76; 734], „Gährung“ [vgl. KSA 5/1, S. 21-36; 644] und „Ein böser Dämon“ [KSA 5/1, S. 77-93; 524] abgeschlossen. Keine der Arbeiten war publiziert. verdaut hat. Schreibe mir, wann es dir beliebt. Grüsse Frl. Weinernicht identifiziert., und die BuchmannenWedekinds Pensionswirtin Anna Barbara Buchmann-Schellenberg und deren Stieftochter Anna Buchmann im Zürcher Vorort Riesbach (Seefeldstr. 1) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1887, Teil I, S. 62], bei denen er auch regelmäßig zu Mittag aß., TomarElias Tomarkin, Medizinstudent in Zürich, war mit Armin, Frank und Donald Wedekind befreundet., und HenckellDer Schriftsteller Karl Henckell war seit Sommersemester 1887 in Zürich als Student eingeschrieben und wohnte (Schönbühlstraße 24) in der gleichen Straße wie Frank Wedekind (Schönbühlstraße 10)..


Es grüsst Dich innig Dein treuer Bruder Donald.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 16. Oktober 1888 in Burgdorf folgenden Brief
an Frank Wedekind

BurgdorfIm Winterhalbjahr 1888/89 besuchte Donald Wedekind das Gymnasium in Burgdorf. 16 October 1888


Lieber Bebi!

Ich und das Anderenicht ermittelt. sind hier gut angekommen, Letzteres auch schon wieder fort gegangen. Im Eisenbahnzuge ist kam mir in den Sinn, dass ich O meine Briefe an PapaDie Briefe Donald Wedekinds an seinen Vater sind nicht überliefert; Friedrich Wilhelm Wedekind war am 11.10.1888 überraschend gestorben. zugleich mit einem an Fischvermutlich Karl Fisch, Professor für alte Sprachen an der Kantonsschule Aarau., in der Nachttischschublade des Zimmers, in dem der Samowarrussischer Teekocher. steht, also in deinem früheren Z Schlafzimmer, habe liegen lassen und bitte dich nun mir dieselben sobald wie möglich zu schicken, damit sie niemand anders in die Hände fallen. Gieb sie keinem zu lesen, ob du sie selber lesen willst, ist mir nicht gleichgültig, doch überlasse ich es dir. Was ich darin verbrochen habe, ist verziehen; es kann mir niemand einen Vorwurf daraus machen, als höchstens ich mir | selber. –

Was den Journalisten anbetrifft so werde ich mir die Sache überlegen, nur möchte ich dich bitten, meine Pla Anerbieten als Landwirt und Oekonom des Schlosses bei Willi’sWilliam Wedekind, der eine kaufmännische Ausbildung in Yverdon und Lausanne erworben hatte, war seit dem 23.4.1886 in New York. allfälliger/m/eventuellem. Ausbleiben sowol bei Mama als auch den andern zu unterstützen, doch nur soweit als es deine eigenen Pläne nicht kreuzt. Es ist schon in Livornovor der Wiederaufnahme des Schulbesuchs hatte Donald Wedekind kurzzeitig eine kaufmännische Lehre in Livorno begonnen. so eine gewisse Lust in mich gekommen mit Ertrag, mit wirklich sichtllichen Ertrag und Anstrengung zu arbeiten und dieser Sucht, die ja gewiss eine Nützliche ist, muss Genüge geleistet werden, wenn ich nicht versumpfen soll. Du kannst dir kaum denken, wie wol ich mich die letzten Tage fühlte, wie ich sah, dass ich mich einigermassen nützlich machen konnte und dass man etwas von meinenSchreibversehen, statt: meinem. Rat Gebrauch mach| machteSchreibversehen; Silbenwiederholung beim Seitenwechsel.. Gerade solche Sachen wie Weinlese, Weinmachen, Studenankauf(schweiz.) Stude = Staude [vgl. Schweizerisches Idiotikon, Band 10, S. 1342]., Hof in Ordnung halten, später auch Milchwirtschaft traue ich mir zu unter Mamas Anleitung führen zu können. Meine Geschäftskenntniss würde gepaart mit Mamas Einsicht und Klugheit ein gutes Resultat ergeben. Daneben könnte ich ja immer noch meineSchreibversehen, statt: meinen. Geist bilden, wozu ja Papas reichhaltige Bibliothek genügend Material liefern würde. Wie gesagt, wenn Willi kommt, ist er jedenfalls am besten dazu gei/e/ignet, kommt er aber nicht, so liegt kein Grund vor, dass ich es nicht sein sollte. Du könntest dann ruhig weiter studiren oder auch dich ganz der Schriftstellerei widmen, wozu ja dann bei mir z/Mam/ma im Schloss genügend Platz wäre. | Was die VormundschaftDonald Wedekind benötigte bis zu seiner Volljährigkeit mit dem vollendeten 20. Lebensjahr (4.11.1891) einen männlichen Vormund. anbetrifft, so wäre ich mit H. Dr FreiDer Bezirksarzt und spätere Schwiegervater von Armin Wedekind, Gottlieb Frey, aus dem Zürcher Vorort Hottingen., dem/n/ ja auch Mamma wünscht, sehr zufrieden, da wir ihn doch kennen und Hami sein Schwiegersohn ist, hingegen, ist mir jeder andere auswärtige auch willkommen, gegen jeden Lenzburger aber protestire ich, was allerdings nicht viel nützen wird. Über die Vormundgeschichten magst du mir hie und da schreiben, wenn sie in Gang sind, über die andern will ich nichts wissen, da ein Brief verloren gehen könnte. Der mittlere Teil und das Ende dieses Briefes ist auch an Mamma gerichtet. – Ich wünsche eine gute Weinlese und einen leidlichen Ertrag. Den Schnaps kauft man am besten beim SchatzmannDer Kaufmann Friedrich Schatzmann betrieb in Lenzburg ein Spezereigeschäft.. Wenn Willi Nachricht von sich giebt, so schreib mir etwas weniges darüber. Herzliche Grüsse an Mama, Mieze, die ich am besten nach StettinErika Wedekind besuchte im Herbst und Winter 1888/89 in Stettin die Familie von Josephine Brunnckow (Grabowerstraße 34, 2. Stock) [vgl. Adreß- und Geschäfts-Handbuch für Stettin 1889, S. 25], die sie 1887 während ihres halbjährigen Aufenthalts im Lausanner Pensionat Duplan kennengelernt hatte. In Stettin nahm sie Unterricht bei Hermann Kabisch, dem Direktor der Akademie für Kunstgesang, und trat erstmals öffentlich als Sängerin auf [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 139; 319]. täte, doch nur wenn sie mit Vergnügen geht, weil sonst der Erfolg zweifelhaft ist, an Mati Emma, detta(ital.) ‚genannt‘, ‚alias‘; vermutlich Anspielung auf die geplante Hochzeit von Emma Frey und Armin Wedekind., Hami, Gustav, CarlDer Lenzburger Konservenfabrikant Gustav Henckell und sein Bruder, der Schriftsteller Karl Henckell, mit denen die Familie Wedekind befreundet war., Fischerein „Bediensteter auf Schloss Lenzburg“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 68]., Carlinenicht identifiziert; auch: Caroline (so im nächsten Brief); im Kontext der Aufzählung vermutlich eine Angestellte auf Schloss Lenzburg., Annivermutlich eine Hausangestellte auf Schloss Lenzburg., an Frau EichenbergerZugeh- und Waschfrau auf Schloss Lenzburg. und dich
D Wedekind

Frank Wedekind schrieb am 3. November 1888 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 14.11.1888 aus Burgdorf:]


Zuerst meinen innigsten Dank für deine […] GratulationHinweis auf das nicht überlieferte Schreiben..

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 14. November 1888 in Burgdorf folgenden Brief
an Frank Wedekind

Burgdorf. 14.XI.1888


Lieber Bebi!

Zuerst meinen innigsten Dank für deine haarbringende GratulationHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 3.11.1888. Donald Wedekind feierte am 4.11.1888 seinen 17. Geburtstag, zu dem er von seinem Bruder offenbar ein Haarwuchsmittel bekommen hatte.. Ich wende sie mit dem besten Erfolge an. Anbei liegt ein kleines WerkDonald Wedekinds beigelegter Text ist nicht überliefert. Wie die weitere Korrespondenz nahelegt, handelte es sich wahrscheinlich um das Manuskript der Erzählung „Der Gang nach der Teufelsbrücke“ (1889)., das ich mir zu meinem speziellen Vergnügen zum Geburtstag geschenkt habe und um dessen Durchsicht ich dich bitte. Nicht dass ich verlange, du sollest es corrigiren bis Alles gut daran wäre, denn ich weiss wol, dass in dem Fall sehr wenig mehr übrig bliebe. Nein, ich wünsche nur, dass du mich auf die grössten Verstösse aufmerksam machst. Würdest | du es aber trotzdem der Mühe wert finden, die Sache etwas eingehender zu behandeln, so sollte mich das ungemein freuen, und könntest du auf meinen besonderen Dank rechnen. Das Ent Werk dankt seine Entstehen einer gewissen Tatkraft, die von der ich dir früher schon einmal geschriebenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 16.10.1888. habe. Zuerst habe ich eine kleine Charakteristikder Text ist nicht überliefert. der italjenischen Geistlichkeit auf’s Papier gebracht, fand sie aber eines feineren Papires als Concepteinfachste Papiersorte neben dem hochwertigeren Kanzlei- , Post- und Velinschreibpapier. unwürdig. Diese Sache nun hat mir schon etwas mehr Vergnügen gemacht, so dass ich mir wirklich darin gefiel sie mir selbst laut vor zulesen. Fällt dein Urteil nicht gar zu schlecht aus (weswegen ich dich um ein | möglichst richtiges bitte) so soll mir das eine Aufmunterung zu ferneren Taten sein. Was mir hauptsächlich nicht daran gefällt sind die a häufigen Wiederholungen. –

Indem ich dich versichere dass mir ein wahres und richtiges Urteil von weitaus angenehmer und auch jedenfalls von grösserem Vorteil ist, empfhehle ich mich deinemr gütigen Urteil Kritik und verbleibe dein treuer Bruder
DWedekind


P. S. = |
Gestern erhielt ich die 50 frs und danke Mama nebst den innigsten Grüssen. Brief wird nächstens erscheinen. Von Mieze e bekam ich eine ganze Schachtel Confect, wirklich ganz köstliche Sachen. In der SchuleDonald Wedekind besuchte im Winterhalbjahr 1888/89 das Gymnasium in Burgdorf. geht es sehr gut. Meine Photographien hoffe ich in nächster Zeit zu empfangen. Es freut mich dasSchreibversehen, statt: dass. Spanien zu Frankreich hältAnlass unklar. In der Presse vielfach zitiert wurde ein Berliner Brief der Wiener „Politischen Correspondenz“, der von „Anzeichen einer Annäherung Spaniens an Frankreich“ berichtete: „Die wachsende Intimität zwischen den beiden Nachbarländern ist bereits bei verschiedenen Gelegenheiten in einer Weise erkennbar geworden, wie man es nach der Aufnahme, die König Alfonso bei seinem letzten Aufenthalte in Frankreich gefunden hatte, kaum für möglich gehalten hätte“; genannt wurde unter anderem „die Cooperation Frankreichs und Spaniens auf dem Gebiete der marokkanischen Frage“ [Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 3128, 9.11.1888, Morgenblatt, S. 4]. Damit galt der Versuch Otto von Bismarcks, Frankreich außenpolitisch zu isolieren, als gescheitert: „Daß die Andeutungen der Politischen Korrespondenz nicht eine bloße Phantasmagorie sind, nicht bloß eine vielleicht müßige Konjektur, kann man bei der Stellung jenes diplomatischen Organs und bei der vorsichtigen Art, in welcher seine Berliner Nachrichten immer redigirt waren, wohl unzweifelhaft annehmen.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 68, Nr. 318, 13.11.1888, 1. Blatt, S. (2)] . Grüsse an die HenckelsDer Lenzburger Konservenfabrikant Gustav Henckell und sein Bruder, der Schriftsteller Karl Henckell, mit denen die Familie Wedekind befreundet war., an Carolinewie in seinem letzten Brief, grüßt Donald Wedekind mit Caroline (Carline), Anni und Frau Eichenberger nicht näher identifizierte Angestellte auf Schloss Lenzburg., das Vieh, Anni, EichenbergenSchreibversehen, statt: Eichenberger., Mati, Emma. Ist Fischerein „Bediensteter auf Schloss Lenzburg“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 68]. noch da? Bitte einmal TillisTilly Kammerer, eine Cousine aus New York, Tochter von Emilie Wedekinds Bruder Libertus Kammerer [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 80], die Donald Wedekind bei ihrem Besuch in Lenzburg im Sommer 1885 kennengelernt hatte. Adresse. Nachrichten von WilliWilliam Wedekind war seit dem 23.4.1886 in New York.? Adieu
Cher frère(frz.) Lieber Bruder.

Frank Wedekind schrieb am 17. November 1888 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 21.11.1888 aus Burgdorf:]


Deinen Bericht vom 17. habe ich erhalten und mit dem grössten Vergnügen gelesen.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 21. November 1888 in Burgdorf folgenden Brief
an Frank Wedekind

Burgdorf. 21. Nov.
1888.


Lieber Bebi!

Deinen Bericht vom 17.nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 17.11.1888. habe ich erhalten und mit dem grössten Vergnügen gelesen. Es sollte mich ungemein freuen, wenn du es irgendwo unterbringen könntest, geht es aber nicht, so brauchst du dir deswegen keine Sorgen zu machen, | dass ob mich das auf eine Weise entmutige, denn als ich dir das Ding schickteDonald Wedekinds Text, den er seinem Bruder zur Korrektur gesandt hatte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 14.11.1888], ist nicht überliefert. Wie die weitere Korrespondenz nahelegt, handelte es sich um das Manuskript der Erzählung „Der Gang nach der Teufelsbrücke“ (1889)., wagte ich gar nicht dem/n/ Gedanken an einSchreibversehen, statt: eine. Druckfähigkeit der Skizze zu haben, bringst du es irgendwo an so ist es mir eine an sehr, sehr angenehme Überraschung, aber nicht weniger die Erfüllung meiner Erwartungen. Ich bin | dir natürlich sehr zu Dank verpflichtet, dass du dir die Mühe nimmst und mein Manuscript corrigirst. Das allein schon nehme ich als vollen Beweis für das Nichtvorhandensein einer allzu schwachen Sache an, denn es ist i unmöglich, dass du deine Zeit einem unnützen Werke opferst. | Muss ich beim Abschreiben auch noch eine Seite je blank lassen? Du könntest mir gelegentlich etwas schreiben in Beziehung auf VormundschaftDonald Wedekind benötigte bis zu seiner Volljährigkeit mit dem vollendeten 20. Lebensjahr einen männlichen Vormund. und AnderesBezug unklar., es würde mich sehr interessiren!

Indem ich durchaus keine Antwort erwarte, denn ich weiss dass du jetzt viel zu tun hast verbleibe ich dein treuer Bruder
D Wedekind.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 11. Dezember 1888 in Burgdorf folgenden Brief
an Frank Wedekind

Burgdorf. 11. Dez.
1888.


Lieber Bebi!

Nachdem das Manuscriptder Erzählung „Der Gang nach der Teufelsbrücke“ (1889). schon einmal wegen schlechter Schrift g zurückgesandd/t/t worden ist, lie und ich es einem Mitschülernicht identifziert. zum Abschreiben gegeben habe kommt es mir soeben mit beigelegten Begleitschreibennicht überliefert. wieder zu. Ich erwartete nichts anversehentlicher Wortabbruch beim Seitenwechsel; zu ergänzen wäre: anderes, aber.| freue mich sehr des angenehmen Ton’s, den Herr WidmannDer Schweizer Literaturkritiker und Schriftsteller Joseph Victor Widmann war Literaturredakteur bei der Berner Zeitung „Der Bund“, dem Donald Wedekind offenbar seine Erzählung zur Publikation angeboten hatte. darin anschlägt. Ich glaube fast ihm danken zu müssen. Wenn du noch irgend welche Aussicht dafür in irgendeinem andern Blatte hast, die dir wolbemerkt nicht zu viel Mühe macht, so mi wäre ich dir sehr dankbar dafür, obschon es mir Vergnügen | machen würde die Sache Herrn Widmann zu lassenDonald Wedekinds Erzählung erschien unter eigenwilligem Autornamen in der Berner Zeitung [vgl. Donald Lenzelin: Der Gang nach der Teufelsbrücke. In: Der Bund, Jg. 40, Nr. 148, 28.5.1889, S. (1-3) und Nr. 149, 29.5.1889, S. (1)]., den ich seiner reizenden Complimente wegen recht lieb gewonnen habe. Immerhin mag ich nicht bis im Sommer warten, um dann z mit anzusehen, wie er für „nichts stehen kann“ was nebenbei eine ganz famose Formel ist. Also wenn du etwas damit anfangen | kannst, so tu es.

Die Zeilen von Herrn Widmann bewahre mir auf bis Weihnachten, ich möchte sie gerne behalten als Andenken an mein erstes Werk.

Samstagden 22.12.1888. über acht FageSchreibversehen, statt: Tage. sind Ferien.

Gruss an alle
Dein treuer Bruder
DWedekind

Frank Wedekind schrieb am 9. März 1889 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 2.4.1889 aus San Francisco:]


Am 28. vergangenen Monats empfieng ich deinen lieben Brief […] Die übrigen Neuigkeiten, die dein Brief enthielt […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 2. April 1889 in San Francisco folgenden Brief
an Frank Wedekind

San FranziscoDonald Wedekind war im Februar 1889 zu Verwandten seiner Mutter in die USA gereist. Über seinen Reiseweg von Paris über New York, St. Louis, Kansas City und Santa Fé bis San Francisco berichtete er am 17.11.1889 in einem Brief an seine Schwester Emilie (Mati) [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 138]. 2 M/A/ March. April 1889


Lieber Bebi!

Am 28. vergangenen Monats empfieng ich deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 9.3.1889., den ich mit dem größten Vergnügen gelesen habe. Die Empfehlung an Herrn HansenEs dürfte sich um das Empfehlungsschreiben (nicht überliefert) von Oscar Asmussen handeln [vgl. Oscar Asmussen an Wedekind, 28.2.1889], das vermutlich an Oscar Asmussens Großvater mütterlicherseits adressiert war, den Vater von Louise Asmussen (geb. Hansen) in New York. gab ich gleich am nächsten Tag ab. Sie hatte jedoch, wie alle andern keinen Erfolg, als daß H. Hansen mir versprach SchülerDonald Wedekind versuchte in San Francisco, als privater Sprachlehrer Geld zu verdienen. zuzuSchreibversehen (fehlende Vervollständigung des Wortes beim Seitenwechsel), statt: ‚zuzuführen‘ (oder ein semantisch ähnliches Verb). | und daß ein Schweizernicht identifiziert. den ich zufällig auf dem Wege nach der Brauereinicht ermittelt; in San Francisco gab es Ende des 19. Jahrhunderts über 20 Brauereien. in’s Schlepptau genommen hatte, eine Stelle in derselben bekam. Die übrigen Neuigkeiten, die dein Brief enthielt, haben mich außerordentlich gefreut. Ich wünsche fast, daß dein Schnellmaler nicht einschlägtFrank Wedekinds Posse „Der Schnellmaler oder Kunst und Mammon“ ist im Frühjahr 1889 im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) in Zürich erschienen [vgl. KSA 2, S. 546, 551]., damit ich dich hier haben kann. Angenehmer wäre es natürlich, wenn er Erfolg haben würde, und du dennoch, z. B. mit Hami, der hoffentlich einen vernünftigen | EntschlußInnerhalb der Familie Wedekind gab es Vorbehalte gegenüber Armin Wedekinds Heiratsplänen mit Emma Frey, Tochter des Bezirksarztes Gottlieb Frey, bei dem er assistierte. Die Eheschließung hatte am 21.3.1889 stattgefunden, Donald Wedekinds Formulierung legt nahe, dass er dies noch nicht wusste. fassen wird, hierher kämst. Frau ObenauerErnestine Obenauer, eine „Freundin seiner Mutter“ in San Francisco [Parker 2020, S. 19], die Donald Wedekind später um Geld bat, wie Frank Wedekind aus einem Brief der Mutter [vgl. Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 16.6.1889] erfuhr [vgl. Tb, 17.6.1889]. freut sich schon königlich darauf. Emmy würde mich zwar dauern, doch ist sie sicherlich eher zur alten Jungfer veranlagt als zur Hausfrau und Mutter. Auch glaube ich nicht, daß der alte Frei seine vertraute Stellung zu uns aus Rache in irgendwelcher Weise mißbrauchen würde.

Stellung habe ich bis jetzt noch nicht, wenigstens keine feste. Meine Freunde, die ziemlich zahlreich sind, be|mühen sich gemäß ihren Außsagen sehr, doch soll es schwer sein, etwas zu finden. Mit der Zeitung ist es nicht. Der California Democrat älteste deutsche Tageszeitung in Kalifornien (gegr. 1853) mit Sitz in San Francisco (Montgomery Ecke Sacramento Street).hat keine Arbeiter nötig. Außerdem ist es ein sehr einseitiges Blatt, ein Copie der engl. Blätter, denen der litterarische Teil vollständig fehlt. Hingegen glaube ich, daß es wol sich wol lohnen würde ein litterarisches Journal zu gründen, mit etwas poetischenSchreibversehen, statt: poetischem. Anstrich. Nicht für die | Männer, denn die wollen nichts anderes lesen als Politik und Geschäfte, sondern für die Frauenwelt, die hier überhaupt dier einzige Vertreter für Wissenschaft und Kunst ist. Das sagte mir auch Herr Hansen, indem er mir empfahl, in den Mädchenschulen meine KartenDonald Wedekind verteilte Visitenkarten mit der Aufschrift: „DONALD WEDEKIND / Teacher of German, French, Italian – Latin and Greek / Mathematics, Physics, Geography and History / 16 MONTGOMERY AVE., ROOM NO. 6 SAN FRANCISCO / HOURS, 1 TO 2 P. M.“ [Mü, FW B 304] verteilen zu lassen, da diese allein Lust zum Erlernen fremder Sprachen hätten. Ich habe auch dem|gemäß 5600 Exemplare verteilt und verteilen lassen, doch bis jetzt ohne Erfolg. Ich bin durch alle Priesterschaften gelaufen, von den Jesuiten an bis zu den einfachen Franziscadenern, doch ohne Erfolg. Ich frage den Tag hindurch 5 – 10 Mal Leute auf der Straße, die mir darnach aussehen, doch als ob sie etwas bräuchten. Ich denke es wird noch kommen. Hamis Papiereunklar; vermutlich hatte Armin Wedekind, der in Oakland geboren war, Unterlagen zu seiner Herkunft oder aber Unterlagen über die amerikanische Auswanderungszeit (1849-1864) seines Vaters Friedrich Wilhelm Wedekind angefordert, dessen Erbe er für seine Geschwister und seine Mutter verwaltete. werden von der deutschen Unterstützungsge|sellschaftDie 1854 von Wedekinds Vater mitgegründete Allgemeine Deutsche Unterstützungsgesellschaft in San Francisco kümmerte sich um notleidende deutsche Einwanderer und betrieb ein Krankenhaus [vgl. Allgemeine Deutsche Unterstützungs-Gesellschaft von San Francisco, Cal. Geschichtliche Mittheilungen seit ihrer Gründung am 7ten Januar 1854, bis zum Vierzigjährigen Stiftungsfeste am 7ten Januar 1894. Gesammelt und zusammengestellt von Eugen Römer. San Francisco 1894]. ausgestellt und demnächst abgeschickt, hoffentlich braucht er sie nicht mehr. Von Karl Henckell halte ich gar nicht mehr viel, immerhin la grüße ihn aufs herzlichste von mir. Das Leben ist hier sehr angenehm, wozu hauptsächlich das prachtvolle Klima beiträgt. Jeden Sonntag gehe ich nach AlamedaStadt auf der gleichnamigen Insel vor Oakland am Ostufer der San Francisco Bay; dort wohnten die Obenauers (Central Avenue 2516), wie Donald Wedekind seiner Schwester Mati am 17.11.1889 aus Kansas City schrieb: „Alameda, so heisst der Platz, wo die Obenauer wohnen, ist wie ein Paradies. Am Sonntag spielten Davie Obenauer Maria Steffen und ich an der Northbeach.“ [Aa, A II b]. Frau Obenauer hält sehr viel von mir. Sie giebt mir immer einSchreibversehen, statt: eine. Unmasse Kuchen mit, daß ich für die Woche etwas | zu essen haben. Ich habe schon verschiedene Male die Heilsarmee aufgesucht. Jeden Abend gehe ich zur Schule zur schnelleren Erlernung der engl. Sprache. Wie geht es Gustav? Minnadie Cousine Minna von Greyerz; der Anlass der Gratulation ist nicht bekannt. gratulire ich. Meine beiden BriefeAdressaten unklar. Donald Wedekinds Briefe an Lenzburger Verwandte oder die Familie sind nicht überliefert. werden gut angekommen sein. Grüße an alle. Hoffentlich bald Antwort von Mama. Den Bekannten sage nur, ich mache riesige Geschäfte. Ich glaube wirklich, daß bald jemand von Euch kommen wird.

Dein treuer Bruder
Donald |


Mieze mag sich nur bald verheiratenArmin Wedekind berichtete im Herbst von Verlobungsabsichten seiner Schwester mit „Apotheker König“ [Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889].. Mama halte ich für eine der besten Frauens der Welt. Willi soll mir sehr viel Geld machen und sich dann seine CousieneSchreibversehen, statt: Cousine. Anna anhängenWilliam Wedekind heiratete seine Cousine Anna Wilhelmine Kammerer am 25.7.1889 in Zürich., so beneide ich ihn schon nicht. Für SadiSpitzname Karl Henckells auf Schloss Lenzburg [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 139]. halte ich es das Beste, er stürzt sich irgend wohinunter, aber nicht zu hoch. Grüße Carlinenicht identifiziert (in anderen Briefen Donald Wedekinds auch in der Schreibung: Caroline). und Mati. Sie möge mir auch mal schreiben. Kommt Augustnicht identifiziert. noch immer?

DW.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 17. Dezember 1889 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Dr. Wilh. Wedekind
Schloss Lenzburg
SCHWEIZ.


Lenzburg, den 17 Dez. 1889
(Canton Aargau)


Lieber Bebi

Mit Vergnügen kann ich dir melden, daß ich am Sonntagmorgenden 15.12.1889. glücklich und so weit auch gesund in Basel die Schweiz betrat. Ich fuhr am 24 November von Kansas City, meinem letzten Wohnorte ab und erreichte am 26. New JorkSchreibversehen, statt: New York., wo ich mich nicht weiter aufhielt, sondern mich sofort einschiffte auf „City of ParisDie City of Paris war ein in Großbritannien gebautes Passagierschiff der Inman Line, das als schnellstes Schiff auf der Nordatlantikroute galt; ihre Jungfernfahrt fand am 3.4.1889 auf der Route von Liverpool nach New York statt. Sie fasste 1740 Passagiere. dem größten und comfortabelst eingerichteten OceansteamerOzeandampfer. der Welt. Die Fahrt dauerte 7 Tage über Queenstown in Ireland; In Liverpool | nahm ich London Daily Express, der mich in 3 StunddenTatsächlich betrug die Fahrzeit zwischen Liverpool und London mit dem Expresszug knapp 4 ½ Stunden [vgl. Travelers’ Official Railway Guide for the United States and Canada, Jg. 22, Nr. 4, September 1889, S. XII]. nach London brachte. In London wurde ich von Influenza befallen, das mich 3 Tage im Bett hielt. Nachdem das Geld von Mama mich erreicht hatte, reiste ich am 14ten Dezember ichSchreibversehen, statt: in. Gesellschaft des Erzbischofs von CanterburySeit 1882 hatte dieses Amt Edward White Benson inne., des Bisch. von LincolnEdward King, seit 1885 Bischof von Lincoln., des Bischof von LiverpoolSeit 1880 war dies John Charles Ryle., von ManschesterSchreibversehen, statt: Manchester. nas/c/h Dover über Chatham und Canterbury. Das Boot brachte und/s/ in 3 Stunden nach Calais, von wo uns der Zug über Laon, Dernierwohl Schreibversehen, statt: Tergnier (ein Eisenbahnknotenpunkt)., RheimsSchreibversehen, statt: Reims. und | Delle nach Bâle(frz.) Basel. trug. Von Basel fuhr ich direch/c/t nach Zürich, wo ich von mein Hami meinen Husten identifizirt haben wollte. Wir aßen zu Mittag bei Tante Frey, Kastanien und Aepfel, gewürzt von des alten Doctors Vorlesungen über Influenza. AbensSchreibversehen, statt: Abends. 10 Uhr kam ich nach Hause und fühleSchreibversehen (Auslassung), statt: fühle mich. gegenwärtig sehr gut, bis würdeSchreibversehen, statt: wenn. nicht ein fortwährender Husten, den die andern allerdings nicht für schwer halten | mich d/i/n einem fort aufregen würde.

Es würde mich sowol als auch die Andern sehr freuen wenn du zu Weihnachten heimkommen könntest und dann etwas da bleiben k würdest. Es ist unser aller Wunsch. Ich hatte eigentlich die Idee dich in MünchenFrank Wedekind wohnte seit dem 5.7.1889 wieder in München. zu besuchen aber das Geld hat nicht mehr gereicht. Es hat mich sehr sehr gefreut, daß du meine Skizze in die Zeitung gebrachtDonald Wedekinds Erzählung „Der Gang nach der Teufelsbrücke“ war während seines USA-Aufenthalts im Mai 1889 in der Berner Tageszeitung „Der Bund“ erschienen [vgl. Der Bund, Jg. 40, Nr. 148, 28.5.1889, S. (1-3) und Nr. 149, 29.5.1889, S. (1)]. Er hatte seinen Text im Dezember 1888 dem Literaturredakteur der Zeitung, Joseph Victor Widmann, zur Publikation angeboten [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 11.12.1888], deren Realisation dann offenbar sein Bruder organisierte, der auch Belegexemplare anforderte [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 11.6.1889]. hast und | danke ich dir dafür. Also noch einmal: Wir alle würden uns freuen dich zu haben und ich verbleibe dein treuer Bruder
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 31. Januar 1890 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloss Lenzburg 31 JanZu dem Brief notierte Frank im Tagebuch: „Ich bleibe liegen bis mir meine Wirthin gegen zwölf die Monatsrechnung bringt, die ich nicht bezahlen kann nebst einem Brief von Donald. Donald hat vergeblich beim Gymnasium in Zürich anzukommen versucht, worauf man dahin übereingekommen sei, er solle die Fremdenmaturität machen. Am anderen Morgen widerrufe Mama telegraphisch ihre Einwilligung, kommt dann um zwölf persönlich und stellt ihm die Alternative, Buchdrucker zu werden oder ans Gymnasium in Aarau zurückzukehren. Mit freundlicher Miene praktiziert sie ihm seine Uhr weg und nimmt ihn mit nach Lenzburg zurück von wo er mir am nämlichen Abend schreibt, ich möge ihm Geld schicken daß er hierher kommen könne.“ [Tb, 1.2.1890]


Lieber Bebi!

Soeben bin ich in Begleitschaft von Mamma hier obenauf Schloss Lenzburg. angekommen, ohne etwas in Zürich ausgerichtetDonald Wedekind besaß nach den abgebrochenen Schulbesuchen in Aarau (1887) und Burgdorf (1889) und nach seiner Rückkehr aus Amerika keinen Schulabschluss, so dass sich seine Mutter, um eine Fortsetzung seines Schulbesuchs bemühte. zu haben. Dienstagden 28.1.1890. war der Rector der Kantonsschuledie 1833 gegründete Kantonsschule Zürich (Rämistrasse 21) [vgl. Adressbuch für Zürich 1890, Teil I. S. 171] beherbergte ein Gymnasium und eine Industrieschule und befand sich am unteren Teil des Zürichbergs. nicht zu sprechen. Mittwochden 29.1.1890. morgen kam Mamma mit dem 10 Uhr Zug auf dem Bahnhof in Zürich an, wo ich sie abholte. Nachdem ich vielleicht eine halbe Stunde mit ihr spaziren gegangen war, wanderte ich zum Gymnasium hinauf. Rector WirzDer Altphilologe Dr. Hans Wirz (Plattenstraße 26, Fluntern) [vgl. Adressbuch für Zürich 1890, Teil III, S. 25] war von 1883 bis 1899 Rektor der Kantonsschule Zürich. behauptete, er nähme nie Schüler inmitten des Quartals auf, noch sei es für mich möglich im Frühjahr aufgenommen zu werden, wenn | ich nicht ganz auf der Höhe der Klasse sei, ferner sei ja in solchen Fällen die FremdenmaturitätZulassungsprüfung an der Universität Zürich für Nichtschweizer und Schweizer ohne schweizerische Matura. [„]viel angenehmer.“

Ich stattete diesen Bericht um zwei Uhr bei HamiDonald Wedekinds Bruder Armin wohnte im Zürcher Vorort Riesbach (Seefeldstraße 81) [vgl. Adressbuch für Zürich 1890, Teil I, S. 356], wo er eine Arztpraxis hatte. in Beisein von Mamma und Emma ab, worauf beschlossen wurde, daß ich mich in bi in der Zeit von jetzt zum Frühjahr solle vorbereiten, entweder um die Fremdenmaturität zu machen, oder das Aufnahmeexamen in die 4.te Klasse der Kantonsschule. Nachher kam noch die alte Frau FreyArmin Wedekinds Schwiegermutter Elise Frey. und muß sich jedenfalls bei Hami über mich aufgehalten haben, denn heute machte er mir heftige Vorwürfe. Die ganze Bande LeemanEmilie Leemann (geb. Kammerer) in Riesbach (Feldeggstraße 52) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1890, Teil I, S. 199], Witwe von Gustav Leemann, war eine Cousine der Mutter Emilie Wedekind (geb. Kammerer) und wohnte in unmittelbarer Nähe von Armin Wedekind. Sie hatte drei Töchter: Elisabeth, Emilie und Helene [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 146, 254]. und ich rannten mit Mamma | auf den Bahnhof, wo ich mich unglücklicherweise in einen Streit mit Mamma einließ, der damit endete, daß sie mir schnell adieu sagte. Heute morgen, nachdem ich von Prof. BlümnerHugo Blümner, Professor für Archäologe und Altphilologie an der Universität Zürich, wohnte im Zürcher Vorort Hottingen (Klosbach 65) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1890, Teil I, S. 43]. Er war im Wintersemester 1889/90 Rektor der Universität Zürich [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 70, Nr. 17, 17.1.1890, S. (4)]., bei dem ich mich der nach der Fremdenmaturität erkundigt hatte, zu Hami zurückkam, erfuhr ich, daß Mamma telegraphirtDas Telegramm von Emilie Wedekind an Armin Wedekind vom 31.1.1890 ist nicht überliefert. hatte, ich solle doch keine Wohnung mieten, sie komme um 12 Uhr. Frau Leemann hatte indessen Hami den Vorgang erzählt und letzterer empfieng mich mit einer Moralpredigt, die ich geduldig anhörte. Als Mama endlich kam, sagte sie kurzweg, sie habe jetzt nur zwei Wege für mich, entweder ich wür|de Buchdrucker oder sie gäbe kein Geld mehr her. Als ich sagte, Buchdrucker wolle ich nicht werden, rief sie mir zu, dann hätten wir nichts mehr miteinader zu tuhnSchreibversehen, statt: miteinander zu thun.. Ich war schon im Begriff mich zu empfelenSchreibversehen, statt: empfehlen., als sie mit der falschesten Miene der Welt auf mich zukommt und mir meine Uhr aus der Tasche reißt und sie mit triumphirender Bewegung Hami übergiebt, der als Schutztruppe hinter ihm/r/ stand. Ich Mich entsetzte dieses abgemachte, falsche Benehmen der beiden derart, daß ich ohne ein Wort zu sagen, das Zimmer verließ. Bei der ganzen Scene war Frau LehmannSchreibversehen, statt: Leemann. natürlich auch gegenwärtig. Ich spazirte eine | Zeit lang dem QuaiArmin Wedekinds Wohnung in der Seefeldstraße 81 lag nur 350 Meter entfernt vom Ufer des Zürichsees. entlang und gieng dann wieder hinauf und sagte Mamma das, was ich ihr schon lang zu sagen gewillt war, daß ich gern bereit sei, an einem andern Gymnasium das Examen zu machen, hieß es, dazu sei weder Zeit noch Geld, entweder ich müßte mich für Aarau entschließenDonald Wedekind hatte 1888 die Kantonsschule Aarau nach der 1. Klasse verlassen. und dann jeden Tag heimkommen, oder Buchdrucker werden, vor welchen beiden Sachen ich einen solchen Ekel habe, daß ich gar nicht daran denken mochte. Um aber der Sache ein Ende zu machen, sagte ich für ArauSchreibversehen, statt: Aarau. zu und fuhr um 7 mit Mama heim, ohne 1 Franken in der Tasche. Mama und | Hami scheinen die strengsten Maßregeln bei allfälliger WiedersetzungSchreibversehen, statt: Widersetzung. in And/w/endung bringen zu wollen. Da ich mich aber eher meiner lieben Mutter unter der Zimmertühre am StrickAnspielung auf einen Selbstmord durch Erhängen. verreckeSchreibversehen; der Satzanfang erfordert ein anderes Prädikat, etwa: opfere., als daß mich Polizei anrührt, so werden jedenfalls die nächsten Tage laut werden. Daß die ganze Sache Complottgeheime Absprache, Verschwörung. ist, geht schon daraus hervor, daß sie erst jetzt, da du fort bist, so mit aller Macht gegen mich losziehn. Hami will mich nicht in Zürich, und Mamma will mich zu Hause, obschon sie weiß, daß ich nicht mit ihr auskomme.

Ich bitte dich nun inständigst, an Mamma zu | schreibenvgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 1.2.1890. und ihr zu sagen, solche wiedrigeSchreibversehen, statt: widrige., knechtische Rohheiten sein zu lassen und mich nicht so fürchterlich zu tyrannisiren. Ich bin bereit, auf irgend ein Gymnasium zu gehen, nur nicht nach Aarau und nicht dahin, wo ich zwei Jahre nachzuholen habe. Das beste wäre, du würdest mir Geld senden, daß ich zu dir kommen könnte, aber jedenfalls so, daß das wi/m/ir nicht vornweg genommen werden kann. Also in Banknoten oder mit der besonde und poste restantefrz.) postlagernd.. Schreibe mir jedenfalls sofortvgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 1.2.1890. Zu dem nicht überlieferten Schreiben notierte Frank Wedekind: „Ich schreibe ihm sowohl wie Mama, ich werde ihn auf meine Kosten die Fremdenmaturität absolviren lassen und erwärme mich noch bis Nachts zwölf Uhr an meiner Großmuth ohne etwas zu arbeiten.“ [Tb, 1.2.1890] was du tuhn willst und kannst, denn viel Geduld wird weder Hami noch Mamma haben und dann | hieß es für mich einfach, aus der Welt, denn noch einmal solch eine hündisches Befragen/handl/ung wie heute könnte ich nicht ertragen. Also, bitte, tuh etwas, du bist gerade so gut mein VormundBis zu Donald Wedekinds Volljährigkeit am 4.11.1891 bzw. der Benennung eines Vormunds entschieden die erwachsenen Geschwister über seinen Zugriff auf das väterliche Erbe. wie die andern und hast auch ein Wort dazu zu sagen. Oh, es ist fürchterlich.

Wenn ich je in die freien Jahre komme, werde ich mit Schauder an diesen Tag zurückdenken, und wenn ich vorher abfahre, werde ich mit Fluchen zur Hölle fahren. Also bitte sofort.

Dein treuer Bruder
Donald.


Schicke den Brief ja so, daß ich ihn aus erster Hand erhalte

Frank Wedekind schrieb am 1. Februar 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[1. Hinweis und Referat in Frank Wedekinds Tagebuch vom 1.2.1890 in München:]


Ich schreibe ihm [Donald] sowohl wie Mama, ich werde ihn auf meine Kosten die FremdenmaturitätZulassungsprüfung an der Universität Zürich für Nichtschweizer und Schweizer ohne schweizerische Matura. absolviren lassen



[2. Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 6.2.1890 aus Lenzburg:]


Deinen Brief erhielt ich gestern Abend.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 6. Februar 1890 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg 6 Februar 1890


Lieber Bebi!

Deinen K/B/riefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 1.2.1890. erhielt ich gestern Abend. Er hat mich sehr beruhigt. Noch bevor ich dein Schreiben empfangen hatte, hatte ich meine Zeugnisse nach SolothurnDonald Wedekind bewarb sich zur Fortsetzung seiner Anfang 1889 abgebrochenen Schullaufbahn am Gymnasium in Solothurn und trat dort im Frühjahr 1890 in die 5. Klasse ein. geschickt, wohin ich heute behufs Examens reiste. Das Resultat ist noch nicht sicher, aber doch sehr wahrscheinlich. Ich werde jedenfalls nicht höher als 2.te Klasse GymnasiumDonald Wedekind folgt hier der Zählweise der Gymnasialklassen in seiner vorherigen Schule, der Kantonsschule Aarau, in der auf zwei Jahre Progymnasium, vier Gymnasialklassen folgten. In Solothurn entsprach dies der 5. Klasse. kommen. Mama wäre damit zufrieden, doch scheinten mir 2 ¼ in dem traurigen Orte zuzubringende Jahre furchtbar unerträglich. Von der FremdenmaturitätZulassungsprüfung an der Universität Zürich für Nichtschweizer und Schweizer ohne schweizerische Matura. will Mama durchaus nichs/t/s wissen. Allerdings könnte ich dieselbe des angestrichenen Paragraphen wegenHinweis auf eine nicht überlieferte Beilage mit Regelungen zur Fremdenmaturität, auf die sich Frank Wedekind auch gegenüber seiner Mutter bezog, die wegen Donalds Schulabbrüchen eine Anmeldung für unmöglich erklärt hatte, während Frank Wedekind schrieb, dass er „aus dem gedruckten Reglemente ersehe daß er dessen unbeschadet im Frühling 91 zugelassen wird“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 8.2.1890]. Analog zu den Minimalaltersgrenzen an den regulären Schulen, die je nach Kanton zwischen 18 ½ und 20 Jahren lagen [vgl. G. Finsler: Die Lehrpläne und Maturitätsprüfungen der Gymnasien der Schweiz. Materialien und Vorschläge. In: Zeitschrift für Schweizerische Statistik, Jg. 29, 2. Quartalsheft, 1893, S. 174], dürfte auch für die Fremdenmaturität eine solche Altersgrenze bestanden haben, die Frank Wedekinds Angaben zufolge bei 19 ½ Jahren lag. nicht vor Frühling über ein Jahr machen. Doch wäre ich immerhin ein volles Jahr gewonnen im Vergleiche zu SoloturnSchreibversehen, statt: Solothurn. und die Wahrscheinlichkeit des Aushaltens des kürzeren Termines, wie des Bestehens | der Prüfung ist im Falle der Fremdenmaturität die größere. Die in Solothurn bestandene Prüfung könnte kaum schlimmen Einfluß haben. In d Deutsch, Französisch, Englisch genügten die Leistungen zur Aufnahme in die dritte Klasse. In Physik, Mathematik und Latein ich hinten nach bin.

Ich würde es vorziehen die Fremdenmaturität zu machen, erstens der Zeitersparniß, zweitens der größeren Annehmlichkeit wegen. Da aber Mama durchaus nichts von der Sache wissen will, was ich in/au/s einem elenden Wortstreit, über den ich mich jetzt noch ärgere, ersehen habe, di so werde ich zuerst eine Antwort von dir abwarten, was ich sehr gut tuhn kann, da ich mir noch ein paar freie Tage ausbedungen habe. Schreibe mir ganz wie du über die Sache denkst, und zwar sofort, da ich so wenig wie möglich Zeit verlieren will.

Im Übrigen kann ich dir d nicht sagen, wie sehr es mich | gefreut hat, daß ich wenigstens an dir noch eine Stütze gefunden habe, so daß ich also doch nicht ganz verlassen und rechtlos in der Welt stehe. Der Verlust der Uhrangesprochen in der vorangegangenen Korrespondenz [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 31.1.1890]. ärgert mich nicht, aber der Gedanke an die Tat.

Ich habe wieder eine Geschichtenicht ermittelt; von der Anlage her ähnlich zu seiner ersten Geschichte ist die Erzählung „Der Kandidat am goldenen Thore“, die in Donald Wedekinds Novellenband „Das rote Röckchen“ (1895) erschienen ist. geschrieben. Sie ist nicht das geworden, was sie hätte werden sollen, sie ähnelt zu sehr der erstenDonald Wedekinds erste Publikation, die Erzählung „Der Gang nach der Teufelsbrücke“, war im Vorjahr in der Berner Tageszeitung „Der Bund“ erschienen [vgl. Der Bund, Jg. 40, Nr. 148, 28.5.1889, S. (1-3) und Nr. 149, 29.5.1889, S. (1)].. Eigentlich wollte ich die Romantik ganz weglassen, aber sie kam doch hinein. Ich werde sie noch einige Male zu meinem Vergnügen durchlesen, und sie dir dann schicken.

Ich wollte ich hätte Thomar hier.

Dein treuer Bruder
Donald


Prof. BlümerSchreibversehen, statt: Blümner; bei Prof. Hugo Blümner, dem Rektor der Universität Zürich, hatte sich Donald Wedekind zuletzt wegen der Fremdenmaturität erkundigt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 31.1.1890]. sagte weiter nichts.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 7. Februar 1890 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg 7. Februar 1890


Lieber Bebi!

Ich bin in die 2.te Klasse des GymnasiumsDonald Wedekind hatte sich am Gymnasium in Solothurn beworben und trat dort im Frühjahr 1890 in die 5. Klasse ein, folgt hier aber in der Zählweise der Kantonsschule Aarau, die er zuletzt besucht hatte. Dort wurden zwei Progymnasiums- und vier Gymnasialklassen gezählt. auf genommen. Zudem kommt noch, daß das Schuljahr in Solothurn erst im Herbst beginnt. Ich könnte dem nach erst nächsten Herbst in die 3te Klasse promovirt werdenversetzt, befördert werden. und hätte also im Ganzen noch 2 ¾, fast volle 3 Jahre dort zu verweilen. Ich bin nun durchaus nicht gesonnen hinzugehen, kann aber ohne deine Hülfe auch nicht nach Zürich gehen, weshalb ich die Sendung der 50 frs mit Sehnen erwarten, solt/l/te auch deine Antwort auf meinen gestrigen Briefvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.2.1890. anders lauten. Ich sah erst vorhin aus dem Programmdas jährlich erscheinende Programm der Kantonsschule Solothurn., daß die Maturität wie auch der Anfang des Schuljahres im Herbst sind. | Es handelt sich nun darum, volle 1 ½ Jahre zu sparenbei Ablegung der Fremdenmaturität (siehe dazu die vorangegangene Korrespondenz). Frank Wedekind teilte am folgenden Tag seiner Mutter mit, dass er seinen Bruder Donald auf eigene Kosten darin unterstützen wolle [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 8.2.1890]. Dazu kam es jedoch nicht, Donald Wedekind schloss die Schule in Solothurn 1892 mit der Maturität ab., was doch wahrhaftig der Mühe wert ist. Jedenfalls beantworte auch diesen Brief sofort, da ich darauf warte. Für mich ist die Entscheidung gemacht. Mama schrieb heute an Hami. Ich habe große Furcht vor seiner Roheit.

Was meine GeschichteDonald Wedekind hatte das Manuskript einer nicht näher identifizierten Erzählung (vermutlich „Der Kandidat vom goldenen Thore“) in seinem letzten Brief angekündigt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.2.1890] und nun offenbar dem vorliegenden Brief beigelegt. Das Manuskript ist nicht überliefert. anbetrifft, so schicke dieselbe nicht eher zurück als ich dir eine feste Adresse geschrieben habe.

Dein treuer Bruder
Donald

Frank Wedekind schrieb am 8. Februar 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 10.2.1890 aus Lenzburg:]


Gestern Abend bekam ich deinen Brief […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 10. Februar 1890 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg 190. Febr. 1890


Lieber Bebi!

Gestern Abendam 9.2.1890. bekam ich deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 8.2.1890. und die Sendung von frs 50.–. Ich habe natürlich nichts davon verlauten lassen und werde auf die Anweisung von frs 100.– warten und sonst nach in deinem Sinn verfahren. Vorgestern bekam ich deinen Brief von HamiDer beigelegte Brief Armin Wedekinds vom 7.2.1890 ist nur als Abschrift („Hammi an Doda“) in Frank Wedekinds Tagebuch überliefert. Armin Wedekind schrieb: „Mein Bruder! Leider muß ich wieder hören, daß Rohheit und feige Ängstlichkeit noch immer die Triebfedern deines Benehmens sind. Deine eigene Erbärmlichkeit ist aber so groß, daß man sich ein Gewissen daraus machen müßte, an Charakter oder Vertrauen bei dir zu appeliren und so ist es sowohl Mamas als mein Entschluß, dir wenigstens aus der Angst über dein Vermögen, das dir ja gewiß noch einige Jahre Nichtsthun fristen kann, wenn es dir einmal zufällt, hinwegzuhelfen. Dein Antheil am Vermögen basirend auf dem Status vom 31. Dec. 1889 wird abgesondert verwaltet und zur Bewirthschaftung des Schlosses nicht weiter beansprucht werden. Dein Antheil an diesen Kosten wird dir aufgeschrieben und nach einem einstigen Verkauf der Liegenschaften in Lenzburg von deinem Antheil an denselben abgezogen werden. Ich hoffe mit dieser Zusicherung deinen rohen Gefühlsausbrüchen und erbärmlichen Anschuldigungen gegen Mama den Boden entzogen zu haben. – Daß du dich jemals wie ein anständiger Mensch betragen werdest, scheinen wir von dir nicht erwarten zu dürfen, sondern du scheinst deiner Nichtswürdigkeit immer noch durch Frechheit und Rohheit gegen diejenigen die deinetwegen schon so viel haben leiden müssen, einen Mantel umhängen zu wollen. Allerdings ein schöner Zug bei einem Menschen von 18 Jahren, daß er sich noch gebärdet wie ein | ungezogener Flegel. – Ist vorläufig noch keine Aussicht auf eine Versorgung vorhanden, so ist es besser du kommst hierher damit wenigstens diejenigen vor deiner Rohheit sicher sind, deren Wohlergehen am kleinen Finger mehr werth ist als ein ganzes Dutzend Menschen wie du zusammengenommen. – Armin.“, demSchreibversehen, statt: den. ich diesem beilegen werde. Ich bemerke daneben, daß das ohne meinen Antrag gemacht worden ist, sondern vollständig Mama die Initiative nur/daz/u trägt. Ich finde die einzig richtige Art

Aus dem Briefe läßt sich schließen, das/ß/ man mir nur den siebten TeilDie sechs Geschwister und die Mutter erbten nach dem Tod des Vaters am 11.10.1888 zu gleichen Teilen das hinterlassene Vermögen sowie gemeinschaftliche Schloss Lenzburg mit Inventar. Das vorwiegend in Wertpapieren angelegte Vermögen wurde von Armin Wedekind verwaltet und durch ihn ausgezahlt. des jetztigen Vermögens zu geben gewillt ist, allerdings auch dien Theil der Kosten an der Schloßresteau|rirungIm Herbst 1889 waren die Wasserversorgung auf Schloss Lenzburg vom Brunnen auf ein neues Leitungssystem umgestellt und die Sanitäranlagen erneuert worden [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889]. vergütten will, nicht aber das von Willy bezogene GeldDie Auszahlung William Wedekinds war notwendig, da er mit seiner Frau im Herbst 1889 nach Südafrika auswanderte. Armin Wedekind hatte in der Sache bereits im Frühjahr mit Frank Wedekind korrespondiert [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 30.5.1889]. und anderweitige Ausgaben mit einrechnet. Ferner scheint mir dann auch jeder Anteil am Schloß, Steinbrüchli und Inventar wegzufallen; was doch kaum auf eine Weise zu begründen ist, wie, wenn ich kein Risiko daran tragen wolle, ich auch meines Anteiles an den Liegenschaften verlustig gehe. Daß ich von allfälligem Gewinn keinen Teil bekäme, wäre natürlich, alles AnddereSchreibversehen, statt: Andere. ist Unrecht. Überhaupt scheint mir eine solche Absonderung n/v/om Kapital nur berechtigt, wenn sie gleich nach Papas Tod o/s/tatt gefunden hätte, nicht aber jetzt, nachdem schon immense bedeutende Ausgaben gemacht worden, und zumal ich nie so einen Antrag gestellt habe, sondern allerhöchstens vor zu großer | Kapitalanlagerung im Schloß gewarnt habe.

Ich kann ja natürlich weder mit Mama noch mit Hami über das sprechen, da mich beide für vollständig rechtlos erklärt haben und eine Unterredung mit ihnen nur zu endlosen Diskussionen führen würde.

Schreibe du einmal, wenn du Zeit hast, über die Sache an Mama und Hami. PressiertEilig. ist es nicht, denn so bald denke ich mir wird Halmi das Geld nicht teilen. Auch wär ich einer Vermögensablösung unter wichtigen Umständen durchaus nicht zu wider. So aber nicht. bin ich dagegen.

Ich hüte mich mit Mama über die Sache zu sprechen und komme so ganz gut mit ihr aus, so daß wir sogar h diese Nacht in Gesellschaft von Mieze, Sophie MartiSophie Marti, eine Freundin von Frank Wedekind und Minna von Greyerz, pendelte wie Erika Wedekind mit dem Zug zwischen Lenzburg und Aarau, um dort das Lehrerinnenseminar zu besuchen., und EugèneEugène Perré, Sohn des gleichnamigen Wein- und Champagnerhändlers aus Reims (Rue Coquebert 45), wohnte von Sommer 1889 bis September 1890 auf Schloss Lenzburg, um Deutsch zu lernen [vgl. Miranda Ludwig-Zweifel: Freundschaft mit dem Familienkreis Wedekind. In: Lenzburger Neujahrsblätter, Jg. 38, 1967, S. 20f.] und war später wiederholt Pensionsgast auf Schloss Lenzburg; er heiratete 1910 Frank Wedekinds Schwester Emilie (Mati) Wedekind. auf dem Ball waren, woselbst | ich viel getanzt habe und viel Freude empfand. Augustnicht identifiziert. war trotz seines Darmkattarhs da mit seinen zwei Schwesternnicht identifiziert. da. SadiSpitzname des Schriftstellers Karl Henckell aus Hannover, der zu seinem Bruder, dem Konservenfabrikanten Gustav Henckell, nach Lenzburg übergesiedelt war. ist noch zu Hause und wird wahrscheinlich seinen Aufenthalt in Zürich nehmen. Schicke die Anweisung an Hami bald.

Dein treuer Bruder
Donald.

Frank Wedekind schrieb am 12. Februar 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 3.3.1890 aus Solothurn:]


Deinen letzten Brief habe ich hoffentlich richtig aufgefaßt […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 3. März 1890 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

Solothurn 3. März 1890


Lieber Bebi!

Verzeihe, daß ich so lange nicht mehr geschrieben habe. Ich wollte dich nicht mehr mit meinen Geschichten stören, bis ich damit im Reinen wäre. Deinen letzten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 12.2.1890. habe ich hoffentlich richtig aufgefaßt, indem ich daraus gelesen habe, daß sie dir die Sacheder zunächst von Frank Wedekind unterstützte Wunsch Donald Wedekinds, den von der Mutter geforderten Schulbesuch in Solothurn abzubrechen und stattdessen die Fremdenmaturität an der Züricher Universität anzustreben (siehe dazu die vorangegangene Korrespondenz). im Grunde genommen sehr unangenehm ist, weshalb ich nicht sicher auf dich mich verlassen kann, jeden Augenblick dein Mißfallen erregen könnte und dadurch deinen Schutz verlieren möchte, m den ich i nach durchgeführter Sache doch unbedingt nötig gehabt hätte. Auch bin ich auf diese Weise in Frieden mit von Mama auseinanderunvollständige Streichung aufgrund des Zeilenwechsels. gegangen, was mir viel wert ist. Deinen guten Willen und die Liebe, die du zu mir gezeigt hast, weiß ich | sehr hoch zu schätzen, um so mehr, da ich die Antipathie kenne, die du gegen Sachen dieser Art hast. Die 50 frsFrank Wedekind hatte seinem Bruder im Vormonat Geld geschickt [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 8.2.1890] werde ich, wenn es dir recht ist, behalten, da ich sie mit der Zeit sehr gut verwenden kann, um Bedürfnisse zu bestreiten, die ich mit dem geringen Taschengeld nicht bezahlen könnte. Da wir doch einmal in Conto correntVerrechnung gegenseitiger Zahlungen; von (ital.) conto corrente = laufende Rechnung. getreten sind, hat es weiter nichts zu sagen und doch ist mir damit ein Mittel in die Hand gegeben, auf lange Zeit hinaus meinen allerdings geringen Überschuß an Ausgaben zu decken. Ich bin dir auch dafür dankbar, und hoffe auf dein Stillschweigen. Was meine Verhältnisse anbetrifft, so sind dieselben nicht so übel. Im Juli werde ich in die dritte Klasse promonvirt und habe dann noch ein Studium von 2 Jahren vor mit/r/. Es hätte sich ja unbedingt besser machen lassen können, aber da sich Mamma in der AutokratieAlleinherrschaft. gefällt, so muß man nachgeben, da sie ja sonst noch genug Sorgen sich aufladet. Wenn du meine Skizzedas am 7.2.1890 übersandte Manuskript einer nicht identifizierten Erzählung (vermutlich zu „Der Kandidat vom goldenen Thore“) [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 7.2.1890]. nicht genügend findest, so sende sie mir bitte zurück | solltest du aber etwas damit anfangen können, so sollte es mich sehr freuen. Mir selbst gefällt sie je länger je schlechter. Ich hoffe bald einen Brief von dir zu bekommen, doch verlange ich keinen, da ich weiß, wie beschäftigt du bist.

Dein treuer Bruder
Donald.
p. A. Sekretair Vogelsangfür Donald Wedekinds Postadresse kommen der Kanzleisekretär Anton Vogelsang (Barfüssergasse 30) oder der Kanzleisekretär Franz Vogelsang (Zeughausgasse 69) in Frage [vgl. Adressbuch für die Stadt und den Kanton Solothurn 1898-99, S. 64], wobei die erste Adresse zum gleichen Gebäudekomplex (Ambassadorenhof) gehört wie die Kantonsschule Solothurn.
Solothurn

Frank Wedekind schrieb am 20. März 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 22.3.1890 aus Solothurn:]


Dein Brief hat mir große Freude gemacht […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 22. März 1890 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

Solothurn 22 März 1890


Lieber Bebi!

Dein Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 20.3.1890. hat mir große Freude gemacht und war mir ein Lichtstrahl in das Dunkel von Solothurn. Es freut mich ungemein, daß dir meine Skizzedas am 7.2.1890 an Frank Wedekind gesandte Manuskript einer nicht näher identifizierten Erzählung (möglicherweise „Der Kandidat vom goldenen Thore“). doch nicht so mißfallen hat, wie ich vermutete. Ich fühle die Schwierigkeiten, die das Ausarbeiten eines ernsteren Stoffes bietet, sehr wohl. Es war dies der einzige Grund der mich bis jetzt davon abhielt. Doch werde ich mich, nächstens | damit zu beschäftigen suchen.

Tagebücher habe ich schon einige angefangen zu führen. Sie arteten aber regelmäßig in eine Art von Gefühlsduseleien aus, weshalb ich es auch immer wieder fallen la/i/eß. Doch werde ich nochmals den Versuch machen und mich dann nur an Tatsachen halten.

Von Frau FleckBekannte von Wedekinds Mutter aus New York, die Donald Wedekind bereits von ihrem Besuch im Sommer 1885 in Lenzburg her kannte und die er bei seiner Ankunft in New York im Februar 1889 erneut traf. Die Korrespondenz zwischen ihr und Donald Wedekind ist nicht überliefert. erhielt ich letzthin eine sehr liebenswürdige und gefühlf/v/olle Antwort auf meinen Brief. Sie schreibt, daß sie mein Kästchen, das ich ihr vor meiner | Wanderung in die WüsteÜber seine Reise nach Kalifornien schrieb Donald Wedekind an seine Schwester Emilie (Mati) im November 1889: „Die californische Wüste, die ich später zu Fuss durchwanderte, ist so heiss, dass Palmen und haushohe Cacteen wachsen, und die Indianer sich immer im Sande herumwälzen. […] Ich ging nach Sacramento, dann wanderte ich durch die Wüste und kam wieder nach Kansas City“ [Donald Wedekind an Emilie (Matit) Wedekind, 17.11.1889, Aa, A II b]. zusandte, und das meine sämmtlichen Briefschaften ect. enthielt, mir schicken wolle, doch ist es bis jetzt noch nicht eingetroffen. Ich erwarte es mit Sehnen, da meine Trigonometriehefte darin sind, die ich sehr gut brauchen könnte. TillieDie Cousine Tilly Kammerer aus New York, eine Tochter von Emilie Wedekinds Bruder Libertus Kammerer [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 80], die Donald Wedekind ebenfalls von ihrem Besuch in Lenzburg im Sommer 1885 her kannte [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 17.8.1885]. soll wiederum verlobt sein und eine sehr gute Partie machen. Auch ihre MutterElizabeth Kammerer (geb. Engel), die am 17.1.1869 Libertus Kammerer geheiratet hatte, war seit 1885 verwitwet. hat sich wieder verheiratet. New York haben sie nie verlassen, was mich sehr freut, weil ich immer Gewissensbisse fühlte, die Familie aus ihrer | ihrerSchreibversehen (versehentliche Wortwiederholung beim Seitenwechsel), statt: ihrer. angenehmen Lage nach Californien gelockt zu haben. Von Dostojewskji ha kenne ich nur die wenigen Erzählungen, die du uns im Winter 88-89 vorgelesen hast, sonst nichts, da mir „Schuld und Sühne“Unter diesem Titel ist Dostojewskis Roman in deutscher Übersetzung erstmals 1888 in Reclams Universalbibliothek erschienen: Fjodor Michailowitsch Dostojewskij: Schuld und Sühne (Raskolnikow). Nach der siebenten Auflage übersetzt von Hans Moser. Leipzig 1888. auf dem Schiff schmählicher Weise entwendet worden ist. Hast du etwas von ihm, bitte sende es mir! In treuer Liebe dein Bruder
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 28. März 1890 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

Solothurn 28. März 1890


Lieber Bebi!

Zu meinem großen Bedauern muß ich dir melden, daß ich elender Händeleien mit dem Rectorate wegen darauf gefaßt sein muß religirt zu werdender Schule verwiesen zu werden. und würde der Fall auch nicht eintreten, so werde ich von dem ManneRektor der Kantonsschule Solothurn war seit 1883 der Altphilologe Johann Kaufmann-Hartenstein. so behandelt werde, daß ich nur noch auf eine Gelegenheit warte, die mich anderswie zu | schäftigenSchreibversehen beim Seitenwechsel, statt: beschäftigen., um meinen Abschied zu nehmen. Das letztere werde ich jedenfals/l/s nicht tun, bevor ich nicht weiß wohin. Solltest du deshalb irgendwie einmal einen guten Gedanken haben, so teile ihn mir mit. An Willie habe ich schon geschriebenWilliam Wedekind war im September 1889 nach Südafrika ausgewandert. Der Brief von Donald Wedekind an ihn ist nicht überliefert.. Wenn sich gar nichts anderes bietet, so werde ich es doch noch vorziehen, in der Sandwüste zu schwitzen, als mir von einem ganz characterlosen | Menschen Gemeinheiten sagen zu lassen und mich mißhandeln zu lassen. Da ich alle anderen Lehrer für mich habe, habe ich es gewagt ihm, dem Rector, den ErziehungsdirectorDer Erziehungsdirektor des Kantons Solothurn war gemeinsam mit dem Erziehungsrat für die Schulaufsicht zuständig; das Amt hatte seit 1886 der Jurist Oskar Munzinger inne. auf den Hals zu ladenschicken, was ihn so fürchterlich erbost hat, daß er jetzt unausstehlich ist und mich mit all seiner Macht verfolgt. Ich habe gewußt, daß es so kommen würde und böte man mir jetzt 200 frs, so würde ich sie dankbar annehmen und nach Amerika wiederDonald Wedekind war von Februar bis November 1889 in den USA gewesen. | an die Eisenbahn gehen. Solls/t/est du je einmal einen Plan für mich haben, so schreibe mir ihn gelegentlich. Es wäre ein Wunder, wenn die Sache nicht diesen Ausgang genommen hätte. Würde man mich für 2 Jahre mit einer monatl. Rente von 100 frs gewähren lassen, so wäre ich dann ohne irgend welches Schwierigkeit so weit um in Amerika gut bestehen zu können. Mit den besten Grüßen dein treuer Bruder Donald.


Ich wäre glücklich, könt/ntest du mich erlösen.

Frank Wedekind schrieb am 30. März 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind , Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 7.5.1890 aus München:]


Ich habe ihm denn auch, als nachdem er in Solothurn eingetreten und mir nach vierwochen, von einem Krakel schrieb, den er ich weiß nicht mit wem gehabt, gehörig d. h. so weit es in meiner Macht stand, den Kopf zurechtgesetztHinweis auf das nicht überlieferte Antwortschreiben Frank Wedekinds auf Donald Wedekinds letzten Brief vom 28.3.1890..

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 29. Juli 1890 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg 29 Juli 1890


Lieber Bebi!

Vor 5 Tagenam Donnerstag, den 24.7.1890. fand das Trimester in Solothurn seinen Abschluß. Ich bin in die 6te KlasseDonald Wedekind folgt nun der Klassenzählung in Solothurn, in der vorangehenden Korrespondenz orientierte er sich an der Nummerierung seiner früheren Schule in Aarau, wobei die 2. Gymnasialklasse dort der 4. Klasse in Solothurn entsprach. befördert worden und stehe im allgemeinen sehr gut. Sollte es sich so treffen, daß die AufnahmeexamenAn der Universität Zürich bestand die Möglichkeit, über eine Aufnahmeprüfung die sogenannte Fremdenmaturität zu erwerben und so ohne entsprechende Schulzeugnisse zum Studium zugelassen zu werden. Geprüft wurden die Fächer Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaft und Latein oder zwei moderne Fremdsprachen. an der Universität Zürich gerade in die Ferien fallen, so würde ich es versuchen, dort aufgenommen zu werden ohne mir den Rückweg nach Solothurn abzuschneiden. Die Ferien dauern noch 9 Wochen und da Mama durchaus keine Miene macht, mir irgendwo anders den Aufenthalt zu bezahlen, so muß ich mir wol hier suchen die Zeit zu vertreiben, obschon es schwierig werden wird, wenigstens einigermaßen. Die TischgesellschaftWedekinds Mutter vermietete Zimmer auf Schloss Lenzburg an Pensionsgäste und bot einen Mittagstisch an. ist, außer der Schnurwohl Spitzname für Emma Wedekind, die Ehefrau von Armin Wedekind. Die übrigen genannten Pensionsgäste sind nicht näher identifiziert. , sehr | sehr anspruchslos. Sie besteht aus einer Basler Missionärin und Heilsarmistin, die die Demut selber ist, aus einer amerikanischen Pfarrerin mit Sohn und den Kindern der Frau Professor Ritter. Aber gerade die Anspruchslosigkeit und karge Bescheidenheit dieser Leute läßt die Unverschämtheit und Dummheit der Schnur um so häßlicher hervortreten. Ich weiß nicht, ob es dir gefallen würde oder nicht und deshalb wage ich es auch d nicht, dich zur Folgeleistung der Einladung Mamas auf zu munterSchreibversehen, statt: aufzumuntern., so gern ich es täte. Gestern waren Eugèneder spätere Schwager Eugène Perré, der von Sommer 1889 bis September 1890 Pensionsgast auf Schloss Lenzburg war [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.2.1890]. und ich in Zürich um für mich einen Anzug zu kaufen. Während dem Baden in der UtoquaianstaltDas Seebad am Utoquia war 1890 von William Henri Marti als zweiteiliges Kastenbad am Ufer der Zürichsees gebaut worden. sahen wir Thomar mit seiner BrautIdentität ungewiss; der mit Armin, Frank und Donald Wedekind befreundete Zürcher Medizinstudent Elias Tomarkin heiratete am 21.3.1893 in London die 25jährige Jeanette Althausen aus Wilna. Belegt ist auch eine (vielleicht erotische) Beziehung zu der Medizinstudentin Clara Neumann aus Görlitz, die seit dem Wintersemester 1888/89 bis zu ihrem Tod im Juli 1895 an der Universität Zürich eingeschrieben war [vgl. Rogger/Herren 2012, S. 195f.]. in einem Boot dicht bei der Badanstalt vorbeifahren. Wir schwammen ihm nach, doch er entfloh bei unserer Annäherung so schnell als möglich. Von Hami hörte ich zum ersten Male etwas von dem Verkauf der AntiquitätenFriedrich Wilhelm Wedekind hatte auf Schloss Lenzburg eine umfangreiche Sammlung unterschiedlichster Antiquitäten versammelt. Anfang September 1890 notierte Frank Wedekind die von Donald bei seinem Besuch in München überbrachten „Neuigkeiten“ aus Lenzburg im Tagebuch: „Die Antiquitäten gehen für frs 8000 an einen Herrn Weber aus New York, einen Bekannten von Emma Frey über. Er soll nichts davon verstehen und ein großer Bramarbas sein. Bei Tisch habe er präsidirt und der Unterhaltung das Wesen seiner Persönlichkeit gegeben.“ Nach dem Tod Friedrich Wilhelm Wedekinds (11.10.1888) bemühte sich seine Witwe Emilie Wedekind zunächst um eine Inventarisierung und anschließend im Herbst 1891 auch um den Verkauf der Münz- und Gemäldesammlungen ihres Mannes auf Schloss Lenzburg [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 148f.]., der jetzt wahrscheinlich vor sich gehen wird, die Münzen und im Schlosse verwandten Gemälde ausgeschlossen wie auch die CameenRelief-Gravuren aus einem Schmuckstein.. Mati kommtDonald Wedekinds Schwester Emilie (Mati) Wedekind besuchte seit Mai 1889 „das von den Fräulein Charlotte und Marie Wider geführte Darmstädter Mädchenpensionat zur Förderung des Fremdsprachen-, Literatur-, Zeichen- und Musikunterrichts“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 323]. am | ersten September heim, worauf ich mich ungemein freue. SadiSpitzname des Schriftstellers Karl Henckell. soll eine sehr gute Partie machen mit der AdoptivtochterMarie Felix, mit der Karl Henckell sich im Juni verlobt hatte [vgl. Karl Henckell und Marie Felix an Frank Wedekind, 30.6.1890]. von Prof. Dodel-PortArnold Dodel war seit 1880 Professor für Botanik an der Universität Zürich (Löwenstraße 43) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1890, Teil I, S. 74]. Er war seit dem 15.9.1875 mit Anna Maria Elisabeth (Carolina) Port verheiratetet. Die kinderlose Ehe wurde 1890 geschieden. und bei dieser Nachricht empfand ich zum ersten Mal etwas b/B/eneidenswertes in dem Loos Karl Henckells. Sollte es ihm gelingen, eineSchreibversehen, statt: ein. reiches, schönes Mägdchen heimzuführen, von dem er geliebt wird, so glaube ich, kann er einmal sehr glücklich werden. Auf Mieze muße diese Verlobung jedenfalls mächtig gewirktKarl Henckell war im Frühjahr 1887 kurzzeitig mit Erika Wedekind verlobt gewesen. haben, denn sich/e/ arbeitet sich mit aller Macht ihn ihre neue LiebeDer ehemalige Mitschüler und spätere Schwager Wedekinds, Walther Oschwald. Als eine der von Donald Wedekind überbrachten „Neuigkeiten“ aus Lenzburg notierte Frank Wedekind Anfang September 1890 im Tagebuch: „Walter Oschwald ist heraufgekommen und hat sich mit Mama besprochen. Er könne Mieze zwar nicht sofort heimführen, aber verloben wollten sie sich, kommt Zeit kommt Rath. Mama giebt ihm den Bescheid, sie möchten mit dem Verloben warten, bis er sie heimführen könne.“ [Tb, 2.9.1890] Die Eheschließung fand am 15.10.1898 statt..

Was mich anbetrifft, so kannst du dir schon denken, wie ich das letzte Jahr gelebt habe. Etwas eintönig, aber immerhin zu meiner ein/g/enen Zufriedenheit, indem ich jetzt in der vorletzten Klasse sitze, wenn es auch viel Geschrei gekostet hat. Geschrieben habe ich nichts mehr, und zwar nicht deswegen nicht, weil ich keine Lust hatte, sondern deswegen, weil die Schule mich genug in Anspruch nahm. Es sind nicht die Aufgaben allerdings, sondern die Schulstunden selber, die einem die Freude | an aller andern Beschäftigung nehmen. Viel giebt es nicht zu n/t/un. Ich hatte eigentlich immer im Sinn, die Ferien in München zu verbringen, oder solltest du deine italienische Reise antreten, dich dorthin zu begleiten, zumal ich eine Einladung von einem Italiener in Genua habe. Mama will aber durchaus gar nichts davon wissen, und so habe ich das Projekt schon fast ganz aufgegeben hat. Hami darf selber ja gar nichts tuhnSchreibversehen, statt: thun. ohne Mama’s Einwilligung. Sie erwartet einen Brief von dir. Nachträglich sende ich dir auch noch meine innigstenSchreibversehen (nicht ausgeführte notwendige Folgekorrektur), statt: innigste. Gratulationswünsche zum GeburtstagFrank Wedekind hatte am 24.7.1890 seinen 26. Geburtstag.. Dein treuer Bruder
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 5. August 1890 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg 5 August 1890


Lieber Bebi!

Heute Morgen erhielt ich von Mama die Erlaubniß dich meine Ferien, welche von nächstem Montagden 11.8.1890. an noch 4 7 WochenDie Ferien endeten demnach am 29.9.1890. dauern, bei dir, das heißt in München zu verbringenDonald Wedekind hielt sich vom 13.8.1890 bis zum 17.9.1890 bei seinem Bruder in München auf: „Am 13. August kam Donald von Lenzburg mit einer Anzahl Neuigkeiten. […] 17. Sept. Donalds Abreise von München.“ [Tb]. Nun muß ich natürlich zuerst wissen, ob du die nächste Zeit in München bleibst oder nicht, ferner ob es dir überhaupt genehm ist, wenn ich dir Gesellschaft leiste. Ich verstehe darunter natürlich nicht, daß ich dir immer auf der Bude sitzen würde, auch nicht, daß ich dich in deiner Urlaubszeit in Anspruch nehmen würde, sondern nur, daß ich unter deiner Führung die Sehenswürdigkeiten absehe und das Münchner Leben kennen lerne. Das Zimmer würde ich natürlich besonders haben. Du würdest mir auch einen großen Gefallen tuhnSchreibversehen, statt: thun., würdest du mir ungefähr die Kosten der ganzen Tour, Reise hin und zurück, Aufent Zimmer für 7 Wochen, Essen und Vergnügen eingeschlossen, also Alles zusammen, schreiben, was dir ein leichtes | sein wird, da du ja schon langeFrank Wedekind wohnte, nach seiner Münchner Studienzeit vom Wintersemester 1884 bis Sommer 1886, seit dem 5.7.1889 wieder in München. dort lebst. Berechne Alles zu normalem Preis. Ich werde deine Angaben dann mit dem mir zugestandenen vergleichen und die Reise demgemäß an Dauer kürzen oder verlängern. Komme ich dir nicht gelegen, oder hattest du einen andern Plan im Kopfe, so schreibe mir das ganz einfach und ich werde meiner Reise ein anderes Ziel geben. Allerdings wäre mir eine Münchner Fahrt das angenehmste. Antworte in jedem Fall so bald als möglich und scheue die Verantwortlichkeit deiner Preisangabe nicht, ich spreche dich ganz frei. Vor einigen Tagen feierten Wälti und die HerzogDer Literatur- und Musikkritiker Dr. phil. Heinrich Welti, der in Aarau die gleiche Schule besucht hatte wie nach ihm Frank Wedekind, führte ihn während dessen Studienzeit in das kulturelle Angebot Münchens ein und heiratete am 31.7.1890 die Opernsängerin Emilie Herzog (sie hatte inzwischen ein Engagement in Berlin): „Fräulein Emilie Herzog vom Königlichen Opernhause hat sich, wie wir den ‚Münch. N. N.‘ entnehmen, mit Herrn Musikschriftsteller Dr. Heinrich Welti vermählt.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 355, 1.8.1890, Morgen-Ausgabe, S. 9] In den „Münchner Neuesten Nachrichten“ war am 31.7.1890 gemeldet worden (im Vorabendblatt einen Tag vordatiert): „(Frl. Emilie Herzog,) welche allen Münchnern von ihrer hiesigen Thätigkeit am Hoftheater noch in bester Erinnerung steht, hat sich mit Herrn Musikschriftsteller Dr. Heinrich Welti vermählt. Unsere herzlichsten Glückwünsche!“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 43, Nr. 347, 1.8.1890, Vorabendblatt, S. 4] in Aarburg ihr Hochzeitsfest. WillyWilliam Wedekind war mit seiner Frau Anna Wedekind (geb. Kammerer) im September 1889 nach Südafrika ausgewandert und dort zunächst als Farmer tätig [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 19]. reussirthat Erfolg, kommt an. im allgemeinen nicht gut und sendet nächstdem wahrscheinlich seine Frau und sein KindWilliam und Anna Wedekinds Tochter Anna Wedekind war am 14.4.1890 in Johannesburg geboren. bald hierher. Also bitte, antworte mir so bald du kannst und sei herzlich gegrüßt von deinem Bruder
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 19. September 1890 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg Augustirrtümlich statt September. 1890


Lieber Bebi!

Da sich das Bild meines Münchener Aufenthaltes Donald Wedekind besuchte seinen Bruder Frank ab dem 13.8.1890 in München [vgl. Tb] und reiste am 17.9.1890 mit dem Nachtzug zurück nach Zürich.bereits zu klären beginnt, so finde ich es sehr am Platz mich in dieser rosigen Stimmung dir die übrigen Begebenheiten noch mitzuteilen, die sich seit unserm Abschied in der Halle des CenttralbahnhofesSchreibversehen, statt: Centralbahnhofes; ab 1904 unter dem Namen Hauptbhanhof. abgespielt haben. Ich reiste die Nacht durch in Gesellschaft eines Münchener Hochzeitspaaresnicht identifiziert., deren schlechtere Hälfte bald vor lauter biertrunkener Müdigkeit in Schlaf verfiel, während die bessere Hälfte bis früh morgens die Augen wach hielt, was dann mich veranläßteSchreibversehen, statt: veranlaßte., meine Zunge etwas zu lösen und mich zu unterhalten, was auch durch freundliches Entgegenkommen von der andern Seite aufs angenehmste unterstützt wurde. Auf dem Bodensee rauchte ich die letzte oesterreichische Virginialange, dünne Zigarren aus Virginia-Tabak mit Mundstück; in Österreich wurden Virginiazigarren seit 1844 im Monopol der Kaiserlich Königlichen Tabak-Regie hergestellt. und | trank etwas Alkohol dazu, was mir später die Schweiz in einem sehr güsnstigen Licht zeigen„sichtbar werden, erscheinen“ [Schweizer Idiotikon 17, Sp. 371]. ließ. In Zürich suchte ich Herrn Thomarder Medizinstudent Elias Tomarkin aus Riesbach bei Zürich (Florastraße 50) [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.9.1890], mit dem Armin, Frank und Donald Wedekind gleichermaßen befreundet waren. auf, den ich gerade mit seiner Toilette beschäftigt sah antraf. Er setzte mir mit großartigen Umständen, von denen ich ihn nicht abzuhalten vermochte, e einen ganz traurigen Caffee an vor, und schien sich nachher an der Mühe zu weiden, mit der ich das Getränk herunterschlürfte. Indessen erzählte ich ihm von München, und klärte ihm die Geschichte mit Ottounklar; im Tagebuch verzeichnete Frank Wedekind in seiner Namensübersicht einen „Wilhelm Otto, erster Buchhalter in der Kunsthandlung Dr. Albert in Schwabing, Freund Thomars, aus Düsseldorf“ [vgl. Tb, S. 55]. Das war die Kunst- und Verlagsanstalt von Dr. Eugen Albert in München (Schwabinger Landstraße 55) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1891, Teil I, S. 3]. und dem andern Buchhändlernicht sicher ermittelt; in Frank Wedekinds Namensliste im Tagebuch sind „Wilhelm Foth, Buchhändler, Theresienstraße 7 aus Hannover“ und „Wunderlich Buchhändlergehilfe“ verzeichnet [vgl. Tb, S. 55]. Wilhelm Foth betrieb eine Buch- und Kunsthandlung, ein Antiquariat und ein Schreibmaterialienlager in München (Theresienstraße 7) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1891, Teil I, S. 98]. auf. Ersterer hatte an Thomar geschrieben, daß du dich von ihm, Otto, beleidigt fühleSchreibversehen, statt: fühlest., daß er aber nicht wisse warum. Mit Lebelmöglicherweise der Maler Georg Lebel aus Zürich (Rössligasse 7) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1890, Teil I, S. 198]. behauptet Thomar, auf gar keinem vertrautem Fuß gestanden zu haben, auch trug er mir auf dir zu schreiben, Lebel aufzumuntern, Thomars ManuskriptElias Tomarkin schrieb an einem Roman mit dem Titel „Der rote Heinrich“, dessen ersten Teil Karl Henckell später in seinem Verlag unter dem Titel „Eine Lebensgeschichte“ veröffentlichte [vgl. Wedekind an Karl Henckell, 10.7.1896]. vorzulesen, da derselbe es nämlich gar nicht besitze. Er erinnerte sich sofort der Kragen und drängte mir als Ersatz zwei neue Kravatten, von denen er ein | einSchreibversehen (Wortwiederholung beim Seitenwechsel), statt: ein. ganzes Dutzend besitzt, ein Nastuch, einen Seidenknopf, und ein Eincentims/e/stück auf und spielte den Beleidigten, als ich es nicht annehmen wollte. So spielte mußte ich mir denSchreibversehen, statt: denn. wol oder übel die Sachen einpacken lassen, obschon ich gar keine Verwendung dafür habe. Zum Mittagessen giengen wir in den PfauenHeinrich Hürlimann betrieb seit 1880 die Gastwirtschaft „Zum Pfauen“ (mit Biergarten) und errichtete 1888/89 daran anschließend den Pfauenkomplex am Heimplatz mit dem „Volkstheater am Pfauen“., wo ich John Henry Makay traf, der mir mit ausnehmender Freundlichkeit entgegenkam. Ich mußte natürlich von all den Leuten erzählen die er kannte, und so floß die Unterhaltung ganz leidlich. Thomar gab mir immer genügend Zeit, um wieder Stoff zu sammeln, zog dann Makay auf ein von mir gegebenes Zeichen wieder in unsere Unterhaltung, damit ich wieder eine Ladung verschießen konnte. Die ganze Art und Weise wurde unter Thomars Einfluß unendlich komisch. Da es sich indessen herausstellte, daß Thomar wieder auch ganz geldlos war, er aber dennoch immer mich am Zahlen ver|hindern wollte, weil ich sein Gast sei, so kauften Makay und ich die Billete hier nach KüßnachtGemeint ist hier wahrscheinlich das an der Bahnstrecke gelegene Küsnacht am Zürichsee und nicht das für einen Nachmittagsausflug zu weit entfernte beliebte Ausflugsziel Küssnacht am Vierwaldstättersee am Fuße des Rigi., und teilten uns auch sonst den ganzen Nachmittag in die Kosten. Als wir von Küßnacht zurückkamen, verabschiedete sich Herr Makay und hinterließ bei mir den angenehmsten Eindruck. Sein Äußeres finde ich bis auf seine Gesichtsform sehr gut und bedeutend, gewöhnlich ist dir den nur die Rundung deseines Kopfes. Angenehm fiel mir auf, daß er viel weniger von seinen Sachen als von den Werken anderer sprach und dabei sehr einfach, leicht und gefällig sprach, und durchaus nichts von Selbstgefälligkeit in seiner Redeweise hatte. Überhaupt habe ich ihn mir nach deiner Beschreibungwohl mündlich geschildert; Frank Wedekind hatte John Henry Mackay wahrscheinlich über Karl Henckell kennengelernt, der in Zürich seit 1887 einen Kreis von Literaten um sich versammelte [vgl. Wedekind an Ferdinand Hardekopf, 28.4.1901]. ganz anders vorgestellt und bin angenehm etnts/t/äuscht worden. Er hält sicherlich viel von sich, aber die Selbstschätzung fällt lange nicht so plump auf wie bei Henckell, Scharf, etc. sondern äußert sich in der liebenswürdigsten und angenehmsten Weise, woraus ich auf die ausgebildesteSchreibversehen, statt: ausgebildetste. Selbstbeurteilung schließe. | Von Elise Paschkanicht näher identifiziert. scheint er als Malerin sehr viel zu halten, welchen Glauben ich mich natürlich hütete, ihm zu nehmen. Die übrige Zeit vertrödelte ich noch mit J Thomar, der sich dann zu einem längeren Vortrag über deinen Schnellmaler und dich aufraffte, w den ich schon öfters gehört hatte. Endlich verabschiedete ich mich auch von ihm, nachdem er mir an Alle Grüße aufgetragen hatte. Ich freute mich über den angenehmen Nachmittag, während welchem Thomar auch einmal in AredeSchreibversehen, statt: Abrede. stellte, daß die Braut HenckellsKarl Henckell war seit Juni mit Marie Felix, der Adoptivtochter von Arnold und Carolina Dodel-Port, verlobt [vgl. Karl Henckell und Marie Felix an Wedekind, 30.6.1890], die er jedoch nicht heiratete. reich sei. Dieser hält sich gegenwärtig in Lenzburg auf, wo er sein Mädchen Parade führtpräsentiert, vorführt. und mitSchreibversehen, statt: und sich mit. dem Gedanken trägt, im Winter nach Wien zu gehen um eine Zeitung zu gründendas Projekt scheiterte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 8.1.1891]; Pläne dieser Art hatte Karl Henckell schon früher gehabt [vgl. Karl Henckell an Wedekind, 23.8.1886].. Dazwischen läßt er auch wieder gedruckte Aufrufenicht ermittelt. erscheinen, zum Beitritt in die Temperancedie Abstinenzbewegung vom Alkoholkonsum, in Zürich vor allem von Ärzten und Psychiatern propagiert; sie gewann in den 1890er Jahren Zuflauf und schlug sich in Vereinen nieder, die durch „Gründung einer Vereinszeitschrift, durch Vertheilung und billigen Vertrieb von Broschüren, sowie durch Vorträge“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 70, Nr. 97, 7.4.1890, S. (3)] den Alkoholgenuss bekämpften. , an deren Spitze er mit Bertha, Thea und Delev Freiher vomSchreibversehen, statt: Detlev Freiherr von. Liliencron stehenSchreibversehen, statt: steht.. Zu Hause traf ich die Leute gerade mit Arbrechnen beschäftigt und erfuhr zu meinem | Schrecken, daß Hami mit der Schnur und dem Setzlingwohl scherzhafte Bezeichnung für Armin Wedekinds Ehefrau Emma Wedekind und den acht Monate alten Sohn Armin Wilhelm Gottlieb Wedekind. Frank Wedekind hatte am 2.9.1890 notiert: „Emma Frey ist mit ihrem Kind seit Beginn des Sommers in Lenzburg.“ [Tb] noch längere + Tage zu bleiben gedenken. Die Antiquitätendie umfangreiche Sammlung des verstorbenen Vaters auf Schloss Lenzburg. Frank Wedekind notierte dazu am 2.9.1890: „Die Antiquitäten gehen für frs 8000 an einen Herrn Weber aus New York, einen Bekannten von Emma Frey über. Er soll nichts davon verstehen und ein großer Bramarbas sein. Bei Tisch habe er präsidirt und der Unterhaltung das Wesen seiner Persönlichkeit gegeben.“ [Tb] sind nicht verkauft. Herr Weber machte mit SchadenerstatzSchreibversehen, statt: Schadenersatz. von frs 1000.–, die er Mama bezahlte, den Kauf rückgängig, unter dem Vorwande plötzlicher Abreise. Mieze ist äußerlich ganz versauert und verblaßt und erinnert mich immer mehr an einen rot angestrichenen Essigtopf. Sie weiß nicht, ob sie Walther Oschwald wirklich heiraten willFrank Wedekind notierte dazu am 2.9.1890: „Walter Oschwald ist heraufgekommen und hat sich mit Mama besprochen. Er könne Mieze zwar nicht sofort heimführen, aber verloben wollten sie sich, kommt Zeit kommt Rath. Mama giebt ihm den Bescheid, sie möchten mit dem Verloben warten, bis er sie heimführen könne.“ [Tb], und will jetzt ein Geständniß herausbringen, dadurch daß sie ihre AreiseSchreibversehen, statt: Abreise. nach München aufs Conservatoriumvgl. Erika Wedekind an Frank Wedekind, 20.9.1890. Tatsächlich ging sie für ihr Gesangsstudium im Dezember 1890 nach Dresden. ausposaunt, weil es dort billiger sei. Sie hatte dir noch nicht geschrieben, weil sie mein Maul fürchtete, und wird sich, wie ich voraussetze, noch lange nicht entschließen. Gesternam 18.9.1890. Nachmittag begann Hami mit vi mir deinetwegen in zu sprechen. Es war offenbar alles was er sagte direct für eine Unterredung mit dir, berechnet, weil er aber wußte, daß du dich nicht mehr | darauf einläßt, was er sehr bedauerte, so nahm er mich als Object. Ich hörte zu widersprach bisweilen, aber die ganze Sache war in einem so schwerzlichenmöglicherweise beabsichtigtes Kofferwort aus ‚schmerzlich‘ und ‚schwärzlich‘. Ton vorgetragen, daß mich Hami be dauerte. Es war eben einer jener seltenen Momente, wo ihm die ganze Traurigkeit seiner Lage zum Bewußtsein kam und die er dann dadurch zu rechtfertigen sucht, daß er die Lebensanschauung anderer tadelt. Das Leitmotiv war immer, daß es von dir nicht recht sei, daß du ihn, Hami, für einen PhilisterSpießer. und Dummkopf haltest, weil er m sich ich ein Leben, wie das seine einem anderen vorziehe. Ich suchte ihn natürlich klar zu machen, daß du ihn fürSchreibversehen, statt: daß du ihn nicht für. einen Philister und Dummkopf haltest, aber er ließ sich diesen Glauben nicht nehmen. Im übrigen ist allerdings sein ehelicher Verkehr daßs traurigste, was man sich denken kann. Ich machte ihn darauf aufmerksam wegen dem GeldArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Vermögen der Familie, das in Wertpapieren angelegt war, und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Der Übersicht in Frank Wedekinds Tagebuch zufolge hatte er zuletzt am 10.9.1890 den Betrag von 160 Mark erhalten [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. und er wird i dir in den nächsten Tagen schicken. |

Die verschiedenen Unannehmlichkeiten, die mir zu Hause wieder in grellstem Lichte engegentratenSchreibversehen, statt: entgegentraten., liese/t/en lassen mich jetzt in fortwährend angenehmerer Weise an die 5 Wochen Münchener Lebens zurückdenken. Wäre es nur gewesen, um die verschiedenen Menschen kennen zu lernen, wäre es nur um uns selber so ausgezeichnnet verstehen zu lernen, es wären Zeit und Mühe, & Geld nicht verloren, sondern aufs beste angewandt gewesen. Nur hatte ich ja auch noch Gelegenheit meine bisweilen kostspieligen Launen zu befriedigen und so lebe ich denn jetzt in der glücklichsten Erinnerung, bald mir dich, Lefflerder Maler Heinrich Lefler, Wedekinds Wohnungsnachbar in der Akademiestraße 21 [vgl. Heinrich Lefler an Wedekind, 20.10.1890]. In seinen Namenslisten im Tagebuch notierte Wedekind einmal „Heinrich Lefler, Maler Akademiestr. 21. III“ [Tb, S. 53], an anderer Stelle: „1889 […] München. Nina. Frische. Mauer. Leffler.“ [Tb, S. 115] und andere vorstellend, bald die schöne Weiblichkeit vonSchreibversehen, statt: vom. Kal/r/lsthorwohl das neben dem Karlstor (Stachus) in der Neuhausergasse (heute: Neuhauser Straße) gelegene Café Karlstor, das Frank Wedekind in seinem Tagebuch erwähnte: „Auf dem Weg ins Cafe Karlsthor“ [Tb, 1.9.1889]. mit ihrem feinen, individuellen Duft an meinenSchreibversehen, statt: meinem. geistigen Riechorgan vorüberziehen zu lassen. Grüße alle meine Bekannten, und vor allem sei du gegrüßt von deinem Bruder Donald. Hoffen wir beide auf fröhliches Wiedersehen.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 24. September 1890 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Zürich September 1890


Lieber Bebi!

Hami habe ich verschiedene Male daran erinnert, dir Geld zu sendenArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Vermögen der Familie, das in Wertpapieren angelegt war, und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Folgt man der Übersicht in Frank Wedekinds Tagebuch, erhielt er am 3.10.1890 die nächste Zahlung über 200 Mark [vgl. Tb, Übersicht, S. 117].. Er behauptete, erst in Zürich im Stande zu sein, welches zu schicken. Ich meinesteils hatte wiederum die größten Unannehmlichkeiten mit ihm und Mama. Auf ein Schreiben von SolothurnDas Schreiben der Kantonsschule Solothurn an Emilie Wedekind ist nicht überliefert. hin, das Mama erklärte, daß man mich nur unter der Bedingung aufnehmen könne, wenn ich im Kosthaus, das heißt Convictsiehe dazu Armin Wedekinds Schilderung des Vorfalls [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 8.10.1890]., Kost und Logis nähme, schrieb Mama sofort zurück, daß sie damit einverstanden sei. Da ich nun durchaus nicht gesonnen bin, mich dort in diese Schülerpension aufnehmen zu lassen, da ich voraussehe, daß es dann jeden Augenblick Streitigkeiten mit dem Rectorat absetzen würde und in | kurzer Zeit zur RelegationEntlassung, Ausschließung. kommen würde protestirs/t/e ich und kam mit Hami in einen Wortwechsel, wobei er handgreiflich wurde, so daß zuletzt eine große Prügeleisiehe dazu Armin Wedekinds Schilderung des Vorfalls [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 8.10.1890]. entstand, bei der beide Teile genug bekamen. Ich wäre immerhin hinauf nach Solothurn gegangen um zu sehen, ob sich mit dem MannRektor der Kantonsschule Solothurn war seit 1878 der Altphilologe Johann Kaufmann-Hartenstein. nicht sprechen ließe. Aber mit der Zustimmung Mama’s in der Hand, wird gar nichts mit ihm anzufangen sein. So habe ich nun fest im Sinn Frühjahr 1891Für das Ablegen der Maturität gab es je nach Kanton ein bestimmtes Mindestalter für die Kandidaten. Für die Fremdenmaturität an der Universität Zürich lag es offenbar bei 19 ½ Jahren. hier in Zürich abzuwarten, um dann mich zur Fremdenmaturität zu melden. Mama will davon natürlich nichts wissen und wird mich ebensowenig unterstützen, und so ist das einzige Mittel, das ich kenne, das, daß ich dir die Macht der VormundschaftDonald Wedekind hatte als Minderjähriger keinen Zugriff auf sein Erbe, das von Armin Wedekind in Absprache mit der Mutter verwaltet wurde. Würde Frank Wedekind als offizieller Vormund nominiert, hätte er bis zur Volljährigkeit seines Bruders mit 20 Jahren ein Verfügungsrecht über dessen Erbe [vgl. Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich. Zürich 1888, § 830, S. 246]. über mich hiemit übergebe, worauf dann du meine Ansprüche geltend machen kannst. Es ist dieSchreibversehen, statt: dies. natürlich keine Kleinigkeit, die ich von dir verlange, und es tut mir sehr, sehr leid, daß ich dich auf diese Weise aus deiner Ruhe | aufscheuchen muß. Aber ich bitte dich, tuhe es für mich. Ich werde es dir ewig zu danken wissen. Ich bin überzeugt, daß wenn du energisch auftrittst, und sofern du es eben der Gesetze wegen kannst, worin/üb/er ich eben ganz im Unklaren bin, Mama sich ohne weiteren Widerstand fügen wird. Bist du aber überzeugt, daß du nicht die Macht hast, irgend etwas für mich zu tun, so sei so gut und schreib mir auch in diesem Fall, damit ich mich demgemäß einrichten kann. Hast du aber erst die Macht, über mein VermögenAus dem Erbe seines Vaters standen Donald Wedekind nach einer Rechnung Armin Wedekinds 28.061,60 Francs zu [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889]. zu verfügen, in Händen, so läßt sich dann immer noch sehen, was zu tuhnDonald Wedekinds Schreibung für die zeitgenössisch verbreitete Schreibweise: thun (hier mehrfach vorkommend; so auch in der übrigen Korrespondenz). ist. Vielleicht würde ich da auf eine Maturität verzichten und in eine Klosterschule eintreten, wozu allerdings immer noch Zeit ist. Würdest du noch längere Zeit durch in München aufgehalten, so wäre es vielleicht besser, daß ich dorthin käme, da du mir eher Subsistenzmittel verschaffen könntest als hi wenn ich hier bin. Reisegeld habe ich bereit und | bin auch sonst für 14 Tage vor dem Verhungern geschützt. Unser Verkehr würde jedenfalls leichter und angenehmer, da ich nun mit meiner Arbeit begonnen habe und bereits einen Teil meiner Reise zu PapierÜber seine Amerikareise publizierte Donald Wedekind in der Beilage der „Züricher Post“ in mehreren Teilen (Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894) den Reisebericht „Eine Auswandererfahrt“, dessen Ausarbeitung er hier begonnen haben dürfte. Das Manuskript ist nicht überliefert. gebracht habe. Ich hege großes Vertrauen darauf. Was ich will, ist folgendes: Dich zum Vormund, damit Mama aus meinen Geschäften ausgeschlossen ist. Glaubst du, es ist dir unmöglich meine Bitte zu erfüllen, so schreibe mir es. Kannst du aber etwas für mich tuhn, so benachrichtige mich ebenfalls, was ich erwarten kann. Sende die Antwort unter: D. Wedekind
p. AdressNach dem Streit auf Schloss Lenzburg ist Donald Wedekind abgereist [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 1.10.1890] und hat sich offenbar bei dem befreundeten Medizinstudenten Elias Tomarkin in Riesbach einquartiert.: Elias Thomar
Florastraße Nr 50
Riesbach.

Dein treuer Bruder Donald

Frank Wedekind schrieb am 3. Oktober 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 10.10.1890 aus Solothurn:]


Deinen Brief erhielt ich erst hier in Solothurn.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 10. Oktober 1890 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

Solothurn 10. October 1890


Lieber Bebi!

Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 3.10.1890. erhielt ich erst hier in Solothurn. Ich wartete bei ThomarWie Donald Wedekind in seinem letzten Brief mitteilte, war er nach einem Streit mit seiner Mutter und seinem Bruder Armin über den Schulbesuch in Solothurn zu seinem Freund, dem Zürcher Medizinstudenten Elias Tomarkin, nach Riesbach gefahren. in Zürich bis Montag Abendden 29.9.1890. An diesem Tag endeten die Sommerferien [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 5.8.1890]., immer in der Hoffnung auf Nachrichten von dir. Als aber nichts kam, reiste ich hierher um mit dem Rectorat die Sache zu besprechen. So trat ich zwei Tage späteram Mittwoch, den 1.10.1890. in das Kantonsschulenkosthaus ein und lebe nun das ausgebildetste ConvictlebenInternatsleben.. Es freut mich, auch diese Klippe wieder umschifft zu haben, nur ärgert es mich, daß ich dir die Sache so furchtbar in die Ohren legte, da ich weiß, wie unangenehm sie dir ist. Ich werde natürlich so lang hier bleiben, wie möglich, suchen im Frühjahr die Fremdenmaturität zu machen; sollte das unmöglich sein, so soll es mein Bestreben sein, sie in Solothurn zu absolviren. Immerhin möchte ich dich innigst um ein’s bitten. Das ist, wenn du nach Zürich kommst, dich mit Hami und Mama betreffs meiner Vormundschaft vollkommen zu verständigen, da ich weiß, daß wenn du meine Sachen führst | die ewigen Reibereien ein Ende nehmen werden an denen meine Studien hier noch am ehestens scheitern können. Ich habe auch in diesem Sinn heute an Hami geschriebenDas Schreiben Donald Wedekinds an Armin Wedekind ist nicht überliefert., mit dem es mir furchtbar unangenehm ist, zu verge/k/ehren, eben seiner rohen Lebensart wegen. So bin ich überzeugt, daß wenn du meine Vormundschaft, die ich dir ja im vorigen Briefe förmlich übergeben habe, geltend machst, alles ohne viel Geräusch vor sich gehen wird. Also bitte, nimm dich meiner Sache an und ich werde deinem MajoratÄltestenrecht; hier für Vormundschaft. gewiß Ehre machen, zumal wir uns ja nun kennen, verstehen und ich meinesteils meine Stellung hier wieder sehr befestigt habe, die allerdings Hami in den letzten Tagen durch einen plumpen BriefArmin Wedekinds Brief an das Rektorat der Kantonsschule Solothurn ist nicht überliefert., worin er mich allem Anschein nach nicht im besten Brie Lichte hat erscheinen lassen, fast wieder erschüttert hätte. Mi Da das Essen hier sehr spärlich und primitiv zubereitet ist, (50 frs per Monat Kost & Logis) so kann ich deine monatliche Pension von 10 Mk sehr, sehr gut brauchen, um einen fortwährenden Hunger zu stillen und wäre dir sehr dankbar, wenn dieselbe für Monat | October bald einträfe. Ich habe sehr viel an Selbstvertrauen gewonnen, seitdem ich meine Reisen auf PapierDonald Wedekinds Reisebeschreibung „Eine Auswandererfahrt“ über seine Reise nach San Francisco im Jahr 1889, die in Fortsetzungen vom 4.2.1894 bis 4.3.1894 in der Beilage der „Züricher Post“ erschien. zu bringen angefangen habe, die einen guten Erfolge versprechen. Mit Thomar und John Henry Mackay verlebte ich einige sehr angenehme Tage, und letzterer, mit dem ich regelmäßig im Pfauen zum Mittagessen zusammenkam, gewann immer mehr meine Zuneigung. Zwischen Thomar und mir haben wir das Verhältniß des Onkel zum Neffen begründet, unter welcher Form wir auch correspondiren. Für seinen Romander Fragment gebliebene Roman „Der rote Heinrich“; der erste Teil erschien unter dem Pseudonym Ernst Thoma mit dem Titel „Eine Lebensgeschichte“ Ende 1897 im Verlag von Karl Henckell in Zürich mit einem Umfang von 379 Seiten [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 64, Nr. 297, 22.12.1897, S. 9611]. Das Buch war unter diesem Titel erst kurz zuvor angekündigt worden [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 64, Nr. 276, 27.11.1897, S. 8894], in Ankündigungen in anderen Publikationen des Verlags firmierte es auch unter dem Titel „Morgengluten“. Franz Blei, der den Namen des Verfassers nicht nannte, erinnerte sich an „einen, der [...] ein ewiger Student war und unter seinem Bett ein dickes Bündel vollgeschriebener Seiten verbarg, einen Roman ‚Der rote Heinrich‘.“ [Franz Blei: Erzählung eines Lebens. Leipzig 1930, S. 196] Karl Henckell beschrieb Elias Tomarkin rückblickend als „Königsberger stud. med.“, der „auf der heimlichen Traumeswiese am Zürichberg lustwandelte und an seiner üppig phantasiereichen ‚Lebensgeschichte‘, dem ‚Roten Heinrich‘, seinem ewigen Schmerzenskinde, herumsinnierte und skizzierte, sofern er nicht als klug vermittelnder Weltversöhnungsagent irgendeinen kleinen Stimmungskrach zwischen gemeinsamen Freunden mit väterlicher Überredung würdig auszugleichen suchte.“ [Henckell 1923, S. 272] In den Romantext sind Elias Tomarkins „politische Anliegen eingeflochten: der Sieg der Sozialisten, die Emanzipation der Frauen und der Kampf gegen den Antisemitismus.“ [Rogger/Herren 2012, S. 194; ebd. das Faksimile des Titelblatts] glaubt er 800 Mk zu bekommen. Also verzeihe die große Störung, die mein Brief vielleicht in deiner regelmäßigkeit Schreibversehen, statt: Regelmäßigkeit.der Lebensweise verursacht hat, grüße mir alle meine Bekannten und sei selbst innigst gegrüßt von deinem treuen Bruder
Donald


Ein Brief wird mich immer sehr freuen. Vielleicht kannst du mir auch ein paar Nummern der „Münchener Kunst“die von Frank Wedekinds Bekannten Julius Schaumberger herausgegebene illustrierte Wochenschrift „Münchner Kunst“ (erschienen 1889 bis 1891), in der er demnächst Gedichte veröffentlichte [vgl. KSA 1/II, S. 1891f.; 1963f.], worüber Donald Wedekind informiert gewesen sein dürfte. zusenden.

Grüße namentlich Herrn PohlAnton Pohl, Kunstmaler in München (Theresienstraße 65, 1. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1890, Teil I, S. 264] war Student an der Münchner Kunstakademie [https://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1884-1920/jahr_1887/matrikel-00392]. Wedekind listete ihn im Tagebuch unter seinen Bekannten auf („Pohl Maler“) und datierte die Bekanntschaft auf das Jahr 1890 [vgl. Tb, S. 53 und S. 115]. Donald Wedekind hatte den aktuellen Freundeskreis Frank Wedekinds, der aus zahlreichen Malern bestand, während seines Aufenthalts in München im Spätsommer 1890 kennengelernt. und MelchersHeinrich Melchers (Louisenstraße 40a, 2. Stock) [vgl. Tb, S. 51], Bekannter Frank Wedekinds aus Amerika: „Heinrich Melchers lerne ich eines Abends im Kletzengarten kennen. […] Er kommt mit einem andern jungen Amerikaner.“ [Tb, S. 47] In der Namensliste am Ende des Tagebuchs heißt: „Heinrich Melchers aus Saginav U.S. Polytechniker, Großneffe des Cardinal Melchers in Rom.“ [Tb, S. 55] Dort findet sich auch der Entwurf oder die Abschrift eines Briefes von Marie Kling an Heinrich Melchers..

Adresse: Studentenpensionat
Solothurn

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 2. November 1890 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

Solothurn 2 November 1890


Lieber Bebi!

Mich deines Wunsches dir eine PhotographieDie beigelegte Photographie ist nicht überliefert. zu senden, noch erinnernd lege ich hier eine bei. Es wunderte mich nicht keine Reaction auf meinen letzten Briefvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.10.1890. gesehen zu haben. Du wirst noch zu sehr aufgeregt über meinen Wankelmut gewesen sein, doch würde ich mich sehr freuen und würde es sehr dankbar aufnehmen, wenn die besagte PensionIn seinem letzten Brief bat Donald Wedekind um eine monatliche Unterstützung von 10 Mark für Essen. doch diesen Monat eintreffen würde, daSchreibversehen, statt: die. ich tatsächlich zur Stillung meines Hungers verwenden würde. Von zu Hause erhalte ich gar keine Nachrichten und hoffe deshalb sicher, daß wenn du nach Hause kommst, mich | jedenfalls besuchen wirst. Für das Zusenden nur bisweiligegelegentliche, einer Nummer Münchener Kunstdie von Frank Wedekinds Bekannten Julius Schaumberger herausgegebene illustrierte Wochenschrift „Münchner Kunst“ (erschienen 1889 bis 1891), in der er demnächst Gedichte veröffentlichte [vgl. KSA 1/II, S. 1891f.; 1963f.], worüber Donald Wedekind informiert gewesen sein dürfte. oder irgend eines epocheSchreibversehen, statt: Epoche (oder: epochemachenden). machenden Werkes wäre ich dir äußerst verpflichtet und würde das gewiß zu einem wenig mühevollen und dabei doch sehr fruchtbaren geistigen Verkehr zwischen uns führen. Vorgestern las ich Strindbergs „Vater“ und war überrascht durch die großartige Wahrheit, und niederschmetternde Aufrichtigkeit, die das Stück hat. Grüße alle meine Bekannten und sei herzlich geküßt von deinem Bruder Donald.

Studentenpensionat.

Frank Wedekind schrieb am 3. November 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 16.11.1890 aus Solothurn:]


Hiemit bestätige ich den Empfang der Mk 10.–, welche gerade zur rechten Zeit kamen um mir meinen Geburtstag in der angenehmsten Weise zu versüßen. Der Brief freute mich nicht weniger […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 16. November 1890 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

Solothurn 16 November 1890


Lieber Bebi!

Hiemit bestätige ich den Empfang der Mk 10.–, welche gerade zur rechten Zeit kamen um mir meinen GeburtstagDonald Wedekinds 19. Geburtstag am 4.11.1890. in der angenehmsten Weise zu versüßen. Der BriefDas Begleitschreiben zu der Geldsendung ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 3.11.1890. freute mich nicht weniger, indem die darin enthaltenen Nachrichten mich für eine kurze Dauer in deine abwechslungsvolle Gesellschaft versetzten. Die Geschichte mit Albertinenicht identifiziert; vermutlich ein Modell des Malers Anton Pohl., PohlAnton Pohl, Kunstmaler in München (Theresienstraße 65, 1. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1890, Teil I, S. 264] war Student an der Münchner Kunstakademie [https://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1884-1920/jahr_1887/matrikel-00392]. Wedekind listete ihn im Tagebuch unter seinen Bekannten auf („Pohl Maler“) und datierte die Bekanntschaft auf das Jahr 1890 [vgl. Tb, S. 53 und S. 115]. Donald Wedekind hatte den aktuellen Freundeskreis Frank Wedekinds, der aus zahlreichen Malern bestand, während seines Aufenthalts in München im August und September 1890 kennengelernt. und dem Beduinennicht identifiziert. entwicktelte sich ganz so, wie es die Natur der Sache verlangte und wie es Mr. Pohl an jenem Nachmittag, als ich ichSchreibversehen, statt: ich ihn. in Compagnie der Aegybter traf, voraussah. Nur begreife ich nicht, was er wie er mit seinen 800 Mk wolbehalten wieder von Aegybten zurückkommen will und was ihn eigentlich an dem Mädchen anzieht, deren Wesen mich vollstän|dig kalt ließ. Ich glaube der bedeutendste Factor ist ihre kernige Gesundheit gegenüber seiner schwachen Constitution, die ihn wol dazu veranlassen kann, immer recht gesunde und starke Mädchen zu seiner Gesellschaft auszusuchen. Mir war Pohl neben Lefflerder Maler Heinrich Lefler, Frank Wedekinds Wohnungsnachbar in der Akademiestraße 21 und später auch Korrespondenzpartner. In seinen Namenslisten im Tagebuch notierte Wedekind: „Heinrich Lefler, Maler Akademiestr. 21. III“ [Tb, S. 53], an anderer Stelle: „1889 […] München. Nina. Frische. Mauer. Leffler.“ [Tb, S. 115] und SchereschephskyDer polnische Maler Wladimir Schereschewsky (Herzogstraße 8) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1894, Teil III, S. 47]; Frank Wedekind notierte in seiner Namensliste im Tagebuch: „Schereschefsky, Maler aus Kiew“ [Tb, S. 53] und in der Jahreschronologie: „1890 Kinder & Narren. Scherschefsky. Pohl. Mumm. Becker. Melchers. Doda.“ [Tb, S. 115] immer der Liebste, MelchersHeinrich Melchers, eine Kneipenbekanntschaft Frank Wedekinds: „Heinrich Melchers lerne ich eines Abends im Kletzengarten kennen.“ [Tb, S. 47, Eintrag vermutlich im Februar 1890]. In der Namensliste am Ende des Tagebuchs heißt es: „Heinrich Melchers aus Saginav U.S. Polytechniker, Großneffe des Cardinal Melchers in Rom.“ [Tb, S. 55] abgerechnet, dem ich mich überlegen fühlte. Das/ß/ Schereschephsky’s Bildnicht ermittelt. Otto Julius Bierbaum schrieb über Schereschewsky: „Er gehörte einmal zu den großen Hoffnungen des malerischen Naturalismus in München. Uhde schätzte ihn sehr hoch, aber auch Menzel. Zwei seiner großen Elends-Malereien gingen in öffentliche Galerien über. Er aber verschwand aus München“ [Otto Julius Bierbaum: Die Yankeedoodle-Fahrt und andere Reisegeschichten. München 1910, S. 39]. Bekannt wurde er 1893 mit der Ausstellung seines Gemäldes „Nach Sibirien“ in München, Budapest und Berlin, das als „Sensationsbild“ galt [vgl. Kunstchronik, Jg. 4, Nr. 27, 1.6.1893, Sp. 441]. jetzt und überhaupt einmal einen so großen materiellen Ertrag abwerfen würde, habe ich nie geglaubt und stellte es immer auf die gleiche Stufe mit Marcel’s „Durchgang durch das rote Meer“In Henri Murgers Roman „Scènes de la vie de bohème“ (1851; dt. „Pariser Zigeunerleben. Bilder aus dem französischen Literaten- und Künstlerleben“) reicht der erfolglose Maler Marcel alljährlich sein Bild „Der Zug durchs Rote Meer“ mit leichten Veränderungen und unter verschiedenen Titeln zur Aufnahme in den Pariser Salon ein, jedoch vergeblich. Er verkauft es schließlich für 150 Francs und ein Abendessen an den jüdischen Händler Medici, der es als Ladenschild für einen Feinkostladen weiterverkauft. aus Murger’s Zigeunern.

Dein Bildnicht überliefert; ein Porträt von Frank Wedekind., dessen Entstehungsgeschichte jedenfalls auch von einigem Interesse sein wird, habe ich mir gegenüber an der Wand aufgehängt und bin so in fortwährender Gesellschaft mit dir und es wirkt | so stark auf mich, daß ich bisweilen die Verpflichtung fühle es zu unterhalten.

Gestern las ich in der Zürcher ZeitungDort hieß es: „Wie ‚Fanfulla‘ meldet, soll im Februar des Jahres 1893 das Bischofsjubiläum des Papstes Leo XIII. besonders feierlich begangen werden. Namentlich gedenkt man einen ‚Welt-Katholikenkongreß‘ zu veranstalten, an welchem sämmtliche Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe der ganzen Erdrunde, sowie sämmtliche Führer aller ‚katholischen Parteien‘ der Welt theilnehmen sollen.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 70, Nr. 319, 15.11.1890, S. (2)] daß der Hl. Vater im Jahre 93. sein Bischofsjubiläum mit einem großartigen ConcilVersammlung kirchlicher Personen. zu feiern gedenkt, an welchem alle Cardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe der Erde daran teilnehmen sollen. Schon das allein würde Rom zu einem nicht undankbaren Aufenthalte für die betreffende Zeit machen.

Literarisch beschäftige ich mich gegenwärtig nur mit Lesen, da mich ein eigenes productives Arbeiten neben den Schulstunden zu sehr anspannen würde und ich s die freie Zeit lieber im Verein junger Mädchen, deren mir bekannter Kreis sich nachgerade auszudehnen beginnt, verbringe.

Deinem StückWedekinds Lustspiel „Kinder und Narren“, von dem er Ende August Manuskripte an die Bühnenverlage Felix Bloch Erben und A. Entsch in Berlin verschickt hatte, allerdings ohne Erfolg. Gedruckt wurde das Stück erst Anfang 1891 als Privatdruck [vgl. KSA 2, S. 630]. wünsche ich auf dem Weg in die Öffentlichkeit alles Glück und verbleibe mit den besten Grüßen dein
treuer Bruder Donald.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 14. Dezember 1890 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

Solothurn den 14. Dezember 1890


Lieber Bebi!

Schon lange trug ich mich mit dem Gedanken, mir neueJägerhemdendie von dem Zoologen und Hygieniker Gustav Jäger seit Ende der 1870er Jahre propagierte und vertriebene Ober- und Unterbekleidung aus Wolle, sogenannte Normalkleidung, die sich großer Popularität erfreute. Gustav Jäger versuchte nachzuweisen, „daß die spezifischen Duftstoffe in der Ausdünstung der Tiere die Erzeuger der Affekte, Triebe und Instinkte […] sind. Im Verfolg dieser Studien gelangte er zu einem neuen Bekleidungssystem, welches jede Pflanzenfaser als schädlich verwirft und lediglich wollene Kleider gestattet. Er rief eine lebhafte Agitation für seine ‚Normalkleidung‘ ins Leben, hat aber auf dem ganzen Gebiet sehr entschiedenen Widerspruch gefunden.“ [Meyers Konversations-Lexikon. 4. Aufl., Bd. 9. Leipzig, Wien 1890, S. 131] Frank Wedekind ließ den Dichter Franz Ludwig Meier in seinem Lustspiel „Kinder und Narren“ (1891) „während des ganzen Stückes in Jäger’scher Normalkleidung“ [KSA 2, S. 121] auftreten; Vorbild der Figur war Gerhart Hauptmann [vgl. KSA 2, S. 693], über den er am 26.5.1889 notierte: „Gerhart H. sieht [...] aus wie ein Tollhäusler, mit seinem grotesken, etwas blöden Profil, mit rattenkahl geschorenem Kopf, in schweren, nußfarbig dunklen Wollkleidern, die ihm um den Leib hängen, als hätte sie der erste beste Dorfschneider verfertigt.“ [Tb] kommen zu lassen. Da die 3, die ich mir letzten Winter kommen ließ, ihrer vollständigen Auflösung entgegen gehen. Da mir die Adresse von S. Waldo das Wäschegeschäft – Manufakturwaren und Trikotagen – S. Waldo (Inhaber: Selig Waldo) in Berlin (Spandauerstraße 75) [vgl. Berliner Adreß-Buch für das Jahr 1891, Teil I, S. 1376].fehlt, bitte ich dich, mir dieselbe noch vor dem 24. dieses Monats senden zu wollen, so du dich ihrer noch erinnerst. Es bedarf dazu de nur einer Postkarte, auf welcher du mir die Adresse mitteilst und ich werde befriedigt sein. Zugleich könntest du mich dann auch wissen lassen, ob Mieze in MünchenErika Wedekind war auf der Durchreise von Lenzburg nach Dresden seit dem 7.12.1890 für einige Tage zu Besuch bei ihrem Bruder in München gewesen [vgl. Erika Wedekind an Frank Wedekind, 6.12.1890 und 12.12.1890]. eingetroffen ist, oder nicht. Die Ferien, die am 24 beginnen, werde ich in Zürich zubringen, indem ich bei Frau LeemanEmilie Leemann (geb. Kammerer), Witwe von Gustav Leemann, wohnte mit ihren drei Töchtern im Zürcher Vorort Riesbach (Feldeggstraße 52) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1890, Teil I, S. 199]; sie war eine Cousine von Wedekinds Mutter. ein Zimmer nehme. Ich denke während der Zeit auch mit Tomarkin und Makay zusammenzutreffen. Mit Grüßen an alle verbleibe ich dein treuer Bruder Donald.


Falls du die Adresse nicht mehr weißt, schicke mir die eines ähnlichen Münchener InstitutesMit der Reformkleidung Gustav Jägers warben mehrere Wäschehändler in München, etwa Adolf Schlesinger (Neuhäuserstr. 30) mit der Spezialität: „Normal-Wäsche System Jäger“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1891, Teil III, S. 196].. Gesetzt den Fall du bist bei Geld, so wäre ich dir für die PensionWie in der vorangegangenen Korrespondenz bereits erwähnt, bat Donald Wedekind seinen Bruder aufgrund des schlechten Essens im Solothurner Kosthaus um eine regelmäßige monatliche Unterstützung für zusätzliche Verpflegung. sehr dankbar.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 8. Januar 1891 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind , Frank Wedekind , Frank Wedekind , Frank Wedekind

Solothurn 8 Januar 1891


Lieber Bebi!

Vor acht Tagenam 2.1.1890. kam ich wieder hier an, da um das neue Trimester zu beginnen. Die Ferien verbrachte ich in recht amüsanter Weise, indem ich viel Tomarkins Gesellschaft genoß. Zimmer nahm ich bei Tante Leeman und Essen bei HamiDonald Wedekinds Tante Emilie Leemann (Feldeggstraße 52) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1890, Teil I, S. 199] und sein Bruder Armin (Seefeldstraße 81) [vgl. Adressbuch für Zürich 1890, Teil I, S. 356] wohnten im Zürcher Vorort Riesbach nur 50 Meter entfernt voneinander.. Auf mein gutes Zeugniß hin sandte mir Mamma 25 Franken, was den Grund zu einer vollkommenen Aussöhnung gab. Außerdem bestellte ich mir im Anglo-American Storevon Michel Alexander in München geführter Laden an der Ecke Barer-/Hessstraße. einen Anzug und ließ mir von Berlin 6 neue Jägerheml/d/en und zwei JägerhosenReformkleidung zum Unterziehen oder als Oberbekleidung, die nach den Ideen Gustav Jägers nur aus Wolle bestehen durfte. kommen, die aber von einem solchen Umfang w sind, daß ich darin der vollendetste | Türke scheine. Doch füllen sie a meinet weiten Beinkleider sehr gut aus. In der Münchener Kunst las ich dein Gedicht „m Meningitis tuberculosaIn der Zeitschrift „Münchner Kunst“ waren zwei Gedichte von Wedekind erschienen [vgl. KSA 1/I, S. 286-287; KSA 1/II, S. 1891-1893, 1963-1965].: „Pirschgang“ [Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 45, 12.11.1890, S. 436] und „Meningitis tuberculosa“ [Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 48, 4.12.1890, S. 468] “, über das ich mich sehr freue, da ich daraus sehe, daß du mit den Männern dieser SchriftHerausgeber der seit dem 1.11.1889 erscheinenden Zeitschrift „Münchner Kunst“, eine „Illustrirte Wochen-Rundschau über das gesammte Kunstleben Münchens“, die aus dem „Münchener Theater-Journal“ hervorgegangen war, war der mit Frank Wedekind befreundete Julius Schaumberger. In ihrer letzten Nummer vom 1.1.1891 kündigte die Redaktion (Müllerstraße 45b) an, sie werde in der neuen Zeitschrift der Gesellschaft für modernes Leben aufgehen („Moderne Blätter“), da „die Begründer jener Gesellschaft mit der Kerntruppe der Mitarbeiterschaft der ‚Münchner Kunst‘ identisch sind.“ [Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 52, 1.1.1891, S. 521] Die darunter gesetzte Annocierung der neu gegründeten Gesellschaft für modernes Leben war unterzeichnet mit: „Dr. M. G. Conrad, Rudolf Maison, Detlev Frhr. von Liliencron, Otto Julius Bierbaum, Julius Schaumberger, Hanns von Gumpenberg, Georg Schaumberg.“ [Ebd.] In einer Annonce für ein „Probe-Abonnement für den Monat Juni“ hatte die Redaktion der „Münchner Kunst“ damit geworben, dass sie „neben den ständigen Wochenberichten über die jüngsten, irgendwie bedeutsamen Erscheinungen und Ereignisse des gesamten Münchener Kunstlebens: Kunstwissenschaftliche, poetische und novellistische Beiträge von M. G. Conrad, Martin Greif, Detlev v. Liliencron, Hermine v. Preuschen, Heinrich von Reder, O. J. Bierbaum, Julius Brand, Ernst Brausewetter, Hans v. Gumppenberg, M. Cl. Menghius, Ludwig Scharf, Georg Schaumberg, Julius Schaumberger, Franz Wichmann u. A.“ [Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 19, 14.5.1890, S. 154] enthalte. immer noch auf guten Fuß stehst. Ich habe dieselben sehr in mein Herz geschlossen, weniger Ludwig ScharfLudwig Scharf zählte zwar zu den regelmäßigen Beiträgern der Zeitschrift mit seinen Gedichten „Die Brautnacht“ [vgl. Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 8, 22.2.1890, S. 59f.], „Träumerei“ [vgl. Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 24, 18.6.1890, S. 190f.] und „Lyrische Fragmente“ [vgl. Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 47, 27.11.1890, S. 457f.], war aber nicht Herausgeber. als Schaumberger. DasSchreibversehen, statt: Dass. Henckell’s Zeitungnicht ermittelt. in Wien caput gegangen ist, wirst du gehört haben, und daß er in Folge dessen melancholisch wieder zurück nach Lenzburg kam, mag dir auch bekannt sein. Seine VerlobungKarl Henckell hatte sich im Juni 1890 mit Marie Felix, der Adoptivtochter von Arnold und Carolina Dodel-Port verlobt [vgl. Karl Henckell und Marie Felix an Frank Wedekind, 30.6.1890]. soll ebenfalls auf gläsernen Füßen stehen, indem der goldene Hintergrund der Braut als img/a/ginärSchreibversehen (Auslassung), statt: sich als img/a/ginär. gezeigt haben soll. Die Henckells seien in letzter Zeit sehr zurückhaltend geworden gegen das Mädchen, das sich sehr eifrig in dem Scheidungsprozeß Professor’s Dodelport’sDer Zürcher Botanik-Professor Arnold Dodel-Port ließ sich 1890 nach 15 Jahren Ehe von seiner Frau Carolina Port, mit der er einen anatomisch-physiologischen Atlas der Botanik herausgegeben hatte, scheiden und heiratete 1891 Luise Henriette Müller. betätige. | Es unterstütze nämlich seine Frau in der Erlangung des Scheidungsspruches, angeblich, um seinem Vater eine Woltat zu erweisen. Das aus dem Züricher Stadtklatsch. Henckell sei wirklich wieder schwer krank, stehe des Morgens um 10 Uhr auf, setze sich dann in seinen Lehnstuhl, nehme ein Buch zur Hand und schlafe ein, worauf seine MutterBertha Elise Auguste Henckell; Gustav Henckell hatte seine Eltern und seine beiden Schwestern Bertha und Thea 1889 aus Hannover in die Schweiz geholt. komme, ihn lang betrachte und dann weinend um den „armen, armen Karl“ ins Nebenzimmer gehe. So ungefähr Theas Berichte. Thomarkin’s Runde muß sich jedenfalls auf einer Rundreise befinden, indem ich ihn auf seinem Zimmerin der Florastraße 50 im Zürcher Vorort Riesbach [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.9.1890]. vermißte. Hami feierte Neujahr bei Frei’sArmin Wedekinds Schwiegereltern, der Bezirksarzt Gottlieb Frey und seine Frau Elise (Hottingerstraße 38) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1891, Teil I, S. 94].. Ich ging mit Tomarkin und zwei andern Deutschen, Herrn Bockder Ingenieur Charles Bock (Seestraße 91) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1893, Teil I, S. 37] aus Kiel., Ingenieur bei Escher, Wyß & Co1805 gegründete Maschinenfabrik in Zürich (Niederdorfstr. 102) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich, Teil II, S. 410] mit einer weiträumigen Fabrikanlage auf dem Gelände der ehemaligen Neumühle., und Herrn MoritzIm Matrikelverzeichnis der Universität Zürich nicht nachgewiesen., Student der Chemie, auf Safrandas Café du Safran im Zunfthaus zur Safran am Limmatquai., wo wir ruhig bei einer Tasse Thee das neue Jahr abwarSchreibversehen (fehlende Silben beim Seitenwechsel), statt: abwarteten. | Tomarkin, der 1890 mit einer Schlemmerei abschließen wollte, bestellte ein Dutzend Austern, welche Bestellung aber zu seinem großen Ärger unausgeführt blieb. Wahrscheinlich traute es ihm die Kellnerin gar nicht zu. 1891 begannen wir auf Safran mit einer Tasse Caffée. Im Schluß des altesn Jahres trugen Tomarkin und Moritz die Kosten der Unterhaltung, indem sie heftig über Frauen und Sittlichkeit disputirten. Im Anfang des neuen Jahres nahmen Herr Bock und ich die Arbeit auf uns, indem wir uns über Uhrenindustrie unterhielten. Tags daraufam 2.1.1891. reiste ich von den Segenswünschen meines Onkels EliasDonald Wedekind hatte zu Elias Tomarkin ein Onkel-Neffe-Verhältnis etabliert, wie er in einem früheren Brief berichtete [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.10.1890]. begleitet wieder nach Solothurn. Er machte wirklich Staat mit mir, seinem Neffen und freute sich namentlich, wenn ich ihn | Goldonkelchenverbreitete Bezeichnung für einen väterlich gutmütigen, nicht selten auch spendierfreudigen Verwandten. et. c. titulirte. Weihnachtsabend giengen wir zusammen zu der Feier der Socialisten im Sal/a/l des Schwanen, wor wir am Tische der deutschen Coloniedie wegen der Verfolgung aufgrund des 1878 verabschiedeten „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ aus Deutschland nach Zürich exilierten Arbeiter und Intellektuellen. Platz nahmen. Es war mir sehr lieb, diese Gesellschaft einmal sehen zu können und ich amüsirte mich ausgezeichnet. In der Zeitung las ich, daß man sich in München mit der Errichtung einer freien Bühne Der am 18.12.1890 gegründete Münchner Literatur- und Theaterverein Gesellschaft für modernes Leben unter Vorsitz von Michael Georg Conrad, wollte sich nach dem Vorbild der Berliner Freien Bühne um die Aufführung moderner Stücke bemühen. Die Presse berichtete: „Unter dem Namen ‚Gesellschaft für modernes Leben‘ hat sich in München eine Vereinigung mit folgenden Zielen gebildet: Die ‚Gesellschaft für modernes Leben‘ stellt sich zur Aufgabe die Pflege und Verbreitung modernen, schöpferischen Geistes auf allen Gebieten: Soziales Leben, Literatur, Kunst und Wissenschaft. Zu diesem Zweck trifft die ‚Gesellschaft für modernes Leben‘ folgende Veranstaltungen: Vortragsabende, in welchen einschlägige Fragen theoretisch und durch Vorlesung moderner Geisteswerke jeder Gattung beleuchtet werden. Errichtung einer freien Bühne, welche unter dem Schutze des Vereinsgesetzes auch solche Werke zur Aufführung bringen wird, denen sich die öffentlichen Theater noch verschließen. Sonderausstellungen von solchen Werken von der Gesellschaft angehörenden bildenden Künstler, welche für die moderne Entwicklung besonders kennzeichnend sind. Herausgabe einer Wochenschrift ‚Die Moderne‘, welche die Anschauungen der ‚Gesellschaft für modernes Leben‘ nach außen vertreten soll.“ [Der Bund, Jg. 41, Nr. 356, 26.12.1890, S. (3)] Frank Wedekind trat der Gesellschaft im Laufe des Jahres 1891 bei [vgl. Kutscher 1, S. 189], vermutlich im Sommer im Zusammenhang mit der Publikation verschiedener Gedichte in den von der Gesellschaft herausgegebenen Anthologien „Sommerfest“ und „Modernes Leben“.beschäftigte. Ich mußte gleich an dich denken und stellte mir vor, daß du vielleicht einer der Stifter dieses Unternehmens sein könntest, da es für dich ja doch sehr angenehm sein müßte, ein solches Institut an der Hand zu haben. Sollte deine Sache gedrucktWedekinds Lustspiel „Kinder und Narren“ erschien Anfang März 1891 als Privatdruck bei R. Warth in München [vgl. KSA 2, S. 643]. sein, so habe doch die Güte mir ein Exemplar zuzusenden und demselben vielleicht ein Exemplar des SchnellmalersFrank Wedekind Posse „Der Schnellmaler oder Kunst und Mammon“ war 1889 auf Vermittlung von Karl Henckell im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) in Zürich erschienen [vgl KSA 2, S. 551]. | beizufuegen.

Ich habe mich in das ConvictlebenDonald Wedekind wohnte in Solothurn im zur Schule gehörenden Internat. recht leidlich eingewöhnt und fühle mich immer recht wol auf meiner Zelle, wenn ich meinSchreibversehen, statt: meine. Cigarette rauche und eine Tasse TeheeSchreibversehen (oder Verballhornung), statt: Thee. dazu trinke. Auch habe ich auf dem EiseDer Dezember 1890 und die erste Januarwoche 1891 in der Schweiz waren außergewöhnlich kalt, mit Dauerfrost und einer Durchschnittstemperatur, die 5 Grad unter dem 20-jährigen Mittel lag [vgl. Annalen der schweizerischen meteorologischen Central-Anstalt, Jg. 27, 1890, S. 228 und Jg. 28, 1891, S. 4], so dass die Aare in Solothurn zugefroren gewesen sein dürfte. verschiedene LiaisonsLiebschaften. mit ganz reizenden Mädchen angeknüpft, aber doch bleibt die Zeit in ItalienDonald Wedekind hatte im April 1888 in Livorno eine Lehre begonnen, die er jedoch nach wenigen Monaten abbrach., mein LiebesfrühlingDie hier präsentierte Trias aus „Liebesfrühling“, „Sommernachtstraum“ und „Wintermärchen“, referiert zur Strukturierung der zeitlichen Abfolge auf die Titel literarischer Werke von Friedrich Rückert, William Shakespeare und Heinrich Heine, wohl ohne inhaltliche Bezüge., die glühenden Nächte von San Francisko, und AlamedaIn Kalifornien hielt sich Donald Wedekind von Frühjahr bis Herbst 1889 auf., mein Sommernachtstraum, und die kleine Aventure(frz.) Abenteuer. in Münchenvermutlich ein Besuch Donald Wedekinds in München nach seiner Rückkehr aus den USA Ende Dezember 1889., als ich nachts um 1 Uhr mit meiner kleinen Braut nach Sendling fuhr, mein Wintermärchen, der Gipfelpunkt meines Glückes, an dem ich jetzt in meiner priesterlichen Einsamkeit noch immer zehre.

Grüße alle meine Bekannten.

Dein treuer Bruder Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 26. Januar 1891 in Solothurn folgenden Brief
an , Frank Wedekind , Frank Wedekind

Solothurn 26 Januar 1891


Lieber Bebi!

Zweck meines Briefes ist mich informiren zu lassen zu welcher Art der Tiere beiliegendes Biestdas beigelegte tote Insekt ist nicht überliefert; wie die weitere Korrespondenz zeigt, handelte es sich um einen Befall mit Filzläusen. gehört, das ich zu meiner großen Bestürzung jetzt eben bei Zubettegehen in meiner Achselhöhle gefunden habe. Eine weitere Nachforschung blieb erfolglos, doch da ich schon seit einigen Tagen durch ein eigentümliches Krabelnveraltete Schreibung für: Krabbeln. aufmerksam gemacht worden bin, so fürchte ich, daß dies nicht das einzige Exemplar sein mag. Ich bitte dich nun, in deinem mediz. Lexicon nach der Bedeutung dieser schmarotzenden Tiere sucheSchreibversehen, statt: suchen. zu wollen, und mir dieselbe in wenigen Worten zu schildern. Auch wäre es mir erwünschtSchreibversehen (Auslassung), statt: erwünscht zu erfahren., wie man dieselben am besten los werden kann. Ich würde mich hier an einen Arzt wenden, wenn ich die Sache für sehr bedeutend hielte, aber ich mag mich nicht wegen einer all|fälligen(schweiz.) eventuellen. Kleinigkeit compromittirenbloßstellen., was ich bei der kleinstädtischen Schwatzhaftigkeit der Leute unbedingt Gefahr liefe. Ich würde mich an Hami wenden, wenn ich nicht dächte, daß er als treuer Gatte die Sache seiner Hälfte mitteilte und ich so wiederum, wenn die Sa es e/t/ieferedurch den Rückschluss vom Parsasitenbefall auf den Übertragungsweg – in der Regel Geschlechtsverkehr – und damit auf den Besuch von Prostituierten. Bedeutung hätte, als nur das Reinlichkeitsinteresse, ziemlich blamirt dastände. Schreibe mir, sobald du dir einige Minuten rauben kannst, über die Wichtigkeit des Tieres, nach welchem Berichte ich mich dann richten werde, und, falls dein Wissen nicht so weit reicht, doch noch einen Arzt consultirenum Rat fragen, aufsuchen. muß. Die Sache liegt ja auf der Hand. Es fragt sich nur ob das Tier verheerend wirken kann, was ich bei der Harmlosigkeit seines bisherigen Auftretens nicht vermute, und welche Maßregeln zu seiner Vernichtung zu nehmen sind. Hielte mich der Kostenpunkt nicht ab, so würde ich doch morgen gleich einen Arzt consultiren, aber da ich | vollständig am Grunde meiner Kasse angelangt bin, so wäre mir die Ankreidunghier: das Notieren des ausstehenden und damit gestundeten Honorars. einer solchen Consultation doch zu unangenehm.

Für die PensionssendungFrank Wedekind hatte seinem Bruder zur zusätzlichen Versorgung jenseits der Schulkost 10 Mark geschickt [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 3.11.1890]. vom Monat November bin ich dir jetzt noch dankbar und denke mir, daß du sicherlich sehr knapp daran bist, daßSchreibversehen, statt: da. bis jetzt keine weitere erfolgt ist. Ich empfand das Ausbleiben derselben auch nicht sehr, indem ich ein so ungemein ruhiges und abgeschlossenes Leben führe, daß ich, wenn auch keinen Überfluß, so doch immer ausreichend Geld hatte, um meinen bei der schmalen Soldatenkost bisweilen sehr empfindlichen Hunger stillen zu können. Nun beginnt aber hier mit Anfang Februar die Zeit des Carneval’s, der an der Kantonsschule mit außerordentlichen Freiheiten und Festlichkeiten gefeiert wird und wo sich Professoren und Schüler, wenn auch ge|rade keiner südlich wilden, immerhin doch einer solothurnisch lauten Ausgelassenheit hingeben, die man aber nur feiern kann, wenn man etwas BaaresSchreibversehen, statt: baares. Geld hat, so wäre mir deine Pension wirklich nicht nur ein Tropfen auf einen heißen Stein, sondern eine ganz bedeutende Unterstützung. Meine Bitte ist eigentlich ganz überflüssig, da ich ja weiß, daß wenn du hast, ich auch habe, aber das Schreiben allein gewährt mir eine gewisse Freude und ich hoffe dann immer mit Doppelstärke bis der Monat um ist. Wenn du bis im Sommer in München bleibst, so wäre es wol möglich, daß wir dann wiedersehenSchreibversehen, statt: Wiedersehen. feiern. Dein treuer Bruder verbleibe ich in Erwartung einer baldigsten Antwort wegen obiger „Sache“.

Donald

Frank Wedekind schrieb am 1. Februar 1891 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 26.2.1891 aus Solothurn:]


Dein in deinem letzten Briefe anempfohlenes Mittel habe ich angewandt […] Einen Tag vor | Empfang deines Briefes war ich in Lenzburg […]

Frank Wedekind schrieb am 18. Februar 1891 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind , Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 26.2.1891 aus Solothurn:]


Wenn man von Geld überhaupt sagen kann, es komme mehr oder weniger gelegen, so kam deine letzte Sendung gerade am gelegensten, indem der Carneval mich ganz bloßgelegt hatte.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 25. Februar 1891 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

 

Solothurn 25 Februar 1891


Lieber Bebi!

Dein in deinem letzten Briefenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 1.2.1891. anempfohlenes Mittel habe ich angewandt und kann nun, da ich die Curgegen den Befall mit Filzläusen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 26.1.1891]. nun schon längere Zeit beendigt habe, wol sagen, daß ich mit Erfolg eingerieben habe, indem ich erstens keine Objecte mehr vortzufinddenSchreibversehen, statt: vorzufinden. habe, außerdem aber auch das Beißen und Jucken vollständig vorbei gegangen ist. Immerhin habe ich gestern noch einmal eingerieben, um desto sicherer vor den Bestien zu seim/n/, und freute mich beim Anblick des schönen Haares, das an der Stelle des alten hervorsproßn/t/. Eine eigentümliche Empfindung hat man, mit solch rasirten Weichteilen umher zu wandern, die halbe Mannheit schien mir verloren gegangen zu sein, und ich pries unsere hohe Culturstufe, die mir vorschreibt, in der Gesellschaft unsere Blößen zu bedecken. Einen Tag vor | Empfangvermutlich am Sonntag, den 1.2.1891. deines Briefes war ich in Lenzburg und traf dort unglücklicherweise mit Emma zusammen, die ihren Sohn bei Mama a/i/n der Kost hat. Ich sage, unglücklicherweise, da sie natürlich wieder eine Menge Jammergeschichten aus Zürich brachte. Sie sei von ihrem Dienstmädchennicht identifiziert. schrecklich bestohlen worden, Frau LehmanEmilie Leemann (geb. Kammerer) in Riesbach (Feldeggstraße 52) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1890, Teil I, S. 199], Witwe von Gustav Leemann, war eine Cousine der Mutter Emilie Wedekind (geb. Kammerer) und wohnte in unmittelbarer Nähe von Armin Wedekind. habe Emma bei Mama verleumdet, Mama habe die Dienstmagd aufgehetzt, und Hami sei ein störrischer Mensch, der jedem sein Unglück ausmale, nur seinen Eigenen nicht. Mama wagte es, ein wenigSchreibversehen (Auslassung), statt: ein wenig an. Emmas Pflichttreue als Hausfrau zu mäkeln, mit der Behauptung, die Gemeinde Riesbach erzähle sich, daß bei Dr. WedekindsArmin Wedekind hatte eine Arztpraxis im Zürcher Vorort Riesbach (Seefeldstraße 81) [vgl. Adressbuch für Zürich 1890, Teil I, S. 356], wo er auch wohnte. niemand vor 10 Uhr aufstehe, als Emmy in Trähnen ausbrach und man nach herzlicher Umarmung wieder Abschied nahm.

Diese ganze Geschichte sollte eigentlich nicht aus meiner Feder herauskommen. Ich erzähle sie dir nur, weil ich voraus|setzte, daß auch du Interesse hast zu sehen, wie sich die ganze, grundfaule Moral der dortigen Verhältnisse nach und nach der Öffentlichkeit offenbart.

MiezeErika Wedekind studierte seit Dezember 1890 Gesang am Königlichen Konservatorium in Dresden. arbeite sehr und lebe in intressanterSchreibversehen, statt: interessanter. Gesellschaft. Es soll mich wundern, ob ihr die Gesellschaft zum Guten anschlägt.

Daß Henckell wieder in Treu und Gnaden aufgenommenÜber ein vorangegangenes Zerwürfnis von Emilie Wedekind mit Karl Henckell ist nichts bekannt. ist, magst du vielleicht schon wissen. Wenn nicht, so wird es dich warscheinlichSchreibversehen, statt: wahrscheinlich. gerade so erfreulich überraschen, wie mich. Am Neujahrsabend, brachten ihn Bertschen und Gustav, nachdem d/s/ie Mama zuerst um Erlaubniß gefragt hatten, mit, und der arme, kranke Karl soll sich sehr wol gefühlt haben. Er soll allerdings eine ziemlich ernste Miene bewahrt haben, die um 12 Uhr, als Mama 4 Flaschen Champagner von EugènesEugène Perré, Sohn eines Champagnerhändlers, war von Sommer 1889 bis September 1890 Pensionsgast auf Schloss Lenzburg [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.2.1890] und heiratete später Emilie (Mati) Wedekind. auflaufen ließ, fast zur Jammermiene wurde, weil er vorher wieder einmal ForelDer Zürcher Psychiater Auguste Forel war einer der wichtigsten Vertreter der schweizerischen Abstinenzbewegung, der Karl Henckell zwischenzeitlich nahe stand [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 19.9.1890]. geschworen | hatte. Als aber August behauptete, das sei Medizin, klärte sich Karls Gesicht zu einem unendlichen Lachen auf und tapfer trank er verschiedene Gläser.

Seine BrautKarl Henckell hatte sich im Juni 1890 mit Marie Felix, der Adoptivtochter von Arnold und Carolina Dodel-Port verlobt [vgl. Karl Henckell und Marie Felix an Frank Wedekind, 30.6.1890], die Verlobung jedoch Anfang 1891 wieder gelöst. soll ein schlimmes Ende genommen haben. Als allgemeine Händelstifterin habe sie August zum Haus hinaus geworfen zur großen Erleichterung der ganzen Familie Henckel, da sie nicht nur den Frieden geraubt habe, sondern auch verschiedene Toilettegegenstände, wie Strümpfe, Schuhe, Corset e. c. t. Karl traure zwar noch sehr um sie und fürchtet, sie möchte auf gerichtlichem Wege eine Ehe erzwingen, über welchen Punkt ihn aber seine Freunde schon sehr beruhigten.

Wenn man von Geld überhaupt sagen kann, es komme mehr oder weniger gelegen, so kam deine letze/t/e SendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschrieben zu der Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 18.2.1891. gerade am gelegentsten, indem der CarnevalRosenmontag war am 9.2.1891. mich ganz bloßgelegt hatte. Ich notirte die Summe für Februar und März und spreche dir noch meinen ganz besonderen Dank aus. Minna v. Schwarzenbergnicht näher identifiziert; möglicherweise Anspielung auf die Sage vom Minneberg im Neckartal, wonach Minna von Horneck aus Treue zu ihrem geliebten Ritter Edelruth, der im Heiligen Land kämpfte, floh, um einer Zwangsverheiratung mit dem Graf von Schwarzenberg zu entgehen, und sich in einer Berghöhle versteckte, wo sie schließlich vor Kummer starb. kann ich eher begreifen als Melchers.

Mit den besten Grüßen an alle dein
Donald.

                           

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 2. April 1891 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg 2. April 1891


Lieber Bebi!

Seit acht Tagenseit dem 25.3.1891; dies vermerkte auch Emilie Wedekind in ihrem Notizheft: „Kam Doda“ [Mü, L 3476/44]. bin ich hier und in acht Tagen werde ich wieder abreisen, nachdem ich beunruhigende Dinge gesehen und gehört habe. Mit Mama komme ich in Frieden aus und will mich glücklich schätzen, wenn ich ohne weitere Behelligung Solothurn erreiche. Was ich von unsern Geschäften, die die schwierigsten sind, gehört habe, ist mir gelungen, auf die friedlichste Weise aus Mamas eigenem Munde zu vernehmen. Die Quälereien des GemeinderatesNach einer Untersuchung des Schlossfelsens forderte der Lenzburger Gemeinderat am 26.2.1890 aus Sicherheitsgründen von der Schlosseigentümerin eine Ausbesserung auf ihre Kosten, der sich Emilie Wedekind widersetzte, so dass die Angelegenheit vor dem Regierungsrat des Kantons Aarau und schließlich vor dem Großen Rat des Kantons Aarau verhandelt wurde [vgl. Schlossverkauf Lenzburg, Akte B. N.1, Stadtarchiv Lenzburg; Vinçon 2021, Bd. 2, S. 149]. Die Auseinandersetzung verzögerte den Verkauf des Schlosses bis Frühjahr 1893 und führte im Mai 1892 zwischenzeitlich sogar zum Rücktritt des Käufers, des amerikanischen Industriellen August E. Jessup, vom Kaufvertrag [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 155-157]. haben ihren Mut dermaßen niedergedrückt, daß sie selbst sich innig mit dem Gedanken beschäftigt die SacheSchloss Lenzburg. im Herbste zu verkaufen, nachdem sie in den 3 Jahrenseit dem Tod ihres Mannes Friedrich Wilhelm Wedekind am 11.10.1888. glücklich mehr als 40000 frs verbaut hatunter anderem für eine neue Wasserversorgung und Sanitäranlagen [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 18.8.1889]., was sie offen heraus sagt. Die Anstrengungen WillisWilliam Wedekind forderte die Auszahlung seines Erbteils, wie Emilie Wedekind in ihrem Notizbuch am 8.1.1891 vermerkte: „Brief von Willy der einem Advokaten Auftrag gab gerichtlich seine Gelder aus dem Schloß zu ziehen.“ [Mü, L 3476/44] wirst du kennen und da meine MinnoritätSchreibversehen, statt Minorität; hier für: Minderjährigkeit. Donald Wedekind wurde mit Vollendung seines 20. Lebensjahres am 4.11.1891 volljährig. im Herbste aufhört, so werde an ich ebenfalls einem | Verkaufe beistimmen, da ich andernfalls bei längerer Führung von Seiten Mama’s nichts als einen Zwangsverkauf voraussehe. Daß Mama’s GarantiesummeDer Anteil Emilie Wedekinds am Barvermögen ihres verstorbenen Mannes betrug nach der Berechnung Armin Wedekinds 47168 Francs und 45 Centimes [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889]. mit den 40000 frs zu Ende geht glaube ich sicher, da mir nicht bekannt ist daß sie mehr als ebenbesagte Summe als Eigentum besitzt. Trotzdem und trotz der VersicherungArmin Wedekinds Zusicherung vom 7.2.1890 ist als Briefabschrift („Hammi an Doda“) in Frank Wedekinds Tagebuch überliefert. Darin heißt es: „Dein Antheil am Vermögen basirend auf dem Status vom 31. Dec. 1889 wird abgesondert verwaltet und zur Bewirthschaftung des Schlosses nicht weiter beansprucht werden. Dein Antheil an diesen Kosten wird dir aufgeschrieben und nach einem einstigen Verkauf der Liegenschaften in Lenzburg von deinem Antheil an denselben abgezogen werden.“ die ich von Hami schriftlich erhalten habe, daß mein Vermögen nicht zu ihren waghalsigen Speculationen benutzt werde, fährt sie immer noch fort, große Ausgaben zu machen, in ausgedehntester und köstlichster Weise zu annoncirenEmilie Wedekind schaltete Annoncen, um Pensionsgäste in der Urlaubssaison im Sommer für Schloss Lenzburg zu gewinnen. Ein Annoncentext lautete: „Sommeraufenthalt in der Schweiz / Pension Schloss Lenzburg / Schloss Lenzburg ist eine historische Stätte, einstiges Stammschloss Rudolf’s v. Habsburg, Lieblingsaufenthalt des Kaisers Barbarossa. Der grosse, gegen alle Winde geschützte Schlosshof, die von alten Linden beschattete Burgschanze mit prachtvoller Aussicht auf Alpen und Jura, macht Schloss Lenzburg zu einem äusserst angenehmen Aufenthalt. Reichlicher, nahrhafter Tisch. Milchkuren. Neuerstellte Wasserleitung mit vorzüglichem Quellwasser. Pensionspreise je nach Zimmer 4 bis 6 frs. pro Tag. Touristen bietet Lenzburg in Folge seiner günstigen Eisenbahnverbindungen einen geeigneten Mittelpunkt für Ausflüge nach der Centralschweiz. Es wird deutsch, englisch und französisch gesprochen. Bestens empfiehlt sich Frau Dr. Wedekind.“ [Kursbuch der in Berlin einmündenden Eisenbahnen mit Anschlüssen nach den Bädern und Kurorten. Sommer-Ausgabe 1891 für die Abonnenten des Berliner Tageblatt, S. 95; ebenso in: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 71, Nr. 108, 18.4.1891, Beilage, S. (3) und Nr. 123, 3.5.1891, Beilage, S. (3)], so daß ich mir d nur denken kann, daß sie unser aller Vermögen in Mitleidenschaft zu ziehen fest im Sinne hat, was sie mit der Entschuldigung zu rechtfertigen sucht, sie hätte ihrer Zeit noch viel weniger von zu Hause mitbekommen. Überhaupt bewegt sie sich in einer Unmasse von Paradoxen, indem sie im selben Moment, wo sie von neu auszuführenden Umbauten und andern Ausgaben spricht, frei bekennt, sie verstehe von Geldgeschäften weniger als nichts. Es macht mir den Eindruck, als ob sie schon leidet unter der Last ihres Gewissens, dessen mahnendes Wirken sieSchreibversehen (Auslassung beim Seitenwechsel), statt: sie durch. | stundenlanges SchnakenSchreibversehen, statt: Schnacken; für: zwanglos plaudern, sich unterhalten. mit einzelnen Gäste, wie Sallynicht identifiziert. und Consorten zu verscheuchen sucht.

Die einzige Art, wie wir noch etwas aus den Ruinen unseres vätel. Erbteiles retten können, ist, daß wir sofort einschreiten, was ich allerdings momentan nicht tun kann, sofort nach meiner Mündigkeitserklärung tun werdeSchreibversehen, statt: aber tun werde.. Dann werde ich auch und ich glaube mit größten Recht, mein Vermögen unbeschadet verlangen und d/b/in sicher auf dasemdie Änderung von ‚das‘ zu ‚dem‘ durch Streichung der Buchstaben „as“ wurde durch Unterpunktung rückgängig gemacht. schriftl. Versprechen hin von Seiten Hamis, außerdem auf die bloße Darlegung, daß w Mama nur die Nutznießung nicht aber das Speculiren mit dem Kapital ihrer unmündigen Kinder zustand, mein gutes Recht zu erlangen. Daß das aber nach Verfluß von vielleicht zwei Jahren ein Ding der Unmöglichkeit sein wird, erhellt sich aus den rasenden Ausgaben, die Mama mit einer wahrhaft verrückten Anstrengung ihres Kopfes macht und so bitte ich dich, wenn dir an dem Gelde etwas liegt, was ich unbedingt annehme, so bald als möglich hierher zu kommen, und wenigstens während der Saison allzu große Neuerungen zu verhindern. Selbstverständlich läßt man die Saison zuerst, vor einem Verkaufe | vorübergehen, um wenigstenSchreibversehen, statt: wenigstens. noch etwas Einnahmen aufweisen zu können. Hami unterstützt natürlicherweise Mama immer ihn ihren Plänen, da er als Anteilhaber am Schloß nur durch Geld hineinbringen in dasselbe gewinnen kann. Bitte komm und schreite kraft deiner Autorität ein, ansonst sämmtliches verloren geht und mich es wahrhaftig ärgern könnte, wenn ich sehe meine künftigen Studien zusammenbetteln müßte, während diese Frau aus lauter Sucht nach Unterhaltung (aus nichts andrem rührt ihre Wirtschaft und Pension her) das wenige Geld, das mir aber umso mehr wert ist, verschleudert hat. Ich bin überzeugt, du wirst mir angesichts der zerrütteten Verhältnisse unseres Vermögens dankbar sein, daß ich dich gerufen habe, denn es dar kann und darf dir in Rücksicht auf Mati und Mama selbst nicht gleichgültig sein, ob letztere dem Ruin unser aller zusteuert. Komme, bald, denn Mama’s Leichtsinn steigert sich je größer die Unumgänglichkeit ihres Verderbens wird. S Die Sachlage ist einfach. Mama machte uns bei ihren großen | Ausgaben immer mit dem Ausspruche mundtodt, daß sie sagte: Ich garantire „mit meinem Vermögen“. Dieses haben nun ihre Ausgaben bereits überstiegen, drum ist es nun an uns Einhalt zu tuen. Daß sie sich nicht scheut, das sämmttlicheSchreibversehen, statt: sämmtliche. Vermögen in/h/rem verrückten Wahn zu opfern, gesteht sie selbst zu. – Ich habe diesen Brief ruhig geschrieben und in keinerlei ähnlicher Aufregungen, wie du wol sonst A Schriftstücke von mir empfangen haben magst. Um so besser vermagst du die bedeutende Tragweite meiner Betrachtungen schätzen.

Und nun noch einige Nebensachen. August klagt sehr über die schlechten Geschäfte. Karl ist hier in Lenzburg, ich habe ihn aber noch nicht gesehen, da ich ihn nicht aufsucheSchreibversehen, statt: aufsuchen. mag. Seine VerlobungKarl Henckell hatte sich im Juni 1890 mit Marie Felix verlobt [vgl. Karl Henckell und Marie Felix an Frank Wedekind, 30.6.1890]. ist vollends in die Brüche gegangen. Geistig hat er sich aber ganz wieder erholt. Am ersten Mai soll auf der freien Bühne in Berlin sein Festspiel: „Glühende Gipfel)das im Untertitel als „Maifestspiel“ bezeichnete Versepos „Glühende Gipfel“ in Karl Henckells Sammelband „Trutznachtigall“ [Stuttgart 1891, S. 7-55]. zur AufführungDazu kam es nicht. Stattdessen wurde kurzfristig „ein von Bruno Wille noch schleunigst herzustellendes Festspiel in drei geschichtlichen Szenen“ [Otto Erich Hartleben: Tagebuch. Fragment eines Lebens. München 1906, S. 158] geplant, wie Otto Erich Hartleben am 16.4.1891 über eine „Ausschußsitzung des Vereins ‚Freie Volksbühne‘ bei mir“ [ebd., S. 157] am Abend zuvor notierte. Die Presse berichtete unter der Überschrift „Die Maifeier. Die Feier in Berlin“ ohne namentliche Nennung Bruno Willes: „Da die Arbeit am 1. Mai nicht ruhen soll, vertheilen sich die Veranstaltungen diesmal auf drei Tage, auf Freitag, Sonnabend und Sonntag. An allen drei Tagen […] veranstaltet die ‚Freie Volksbühne‘ große Maivorstellungen, bei denen ein ‚historisches Melodrama‘ in drei Akten nebst lebenden Bildern‘: ‚Durch Kampf zur Freiheit‘ dargestellt werden soll. Für diese Vorstellungen war ursprünglich der Feenpalast ausersehen; ‚technischer Schwierigkeiten wegen‘ hat man aber zum altgewohnten Ostend-Theater zurückgehen müssen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 20, Nr. 217, 1.5.1891, Abend-Ausgabe, S. (3)] „Eingeleitet wurde die Feier mit einer Fest-Ouverture, die der Kapellmeister Wiedecke dirigirte, und einem schwungvollen Prolog von Karl Henckell, vorgetragen von dem Deklamator Hermann Paris.“ [Vorwärts, Jg. 8, Nr. 102, 3.5.1891, 1. Beilage, S. 81)] kommen. Es soll mich wundern mit welchem Erfolg. In der N. Z. Zeitung stand letzthin eine Kritik in der „Neuen Zürcher Zeitung“ nicht nachweisbar. Elimar Kusch war Redakteur der „Züricher Post“, so dass die Kritik dort erschienen sein dürfte (die Zeitung ist in deutschen Bibliotheken nicht verfügbar). über Maurice v. Stern und Henckell. Giftig, berstend, wie ich noch keine | vorher gelesen hatte, unterzeichnet mit „Elimar Kusch“. Wenn „deine Kinder und NarrenSchreibversehen, statt: deine „Kinder und Narren“. wirklich im Druck erschienenWedekinds Lustspiel „Kinder und Narren“ war Anfang März als Privatdruck erschienen [vgl. KSA 2, S. 643]. sind, so möchte ich dich doch wirklich um die Zusendung eines Exemplares bitten mit Beifügung eines SchnellmalersFrank Wedekinds Posse „Der Schnellmaler oder Kunst und Mammon“ (1889).. Thomar werde ich vielleicht diese Ferien noch wiedersehen. Er soll gegen wärtig ungemein fleißig an einer medizinischen AbhandlungIn Frage kommt zeitlich die Studie: Elias Tomarkin „Lieberkün’sche Krypten und ihre Beziehungen zu dem Follikeln beim Meerschweinchen“ (Jena 1893). schreiben. Mieze soll schon verschiedene Heiratsanträge bekommen haben, so ein gewisser Fräuler von ZürichDr. med. Kaspar Freuler (Aegertenstraße 14, Wiedikon) [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1892, Teil I, S. 102], der sich 1891 in Dresden aufhielt und wie sein Bruder Heinrich Freuler an der Eidgenössischen Bundesfeier in Döbeln bei Dresden teilnahm, wo Erika Wedekind einen „ergreifenden, von Herrn Heinrich Freuler, Schriftsteller aus Glarus (in Dresden wohnend) gedichteten Prolog“ [Festschrift zur Erinnerung an die von den Schweizern in Sachsen abgehaltene Eidgenössische Bundesfeier zu Döbeln im Schützenhause, am 28. Juni 1891. Leipzig 1891, S. 7] vortrug. . Diese Heiratsanträge bilden offenbar den Glanzpunkt in ihrem Dresdner LebenErika Wedekind studierte seit Dezember 1890 am Königlichen Konservatorium in Dresden Gesang.. Indessen ist sie mit Frl. v. Albeunsichere Lesung; nicht identifiziert. zusammengetroffen und scheint einen bedeutenden Eindruck davon getragen zu haben. Es ist bedauernswert wie Mama eine ganz andere Natur geworden ist. Wir sitzen ganz angehmeSchreibversehen, statt: angenehme. Unterhaltung führend im Saal, Mati, Mama und meine Wenigkeit, als plötzlich Samuel, der Sprößling HäusermannsArbeiter auf Schloss Lenzburg. hereinstürzt mit der Nachricht, es seien zwei „Herren“ da. | Die vorher etwas umwölkte Stirne Mama’s erheitert sich, einen lustigen Gassenhauer pfeifend, ergreift sie ihr Strickzeug und zieht sich, uns allein lassend, zu den zwei „Herren“ imSchreibversehen, statt: in. ein zur Wirtschaft eingerichtetes Zimmer des Schulhauses zurück. Wie peinlich für mich und wie auf Abwege leitend für Mati so etwas ist, kannst du dir kaum denken und Mati erinnert mich immer mehr an Pater Mourets SchwesterDésirée (Desiderata) Mouret, die einfältige, erdverbundene und tierliebende Schwester der Titelfigur in Émile Zolas Roman „Die Sünde des Abbé Mouret“ (1875; frz. Original-Titel: „La Faute de l’Abbé Mouret“), 5. Teil des Rougon-Macquart-Zyklus. in der Sünde des Priesters.

In acht Tagen reise ich wieder nach Solothurn. Schreibe mir deshalb dorthin und zwar womöglich, daß eine Antwort mich in meinem Pensionat schon erwartet. Nimm die Sache nicht zu leicht und glaube aufs Wort. Komme so bald als möglich. Wenn du mir für April etwas Geld senden kannst, so wäre das gut. Im Herbst werden wir abrechnen. In treuester Anhänglichkeit und bestem Vertrauen verbleibe ich dein Bruder Donald.


NB. Sende nie Briefe an mich nach Lenzburg, da sie dann kaum in meine Hände gelangen würden, sondern immer nach Solothurn. |

Hans Ringiernicht näher identifiziert. ist nach Amerika.

                                                

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 12. April 1891 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg 12 April 1891


Lieber Bebi!

Mit diesem Briefe wird eine Arbeitdas nicht überlieferte Manuskript zu der in der Buchdruckerei Gassmann, Sohn in Solothurn erschienenen Broschüre „Schloss Lenzburg in Geschichte und Sage“ (1891). von mir eintreffen, die ich auf Mama’s Veranlassung verfaßte und welche sie in Broschürenform drucken lassen will um sie während des Sommers zu verkaufen. Da Mama und auch ich eine Korrektur der SacheFrank Wedekind übernahm die Korrektur, über die er seiner Mutter berichtete [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 18.4.1891]. von deiner Hand wünschen, so bitte ich dich die Sa Arbeit sofort durchzusehen und nur das Notwendigste zu ändern, damit mir womöglich eine 2. Abschrift erspart bleibt. Ist dir keine Zeit gegeben, so sende das ManusskriptSchreibversehen, statt: Manuskript. umgehend an meine Adresse nach Solothurn, da wir diesesfalls ohne Korrectur einen Druck vornehmen werden. Immerhin wäre ich dir dankbar, wenn du mir auch im letzteren Fall mitteilen wolltest ob die Arbeit sich im Verkauf bewähren wird und man sich mit einem Druck nicht bloßstellen wird, was zu beurteilen dir ja nicht schwer fallen wird kann. | Da die Sache nach der Ellemöglichst lang und breit. in aller Eile geschrieben ist, kann man an den geistigen Inhalt keine Anforderungen machen und abstrahire ich davon vollständig, was mich auch in Zweifel sein letzt läßt, ob ich meinen Namen daraufsetzen soll. Ich glaube ich werde es tun. Auch hier wäre mir ein Wink lieb. Die allzu langen Entwickelungen können kaum schaden, da dem Publikum hauptsächlich eine gute Masse geboten werden mußte. Corrigirt oder nicht, sende es immerhin sobald als möglich an meine Adresse in Solothurn, wennmöglich mit einem Brief, behandelt der auch mein letztes Schreibenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.4.1891. behandelt, über dessen Motive ich allerdings durch eine klare, ruhige Auseinandersetzung mit Mama beruhigt bin, z. Teil wenigstens und nur noch die gefährl. Manipulation gegenüber dem Ge. R. v. L.Emilie Wedekind lag seit über einem Jahr im Streit mit dem Gemeinderat von Lenzburg, der aus Sicherheitsgründen eine Ausbesserung oder den Abbruch der Schanze von Schloss Lenzburg auf ihre Kosten forderte, was sie verweigerte (siehe dazu auch die vorangegangene Korrespondenz). fürchte, von dem du auch hören wirst. Also bitte, bester Bebi, baldige Antwort.

Gestern haben Gustav und Sadi uns einen Besuch abgestattet. Letzterer sieht sehr gut aus, wohlgenährt und scheint vollständig getröstet zu sein über seine zu Wasser geSchreibversehen (Wortabbruch beim Seitenwechsel), statt: gewordene. | VerlobungKarl Henckell hatte sich im Juni 1890 mit Marie Felix verlobt [vgl. Karl Henckell und Marie Felix an Frank Wedekind, 30.6.1890] und die Verlobung im Frühjahr 1891 wieder gelöst.. Eine neue GedichtsammlungKarl Henckells aktuelles Buch wurde bereits vom Verlag angekündigt: „In etwa 14 Tagen erscheint: Trutznachtigall. Eine Gedichtsammlung von Karl Henckell. Der Inhalt der Gedichtsammlung ist: Trutznachtigall – Glühende Gipfel, ein Maifestspiel. – Gründeutschland. – Gedichte. […] Der Verfasser gehört zu den sogen. ‚Neuen‘, zu dem ‚jüngsten Deutschland‘. Trotz heftigster Angriffe ist es Karl Henckell gelungen, durchzudringen, so daß die Kritik ihn als einen der ‚hervorragendsten und merkwürdigsten modernen Dichter‘ charakterisiert. Das kleine Bändchen ‚Trutznachtigall‘ wird zweifellos den Ruf des Dichters fester begründen. Bitte zu verlangen. Hochachtungsvoll Stuttgart, 6. April 1891. J. H. W. Dietz.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 80, 9.4.1891, S. 2074] wird demnächst erscheinen. Außerdem hat er als Antwort auf eine beißende Kritikvermutlich die in Donald Wedekinds letztem Brief erwähnte Kritik von Elimar Kusch (siehe dort). in der Z. P. ein komisches Zwiegespräch verfaßt, „Dichter und Kritiker“Karl Henckells Text erschien unter dem Titel „Dichter und Kritiker. Ein polemisches Gedicht. (1890)“ in seinem Band „Zwischenspiel“ [Zürich 1894, S. 169-179]. Eine vorherige Zeitungspublikation ließ sich nicht nachweisen. das noch in einer Zeitung erscheinen wird. Wenn es mir in die Hände fällt, werde ich es dir zusenden. Im übrigen ist Henckell immer noch der selbe süffissanteSchreibversehen, statt: süffisante, für: selbstgefällige, überhebliche. Mensch, dessen Egoismus durch den guten Teil kindlicher Einfalt erträglich gemacht wird. Nachdem er aufrichtige Freude des Wiedersehens bezeugte, verfiel er in tiefes Schweigen. Donnerstag reist er nach Zürich, um dort seinen Aufenthalt für den Sommer zu nehmen. Makay wird auch dorthin fo kommen. Ich glaub wirklich du tätest nicht schlecht Zürich ebenfalls zum Sommeraufenthalt zu wählen, da voraussichtlich eine bedeutende Gesellschaft sich zusammenfinden wird. Mati läßt dir zu ihrem GeburtstagAm 7.4.1891 wurde Wedekinds Schwester Emilie (Mati) 15 Jahre alt. etwas schenken und bleibt dir treu. Schreibe nur unverhohlnSchreibversehen, statt: unverholen. deine Meinung über meine Arbeit, verdamme sie aber nicht zu leichtfertig als druckunfähig, bedenke den speculativenhier für: Gewinn beabsichtigenden. Zweck, der freie Bewegung des Geistes ausschloß. Ich verbleibe dein treuer Bruder Donald.

Frank Wedekind schrieb am 22. April 1891 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 30.5.1891 aus Solothurn:]


Nochmals den besten Dank für deine Correctur […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 22. Mai 1891 in Solothurn folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 24.5.1891 aus München:]


Gestern erhielt ich Donalds Brochüre […]

Frank Wedekind schrieb am 24. Mai 1891 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 30.5.1891 aus Solothurn:]


Deinen lieben Brief habe ich erhalten […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 30. Mai 1891 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

Solothurn 30. Mai 1891


Lieber Bebi!

Deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 24.5.1891. habe ich erhalten und du kannst dir kaum denken wie beruhigend deine zufriedene ÄußerungVon seinem „sehr günstigen Eindruck“ [Frank Wedekind an Armin Wedekind, 24.5.1891] von der Broschüre berichtete Frank Wedekind auch Armin Wedekind in einem am gleichen Tag geschriebenen Brief. über das Aussehen und das ganze Wesen der Broschüredie von Donald Wedekind zum Verkauf an die Pensionsgäste auf Schloss Lenzburg verfasste Broschüre „Schloss Lenzburg in Geschichte und Sage“ (1891). für mich war. Ich habe auch sofort gemäß deines Rates die Exemplare an die betreffenden Redaktionennicht ermittelt. Frank Wedekind hatte seinem Bruder Donald geraten, die Broschüre „an die schweizerische Presse zu verschicken“ [Frank Wedekind an Armin Wedekind, 24.5.1891]. Ein knappes Jahr später schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ unter dem Verfasserkürzel „F. M.“ in ihrer Rubrik „Litteratur und Kunst“ zu der Broschüre: „In einem Athemzuge und gleichen Stärkegrade des Tones von der ersten bis letzten der starken 32 Seiten wird die Geschichte des Schlosses Lenzburg an dem Leser vorübergeführt in einer Reihe von Bildern, gewoben aus der Wirklichkeit, der Sage und der eigenen blühenden Phantasie des Verfassers zu gleichen Theilen, so daß keines der drei Ingredienzen ausgeschieden werden kann. Das blumenreiche Pathos der Sprache, an die Rhetorik der Schüleraufsätze erinnernd, verräth große Jugendlichkeit des Verfassers, aber seiner Leistung darf eine gewisse Achtung nicht versagt werden.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 72, Nr. 82, 22.3.1892, 2. Blatt, S. (2)] abgesandt, obschon ich, wenn auch trotz einiger Spannung, nicht glaube, daß dieselben Notiz nehmen werden davon, eben weil die speculativehier: auf Gewinn abzielende. Anlage des Werkes allzusehr hervorleuchtet. Indeß hat die Arbeit hier in Solothurn schon ihre Früchte getragen, indem das RectoratMit dem Rektor der Kantonsschule Solothurn, Johann Kaufmann-Hartenstein, war es zuvor wiederholt zu Konflikten gekommen (siehe die vorangehende Korrespondenz). sich persönlich um ein Exemplar bei mir verwandte, das ich auch sofort auf Dedicationals Geschenk (vermutlich mit einer Widmung versehen). zukommen ließ und das auf die Stimmung des Mannes die günstigste Wirkung hatte. Mama scheint offenbar ganz zufrieden mit der Ausführung zu sein, wenn auch der Druck etwas teurer | kam, als voraus gesehen war. 120 frs verlangte der MannDie Broschüre wurde bei der Solothurner „Buchdruckerei Gassmann, Sohn“ gedruckt, die von Otto Gassmann geführt wurde. für die vollständige Herstellung von 510 Exemplaren. Es ist wohl möglich, daß du die Sache billiger hättest bewerkstelligen können, insdessen ist es hier in dieser Gegend wohl das Minimum eines Preises. Zudem hat er bis auf die VignetteDas Titelblatt der Broschüre „Schloss Lenzburg in Geschichte und Sage“ ziert oben ein breites Ornament, dessen Emblem in der Mitte eine lesende Eule zeigt; unterhalb des Titels ist eine weitere Vignette abgebildet, die einen Pankopf, eine Panflöte, eine Schalmei, eine Maske und einen Narrenstab zeigt. Der Umschlag der Broschüre ist mit einem Stich von Schloss Lenzburg versehen., die ich dank deiner freundlichen Mahnung verschmerzt habe, vollkommen nach Wunsch gearbeitet und ist das Vergnügen, das mir durch die Leitung des Druckes gewährt wurde auch nicht zu unterschätzen, so daß ich nicht glaube überforderthier: übervorteilt. worden zu sein. In Außer diesenSchreibversehen, statt: diesem. bei/in/ ich der hehren Meinung, daß Mama mit Leichtigkeit die erste Auflage verkaufen wird und zwar zu einem Preis, den ich sogar bei 80. Cts nicht zuSchreibversehen, statt: nicht für zu. hoch halten würde. Immerhin muß ich dich bitten, falls du hierin nicht gleichen Sinnes wärest, ihr deine Ansicht was den Verkauf anbelangt zukommen zu lassen. Von Thomarkin, dem einzigen meiner Bekannten, dem ich eine Broschüre schenkte, habe ich eine liebenswürdige Karte erhalten, | worin er mich in seiner mir immreSchreibversehen, statt: immer. angenehmen Ironie ermahnt, seinen alten Goldonkel auf dem Pfade des Ruhmes nicht zu vergessen und auch mit dem Lorbeerkranze auf der Stirne mich seiner nicht zu schämen. Thomarkin ist mir wirklich einer der liebsten aus deinen BeskanntschaftenSchreibversehen, statt: Bekanntschaften. und ich komme imerSchreibversehen, statt: immer. mehr zur überzeugungSchreibversehen, statt: Überzeugung., daß er am besten dazu geeignet ist, das zu tun, zwar vielleicht unbewußter Weise, was Henckell so oft an mir versucht hat, und dessen er sich schon wähnte, es ausgeführt zu haben, als ich, allerdings auf seine Anregung die heutige Gesellschaft an den Nagel heing und nach Italien mich wandte.

Die Kinder und NarrenDonald Wedekind hatte sich in der vorangegangenen Korrespondenz wiederholt Exemplare der beiden bislang von Frank Wedekind publizierten Dramen „Kinder und Narren“ (1891) und „Der Schnellmaler“ (1889) erbeten, die er nun offenbar mit dem letzten, nicht überlieferten Brief seines Bruders erhalten hatte. stelle ich ganz bedeutend höher als dein vorjähriges Werk den SchnellmallerSchreibversehen, statt: Schnellmaler., nicht was die Technik anbelangt aber was die Verkörperung der guten Idee anbetrifft. Deine „Kinder und N.[“] sind neu, vollkommen neu und findeSchreibversehen, statt: und ich finde., das in/s/t so ziemlich die Hauptanforderung die man an dein Werk der Neuzeit stellen muß, es ist noch | nie so etwas da gewesen. Daß er sich wegen seiner robusteSchreibversehen, statt: robusten. Zeichnung viele Gegner erwerben b wird, glaube ich fast sicher annehmen zu dürfen, doch sind Gegner, heftige Gegner dreimal mehr wert als Freudevermutlich Schreibversehen, statt: Freunde.. Ich weiß nicht, ob witzige Passagen, Lachscenen schwierig auszuführen od e/z/u erfinden sind, aber ich hätte an deiner Stelle etwas mehr solche in die Hauptmomente hineingeschoben, daß es gerade genügt hätte, um das lehrhafte, welches an einigen Stellen allzu schroff zu Tage tritt, zu verbergen. Doch glaube ich, daß ichSchreibversehen, statt: daß sich. auch eine bedeutende Quantität Didaktik mit dem heutigen Drama verträgt und daß deine Arbeit, wenn sie einmal über die Bühne gegangen sein wird, s positives oder, was dann auf die Veranlagung des Publikums ankommt, negatives Aufsehen erregen wird. Aufsehen wird es machen und ich halte das für den hauptsächlichsten Factor für einen Ruf. Ich möchte sogar behaupten, daß das Publikum mit dir sympatisiren wird, schon des wegen, weil du einen beim Volke beliebten Widerspruch durch dein | ganzes Stück verteidigst und diesem Parteinehmen im MottoDas Motto von „Kinder und Narren. Lustspiel in vier Aufzügen“ (1891) lautet: „Der Realismus ist eine pedantische Gouvernante. Der Realismus hat dich den Menschen vergessen lassen. Kehr zur Natur zurück!“ [KSA 2, S. 105] Ausdruck giebst.

Ich bin gespannt, was „FrühlingserwachenFrank Wedekind hatte „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“ im April 1891 abgeschlossen, die Buchausgabe erschien im Oktober [vgl. KSA 2, S. 763f.].“ bieten wird und bin der Überzeugung, daß du darin deine grundgute Idee aus den „K. und N.[“] noch klarer durchgeführt hast.

Daß du Henckell zum ModellKarl Henckell diente als Modell für die Figur des naturalistischen Dichters Franz Ludwig Meier in „Kinder und Narren“ [vgl. KSA 2, S. 685]. genommen und denselben ganz offenbar gebraucht hast, hat mich der Satisfaktion MiezesKarl Henckell war seit dem 29.5.1887 kurzzeitig mit Erika Wedekind verlobt gewesen. halber sehr gefreut und war es mir wirklich eine Wonne die Sache zu lesen, da ich einige Tage vorher sein ewig süffissantesSchreibversehen, statt: süffisantes; für: überhebliches, selbstgefälliges. Wesen in Lenzburg wieder genossen hatte.

Für dennSchreibversehen, statt: den. Sommer habe ich noch keine Pläne gemacht, ausgenommen des einen, daß, wenn immer möglich, ich denselben mit dir verbringen werde. Wo, ist mir vollständig eins. Allerdings würde ich es od namentlich des beiderseitigen Vergnügens halber vorziehen, die Zeit irgendwo anders zu verbringen, als | in München und wäre mir Florenz sehr lieb. Die Hitze ist zwar zu jener Zeit die größte, und die Stadt wahrscheinlich nicht stark von Fremden besucht, aber gerdade deshalb könnten wir es uns um so angenehmer machen, wenn nur du das heiße Klima ertragen kannst, das S mir wenig ant/z/utun vermag. Es wäre mir auch Gelegenheit geboten, meine Freunde in LivornoDonald Wedekind hatte im Frühjahr 1888 eine kaufmännische Lehre in Livorno begonnen und sich dort einige Monate aufgehalten. zu besuchen, was mir einige Überraschung gewähren könnte. AndreSchreibversehen, statt: Der andre. Punkt wäre Mailand, aber was das Klima anbelangt am besten Venedig, das für uns beide vielleicht dieselben Reize zu bieten vermöchte. Wien oder Paris wären ebenfalls nicht ganz vom Weg ab, aber ich sehe immerhin voraus, daß du mit dieser Reise uns deinem künftigen Aufenthalt verbinden willst. Ohne das wäre wie/m/ir die französische Hauptstadt v fast am willkommensten. Ich denke, daß wenn wir uns diesen Sommer wirklich nach | derSchreibversehen (Auslassung beim Seitenwechsel), statt: nach einem der. gegebenen Punkte wenden wollen, du zuerst in die Schweiz nach Zürich kämmestSchreibversehen, statt: kämest., von wo aus du wir dann die Reise miteinander fortsetzen können. Ist dies aber nicht der Fall, so möchte ich dich gerne erinnern, auf die betreffende Zeit, also Ende Juli od Anfang August etwas Geld bereit zu haben, da man mir leicht Schwierigigke Schwierigkeiten machen könnte, die natürlich gehoben wären, sobald ich einmal am Ziele meines Aufenthaltes anglelangt wäre. Immerhin hoffe ich daß Mama ohne Weiteres einwilligen wird.

Wie schon oben bemerkt, würde ich wirklich in deinem Interesse München verlassen und ich glaube, daß du gerade jetzt, da zwei deiner Werke draußen sind, mit ebenso viel Nutzen in Wien, Paris, Venedig, oder Florenz dich aufhalten wirst, wäre es nur drum, deinen | Sachen eine andre Nuancirung zu geben.

Ich müßte mich nicht sehr irren, wenn ich in den in deinem Briefe erwähnten MalerinnenFrank Wedekind hatte seinem Bruder Donald offenbar ähnlich wie gegenüber seinem Bruder Armin von seinem Pfingstausflug ins bayerische Voralpenland mit zwei namentlich nicht genannten Malerinnen berichtet [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 24.5.1891]. nicht die Fräulein Krüger erkannt habe, die schon damals, als ich dich besuchte, einen Glanzpunkt in deiner Bekanntschaft bildete. Ich hatte nicht das Vergnügen sie zu sehen und freue mich, daß dir das Glück blühte sie zu begleiten. Es ist viel im weiblichen Verkehr, wenn man weiß die Damen um sich und nicht sich um die Damen zu wickeln, allsonst sie unleidlich werden. Ich bedaure, daß Schereschephsky und Pohldie beiden Maler Wladimir Schereschewsky und Anton Pohl, die Donald Wedekind bei seinem Besuch in München im Sommer 1890 kennengelernt hatte. fort sind, letzterm bin ich noch außerordentlich verbunden durch das gute ReceptBezug unklar; möglicherweise das angeforderte Rezept zur Bekämpfung seines Filzläusebefalls [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 26.1.1891]..

Ich bitte dich, die Sache wegen der Reise zu überlegen und wenn du s/z/u einem sichern Resultat gekommen bist, mir dasselbe mitzuteilen. Bei der Combination kannst du mit mir wie mit einer Zahl mit doppelten Vorzeichen umgehn, ich bin zu allem bereit. Nochmals den besten Dank für deine CorrecturDonald Wedekind hatte seinem Bruder das Manuskript seiner Broschüre „Schloss Lenzburg in Geschichte und Sage“ geschickt und ihn um Korrektur gebeten [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 12.4.1891]. Das Begleitschreiben zu dem korrigierten ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 22.4.1891. und sonstige Bemühung um mein Werk, das mir wirklich ein liebes Kind geworden. Im Übrigen lebe wohl und empfang die herzlichsten Grüße von deinem treuen Bruder
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 25. August 1891 in Mailand folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mailand 25. August 1891.


Lieber Bebi!

Vielleicht hast du durch jemand anders schon erfahren, dass ich meinen Ferienaufenthalt in Mailand genommen habe. Ich kam nach hause, und als ich dort mit meinem Projekt nach München zu gehen, auf bedeutenden Widerstand stiess, war ich leicht zu bewegen meinen Domicil(lat.) Wohnsitz (im Italienischen maskulin). hier zu nehmen, zumal es nicht meine Neigung ist zweimal dieselbe Stadt zu besuchen, wenn es noch so viele andere giebt, die man noch nicht gesehen. Ich reiste also ab, mit einem versproch. Credithier: eine Auszahlung aus Donald Wedekinds väterlichem Erbe, das von Armin Wedekind verwaltet wurde. von 350. frs, von dem mir Hami aber erst 200 mitgab. Nun am Ende des ersten Monats, da ich mich | der 200 frs entblösst sehe, und für die noch rückständige Summe von 150. frs bitte, allerdings mit einem Zuschuss von noch einmal 150 frs, so dass mein ganzes Verlangen auf 300 frs gieng, von denen aber die Hälfte mir schon zugesagt war, schreibt mir MamaDas Schreiben von Emilie Wedekind an Donald Wedekind ist nicht überliefert. Den hier von Donald Wedekind nur paraphrasierten Inhalt, gibt Frank Wedekind in einem Brief an seine Mutter, um sie zur Zahlung der ausstehende Summe für den Bruder zu bewegen, als ihm angeblich von Donald mitgeteilte wörtliche Abschrift einer Postkarte wieder: „Lieber Donald / Da du mit deinem Gelde zu Ende bist, so mußt du eben sehen, wie du wieder herkommst. Ich schicke dir keines mehr. / Deine treue Mutter / E. Wedekind.“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 26.8.1891] rundweg, ich bekomme gar nichts mehr, ich solle selbst sehen, wie ich wieder heimkomme. Da ich nun unter 150. frs gar nicht hier loskommen kann, so bitte ich dich, anbetrachtSchreibversehen, statt: in Anbetracht. meiner baldigen MündigkeitserklärungAm 4.11.1891 wurde Donald Wedekind 20 Jahre alt und war damit volljährig; damit hatte er auch Zugriff auf sein Erbe. am 4 Nov. doch bei Hami Schritte zu tun, damit man mir zum mindesten so viel schickt damit ich loskommen kann und nicht dieser LapalieSchreibversehen, statt: Lappalie (= Kleinigkeit). wegen meine ganze Carrière(frz.) Karriere, Laufbahn, Werdegang. verderbe. Bitte, | tuheSchreibversehen, statt: thue. also etwas für mich, ich habe wahrhaftig nicht gedacht, dass ich dich 2 Monat vor meinem Majorathier: Volljährigkeit. noch einmal belästigen müsse, aber ich hätte auch niemals an eine solche eckle Kleinigkeit von Seiten Mamas gedacht. Bitte, tue was du kannst. Wenn du selbst etwas Geld vorrätig hast, so schicke so viel dir möglich istGegenüber seiner Mutter gab Frank Wedekind an, er wolle seinem Bruder 50 Franken schicken [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 26.8.1891]., denn ich glaube wahrhaftig, die Leute wollen auf ihrem eingebildeten Standpunkt bestehen. Ich bin in einer ungemein lästigen Verlegenheit und wäre ich dir sehr, sehr dankbar, wenn du mir womöglich sofort etwas senden könntest, dann aber in zweiter Linie Hami bewe | bewegenSchreibversehen (Silbenwiederholung beim Seitenwechsel), statt: bewegen. kannst, mir das verlangte Geld zu senden. Was den Aufenthalt anbetrifft, so hat sich derselbe, abgesehen dieses unangenehme Intermezzo(ital.) Zwischenspiel, Einschub., aufs schönste gestaltet und bedaure ich nur dich nicht bei mir zu haben. Also bitte, lieber Bebi, wirke, so viel du kannst, das Bevormunden in dieser Weise ist mir nach gerade furchtbar zuwider. Ich verbleibe dein treuer Bruder
Donald


No 1 Corso Vittorio Emanuele No 1
Meine Verlegenheit ist wirklich gross.

Frank Wedekind schrieb am 26. August 1891 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[1. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 26.8.1891 aus München:]


Da er sehr in Verlegenheit zu sein behauptet sende ich ihm frs. 50 […]



[2. Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 10.11.1891 aus Solothurn:]


[…] mit den letzten 50 frs und dem was du mir schicktest […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 10. November 1891 in Solothurn folgenden Brief
an Frank Wedekind

Solothurn 10 November 1891


Lieber Bebi!

Von Emma erfahr ich, daß Hami noch immer leidend, meinen AuftragDonald Wedekind hatte seinen Bruder Armin Anfang des Monats um die Zusendung von Geld gebeten (siehe unten). nicht ausführen kann. Ich bitte dich, dir den Brief, den ich an Hami schriebDonald Wedekinds Brief an seinen Bruder Armin ist überliefert [vgl. Donald Wedekind an Armin Wedekind, 1.11.1891; Mü, FW B 304]. Er hatte ihn darin für die Begleichung von Schulden und zur Ergänzung der schlechten Kost im Schulpensionat um die rasche Übersendung von 220 Franken gebeten. Ferner bat er um Zusendung von Reithosen seines Vaters. dir übergeben zu lassenFrank Wedekind hielt sich demnach vermutlich in Lenzburg oder Zürich auf. und mir so bald wie möglich die darin verlangten 220.00 frs zu übersenden. Ich habe eine ziemliche Qan/u/antität Schuld zu bezahlen und werde das übrige Geld zur SuplementirungSchreibversehen, statt: Supplementirung (= Ergänzung). meiner höchst mangelhaften Kost benutzen. Wenn du bei meiner Abrechnung bist, so bringe doch das Geld, das ich dir in dem letzten Jahr schuldig geworden, so in Rechnung, daß es mir zur Last fällt, so daß ich dann mit dem besten Dank dir die Sum|me zurückerstattet hätte. Sie beläuft sich mit den letzten 50 frs und dem was du mir schicktestHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der letzten Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 26.8.1891. auf circa 100 frs. Dazu kommen noch ungefähr 60 frs, die du mir damals in Münche vorstrecktest, so Hami dieselben nicht schon in Rechnung gebracht hat. Also schicke die verlangte Summe sobald es möglich ist, da, ich, schon etwas Schulden abbezahlt, ziemlich aller Mittel entblößt bin. Mit den besten Grüßen an Mama und Mati, deren Wunschnicht ermittelt. bald in Erfüllung gehen wird, verbleibe ich dein treuer Bruder Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 7. August 1892 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg 7. August
1892


Lieber Bebi!

Mit gespanntem Interesse ergreife ich die Feder um dir, wenn es das Schicksal will, einige angenehmre Nachrichten aus deinem CholeraSeit Anfang August berichtete die Presse über die sich ausbreitende Cholera in Paris: „Die Zahl der Todesfälle an Cholera betrug in Paris bis Ende Juli schon über 400.“ [Zuger Volksblatt, Jg. 22, Nr. 92, 6.8.1892, S. (3)]. „Manche Fälle zogen einen jähen Tod nach sich, und die Sterblichkeitsziffer betrug nicht weniger als 90 Prozent der Erkrankten.“ [Walliser Bote, Jg. 35, Nr. 32, 6.8.1892, S. 3] befallenSchreibversehen, statt: befallenen. Paris zu entlocken, während vorher in der Todtenstille meines monotonen Schullebens mir ein brieflicher Verkehr TatsächlichSchreibversehen, statt: tatsächlich. nicht von großer Bedeutung erschien. Die langersehnte Maturität(schweiz.) Abitur. wäre endlich bestanden und bildet für Mama einen Markstein in meinem Leben, sonst stellt sie aber auch gar nichts dar, ausgenommen ich mache mich wieder einmalDonald Wedekind hatte sich von Februar bis November 1889 in den USA aufgehalten und erwogen, dorthin auszuwandern. auf die Wanderschaft nach Amerika und habe dort ein Papier mehr vorzuweisen. Wegen dir ist man hier allgemein in Sorge, und es schiebt Eines dem Andern die Aufgabe zu, dich von Paris hierher in die Sommerfrische zu laden, was schließlich, da Mama keine Pensionaire mehr hat, Hami, der alle Welt langweilend und einen unziemlichen Bierton in unser Leben bringt, nächstdem in acht Tagen wieder nach Zürich geht, das Wetter noch schön zu bleiben verspricht, für dich ganz angenehm zu werden verspräche, voraus|gesetzt du hast in Paris nicht Aussichten auf einen schönern Landaufenthalt. Für mich würde es die größte Freude bilden, die ich seit langem erlebt. Auch Mieze würde sich, trotzdem sie dir sehr böse ichSchreibversehen, statt: böse ist., daß du ihr einmal den KünstelerfunkenSchreibversehen, statt: Künstlerfunken. abgesprochen, sehr freuen. Sie wird, denke ich, kaum mehr als vielleicht vierzehn Tage bis drei Wochen mehr hier bleiben. Dann kehrt sie nach Dresden zurückErika (Mieze) Wedekind studierte seit Dezember 1890 Gesang am Konservatorium in Dresden. um nach einigen Monaten Mama nach sich zu ziehen, die den Winter bei ihr verleben will, sei das Schloß verkauftDer geplante Schlossverkauf zog sich wegen der Auseinandersetzungen mit dem Lenzburger Gemeinderat um die Sicherung des Schlossfelsens in die Länge [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 155-157]. Im März 1893 wurde es schließlich für 120.000 Franken von dem amerikanischen Unternehmersohn August E. Jessup erworben [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 1.3.1893]. oder nicht. Die Verhandlungen sind noch in lebhaftem Betrieb.

Gestern erhielt ich von Mati einen Brief aus GenfEmilie (Mati) Wedekind besuchte seit dem 1.5.1892 das Genfer Mädchenpensionat Les violettes von Emma und Helene Dürst. Ihr Brief an Donald Wedekind ist nicht überliefert., worin auch sie mir die heikle Frage vorlegt was ich zu beginnen gedenke. Einstweilen habe ich einen solchen Abscheu vor dem hosenzerrutschenden Bänkesitzen bekommen, daß ich mich nicht entschließen kann schon diesen Herbst von Neuem mich in irgend etwas hinein zu arbeiten. Ich werde hier bleiben, so lang wie das schöne Wetter anhält, wendet sich dieses zum Bösen, so war immer mein Plan, n/d/ich nach der ersten Hitze der Hundstagedie meist heißen Sommertage zwischen dem 23.7. und dem 23.8., benannt nach dem Sternbild des Großen Hundes. in der französischen Metropole aufzusuchen, aber ich habe diesen Plan aufgegeben, so gern ich dich gesehen hätte, einerseits wegen der schlechten Gesundheitsnachrichten, die von dort kommen, ander|seits weil Paris allzu weit von unsrer eigentlichen Reiseroute abliegt. So muß ich dich noch einmal bitten, folge doch meinem Rufe und komme hierher. Wird das Wetter schlecht, so ziehen wir uns nach Zürich zurück, da ich nicht in Lenzburg unter einigermaßen schlechten Witterungsverhältnissen bleiben könnte, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, melancholisch zu werden. Sind dann die heißeren Monate vorüber, so könnten wir uns beide rüsten zur Weiterreise, du nach Paris, ich nach Italien, wo ich den Winter über in Rom zu bleiben gedenke. In erster Linie um mich zu erholen, in zweiter Linie um zu sondiren, auf welchem Wege ich am leichtesten meine Talente verwerte. Ist dort das Terrain günstig, so werde ich dann für einige Zeit bleiben, finde ich nicht, was ich suchte, so werde ich nach Belgien an irgend welche geistliche Universität gehen oder im dritten Falle nach Paris. Auf dieser Reise könnten wir nun mit großer Leichtigkeit Mati besuchen, ohne daß ein jeder groß von seinem Wege abgelenkt würde, ich werde unter allen Bedingungen die Reise durch den Mont CenisDer Eisenbahntunnel durch den Mont Cenis, ein französisch-italienisches Bergmassiv in den Westalpen mit bis zu 3612 Meter Höhe, wurde 1871 eröffnet. machen. Vielleicht auch die Riviera und Florenz besuchen. Livorno würde ich ebenfalls beachten, um dort meine | geistlichen BekanntschaftenDonald Wedekind hatte während seines Aufenthalts in Livorno im Frühjahr 1888 den Vikar des Bischoffs und etliche Geistliche kennengelernt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 12.4.1888]. wieder aufzufrischen. In Rom werde ich für die erste Zeit Muße genug haben, meine amerikanischen ReisenDonald Wedekind schrieb vermutlich seit September 1890 an einem Text über seinen Amerikaaufenthalt 1889 [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.9.1890], den er nun weiter ausarbeitete. Er publizierte ihn schließlich unter dem Titel „Eine Auswandererfahrt“ in der Beilage der „Züricher Post“ im Februar und März 1894 in mehreren Teilen (Nr. 29 vom 4.2., Nr. 36 vom 13.2., Nr. 41 vom 18.2., Nr. 47 vom 25.2. und Nr. 53 vom 4.3.1894)., soweit ich sie ausführen will zu beendigen. Ich arbeitete während der Zeit der Maturitätsvorbereitung ein bedeutendes Stück daran, und sobald ich das erste St einen Teil umgeschrieben habe, werde ich ihn dir einsenden. Hoffentlich aber wirst du noch vorher hier eintreffen. Ich glaube Mati wüßte sich vor Freude kaum zu halten, wenn wir sie zusammen besuchten. Willy geht es gut. Schreibe mir, was du zu Allem diesen denkst und melde dich so bald wie möglich an. Dein treuer Bruder Donald.


[am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Mieze und Mama lassen dich grüßen und geben dir auch den Rat Paris zu verlassen.


[auf Seite 1 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Mama glaubt dich deinem Stillschweigen nach zu schließen, schon in Amerika. Sollte dies der Fall sein, dann gut Glück zum amerikanischen Leben und die besten Grüße für Tante PlümacherWedekinds Nenntante Olga Plümacher war mit ihren Kindern Hermann und Dagmar 1886/87 in die USA nach Beersheba Springs, Tennessee zurückgekehrt [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 34].!

Frank Wedekind schrieb am 18. September 1892 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 26.9.1892 aus Rom:]


Diesen Morgen kam ich hier an und mein erster Gang war auf die Post zu deinem Brief, den ich erhalten habe.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 26. September 1892 in Rom folgenden Brief
an Frank Wedekind

HÔTEL BÜRGENSTOCK
GRAND HÔTEL de la MINERVE
(I. Sauve)
ROME (C)
LIFT ASCENSEUR
MÊMES MAISONS
GRAND HÔTEL & MÉDITERRANÉE
á Pegli près Gênes.
HÔTEL de l’EUROPE à Lucerne.
près(frz.) nahe, bei. Lucerne.
BUCHER–DURRER

Propre.


Lieber Bebi!

Diesen Morgen kam ich hier an und mein erster Gang war auf die Post zu deinem Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 18.9.1892., den ich erhalten habe. Was meine Tour anbetrifft, so war sie vom besten Wetter begünstigt und genoß ich Zeit und Gelegenheit aufs beste. ich reiste über TurinDonald Wedekind verlies Genf, wo er mit seinem Bruder Frank die Schwester Emilie (Mati) besuchte hatte, am Freitagabend, den 9.9.1892 [vgl. Frank Wedekind an Emile Wedekind, 13.9.1892]., wo ich 2 Tage blieb, nach Savona, San Remo | Mentone, Monte Carlo und Nizza. Da Nizza jetzt noch todt ist, so reiste ich wieder zurück nach Monte Carlo, wo ich mich volle acht Tage aufhielt, um das dortige Leben kennen zu lernen. Ein Hôtel hatte ich, einzig auf dem Erdboden, die angenehmste Reisegenossinnicht identifiziert. in einer jungen Marseillaise, die ich von Nizza mitgenommen habe. Über das SpielRoulette. wäre unendlich viel zu sagen, treffen wir uns wieder so will ich dir alles erzählen. Deine MethodeFrank Wedekind hat seinem Bruder offenbar Empfehlungen für das Spielen am Roulettetisch gegeben; der Kontext legt nahe, dass er ihm die Martingale-Strategie empfohlen hatte, bei der im Verlustfall der folgende Einsatz stets verdoppelt werden muss, bis gewonnen wurde. Das System ist limitiert durch den von der Spielbank vorgegebenen Höchsteinsatz und damit der Anzahl möglicher Verdoppelungen des Einsatzes. klappt schon deswegen nicht, weil der höchste EinsatztSchreibversehen, statt: Einsatz. auf simple Chanceeine Wette beim Roulette, bei der sich der Einsatz im Gewinnfall verdoppelt. Dies geschieht beim Setzen auf Rot oder Schwarz, Gerade oder Ungerade sowie Niedrig oder Hoch. | 6000 frs.Am Roulettetisch gilt in der Regel als Höchsteinsatz das 1200-fache des Mindesteinsatzes, der sich in diesem Fall auf 5 Francs beliefe. ist, während er auf einer Numero 9 LouisJeton im Wert von 20 Francs; der Höchsteinsatz auf eine einzelne Zahl betrug demnach 180 Francs. nicht übersteigt. Außerdem beobachtete ich das abwechselnde Fallen der Kugel auf R. & N. 12 Mal. Das Contin. auf R. oder N. ebenfalls. Die einzige raffinirte Art ist die StatistikDas hier geschilderte Mitzählen der Gewinnereignisse Rot oder Schwarz soll das chancenreichere Setzen ermöglichen., nach der kann man bisweilen mit Sicherheit schielen. Oft aber schlägt sie ganz fehl. Über Genua reiste ich nach Pisa und Florenz, von wo ich meine Gesellschafterin heimschickte. Das sind im Großen meine AbenteurSchreibversehen, statt: Abenteuer.. Ich danke dir innigst für deine Mühe und bitte dich die Schlüssel und den Reçewohl Kurzform für (frz.) Récépissé (= Aufgabeschein, Empfangsbestätigung, Zahlungsbeleg); hier wahrscheinlich der Abholschein für das übersandte Gepäck [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 11.10.1892]. an meine untenstehende Adresse zu schicken. Ich verbleibe dein treuer Bruder Donald.

Via della Frezza No 65
p
2
presso(ital.) bei, nahe. il Corso

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 11. Oktober 1892 in Rom folgenden Brief
an Frank Wedekind

Rom 11. Oktober 1892


Lieber Bebi!

Fürs erste danke ich dir für die Pünktlichkeit, mit welcher du meine Aufträgevgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 26.9.1892. ausgerichtet hast. Die Schlüssel sind in meine Hände gelangt und noch am selben Tag wurde das Gepäck auf mein Zimmer befördert. Es war in vollständig gutem Zustand.

Nur ein zweites. Mit diesem Briefe geht der erste Theil meiner Arbeitvermutlich das nicht überlieferte Manuskript zu Donald Wedekinds Reisbeschreibung „Eine Auswandererfahrt“ (1894). an dich ab und ich bitte dich, wenn du Zeit hast, dieselbe einmal durchzusehen. Findest du sie einer Correctur würdig und ist eine solche von Nöten, so bitte ich dich dieselbe zu vollziehen. Wenn es auch nicht in den nächsten Tagen möglich ist, so doch in den nächsten Wochen. Sollte es dir aber unmöglich sein eine Correctur vorzunehmen, sei es des Mangels an Zeit, sei es der Minderwertigkeit der Arbeit wegen, was mich nicht wundern würde, da ich sie zum | großen Teil schon vor zwei Jahrenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.9.1890. verfaßt habe, oder sei es deßwegen, daß die Arbeit keiner solchen bedarf, was ich indessen kaum glaube, so bitte ich dich das Manuskript sofort wieder zurückzusenden. Wenn du aber eine Correctur vornehmen willst, was ich dir immer verdanken werde, so tue es so bald wie möglich. Mein Urteil über die Arbeit ist natürlich ein gutes, abgesehen von einigen Passagen, die mich jetzt beim Durchlesen selber frappirten. Was den TitelOb das Manuskript einen anderen Titel trug als der publizierte Reisebricht, ist nicht bekannt. anlangt, so glaube ich, ist d/e/r nicht übel gewählt, nur etwas zu Vielversprechend. Ich h denke die Arbeit in der Zürcher ZeitungTatsächlich erschien Donald Wedekinds Reisebericht „Eine Auswandererfahrt“ nicht in der Neuen Zürcher Zeitung, sondern im Frühjahr 1894 in mehreren Teilen in der Beilage der „Züricher Post“ [Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894]. erscheinen zu lassen, solltest du aber einen bessern Vorschlag haben, so laß ihn mich wissen. Auch wirst du sagen, daß du mich in LenzburgFrank Wedekind war ab Mitte August 1892 von Paris aus für vier Wochen zu Besuch in Lenzburg, Bern und Genf und traf dabei Donald Wedekind. zur Correctur aufgefordert hast. Das ist wahr und ich scheute mich mit dir eine solche vorzunehmen, erstens weil ich mit der Abschrift noch nicht zu Ende war, zweitens aus der allgemeinen schlechten Laune, in der ich mich befand, und die mich bis hierher verfolgte und michr jede Bekanntschaft verleidet. Ich sehe es immer mehr ein, daß ich wirklich eine | Abneigung gegen Alles das habe, was die Menschen unter dem Begriff „Gesellschaftliches Leben“ zusammen greifen und ich lasse hier in Rom so sehr meinen Launen die Zügel schießen, daß ich mich tatsächlich bade in Weltschmerz, wobei ich mich unbedingt am besten befinde. Nicht daß ich keine Versuche mache mich in das Leben zu stürzen, aber alle dienen nur dazu mich meine Relation zu mir selber enger knüpfen zu lassen. Ich lese zum zweiten Mal die „BekenntnisseRousseaus“ und spiegle mich gewissermaßen, was eines meiner Hauptvergnügen ist. Du wirst mich vielleicht bedauern, du tätest Unrecht daran, aber du wirst vielleicht auch sagen „er ist ein Dummkopf“ und damit hättest du vielleicht mehr den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich könnte dir auch noch eine lange Auseinandersetzung schreiben, wie der SelbstmordDonald Wedekind erschoss sich am 5.6.1908 im Wiener Prater. mir unendlich nahe liegt und wie ich fühle, daß, wenn ich mich je tödten wollte, es so lange geschehen müßte, so lange ich noch in guten Verhältnissen lebe, nachher würde es mir unmöglich sein. Aber ich will dich verschonen. Kurz, du hast hier wieder eine Herzensergießung, die, mündlich, wahrscheinlich ganz auf etwas Andres | hinausgelaufen wäre, so aber zu diesem geworden ist.

TuheSchreibversehen, statt: Thue. mir den einen Gefallen und weise meine Bitte nicht schroff ab, zu was du nach meinem äußerlichen Benehmen schon das Recht hättest, es würde mich jetzt, da mir diese kleine DillettanterieSchreibversehen, statt: Dilettanterie (= Liebhaberei, Leidenschaft). meine Hauptunterhaltung bildet, allzusehr schmerzen. Der beste Beweis, daß eine Art zu verkehren, wie sie die meine in Lenzburg war, nicht das ist, was sie nach Außen scheint, ist, daß, sobald die Personen fern von mir sind, die Liebe in mir über jede andere Regung die Oberhand erhält und ich mir alle Vorwürfe mache. Also bitte, schreibe mir wenigstens einige Zeilen und nimm die Correctur, wenn eine solche nötig ist sobald wie möglich vor. Das nächste Mal über Rom. Ich wünsche dir den besten Erfolg zu deinen Arbeiten und bleibe dein treuer Bruder
Donald


Via della Frezza 65 p 2


[um 180 Grad gedreht:]

Die kleine, eingeflochtene Geschichtemöglicherweise die im Februar 1890 von Donald Wedekind an seinen Bruder geschickte Geschichte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 7.2.1890], bei der es sich um die in Kalifornien spielende Erzählung „Der Kandidat am goldenen Thor“ gehandelt haben dürfte, die später in Donald Wedekinds erstem Band mit Erzählungen, „Das rote Röckchen“ (Berlin 1894), erschien. Die Protagonistin trägt dort den Namen Lilly. besitzt du schon in einem Exemplar. Das beigefügte Papier dient zur Correctur. Das überflüssige steht zu deinen Diensten. Ich änderte in der Skizze den Namen und ersetzte ihn durch Ida, der mir recht gefällt, indessen läßt sich das ja leicht ändern. Du wirst zugestehen, daß gewisse Punkte äußerst drollig sind. Es sollte mich sehr freuen, wenn du einigermaßen befriedigt wärest. D. treuer Bruder Donald.


Der II. Teil beträgt ungefähr ebenso viel, ist aber noch nicht beendet.

Frank Wedekind schrieb am 20. Oktober 1892 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 28.10.1892 aus Rom:]


[…] dein Brief hat mich sehr gefreut […]

  

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 28. Oktober 1892 in Rom folgenden Brief
an Frank Wedekind

Rom 28. Oktober 1892


Lieber Bebi,

dein Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück, Frank Wedekind an Donald Wedekind, 20.10.1892. hat mich sehr gefreut und der Eifer mit dem du dich der Sacheder Korrektur des ersten Teils des Manuskripts zu dem Reisebericht „Eine Auswandererfahrt“, das Donald Wedekind seinem Bruder zusammen mit Korrekturpapier zuletzt übersandt hatte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 11.10.1892]. annimmst. Ich habe gesucht den betreffenden Abschnitt so gut wie möglich gemäß deinen Wünschen umzuarbeiten, glaube aber nicht daßerSchreibversehen, statt: daß er. verwendbarer ist. Immerhin wird die Einheit besser ihren Weg finden. Ich sende dirDas beigelegte Manuskript ist nicht überliefert. mit dieser Episode zugleich eine Partie des zweiten Teiles, damit du einen Einblick bekommst, und mir schreiben kannst obr er überhaupt verwendbar ist, da er immer in demselbern hochabenteuerlichen Styl weitergeht und schließt. Ich glaube daß die Episode mit Newbauerfehlt in der publizierten Fassung von „Eine Auswandererfahrt“ in der Beilage der „Züricher Post“ [Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894]. sehr gut ist. Ich habe leider noch nicht einseitig geschrieben weil die Abschrift bei Ankunft deines Briefes schon fertig war. Es freut mich, daß du viel zu arbeiten hast, es ist dann das beste Zeichen für einen | jeden Menschen. Die letzte Woche habe ich meine Wohnung gewechselt. Ich zog aus dem Centrum der Stadt, hinauf auf den Berg PincioHügel im Norden Roms mit Parks und Gärten., wo ich auf einer seiteSchreibversehen, statt: Seite. die Landschaft habe, auf der andern Seite die Stadt mit ihren Hügeln. Das Wetter ist herrlich, und ich fühle mich sehr wohl. Sei gegrüßt von deinem immer treuen Bruder
Donald


Porta Pinciana No 72 p 40


P. S. Ich sende diesmal kein leeres Papier mit, da du voraussichtlich noch genug haben wirst.

Frank Wedekind schrieb am 6. Dezember 1892 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis und Referat in Frank Wedekinds Tagebuch vom 6.12.1892 in Paris:]


Schreibe im Café an Donald, daß ich ihm den Zarathustra nebst der Correctur seiner Feuilletons Ende der Woche schicken werde.

Frank Wedekind schrieb am 11. Dezember 1892 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[1. Hinweis in Frank Wedekinds Tagebuch vom 6.12.1892 in Paris:]


Schreibe im Café an Donald, daß ich ihm den Zarathustra nebst der Correctur seiner Feuilletons Ende der Woche schicken werde.



[2. Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 22.1.1893 aus Rom:]


Deine Bücher habe ich schon längst erhalten […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 22. Januar 1893 in Rom folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Bebi!

Deine BücherFrank Wedekind hatte seinem Bruder im Dezember wenigstens ein Buch zugeschickt, das Begleitschreiben dazu ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 11.12.1892. Am 6.12.1892 notierte er: „Schreibe im Café an Donald, daß ich ihm den Zarathustra nebst der Correctur seiner Feuilletons Ende der Woche schicken werde.“ [Tb] Welche weiteren Bücher außer Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ (1891) er aus Paris an Donald Wedekind schickte, ist nicht bekannt. Die versprochenen Korrekturen des Manuskripts lagen offenbar nicht bei (siehe unten). habe ich schon längst erhalten nun mußt du entschuldigen, daß ich so lange nicht geschrieben habe, da ich all zu sehr beschäftigt war. Auch habe ich sie noch nicht zu Ende gelesen und werde sie daher noch einige Zeit behalten. Der Zustand, in welchem sie hier anlangten, war nicht der beste, auch ist ein Band mit Tinte befleckt und da ich weiß, daß du mir Sorgfalt noch besonders empfohlen hast, so möchte ich gerne wissen, ob diese Befleckung auf der Reise geschehen ist, damit ich dem Direktor des Postwesens nicht identifiziert.meine Beschwerde vorlegen kann. Ich kenne den Mann sehr gut und weiß, daß er großes Gewicht auf meine Beschwerde legen würde. Schreibe mir daher, wie ungefähr die Bücher beschaffen waren, als sie Paris verließen. Im Übrigen verspreche ich dir zwei schöne Pergamenteinbängde mit Golddecoration, was man hier sehr luxuriös und billig zu machen versteht, da die Esel viel PergamentPergament wird aus Tierhaut, unter anderem der von Eseln, hergestellt und diente als Bucheinbandmaterial. liefern. | An meine ReisebeschreibungDonald Wedekind arbeitete seit September 1890 an einem Reisebericht über seine Amerikareise, der im Frühjahr 1894 unter dem Titel „Eine Auswandererfahrt“ in mehreren Fortsetzungen in der Beilage der „Züricher Post“ erschien. Frank Wedekind korrigierte die von ihm übersandten Manuskripte. Am 6.12.1892 notierte er dazu: „Zu Hause angekommen finde ich seinen New Yorker Aufenthalt so schwach, daß ich beschließe ihn völlig umzuschreiben, komme aber nicht weit damit.“ [Tb] Die in dem nicht überlieferten Brief vom gleichen Tag [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 6.12.1892] angekündigte Übersendung der Korrekturen (siehe oben) unterblieb offenbar. habe ich selber nicht mehr gedacht in den letzten Wochen. Jetzt aber, wo ich etwas mehr Ruhe habe, ist sie mir wieder in ihrer ganzen Bedeutung eingefallen und es wäre mir lieb wenn du mir wenigstens ein Stück zurücksenden könntest, damit ich es ins Reine bringe.

Die letzte Zeit hat in Rom viel Neues, namentlich in Klerik-Kreisen gebracht. Acht CardinäleZu den Feierlichkeiten seines 50-jährigen Bischofsjubiläums, die am 8.1.1893 begannen, hat Papst Leo XIII. am 16.1.1893 tatsächlich 14 Kardinäle berufen. Die Presse berichtete: „Im Vatikan zu Rom hat Montag Vormittags das kürzlich angekündigte geheime Konsistorium stattgefunden. In demselben ernannte der Papst zu Kardinälen: Den Sekretär der Propaganda Msgr. Perfico, den Unter-Staatssekretär Msgr. Mocenni, einstigen Sekretär der Wiener Nuntiatur, den Nuntius in Madrid Msgr. Di Pietro, den Nuntius in Wien Msgr. Galimberti, den Erzbischof von Fermo Msgr. Malagola, den Erzbischof von Messina Msgr. Guarlino, den Erzbischof von Tours Msgr. Meignan, den Erzbischof von Köln Msgr. Krementz, den Fürstbischof von Breslau Msgr. Kopp, den Primas von Ungarn Msgr. Vaszary, den Erzbischof von Sevilla Msgr. Sanz y Forez, den Erzbischof von Westminster Msgr. Vaughan und den Primas von Irland Msgr. Logue.“ [Neuigkeits-Welt-Blatt, Nr. 14, 18.1.1893. 2. Bogen, S. (1)] sind geschaffen worden, der General der JesuitenGeneraloberer der Gesellschaft Jesu war seit dem 18.1.1892 der Spanier Luis Martín García. Die Presse berichtete: „Am 16. d. M. ist der General der Jesuiten, der Hochwürdigste P. Martin in Rom eingetroffen und hat im Palazzo des Collegium Germanicum Wohnung genommen.“ [Grazer Volksblatt. Jg. 26, Nr. 16, 20.1.1893, S. (2)] ist mit 9 Väternnicht ermittelt. angelangt. Ich lernte ihn mit seinem ganzen Hof kennen und verweilte die letzte Zeit ohne Unterlaß in seiner unmittelbaren Nähe. Cardinal MelchersDer 80jährige Paulus Ludolf Melchers war Bischof von Osnabrück und Erzbischof von Köln gewesen und seit dem 27.7.1885 Kardinal in Rom. Im Zuge des preußischen Kulturkampfes gegen die katholische Kirche wurde er wegen Gesetzesverstößen mehrfach angeklagt, verbrachte 1874 aufgrund einer verweigerten Strafzahlung mehrere Monate im Kölner Gefängnis Klingelpütz und floh 1875 in die Niederlande, von wo aus er die Kölner Diözese weiter leitete; 1884 ging er nach Rom., hat mich verschiedene Male zu sich rufen lassen. Er ist ein Mann von 82 Jahren, hat mit der Abgabe seines EpiskopatesAmt des Bischofs. seine Bedeutung verloren, wird aber von Allen als der Cardinal mit 2 Jahren schwerer Kerkerhaft und einer gefahrvollen Flucht und | langjährigen Verbannung hoch geachtet. Seine geistige Erbschaft scheint Mgr GratzfeldMonsignore Peter Gratzfeld war Sekretär des Kardinals Melchers und Geheimkämmerer des Papstes, er ging nach dem Tod von Melchers 1895 zurück nach Deutschland., sein Sekretär antreten zu wollen, und soweit ich ihn kenne, scheint er mir der Mann zu sein, der dazu fähig ist. Ich fühlte dem Cardinal leise auf den Zahn, ob er vielleicht Verwandte ichSchreibversehen, statt: in. AmerikaAnspielung auf den Amerikaner Heinrich Melchers, eine Münchner Kneipenbekanntschaft Frank Wedekinds, den auch Donald Wedekind bei seinem Aufenthalt im Sommer 1890 in München kennengelernt hatte. Frank Wedekind notierte er in seiner Namensliste im Tagebuch des Jahres 1890: „Großneffe des Cardinal Melchers in Rom“ [Tb, S. 115]. habe, er wollte aber nichts davon wissen. Überhaupt scheint er nicht dem NipotismusSchreibversehen, statt: Nepotismus (= Begünstigung von Verwandten, Vetternwirtschaft). ergeben zu sein, indem man nichts von seinen Verwandten hört.

Die Crème der Companie di Jesùwichtige Angehörige des Jesuitenordens (Gesellschaft Jesu; Societas Jesu). Der Orden war 1773 vom Papst aufgelöst und 1814 wiederzugelassen worden. Im Deutschen Reich war er seit 1872 verboten (Jesuitengesetz). ist jetzt hier, allerdings ohne daß fremde Kreise etwas davon wissen. In erster Linie P. Generaldas Oberhaupt des Jesuitenordens (siehe oben)., ein noch verhältnißmäßig junger Mann, der nichts Asketenhaftes an sich hat, groß, breit ist, ein Gesicht wie aus Rindsleder geschnittSchreibversehen, statt: geschnitten., mit festen, starken Zügen, und tiefschwarzen Augen und Haaren. Er riecht von Weitem schon nach Tabak, was namentlich die Gesandten, die er empfing, sehr irritirte. Man hofft allgemein daß er die Paternitäteigentlich Vaterschaft; hier: das Amt (und zugleich die Anrede) des Generaloberen der Jesuiten. lange innehalten werde. Dann P. MeschlerDer Schweizer Jesuit Moritz Meschler war von 1881 bis 1884 Provinzial der deutschen Jesuiten; von 1892 bis 1906 Assistent des Generaloberen in Fiesole und Rom., der ProvinzialVorsteher einer Ordensprovinz. von Deutschland, der zum Assisten avancirt ist. Ein Mann wie | ein Papierstreifen, so dünn. P. Brünnicht identifiziert., ebenfalls Assistent der Paternität. P. SteinhuberDer deutsche Jesuit Andreas Steinhuber war von Papst Leo XIII. am 16.1.1893 unter Geheimhaltung (‚in pectore‘) zum zukünftigen Kardinal ernannt worden. Die Presse berichtete: „Am Schlusse der Allocution kündigte der Papst an, daß er zwei weitere Kardinäle in pectore reserviert habe. Man glaubt, daß es sich dabei um den gelehrten, in Rom residirenden deutschen Jesuiten Steinhuber und um einen französischen Bischof handle.“ [Neuigkeits-Welt-Blatt, Nr. 14, 18.1.1893. 2. Bogen, S. (1)], der Inquisitor ord. secundiInquisitor zweiter Ordnung (= kirchlicher Untersuchungsrichter); Andreas Steinhuber hatte die Ämter des Konsultors der Kongregation für die Glaubensverbreitung (Propaganda Fide) und der Inquisition inne., der jetzt beinahe Cardinal geworden wäre. Alle diese ferner noch 10 Patres vom Germanicumdas von Jesuiten geleitete Priesterseminar Pontificium Collegium Germanicum et Hungaricum de Urbe in Rom (Via di S. Nicola da Tolentino 13). , 2 von der Universitätdie vom Jesuitenorden geleitete Pontificia Universitas Gregoriana., 3 MonsignoriMonsignore ist ein Ehrentitel katholischer Priester. und 4 Cardinäle waren beim Essen im Germanicum selber, wohnen dort für die Zeit ihres hierseins, bis die Patres wieder nach FiesoleIm toskanischen Fiesole befand sich die Generalkurie des Jesuitenordens. und die Cardinäle nach Deutschland zurückkehren. Am letzten Sonntag wohnte ich der ersten KammerBezug unklar; möglicherweise ist der Palazzo Montecitorio gemeint, in dem seit 1871 die Abgeordnetenkammer, das Unterhaus des italienischen Parlaments, ihren Sitz hat., und heute der hl. Messe des Papstes bei. So viel für heute. Mandoline spiele ich auch und studire Ethik und Ontologie am Gregorianumdas Gebäude der Päpstlichen Universität Gregoriana an der Piazza della Pilotta in Rom.. Ich bin dein treuer Bruder Donald. Würde ich im Frühjahr nach Deutschland zurückkehren, so würde man mit/r/ nach Beschluß der Paternität die Reliquien des hl. AloysiusAloysius von Gonzaga, italienischer Jesuit aus Castiglione della Stiviere, verstarb 1591 in Rom mit 23 Jahren an der Pest und wurde am 31.12.1726 heilig gesprochen. Er gilt als der Schutzheilige junger Studenten. mitgeben, die ich auf 3 Plätze zu verteilen habe. Auf LorettoLoreto, Stadt in der italienischen Provinz Ancona, bedeutender katholischer Wallfahrtsort mit der päpstlichen Basilika vom heiligen Haus. , an das Domkapitel, auf CastiglioneCastiglione della Stiviere, italienische Stadt in der Provinz Mantua; in der dortigen, von Jesuiten erbauten Wallfahrtskirche San Luigi Gonzaga ist die Schädelreliquie des Aloysius von Gonzaga zu sehen., einem alten Stifte von adeligen DamenDie „JUNGFRAUEN JESU oder Jungfrauen von Castiglione, eine von drei frommen Prinzessinnen aus dem italienischen Fürstenhause Gonzaga, Cynthia, Olympia und Gridonia, Töchter des Fürsten Rudolf von Castiglione und Nichten des sel. Ludwig von Gonzaga, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gestiftete geistliche Gemeinschaft adliger, oder aus einer angesehene Familie stammender Jungfrauen. […] Der Verein trat in der Mitte des Jahres 1607 wirklich ins Leben, der Jesuit Cepaire entwarf die Satzungen für denselben und Papst Paul V. gab seine Bestätigung mündlich.“ [Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste. Hg. v. Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber, 2. Sektion, 29. Teil, Leipzig 1852, S. 39], bei Mantua, gegründet von dem Heiligen, und auf das Colleg in Feldkirchdas Jesuitenkolleg und staatliche Gymnasium Stella Matutina im österreichischen Feldkirch (seit 1856).. Ich weiß nicht | ob die Paternität die Zustimmung vom heil. Vater erhalten wird, im letzteren Falle wäre mir vielleicht ein Cavalierstitelwohl ironisch in Anspielung auf die verschiedenen päpstlichen Verdienstorden, die, sofern Ritterorden, zum Titel ‚Cavaliere‘ verhelfen. nicht so fern.

Ich freue mich jetzt recht wieder auf ein Wiedersehen, ich glaube wir würden uns nicht so übel unterhalten. Von Mieze weiß ich gar nichts. Wird es mit der Reliquie ex ossibus Sancti Aloysi(lat.) aus den Knochen des Heiligen Aloysius. nichts, so wäre es nicht ausgeschlossen, daß ich wieder die RivieraDie italienisch-französische Riviera-Küste bereiste Donald Wedekind bereits bei seiner Anreise nach Rom [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 26.9.1892]. nehme und bis nach Paris vordringen, würde, aber vielleicht bleibe ich auch ganz hier. Schreibe mir doch, wie es dir geht, was Mieze macht, von der ich keine Notiziarewohl für (ital.): notizario = Nachrichten. haben. Mati hat mir den TabaksbeuttelSchreibversehen, statt: Tabaksbeutel. geschickt. Ich habe viele abgetödtete Leutehier wohl für Personen, die ein Ordensgelübde abgelegt haben. kennen gelernt und sehne mich selbst nach Abtödtungzentraler Begriff katholischer Askese, die auf eine Kontrolle des Trieblebens zielt. aber es fältSchreibversehen, statt: fällt. schwer. Die Römerinnen machen | zwar keinen großen Eindruck mehr auf mich, aber wenn ich an das franz. Blut denke dann rollt auch noch das Meinige. Darum möchte ich eben noch auf eine kurze Zeit Paris besuchen um mich ganz zu festigen, wenn nämlich dort die Verhältnisse so sind wie in London und man Mädchen von 15 – 17 Jahren, ich möchte sagen, Kinder auf der Straße findetKinderprostitution suchte auch Frank Wedekind in Anspruch zu nehmen; am 30.5.1892 notierte er: „nachher auf die Suche nach einem zwölfjährigen Kinde. Nach langem Umherirren finde ich eins auf dem Boulevard Rochechouart, das aber leider schon achtzehn zählt. Ich führe sie in ein Hotel und befriedige mich für 10 frs nur sehr mangelhaft“ [Tb].. Schreibe mir auch darüber und wenn du eigens ein solches Object kennen würdest, so laß auf meine Kosten eine Photographie von ihr nehmen und schicke sie mir. Ich wäre dann vielleicht geneigt, das Glück des Mädchens zu machen. Sie dürfte nicht Jungfrau sein, denn damit könnte ich nichts anfangen, sie müßte den Geruch | des Anstandes um sich verbreiten, daß man sie ohne Gefahr einführen könnte und müßte ehrlich und ohne RelationenBeziehungen; hier wohl Verwandte. sein. Die letzteren drei Punkte sind eben für die Damen aus dem Kirchenstaat unmöglich. Siehe, was du tun kannst und nimm den Auftrag nicht übel, es ist mir wirklich ernst damit, dich möchte ich aber nur veranlassen, das per Gelegenheit und nicht als Sache von Bedeutung zu behandeln. Nur ein Wesen oben beschriebener Art, ein Sein, das den Geruch der Unschuld an sich hat (nämlich nur in seinem Äußern, in seinem Wesen wäre es nicht notwendig,) wäre noch fähig mich zu commodirenes mir genehm zu machen. und gegen die Consilia evangelicaDie von Jesus in Matthäus 19,12, 19,21 und 20,26 geäußerten sogenannten evangelischen Räte, die zu einem ‚vollkommene Leben‘ führen sollen: Keuschheit, Armut, Gehorsam; hier: die beim Eintritt in einen Orden abzulegenden Gelübde. einzunehmen, und deswegen möchte ich dann an ihr mich ganz | abtödten. Lebend wenn möglich.

Also noch einmal, antworte mir jedenfalls, wenn du nicht allzu in Anspruch genommen bist und noch einmal dein Bruder Donald.


W/V/ia Frattina 27 p 2.

Frank Wedekind schrieb am 25. Januar 1893 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 8.2.1893 aus Rom:]


[…] deine zwei Briefe habe ich erhalten […]

Frank Wedekind schrieb am 5. Februar 1893 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 8.2.1893 aus Rom:]


[…] deine zwei Briefe habe ich erhalten […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 8. Februar 1893 in Rom folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Bebi,

deine zwei Briefenicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 25.1.1893 und 5.2.1893. habe ich erhalten und bedaure nur daß sie so schlimme NachrichtenFrank Wedekind war offenbar gezwungen, seinen Bruder wiederholt um Geld zu bitten, das er wahrscheinlich mit dem vorliegenden Brief erhielt – wenn auch nicht in der benötigten Summe [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893]. Er hatte sich sein verbliebenes Erbe zur Finanzierung seines Paris-Aufenthalts bereits im Jahr zuvor auszahlen lassen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 14.3.1892]. enhaltenSchreibversehen, statt: enthalten.. Aber nur Mut und wir werden uns schon noch durch dies Labyrint durchschlagen. So lange es mir möglich ist, soll es niemanden von uns zweien an etwas fehlen, Aber diese Möglichkeit wird nicht mehr von langer Dauer sein, denn ich habe große Verluste gehabt. Könnte ich nur arbeiten, so wäre Alles gut, aber ich bin nicht im Stande für eine Viertelstunde eine Feder in der Hand zu halten oder ein Buch zu lesen. Bald werden wir uns vielleicht sehen. Ich reise wahrscheinlich mit Marchese Freditoninicht näher identifiziert., einem großen Spieler und –, den ich auf einem Hofball im Quirinalder 1583 errichtete Quirinalspalast auf dem Quirinal-Hügel in Rom. kennen lernte nach Monte Carlo und von da nach Paris, wenn ich M. C. noch verlassen kann. Sei innig gegrüßt von deinem treuen Bruder Donald. Es soll mich freuen, wenn das FeuilletonFrank Wedekind korrigierte Donald Wedekinds Manuskript zu seinem Reisebricht „Eine Auswandererfahrt“, die im Frühjahr 1894 in Fortsetzungen in der Beilage der „Züricher Post“ erschien [Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894]. mich hier noch antrifft. Länger als 14 Tage werde ich kaum verweilen. Aber schicke es immerhin, ich richte es so ein, daß es nicht verloren gehen kann.


[um 90 Grad gedreht am linken Rand:]

Dein treuer Bruder Donald

Frank Wedekind schrieb am 19. Februar 1893 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[1. Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 22.2.1893 aus Rom:]


Ich danke dir für die baldigehier für: rasche. Zusendung des New Yorker Stückes […] Hättest du mir vor 14 Tagen gleich geschrieben, daß du mehr brauchst […]



[2. Referat in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 25.2.1893 aus Paris:]


Ich habe ihnDonald Wedekind. […] dringend gebeten, hierher zu kommen […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 22. Februar 1893 in Rom folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Bebi!

Ich danke dir für die baldigehier für: rasche. Zusendung des New Yorker Stückesein korrigiertes Kapitel aus Donald Wedekinds Reisebeschreibung „Eine Auswandererfahrt“, das Frank Wedekinds letztem, nicht überlieferten Brief offenbar beilag [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 19.2.1893]. Die gedruckte Fassung der New York-Episode findet sich im dritten Teil von Donald Wedekinds Artikelserie in der Beilage zur „Züricher Post“ [Nr. 41, 18.2.1894, S. (1-2)]. und für die viele MüheAm 6.2.1893 notierte Frank Wedekind über die „Correctur“ von Donald Wedekinds „Feuilletons“: „Zu Hause angekommen finde ich seinen New Yorker Aufenthalt so schwach, daß ich beschließe ihn völlig umzuschreiben, komme aber nicht weit damit.“ [Tb], die es dir gemacht hat. Leider war mein Geldvorrat bei Ankunft meinesSchreibversehen, statt: deines. Frank Wedekind hatte in seinem letzten Brief offenbar erneut um Geld gebeten. Briefes auf 150. Fzusammengeschmolzen und da Hami ja immer lange auf sich warten läßtAuszahlungen von Geld aus seinem Erbe musste Donald Wedekind bei seinem Bruder Armin erbitten, der das Vermögen des verstorbenen Vaters verwaltete., so ist es mir unmöglich dir momentan etwas zu senden, da mein Vorrat noch 50 F zählt, zudem morgen mein Hauscontract abläuftMit dem Ende seines Mietvertrags verließ Donald Wedekind Rom am 23.2.1893 und reiste nach Zürich.. Hättest du mir vor 14 Tagen gleich geschriebenals Frank Wedekind die letzte Geldsendung von seinem Bruder erhielt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 8.2.1893], die ihm jedoch nicht ausreichte [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893]. Von der Zusage weiterer Zahlungen, deren Nichteinhaltung er gegenüber Armin Wedekind beklagte, wusste Donald Wedekind offenbar nichts., daß du mehr brauchst wäre ich wohl im Stande gewesen, im Augenblick aber nicht. Auch würde ich bei deiner Situation Schulden Schulden sein lassen, sobald du wieder Hunger hast schreibe und ich werde nicht säumen. Dein treuer Bruder
Donald


Was die Arbeit anlangt, so ist nicht Mangel an Gelegenheit, sondern Mangel an CapacitätLeistungsvermögen..

Rom 22. Febr. 1893

Frank Wedekind schrieb am 25. Februar 1893 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[1. Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 1.3.1893 aus Zürich:]


Deine beiden Briefe habe ich erhalten […]



[2. Referat in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 25.2.1893 aus Paris:]


Ich werde ihmDonald Wedekind. nun noch den anderen Vorschlag machen, nach München zu gehen.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 26. Februar 1893 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 1.3.1893 aus Zürich:]


[…] ich telegraphirte an dich […]

Frank Wedekind schrieb am 26. Februar 1893 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind , Emilie Wedekind , Emilie Wedekind , Emilie Wedekind , Emilie Wedekind , Emilie Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 1.3.1893 aus Zürich:]


Unterdessen war Mati in Lenzburg angekommen, und deine Depesche informierte uns von ihrer Ankunft.

Frank Wedekind schrieb am 28. Februar 1893 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 1.3.1893 aus Zürich:]


Deine beiden Briefe habe ich erhalten […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 1. März 1893 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

HÔTEL BAUR
ZÜRICH.


Lieber Bebi,

Deine beiden Briefenicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 25.2.1893 und 27.2.1893. habe ich erhaltenDonald Wedekind war wahrscheinlich am 23.2.1893 aus Rom abgereist und damit frühestens am 24.2.1893 in Zürich. , ebenso den, welchen du an Hami geschriebenvgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893. hast, gelesen. Was ihn anbelangt, so ärgere ich mich nur des wegen, daß er immer noch nicht gelernt hat, einen jeden seinen Weg gehen zu lassen und auch kalten Blicks zuzusehen, wie jemand in sein Verderben rennt, sondern immer noch es für seine PflichtÜber die genaue Intervention Armin Wedekinds ist nichts bekannt, mit Sicherheit hat er seinem Bruder Donald jedoch weitere Geldzahlung aus seinem Erbe nach Rom verweigert. hält, die Leute auf seine eigenen Wege zurückzuführen. Mag es nun ein Lob sein oder mag es ein Tadel sein, wäre er nicht gewesen so wäre ich in einem halben Jahr für niemanden von euch euchSchreibversehen (Wortwiederholung), statt: euch. mehr dagewesen, denn ich hätte nach der Theorie, die du mir einmal in München im Cafe Luitpold auseinandersetztest, zum Gift gegriffen oder wäre so aus meiner Natur herausgegangenwohl Donalds Überlegung, in den Jesuitenorden einzutreten., daß ihr mich nicht mehr als Verwandten hättet anzuerkennen brauchen, durch welche Regeneration hier als theologischer Begriff für die Aufhebung der Trennung von Gott durch die Taufe.ich gerade vielleicht doch do noch siegreich aus dem Kampf hervorgegangen wäre. Sei dem, wie es wolle, dank Hami seiner langweiligen Pflichttreue, die allerdings, wie ich jetzt vermute, noch auch allerlei andere Empfindungen mit sich führt, bin ich noch einmal vor die Alternative gestellt, mich einem regelmäßigen Studium zu widmen | das mir für spätere Zeiten die Garantie giebt, daß ich jederzeit der Bediente eines Andern werden kann. Ob ich den sichern Weg zu dem wähle, was die Welt Verderben nennt, ich aber viel eher einen liebenswürdigen Tod nennen möchte, weiß ich nicht, wir werden es bald sehen. Dein Verhalten gegen Hami hat mir nur gefallen, einzig daß du behauptet Schreibversehen, statt: behauptet hast (oder: behauptest).ich spiele Komödievgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893. und meine Briefe seien verrückt, hat mich etwas gekränkt, und hemmt mir auch jetzt etwas die Feder, aber ich weiß daß sie Hami gegenüber jedenfalls verrückt gewesen wären, während ich gedacht hätte, daß du den Ernst erkennen würdest, der aus den tollen Sätzen heraussprach und der für dich um so leichter erkenntlich hätte sein sollen, als er eigentlich nur der Widerhall von deinen eigenen Worten war. Genug von alle dem, was mich anbelangt, so kann ich dir nur sagen daß ich möglicherweise nach Lausanne gehe um Jua/r/a zu studiren, damit ich wenigstens etwas in der Hand habe, was mir überall nützen kann, daß ich aber auch ebensogut hier bleiben kann oder eine Reise nach Amerika unternehme. Die Entscheidung jedoch wird bald eintreten. Nun das andere, die Summe für das Schloß soll am 15. laufenden MonatsDas Lenzburger Schloss wurde für 120.000 Franken verkauft [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 157], ob am 15.3.1893 ist unklar. bezahlt werden, und zwar ganz in baar, ob aber Mr. JessupDer Käufer von Schloss Lenzburg war der amerikanische Unternehmersohn August Edward Jessup [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 157]. sich vorstellen wird, das ist fraglich. Mati reiste ohne Wissen | ihrer VorsteherinnenEmma und Helene Dürst, die das Mädchenpensionat Les Violettes in Genf leiteten [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.9.1892], das Emilie (Mati) Wedekind seit dem 1.5.1892 besuchte. nach Lenzburg um an Mamas Brust zu fliegen, die vor 3 Tagen in Lenzburg eintrafEmilie Wedekind kehrte demnach am 26.2.1893 vom Aufenthalt bei ihrer Tochter Erika in Dresden zurück nach Lenzburg.. Vor Matis Ankunft erreichte Mama aber ein Telegramm von den DamenDas Telegramm von Helene und Emma Dürst an Emilie Wedekind in Lenzburg ist nicht überliefert., worin sie Information geben, daß Mati verschwunden seinSchreibversehen, statt: sei.. Mama kam ganz niedergeschmettert nach Zürich und ich telegraphirtenicht überliefertes Telegramm; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 26.2.1893. Das Telegramm von Donald Wedekind an Erika Wedekind ist ebenfalls nicht überliefert. an dich und Mieze. Unterdessen war Mati in Lenzburg angekommen, und deine Depeschenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald und Emilie Wedekind, 26.2.1893. informierte uns von ihrer Ankunft. In diesen Augenblicken seh ich so recht den Ruin und das Verderben der ganzen Sache vor mir und wünschte nur wieder fort zu sein um dort wenigstens ohne andre zu belästigen, unterzugehen. Die CopienBezug unklar. werde ich suchen angefertigt zu bekommen, für mich sind sie allerdings nicht von Wert.

Ich weiß nicht wie lange ich noch in Zürich bleibe. Mit Tomar, Henkell und JacobiDer sozialistische Lyriker Leopold Jacoby lebte seit 1892 nach einem Schlaganfall in Zürich und wurde dort von Karl Henckell unterstützt [vgl. Mathieu Schwann: Leopold Jacoby. In: Das Magazin für Litteratur, Jg. 65, Nr. 2, 11.1.1896, Sp. 47f.]. unterhalte ich einen recht angenehmen Verkehr und ich bin dir immer dankbar für die Bekanntschaft alleSchreibversehen, statt: aller (oder: all). dieser Leute. Wenn du in Not bist, sei immer sicher bei mir Hülfe zu finden, den Moment weiß ich allerdings nicht ob das wenige, was ich habe, Hamis oder mein Eigentum ist. Aber bald wird es sich klären. Mir ist es schließlich gleich. Tomar erwartet einen Brief von dir. Wenn du an mich schreibst, so schicke nach deiner eigenen Wahl an Hami oder an Tomar, ich glaube dich in diesen Sachen schon verstanden zu haben, und schreibe nie wieder, meine Briefe seien verrücktvgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893., denSchreibversehen, statt: denn. sie waren Herzblut, das aus einer schweren Wunde träufelte, an der ich jetzt bald ausgelitten hätte, wenn mich Hami nicht wieder in seiner tölpelhaften Weise | gerettet hätte. Du kannst auch diesen Brief ihm zeigen, aber ich glaube nicht, daß es mir oder dir dienen kann. Verzeihe wenn ich verwirrt schreibe. Sei sicher, daß du mir mit allen Nachrichten Vergnügen machst und daß ich immer bereit bin dir zu dienen. Ich bin mit den innigsten Grüßen dein treuer Bruder Donald.


Zürich FebruarSchreibversehen, statt: März. 1893

Frank Wedekind, Elias Tomarkin, Elias Tomarkin, Elias Tomarkin, Elias Tomarkin und Elias Tomarkin schrieben am 18. März 1893 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 13.4.1893 aus Genf:]


Euere Karte hat mir Thomarkin eingeschlossen in einen Brief, den er mir bei seiner Ankunft nach Zürich sandte, zu geschickt […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 13. April 1893 in Genf folgenden Brief
an Frank Wedekind

CAFÉ DE LA COURONNE
Grand Quai & Place du Lac
GENÈVE


Lieber Bebi.

Euere Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind und Elias Tomarkin an Donald Wedekind, 18.3.1893. hat mir Thomarkin eingeschlossen in einen Brief, den er mir bei seiner Ankunftvermutlich Elias Tomarkins Ankunft in London. Er traf am 18.3.1893 auf seiner Reise nach London in Paris ein [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 20.3.1893] und war auf seiner Rückreise am 28.3.1893 erneut dort [vgl. Frank Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893]. In beiden Fällen traf er sich mit Frank Wedekind. nach Zürich sandte, zu geschickt, sie hat mich sehr gefreut. Als der OnkelDonald Wedekind hatte zu Elias Tomarkin ein Onkel-Neffe-Verhältnis etabliert, wie er in einem früheren Brief berichtete [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.10.1890]. kam, war ich leider schon über die Berge, in Gef/n/f angelangt, wo ich mich morgen immatriculirenDonald Wedekind schrieb sich in Genf im Sommersemester 1893 als Jurastudent ein, wechselte im Wintersemester dann aber für zwei Semester zum Medizinstudium nach Zürich [vgl. Matrikeledition der Universität Zürich 1833-1924, Nr. 10184 (https://www.matrikel.uzh.ch/active/static/23378.htm, abgerufen am 14.8.2023)]. lassen werde. Ich hätte gerne den Onkel abgeholtDonald Wedekind hatte erwogen, Elias Tomarkin auf dessen Rückreise von London in Paris abzuholen [vgl. Frank Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893]., aber ich maß der Reise nach Paris nicht die Bedeutung an, wie sie sie jetzt für mich hat. Ich kann, um hier die Examina zu machen, meine Studien auf Genf und Paris verteilen, was mir sehr angenehm ist. Auch freue ich mich, in deiner Bekanntschaft einen Juristennicht ermittelt. zu finden, da ich vieles mit ihm | sprechen werden kann. Zweck meiner Reise, nach Paris, und ich bitte dich von dem nun folgenden niemandem, auch deinen Pariser Bekannten nicht, etwas mitzuteilen, hauptsächlich aber unsren RelationenBeziehungen, hier: Bekannten. in Zürich und Deutschland nichts verlauten zu lassen, da mir die Sache später bei meiner Laufbahn vielleicht etwas schaden könnte, ist, ein mir angenehmes Mädchen zu finden, die geneigt wäre als Maitresse„Herrin; jetzt fast nur gebraucht in der Bedeutung: Geliebte, Kebsweib.“ [Meyers Konversations-Lexikon. 4. Aufl. Bd. 11. Leipzig 1888, S. 126] mir nach Genf zu folgen, wo ich schon eingerichtet bin. Das Mädchen kann schon in Paris Dirne gewesen sein, das tut nichts, entspricht sie nur meinem Geschmack, den du so ungefähr kennst, und kann man auch vor ihr einmal Geld oder Wertsachen liegen lassen, ohne daß sie es nimmt, so | bin ich zufrieden gestellt. Ich glaubte das Verlangte hier in Genf LeichtSchreibversehen, statt: leicht. zu finden, habe mich aber getäuscht, indem hier Alles eingewandertes, meist sogar germanisches Pack ist. Der ethische Zweck dabei ist ungefähr folgender. Es ist mir nach meiner römischen LebensweiseDonald Wedekind hielt sich nach seinem Schulabschluss in Solothurn im Sommer 1892 vom 26.9.1892 bis 23.2.1893 in Rom auf. unmöglich, mich dem sexuellen Genuß zu enthalten, also könnte ich gewiß sein, daß ich während meiner Studienzeit ebenso viel in Bordells liegen lassen würde, als mich das Mädchen zu unterhalten kosten wird. Zweitens gründe ich mir dadurch eine Häuslichkeit, bin mehr dazu geneigt ernst zu studiren, als mit Freunden wenn ich mit Freunden, die mir auch hier schwer zu finden wären, im Caffe oder Bierhaus herumsitze. Drittens habe ich den Vorteil schnell französisch zu lernen, was bei meiner Carrière sehr, sehr in’s Gewicht fällt und viertens laufe ich kein gesundheitliches Risiko. Das sind die Gründe, die mich dazu bewegen, und ich bin überzeugt daß ich mir auf diesem Wege einen sichern Weg einschlagen kann. Da ich nur aber weiß, daß das zu finden nicht | ganz so leicht ist, hier in Genf unmöglich ist, in Rom mir mit einem großen Geldaufwand möglich würde, indem das betreffende Wesennicht ermittelt. allzu/e/n sehr Anforderungen entsprach, aber einen zu großen Styl gewöhnt war, und dennoch würde ich sie holen, wenn es nicht noch einmal dieselbe Reise wäre, und ich in Paris zugleich etwas Neues sehe, so will ich dich zuerst anfragen, ob du, nicht etwa die Garantie leistetSchreibversehen, statt: leistest., daß ich das Gesuchte finden werde, sondern nur dich vor dem Risiko der Mitwisserschaft nicht zurückschreckst. Leichter war die Sache allerdings dadurch, daß ich geneigt bin, sie, nicht etwa als Dienstmädchen, sondern wirklich als Maitresse halten willSchreibversehen, statt: zu halten., so daß sie dem Haus vorsteht und nicht dient, allerdings muß sie dann eben die äußerlichen Eigenschaften haben um eine gute Figur darzustellen, und die geistigen oder vielmehr seelischen Vermögen haben, um nicht, dadurch gelangweilt, daß ich sie so und so oft allein lassen muß, daß ich auch sexuell nicht gerade überfließend bin und ebenso wenig von einem tollen Tag in den andern rennen werde, auf | Abwege gerätSchreibversehen, satt: zu geraten.. Ich glaube du weißt jetzt ungefähr, von welcher Bedeutung die Sache ist, indem ich sicher weiß, daß pecuniärGeld betreffend. die Sache keine schlechten Folgen sondern höchstens gute haben wird, daß ich seelisch eines solchen Umganges bedarf und es mir meine Gemütsruhe, die ich schon lange verloren habe, wiedergeben wird, kurz, daß dies der einzige Weg meiner Heilung ist. Daß ich dir irgendwelche Verantwortung und Garantieleistung für einen günstigen Ausgang der Sache, wie auch für den guten Charakter der Person, zuschieben möchte, bin ich weit entfernt, ich schreibe dir nur vorher darüber, damit ich deiner Hülfe sicher bin, die mir natürlich von großer Bedeutung ist, indem du vielleicht schon mit irgendwelchen solcher KinderDass Donald Wedekind wohl eine minderjährige ‚Maitresse‘ vorschwebte, geht aus früherer Korrespondenz hervor [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.1.1893]. verkehrt hast, und so ein Urteil über ihre Charakteranlagen hast, wobei schließlich die Frage der Ehrlichkeit oder noch besser der AnhänlichkeitSchreibversehen, statt: Anhänglichkeit., denn daraus folgt dann das erste von selbst, fällen kannst, was mir auch wenn | ich schließlich einige Tage in Paris bleiben werde unmöglich ist.

Glaubst du also, mir bei der Sache behülflich sein zu dürfen, so telegraphire bitte sofort und ich werde mit dem nächsten Zug eintreffen. Hast du etwelche(schweiz.) einige, ein paar. Bedenken, so schreibe mir ebenso schnell, vielleicht lassen sie sich bereinigen. Ich werde mit dem Zug reisen, der hier um 4.35 Morgens fortgeht und in Paris um 5.34 Abends angkommtSchreibversehen, statt: ankommt.. Bitte behandle die Sache nicht als eine Komödie, denn ich habe vielleicht noch nie eine Sache so überlegt als diese und bin sicher von ihrem Vorteil überzeugt. Telegraphiere, weil mir daran liegt, jetzt die Sache abzuwickeln, weil fast noch keine Vorlesungen gehalten werden, während in 8 Tagen ich schon verliere. Leicht scheint es mir auch, weil ich das Kind auch in die Pariser Semester nehmen werde, wenn sie sich gut hält. Also bitte, laß bald etwas hören. Ich bin dein BreuerSchreibversehen, statt: treuer. Bruder
Donald.


Aber reinen Mund.


Genf Rue Pradier No 6 III.

le 13 Avril 1893.


[um 90 Grad gedreht am linken Rand:]

Daß ich auf keinen deiner Vorschläge eingieng, weder nach München noch Paris zum bleib. Aufenthalt gieng, mußt du nicht übelnehmen, aber ich habe mit meinem Entschluß hier die Examen zu machen, eine Selbstständigkeit bekommen, die Schaffensfreude einflößt. Also auf Wiedersehen.

Frank Wedekind schrieb am 6. September 1893 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[1. Hinweis in Frank Wedekinds Tagebuch vom 6.9.1893 aus Paris:]


Ich fahre […] nach Hause schreibe […] an Donald e.ct.



[2. Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 20.9.1893 aus Zürich:]


Deine Karte mit der Adresse habe ich erhalten […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 12. September 1893 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 12.12.1893 aus Zürich:]


Ich weiß nicht ob du meinen Brief von 3 Monaten her empfangen hast oder nicht.

Donald (Doda) Wedekind und Elias Tomarkin schrieben am 20. September 1893 in Zürich folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte
Carte postale. – Cartolina postale.


Nur für die Adresse.
Côté réservé à l’adresse.
Lato riservato all’ indirizzo.


Monsieur Frank Wedekind
63. Rue de Seine (Hôtel Mont Blanc)
Paris
France |


Zürich 20. September 1893


L. B.

Deine Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 6.9.1893. mit der AdresseSeine neue Unterkunft in Paris (Rue de Seine 63) bezog Frank Wedekind nach seiner Rückkehr aus der Schweiz am 5.9.1893: „Im Gare de l’Est nehme ich eine Droschke, versäume leider meinen Koffer gleich mitzunehmen, und fahre in’s Hotel Mont Blanc, rue de Seine 63. Ich miethe mir ein großes helles nach dem Hof gelegenes ruhiges Zimmer im zweiten Stock“ [Tb]. habe ich erhalten, ich danke dir selber für die Adresse. Hami ist in den HitzferienKontext unklar; der September 1893 war in Zürich durchschnittlich warm [vgl. Annalen der schweizerischen meteorologischen Central-Anstalt 1893, Jg. 30, S. 132].. Ich weiß nicht ob du seinen Plan schon kennst, eine VersuchsreiseArmin Wedekind erwog nach den USA-Reisen seiner Brüder William (1886 bis 1888) und Donald Wedekind (1889) ebenfalls einen längeren Aufenthalt in Amerika, auch um die Möglichkeiten einer Auswanderung zu prüfen [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 9.10.1893]. nach U.S.A. zu unternehmen. Es hat mich wirklich gefreut, als er mir die Sache darlegte. Ich möchte dich bitten, wenn du etwas von meiner „Auswandererfahrt“Donald Wedekinds Bericht über seine Amerikareise, deren Kapitel Frank Wedekind korrigierte, erschien in der Beilage der „Züricher Post“ im Februar 1894 in mehreren Teilen [Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894]. schon corrigirt hast, es an Thomar zu senden (p. Adresse) oder wenn die Correctur nicht weiter vorgeschritten, doch die Zeit, so du dir welche für die Arbeit ersparen kannst, nicht gereuen zu lassen, da ich das Übrige fertig bereit halte und es gerne bald irgendwo unterbringen möchte. Scheint dir aber die Fortsetzung für Feuilletonzweck unmöglich, so schreibe mir auch das frei heraus, es würde mich nicht überraschen und ich könnte leicht die Sache am geeigneten Punkt abschließen. Bitte gib mir bestimmte Nachrichten noch während der nächsten 3 Wochen, daß ich sie noch in Zürich erhalte. Ich bin dein treuer Bruder
Donald Län


[um 90 Grad gedreht am linken Rand:]

Seitliche beste Grüsse von Ihrem alten
E. Tomar

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 12. Dezember 1893 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Zürich d. 12. Dez. 1893


Lieber Bebi!

Ich weiß nicht ob du meinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 12.9.1893. von 3 Monaten her empfangen hast oder nicht. Sei dem wie es wolle, so vernimm daß der Hauptinhalt war die Äußerung meines Wunsches, meine SkizzeDonald Wedekinds Bericht über seine Amerikareise, deren Kapitel Frank Wedekind korrigierte., die noch in deinen Händen ist, so weit sie dir fähig für eine Zeitung ist erscheint, zu corrigiren, so du aber keine Zeit hast oder sie dir nicht lebensfähig vorkommt, sie mir sofort zurückzusenden, damit ich sie selber, so weit es mir gut scheint, verwerte. Ich glaube sicher, daß sie anzubringen ist bis zu auf das Ende, was etwas zu romantisch ist, was aber noch nicht in deinen Händen istich befindet. Zudem wünschteSchreibversehen (Auslassung beim Seitenwechsel), statt: wünschte ich. | daß, wenn du aus diesem oder jenem Grunde die Sache durchaus nochnicht schicken könntest oder wolltest, du mir wenigstens einige Zeilen schreibst wie es dir geht und wo du bist. Es giebt ja allerdings Zustände, in denen man am liebsten gar keine Nachrichten empfängt noch giebt, aber ich hoffe, daß es noch nicht dein Fall ist und dann könntest du doch vielleicht mich, mich allein in’s Vertrauen ziehen. Ich kann schweigen.

Es läuft nämlich über dich das Gerücht, du seist in Basel. Mieze, welche vor 3 Wochen hier oder vielmehr in Dresden Lenzburg war, behauptete, ein Bekannter von ihr hätte dich gesehen. Wäre das nun wahr, so brauchtest du davon mir gar kein Geheimniß zu machen, weil ich ja doch so in der Nähe bin und wir uns mit Leichtigkeit sehen könnten und uns so beide den Aufenthalt in den | langweiligen Städten angenehm machen könnten. Mieze hat, wie dir wahrscheinlich schon bekannt ist, ein Engagement nach CasselErika Wedekind, die auch nach ihrer Prüfung am Dresdner Konservatorium im Frühjahr 1893 ihre Ausbildung als Sängerin dort fortsetzte, schloss im Herbst 1893 einen Vertrag mit dem Hoftheater Kassel ab und sollte ihr Engagement im Frühjahr 1894 beginnen, wurde jedoch vorher in Dresden zur Königlich-Sächsischen Hofopernsängerin ernannt und dort verpflichtet [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 317]. mit einer recht netten Besoldung. Auch hat sie sich sehr gut herausgearbeitet und ich habe mich redlich über sie gefreut.

Hier in Zürich fühle ich mich, soweit es meine Stunden die ich mit mir allein und Thomar verbringe, recht wöhnlich und mehr noch freue ich mich auf den Sommer, der in der prächtigen Wohnung, welche ich inne habe, recht gemütlich sein muß. Ich bin nur hier geblieben um mich daran zu gewöhnen, regelmäßig täglich einige Stunden zu arbeiten, und wenn es auch nur die CollegienVorlesungen an der Universität. sind, so kann ich doch schon von einem Erfolg sprechen. Da es hier in/a/uf der Straße, im Cafehaus | in Gesellschaft unbedingt langweiliger ist als zu Hause bei sich allein, so ist man viel im Lehnstuhl und das kostet wenig und bringt, wenn man ein Buch oder die Feder in die Hand nimmt, sogar noch etwas ein.

Thomar lebt auf seine gewohnte Weise, nur fürchte ich, daß seine Gesundheit sehr darunter leidet. Dr. Schwann geht es leidlich, er arbeitet sich mit seinen Artikeln so eigentlich von Hand zu Mund. Morgen Abend hält er einen VortragDer Literarhistoriker Mathieu Schwann hielt seinen Vortrag am 13.12.1893 im Zunfthaus zur Meise in Zürich; die Presse berichtete: „Der Vortrag ‚Aus neuer deutscher Dichtung‘, den Herr Dr. Schwann am Mittwoch abend in der ‚Meise‘ hielt, war von etwa dreißig Personen besucht. Leider sprach der Vortragende so leise, daß uns ein beträchtlicher Teil seiner Rede verloren ging; was wir verstanden haben, gefiel uns durch gute Disposition, Klarheit und Knappheit des Ausdrucks, durch seinen poetischen Schwung und gewählte Sprache. Aus den Ereignissen von 1870, aus den sozialen Strömungen der Gegenwart entwickelte er das Wesen der neuen deutschen Poesie, die, zuerst in die Tiefen des sozialen Elends tauchend, sich jetzt mehr und mehr vom Naturalismus weg einem neuen Schönheitsideal zuwende. Mit kurzen Strichen zeichnete er einige der hervorragenden Geister der Bewegung und gab in größeren, sehr schön vorgetragenen Citaten die Belege zu seinen Ausführungen.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 73, Nr. 348, 14.12.1893, 2. Blatt, S. (2)]. Mackay war für vierzehn Tage hier, Dr. BoelscheWilhelm Bölsche, Schriftsteller und von 1890 bis 1893 Redakteur der Zeitschrift „Freie Bühne“ (Berlin), lebte seit Oktober 1893 vorübergehend in Zürich, nachdem er das Verhältnis zwischen seiner Frau Adele Bölsche (geb. Bertlet) und dem mit ihm befreundeten anarchistischen Publizisten Bernhard Kampffmeyer entdeckt hatte, in dessen Haus in Friedrichshagen (Wilhelmstraße 72), einem Treffpunkt des Friedrichshagener Dichterkreis, das Paar wohnte [vgl. Ronald Vierock: Spazieren gehen in Friedrichshagen. Etwas eilig. In: Hille-Post. Mitteilungen für die Freunde des Dichters. 46. Folge, Januar 2013, S. 35]. Bernhard Kampffmeyer und Adele Bölsche reisten daraufhin nach Paris und London, wo sie am 22.12.1893 eintrafen [vgl. Christoph Knüppel: „In eine abschreckend katholische Gegend sind wir hier geraten“. Der deutsch-jüdische Schriftsteller und Anarchist Gustav Landauer in Bregenz. In: Jahrbuch des Franz-Michael-Felder-Archivs der Vorarlberger Landesbibliothek, Jg. 10, 2009, S. 43]., dessen Frau mit Kampfmeier durchgebrannt ist (nach Paris) gab seine Redactorstelle an der freien Bühne auf und lebt jetzt in einer schönen WohnungWilhelm Bölsche wohnte in Zürich-Enge in der Seewartstraße 12, wie aus Wilhelm Boelsches Korrespondenz des Jahres 1893 mit Ernst Haeckel hervorgeht [vgl. Breidbach/Bach 2013]. hier in Zürich. Von Hartleben hat man die Nachrichten, daß endlich der erlösende Tod seines Groß|vatersErnst Eduard Angerstein, Otto Erich Hartlebens Großvater mütterlicherseits, war am 17.10.1893 gestorben [vgl. Frank Wedekind an Otto Erich Hartleben, 22.10.1893]. eingetreten und er sich auf die Erbschaft hin verheiratetOtto Erich Hartleben erbte von seinem verstorbenen Großvater 80.000 Mark und heiratete am 2.12.1893 seine langjährige Lebensgefährtin, die ehemalige Kellnerin Selma Hesse (genannt: Moppchen). hätte. Er schrieb Dr. Schwann vor ungefähr 3 Wochen, daß er über München, Zürich nach Rom und Tunis zu reisen gedenke. Angekommen hier ist er noch nicht. Blei macht in Bern seinen DoctorFranz Blei promovierte am 5.3.1894 in Bern zum Dr. phil. (Nationalökonomie) mit der Dissertation: „Abbé Galiani und seine Dialogues sur le commerce des blés (1770)“ (1895 in der Buchdruckerei K. J. Wyß in Bern erschienen)..

Soweit über Zürich. Hami gedenkt immer noch nach Amerika zu gehen und will uns zu Weihnachten eine gemeinsame Feier bereiten. Henkell schreibt von Hannover aus revolutionäre oder doch wenigstens majestätsbeleidigende Artikelnicht ermittelt (die „Züricher Post“ ist in deutschen Bibliotheken nicht verfügbar). Bereits am 2.2.1888 war in der „Züricher Post“ Karl Henckells berühmt gewordenes „Lockspitzellied“ erschienen. an die Zürcher Post.

Noch einmal bitte ich dich, gieb mir doch Aufschluß, wie und wo du Aufenthalt genommen und schreibe mir etwas | über meine Arbeit. Ich möchte sie sehr, sehr gerne hier in Zürich unterbringenDonald Wedekinds Reisebericht seiner Amerikareise erschien unter dem Titel „Eine Auswandererfahrt“ in der Beilage der „Züricher Post“ im Februar 1894 in mehreren Teilen [Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894]. und zwar während ich noch hier bin. Thomar meinte, das Stück was ich in Händen habe, wäre unbedingt annehmbar und so komme ich in Versuchung, das erste Stück einzugeben und so dem zweiten die Möglichkeit zu rauben untergebracht zu werden. Schreibe noch also bald.

Von Rom aus habe ich die besten Berichte und es juckt mich, wenn ich bisweilen einen Brief von dort bekomme, in allen Adern, wieder aufzupacken, aber ich will hier aushalten, bin ich wieder im Fahrwasser der regelmäßigen Arbeit drin | so bin ich ziemlich einer sichren Zukunft gewiß.

Ich weiß, daß ich so nie noch vollglücklich geworden wäre. Das hätte ich sein können, wenn ich eine Million in den Händen gehabt hätte. Dann hätte ich mich in voller Wut in den Genuß gestürzt, hätte wahrscheinlich bald genug bekommen, und mich dann ohne Bedauern zurückgezogen und ein ruhiges Leben geführt. So würde immer etwas Wehmut über die Jahre hinfließen, wo ich nicht so wie ich gewünscht hätte, meinen Leidenschaften die Zügel schießen lassen könnte, um dann gesättigt mich zurückzuziehen. Ich mußte schon vorher zur Erhaltung meines Lebens aus dem Strudel heraus und das bedaure ich immer noch. Immerhin ist es noch nicht zu spät sich wieder hinein zu stürzen, aber die Jahre vergehen und plötzlich ist man nichts mehr wert. Also bitte nur eine Antwort. Hami wünscht es auch sehnlichst, aber je nachdem teile ich ihm etwas mit oder nicht. Ich bin dein treuer Bruder
Donald Wedekind


Tannenstrasse No 1

Pension Staehli-Forrer

Frank Wedekind schrieb am 4. Januar 1894 in Paris folgenden Brief
an Donald (Doda) Wedekind

Paris 4.1.94.
63, rue de Seine


Lieber Donald

darf ich Dich um einen großen Gefallen bitten, nämlich darum, in meinem Auftrage zu Cäsar SchmidtBuchhändler, und Inhaber einer Buch- und Kunsthandlung in Zürich (Poststraße 3; Wohnung Hofstraße 52) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1894, Teil I, S. 354]. zu gehen und dich dringend bei ihm zu erkundigen, wie es mit der zweiten HerausgabeFür die zweite Auflage von „Frühlings Erwachen“ wechselte Frank Wedekind vom Verlag Jean Groß in Zürich zum Verlag Caesar Schmidt. Den Verlagswechsel hatte er wahrscheinlich im Oktober 1893 verabredet [vgl. Kutscher 1, S. 254; KSA 2, S. 764]. Das Buch bei Caesar Schmidt erschien Mitte März 1894 [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandels, Jg. 61, Nr. 62, 16.3.1894, S. 1663] meines Fr. Erwachens steht. Die lange Verzögerung derselben ist für mich von denkbar größtem Nachtheil, indem kein Mensch | momentan weiß, wo das Buch zu haben ist und sound soviel Kritiker in Paris Berlin nur auf die zweite Auflage warten, um es zu besprechen. Geh also bitte zu Cäsar Schmidt, frag ihn, wann der Proceßdie geschäftliche Übergabe. Caesar Schmidt übernahm von Jean Groß die Druckplatten, so dass bis auf eine Überarbeitung in der Szene III/1 ein text- und seitenidentischer Nachdruck der Erstauflage erfolgte [vgl. KSA 2, S. 772]. mit Groß endlich zum Abschluß gelangen werde und bis wann ich etwa auf das Erscheinen der Auflage | rechnen könne. Schreib mir bitte umgehend was er sagt, da mich dein Brief sonst kaum mehr hier treffen wird. Wenn ich selber an Cäsar Schmidt schreibe, so antwortet er mir mit drei Worten per Postkarte, womit mir nicht gedient ist. Also geh bitte hin und zeige ihm eventuell diesen Brief.

Von Hartleben erhalte ich eben Nachricht aus Florenznicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Otto Erich Hartleben an Frank Wedekind, 2.1.1894.. | Bis im MärzOtto Erich Hartleben befand sich seit Mitte Dezember 1893 mit seiner Frau Selma Hartleben (geb. Hesse) auf Hochzeitsreise und fuhr von Zürich nach Mailand, Florenz, Rom und Sizilien und von dort nach Sousse in Tunesien, wo er Anfang März eintraf. Seine Rückkehr über Paris plante er für den 20.3.1894 [vgl. Heitmüller 1912, S. 204]. will er wieder hier in Paris sein. Es ist wol möglich daß ich dann schon wieder von London zurückFrank Wedekind traf am 24.1.1894 in London ein [vgl. Tb] und blieb dort bis Mitte Juni 1894. bin.

Von Mieze, Mati und Mama weiß ich gar nichts. Ich habe Mieze zwei BücherHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu dem Weihnachtsgeschenk; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Erika Wedekind, 22.12.1893. und Mati eine Anzaht/l/ PhotographienHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu dem Weihnachtsgeschenk; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 22.12.1893. zu Weihnachten geschickt. Sie haben mir mit keiner Sylbe geantwortet. Ich weiß nicht recht wie ich mir das erklären soll.

Ich erwarte hier noch einige Briefe, dann reise ich abFrank Wedekind reiste am 23.1.1894 von Paris ab nach London [vgl. Tb].. Also geh bitte zu C. S. sobald es dir möglich ist und schreib mir darüber. Mit den herzlichsten Grüßen dein treuer Bruder
Frank |


Herr C. Schmidt hat ein paar hübsche Töchternicht identifiziert., was dir die Mission vielleicht etwas erleichtern wird.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 6. März 1894 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Bebi.

Mit großem Vergnügen habe ich gehörtvermutlich von Armin Wedekind, dem Frank Wedekind seine Klagen über London geschickt hatte [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 14.2.1894]. daß du endlich einmal in London eingetroffenFrank Wedekind traf am 24.1.1894 in London ein [vgl. Tb]., mit großem Bedauern dagegen, daß es dir dort nicht gefällt. Immerhin glaube ich daß es der beste Platz ist um den Winter zurückgezogen arbeiten zu können.

Die verschiedenen Hartlebenschen BierkartenGruppenpostkarten unbestimmter Anzahl, teilweise auch von Donald Wedekind unterschrieben [vgl. Otto Erich Hartleben, Selma Hartleben, Carl Seelig, Elias Tomarkin und Donald Wedekind an Frank Wedekind, 20.12.1893]. werden dich so einen kleinen Einblick haben gewinnen lassen wie das Zürcher Leben constituirt ist. Die Gesellschaft, und zwar die gute, literarische meine ich, wartet eben und lauert, bis jemand von Außen her kommt und dann wird er so viel wie möglich ausgebeutet. Dabei habe auch ich redlich mitgemacht, aber es ist mir jetzt schon recht zu wider und ich bleibe nur noch für die wenigen Sommersemester hier und dannSchreibversehen, statt: um dann. schon im Hochsommer die Stadt und die Gesellschaft zu verlassen und mich einer hübschen Frische und nachher irgend einem | andern großen Platz zuzuwenden. Schreibe mir, wie die Verhältnisse im/n/ Berlin b/s/ind und ob ich dort wohl als immatriculirter Student geduldet werdeFrank Wedekind war bei seinem Aufenthalt in Berlin fünf Jahre zuvor aufgrund fehlender Papiere, die seine Staatsangehörigkeit belegen konnten, ausgewiesen worden [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 17.6.1889]..

Hartleben erfreute und/s/ mit seiner Frau, dem etwas mehr als nur abgerissenen KnopfAnspielung auf Otto Erich Hartlebens Erzählung „Die Geschichte vom abgerissenen Knopfe“ (Berlin: S. Fischer 1893; zuerst in: Freie Bühne für modernes Leben, Jg. 2, Nr. 49-51, Dezember 1891, S. 1204-1208, 1228-1233, 1255-1259), in der ein nicht wieder angenähter Knopf dem Protagonisten zum Indikator für die charakterlichen Defizite seiner Bekannten wird. Donald Wedekind diente der Hinweis auf die Erzählung wohl dazu, auf die soziale Herkunft Selma Hesses hinzuweisen, die als Kellnerin gearbeitet hatte. Otto Erich Hartleben hat sie am 2.12.1893 geheiratet. (sie wäh/r/e schon eher zu vergleichen einem Unterhosenknopf den man auf einen neuen Paletot gesetzt) durch einen längeren Aufenthalt vor Weihnachten. Das Geld floß in StrömenOtto Erich Hartleben hatte von seinem am 17.10.1893 verstorbenen Großvater 80.000 Mark geerbt [vgl. Otto Erich Hartleben: Briefe an seine Frau. 1887 – 1905. Hg. und eingeleitet von Franz Ferdinand Heitmüller. Berlin 1908, S. 180-182]. aus seiner Tasche und nach der Auffassung T/s/einer Bekannten wird er nicht wieder die Feder berühren, bis der letzte Centime d/s/einen Fingern entflohen. Nicht daß er hypersplendidübermäßig freigebig. gewesen wäre, aber er warf es so auf richtige klein Jungensart zum Fenster hinaus. Plötzlich nach einem heitern Abend bra im Café National brachen die beiden auf und verloren sich nach Italien und AfrikaOtto Erich Hartleben befand sich seit Mitte Dezember 1893 mit seiner Frau Selma Hartleben (geb. Hesse) auf Hochzeitsreise und fuhr, wie seine Korrespondenz aus dieser Zeit belegt [vgl. Heitmüller 1912, S. 193-204], von Zürich nach Mailand, Florenz, Rom und Sizilien und von dort nach Sousse in Tunesien, wo er Anfang März 1894 eintraf., von wo dann und wann Bierkartennachrichten kommen.

Sie wurden ersetzt durch John Henry und Wilhelm Bölsche, dem ehemaligen RedakteurWilhelm Bölsche war seit der Gründung (Heft 1 erschien am 29.1.1890) bis Heft 9 des 3. Jahrgangs (September 1893) verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift „Freie Bühne“ (1890/91 herausgegeben von Otto Brahm unter dem Titel „Freie Bühne für modernes Leben“ als Wochenschrift, ab 1892/93 „Freie Bühne für den Entwickelungskampf der Zeit“ als Monatsschrift, seit 1894 unter dem Titel „Neue Deutsche Rundschau“), erschienen im S. Fischer Verlag in Berlin. der freien Bühne, der eine freiere Beschäftigung am Hausschatz des WissensIn der populärwissenschaftlichen Schriftenreihe „Hausschatz des Wissens“ (1892 bis 1906 im Verlag Julius Neumann in Neudamm erschienen in 11 Abteilungen in 17 Bänden) war Wilhelm Bölsche in der Abteilung I mit seiner zweibändigen Schrift „Entwickelungsgeschichte der Natur“ (1894) vertreten. erhalten und so | seinere freiere Bewegung dazu benutzte um nach Zürich überzusiedeln. Der Urgrund dieser Veränderung bestand aber darin, daß seine FrauDie Lehrerin Adele Bertelt hatte am 5.7.1890 Wilhelm Bölsche in Berlin geheiratet und lebte mit ihm in Friedrichshagen. Die Ehe wurde am 17.6.1896 wieder geschieden. Am 5.3.1897 heiratete sie Bernhard Kampffmeyer. mit einem Herrn KampfmeyerDer sozialistisch-anarchistische Publizist Bernhard Kampffmeyer, Mitglied des Friedrichshagener Dichterkreises; das gemeinsam mit seinem Bruder Paul Kampffmeyer bewohnte Haus in Friedrichshagen (Ahornallee 19) war ein wichtiger Treffpunkt des Dichterkreises., dem Bruder dessenPaul Kampffmeyer hatte von 1887 bis 1889 in Zürich Philosophie und Nationalökonomie studiert [vgl. Matrikeledition der Universität Zürich, Matrikelnummer 7802. Online: https://www.matrikel.uzh.ch/active/static/11068.htm]., den du schon einmal im Pfauen kennen gelernt hast, nach al einer langen philosophischen Auseinandersetzungironisch für das von Wilhelm Bölsche entdeckte Verhältnis seiner Frau mit Bernhard Kampffmeyer., nach Paris gereist war und der Philosoph Bölsche doch nicht der starke Mann war, um den Schlag in Berlin unter seinen Bekannten tragen zu können und so kam er dann unter der Obhut des Bruders des Verführers, eben jenem schon erwähnten Herrn Kampfmeyer nach Zürich, hoffte hier auf Zerstreuung und war natürlich sehr enttäuscht. Sein Hüter reiste bald wieder zurück, Bölsche nahm sich eine teure WohnungWilhelm Bölsche wohnte in Zürich-Enge in der Seewartstraße 12 links, wie aus Wilhelm Bölsches Korrespondenz des Jahres 1893 mit Ernst Haeckel hervorgeht [vgl. Breidbach/Bach 2013]. und suchte Trost bei der Kellnerin in der Mainaunicht identifiziert; das Café Mainau war ein Gartenlokal im Zürcher Stadtteil Riesbach (Seefeldstraße)..

Ihm zur Seite steht Makay, dessen Manusscripte Koffer in ChicagoJohn Henry Mackay hatte im Herbst 1893 eine dreimonatige USA-Reise unternommen. entwendet worden ist und der ebenfals/l/s hier wenig Trost fand und so wieder nach | Berlin zurückkehrte. Gekrönt wurden diese Besuche durch den fliegenden Aufenthalt Gerhard HauptmannsGerhart Hauptmann reiste wegen der Ehekrise, zu der sein Verhältnis mit Margarete Marschalk geführt hat (später seine zweite Ehefrau), im Dezember 1893 nach Zürich und verbrachte die Weihnachtstage dort. Ende Januar folgte er seiner Frau Marie Hauptmann (geb. Thienemann) und den Kindern nach Amerika, die sich überraschend dorthin eingeschifft hatten. Anfang Mai 1894 kehrte die Familie zurück nach Deutschland [vgl. Leppmann 1989, S. 178-190]., der aber nur selten und nur durch Begünstigung Thomars zu sehen war und plötzlich wieder verschwand um, wie später bekannt wurde, nach Amerika überzusiedeln. Auch Max Halbe schnatterte die letzten Tage einige Abende in der blauen Fahne und im Schwertkeller herum, er verpaßte die Aufführung seiner Jugend in BernMax Halbes Liebesdrama „Jugend“ (1893), seit der Uraufführung am 23.4.1893 im Berliner Residenztheater berühmt, wurde in Bern erstmals im Rahmen des Sommertheaters im Schänzli-Theater am 26.6.1894 gespielt [vgl. Der Bund, Jg. 45, Nr. 175, 26.6.1894, 2. Blatt, S. (3)]; die in Aussicht genommene Aufführung am Stadttheater in Bern war nicht zustande gekommen [vgl. Der Bund, Jg. 45, Nr. 67, 8./9.3.1894, 1. Blatt, S. (3)]. In Zürich war „Jugend“ im April 1894 am Pfauentheater gespielt worden [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 115, Nr. 116, 27.4.1894, Morgenblatt. S. (1)]. und befand sich nach seiner eigenen Aussage und trotz seiner hübschen jungen Fraudie inzwischen 26jährige Luise Halbe (geb. Heck), seit 1890 mit Max Halbe verheiratet., die er in Berlin zurückgelassen, auf einer internationalen Bordellreise. Jetzt ist er in NerviVorort von Genua. in Genua, wo ich und Bölsche ihn vielleicht besuchen, jedoch ist das Projekt noch sehr unbestimmt. Später will er sich in Kreuzlingen am Bodensee ansiedeln.

Henckell traf in den letzten Tagen ein, nach den Gerüchten heiter, aufgelegt, mit/von/ dem Brüsseler Geist und FeuerWährend eines Aufenthalts in Brüssel hatte Karl Henckell seine Lyrik-Anthologie „Buch der Freiheit“ (siehe unten) fertiggestellt. In dem autobiographischen Gedicht „Albumvers“ schrieb er kurz darauf: „In Brüssel, das war eine herrliche Zeit, / Die brachte mir Leben und Lieder, / Die hat mich von Wolken und Kummer befreit / Und wob mir eine schimmernd Gefieder. // Ich habe gesehn und in Muße gedacht, / Aufsprühten melodische Funken, / Ich habe so sonnenfröhlich gelacht, / Das ‚Buch der Freiheit‘ fertig gemacht / Und mit Euch Fleur Bouzy getrunken. // Der Vogel schwebt weiter, der Vogel fliegt fort, / Nach Deutschland, nach Zürich zurücke, / In seinem Herzen nachzittert ein Wort / Und ein Lied von lebendigem Glücke…“ [Karl Henckell: Zwischenspiel. Zürich 1894, S. 129f]. nur so sprühend,. Die Wirklichkeit brachte aber nur den stummen | Gast wieder, versehen mit einem neuen Sammetanzug von Banquier BarthelsTeilhaber an dem 1742 gegründeten Bankhaus Hermann Bartels (Osterstraße 82) [Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1894, Abt. I, S. 923] in Hannover waren Karl Bartels (Schiffgraben 39), Georg Bartels und Otto Bartels (beide Königstraße 34) [ebd., S. 449f.]. in Hannover. Sein Buch der FreiheitKarl Henckells Lyrik-Anthologie „Buch der Freiheit“ mit Freiheitslyrik von Goethe bis zu der des Verfassers ist im Dezember 1893 im Verlag der Expedition des „Vorwärts“ Berliner Volksblatt erschienen; das Buch ist „den Hand- und Kopfarbeitern deutscher Zuge“ gewidmet mit Dank „für ihre liebenswürdige Mithülfe […] namentlich den Herrn Reinhold Rüegg, Elias Tomarkin und Leopold Jacoby in Zürich“ [S. V-VI], in der sozialistischen Presse bereits vorab vielfach beworben: „Diese Sammlung der gedankenreichsten und formschönsten deutschen Freiheits-Lieder von Goethe bis auf die Dichter des jüngsten Deutschland hat ihren politischen und literarischen Werth in der Person des Herausgebers verbürgt, der als Dichter wie als Freiheitssänger in der Deutschen Arbeiterwelt seit langem und bestens bekannt ist. – Das ‚Buch der Freiheit‘ sollte jeder Genosse erwerben, dessen Herz für Freiheit und Schönheit schlägt. Für die kommende Festzeit kann es kein schöneres und passenderes Festgeschenk geben“ [Vorwärts, Jg. 10, Nr. 279, 28.11.1893, S. (4)]. macht viel von sich reden und sein Neuestesder Band „Zwischenspiel“ (1894); eine Widmung an Elias Tomarkin findet sich dort nicht. soll Thomar gewidmet sein.

Thomar, der sich nach und nach immer energischer zum ExamenpräparatorElias Tomarkin aus Königsberg hatte sich erstmals zum Wintersemester 1885/86 als Medizinstudent in Zürich immatrikuliert und seine Immatrikulation zum Wintersemester 1890/91 sowie zum Sommersemester 1896 jeweils erneuert, bis er die Universität am 20.11.1896 schließlich mit eine Abgangszeugnis verließ [vgl. Matrikeledition der Universität Zürich, Matrikelnummer 7440, 9122 und 11218. Online: https://www.matrikel.uzh.ch/active/static/22103.htm] ausbildet, verliert auf der andern Seite an seiner sonstigen liebenswürdigen Gesellschaftlichkeit, indem er dahinter gekommen zu sein glaubt, er, werde von gewissen Leuten nicht genug gewürdigt und so die beleidigte oder gekränkte Leberwurst spielt, namentlich Schwann und Blei gegenüber, denen er eine richtige Unverschämtheit zu sagen nicht den Mut hat. So bleibt das Verhältniß gespannt und schlägt nicht zu Gunsten To/h/omars aus.

Die Concentration dieser ganzen Gesellschaft findet statt jeden Ab Montagabend beim Kegeln in der Mainau, wobei das Kegeln Nebensache, das sich Langweilen die Hauptsache | ist und neben tüchtiger Leute wie Jacoby, den Gebrüdern Langdie beiden Züricher Anwälte Otto Lang (Zelgstraße 33) und Richard Lang (Schützengasse 1) [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1895, Teil I, S. 268]. Otto Lang war Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz. Die beiden Brüder führten bis Ende 1895 gemeinsam eine Anwaltskanzlei (Schützengasse 1) [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1895, Teil II, S. 537]., Bock, auch höchst eckle Individuen erscheinen, Studenten die sich mit Socialdemokratie mästen, und sich in Debatten die Kehle heiserschreien, immerhin sind sie nur wenige und seltene Besucher, auch ist man durchaus durch keine Verpflichtung gebunden, sondern kommt eben, oder kommt nicht, ganz nach Belieben.

Und nun noch etwas weniges was meine Geschäfte anbelangt. Für die Zusendung des Manuscriptesvon Donald Wedekind Berichts über seine Amerikareise 1889 nach Kalifornien (siehe die vorangegangene Korrespondenz mit seinem Bruder Frank). Der Text ist in mehreren Teilen unter dem Titel „Eine Auswandererfahrt“ in der Beilage der „Züricher Post“ [Nr. 29 vom 4.2.1894, Nr. 36 vom 13.2.1894, Nr. 41 vom 18.2.1894, Nr. 47 vom 25.2.1894 und Nr. 53 vom 4.3.1894] erschienen. meinen herzlichsten Dank, ebenfalls für die Correctur, die du in so trefflicher Weise vorgenommen hast. Ich veröffentlichte die Sache, so weit die Correctur reichte, in der Zürcher Post und erntete viel Lob, immerhin fällt von demselben 90 % auf dich ab, da die LiebesgeschichteIn Abschnitt III [vgl. Beilage der „Züricher Post“, Nr. 41, 18.2.1894, S. (1)] seiner Artikelserie „Eine Auswandererfahrt“ schilderte Donald Wedekind die Wiederbegegnung mit seiner Cousine Tilly Kammerer in New York mit einer Kuss-Szene. allgemein reizend gefunden wurde, die ja doch ganz deine Mache ist. Aber auch meine, kleinen Witze blieben nicht unbemerkt. | Das andereWelche weiteren Manuskripte Donald Wedekind seinem Bruder zur Korrektur zugesandt hatte, ist nicht bekannt. 1895 erschien bei Hugo Steinitz in Berlin seine erste Novellensammlung unter dem Titel „Das rote Röckchen“, deren Texte zuvor vermutlich in Zeitungen und Zeitschriften erschienen waren. Eine Fortsetzung seines Reiseberichts ist nicht belegt. werde ich suchen sobald wie möglich umzuarbeiten und in Form von drei oder vier Skizzen irgendwo unterzubringen. Dabei bmöchte ich dich bitten einmal unter deinen Papieren nachzusehen, ob du nicht d/n/och eine Copie meiner TeufelsbrückeDonald Wedekinds Erzählung „Der Gang nach der Teufelsbrücke“ ist am 28. und 29.5.1889 in der Berner Zeitung „Der Bund“ erschienen. findest, wäre das der Fall, so schicke sie mir doch bitte zu. Was meine übrige Carriere anbelangt, so bin ich noch so ratlos wie vorher und eines ist sicher, wenn sich mir die geringste Gelegenheit bietet ins praktische Leben einzutreten, so werde ich es sofort tun, denn diese ewige Bankrutscherei und Schulhockerei ist mir nachgerade zu wider. Wenn ich sogar nach Californien reisen müßte ich würde es nicht scheuen, aber nicht ohne r/R/uf. Auch wenn dir vielleicht mal irgend eine speculative Idee einfällt, teile sie mir mit, ich werde mit Händen und Füßen darnach greifen. Mit diesem Brief sende ich dir auch die Nummern der Zürcher Post zur Einsicht. Wenn du dich an deren Anblick genügend erfreut hast | so sende sie mir wieder zurück, da ich außer diesen nur noch eine vollständiges Exemplarserie habe oder bewahre sie zum wenigsten sorgfältig auf, da man vielleichSchreibversehen, statt: vielleicht. noch Gebrauch davon machen kann. Von dem UnglücksfallEmilie Wedekind war Anfang Februar 1894 erkrankt, Emilie (Mati) Wedekind war daraufhin nach Lenzburg gekommen und berichtete ihrem Bruder Achim in Briefen regelmäßig über den Gesundheitszustand der Mutter, so am 10.2.1894: „Sie fühlt sich sehr schwach und müde in den Gliedmaßen und dieß besonders Mittags beim Aufstehen. […] Das Zittern ist immer noch da und die allgemeine Schwäche hat eher noch zugenommen.“ [AfM Zürich PN 169,5:068] Am 15.2.1894: „Heute ist sie furchtbar schwach. Das Mittagessen: Eine doppelte bouillon (wie Du sie verschrieben) etwas Sauerkohl, Kartoffeln und Schweinefleisch, mit einem Glas Rothwein brach sie gleich nachdem sie aufgestanden war. […] Mama spukt sehr viel Schleim und hatte Gestern einen Ausschlag am linken Unterarm […] Mama selbst sagt daß sie jeden Tag sich schwächer fühlt.“ [AfM Zürich PN 169,5:069] Am 20.2.1894: „Auch mußte sie heute nach dem 2. Frühstück bestehend aus: Häring, Ei, Brod und etwas Wein wieder brechen. aber heute Nachmittag befand sie sich entschieden viel besser. Mit der Schwäche ist es immer noch gleich, der Schlaf jedoch hat sich verbessert.“ [AfM Zürich PN 169,5:070] Am 21.2.1894: „Mama ist heute elender, als in den letzten Tagen. Sie hat heute alles was sie aß erbrochen. […] Dabei ist sie sehr schwach und sieht viel elender aus als gestern.“ [AfM Zürich PN 169,5:071] Am 8.3.1894: „Sie kann die Arznei nicht nehmen ohne gleich darauf zu brechen. Auch bricht sie jetzt auch wieder was sie mit Mühe ißt oder trinkt.“ [AfM Zürich PN 169,5:072] Und am 28.3.1894: „Mama’s Zustand ist immer gleich. […] Gestern hat sie fast alles gebrochen, heute weniger. Heute Vormittag war sie furchtbar unruhig obwohl sie nur 36,5 Temperatur hatte. Bis heute Abend ist dieselbe auf 36,7 gestiegen. Heute beim Aufstehen war sie wieder furchtbar elend.“ [AfM Zürich PN 169,5:073], denSchreibversehen, statt: der. Mama betroffen hat, wirst du gehört haben. Es lasten aber mehr die Tributationen WillysWilliam Wedekind hatte im Zuge seiner Auswanderung nach Südafrika die Auszahlung seines Erbteils gefordert, wie Emilie Wedekind in ihrem Notizbuch am 8.1.1891 vermerkte: „Brief von Willy der einem Advokaten Auftrag gab gerichtlich seine Gelder aus dem Schloß zu ziehen.“ [Mü, L 3476/44] und ihre sonstige betrübliche Lage auf ihr, als die Krankheit. Auch Henkells Mutter ist schwer krank. Miezes ContractabschlußErika Wedekind, die auch nach ihrer Prüfung am Dresdner Konservatorium im Frühjahr 1893 dort ihre Ausbildung als Sängerin fortsetzte, schloss im Herbst 1893 einen Vertrag mit dem Hoftheater Kassel ab und sollte ihr Engagement im Frühjahr 1894 beginnen, wurde jedoch vorher in Dresden nach ihrem Debüt in Otto Nicolais Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ zur Königlich-Sächsischen Hofopernsängerin ernannt und dort verpflichtet [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 317]. ist noch von einigen Gastspielen abhängig, die nach meiner Berechnung in nächster Zeit vor sich gehen müssen. Mama und Mati haben die Intention, im günstigen Falle nach Cassel überzusiedeln. Hami hat offenbar seinen Auswandererplan, an dem er vor Neujahr immer noch laborirte, ganz aufgegeben.

Schreibe mir vielleicht in deinem nächsten Briefe auch etwas über deine Pläne, fingire irgendetwas, denn ich werde immer so mit Fragen bestürmt, daß ich im/ge/rne etwas antworte und gerne den Mund etwas | voller nehmen möchte, als meine Verlegenheit, in welche mich die vollständige UnkennttnißSchreibversehen, statt: Unkenntniß. bringt, zu läßt. Es ist ja doch auch schließlich eine Art Reklame, von dem zu sprechen, was man einstweilen nur vorhat zu tun.

Ich hoff sicher daß wir uns diesen Sommer irgendwo treffen. und daß sich dann unsrer beider Pläne etwas fixirt haben, denn ich glaube es ist doch besser wir probiren einmal die Menschheit unterzukriegen, als nachlässig auf Alles zu verzichten. Meine Adresse ist immer noch dieselbe Tannenstrasse No 1. Ich habe ein wunderschönes Zimmer mit einem feeh/n/haften Ausblick über die ganze Landschaft. Es ist ein Heim, mit dem ich mich für mein ganzes Leben zufrieden geben möchte, sollte es mir nur gewährt sein | immer so zu leben. Schreibe mir bald und vergießSchreibversehen, statt: vergiß. keinen der eiz/n/zelnen Punkte. Ich gebe dir am Fuße des Briefes noch eine Adresse eines Mädchensnicht identifiziert; Donald Wedekind hat versäumt, die Adresse zu notieren., das ich in Genf kannte. Sie ist Diakonissin und bietet an und für sich nichts Außerordentliches, aber vielleicht hat sie selber bessere Bekanntschaften, als sie selber ist.

Sie ist studirte Krankenwärterin, will as(engl.) als; oder Schreibversehen, statt: als. Lady behandelt sein, im Übrigen für mich wenigstens zu Allem bereit. Ich mache dich aber darauf aufmerksam, daß ich ihr einer Bitte um Geld von London aus, die das Mädchen an mich stellte, nicht entsprach, weil ich sicher wußte, daß sie nicht von harter Not gedrückt wird, sondern nur irgend welche Laune im Kopf hatte. Vielleicht ist sie auch durch die betreffende Adresse nicht mehr zu erreichen, weil | sie sehr viellei reist. Versuche es oder nicht, je nach deinem Gutdünken, es ist ja schließlich nur der Unterhaltung willen. Und nun leb wohl, schreibe bald und empfange die herzlichsten Grüße von deinem immer treuen Bruder
Donald Wedekind


Zürich d. 6. März 1894.


P. S. Im Übrigen wisse, daß sie echte Londonerin ist und die ganze Stadt kennt.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 11. März 1894 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 14.4.1894 aus London:]


Donald schrieb mir, daß Mieze in Dresden engagirt sei.

Frank Wedekind schrieb am 15. März 1894 in London folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 28.4.1894 aus Zürich:]


Dein Brief erreichte mich in Bordighera. Er wurde mir von Zürich aus nachgeschickt.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 19. März 1894 in San Remo folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind , Frank Wedekind , Frank Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 28.4.1894 aus Zürich:]


Wenn ich nicht irre, so sandte ich dir dann eine kurze Postkarte nach London von San Remo aus.

Frank Wedekind schrieb am 25. März 1894 in London folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 14.4.1894 aus London:]


An Donald schrieb ich vor einigen Wochen nach Mailand […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 28. April 1894 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Bebie!

Dein Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 15.3.1894. erreichte mich in BordigheraDonald Wedekind hielt sich seit Mitte März bis Ende April in Mailand und an der italienischen Riviera auf.. Er wurde mir von Zürich aus nachgeschickt. Wenn ich nicht irre, so sandte ich dir dann eine kurze Postkartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 19.3.1894. nach London von San Remo aus.

Ich empfand wirklich großes Vergnügen von dir ein Lebenszeichen zu bekommen und namentlich aus deinem Brief zu erkennen daß du dich doch nach und nach eingewöhnt hast in England. Daß es die traurigste Race(engl.) Menschenschlag. der Welt ist, weiß ich wahrscheinlich ebenso gut wie du ich habe gerade auf dieser Rivierareise wieder einige | Erfahrungen davon gesammelt.

Nun das weitere. Ich steuerte von Mailand nach Genua und machte die Bekanntschaft einer reizenden Italienerin, die ich sofort gedachte mit zu nehmen, einstweilen aber noch zurückließ, weil ich ja die Wohnverhältnisse in Bordighera nicht kannte. Als ich aber von einem dortigen Curarztnicht identifiziert. in einer Villa ganz wie mein eigener Herr ohne weitere Mitmieter einlogirt wurde und der betreffende Arzt nach Rom reiste um dem Congreßder 11. internationale medizinische Kongress vom 29.3.1894 bis 5.4.1894 in Rom. beizuwohnen, da ließ ich meine Ninonicht näher identifiziert. nachkommen und wir erfreuten Mentone, | Monte Carlo, San Remo und Ospedaletti mit unsren täglichen Ausflügen. Dann kehrten wir nach Genua zurück, von wo eine unangenehme Szene mit ihrem Bräutigamnicht identifiziert. mich vertrieb und jetzt, wo ich wieder in Zürich bin, könnte ich mich fast aufhängen vor Sehnsucht nach der Kleinen. –

Soweit meine Reise. Ich spielte auch und gewann 150. frs und sah Max Halbe zweimal mit seinen Koffern in den Bahnhöfen der Riviera herum keuchen. In Lugano machte ich eine Station von wenigen Tagen um mich nach und nach Italiens zu entwöhnen. Jetzt bin ich wieder hier und werde das Semester vollenden. Was dann geschieht weiß ich nicht. |

Mama traf ich in einem sehr schlechten Gesundheitszustand an, man fürchtet es könnte der Magenkrep/b/s sein. Sie sieht aus, als ob sie nie mehr gesund werden könnte.

Mieze bekommt ausgezeichnete KritikenErika Wedekind war seit dem 1.4.1894 an der Hofoper Dresden engagiert. Über ihre Auftritte berichtetet die Presse: „Die Königl. Hofoper brachte vorgestern unter Generalmusikdirektor Schuch eine flotte und zündend wirkende Aufführung von Donizetti’s ‚Regimentstochter‘ […]. Die Titelpartie sang zum ersten Male Frl. Wedekind unter gleich glücklichem Gelingen und unter gleicher lebhafter Anerkennung wie vor Kurzem die Rolle der Frau Fluth. Die überaus dankbare und gefällige Partie der Marie ist Frl. Wedekind bereits völlig in Fleisch und Blut übergegangen und von Frl. Orgeni mit Cadenzen und Verzierungen versehen worden, die Frl. Wedekind’s Mitteln ausgezeichnet liegen. Die allerdings zarte, aber klangschöne Stimme der jugendlichen Sängerin beherrscht die Partie vollkommen und erzielte einen besonderen Erfolg mit der Einlage des Nachtigallenliedes von Alabieff, das eine ausgezeichnete Aufführung erfuhr.“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 39, Nr. 99, 9.4.1894, S. (2)]. Henckell freute sich sehr über das Telegrammnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Karl Henckell, 17.4.1894. Das Telegramm schickte Wedekind wahrscheinlich zum 30. Geburtstag Karl Henckells., das aber jedenfalls defeck/t/ hier angekommen ist, indem dessen Sinn niemand herausbrachte.

Herr Bölsche sagte mir ich solle dir die Adresse von Herrn Bernhard Kampfmeier mitteilen, sie (nämlich ebendieser Herr, welcher der Bruder von August KampfmeierDie Brüder von Bernhard Kampffmeyer hießen Paul, Theodor und Otto, seine Schwestern Auguste und Anna; gemeint ist hier wahrscheinlich der Publizist Paul Kampffmeyer, ein Bekannter Frank Wedekinds [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.3.1894]. ist und | Bölsches Frau) sind während der Zeit der Anarchistenverweisungen von ParisNach einem Anschlag auf die französische Nationalversammlung am 9.12.1893 durch den Anarchisten Auguste Vaillant verabschiedete das französische Parlament eine Reihe von Notstandsgesetzen (sog. ‚lois scélérates‘), die zur Einschränkung der Pressefreiheit, zahlreichen Verhaftungen und zu Ausweisungen von Ausländern führten, die der Sympathien für den Anarchismus verdächtigt wurden. geflohen und haben sich in London niedergelassen. Ich teile dir die Adresse am Ende des Briefes mit und d/H/err Bölsche meint, sie würden sich sehr freuen, dich zu sehen, denn sie hätten großen Langeweile in England.

Zur näheren Orientierung mag dir dienen, zu wissen, daß die EntführungNachdem Wilhelm Bölsche in Friedrichshagen das Verhältnis zwischen seiner Frau Adele Bölsche (geb. Bertelt) und Bernhard Kampffmeyer entdeckt hatte, reisten beide zunächst nach Paris und dann nach London, wo sie am 22.12.1893 eintrafen [vgl. Christoph Knüppel: „In eine abschreckend katholische Gegend sind wir hier geraten“. Der deutsch-jüdische Schriftsteller und Anarchist Gustav Landauer in Bregenz. In: Jahrbuch des Franz-Michael-Felder-Archivs der Vorarlberger Landesbibliothek, Jg. 10 (2009), S. 43]. Wilhelm Bölsche ließ sich vorübergehend in Zürich nieder [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.3.1894]. Am 5.3.1897 heirateten die inzwischen geschiedene Adele Bölsche und Bernhard Kampffmeyer in Berlin-Wilmersdorf. in ganz friedlicher Weise vor sich gieng und das Liebespaar sogar von Paris aus den | enttrohnten Gatten in Zürich besuchte.

Es freut mich sehr, daß du so tätig bist, ausSchreibversehen, statt: auf. das neue Stückdie Monstretragödie „Die Büchse der Pandora“ (1894), deren fünften Akt Wedekind während seines Aufenthaltes in London fertigstellte [vgl. KSA 3/II, S. 833]. bin ich gespannt. Könnte ich nur auch arbeiten aber ich bin so faul und dann läßt mich die Angst vor der Lebensnot gar nicht zur Ruhe kommen.

Ich werde hier in Zürich immer gefragt, ob du noch diesen Sommer herkommst. Das wäre ja eigentlich sehr gut und bei dem schlimmen Zustand Mamas ganz natürlich. Ich werde jedenfalls gleich nach | Schluß des Semesters irgendwo an einen Platz gehen, wie Herthensteinvermutlich das landschaftlich schön gelegene Hertenstein am Vierwaldstättersee im Kanton Luzern; möglich ist aber auch Hertenstein in Obersiggenthal bei Baden im Aargau; in Baden nimmt Donald Wedekind 1906 vorübergehend seinen Wohnsitz., denn es ist nicht teurer, als anderswo und dabei doch so wunderschön.

Verzeihe die schlechte Schreibart. Ich habe im Augenblick schon einen andern Brief im Kopf. Schreibe bald und sei herzlich gegrüßt von deinem treuen Bruder
Donald Wedekind


Zürich d. 28 April 1894


Bernard Kampfmeier
36 Alma Square N. W.
Wellington Road
London.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 3. Mai 1894 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Bebi!

Soeben bekomme ichDer Brief Armin Wedekinds an Donald Wedekind sowie das beigelegte Billet von Erika Wedekind sind nicht überliefert. von Dresden durch Hamis Hand dies kleine Billet von Mieze. Das Geschenkvermutlich ein gemeinsames Geschenk der Geschwister zum 54. Geburtstag der Mutter am 8.5.1894. bestand aus einer kleinen bescheidenen Halskette und war Hamis Idee.

Du kannst aus den Zeilen Miezes ersehen, daß sie sich über dieselbe Saumseligkeit in deiner Unterhaltung | der Correspondenz beklagt, wie ich das zu tun auch wohl schon das Recht hatte, es aber unterlassen habe, weil ich selber nicht immer ganz pünktlich bin.

Julius Hart ist in diesen Tagen mit seiner Frau Julius Hart, den Frank Wedekind am 24.5.1889 in Berlin kennengelernt hatte [vgl. Tb], war seit dem 2.11.1893 mit der Zeichenlehrerin Martha Mangelsdorff verheiratet.hier angekommen. Max Halbe hat sich in KreuzlingenMax Halbe lebte 1894/95 mit seiner Frau Luise in Kreuzlingen am Bodensee, wo auch die gemeinsame Tochter Anneliese geboren wurde. niedergelassen. Das der Stand der literarischen Welt in Zürich und Umgebung. |
Das Wetter ist so scheuslichDie letzte Aprilwoche und die ersten Maitage 1894 in Zürich waren im Vergleich zum langjährigen Mittel um 4 bis 5 Grad Celsius zu kalt und von ergiebigen Regenfällen geprägt [vgl. Annalen der schweizerischen meteorologischen Central-Anstalt 1894, Jg. 31, S. 36 und 51]., daß ich beinahe wahnsinnig werde und mich nach dem Semesterschluß sehne.

Antworte mir bald wie es dir in London weiter ergeht. Mamas Befinden ist immer dasselbe kraftlose. Ich bin Dein treuer Bruder
Donald.


Zürich d. 3. Mai 1894.

Frank Wedekind schrieb am 10. Mai 1894 in London folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 12.5.1894 aus Zürich:]


Soeben habe ich deinen lieben Brief bekommen.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 12. Mai 1894 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Bebi!

Soeben habe ich deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 10.5.1894; darin hatte Frank Wedekind seinen Bruder offenbar um Geld gebeten. bekommen. Die 300 frs gebe ich zu gleicher Zeit mit diesen Zeilen auf. Ob ich dir helfen kann? Sicher und es ist mir eine Freude dir zu helfen, indem ich dadurch mich dir einmal nützlich erweisen kann, für die vielen Fälle in welchen du dich mir nützlich und lie|benswürdig e/g/ezeigt hast. Denn betrachte ich meinen ganzen Bekanntenkreis in Zürich. Ist er nicht ganz dein Verdienst? Aber basta.

Mich freut es sehr dich in London einigermaßen eingewohnt zu wissen. Ich hoffe das beste von der journalistischen Cari/r/iere, sie ist immer | noch besser als vieles, vieles Andere.

Mama geht es besserDies hatte bereits zwei Wochen zuvor Armin Wedekind seinem Bruder Frank in einem nicht überlieferten Schreiben berichtet [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 30.4.1894].. Ich selber habe sehr unter den Unbilden des Wetters zu leiden und denke, Ende des Sommers ganz nach Italien überzusiedeln. Immerhin ist es nicht ausgeschlossen, daß ich dich noch den Sommer auf einige Tage besuche.

Also wisse noch einmal, daß du mir | einen Gefallen erweisest wenn du dich künftighin immer an mich wendest. Meine Verschwiegenheit Allem gegenüber kennst du ja und daß du Thomar nicht um Rückzahlung angehst finde ich gut denn ich wüßte nicht wo er es hernehmen sollte. Also noch einmal gut Glück. Ich muß eben auf den Bahnhof um | einen Wiener Journalistennicht ermittelt. abzuholen. Verzeihe deshalb die schlechte Schreiberei. Ich bin dein treuer Bruder
Donald LeviDie Bedeutung des hebräischen Namens ist ‚der Treue‘, ‚der Verbundene‘..


Zürich 12. Mai 1894.

Die Grüße werde ich ausrichten.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 9. Juni 1894 in Zürich folgende Postkarte
an Frank Wedekind

– Carte postale. –
Union postale universelle. – Weltpostverein. – Unione postale universale.
SUISSE. SCHWEIZ. SVIZZERA.


Nur für die Adresse.
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Frank Wedekind Esq
13 Air Street

Piccadilly Circus
London |


Lieber Bebi!

Mit dieser Karte sende ich dir die italienischen BriefeDie separat versandte Beilage ist nicht überliefert; es handelte sich wahrscheinlich um einen Reisebericht über Donald Wedekinds Italienreisen.. Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du dich umsehen wolltest ob man für dieselben einen billigen Übersetzer ins Englische haben könnte. Ich glaube es sollte das in London ziemlich leicht sein. Könnte man dann die Sache ohne Honoraranspruch in irgendwelcher engl. Zeitung unterbringen nach ausmerzungSchreibversehen, statt: Ausmerzung. der zu localen Stellen, s was nich so würde mich das ungemein freuen, da ich gern ein gedrucktes Exemplar in Englisch zu einem ganz speziellen Zweck haben möchte. Es wird natürlich schwer fallen. Schreibe mir ob die Sache überhaupt möglich ist und in welcher Weise. Sende mir auch bei Gelegenheit die Amerikafahrtdas Belegexemplar seiner Artikelserie „Eine Auswandererfahrt“ in der Beilage der „Züricher Post“, die Donald Wedekind seinem Bruder zur Ansicht geschickt hatte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.3.1894]. zurück, von welcher ich kein Exemplar mehr besitze. Mama geht es bedeutend besser. Mieze wird am 2. Juli hi in Lenzburg eintreffen und es wäre wirklich nicht ohne wenn du auch kommen würdest. Also so du freie Zeit hast, siehe Dich einmal in der betreffenden Sache um und schreibe mir bald. Sei meines herzlichsten Dankes versichert. Ich bin dein treuer Bruder
Donald Wedekind.


Zürich d. 9. Juni 1894

Frank Wedekind schrieb am 29. Juni 1894 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 8.8.1894 aus Genf:]


Deinen Brief vom 29. des 6. Monats habe ich erhalten […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 8. August 1894 in Veyrier folgenden Brief
an Frank Wedekind , Frank Wedekind , Frank Wedekind , Frank Wedekind

Lieber Bebi!

Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 29.6.1894. vom 29. des 6. Monats habe ich erhalten und es ist eigentlich schade daß du von London fortFrank Wedekind kehrte Ende Juni 1894 von London nach Paris zurück; in dem verschollenen Brief dürfte er seinem Bruder seine neue Pariser Adresse mitgeteilt haben. bist, indem ich dich aller Wahrscheinlichkeit Geschäfte halber dort aufgesucht hätte. Indessen schadet es weiter auch nichts und von deinem Standpunkt aus hast du vollkommen recht. London ist nicht die Stadt welche einen in schweren Zeiten aufheitern kann.

Jetzt schreibe ich dir eigentlich im Auftrage von Mieze. Erstens läßt sie sich sehr entschuldigen, daß S/s/ie Hami Mitteilung von der GeldsendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Erika Wedekind an Frank Wedekind, 10.7.1894. machte, aber sie war gezwungen es zu tun | indem sie sonst das Geld dir nicht sofort hätte zukommen lassenSchreibversehen (Auslassung), statt: lassen können.. Sie hielt sich vier Wochen in der Schweiz auf, die halbe Zeit im Steinbrüchlidas Wohnhaus der Mutter Emilie Wedekind in Lenzburg nach dem Verkauf von Schloss Lenzburg., die übrigen vierzehn Tage mit Mama in Hertensteinvermutlich der im Kanton Luzern am Vierwaldstättersee gelegene Urlaubsort, den Donald Wedekind möglicher besuchte, als er seinen Freund Elias Tomarkin auf dem Weg ins Berner Oberland begleitete (siehe unten); denkbar ist aber auch der gleichnamige Ort beim Kurort Baden im Kanton Aargau, nur 20 Kilometer von Lenzburg entfernt., wo ich sie besuchte. Sie ist sehr guter Dinge, und jammert nur, daß sie ungeheuer angestrengt wird, was ich glaube, daß auch unbedingt der Fall ist. Mittwoch vor n/8/ Tagenam 1.8.1894; Erika Wedekinds Auftritt als Sängerin ließ sich nicht belegen. trat sie wieder auf.

Zürich ist ruhiger geworden, wenn es überhaupt einmal lebendig war. Ich habe zwar freundliche Bekannte | noch dort gelassen, aber man sprach allgemein von Sommerfrischen, so daß ich vermute es wird kaum mehr jemand dort sein. Henkell ist ins Schwefelbad, Tomar begleitete ich ein Stück weit ins Berner Oberland, von wo er aber am selben Tag wieder in/na/ch der FlorastraßeElias Tomarkin wohnte in Zürich in der Florastraße 50) [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.9.1890]. zurückkehrte.

Bölsche und Hart und Frau haben die Absicht den Winter in Rom zuzubringen, wozu ich ihnen sehr geraten habe. Khaynach traf indessen in Zürich ein und beschäftigt sich mit der Herausgabe eine großen „Zotenwerksvermutlich Friedrich von Khaynachs autobiographische „Studienblätter aus den Wanderfahrten eines Malers“ (Zürich 1895, erschienen im Verlags-Magazin J. Schabelitz). Das Buch sei „nach dem Horizont des Herrn Müller aus Borna das non plus ultra des Unanständigen, Gemeinen, Frechen, Gottlosen.“ [Die Redenden Künste (Leipziger Konzertsaal), Jg. 2, Nr. 27, 1.4.1896, S. 847] urteilte die Kritik, „voll von – gelinde gesagt – Geschmacklosigkeiten“ und „Roheiten“ [Die Kunst für Alle, Jg. 11, Nr. 10, 15.2.1896, S. 159], und empfahl, Khaynach solle „sein bischen poetische Begabung in einen bessern Dienst als den der Religionsspötterei und Unsittlichkeit stellen“ [Oesterreichisches Literaturblatt, Jg. 6, Nr. 11, 1.6.1897, Sp. 347]., wie er es selbst nennt. Ich glaube nicht, daß er im Stande ist, ein solches | Werk zu etwas Außerordentlichem zu gestalten und die Hauptsache scheint sein Portrait zu sein, mit dem es geschmückt sein wird.

Monsieur Bazalgette, ein junger Pariser Dichter, kam hier nach Zürich und machte einen besonders guten Eindruck durch seine milde Art, überall etwas Schönes zu finden. +/Ic/h halte ihn durch und durch für einen Gentleman. Was seine literarische Stellung anlangt, so kann ich natürlich nichts wissen, aber ein gutes Zeichen schien mir daß er nie von seinen Werken sprach. Er will in Wien mit andern Parisern eine Revuedie seit Dezember 1894 erscheinende Zeitschrift „Le Magazine International. Organe trimestriel de la Sociéte internationale artistique“ (Paris). Wie aus den vorangestellten Statuten der ersten Nummer hervorgeht, gehörte Léon Bazalgette gemeinsam mit Otto Ackermann, Serge Murat und Laurence Jerrold zum Vorstand der Gesellschaft und zum Redaktionskomitee der Zeitschrift (Place Wagram 3, Paris). Als Ehrenkomitee der Gesellschaft wurden Michael Georg Conrad, Karl Henckell, Havelock Ellis, Jean Ozoulet, Elie Ducommun und Baron de Suttner genannt [vgl. Le Magazine International, Jg. 1, Nr. 1, Dezember 1894, S. (III, VI)]. herausgeben und hat soweit ich urteilen kann, gute RelationenBeziehungen.. Jedenfalls ist | er Stockpariser. Ich gab ihm Deine Adresse und versprach ihm Dich ihn beim/i/hm Dir anzumelden. Sollte es schon zu spät sein, würde ich das sehr bereuen.

Max Halbe tauchte wiederum in Zürich auf, fing mit einigen Leuten Streit an, schrie andren die Ohren voll und spielte sowohl den großen Dichter als auch den wohlüberlegenden Geschäftsmann aus. Dann reiste er wieder ab.

Bruno Wille kam mit seiner FrauAuguste Wille (geb. Krüger), seit 1890 mit Bruno Wille verheiratet. hier her, hielt in der „Eintrachtder 1840 gegründete Arbeiterbildungsverein Eintracht Zürich. Bruno Wille, Schriftsteller, freireligiöser Prediger und Mitbegründer der Freien Volksbühne Berlin, referierte in Zürich (Vereinslokal im Zunfthaus der Schumacher, Neumarkt 5) [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1894, Teil III, S. 69] am 27.7.1894 zu dem Thema: „Die Veredlung der Menschheit auf sozialem Wege“; die Presse berichtete: „Im deutschen Verein ‚Eintracht‘ referierte am Freitag abend Hr. Dr. Bruno Wille [...] vor einem sehr zahlreichen, aus allen Ständen, namentlich auch Studenten zusammengesetzten Publikum. […] Der Vortrag wird mit vielem Beifall aufgenommen. An ihn knüpft sich eine längere Diskussion, die wir [...] nur kurz wiedergeben können. [...] Zum Schluß empfiehlt Redner lebhaft, Volksbühnen zu errichten und sich die Werke der Dichter anzuschaffen. Er schließt mit den Worten: Jeder arbeite an seiner eigenen Befreiung! Schluß der Versammlung 11½ Uhr. Sie verlief völlig ruhig.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 115, Nr. 208, 29.7.1894, S. (2)]“ einen Vortrag und schob wieder ab. Im Übrigen hat er mir au|außerordentlichSchreibversehen (aufgrund von Seitenumbruch), statt: außerordentlich. gefallen. Er ist auch äußerlich eine imposante Erscheinung ohne das geringste Merkmal es sein zu wollen.

Tomar giebt, so viel ich weiß demnächst sein BuchDer erste Teil von Elias Tomarkins Roman „Der rote Heinrich“ erschien erst 1897 unter dem Pseudonym Ernst Thoma mit dem Titel „Eine Lebensgeschichte“ in Karl Henckells Verlag. heraus.

Auch ich habe mich endgültig von Zürich losgesagt und denke den Winter nach Berlin zu gehen, sofern es mir möglich ist dort zu bleiben. Einstweilen habe ich hier in Veyrier bei Genf eine herrliche Einsiedlerstätte gefunden wo ich mich | im denkbar schönsten Landstrich und einer sehr kleinen Gesellschaft von nur Südländern außerordentlich wohl fühle. So wohl als ich mich überhaupt bei immer verzwickter Lage fühlen kann. Ich denke noch wenigstens vier Wochen hier zu bleiben, denn der Ort ist so gelegen, daß ich die Stadt nicht entbehre, ich kann mit der Voie étroite in einer v/V/iertelstunde in Genf sein: der Platz liegt noch auf Schweizerboden, am Fuß des SalèveDer Mont Salève ist ein in den Savoyer Voralpen gelegener, 18 km langer Bergrücken (bis 1379 m), auf den von der Endstation der Straßenbahn seit 1893 eine elektrische Zahnradbahn führte..

So viel mir Hami erzählt hat will er für September eine Reise nach Pa|ris machen. Du wirst ihn dann jedenfalls sehen und ich freue mich für dich, daß du Besuch bekommst.

Schreibe mir, wenn es dir möglich ist, noch hierher und sei versichert, daß du mir mit einem Brief eine große Freude machst. Außerdem wünsche ich dir alles Gute, denn ich denke auch fromme Wünsche, von Andern für uns selber gesprochen tun einem im ganzen wohl. Ich bin dein treuer Bruder
Donald


Hôtel Beau-Séjour
Veyrier près Genève

le 7/8/. Août(frz.) August. 1894

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 10. September 1894 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds und Elias Tomarkins Postkarte an Frank und Armin Wedekind vom 10.10.1894 aus Zürich:]


Schade, Franklin, dass du mir meinen Brief nicht beantwortet hast.

Donald (Doda) Wedekind, Elias Tomarkin, Elias Tomarkin, Elias Tomarkin, Elias Tomarkin und Elias Tomarkin schrieben am 10. Oktober 1894 in Zürich folgende Postkarte
an , , Armin (Hami) Wedekind , Frank Wedekind , Armin (Hami) Wedekind , Frank Wedekind , Armin (Hami) Wedekind , Frank Wedekind , Armin (Hami) Wedekind , Frank Wedekind

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Mr/e/ssrs Frank & Armin Wedekind
Rue Monsieur le Prince 45
Paris |


Geliebte,

Einen Gruss aus Zürich an den Seinestrandverbreitete Metonymie für Paris.. Viel Vergnügen. Reise in einigen Tagen nach Berlin über Dresden. Hoffentlich sehe ich den letzteren der FirmaArmin Wedekind, der zweite der genannten Adressaten, der offenbar kurz vor der Abreise zu einem Besuch bei Frank Wedekind in Paris stand. noch in Zürich. Schade, Franklin, dass du mir meinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.9.1894. nicht beantwortet hast. Nochmals, viel Vergnügen

Euer Bruder Donald.


Lieber Herr DoctorArmin Wedekind war Arzt in Zürich.! ich schicke Ihnen herzliche Grüße und wünsche Ihnen ein angenehmes Paris. Lieber Herr Franklin! Wie geht es Ihnen und erfreuen Sie mich bald mit ausführlichen Nachrichten. Meinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Elias Tomarkin an Frank Wedekind, 1.10.1894. haben Sie wol erhalten. Indessen, Ihr edles Brüderpaar, empfiehlt sich Euch Euer Tomarkin.


Donald (Doda) Wedekind schrieb am 16. Juli 1895 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Otto Eisenschitz vom 7.9.1895 aus Lenzburg:]


[...] mein Bruder [...] in Berlin [...]. Seit mehreren Wochen habe ich keine Nachricht mehr von ihm.

Frank Wedekind schrieb am 3. September 1895 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Otto Eisenschitz vom 7.9.1895 aus Lenzburg:]


[...] mein Bruder [...] in Berlin [...]. Ihre Adresse [...] habe ich nach Berlin gesandt.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 7. Dezember 1895 in Rom folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 22.12.1895 aus Zürich:]


Mir liegt es schwer auf der Seele, daß ich ihm auf seinen letzten Brief hin keinen Trost bieten kann […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 27. Dezember 1895 in Rom folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 29.12.1895 aus Zürich:]


Er schickt mirHinweis auf das nicht überlieferte Schreiben Donald Wedekinds. einen herzzerreißenden Brief an MiezeDer beigelegte Brief an Erika Wedekind ist ebenfalls verschollen. […] da er in Lenzburg wieder einen Anfall hatte und auch jetzt wier er mir schreibt.

Frank Wedekind schrieb am 4. April 1896 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 10.5.1896 aus München:]


Ich habe ihm dreimal hintereinander die Hälfte von dem „sauerverdienten Geld“ geschickt […]

Frank Wedekind schrieb am 11. April 1896 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 10.5.1896 aus München:]


Ich habe ihm dreimal hintereinander die Hälfte von dem „sauerverdienten Geld“ geschickt […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 16. April 1896 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 10.05.1896 aus München:]


Da ich seit meinem Hiersein von Niemanden, außer Donald, etwas gehört habe […] Donald schrieb mir verschiedentlichHinweis auf das hier erschlossene Korrespondenzstück (und weitere verschollene Schreiben). von Paris.

Frank Wedekind schrieb am 18. April 1896 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 10.5.1896 aus München:]


Ich habe ihm dreimal hintereinander die Hälfte von dem „sauerverdienten Geld“ geschickt […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 23. Juli 1899 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 27.10.1899 von der Festung Königstein:]


Donald hat mir zum Geburtstag ins Gefängnis geschrieben […]

Frank Wedekind schrieb am 23. Oktober 1899 in Festung Königstein folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Brief an Walther Oschwald vom 31.10.1899 aus der Festung Königstein:]


[…] schrieb ich an Donald.



[2. Hinweis in Wedekinds Brief an Walther Oschwald vom 20.1.1900 aus der Festung Königstein:]


Nun noch einige Worte über Donald. [...] Ich habe ihm seit acht Monaten ein einziges Mal geschrieben [...]

Frank Wedekind schrieb am 3. November 1899 in Festung Königstein folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Walther Oschwald vom 4.12.1899 aus der Festung Königstein:]


Ich habe weiter keine Nachricht | von ihm als ein kurzes Dankschreiben nach seinem Geburtstag […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 5. November 1899 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Walther Oschwald vom 4.12.1899 aus der Festung Königstein:]


Ich habe weiter keine Nachricht | von ihm als ein kurzes Dankschreiben nach seinem Geburtstag […]

Frank Wedekind schrieb am 5. Februar 1900 in Dresden folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 24.3.1900 aus Zürich:]


Ich danke dir für deinen Brief, den du mir nach deiner Freilassung gesandt […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 24. März 1900 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Ich danke dir für deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 5.2.1900., den du mir nach deiner FreilassungFrank Wedekind war am 3.2.1900 aus der Haft auf der Festung Königstein entlassen worden, wo er wegen Majestätsbeleidigung seit dem 21.9.1899 inhaftiert war. gesandt; ich hatte damals schon die Vollmacht an den AdvokatenFür die gemeinsame Interessensvertretung in einer Erbschaftsangelegenheit hatte sich Frank Wedekind an seinen Schwager, den Juristen Walter Oschwald, gewandt [vgl. Frank Wedekind an Walther Oschwald, 20.1.1900], den auch Donald Wedekind bevollmächtigte. Wedekinds Tante Auguste Bansen, die jüngste Schwester seines Vaters, war am 15.12.1899 in Hannover kinderlos gestorben und „hinterließ ein reiches Erbe, das an ihre Nichten und Neffen fiel, pro Erbe und Erbin eine Summe von 5000 bis 6000 Mark“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 199]. Mit der Nachlassverwaltung war die Anwaltskanzlei von Hans Heiliger in Hannover (Georgenstraße 7) [vgl. Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1900, Teil I, S. 752] beauftragt. nach Hannover geschickt und konnte so deiner Weisung nicht nachkommen. Gegenwärtig handelt es sich | darum, daß ich tausend Franken in die Hand bekomme und das aus folgenden Gründen.

Ich muß Zürich verlassen, da ich hier aus lauter Langeweile (du weißt aus eigner Erfahrung wie es ist) unsinnig viel Geld verbrauche. Um aber abreisen zu können muß ich vorher 700 Franken Schulden bezahlen; die ich gegen Re|çenunklar; möglicherweise Kurzform für (frz.) reconnaissance de dette = Schuldschein. eingegangen habe. Die übrigen 300 genügten als Reisegeld und als erste Monatsrate, um in Mailand oder irgend einer andern italienischen Stadt mit Muße leben zu können, vielleicht auch gar etwas Schriftstellerisches zu Stande zu bringen, mit dem ich Ehre einlegen kann. Auf Letzters baue ich nicht so sehr, si|cher aber ist, daß ich weniger Geld brauchen, vernünftiger leben werde, als in dem Milieu hier, wo die einzige Zerstreuung das Spiel ist. Du verstehst mich. Schreibe mir, bitte sei so gut, ob du etwas tun kannst, ob du dich vielleicht mit Walther Oschwald in Verbindung setzen willst, der auf | irgendwelchen derartigen Vorschlag, so ich ihn direkt ihm mache, niemals eingehen wird und antworte mir möglichst schnell. Mit Liebe Dein Bruder
Donald


Zürich 24. März 1900
1. Bahnhofplatz

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 19. April 1900 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Zürich, Bahnhofplatz 1.


Lieber Frank!

Auf meinen letzten Briefvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.3.1900. habe ich keine Antwort erhalten, was mich nicht wundert, da er auch weiter keine erwartete. Um so mehr hoffe ich, wirst du diese meine Zeilen mit einigen Nachrichten beantworten, wovon vielleicht mehr abhängt | als du glauben magst. Seit ich im Herbst die Redaktion der „Fremdenblätterwohl das saisonal wochenweise erscheinende „Zürcher Fremdenblatt“ (seit 1906: „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt“), herausgegeben von der offiziellen Verkehrs-Kommission in Zürich. verloren, war meine journ. Arbeit (von schriftstell. gar nicht zu sprechen) sozusagen Null. Es wiederstrebtSchreibversehen, statt: widerstrebt. mir überhaupt die Feder in die Hand zu nehmen, die Kraft fehlt mir, aus eigener Initiative zu arbeiten und unselig der Moment, da mir solches vor zehn Jahre beim | Aufsetzen meiner ersten FeuilletonnovelleDonald Wedekinds Erzählung „Der Gang nach der Teufelsbrücke“ war in der Berner Tageszeitung „Der Bund“ erschienen [vgl. Der Bund, Jg. 40, Nr. 148, 28.5.1889, S. (1-3), Nr. 149, 29.5.1889, S. (1)]. einmal gelungen. Dagegen habe ich das, was man von mir zu tun verlangte, wenn Zeit und Ort gezwungen war, immer zur Zufriedenheit meiner Mitmenschen gemacht, es sollte mich deshalb verwundern ob ich nicht irgendeine Stelle, sei sie von dieser oder jener Art, auszufüllen im Stande wäre. | Du hast dich vor einem Jahr dazu herbeigelassen mir deine Empfehlungen zu geben. Du hattest aber selber UnglückFrank Wedekind war seit Ende Juni 1899 in Untersuchungshaft in Leipzig und nach seiner Verurteilung wegen Majestätsbeleidigung bis zum 3.2.1900 inhaftiert., warst fern und vielleicht allzusehr im Optimismus befangen was dein und mein Verhältniß zu gewissen Leuten, deinen und meinen Einfluß auf dieselben anbetrifft. Deswegen schlug die Sache fehl ohne daß ich mir die/en/ Sache/Vor/wurf des Fehlens der besten | und ernsthaftesten Absicht zu machen hätte. Stehen heute die Sachen anders? Bist du in deiner Stellung sicherer geworden, so sicher, daß ein Schlag ins Wasser ausgeschlossen ist. Wenn die/das/ der Fall ist, dann bitte suche mir irgend welche Stellung mit mechanisch regelmäßiger Arbeit zu bekommen, ist die Stellung so, daß sich mehr als eine einfache Versorgung dabei erreichen | läßt, so werde ich die Arme nicht sinken lassen. Aber die Versorgung ist augenblicklich die Hauptsache und zwar von dem Standpunkt aus, daß ich durch die daraus erfolgende Regelmäßigkeit auch mein GeistigesSchreibversehen, statt: geistiges. Leben wieder ins Geleise bringen.

Ich habe seit der Nachricht von Tante Auguster/n/s AblebenWedekinds Tante Auguste Bansen, die jüngste Schwester seines Vaters, war am 15.12.1899 in Hannover kinderlos gestorben und „hinterließ ein reiches Erbe, das an ihre Nichten und Neffen fiel, pro Erbe und Erbin eine Summe von 5000 bis 6000 Mark“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 199]. 1200 frs. Schulden gemacht, das heißt in drei Mona|ten 1200 frs. gebraucht. Wäre das in irgendeiner andern Stadt als Zürich, würde ich mich über die Tatsache freuen, so aber muß ich mir selber gestehen, daß das, was man hier für sein Geld erhält, solches nicht wert ist, denn ob man trinkt, spielt oder liebt, immer ist/si/nd es und/d/ie gröbsten, unfeinsten Umstände, unter denen man genießt. Das Baccarat Karten-Glücksspiel.ist vielleicht noch der | annehmbarste Zerstreuung die man sich hier schaffen kann, deshalb habe ich mich auch nicht gescheut, Abend für Abend mit einer gewissen clubartigen Regelmäßigkeit dieses Spiel zu pflegen. Ich hatte jedoch, wie die meisten Spielenden mit beschränkten Mitteln, kein Glück verliere im Ganzen vielleicht 200 frs. was bei der langen und/Dauer und den häufigen, ge|nußreichen Abenden immerhin nicht zu teuer bezahlt war. Daß jedoch ein geistiges Leben bei f/d/er Art des abwechselnd aufgeregten und apathischen Dahinvegetirens nicht existiren kann, wirst du verstehen.

Wenn du also irgend jemand kennst, der Leute braucht, Leute anstellt, sei es zu dieser oder jener Beschäftigung, und du glaubst ein Wort | sicher einlegen zu dürfen, so tue es – du würdest mir einen Dienst erweisen. Für den Augenblick würdest du mich verpflichten, wenn du mir eine solche Summe wie du Sie entbehren kannst, zuschicken würdest, denn ich werde morgen oder übermorgen ohne Geld sein und mein Credit auf die Erbschaft ist erschöpft.

Ich las kürzlich, | daß dein Kammersänger in WienÜber das geplante Gastspiel der Berliner Secessionsbühne in Wien mit Wedekinds Stück „Der Kammersänger“ berichtete die Presse seit Mitte April: „Nach dem Deutschen Theater wird auch ein zweites Berliner Theater in Wien gastieren, eines das in Berlin selbst – noch wenig bekannt ist. Die ‚Secessionsbühne‘ hat im Neuen Theater nur zwei Vorstellungen als Sonntags-Matinéen gegeben. Beide hatten freilich ausgesprochenen und vielversprechenden Erfolg. Im Juli d. J. will die Secessionsbühne ein Gastspiel in Wien veranstalten, und hat dafür unter anderen ‚An des Reiches Pforten‘ von Knut Hamsun und die von ihr in Berlin bereits aufgeführte Komödie ‚Der Kammersänger‘ von Frank Wedekind von Albert Langens Bühnenverlag in München erworben.“ [Grazer Tagblatt, Jg. 10, Nr. 102, 12.4.1900, S. 16] Die Gastspielpremiere der Berliner Secessionsbühne (Leitung: Paul Martin) am Theater in der Josephstadt mit Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ fand am 21.7.1900 statt [vgl. Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 6710, 21.7.1900, 6 Uhr-Blatt, S. 3; 8]. aufgeführt werden soll. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich dich wieder einen Schritt vorwärts machen sehe und weiß, daß du sicher ans Ziel gelangen wirst. Ob ich es erleben werde? –

Damit bin ich, in Erwartung deiner sofortigen Antwort, dein dich liebender Bruder
Donald


19. April 1900
Zürich Bahnhofplatz 1

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 6. Juli 1900 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

[...] daß dieselbedie Abwicklung der Erbschaftsangelegenheit Auguste Bansen, einer Großtante Wedekinds, die er seit Jahresbeginn mit wachsender Dringlichkeit erwartete (siehe dazu seine Korrespondenz mit seinem Schwager Walther Oschwald). vor Ablauf dreier Monate schwerlich vor sich gehen wird, einfach deswegen, weil der HeiligerHans Heiliger, der mit der Prüfung der Erbberechtigung und Auszahlung der Erbteile beauftragte Hannoveraner Rechtsanwalt (Georgenstraße 7) [vgl. Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1900, Teil I, S. 752]. (ein Mann von der Rasse Hartleben, durchaus sauber) einem militärisch. Kurs obliegt, dann weil | die Zeit der Ferien und der Sommerfrischen ist. Daß die Erbschaftsantretung nicht mehr bestritten wird, geht aus der/em/ Faktum hervor, daß mir die Dresdner Bank in HannoverDie Filiale der Dresdner Bank befand sich der Theaterstraße 12 [vgl. Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1900, Abt. I, S. 1183]. durch die Empfehlung und Befürwortung | Heiligers gegen notar. Cession(frz.) Übertragung, Abtretung. sofort 5000 M. auszahltenWedekind, der aufgrund dieser Nachricht nach Hannover reiste und Gleiches versuchte, wurde eine Auszahlung verweigert [vgl. Wedekind an Donald Wedekind, 19.7.1900]., von denen dir, wenn es dir dienen kann, jeden Augenblick 1000 zur Verfügung stehen. Resümé: es sind durchaus keine Schwierigkeiten mehr | zu befürchten, aber bis zur GesammtAuszahlung können füglich noch 2 bis 3 Monate vergehen. Ich reiste mit meinem Creditbriefe auf die Zürch. BankWelche der Zürcher Banken gemeint ist, ist nicht ermittelt. nach Zürich zurück, wo ich gestern angekommen. Ich werde hier noch [...]

Frank Wedekind schrieb am 7. Juli 1900 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Donald Wedekind vom 19.7.1900 aus Leipzig:]


[...] komme ich nun noch einmalHinweis auf das nicht überlieferte, hier erschlossene Korrespondenzstück, in dem Frank Wedekind das Angebot seines Bruders Donald, ihn finanziell zu unterstützen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.7.1900], erstmals angenommen hat. Er erhielt daraufhin 300 Mark [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 9.7.1900]. auf das freundliche Anerbieten, das du mir machtest zurück.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 9. Juli 1900 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Donald Wedekind vom 19.7.1900 aus Leipzig:]


Für die 300 Mark für deren prompte | Übersendung ich dir noch bestens danke […]

Frank Wedekind schrieb am 19. Juli 1900 in Leipzig folgenden Brief
an Donald (Doda) Wedekind

Leipzig, den 19. Juli 1900
Lampestrasse 13.IV. l.


Lieber Donald,

ich habe kein Glück in HannoverUm die Auszahlung des Erbes seiner Tante Auguste Bansen, die am 15.12.1899 verstorben war, zu beschleunigen, war Frank Wedekind nach Hannover gereist und wollte den Anwalt aufsuchen, der mit der Sache betraut war, Hans Heiliger (= Heiliger II; zur Unterscheidung wurden Anwälte gleichen Namens an einem Ort üblicherweise nummeriert). Zu der sich in die Länge ziehenden Erbschaftsangelegenheit siehe die Korrespondenz Frank Wedekinds mit seinem Schwager Walther Oschwald. gehabt, vor allem wol deshalb weil Heiliger II am Tage vor meiner Ankunft verreist war, in die Ferien, auf vier Wochen. Heiliger Ider Vater von Hans Heiliger (= Heiliger II), der Justizrat, Rechtsanwalt und Notar Ernst Heiliger in Hannover (Bernstraße 4) [vgl. Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1900, Teil I, S. 752]. machte mir trotzdem Hoffnung, daß die Geschichte gelingen könnte. So blieb ich über den Sonntagden 15.7.1900. dort. Am Montagden 16.7.1900. erklärten aber die Leute von der Dresdner | BankDie Filiale der Dresdner Bank war in der Theaterstraße 12 [vgl. Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1900, Abt. I, S. 1183]. des aller entschiedensten, daß sie sich auf eine weitere BeleihungDonald Wedekind hatte auf seiner Reise nach Hannover Anfang Juli [vgl. Frank Wedekind an Walther Oschwald, 1.7.1900] auf sein bevorstehendes Erbe bei der Dresdner Bank eine Hypothek über 5000 Mark aufgenommen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.7.1900]. der Erbschaft nicht einlassen könnten. So zog ich unverrichteter Sache ab. Dagegen versicherte mir Heiliger I als ganz zuverlässig, als „mathematisch“ wie er sich ausdrückte, und zwar ohne daß ich ihn danach gefragt hätte, daß die endliche Auszahlung sofort nach der Rückkehr seines Sohnes, das heißt spätestens bis zum 15. August stattfinden werde. Das Gericht hat die Erlaubnis zur VertheilungDer Nachlassverwalter Hans Heiliger hatte nach Vorliegen der Erbscheine den Nachlass durch eine Teilungsanordnung unter den Erben aufzuteilen oder auszugleichen. Die Erbscheine hatte das Nachlassgericht offenbar bereits ausgestellt [vgl. Frank Wedekind an Walther Oschwald, 1.7.1900], so dass nun die Wertpapiere der verstorbenen Tante verkauft werden konnten, um den Erlös anschließend unter den Erben aufzuteilen. ertheilt und die Papiere werden gegenwärtig an der Berliner Börse verkauft. Diese Thatsache und die Richtigkeit des angegebenen Termins wurden | mir auch von dem Büreauchef Heiligers IInicht identifiziert. bestätigt, den ich am Sonntagden 15.7.1900. zufällig im Zoologischen Garten traf.

Trotz dieser Aussichten, die ich als durchaus zuverlässig ansehe, hat die Enttäuschung so niederschlagend auf mich gewirkt, daß ich mich nicht dazu entschließen konnte nach München in meine leere Wohnung, in die Verhältnisse in denen mir jede Arbeit unmöglich ist, zurückzukehren. Ich nehme mir auf einen Monat ein Zimmer hier in Leipzig, wo ich an dem von S. Fischer unternommenen Werk „Das Variété des LebensEin Projekt mit diesem Titel, vermutlich eine Anthologie, wurde nicht realisiert.“ hoffe arbeiten zu können. Unter diesen | Verhältnissen und besonders im Hinblick auf die mit Sicherheit versprochene Auszahlung am 15. August komme ich nun noch einmalFrank Wedekinds erste Bitte um Übersendung des angebotenen Geldes (s. u.) ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 7.7.1900. auf das freundliche AnerbietenDonald Wedekind hatte nach der erfolgreichen Auszahlung eines Kredits über 5000 Mark (s. o.) seinem Bruder sogleich 1000 Mark als Unterstützung angeboten [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.7.1900], wovon Frank Wedekind zunächst nur 300 Mark in Anspruch nahm, um selbst nach Hannover reisen zu können., das du mir machtest zurück. Würdest du mir noch 500 Mark vorstrecken? Da ich mit meiner Toilette ziemlich auf dem Hund bin und in München meine Wohnungsmiethe bezahlen muß greife ich die Summe so hoch. Immerhin wird es bedeutend mehr sein als ich hier zu gebrauchen gedenke, zumal wenn es mir gelingen sollte, etwas zu arbeiten. Aber ich sehne mich unendlich nach etwas Freiheitsgefühl.

Für die 300 Mark für deren prompte | ÜbersendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 9.7.1900. ich dir noch bestens danke, lege ich hier einen Schein bei. Ebenso werde ich dir die 500 Mark wenn du sie mir schickst sofort nach Empfang bescheinigen, da man nie weiß, was passieren kann.

Für dein hülfreicheSchreibversehen, statt: hülfreiches. Anerbieten noch einmal meinen herzlichen Dank. Von dem nahe bevorstehenden Auszahlungstermin erhoffe ich daß er auch Dir noch ermöglicht, dich mit menschenwürdigem Comfort zu umgeben und dadurch deine Arbeitsfähigkeit und den Genuß am Leben zu erhöhen. Ich fühle gerade in meinem jetzigen gemietheten Zimmer | wieder, wie brennend meine Sehnsucht danach ist, in einer selbstgeschaffenen Umgebung zu wohnen und eigene Bedienung zu haben. Sollten sich die Dinge entwickeln wie es jetzt zu hoffen steht, dann würde ich mich freuen wenn wir uns Ende August noch einmal auf einige Tage sehen könnten, entweder in München oder in der Schweiz.

Mit herzlichen Grüßen Dein
treuer Bruder
Frank.


Lampestraße 13. IV l.
Leipzig.


[Beilage:]


Bescheinigung.

Unterzeichneter bescheinigt hiermit von seinem Bruder Donald Wedekind auf die ihm in Aussicht stehende Erbschaft hin die Summe von M. 300.– (Dreihundert Mark) als Darlehen erhalten zu haben.


Leipzig, den 19. Juli 1900
Frank Wedekind.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 24. Juli 1900 in Lausanne folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 3.10.1900 aus Dresden:]


[…] da ich gleich, nachdem ich dir von Lausanne aus die 400 M. gesandt hatte, nach Italien verreiste. Es war meine letzte Handlung vor 11.50 Vormittags […]

Frank Wedekind schrieb am 27. Juli 1900 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 3.10.1900 aus Dresden:]


Heute traf hier ein Brief von dir an mich ein, der mich in der Schweiz nicht mehr erreicht hat […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 3. Oktober 1900 in Dresden folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Heute traf hier ein Brief von dirnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 27.7.1900. an mich ein, der mich in der Schweiz nicht mehr erreicht hat, da ich gleich, nachdem ich Dir von Lausanne aus die 400 M. gesandtHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.7.1900. Frank Wedekind hatte seinen Bruder Donald zuletzt um 500 Mark gebeten [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 19.7.1900]. An seinen Bruder Armin schrieb er kurz darauf, Donald habe ihm „natürlich von seinem Gelde soviel ich brauche zur Verfügung gestellt“ [Frank Wedekind an Armin Wedekind, 1.8.1900]. hatte, nach Italien verreiste. Es war meine letzte Handlung vor 11.50 Vormittags, Abgang des Schnellzuges nach | Mailand. Ich blieb einige Tage in dieser Stadt, dann Genua, Monte Carlo, wo ich 14 Tage zubrachte, ohne Verlust, ohne GewinnIn Monte Carlo besuchte Donald Wedekind in der Regel das Spielcasino um Roulette zu spielen, wie aus der vorangegangenen Korrespondenz hervorgeht., dann Nizza, Marseille, Avignon, Lyon, Genf, Solothurn, Zürich. Eingedenk meines Engagements in WienBezug unklar. und deiner Worte, ich möge in Deutschland bleiben, reiste ich schon nach zwei Tagen wieder durch den GotthardDer Gotthardtunnel war 1882 eröffnet worden. nach | Venedig, um nach vierzehntägigem Aufenthalt nach Wien zu fahren. Wien ist eine teure Stadt und da es mit meiner Stelle und überhaupt der ganzen Zeitungsgründungsgeschichte nichts zu sein scheint, fuhr ich vor vielleicht 14 Tagen nach Dresden. Hier werde ich noch bis Ende Oktober bleiben, sollte sich bis dahin mein | Projekt, eine genügende Anzahl SchülerBereits während seines Amerika-Aufenthalts hatte Donald Wedekind versucht, als Privatlehrer Geld zu verdienen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.4.1889]. zu erhalten, verwirklichen, so würde ich mich wahrscheinlich für ganz hier niederlassen. Meine geheime Hoffnung ist, daß dem nicht so sein werde, um dorthin zurückzukehren, wo ich noch kurze Zeit, aber ohne deutsche Rüppelei und HypokrisieHeuchelei, Scheinheiligkeit. leben könnte. |

Walther Oschwald hat sich auf denselben Standpunkt gestellt wie Armin in Zürich, was natürlich das Gelingen meines PlanesDonald Wedekind suchte von seinem Schwager Walter Oschwald in Dresden oder von seinem Bruder Armin Wedekind eine regelmäßige monatliche Zahlung für mindestens ein Jahr zu erwirken, um sich beruflich zu etablieren (siehe die nachfolgende Korrespondenz). außerordentlich erschwert. Mieze verhält sich passiv und ebenso Mama. Letztere muß übrigens einen furchtbaren Groll gegen dich hegen, was der Grund dazu ist, daraus bin ich nicht klug geworden Weißt du, daß man in | Zürich Deinen „Liebestrank“ aufführen„Der Liebestrank“ hatte bereits am 28.9.1900 im Pfauentheater in Zürich Premiere und wurde „nach zwei Aufführungen abgesetzt“ [KSA 2, S. 1073]. Die Presse berichtete: „Die Direktion des Pfauentheaters hat für die dieswinterliche Spielzeit drei Werke des in München ansässigen Schriftstellers Frank Wedekind angekündigt, von denen der dreiaktige Schwank ‚Der Liebestrank‘ am Freitag abend zum ersten Male zur Aufführung gelangte.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 121, Nr. 272, 1.10.1900, Morgenblatt, Beilage, S. (1)] Das Stück war unter den „Neuheiten“ der Winterspielzeit angekündigt, die „Direktor Kionka“ eröffnet hatte: „Unter seiner Leitung hat sich das Pfauentheater überhaupt zu einem auch dem feinern litterarischen Geschmacke zusagenden Kunstinstitute entwickelt.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 121, Nr. 259, 18.9.1900, 2. Abendblatt, S. (2)] Das Publikum wusste mit dem Stück nichts anzufangen [vgl. KSA 2, S. 1083]: „Vorletzten Freitag und Samstag ging eine Novität über die Bühne – Der Liebestrank – Schwank in drei Akten von Frank Wedekind, dem Bruder von Hrn. A. Wedekind in Riesbach und der Sängerin gleichen Namens. Frank Wedekind hat sich schon durch recht eigentümliche Produkte seiner Muse bekannt gemacht. Dieser Schwank, der in Rußland spielt, wurde ganz flott dargestellt, der Besuch aber ließ zu wünschen übrig.“ [Zürcher Wochen-Chronik, Jg. 2, Nr. 42, 20.10.1900, S. 334] wird, Pfauentheater, Direktion KionkaOskar Kionka war in der „Sommerspielzeit 1900“ [Neuer Theater-Almanach 1901, S. 568] Direktor des Pfauentheaters, eine Zwischenlösung, bevor das Pfauentheater vom Stadttheater (Direktion: Alfred Reucker) in Zürich gepachtet wurde [vgl. Neuer Theater-Almanach 1902, S. 589]. Man hatte zum 15.6.1900 „als artistischen Leiter Hrn. Oskar Kionka gewonnen. Dieser ist ein wohlgeschulter Sänger, ein von künstlerischem Streben erfüllter Schauspieler, und befindet sich zur Zeit im Auslande zum Abschlusse der Engagements und der Erwerbung von Novitäten.“ [Zürcher Wochen-Chronik, Jg. 2, Nr. 22, 2.6.1900, S. 174] Oskar Kionka gab die Direktion allerdings zum 25.11.1900 wieder ab: „Direktor Otto Winzer hat vom 25. November 1900 ab die Direktion des Pfauentheaters übernommen“ [Neuer Theater-Almanach 1901, S. XIV], was bedauert wurde: „Auch das Pfauentheater segelt wieder im alten Fahrwasser der Posse, nachdem es unter der Aera Kronka ein entschieden modern-litterarisches Programm aufgestellt, das leider an der Indifferenz des Publikums scheiterte.“ [Bühne und Welt, Jg. 3, 1. Halbjahr, Oktober 1900 – März 1901, S. 265].

Sollte ich, was sehr wahrscheinlich ist, in einigen Wochen wiedrSchreibversehen, statt: wieder. nach Italien fahren, so käme ich über München und würde dich besuchen. Ich rechne nämlich dort in Monte Carlo mit ein/ de/r Ultima Ratio(lat.) letztes Mittel, letztmöglicher Weg., schließlich eine Stelle | als Sekretair, nicht als Croupier, zu bekommen, was ich schließlich, da M. C. doch der schönste Ort der Welt ist, vorziehen würde, denn hier als Millionair zu leben.

Lieber Frank, ich sage dir adieu, bitte dich mir zu schreiben, so du Zeit und Lust hast, denn ich schätze und schätzte Deine Ratschläge immer sehr, wie du selbst | weißt, wenn ich auch eingestehe, daß doch/all/erdings im Ganzen wohl nicht viel mit mir anzufangen ist.

In Treue und Herzlichkeit bin ich dein Bruder
Donald


Dresden d. 3. Oktober 1900
3. I. Porticusstraße

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 9. Dezember 1900 in Mailand folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Ich habe gestern an Mieze geschriebenDer Brief Donald Wedekinds an Erika Wedekind vom 8.12.1900 ist nicht überliefert. und sie gebeten mir für das Jahr 1901 eine Rente von 250 M. monatlich auszusetzen. Ich habe in dem Brief darauf hingewiesen, daß ich mich, wenn Du in der Lage wärst das Geld aufzubringen, an dich gewandt hätte, daß ich ihr für das Geld Schuldner bin, was nicht ganz gehaltlos ist, da ich in demselben Briefe da|rauf hinweise, daß die Unterstützung dazu dienen soll mir ein Jahr Arbeitszeit zu gewähren, damit ich mich aus meiner Misère herausbringe. Ich fügte des Weiteren bei, daß auch du vielleicht geneigt wärst, für die Wiedererstattung einzustehen. Das Alles nur, damit, so man sich vielleicht an dich wendet, du weißt, worum es sich handelt und was mein nicht wankend zu machender Wille ist. Ich habe von Mieze dann auch in dem Sinne d/A/bschied genommen, daß ich ihr er|klärte eine Nichtbeachtung, eine nur teilweise Erfüllung oder vollständige Zurückweisung meines Wunsches würden meinen Tod in der Nacht von 1900 auf 1901 zur Folge haben, daß ich die Regelung der Sache gerne bis Weihnachten sähe um wenigstens meine letzten Festtage mit dem Bewußtsein der Entschiedenheit meines Looses zu verleben. Ich bemerkte ferner, wie ich auch dir gegenüber gerne betone, daß, wenn ich zum Äußersten komme, ich solches ausfüh|ren werde ohne Groll gegen sie, ich wiederhole dasselbe in Bezug auf das Verhältniß von dir zu mir, niemand trägt Schuld daran, niemand, niemand, niemand ...

Ich war mit zu wenig Kräften ausgestattet um eine freie Laufbahn betreten zu können, wie du sie für mich ausgesucht, anderseits habe ich vieles genossen, was ich, wäre ich auf dem meinen Anlagen entsprechenden Wege geblieben, nicht hätte tun können und weshalb ich auch jetzt leicht sterbe

Zerbrich dir nicht | den Kopf darüber, was du für mich tun kannst. Das Einzige, mich in München in deiner Nähe zu unterhalten, kann ich nicht annehmen, das ist mein Stolz, vielleicht auch nur meine Eitelkeit. Unterstütze meine Bitte bei Mieze in jeder Hinsicht, das ist Alles, lieber Frank, Alles, was ich verlange.

Und nimm nochmals die Versicherung entgegen, daß ich niemals einen ernstlich bitteren Gedanken gegen dich gehegt, niemals hegen wer|de und daß ich heute noch, da ich vor der letzten Scene meiner leeren Lebensfarce stehe, dir dankbar bin für eine gewisse Weitsicht, durch die ich doch vielleicht etwas mehr als das gewöhnliche Menschenvieh zu genießen vermochte. Damit und mit treuem, brüderlichem Kuß dein
Donald


Mailand, Via Medici 15
den 9. Dez. 1900

Frank Wedekind schrieb am 7. Januar 1901 in München folgenden Brief
an Donald (Doda) Wedekind

Lieber D.

Dein Briefvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 9.12.1900. ekelt mich einfach an. Er ist zu frech und dumm um eine andere irgend welche andere Empfindung bei mir auszulösen. Einen Trost glaube ich dir immerhin bieten zu können. Man erschießt sich nicht, nachdem man einen solchen Brief geschrieben hat. Man erschießt sich höchstens vorher.

Für deinen brüderlichen Kuß muß ich mich unter solchen Umständen bedanken. Ich bin der fürchterliche Dummkopf nicht für den du mich hälst.

Dein Frank.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 9. Januar 1901 in Mailand folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Ich bitte dich umgehend um Antwort. Gedenkst du in meiner Sache etwas zu tun und kannst du es. Wenn ich mich nicht selbst umbringe, so sterbe ich doch Hungers. Ich denke, wenn du dir unsere Beziehungen seit den letzten 10 Jahren in Erinnerung zurückrufst, so müßte mein Tod, den du ohne einen Finger zu rühren, zuläßt, | doch etwas Peinliches für dich haben. Armin hat sich seit Jahren wegen meines Verhaltens zu dir von mir getrennt. Mieze schrieb mir ablehnend, aber immerhin freundlich, während du noch bittere WorteFrank Wedekinds Antwort auf Donald Wedekinds letzten Brief [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 9.12.1900], auf die er sich hier vermutlich bezieht, ist als Entwurf überliefert [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 7.1.1901]. für michFrank Wedekinds Antwort auf Donald Wedekinds letzten Brief [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 9.12.1900], auf die er sich hier vermutlich bezieht, ist als Entwurf überliefert [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 7.1.1901]. hast. Bin ich krank oder bin ichs nicht? Sicher ist, daß ich seit dem Jahre 93 nicht aus der BehandlungDonald Wedekind war wegen einer Syphiliserkrankung in Behandlung gewesen [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 25.12.1895]. Ob er vor seinen Besuchen bei Dr. Constantin von Monakow in Zürich 1908 [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.2.1908 und die folgende Korrespondenz] auch bereits in psychiatrischer Behandlung war, ist nicht belegt. herausgekommen, und daß schon stärkere Naturen durch denselben Krankheitskeim wie | nichts als ihrer Vernunft beraubt wurden. Ich bitte um sofortige Antwort, und wenn du kannst, um Hilfe. Heiliger schreibt mirDer Rechtsanwalt Hans Heiliger aus Hannover war mit der Abwicklung des Erbfalls von Wedekinds Tante Auguste Bansen beauftragt (siehe dazu die Korrespondenz zwischen Frank Wedekind und Walther Oschwald). Das Schreiben ist nicht überliefert., daß am 15. dieses der Rest der Erbschaft bezahlt wird.

Dein
Donald


Mailand, Via Medici 15
d. 9. Jan. 1901 |


Halbbetrubt, halberfeut mache ich Ihnen die Mitteilung, dass Ich voraussichtlich in der Nacht von 1900 – 1901 aus dieser Welt scheiden werde.

Der trauernde Hinterbliebene (indem meine eigentliche Natur schon seit einiger Zeit voraus ist).

Donald Wedekind


MAILAND, Via Medici 15.

d. 20. XII. 1900


P. S. – Condolenzschreiben werden bis zu erstangeführtem Datum gerne entgegengenommen, später nicht, wegen mangelnder Postverbindung!


[Kuvert:]


Herrn
Frank Wedekind
42. Franz-Josefstraße
München
Germania

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 22. April 1901 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

An meinen Bruder Frank Wedekind
in München


Es ist dir bekannt, ich habe dir selber verschiedene Briefevgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 19.4.1900 und 3.10.1900. in diesem Sinne geschrieben, daß ich seit Langem mit/eine/ se/St/elle mit sicherem Gehalt und genau vorgeschriebener Tätigkeit suche. Das weniger, weil mich meine materielle Lage dazu zwingt, als weil ich eingesehen habe, daß ich ohne gesicherte Existenz überhaupt nicht arbeiten kann. Daß ich die Stelle so lange Zeit nicht gefunden, liegt vielleicht daran, daß ich so viele Zeit im Auslande verbracht, nie | lange genug an einem Platze in Deutschland mich aufgehalten und gesucht habe, dann aber auch an meiner gemütlichenhier „als adj. zu gemüt überhaupt […] dem gemüt angehörig, das gemüt betreffend“ [DWB, Bd. 5, Sp. 3329]. Verfassung, welche als eine Folge mein/ein/er schweren KrankheitDonald Wedekind litt an den Folgen einer Syphilis-Infektion und deren Behandlung [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 29.12.1895]. anzusehen war.

Seit vier Wochen in Berlin, habe ich mich nach Kräften bemüht, eine Beschäftigung zu finden. Die Hoffnungen, die mir von einer Seite gemacht worden und zu denen mein Vertrauen von Anfang an nicht groß war, sind geschwunden. Da traf ich gestern Herrn Dr. Paul GoldmannDer österreichische Journalist und Publizist Paul Goldmann war in Berlin als Theaterkorrespondent für die Wiener „Neue Freie Presse“ tätig. (mit dem ich während meines Hierseins schon öfter zusammengewesen) an/und/ und er/er/ bot mir freiwillig seine Empfehlung an, wenn ich gewisse Redaktionen in der Angelegenheit besuchen wol|le. Heute Morgen hatte ich mit dem ersten RedakteurPerson und Zeitung nicht ermittelt. In seinem nächsten Brief berichtet Donald Wedekind von einer bevorstehenden Anstellung beim „Berliner Lokal-Anzeiger“ [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 13.5.1901], einer der auflagestärksten Berliner Tageszeitungen. einer der größten Berliner Zeitungen eine längere Conferenz und ich kann, um nicht zu viel zu sagen, e/c/onstatiren, daß der Mann den Fall einer Anstellung wenigstens ernst in Erwägung zieht.

Da ich nun aber ohne Mittel war und eine längere Hungerperiode (von denen drei Tage hinter mir liegen, vor mir können nicht mehr viele sein, denn sonst breche ich einfach zusammen) vor mir sah, so schrieb ich an unsern gemeinsamen Schwager, Herrn Oschwald, ihn um eine Unterstützung bittend. Der Einfachheit wegen lege ich den Brief beiDer beigelegte Brief ist nicht überliefert. und formulire nun mein Anliegen dahin: |

1. Da es mein eigentlicher Wunsch ist eine feste Anstellung zu bekommen, da es aber auch bekannt ist, daß sich solche Sachen nicht von heute auf morgen machen, da diese zweite Aussicht, von der ich eben gesprochen, auch wieder zu Wasser werden kann und ich dann auf Neues warten muß, so bitte ich um die Auszahlung von 200 Mark v/f/ür die Zeit von heute bis zum 1. Juni (200 M oder 250 Franken) sei es auf einmal oder in Raten von 50 M.

2. Da ich nun anderseits allerdings die Erfahrung gemacht habe, daß man Schriftsteller, die literarisch irgendwie eigenartig hervorgetreten sind nicht so gerne in Redaktionen von Tageszeitungen aufnimmt, was also das Finden einer Anstellung bedeutend erschwert, ferner, da ich glaube, daß ich nach zweimonatlichem Suchen ohne Erfolg nicht mehr viel Zeit noch Geld zu diesem Zweck verlieren dürfte, da ich, des Weiteren, nicht et/v/erdächtig werden möchte, der Vorschlag sei | nur eine/zur/ Gauckelei, so bitte ich darum, daß mir, wenn ich bis zum 1. Juni nicht fest angestellt bin, eine Rente von je 200 M. auf 6 Monate zugesagt wird, damit ich eine größere ArbeitMöglicherweise wollte Donald Wedekind zu diesem Zeitpunkt bereits mit seinem Roman „Ultra montes“ (1903) beginnen. fertige. Letzteres ist mir bis jetzt nicht gelungen 1., weil ich unter einer schweren Krankheit körperlich und gemütlich viel zu leiden hatte, zweitens weil ich darben mußte, drittens weil ich mich unrichtigerweise zu viel im Auslande aufhielt, wo mir die nötige Anregung (Nacheifer) fehlte. Ich setzte das größte Vertrauen auf den Erfolg einer unter in obiger Weise gemilderten Umständen zu leistendeSchreibversehen, statt: leistenden. Arbeit, weil mir hier in Berlin die Beweise wurden, daß das Wenige, was ich an literarischen Produkten hervorgebracht, doch nicht ganz unbemerkt vorübergegangen.

Damit, mein lie/Br/u|der, habe ich dir meine Pläne auseinandergesetzt. Ob du helfen kannst, oder/di/eselben zur Realisirung zu bringen, weiß ich nicht, denn ich kenne deine Einnahmen nicht. Um was ich dich aber bitten möchte, ist, nicht wieder aus einerm mir unerklärlichen Grunde durch die Verweigerung deiner Beistimmung mir auch die Hülfe der andern zu entziehen. Morgen schreibe ich an Armin. Ohne Gruß, aber auch ohne Groll Der Satz läuft ab hier auf Seite 7 weiter und macht ihn so ab der Konjunktion „aber“ als nachträglichen Zusatz erkennbar.für dein unfreundliches Verhalten
Donald


Berlin, den 22. April 1901
8.IV. Paulsstraße


P. S. Und ich bitte dich, überlege zwei Mal, bevor du dich entscheidest. Denn so sehr es mich auch gefreut hat und mich mit neuem Mut versah, zu konstatiren, daß man mich doch besser kennt und mehr schätzt als ich dachte, so fühle ich doch, daß dies hier in Berlin meine letzte Etappe ist, so ich nicht in die Höhe komme. –

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 13. Mai 1901 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Ich danke dir für die schnelle Bereitschaft, mit der du mir aus der Verlegenheit geholfenDonald Wedekind hatte seinen Bruder zuletzt um Geld gebeten [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.4.1901]. Frank Wedekind schrieb daraufhin seiner Mutter nach Dresden, wohin sich Donald ebenfalls gewandt hatte, seine Berliner Freunde würden sich nun „seiner annehmen“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 25.4.1901]..

Herr Halbe hat dir vielleicht mitgeteilt, wie ich ihn ernstlich gebetenvgl. Donald Wedekind an Max Halbe, 26.4.1901 [Mü, MH B 320]. mich in meinem Anliegen an Euch Alle zu unterstützen, indem er bei dir insbesondere seinen Einfluß welch/gelt/end machen möge. Ich habe seither von keiner Seite über die SacheDonald Wedekind hatte sich mit seiner Bitte um eine regelmäßige monatliche Unterstützung, außer an Frank Wedekind, an seine Schwester Erika und seinen Schwager Walter Oschwald in Dresden gewandt, sowie offenbar auch an seinen Bruder Armin in Zürich. mehr gehört, weder von Dresden, noch von Dir, noch aus Zürich.

Was ich hier in Berlin getahn habe, bestand hauptsächlich darin, daß ich versuchte unter die Leute zu kommen. Es ist mir dies bis zu einem gewissen Grad gelungen. Auch glaube ich die Leute für mich interessirt zu | haben: Als Ergebniß dieses Interesses wäre meine Aussicht gegen Ende des Monats am Lokalanzeiger angestellt zu werden, anzusehen, außerdem mein Auftreten in einem kleinen Cabaretnicht ermittelt. Erich Mühsam erinnerte sich an Donald Wedekinds Kabarettauftritte in Berlin: „Der interessanteste Galan der leichten Muse in unserem Kreise war wohl Donald Wedekind. Ich verkehrte viel mit ihm, noch ehe ich seinen älteren Bruder Frank kennenlernte. [...] Er sang die Chansons seines Bruders zugleich mit dem einschmeichelnd klangvollen Bariton seines Organs und der harten, fast unmodulierten Aussprache seiner schweizerischen Sprechweise, wobei er sich meisterhaft auf der Klampfe begleitete. Die Frauen waren von dem Zauber seines Vortrags völlig fasziniert“ [Mühsam 2003, S. 52]. (natürlich ganz Berliner Genres) mit einem französischen Chanson. Das ist bei meiner Schüchternheit, die du selbst in MünchenEin Besuch von Donald Wedekind in München ist zuletzt für den 1.7.1900 nachweisbar [vgl. Frank Wedekind an Walther Oschwald, 1.7.1900]. als eine meiner Hauptschwächen hervorhobst, nicht gering anzuschlagen. Kurzum, ich habe mich in den zwei Monaten meines Hierseins ungefähr so verhalten, wie es strikt dem Temperament zuwider läuft, in welches ich während der langen Jahre meines Auslandslebens versunken bin. Ich warte, was daraus | wird.

Hier interessirt man sich sehr für dich; es vergeht kaum ein Tag, daß mich nicht irgend Jemand nach deiner Adresse fragt. Ob die Fragen der Leute immer ernst sind, weiß ich nicht. Reßner Frank Wedekind hatte den befreundeten Carl Rößler (Pseudonym Franz Ressner), Oberregisseur an dem von Ernst von Wolzogen am 18.1.1901 eröffneten Bunten Theater (Überbrettl), gebeten, sich um seinen Bruder Donald in Berlin zu kümmern [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 25.4.1901].ist schon seit Wochen mit Wolzogen (die Bemühungen, welche ich auch bei Letzterem nicht unterlassen habe, waren bei allem Aufwand von Intensität erfolglos) auf Reisen, ich habe nichts mehr von ihm gehört. Ich wäre jetzt wohl im Stande, etwas ganz Tüchtiges zu schreiben, da ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Milieu um mich habe, die einzige Ablenkung (und die ist allerdings stark genug) liegt in | der völligen Unsicherheit meiner Subsistenz. Außerordentlich berührt hat es mich, als ich von der SelbststellungOskar Panizza, den Frank Wedekind aus München kannte (siehe seine Korrespondenz mit Wedekind) und zuletzt in Paris viel mit ihm zusammen war [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 10.1.1899 und 24.2.1899], hatte sich am 13.4.1901 der Münchner Polizei gestellt, wie die Presse berichtete: „Oskar Panizza, der früher vielgenannte Schriftsteller, gegen den wegen Majestätsbeleidigung Steckbrief erlassen war und der in letzter Zeit in Paris lebte, hat sich, um sein beschlagnahmtes Vermögen zu retten, vor Kurzem den deutschen Behörden gestellt“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 54, Nr. 190, 24.4.1901, Vorabendblatt, S. 3; vgl. Freiwillig gestellt. In: Berliner Tageblatt, Jg. 30, Nr. 205, 24.4.1901, Morgen-Ausgabe, S. (3)]. Er war in Zürich, als Frank Wedekind dort eintraf [vgl. Wedekind an Carl Heine, 2.11.1898; Wedekind an Frida Strindberg, 4.11.1898] und ist nach dem Entzug seiner Aufenthaltsgenehmigung zum 1.12.1898 [vgl. Bauer 1984, S. 200] etwa am 21.11.1898 von dort nach Paris abgereist [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 29.11.1898]. Nach der Publikation seines Lyrikbandes „Parisjana“ (1899) wurde er seit dem 2.2.1901 wegen Majestätsbeleidigung steckbrieflich gesucht und sein Vermögen mit Beschluss vom 10.3.1901 beschlagnahmt [vgl. Bauer 1984, S. 208; 211; 275 und 276]. 1895/96 hatte er in Bayern infolge der Veröffentlichung seines antikatholischen Dramas „Das Liebeskonzil“ (1894) bereits eine einjährige Haftstrafe wegen Blasphemie verbüßt. Panizzas hörte.

Bitte, richte Herrn Halbe meine Grüße aus und sei selbst herzlich gegrüßt und nochmals bedankt von deinem Bruder
Donald


Berlin, Paulsstraße 8.IV.
d. 13. Mai 1901


Auch von Frieda weiß ich seit Wochen nichts mehr.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 29. Mai 1901 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Kannst du mir etwasgemeint ist: etwas Geld. zum Beginn nächsten Monats senden. Wenn ja, würdest du mich dadurch sehr verpflichten. Ich tue alles Mögliche, um mich über Wasser zu halten, aber es ist schwer, du weißt das aus Erfahrung. Ich verfolge dabei zwei Direktiven, erstens durch Schreiben jo/k/urzer Correspondenzen aus BerlinAktuelle Beiträge von Donald Wedekind für Schweizer Zeitungen sind nicht ermittelt, Donald Wedekind schrieb unter anderem für die „Züricher Post“ (archivalisch in Deutschland nicht verfügbar). Im Juli erschien von ihm der Beitrag „Berliner Secession“ in der „Neuen Zürcher Zeitung“ [Jg. 122, Nr. 184, 5.7.1901, Morgenblatt, S. (1-2)]. Die gleiche Zeitung hatte noch im März irrtümlich vom Tode Donald Wedekinds berichtet: „Mit großem Bedauern verzeichnen wir die Nachricht, daß am 9. März in Dresden der auch in Zürich, speziell den Lesern unseres Blattes als Mitarbeiter bekannte schweizerische Schriftsteller Donald Wedekind in jugendlichem Alter gestorben ist. […] In unserm Blatte war Donald Wedekind nicht selten durch Proben eigener Produktion, wie durch vortreffliche Uebersetzungen namentlich italienischer Novellen vertreten.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 122, Nr. 71, 12.3.1901, Zweites Abendblatt, S. (2)], das für den Tag Notwendige zu schaffen, was mir partiell ja leidlich gelingt, dann durch einen gesicherten Verkehr die | Gelegenheit abzuwarten um durch eine Tat aus der Stagnation herauszukommen. Es wird viel vorbereitet und es müßte mich wundern, wenn nicht auch mir es gelingen sollte etwas dabei zu tun. Ich las vor einigen Tagen den Artikel von Bierbaumvermutlich das programmatische Vorwort „Ein Brief an eine Dame anstatt einer Vorrede. München im Sharetmonat: September 1900.“ in Otto Julius Bierbaums Sammlung „Deutsche Chansons (Brettl-Lieder)“ [Berlin/Leipzig 1900, S. V-XVI]. Bereits in seinem Roman „Stilpe“ (1897) hatte er die Gründung eines Cabarets dargestellt und soll damit Ernst von Wolzogen zu seinem Bunten Theater (Überbrettl) angeregt haben, das am 18.1.1901 in Berlin eröffnete [vgl. Budzinski/Hippen 1996, S. 437]. über die Überbrettlidee. Grüße Weinhöppel und versichere ihn, daß ich ernstlich nie etwas gegen ihn gehabt habe, und war mir der Verkehr durch Frieda damalssiehe dazu die Korrespondenz zwischen Frank Wedekind und Hans Richard Weinhöppel zwischen November 1898 und Mai 1899. sehr erschwert. Ich verkehrte ja auch im Übrigen mit Niemandem. Frieda traf ich vor 8 Tagen etwa zufällig im Ca|baret TilkeDer Maler Max Tilke eröffnete am 2.10.1901 im Hinterzimmer der „italienischen Weinstube“ [Mühsam 2003, S. 55] Zum Vesuv (Inhaber: Carlos Dalbelli) in Berlin (Königin Augustastraße 19) [vgl. Adreßbuch für Berlin 1902, Teil I, S. 1783] das Cabaret zum hungrigen Pegasus [vgl. Budzinski/Hippen 1996, S. 26]. Zuvor fand sich sein Kabarett „als fröhliche Runde eines sangesfreudigen Wirtes und seiner Stammgäste“ zusammen. „Bald animierte Tilke seine Freunde regelmäßig dazu, etwas eigenes zum besten zu geben […] Auftrittsort und -zeiten kannten zuerst nur die regelmäßigen Dalbelli-Kunden. Am Ende des Abends ging ein ‚Klingelbeutel‘ herum, und das spontan zusammengetretene Ensemble teilte sich den Erlös.“ [Heinrich-Jost 1984, S. 71] Auch Donald Wedekind trat dort auf, wie ein Foto belegt [Heinrich-Jost 1984, S. 73].. Ich wechselte ein P/p/aar Worte mit ihr, sie behauptete in München gewesen zu sein und dich besucht zu haben. Sie sagte, du habest die am geschmackvollsten eingerichtete Wohnung, die ich/sie/ je in Deutschland gesehen.

Also nicht wahr, wenn du etwas vermagst, dann tue es, du würdest mir gerade jetzt eine große Erleichterung verschaffen und mir ersparen, daß ich an einer andern Stelle anklopfen muß.

In Liebe und mit Gruß
Donald


Berlin, Paulsstraße 8.
am 29. Mai 1901

Donald (Doda) Wedekind und Heinrich Michalski schrieben am 12. Oktober 1901 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

POST-KARTE


An
Herrn Frank Wedekind
42. Franz-Josef-Straße
in München
Baiern |


Gruß aus Berlin W.
Café Bülow
Besitzer: Ludwig Hübke
Bülow-Strasse 88.


L. F. Die Redakteure des „S/E/uropaers/er/s“Ein Berliner Zeitschriftentitel „Der Europäer“ ist für den maßgeblichen Zeitraum nicht nachweisbar. Heinrich Michalski gab 1905 als Chefredakteur „Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik“ (Berlin-Charlottenburg) heraus; bei welcher Zeitschrift oder Zeitung er 1901 arbeitete, ist nicht ermittelt. Möglicherweise handelte es sich um ein noch in Planung befindliches, nicht realisiertes Vorläuferprojekt aus dem Umfeld der mit der Europa-Idee sympathisierenden Presseleute, „den sogenannten ‚Europäern‘, die in ‚Politiken‘ ihr Hauptorgan haben“ [Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Jg. 40, Nr. 171, 24.7.1901, S. 2] – „Politiken“ (Kopenhagen) ist die linksliberale dänische Zeitung (Chefredakteur 1901: Edvard Brandes). schicken dir die aufrichtigste Gratulation zu deiner Première des Marquis v. KeithDie Uraufführung des „Marquis von Keith“ fand am 11.10.1901 im Berliner Residenztheater (Direktion Sigmund Lautenburg) statt (Regie: Martin Zickel) [vgl. KSA 4, S. 533f.].. Mit Gruß
D. Wedekind
Unbekannterweise ergebenen Glueckwunsch und Gruß Michalski

Frank Wedekind schrieb am 14. April 1902 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Willy Ganskes und Donald Wedekinds Bildpostkarte an Frank Wedekind vom 16.4.1902 aus Berlin:]


Tausend Dank für die Karte.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 16. Januar 1903 in Friedenau folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Nachdem ich einige recht schlimme Tage durchgemacht, sah ich keinen andren Ausweg als zu „Schall und Rauchdas Kleine Theater (Schall und Rauch) in Berlin (Unter den Linden 44) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 259], das im Jahr zuvor noch wie das Kabarett, aus dem es hervorgegangen ist, Schall und Rauch hieß [vgl. Neuer Theater-Almanach 1902, S. 263]. Direktor war nach wie vor offiziell Hans Oberländer (Max Reinhardt agierte im Hintergrund). Im Kleinen Theater hatte Wedekinds Tragödie „Erdgeist“ am 17.12.1902 mit Gertrud Eysoldt als Lulu Premiere (Regie: Max Reinhardt), eine äußerst erfolgreiche Inszenierung [vgl. KSA 3/II, S. 1203].“ zu gehen, wo mir Herr R.Edmund Reinhardt, enger Mitarbeiter seines älteren Bruders Max Reinhardt und als Bürochef (Colonie Grunewald, Fontanestr. 8) des Kleinen Theaters (Schall und Rauch) für die Kasse zuständig [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 259]. gerne 30 Mark auf dein Conto ausbezahlte. Ich teile dir dies besonders mit, erstens, damit kein Mißverständnis entsteht, zweitens um dir zu zeigen, daß ich gerne vorerst deine Er|laubnis oder ganz einfach von dir selbst das Geld erbeten hätte, hätte nicht der Zwang der Not auf mir geruht. Also nicht wahr, ich bin deiner Entschuldigung sicher?

Heute Abenddie „Erdgeist“-Vorstellung am 16.1.1903 um 20 Uhr: „Kleines Theater. Unter den Linden 44, Anf. 8 Uhr, Erdgeist.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 32, Nr. 27, 16.1.1903, 1. Beiblatt, S. (3)] wird der „Erdgeistzum 25. Mal gegeben und ich fühle selber, was für einen großen Schritt im äußeren Erfolg du vorwärts getan. Glaube mir, daß ich mich ebenso herzlich für dich freue wie alle deine andern Freunde. Ich traf neulich meinen VerlegerNach dem Tod des Jenaer Verlegers Hermann Costenoble am 25.2.1901 führte dessen Schwiegersohn Richard Schröder seit September den Verlag unter Beibehaltung des Namens fort [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandels, Jg. 68, Nr. 247, 19.10.1901, S. 8411; Nr. 260, 7.11.1901, S. 9102] und siedelte einen Teil der Verlagsbuchhandlung in Berlin an: „Hermann Costenoble, Verl. Buchhdlg. u. Buchdruckerei, W57 Kurfürstenstr.8 […] Inh. Dr. Richard Schröder“ [Berliner Adreßbuch 1903, Teil I, S. 256]. Im Verlag Hermann Costenoble (Inhaber: Richard Schröder) in Berlin erschien im Frühjahr Donald Wedekinds Roman „Ultra montes“ [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 70, Nr. 43, 21.2.1903, S. 1483]., der mir versicherte, | in allernächster Zeit an die Drucklegung meines Romans zu gehen. Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln. Daß er ihn nicht augenblicklich erscheinen läßt, wußte ich schon, da Januar und Anfang Februar keine Zeiten für buchhändlerische Unternehmer ernster Art sind. Damit, lieber Frank, sei herzlich gegrüßt und empfange auch Grüße für alle meine Münchener Freunde von deinem treuen Bruder
Donald


Friedenau bei Berlin
6. Friedr.-Wilhelmplatz
am 16. Jan 1903

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 28. Januar 1903 in Friedenau folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Ich brauche am 1. Febr. notgedrungen 40 Mark zur Deckung meiner Miete. Kannst du mir dieselben schicken oder wenn nicht, willst du mir vielleicht eine Anweisung an Schall und Raucheine Geldanweisung an die Adresse des Kleinen Theaters (Schall und Rauch) in Berlin (Unter den Linden 44) [vgl. Berliner Adreßbuch 1903, Teil I, S. 843], wo Donald Wedekind verkehrte; von den für Frank Wedekind dort verbuchten Einnahmen aus der „Erdgeist“-Aufführung (Premiere 17.12.1902) hatte sich Donald Wedekind zuletzt Geld auszahlen lassen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 16.1.1903]. senden? Jedenfalls habe die Güte und lasse mir umgehend ein paar Zeilen zukommen, damit ich | unterrichtet bin. Und bitte, ziehe Mieze nicht in diese Angelegenheit, da ich sie bei ihrem Hiersein vor einigen Tagen gesehen habe und wir sogar einige recht gemütliche Stunden zusammen verlebt haben. Das Hauptgespräch warst beinahe stets du und deine Stücke. Sie gab mir beim Abschied auch noch einen Zehrpfennig, derselbe hätte jedoch nicht zur Deckung fraglicher | Ausgabe gereicht.

Den ersten Korrekturbogen meines RomanesDonald Wedekinds Roman „Ultra montes“ erschien bei Costenoble in Berlin und wurde Ende Februar erstmals angekündigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 70, Nr. 43, 21.2.1903, S. 1483]. habe ich erhalten. So denke ich, daß das Buch mit 1. März an die Öffentlichkeit kommt. Trotzdem sehe ich mich unabläßlich nach einer festen Betätigung um und habe in diesem Sinne neulich nach Schweden geschrieben, wo Aussichten sind, daß ich eine Hauslehrerstelle erhal|te. Es wäre mir dies die denkbar angenehmste Lösung des Bayreuther RätselsBezug unklar, vermutlich eine familieninterne Anspielung; die gleiche Formulierung für das Erzielen eines eigenen Einkommens verwendete Donald Wedekind in einem Brief an seinen Bruder Armin vom 16.12.1903: „ich habe sogar in den letzten Tagen eine Aussicht bekommen, mich bei einem hiesigen Kunstverlage dauernd zu betätigen. Das wäre endlich einmal eine radikale Lösung des Baireuther Rätsels“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 169.2:1252].. Damit genug für heute. Nicht wahr, du schreibst mir, eventuell nur auf einer Karte, was du in meiner Sache tun kannst? Ich grüße dich von ganzem Herzen und bin in Freundschaft und Liebe dein Bruder
Donald


Friedenau bei Berlin
6. Friedrich-Wilhelmplatz
d. 28. Jan. 1903

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 20. März 1903 in Friedenau folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Durch einen Wortbruch meines Verlegers bin ich in die größte Verlegenheit geraten und könnte eine Hilfeleistung von deiner Seite recht gut gebrauchen. Meinen RomanDonald Wedekinds Roman „Ultra montes“ war spätestens Anfang des Monats im Verlag Hermann Costenoble in Berlin erschienen, der ihn kurz vor Erscheinen beworben hat: „In meiner Sammlung: ‚Romane und Novellen neuzeitlicher Schriftsteller‘ erscheint in Kürze / Ultra Montes / Roman von Donald Wedekind [...]. Donald Wedekind tritt mit diesem Buche, trotzdem er vor einigen Jahren einige Novellen veröffentlichte, als ein homo novus vor Kritik und Publikum. Wenn ich mit der Drucklegung dieses Werkes dem Verfasser daher von neuem den Weg in die Oeffentlichkeit bahne, so geschieht dies in der Ueberzeugung, dass Donald Wedekind binnen kurzem zu den gelesensten unserer jüngeren Romandichter gehören wird.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 70, Nr. 47, 26.2.1903, Umschlag]. wirst du in München vielleicht schon gesehen haben. Die wenigen Freiexemplare, welche ich erhielt, mußte ich leider zu Geld machen und es berührt das furchtbar traurig, wenn man Gefälligkeitserweisungen, die man Andern in anständiger Form geben könnte, sich deswegen untersagen muß, um den ewig hungernden Mund zu stopfen. Aber sobald ich neue | Exemplare erhalte, werde ich deiner nicht vergessen. Wenn meine Verhältnisse, die augenblig/c/klich die schlechtesten sind, etwas besser liegen, gedenke ich ich/in/ die Schweiz zu fahrenAm Ende dieser Reise besuchte Donald Wedekind ab dem 14.4.1904 seinen Bruder Frank in München [vgl. Wedekind an Max Halbe, 22.4.1903]., um von dort aus eine Propagandafahrt für mein Buch zu unternehmen. Also nicht warSchreibversehen, statt: wahr., wenn du in der Lage bist, so tust du etwas. Deinen stets guten Willen kenne ich ja.

Damit bin ich, dich herzlich grüßend, dein treuer Bruder
Donald.


Berlin-Friedenau d. 20. März 1903
6. Friedr. Wilhelmplatz.


P. S.Teile mir doch bitte auch die Adressen Hanns von Gumppenberg, Theaterkritiker der „Münchner Neuesten Nachrichten“ und Schriftsteller in München (Kaulbachstraße 8) [vgl. Adreßbuch von München 1904, Teil I, S. 225], und Josef Ruederer, Schriftsteller in München (Uhlandstraße 4) [vgl. Adreßbuch von München 1904, Teil I, S. 561].von Hans v. Gumppen|berg und Joseph Rüederer mit. Ich möchte mein Werk dahin einsenden lassen. Nochmals
Donald.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 15. August 1903 in Friedenau folgenden Brief
an Frank Wedekind

DONALD WEDEKIND
BERLIN-FRIEDENAU
FRIEDRICH WILHELMPLATZ 6.


d. 15.VIII.03


Mein lieber Frank!

Gleich in den ersten Tagen meiner Rückkehr nach Berlin Donald Wedekind hatte nach einem Schweiz-Aufenthalt seinen Bruder Frank in München ab Mitte April für eine Woche besucht [vgl. Wedekind an Max Halbe, 22.4.1903; Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 6.5.1903]. Ob es im Sommer 1903 noch zu einem weiteren Treffen gekommen ist, wie die spätere Korrespondenz nahelegt („Deinen Ratschlägen von letztem Sommer habe ich nach bestem Vermögen nachgelebt“ [Donald Wedekind an Frank Wedekind, 11.4.1904]), ist ungewiss. machte ich zufälligerweise die Bekanntschaft von Herrn Bruno Cassirer. Dieser und Herr Felix Holländer, welcher neuerdings Dramaturg beim Neuen TheaterDas Neue Theater in Berlin (Schiffbauerdamm 5) stand seit 1903 unter der Direktion von Max Reinhardt; Dramaturg war der Schriftsteller Felix Hollaender [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245]. ist baten mich nun, Herrn Cassirers Wunsch, dich | für seinen Verlag zu gewinnen, durch ein brüderliches Handschreiben zu unterstützen. Ich bemerkte gleich, daß von Einfluß von meiner Seite auf dich überhaupt nicht die Rede sein könne, versprach aber Herrn Cassirer einen aufklärenden Brief, so wie er ihn wünscht, um so lieber, da ich in dem jungen Verlagsbuchhändler und neuerdings DoktorEine Promotion von Bruno Cassirer ließ sich nicht nachweisen. und Theaterverleger einen wirklich angenehmen Menschen und meinem Urteile nach | vorsichtig, sicher und anständig vorgehenden Geschäftsmann kennen gelernt habe. Nun besonders die Angelegenheit Herrn Cassirers.

Derselbe ist ein/der/ eine Teil der früheren Firma Bruno und Paul CassirerBruno Cassirer führte zusammen mit seinem Cousin und Schwager Paul Cassirer seit dem 20.9.1898 die Bruno & Paul Cassirer, Kunst- und Verlagsanstalt (Viktoriastraße 35) in Berlin [vgl. Adreßbuch für Berlin 1901, Teil IV, S. 157], die am 30.8.1901 aufgeteilt wurde. Der Kunsthandel wurde unter gleicher Adresse von Paul Cassirer, die Verlags-Buchhandlung (Derfflingerstraße 16) [vgl. Adreßbuch für Berlin 1904, Teil I, S. 250] von Bruno Cassirer weitergeführt.. Was ich noch von diesen Leuten gehört habe, waren immer die besten Urteile über ihre geschäftliche Prosperität. Bruno Cassirer übernahm, während er seinem Vetter den Kunstsalon mit Ge|mäldehandel überließ, den Verlag, in welchem meines Wissens nur die besten und neusten Autoren in vorzüglicher Ausstattung und mit offenbarem, buchhändlerischem Erfolge erschienen sind. Herr Cassirer hat nun erfahren, daß du für einen andernWedekind hatte seinem Verleger Albert Langen geschrieben, er werde sich bei ausbleibenden Vorschusszahlungen für „Hidalla“ um einen anderen Verlag bemühen [vgl. Wedekind an Albert Langen, 25.5.1903]. Das Stück erschien dann im Mai 1904 beim Münchner Verlag Dr. J. Marchlewski & Co. [vgl. KSA 6, S. 386]. Unzufrieden war Wedekind auch mit dem Nichterscheinen der Buchausgabe seiner Tragödie „Die Büchse der Pandora“, die ein Jahr zuvor in der Zeitschrift „Die Insel“ [Jg. 3, Nr. 10, Juli 1902, S. 19-105] des Leipziger Insel-Verlags erschienen war [vgl. KSA 3/II, S. 860], der möglicherweise eine Buchausgabe erwog [vgl. Wedekind an Georg Mischek, 4.8.1903]. An den Albert Langen Verlag schrieb Wedekind wenige Tage nach dem vorliegenden Brief, er habe das Stück nun „einem anderen Verlage zur Buchausgabe übergeben“ [Wedekind an den Albert Langen Verlag, 19.8.1903]. Dass damit bereits der Bruno Cassirer Verlag, der am 13.10.1903 die Rechte für das Stück erhielt [vgl. KSA 3/II, S. 842; 862], gemeint war, ist nicht belegt. als den Langenschen Verlag augenblicklich arbeitest und hält den Moment für gekommen, um dich, so weit das möglich, von deinen alten Verpflichtungen zu befreien, | jedenfalls aber um mit dir in Zukunft zusammenzuarbeiten. Daß das mit Kosten verbunden sein wird, darauf scheint Herr Cassirer gefaßt zu sein und ich glaube dich versichern zu können, daß die Firma Bruno Cassirer bei derselben Solidität jedenfalls ein coulanteres Verfahren ihren Mitarbeitern gegenüber einhalten wird als da/e/r Albert | Langensche Verlag, aus dem einfachen Grunde, weil Herr Cassirer geistig und gemütlich„dem gemüt angehörig, das gemüt betreffend“ [DWB, Bd. 5, Sp. 3329]. über Herrn Langen steht.

Das einzige Bedenkliche an der Geschichte wäre, daß du, wenn der Vertrag mit Herrn Cassirer zu Stande kommt, offenbar indirekt dem Neuen TheaterFrank Wedekind arbeitete mit dem Neuen Theater (Direktion: Max Reinhardt) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245] zusammen, wo, seinerzeit noch unter der Direktorin Nuscha Butze-Beermann [vgl. Neuer Theater-Almanach 1900, S. 260], am 10.12.1899 im Rahmen der Eröffnungsmatinee der Sezessionsbühne bereits „Der Kammersänger“ (Regie: Martin Zickel) uraufgeführt wurde und der Einakter am 30.9.1903 erneut Premiere hatte, nun unter der Regie von Max Reinhardt [vgl. KSA 4, S. 392f.]; am 27.11.1903 folgte die Premiere von „So ist das Leben“ (Regie: Richard Vallentin) [vgl. KSA 4, S. 632]. zugeschoben wirst, welchem Unternehmen ich bei allen guten AuspicienVorzeichen, Aussichten., unter denen es begonnen, keine Zukunft von dauernden Erfolgen zuschrei|be. Diese Verbindung des N. Th. mit dem Bruno Cassirerschen Verlage mag aber auch nur ein momentanes Ergebnis der persönlichen Freundschaft Herrn Holländers mit Bruno Cassirer sein und braucht, da das Neue Theater ja einstweilen floriert, auch von keiner schlechten Wirkung zu sein. Dann machte mich Herr Holländer noch besonders darauf aufmerksam, daß Bruno Cassirer abgesehen von seiner | Verlagserweiterung noch ein anderes, großes Unternehmennicht eindeutig ermittelt (möglicherweise die Gründung der illustrierten Halbmonatsschrift „Das Theater“, deren erstes Heft am 1.10.1903 bei Bruno Cassirer erschien). im Sinne hat, wovon jetzt noch nicht gesprochen werden soll, worüber er dich aber, Herr Cassirer, gerne unterrichten wird, sobald es nach Einleitung der andern Angelegenheit zu einer persönlichen Zusammenkunft gekommen. Wenn man nun hier in Berlin von einem Projekt nicht spricht, so ist es gewöhnlich das eines Theaters, weshalb ich, | ohne aller dings irgend welchen festen Anhaltspunkt zu haben, unter dem Eindruck stehe, als trügen sich die Beiden, Herr Cassirer und Herr Holländer, mit solchen Plänen, was bei dem Ansehen, ein/w/elchemSchreibversehen, statt: welchen. der Name Cassirer hier in Geschäftskreisen steht/hat/, durch aus keine Größenwahnsinnigkeit zu bedeuten braucht. Kurzum, um meine Mission auch wörtlich genau zu erfüllen, resumire ich dir, was | mir gegenüber Herr Cassirer gesternam 14.8.1903. geäußert hat und was, wie er mir sagte, dir schon schriftlich mitgeteiltHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Bruno Cassirer Verlag an Wedekind, 13.8.1903. wurde.

Herr Cassirer ist bereit, bei dem geringsten Entgegenkommen von Seiten deines neuen Verlegersder Verleger Julian Marchlewski in München (Ungererstraße 80) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1903, Teil I, S. 416], in dessen Verlag 1904 nur ein Buch Wedekinds („Hidalla“) erschien. in München, dich dort abzulösen und dir natürlich dieselben oder mehr Förderungen zu gewähren. Herr Cassirer beansprucht für seine Vermittlung an die Theater nur 4/7/ % (ich sage „nur“, | weil er glaubt, damit billiger zu seinFrank Wedekind vereinbarte in seinem Vertrag mit dem Albert Langen Verlag vom 1.6.1904 [vgl. Aa, Wedekind-Archiv E, Mappe 5 Nr. 3] eine Verlagsprovision von 10 Prozent. als der Langensche Verlag, was ich nicht wissen kann[)]. Herr Cassirer ist überhaupt, so du dich ihm für die Dauer verpflichtest, zur Eingehung von für dich ganz ausnahmsweise günstigen Bedingungen geneigt, was ich bei der ausnahmsweisen Energie, womit er sich um dich bemüht, rückhaltslos glaube. Herr Cassirer wäre auch bereit, die bei Langen erschienenen und in seinem | Vertriebe ruhenden Werke von dir zu übernehmen, insofern sich Herr Langen darauf einläßt. Und Herrn Cassirer liegt daran, sobald wie möglich von dir über die verschiedenen Punkte a/A/ufschluß zu bekommen, um dann im günstigen Fall weiter vorzugehen.

Lieber Frank, dieses mein Auftrag, den ich mit um so mehr Aufrichtigkeit aus|führen konnte, da, wie ich oben bemerkte, Herr Cassirer noch bevor ich um die Sache wußte, auf mich als neue Bekanntschaft in der angenehmsten und liebenswürdigsten Weise wirkte. Ich selber bitte dich deshalb und weil ich augenblicklich ebenfalls mit Herrn Cassirer einer kleinen VerlagssacheZu einer Publikation von Texten Donald Wedekinds im Bruno Cassirer Verlag kam es nicht. wegen in Unterhandlung | stehe, möglichst umgehend deine Antwort an Herrn Cassirer zu senden, da dann die Entscheidung in meiner Angelegenheit um so schneller fallen wird. Es handelt sich um die Publikation in Buchform der „Schweizer Reminiscenzengemeint sind vermutlich die unter dem Titel „Kindheitstage“ (1905) publizierten Erinnerungen Donald Wedekinds (siehe unten).[“], der „Wirtin v. Aedermannsdorf“ und noch einer größeren SchweizernovelleIn dem Band „Oh, mein Schweizerland! Novellen und Erinnerungen“ (1905 in Berlin bei Lilienthal erschienen), in dem die beiden anderen genannten Erzählungen erschienen sind, findet sich keine weitere Novelle, die ihren Schauplatz explizit in der Schweiz hat; die Erzählung „Die Töchter Banfi oder Gesetz- und Ungesetzlichkeit“ spielt jedoch in einer „Republik“ [Donald Wedekind: Oh, mein Schweizerland! Novellen und Erinnerungen. Berlin 1905, S. 55], die deutlich Züge der Schweiz trägt. , an der ich jetzt arbeite. Dabei soll natürlich (es ist | beinahe überflüssig, daß ich es wiederhole, dein Verhalten Herrn Cassirer gegenüber ein völlig unabhängiges sein, denn meine Sache ist von so geringem Belang, daß du ihretwegen nicht um eine Idee anders handeln sollst. Eine prompte Beantwortung der Zeilen Herrn Cassirers aber wären/n/ erwünscht, wäre es einzig aus dem Grunde, weil das Leben kurz und | die Ruhe langKontamination einer Zeile aus dem Kirchenlied „Wohlauf, wohlan zum letzten Gang!“ von Christian Friedrich Heinrich Sachse: „Kurz ist der Weg, die Ruh ist lang“ [in: Ferdinand Bäßler: Evangelische Liederfreude. Auswahl geistlicher Lieder von der Zeit Luthers bis auf unsereTage. Berlin 1853, S. 314] und des lateinischen Spruchs: „Vita brevis, ars longa“ (Das Leben währt kurz, die Kunst lang) [vgl. Büchmann 1879, S. 249]. sind und wir später Zeit genug haben werden, um eine selbst an eine überflüssige Arbeit gewandte Mußestunde nachzuholen. Damit bin ich, lieber Frank, mit den herzlichsten Grüßen an Mamma und Mati und in Erwartung deiner Nachricht an Cassirer (Herr Hölländer läßt dich natürlich grüßen und fragt mich jedes Mal, ob du ihn überhaupt kennst) dein treuer Bruder
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 11. April 1904 in Schöneberg folgenden Brief
an Frank Wedekind

DONALD WEDEKIND
BERLIN-FRIEDENAU
FRIEDRICH WILHELMPLATZ 6


Berlin-Schöneberg
86. Hauptstraße
d. 11. April 1904.

_____________________


Lieber Frank!

Wenn ich dir nie geschrieben habe, so war das nicht deswegen, weil ich nicht so und so oft an dich gedacht, sondern eher die Folge einer Schreibfaulheit, die krankhaft zu nennen wäre, wäre ich nicht zufälligerweise Schriftsteller. Außerdem erwartete ich dich eine ganze Zeit lang hier in Berlin anläßlich deiner PremièreDie Berliner Premiere von „So ist das Leben“ fand am 27.11.1903 am Neuen Theater (Direktion: Max Reinhardt) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245] unter der Regie von Richard Vallentin) statt [vgl. KSA 4, S. 632, 637f.]. Die Berliner Aufführung besuchte Frank Wedekind nicht.Die Berliner Premiere von „So ist das Leben“ fand am 27.11.1903 am Neuen Theater (Direktion: Max Reinhardt) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245] unter der Regie von Richard Vallentin) statt [vgl. KSA 4, S. 632, 637f.]. Die Berliner Aufführung besuchte Frank Wedekind nicht.So ist das Leben“. |

Wenn ich jetzt an dich schreibe, so ist es allerdings auch wieder aus jenem bekannten GrundeEmma Herwegh, die Witwe von Georg Herwegh, mit der Frank Wedekind während seines Paris-Aufenthalts engen Umgang pflegte [vgl. Tb], musste sich von ihren Freunden und Bekannten regelmäßig Geld leihen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Auch Wedekinds Mutter schreib sie um Geld an [vgl. Tb, 10.9.1893; Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 12.9.1893]., aus welchem die Tochter unserer gemeinsamen Bekannten, der nunmehr endlich verstorbenen WitweEmma Herwegh war am 24.3.1904 in Paris im Alter von 86 Jahren gestorben. Herwegh die Briefe ihrer Mutter unbeantwortet ließ, ein Beispiel, das von dir nachgeahmt zu sehen ich nicht erwarte. Es handelt sich nämlich um eine ConsolidirungFestigung, Sicherung. meiner Existenz auf einige Wochen, damit ich in die Materie meines neuen RomansDas Projekt mit dem Titel „Berlin“ blieb Fragment [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.2.1908]. Ein weiterer Roman Donald Wedekinds nach dem 1903 publizierten „Ultra montes“ ist nicht erschienen. hineinkomme, um dann in derselben, mit eigener Ü|berwindung späterer Schwierigkeiten sicher fort arbeiten zu können und das Manuscript bis Ende September bereit liegen zu haben. Augenblicklich stehen mir die Forderungen, die die Befriedigung der notwendigsten Lebensbedürfnisse an eins stellt, zu dicht am Leibe, als daß ich fremder Hülfe entbehren könnte. Ich mußte zu Anfang dieses Monats einen Umzugvon Friedenau (Friedrich-Wilhelmplatz 6) nach Schöneberg (Hauptstraße 86). bewerkstelligen, hatte dazu das Unglück, einen Auftrag aus der Schweiznicht ermittelt; Donald Wedekind schrieb gelegentlich Korrespondenzen und Reiseberichte für die „Züricher Post“ und die „Neue Zürcher Zeitung“., womit ich sicher rechnete, zu Wasser werden zu sehen, so daß ich so eigentlich aus meinem Programm heraus|gerissen wurde. Willst und kannst du mir durch Übersendung einer größeren oder kleineren Summe dazu verhelfen, daß ich mich wieder hineinfinde? Oder weißt du einen Rat, wie ich mit deiner Hülfe hier in Berlin etwas Geld auftreibe, insofern du selbst der Mittel entblößt sein solltest?

Lieber Frank, die Tatsache, daß ich mich an dich wende, geschieht natürlich erst nach reiflicher Überlegung und nachdem ich zu dem Schluß gekommen bin, daß andere Auswege im Moment nicht vorhanden sind. Ich könnte, aber wahrscheinlich ohne Erfolg, Mieze | in Anspruch zu nehmen versuchen, und würde damit eine Hülfe, mit der ich späterhin gewiß wieder rechnen darf, noch auf weitere Zeit hinaus in Frage stellen. Anderseits weiß ich, daß du für meine Lage mehr Verständnis hast als Mieze, die ihren Weg unter besonders günstigen Umständen zurückgelegt hat und der für die Zickzackform gewisser nichts desto weniger sicherer Werdegänge einfach die Begriffe fehlen.

Denn wenn | ich heute noch, wie meistens seit dem Augenblick, da das väterliche Erbe erschöpft war, an der Notleine der CharitasCaritas (lat.) die helfende Liebe, Wohltätigkeit. schwimme, so weiß und fühle ich doch, wie sich meine persönliche Stellung hier in Berlin und meine andere in dem ganzen Weltgetriebe immer mehr befestigt, ohne dieses Bewußtsein würde ich die Schwierigkeiten der letzten drei Monate nicht überwunden haben. Bleibe ich gesund, so werde ich siegen, wie du, ohne von den Mühseligkeiten des Lebens ver|schont geblieben zu sein, in gewissem Sinne schon siegreich geworden bist.

Und in diesem Sinne, lieber Frank, grüße ich dich von ganzem Herzen und bin in Erwartung deiner Antwort dein treuer Bruder
Donald


P. S. Deinen Ratschlägen von letztem Sommer habe ich nach bestem Vermögen nachgelebt. Von „Bébé Rose“ (wie der gemeinsame TitelDonald Wedekinds Novellensammlungen „Das rote Röckchen“ (in Berlin bei Steinitz 1895 erschienen) und „Bébé Rose“ (in Dresden bei Otto Cäsar 1901), in der 2. Auflage als „Bébé Rose oder Das interessante Buch. Erzählungen und Skizzen“ (in Zürich bei Caesar Schmidt 1901), kam 1904 unter dem Titel: „Bébé Rose (Das rote Röckchen). 24 Erzählungen und Skizzen“ als „Dritte Auflage“ im Verlag von Caesar Schmidt in Zürich heraus, verspätet erst im Sommer als erschienen gemeldet [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 71, Nr. 137, 16.6.1904, S. 5223], aber bereits früher in den Listen der Neuerscheinungen [vgl. Neues Wiener Abendblatt. Jg. 38, Nr. 149, 30.5.1904, S. 8]; die Sammlung enthielt jedoch tatsächlich nur 16 Erzählungen, da aus „Bébé Rose“ nur 10 von 18 Erzählungen übernommen wurden. für die vereinigten Bände „Bébé Rose“ und „Rotes Röckchen“ lautet) ist die III. | Auflage als Volksausgabe erschienen. Nochmals herzlichen Gruß und Grüße an alle Münchener.

Frank Wedekind schrieb am 16. April 1904 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[1. Hinweis in Frank Wedekinds Tagebuch vom 16.4.1904 aus München:]


Brief an Donald […]


[2. Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 25.5.1904 aus Schöneberg:]


Ich danke dir für deine Zeilen von vor ungefähr vier Wochen recht herzlich.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 25. Mai 1904 in Schöneberg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schöneberg b/Berlin, d. 25.V.04
86. Hauptstraße


Lieber Frank!

Ich danke dir für deine Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 16.4.1904. von vor ungefähr vier Wochen recht herzlich. Wie du aus diesem meinem Lebenszeichen ersehen kannst, habe ich die letzte Klippe ohne verwandtschaftliche Hülfe glücklich umsegelt, aber der Verlegenheiten sind neue gekommen oder vielmehr die alten beginnen wieder bedrohlich zu werden, weshalb ich an Mieze, respektive an Walther Oschwald schriebDas Schreiben Donald Wedekinds an seine Schwester Erika und seinen Schwager Walter Oschwald in Dresden ist nicht überliefert., | er möge mir die Summe von 300 Mark verschaffen.

Bekomme ich dieses Geld nicht, so bin ich am 1. Juni nicht nur obdachlos, sondern ich verliere mein sämmtliches Eigentum, das, so wenig es bedeutet, doch einen Aufwand von einigen hundert Mark gekostet hat. Mein ArbeitsprogrammDonald Wedekind arbeitete an seinem zweiten Roman „Berlin“ [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 11.4.1904 und 2.2.1908]., von dem ich einen Teil schon erledigt, müßte ich im Stich lassen, der Sommer würde auf Irrfahrten, das täglich Notwendige zu finden, vergeudet und was am Schlimmsten wäre, ich würde unter dem Allem voraussichtlich so zu leiden haben, daß mir das Krankenhaus | die Lösung bringen könnte. Ich war krank und bin noch merklich angegriffen und fühle es, daß ich dieses Leben der dauernden Unsicherheit nur schwer mehr ertrage.

Das habe ich Alles Herrn Oschwald geschrieben, nachdem ich mich zwei Mal vorher an Armin gewandtÜberliefert ist ein Brief Donald Wedekinds an seinen Bruder Armin vom 22.4.1904, in dem es heißt: „so befinde ich mich augenblicklich wieder in einer jener Lagen, die nicht dazu dienen, unsere Einwurzelung in dieses materielle Leben zu fördern, wohl aber uns die Vergänglichkeit alles dessen, wonach wir kraft unseres physischen Bedingungen unterworfenen körperlichen Daseins streben müssen, zu zeigen und uns schließlich das Ende, das mit seiner demokratischen Gerechtigkeit für Alle kommt, zu erleichtern. Ich bedarf für den ersten Mai eines Zuschusses. […] Deshalb möchte ich Dich bitten, ob Du mir für das bezeichnete Datum die Summe von 150. Mark auf schwesterliche Hilfsbereitschaft hin verschaffen kannst. […] respektive ich bitte Dich, Mieze zu veranlassen, mir darüber hinweg zu helfen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 169.2:1263] habe, mit der Bitte um seine Vermittlung und Armin rätselhafter Weise meine Zeilen einfach unbeantwortet ließ. Vielleicht s/b/ist du in der Lage, lieber Frank, an Mieze oder Walther einige Worte zu richten, sei es, ich bitte dich darum, insofern du nämlich die Empfindung hast, daß es mir zum Guten gereicht. Denn es wäre ja möglich, daß | dasjenige, was ich will und dasjenige, was ich seit dem Tage meiner Geburt verkörpere, das Schlechte ist (kein Mensch kann selber darüber richten, es bleibt der Welt vorbehalten, das Urteil zu fällen) und in diesem Fall, wenn sich mein Sein und mein Wollen tatsächlich nicht mit den Grundprincipien dieses Weltbestandes vertrügen, wäre es ja allerdings direkt ein Irrtum meinem Wohl gegenüber, nur durch materielle Hülfe das Leben zu verlängern. Daß ich diese Auffassung aber nicht haben kann, ist dir wohl begreiflich.

Also ich wiederhole, wenn mir auf den e/1/. Juni nicht Hülfe wird, | so geht/wird/, statt daß ich diesen Herbst mit zwei neuen Arbeitsleistungen vor meine Umgebung hätte treten können, mein bischen Basis ganz in die Brüche gehen und der Termin, das fühle ich, wird nicht mehr einzuholen sein. Und das ist, was mir am meisten leid tut, daß ich die Arbeit, die ich gerne noch leisten würde, nicht mehr werde verrichten können. Was die Gesundheit anbetrifft, so denkt der kranke Mensch gewöhnlich nicht mehr viel an die gesunden Tage zurück, aber, auch darin wirst du mir doch zwei|felsohne Recht geben, es ist vom rein ökonomischen Standpunkt aus schon besser, man fördert freiwillig den Menschen in seiner Kraft als daß man durch die Civilgesetze gezwungenDas Bürgerliche Gesetzbuch sah vor: „§ 1610. Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.“ Geschwister waren dabei „mit Rücksicht auf die öffentliche Armenpflege […] jedoch nur zur Gewährung des nothdürftigen Unterhalts verpflichtet“ [Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuche für das deutsche Reich nebst Einführungsgesetz. Hg. v. Julius v. Staudinger. 4. Bd. Familienrecht. München 1899, S. 382]. einen Gebrochenen unterhält.

Damit bin ich, lieber Frank, nochmals die Bitte aussprechend, in diesem Sinne vielleicht durch ein paar Zeilen mein Gesuch bei Mieze zu unterstützen, dein treuer Bruder
Donald


P. S. Fräulein Margarete PechyDie Schauspielerin Margarete Pechy war Rezitatorin in Ernst von Wolzogens Buntem Theater (Überbrettl) in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1902, S. 263] und findet sich dann als freie Künstlerin in diversen Programmen – so trat „Margarete Pechy“ am 24.3.1903 bei einem „Cabaretabend vor geladenem Publikum“ auf; das Programm hieß „Verbotene Früchte“ [Berliner Tageblatt, Jg. 32, Nr. 140, 18.3.1903, Morgen-Ausgabe, S. (3)]., Bismarkstraße No 19, Charlottenburg, bittet mich, mich bei dir doch zu verwenden, daß du ihr ein Gedicht zum Vortrag schickst. Was meine Angelegenheit anbetrifft, so bitte ich dich, wenn du etwas tun kannst, schnell zu handeln, denn es ist Mattei am letztendas Ende der Welt, das Ende aller Tage; Redewendung nach dem letzten Satz in Matthäus 28,20: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ .

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 11. Dezember 1904 in Schöneberg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Berlin-Schöneberg, d. 11. Dez 04
86. Hauptstraße


Lieber Frank!

Mein Buchvermutlich eine frühe Auslieferung von Donald Wedekinds auf das Jahr 1905 datierten Erzählungsband „Oh, mein Schweizerland! Novellen und Erinnerungen“ (in Berlin bei Lilienthal erschienen), den er ursprünglich im Bruno Cassirer Verlag unterbringen wollte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 15.8.1903] und den der Verlag an Frank Wedekind gesandt haben dürfte. Bereits im Frühjahr als Buch erschienen war die Kombination zweier älterer Novellensammlungen Donald Wedekinds in einem Band [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 11.4.1904]. wird in deine Hände gelangt seit/n/ und ich setze voraus, daß es dich wenigstens vom Standpunkt einer neuen Leistung aus gefreut haben wird. Die Kritik hat noch nicht viel darüber gesagt, aber ich denke das wird noch kommen. Ich hoffe nunmehr, bis im Frühjahr einen neuen RomanDas Projekt mit dem Titel „Berlin“ blieb Fragment [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.2.1908]. Ein weiterer Roman Donald Wedekinds nach dem 1903 publizierten „Ultra montes“ ist nicht erschienen. wenigstens | druckfertig zu haben und auf diese Weise die Vorwürfe von einer gewissen SeiteHier dürfte Donalds Bruder Armin Wedekind gemeint sein. zu entkräftigen, als lebte ich nur meinem Vergnügen.

Mieze war vor einigen TagenErika Wedekind trat am 8.12.1904 um 20 Uhr beim III. Elite-Konzert in der Berliner Philharmonie zusammen mit Rosa Olitzka, Francesco d’Andrade und Willy Burmester auf [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 33, Nr. 611, 1.12.1904, 3. Beiblatt, S. (2)]. hier und hat in der Philharmonie gesungen: sie war von dem unumgänglichen Monsieur PerréEugène Perré, Wein- und Champagnerhändler aus Neuilly-sur-Seine, der spätere Ehemann von Emilie (Mati) Wedekind, hatte am 22.11.1900 ein Warenzeichen in Berlin angemeldet und war am 23.5.1901 eingetragen worden: „Eugène Perré, Berlin, Hagelsbergerstr. 53/54.“ [Warenzeichenblatt. Hg. vom Deutschen Patentamt, Jg. 8 (1901), S. 478] aus Paris begleitet und man stritt sich darüber, ob ihr Singen oder sein Weinhandel das einträglichere | Geschäft sei. Da ihr die Gabe, Wünsche von den Gesichtern abzulesen, offenbar von jeher versagt geblieben war, so gestaltete sich unser Zusammensein zu einem Sport für mich, denn ich erhielt irgendwelche materielle Förderung nicht und hatte in dieser Hoffnung versäumt, in Gesellschaft eines aktiven Admiralsnicht identifiziert. zu speisen. Dafür machte mich aber Mieze zum Mitwisser der erbauli|lichenSchreibversehen (beim Seitenwechsel), statt: erbaulichen. Geschichtenicht ermittelt., die in der nächsten Verwandtschaft Oschwalds passirt ist, nachdem letzterer bei meinem kurzen Aufenthalt von vor drei oder vier Monaten in Dresden noch die liebenswürdige Bemerkung getan, er pfeife auf unsere, respektive Miezes Verwandtschaft. Nun sind das schließlich Dinge, die uns nicht zu kümmern brauchen, aber ich hatte doch den Eindruck, als ob Mieze unter der Sache | Schaden gelitten hätte und noch leide.

Vor einigen Wochen besuchte ich Karl Henckell, der immer noch dasselbe HeimKarl Henckell wohnte in Charlottenburg (Kantstraße 42, 2. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1903, Teil I, S. 639]. hier bewohnt. Ich mußte ihn in einer Verlagsangelegenheit sprechen und er gab mir verschiedene, ganz wertvolle Ratschläge. Übrigens fällt mir da ein, daß wenn du eine Gedichtsammlung hättest, mir verschiedene, ganz gute Verlagsfirmen hier zur Verfügung ständen | von denen ich die eine oder die andere wohl zu einem günstigen Abschluß bringen könnte; dieses natürlich nur, wenn du es selbst für opportun hältst und weil es mir soeben einfällt. Um was ich dich aber innigst bitten möchte und weshalb ich diese Zeilen eigentlich schreibe, ist, mir doch zu sagen, wie ich aus einer augenblicklichen Bedrängnis, in der ich mich durch den Mangel eines Zwanzigmarkstückes befinde, heraus | komme, ob du mir diese Summe schicken kannst oder ob du einen Rat weißt. Dabei bemerke ich, daß ich das Geld nicht zur Deckung meiner persönlichen Bedürfnisse (dieselbe überlasse ich schon seit Monaten der gütigen Vorsehung und würde, wenn ich meine rückständige Miete in Betracht ziehe, das Zehnfache der notwendigen/verlangten/ Summe ausmachen) brauche, sondern daß es ein ganz exceptioneller Fall ist, den ich unbedingt aus der Welt schaffen | muß. Und das geht eben nur durch das langentbehrte Wiedersehen mit jener lieblichen Münze. Hast du eine solche und kannst du mir eine solche schicken?

Mieze erzählte mir außerdem noch, daß Mati und Mamma zu Weihnachten nach Dresden gehen, daß Mati dann dram. UnterrichtEmilie (Mati) Wedekind hatte im Frühjahr 1904 beschlossen, Schauspielerin zu werden, und absolvierte verschiedene Auftritte im Sommertheater in Baden [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1904] –zum Entsetzen ihres Bruders Armin Wedekind, der dahinter Frank Wedekinds Einfluss vermutete, wie er der Schwester schrieb (undatiert): „Sollte mich das nicht im Innersten kränken, wenn ich sehe wie Du Dich in die Gesellschaft dieses Menschen begiebst der schon Donald zu Grunde gerichtet hat und der mit Donald zusammen den Ruhm geniesst, den Gipfel der Schweinelitteratur im deutschen Sprachgebiet zu repräsentiren. Wenn ich hören musst dass Du in München der Aufführung eines seiner Stücke beiwohnst, das nach der Aussage hiesiger Litteraturkenner das Schweinischste ist, was man auf der Bühne sehen kann. Es ist mir unbegreiflich wie Du dabei sein konntest, dass Du nicht davon gelaufen bist! Und nun soll ich ruhig zusehen, dass Du eine Laufbahn betrittst, die mehr als irgend eine andere geeignet ist Dich in den gleichen Sumpf zu ziehen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 160.05:102] Er riet ihr daher, wenigstens „1 – 2 Jahre vorbereitendes Studium“ zu absolvieren. Emilie (Mati) Wedekind schrieb ihm daraufhin am 12.8.1904: „Inzwischen haben sich nun auch meine Pläne geläutert. Letzten Samstag trat ich zum dritten mal auf als Mme de Brionne in Cyprienne. Dir. Heinrich vom Stadttheater in Heidelberg, der Vater der hiesigen und Würzburger ersten Liebhaberin war anwesend. Er fand, ich sei talentiert aber noch sehr ungeschickt und müsse eben aus dem Fundamente lernen. Er bot mir an nächsten Winter als Volontärin zu ihm nach Würzburg zu kommen. Ich erkundigte mich nach den näheren Umständen und erfuhr dabei, daß ich sämmtliche Costüme selber stellen muß. Da ich nun zu Anfang alles mögliche ganz Unbedeutende spielen müßte um erstmal die Bewegungen zu lernen, käme mich diese Praxis mindestens ebenso teuer wie ein Geregelter Privatunterricht den ich wohl am vorteilhaftesten in Dresden genießen könnte, da ich da auch gleich den unentgeltlichen Theaterbesuch hätte. So habe ich denn mit Heinrich nicht abgeschlossen sondern mich an Mieze gewandt. So werde ich denn voraussichtlich Mitte September nach Dresden verreisen um meine Studien dort aufzunehmen.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 169.05:113] Das Vorhaben wurde nicht realisiert. nehmen will und des Anderen mehr. Und indem ich dich herzlich grüße und indem ich wenigstens eine möglichst imminentenahe bevorstehende, baldige. Antwort von dir erwarte, damit ich im Nichtfalle auf andere Mittel und Wege sinne, bin ich dein treuer Bruder
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 7. Juli 1905 in Jena folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Tagebuch vom 7.7.1905 in München:]


Donald telegraphirt mirHinweis auf das nicht überlieferte Telegramm, in dem Donald Wedekind seinen Bruder offenbar um Geld gebeten hat, das Frank Wedekind ihm umgehend zukommen ließ [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 7.7.1905]. Möglicherweise hat Donald Wedekind auch bereits seinen Besuch in München vom 13. bis 21.7.1905 [vgl. Tb] angekündigt. aus Jena. Ich schicke ihmHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 7.7.1905. 50 M.

Frank Wedekind schrieb am 7. Juli 1905 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Tagebuch vom 7.7.1905 in München:]


Donald telegraphirt mirHinweis auf ein nicht überliefertes Telegramm; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 7.7.1905. aus Jena. Ich schicke ihmHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Geldsendung, das hier erschlossene Korrespondenzstück. 50 M.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 29. August 1905 in Martigny-Ville folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

CARTE POSTALE
POSTKARTE – POST CARD


Herrn Frank Wedekind
München
42. Franz-Josefstraße 42
Allemagne. |


Fête paroissiale


Châbles (Vallée de Bagnes)


Herzl. Grüße sendet Donald. Ich weiß noch nicht ob ich über MünchenEin Besuch Donald Wedekinds in München ist in Frank Wedekinds Tagebuch zu der Zeit nicht verzeichnet. oder den Rhein zurückkehre.

Donald (Doda) Wedekind, Emilie Wedekind, Emilie Wedekind, Emilie Wedekind, Emilie Wedekind und schrieben am 23. Dezember 1905 in Schöneberg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 30.12.1905 aus Schöneberg:]


[…] an demselben Abend, als ich dir geschrieben hatte […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 30. Dezember 1905 in Schöneberg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schöneberg, Hauptstr. 86.
am 30. Jan/Dez/. 05


Lieber Frank!

Du wirst dich mit Recht gewundert haben, mich die ganzen Festtage über nicht gesehen zu haben. Hier die Erklärung: Ich wurde an demselben Abend, als ich dir geschrieben hattenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 23.12.1905. Frank Wedekind traf sich in Berlin gelegentlich mit seinem Bruder, dem Tagebuch zufolge zuletzt am 21.12.1905: „mit Hans Weinhöppel Donald und dem Besitzer vom Pradi in Wien im Linden-Restaurant“., von einem Unfall betroffen, der, wenn er sich auch bis heute als ziemlich harmlos be/er/wiesen hat, mich doch derart zurichtete, daß ich mich aus meinen gewohnten Kreisen nicht herausbewegte. Da die Sache nunmehr ziemlich der Besserung entgegengeht, so hole ich dich eventuell am 1. NeujahrstageFrank Wedekind notierte am 1.1.1906: „Donald holt mich ab. Wir essen zusammen. […] Abends mit Donald im Weihenstephan und Weinstube Frederich.“ [Tb] in deiner Wohnung ab, doch lasse dich durch diese Ankündigung durch/von/ nichts behindern. Jedenfalls heute schon: Prosit Neujahr! Herzlichen Gruß
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 7. Februar 1906 in Baden folgenden Brief
an Frank Wedekind

Baden, Pension Ruhfels
d. 7. Febr. 1906


Lieber Frank!

Hier einstweilen einen kurzen Reisebericht:

Nachdem wir uns getrennt hattenFrank Wedekind notierte am 29.1.1906: „Donald reist morgen in die Schweiz.“ [Tb] Zwei Tage zuvor vermerkte er: „Donald theilt mir mit, er wolle sich in Baden in der Schweiz niederlassen.“ [Tb, 27.1.1906], fuhr ich direkt nach Hause, nahm meine Bündel und setzte mich auf die Eisenbahn. Zwischen 10 und elf Uhr traf ich in Dresden ein. Ich reinigte mich im Bahnhof vom Schmutz der durchwachten Nacht, aß im Hôtel zu Mittag und wandte mich so gegen 2 Uhr Miezes WohnungDonald Wedekinds Schwester Erika wohnte mit ihrem Mann Walther Oschwald in Dresden in der Elisenstraße 3b [vgl. Adreßbuch für Dresden 1906, Teil I, S. 632]. zu. Noch bevor ich sie erreichte, stieß ich an der Ecke der Georgsstraßevermutlich Schreibversehen. statt: Gerokstraße, von der die Elisenstraße abzweigt. Die historische Georgstraße (heute: Max-Hünig-Straße) befand sich im Vorort Klotzsche. auf | die kleine Evadie sechsjährige Tochter von Erika Wedekind und Walther Oschwald., die von ihrer Gouvernantenicht ermittelt. spazieren geführt wurde. Von dieser Behüterin der Jugend erfuhr ich, daß Mieze augenblicklich im Großen Gartengrößter Dresdner Stadtpark, circa zwei Kilometer von Erika Wedekinds Wohnung entfernt. Dauermärsche mache, daß Fanny Oschwald eben vor zwei Stunden aus der Schweiz eingetroffen sei, zur Überraschung ihres Bruders, der noch im MinisteriumWalther Oschwald arbeitete als königlich-sächsischer Finanzrat in der Allgemeinen Verwaltungsabteilung der Königlichen Generaldirektion der Staatseisenbahnen (Wiener Straße 4) [vgl. Adreßbuch für Dresden 1906, Teil II, S. 26]. weile.. Ich schloß mich also der kleinen Eva an und nachdem wir eine Weile den Großen Garten abgesucht hatten, sah ich Mieze hinter den Bäumen erscheinen. Sie freute sich offensichtlich mich zu sehen und | ich selbst hatte auch eine große Freude, die nur durch die eine Feststellung getrübt wurde, daß auch Mieze nicht am Besten aussah.

In die Wohnung zurückgekehrt, war wieder große Begegnung, meine Ankunft wurde für Oschwald durch den Besuch seiner Schwester versüßt, jedenfalls begrüßte er mich so herzlich, wie das noch niemals geschehen. Man tauschte Neuigkeiten aus, ging paarweise (Mieze und ich, und Walther und Fanny) durch die Zimmer, und obschon Fanny Oschwald behauptete, eine sehr schwere Operation erst in den letzten Wochen erlitten zu haben, so fand ich sie doch so | vollkommen unverändert, als wären die 10, 12 Jahre, die ich die Schwester unseres Schwagers nicht mehr gesehen, überhaupt nicht verstrichen. Jedenfalls habe ich mich herzlich über diese Begegnung gefreut und auf der andern Seite war, den Eindruck hatte ich wenigstens, dasselbe der Fall.

Ich setzte Mieze, wie du mir angeraten, die Gründe meines Wohnungswechselsvon Berlin nach Baden in der Schweiz. auseinander und fuhr um 6 Uhr Abends, von den Segenswünschen Aller begleitet, ab, um am nächsten Vormittag in Stuttgart einzutreffen. Da die Anschlüsse auf dieser Linie schlecht sind, (wir hatten Dank der schwä|bischen Gemütlichkeit ungefähr 2 Stunden Verspätung) hatte ich Muße genug, mir die württembergische Residenzdas Neue Schloss in Stuttgart, die Residenz der Herzöge und Könige von Württemberg. anzusehen, ich fühlte mich schon nahe den heimatlich-schweizerischen Gefilden und war nur überrascht über eine phänomenale Billigkeit aller Genußmittel. Da das Wetter ausnahmsweise gut war, so gestaltete sich dieser Nachmittag zu einem wahren Ergötzen. In Schaffhausen zog ich es vor, den Zug weiter nach Zürich gehen zu lassen, und die erste Nacht auf schweizerischem Boden einem gesunden, langen und erquickenSchreibversehen, statt: erquickenden. | Schlaf zu widmen. Meine einstigen Zähne, die ich in der Tasche als überflüssigen Ballast mit mir trug, versenkte ich in den Rhein und stellte mit Vergnügen fest, daß sie lange nicht in der klaren Flut verschwinden wollten, was ich für ein gutes Omen nahm.

In Baden war es nicht so leicht, das zu finden, was ich brauchte. Die Badehôtels haben eine Konvention, auch im Winter unter einen gewissen, exorbitantengewaltigen, enormen. Preis nicht hinunter zu gehen und schon hätte ich in | einem kleinen, ungenügenden Zimmer eines Hôtels niedrigeren Ranges beinahe Wohnung genommen, als ich auf einem Spaziergange nach Wettingen in der Oberstadt das entzückend gelegene Haus fand, wo ich meinen Ansprüchen entsprechend mich einigen konnte. Ein Zimmer mit Aussicht nach der Lägernschmaler, rund 10 Kilometer langer Höhenrücken zwischen Baden und Dielsdorf., nach Baden und dem Kloster WettingenDas säkularisierte Kloster Wettingen beherbergte die Lehrerbildungsanstalt des Kantons Aargau., billige Pension und eine Lage, die ein Herumsumpfen in den Kneipen der Stadt ausschließt. So hoffe ich sicher einer allmählichen ConsolidirungHeilung. von Körper und Seele entgegenzugehen. | Mit meiner Ankunft setzte auch starker Frost mit Schneefall ein, so daß es ein Vergnügen ist, die Natur zu genießen.

Letzten Sonntag war ich in Lenzburg. Mamma und Mati sind gesund, wir verbrachten einen angenehmen Nachmittag zusammen. Der Mittelpunkt des Gesprächs warst natürlich, wie übrigens auch in Dresden, du. Und so danke ich dir, mein lieber Frank dafür, daß du mir diese hoffentlich heilbringende Übersiedelung ermöglichtFrank Wedekind unterstützte seinen Bruder regelmäßig mit Geld, zuletzt am 27.1.1906 und 29.1.1906 kurz vor seiner Abreise mit jeweils 100 Mark [vgl. Tb]. hast, ich werde das, was ich noch zu erzählen hätte, für einen andern Brief sparen und bin mit den innigsten Grüßen dein Bruder
Donald


[auf Seite 1 und 4 um 90 Grad gedreht am linken Rand:]

P. S. Herzliche Grüße auch an Frl. NevesSchreibversehen, statt: Newes. und sage ihr, ich würde | ihr die Bücher zukommenEs dürfte sich dabei wohl um Donald Wedekinds eigene Bücher gehandelt haben. Frank Wedekind zufolge hatte er Tilly Newes zuletzt am 24.1.1906 getroffen: „Generalprobe von Kindern der Sonne. mit Tilly Iduschka Gertrud Eysold Tilla Durieux Donald Frau Weißbeck.“ [Tb] lassen. Nochmals Adieu!

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 12. März 1906 in Baden folgenden Brief
an Frank Wedekind

Baden i. d. Schweiz
Villa Ruhfels
am 10/2/.III.06


Lieber Frank!

Nachdem ich nun 6 Wochen hier bin und nach und nach der Gegenstand eines gesunden Sanierungsprozesses wurde, fühlige/fühle ich mich auch in der wohligen Laune, dir erneute und etwas exaktere Nachrichten von mir zu geben.

Die Luftveränderung und das solide Leben, zu dem man hier gezwungen ist, haben nicht verfehlt, ihren guten Einfluß auf mich auszuüben. Seit drei Wochen stehe ich jeden Morgen um 9 Uhr auf, arbeite dann bis zur Mittagszeit, esse zu Mittag, arbeite noch zwei Stunden und ergehe mich dann in/an/ den schönen GehängenBerghängen. des Limmathtales, ob es regne, schneie oder schönes Wetter ist. Sonntags besuche ich | Mamma und Mati, oder Freunde in der Umgegend, und Montags beginnt wieder dieselbe Arbeitsperiode. Diese Regelmäßigkeit hatte zur Folge, daß mein RomanDas Projekt mit dem Titel „Berlin“ blieb Fragment [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.2.1908]. Ein weiterer Roman Donald Wedekinds nach dem 1903 publizierten „Ultra montes“ ist nicht erschienen. um weitere fünf Kapitel gediehen ist, daß ich mich gesund und wohl, und, wüßte ich, daß das ewig dauern würde, beinahe gelangweilt fühle. Immerhin habe ich die Absicht, bis zum ersten Mai keine Veränderung eintreten zu lassen und könnte diesen Vorsatz mit einem Zuschuß von 200 Mark, wie ihn mir Mieze vor 6 Wochen aus Dresden zugeschickt, durchführen. Kannst du mir diese Subvention schicken?

Auf den ersten Mai hoffe ich mich dann irgendwie unter Dach und Fach bringen zu können. Mein Freund StäubleAlbert Stäuble, Chef der Offiziellen Verkehrskommission Zürich (Stadthausquai 1, Parterre) [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1906, Teil I, S. 407] und Sekretär des Verkehrsvereins Zürich, der ebenfalls seinen Sitz dort hatte [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1906, Teil IV, S. 105], besuchte das Gymnasium in Aarau und war seit 1898 Leiter des Züricher Verkehrsbüros; 1906 übernahm er für zwei Jahre das Verkehrsbüro Baden-Baden [vgl. Der Bund, Jg. 97, Nr. 63, 7.2.1946, Abendausgabe, S. 4]., der Verkehrssekretair, ist an die Spitze des Verkehrsvereins in Baden-Baden berufen worden und wie er mir vor einigen Tagen in Zürich mitteilte, ist es | nicht ausgeschlossen, daß er in derselben Stadt meiner redaktionellen Mitarbeiterschaft bedarf. Außerdem hat der Zürcher VerkehrsvereinZum Verkehrsverein Zürich gehörten das „Offizielle Verkehrsbureau Zürich“ und die „Verkehrskommission“, beide im „Parterre I, Stadthausquai 1“ [Adreßbuch der Stadt Zürich 1908, Teil I, S. 450] untergebracht. „Der Verein bezweckt, in Verbindung mit Behörden und Privaten die Wahrung und Förderung der Verkehrsinteressen von Zürich und Umgebung. Ein Hauptbestreben soll namentlich auch darin liegen, Fremde nach Zürich zu ziehen und ihnen den Aufenthalt daselbst angenehm und nützlich zu machen und insbesondere gut situierte Familien zu längerem Aufenthalte zu veranlassen.“ [Adreßbuch der Stadt Zürich 1908, Teil IV, S. 114f.]. die Redaktion seines OrgansDie offizielle Verkehrskommission Zürich gab das wöchentlich erscheinende „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt“ heraus. Die Stelle als Redakteur bekam Donald Wedekind für zwei Jahre [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 1.5.1908]. zu vergeben und, wie mir mitgeteilt wurde, bin auch ich in Betracht gezogen. Dann winkt von München her noch eine kleine, untergeordnete Sachenicht ermittelt., so daß ich mich bei diesen verschiedenen Aussichten nicht wundern würde, wenn eine davon wirklich und wahrhaftig in Erfüllung ginge, so eigentümlich mich dieser Gedanke auch bei der Beharrlichkeit, mit der alles aktive Leben mir aus dem Wege geht, anmutet. Also möge der KelchIronisierung der auf die Leidensgeschichte Jesu anspielenden biblischen Redewendung: der Kelch geht an jemandem vorüber, für: jemandem bleibt etwas Schlechtes erspart (nach Markus 14,36 und Matthäus 26,39) und: den Kelch bis zur Neige leeren, für: etwas Unangenehmes bis zum Ende durchstehen., den ich mit Freuden leeren würde, nicht an mir vorübergehen.

Anderseits freue ich mich natürlich, daß mir Stimmung und Muße gekommen sind, um meine Arbeit zu vollenden. Denn wenn mir, wie das bei/vor/ seh/sechs Wo|chen durch Miezes rettenden Arm aus Dresden geschehen ist, das Impedimentum(lat.) Hindernis. des leeren Geldbeutels aus dem Wege geschafft wird, so kann ich bis zum 1. Mai das Concept meines Romans annähernd beenden. Schlußkapitel und Korrektur ließen sich leicht den Sommer über auch zwischen einer andern Tätigkeit hinein bewerkstelligen, so daß der Herbst das druckfertige Manuscript sehen würde. Jedenfalls hätte sich dann der alte SpruchHerkunft nicht ermittelt; das Latein scheint fehlerhaft („peccabi“ statt: „peccabit“ oder „peccabo“); wörtlich: Aber in Baden wird das Licht immer durch Unklugheit sündigen. : Sed Badae semper peccabi lux Imprudentia nicht bewahrheitet und Miezes und deiner Hülfe wäre der Schein der Nutzlosigkeit genommen. Und so geschehe es. – – –

Letzten Sonntagwohl am 4.2.1906. war ich nach einer Unterbrechung von vierzehn Tagen wieder in Lenzburg und wurde dort of|fensichtlich mit Spannung erwartet. Ich mußte nämlich Auskunft geben über deine BrautFrank Wedekind und Tilly Newes waren seit dem 18.2.1906 verlobt und heirateten am 1.5.1906; Ende Februar hatte er die Heiratspläne seiner Mutter mitgeteilt und angemerkt: „Donald kennt Tilly Newes und kann Euch von ihr erzählen.“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 24.2.1906] und, nach einer längeren Beschreibung, die ich abgab, kam Mati zu der Anschauung, sie müsse ungefähr aussehen wie Steffi Rabenicht näher identifiziert; offenbar eine Jugendfreundin aus Lenzburg, die Donald Wedekind demnach 1888 mit 17 zuletzt gesehen hat., was ich nun nicht beurteilen konnte, da ich Steffi Rabe schon wenigstens seit 18 Jahren nicht mehr gesehen. Jedenfalls geben Euch Beide, Mamma und Mati, ihren Segen, und indem ich innerlich dasselbe tue, bin ich, in Erwartung auf deine Antwort und mit brüderlichen Grüßen an Dich und Tilly Dein
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 22. März 1906 in Baden folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Du scheinst meinen Briefvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 12.3.1906., den ich vor 10 Tagen abschickte und der „Deutsches Theater, Berlin“ adressirt warAm Deutschen Theater zu Berlin (Schumannstraße 13a; Direktion: Max Reinhardt) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 271] probte Frank Wedekind im März 1906 Molières Komödie „Tartuffe“ (Regie: Max Reinhardt) [vgl. Tb], in der er die Titelrolle spielte (Premiere: 25.4.1906)., nicht erhalten zu haben. Ich fragte dich darin an, ob du mir die Summe von 200 Mark schicken kannst, mit der ich bis zum 1. Mai auskommen wollte. Bis dann werden sich die Verhältnisse vermutlich gebessert haben, augenblicklich aber ist mein Regime, das meinem körperlichen und geistigen Wohlbefinden sehr zu Gute kam, seit zwei Tagen durchbrochen, da mich eine gähnende Leere meines Portefeuilles(frz.) Brieftasche. mit schwarzen Ideen erfüllt.

Ich schickeTilly Newes wohnte in Berlin in der Albrechtstraße 11 [vgl. Emil Gerhäuser und Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 12.4.1906]. diesen Brief nunmehr an Frl. NevesSchreibversehen, statt: Newes., mit der Bitte, ihn dir folgen zu lassen, wo | du dich auch befinden mögest. Ich setze voraus, daß du auf einer TournéeFrank Wedekind hielt sich in Berlin auf [vgl. Tb], ließ Donald Wedekinds Bitten um Geld aber unbeantwortet. bist und sie am Besten unterrichtet sein wird, wo die Geschäfte dich gerade aufhalten. Laß mich dann, wenn dich der Brief trifft, womöglich telegraphisch wissen, was du tun kannst.

Im schlimmsten Fall würde ich mich gezwungen sehen, nach Zürich zu gehen, es wäre aber schade, da ich dort einstweilen noch nichts zu tun habe und die Vorbereitungen, die etwas abwerfen sollen, durch ein unzeitgemäßes Erscheinen nur stören würde.

Mamma und Mati haben sich über die BilderOffenbar hatte Tilly Newes Künstlerfotografien von sich nach Lenzburg gesandt, die allerdings ebenso wie das Begleitschreiben nicht überliefert sind. von Fräulein Neves sehr gefreut. Also mögen Dich diese Zeilen erreichen. Mit brüderlichem Gruß und Kuß
Donald


Baden, d.22. März 1906
Villa Ruhfels

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 27. März 1906 in Baden folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Nach Allem, was mir über Dich gesagt wird und was ich über Dich höre, geht es Dir gut. Aber auch für den Fall, daß es Dir nicht gut gie/n/ge, so kommt das, was ich dir jetzt schreibe, aus vollem Herzen, so wie ich es fühle und meine, und nicht anders.

Ich habe im Laufe der letzten drei Wochen zwei Briefevgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 12.3.1906 und 22.3.1906. an Dich abgehen lassen. Nach den Maßregeln, die ich getroffen, muß ich annehmen, daß Du sie erhalten hast. In der Tatsache, daß Du es bis heute nicht der Mühe Wert gehalten hast, zu antworten, muß ich zum ersten Mal in meinem Leben an Deinem guten Glauben zweifeln, ein Zweifel allerdings, der durch den Ratschlag verstärkt wird, den Du mir einige Abende vor meiner Abreiseam 30.1.1906; im Tagebuch notierte Frank Wedekind am 29.1.1906: „Donald reist morgen in die Schweiz.“ Zuvor hatte er Treffen mit Donald (den Namen einmal in hebräischen Schriftzeichen notiert) verzeichnet am 24.1.1906 („mit […] Donald“) und am 27.1.1906 („Donald theilt mir mit, er wolle sich in Baden in der Schweiz niederlassen. […] Abends mit Donald beim Austernmeier und bei Stallmann. [Donhald] M. 100“). von Ber|lin gabst.

Du meintest damals, eine Befolgung dieses Ratschlages mit Erfolg würde Dir und Mieze Eure unterstützende Tätigkeit erleichtern. Was Mieze anbelangt, so weiß ich, daß wenn sie sich auch nicht gerne von dem vielleicht zu teuer Erworbenen trennt, sie mich doch zu sehr als jüngeren Bruder liebt, um für ihre Förderungen einen Preis zu verlangen, wie zu bezahlen Du mir vor drei MonatenIn Frank Wedekinds Tagebuch sind Treffen mit Donald am 19.12.1905 („mit Hans Weinhöppel Donald und dem Besitzer vom Pradi in Wien im Linden-Restaurant“) und am 1.1.1906 („Donald holt mich ab. Wir essen zusammen. […] Abends mit Donald im Weihenstephan und Weinstube Frederich“) belegt. nahe legtest. Daß Dir aber Deine zu den schwesterlichen Handreichungen in keinem Verhältnis stehender/e/ HülfeFrank Wedekind unterstützte seinen Bruder Donald in Berlin seit Oktober 1905 regelmäßig mit 100 Mark; Zahlungen sind im Tagebuch verzeichnet am 8.10.1905, 23.10.1905, 21.11.1905, 5.12.1905, 19.12.1905, 5.1.906, 18.1.1906, 27.1.1906 und 29.1.1906 [vgl. Tb], also über einen Zeitraum von knapp vier Monaten. schwer fällt, daran dachte ich bis heute nicht, daß jemals die Rede sein könnte, und die Tatsache ist für mich nur durch einen Umstand erklärbar, an den ich ebenfalls kaum zu denken wage.

Sollte Dein Ehrgeiz wirklich so groß sein, daß schon lange eine geheime, aber hie und da erwachende Furcht in Deinem Herzen | lebt, daß ich Dir irgend ein Zielals Schriftsteller Erfolg zu haben. einmal streitig machen könnte. Du solltest doch gemerkt haben, daß wenn eine Bearbeitung, wie Du sie mir diese Herbstmonate mit jeden hundert Mark, die Du mir gabst, zuerteiltest, daß, wenn eine solche Kur nichts fruchtet, die den Ehrgeiz stachelnden Disciplinenhier: Verhaltensregeln, Vorschriften. eben auf einen Boden fielen, wo kein solcher/Ehrgei/z vorhanden ist. Dies erhellt doch auch klar und deutlich der andere Umstand, daß ich mich an ein Institutvermutlich Anspielung auf Donald Wedekinds Nähe zur katholischen Kirche. anlehne, das die Entsagung und die Nichtigkeit dieser Welt predigt, wobei ich mich in dieser Anlehnung so vereinsamt fühle, daß ich ein Narr sein müßte, um nicht zu erkennen, wie schlecht dieser Weg zu irdischen Erfolgen führt. Das Bischen, was ich an Ähnlichem erreicht habe, ist Zufall und die gute Natur, mit der mich die gütige Vorsehung bedacht hat, warum also die Furcht, ich könnte bei unserem allgemein | menschlichen Wettlauf auch noch in jener Bahn ein besseres Ziel erreichen, wo das Verdienst doch nicht anders belohnt wird als die Bestrebungen eines jeden unehrlichen Bierwirtes oder Geldmaklers auch. Ein jeder Fortschritt den ich als Bürger mache, ist für mich ein Rückschritt und ein jeder Erfolg, so wie er gewöhnlich gemeint ist, bedeutet einen Mißerfolg. Mein Leben kann nur als ein Leben wirken, das in den crassesten Farben zeigt, wie alles Edle, alles Gute hier unten unabwendbar zu Grunde gehen muß und jedes Zugeständnis der öffentlichen Meinung oder sogar irgend eines federfuchsendenals Autor arbeitenden, Schreibarbeiten ausführenden. TeaterkulisSchreibversehen, statt: Theaterkulis (Kuli = Tagelöhner). Der Terminus ist zeitgenössisch mehrfach belegt. würde dieser sittlichen Wirkung verderblich sein.

Und nun zum Schluß noch Eines. Auch einige Tage vor meiner Abreise von Berlin taxirtest Du die Zeit, während welcher ich m/D/eine feste Hülfe genoß, auf ein halbes Jahr. Du täuschtest Dich um mehr als zwei | Monate. So ist der Mensch in seiner Schwäche veranlagt, etwas zu tun, was ihm nicht Freude macht, verlängert die Zeit bis zur Widerwärtigkeit. Aus demselben SentimentEmpfinden, Gefühl. mögen auch Vorgänge aus früherer Zeit in Deinen Augen von ihrem wirklichen Wert verloren haben, wobei ich allerdings zugebe, daß Deine Abhängigkeit von mirDonald Wedekind hatte seinen Bruder Frank in der Vergangenheit wiederholt finanziell unterstützt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 8.2.1893, Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 22.12.1895; Frank Wedekind an Donald Wedekind, 19.7.1900; Donald Wedekind an Frank Wedekind, 3.10.1900]. damals gerade in meine beste Jugendzeit fiel, da Herz und Fingerspitzen noch näher miteinander verbunden sind als wenn sich später so und so viel Ablagerungen schon dazwischen gelegt haben. Aber Du hast ja ein ebenso gutes Gedächtnis wie das meinige ist, das mich wohl noch daran erinnert, wie ich Dir allerdings auch den wohlmeinenden Rat erteilte, Dir eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Jedenfalls aber, das weiß ich, würde ich mich nie, und wenn ich zwanzig/nur/ Jahre/das/ älter gewesen wäre was ich | jünger bin, in derartigen, beleidigenden PedanterienKleinlichkeiten, Spitzfindigkeiten. gebadet haben, wie Du das mir gegenüber diesen Winter für gut fandest. Und ich erinnere mich nicht, daß, wenn Du mit einem Anliegen kamst, ich nichte stets den kürzesten Weg genommen hätte, demselben nachzukommen. Das sogar in Fällen, wenn Du Dich noch nicht einmal direkt an mich wandtest.

Damit bin ich, mit der Versicherung, daß ich Dir nach wie vor gut will und daß ich diesen Brief nur geschrieben habe, weil ich die Empfindung hatte, daß ich meinen Standpunkt nachgerade einmal klarlegen mußte, dein treuer Bruder
Donald


Baden i. d. Schweiz
Villa Ruhfels, am 27. März 1906

Frank Wedekind schrieb am 8. April 1906 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 10.4.1906 aus Baden:]


Indem ich dir für Deine letzten Zeilen herzlich danke […]

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 10. April 1906 in Baden folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Indem ich dir für Deine letzten Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 8.4.1906. herzlich danke, bitte ich dich mi/au/ch um Entschuldigung für die m/M/einenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 27.3.1906. , die durch die gereizte Stimmung, in die mich dein Stillschweigen versetzte, vielleicht wirklich, wie Du siehst, beleidigend ausgefallen waren. Wenn ich ein aufrichtiges Bestreben immer hatte, so war es, den Frieden und die Eintracht aufrecht zu erhalten und es tut mir weh, wenn ich sehe, wie die vermehrte Selbstständigkeit eines jeden Einzelnen von uns auch ein vermehrtes Auseinandergehen | und eine stark prononcirtebetonte. Mißachtung des Einen für den Andern zur Folge hat. Ich denke hierbei nicht besonders an uns zwei; sondern an uns alle zusammen als Geschwister.

Ich meinesteils habe mich die letzten vierzehn Tage so gut und redlich durchgeschlagen wie es ging. Meine ArbeitDonald Wedekinds Arbeit an dem Fragment gebliebenen zweiten Roman „Berlin“ [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 2.2.1908]. hat unter der erneuten Unregelmäßigkeit meines Lebens natürlich gelitten, immerhin habe ich sie bis über die erste Hälfte hinaus gebracht und ich könnte sie, würde mir in diesen Tagen von irgend welcher Seite her eine ausgiebige Subsistenz zukommen, wohl im Concept fertig stellen bis zum ersten Mai. Trifft nichts ein, so bleibt mir nur übrig, mich stillschweigend von hier zurückzuziehen, in | Zürich Geld zur Rückreise aufzutreiben und mich langsam über München wieder Berlin zuzuwenden. Das kann aber schon bis im Herbst dauern. Die letzten acht Tage hatte ich in Zürich viele Laufereien in Sachen der Bewerbung um die Redaktion des Fremdenblattesdas von der offiziellen Verkehrskommission Zürich herausgegebene, wöchentlich erscheinende „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt“. Die Presse berichtete: „Das ‚Zürcher Fremdenblatt‘, das seit Jahren vom Mai an herausgegeben wurde, wird dieses Jahr erst in der zweiten Hälfte Mai erscheinen und zwar im neuen Gewande unter dem Titel ‚Zürcher. Theater-, Konzert- und Fremdenblatt‘. Es haben nämlich der Verkehrsverein Zürich, das Stadttheater und die Tonhalle eine Vereinbarung getroffen, wornach sie an Stelle ihrer bisherigen besonderen Publikationen als gemeinsame Veröffentlichung das neue Zürcher. Theater-, Konzert- und Fremdenblatt herausgeben.“ [Zürcher Wochen-Chronik, Jg. 8, Nr. 19, 12.5.1906, S. 147] Und kurz darauf: „An Stelle des bisher vom Verkehrsverein Zürich im Sommer herausgegebenen ‚Zürcher Fremdenblattes‘ ist am 25. Mai ein neues Blatt in künstlerischer Ausstattung erschienen, welches unter dem Titel ‚Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt‘ auch die bisherigen Publikationen des Zürcher Stadttheaters und der Tonhalle ersetzen wird. Als Redaktoren sind berufen worden die bewährten Schriftsteller Dr. Donald Wedekind und C. Waldvogel, Sekretär der neuen Tonhallegesellschaft.“ [Neue Zürcher Nachrichten, Nr. 143, 28.5.1906, Morgenblatt, S. 82)] Donald Wedekind hatte die Stelle bis zum 1.5.1908 inne [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 1.5.1908]., gelingt das, so werde ich Dir sofort telegraphiren. Auf der Rückseite noch einige Zeilen, die Dir den Seelenzustand Deines Bruders. Schriftstellers noch ungefähr schildern und mit den Wünschen, daß Du und Deine Brautdie 19jährige Schauspielerin Tilly Newes. , daß Ihr Beide recht fröhliche FeiertageOstersonntag war am 15.4.1906. verlebt, bin ich dein getreuer
Donad/l/d.


Baden, Kt. Aargau, d. 10. April 1906
Pension Ruhfels |

I. Wehklage.

       –––––––

Die Feiertage rücken heran, sollen sie für mich Trauertage werden?

          ––

Die Sonne strahlt um mich herum, – und ich lebe in der tiefsten Finsterniß.

          ––

Freunde und Verwandte umgeben mich, aber wie kalte Steinsäulen steht Alles um mich her

         ––

Ich fühle meine Brust zerspringen von Lebenslust und mein Blut langsam vom Herzen wegrieseln und im Sand verlaufen.

          ––

Die Welt ist in mir, aber ich kann<Loch: ka> sie nicht bewirten und langgestreckt und schwer liegt sie da, wie ein todter Gast.

          ––

Die Feiertage rücken heran, sollen sie Todtentage werden?


Donald (Doda) Wedekind schrieb am 18. April 1906 in Baden folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Ich liege zu Bett und bin krank. Ich habe die Empfindung, als müsse mich jeden Augenblick der Schlag treffen. Ich habe mich noch in meinem Leben nie so mut- und | hilflos gefühlt. Ich habe an Mieze geschrieben, aber ich glaube kaum, daß sie reagiren wird. Mit wehmutsbangem Herzen Dein vereinsamter Bruder
Donald


Baden i. d. Schweiz
Pension Ruhfels
2 Tage n. d. Osterfest

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 22. Dezember 1907 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Bruder!

Seit anderthalb Jahren Tag für Tag derselben Arbeit lebend, empfinde ich das Bedürfnis nach einer kurzen Unterbrechung. Vielleicht um eine Arbeit zu vollenden, die mir am Herzen liegt. Jedoch ist es mir nicht möglich, mich frei zu ma|chen. Vielleicht weißt Du Rat.

Diesen erwartend und Dir im Übrigen meine aufrichtigen Glückwünsche zusendend zu Deinen sichtbaren ErfolgenVon Frank Wedekind war im November 1907 die Buchausgabe von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ bei Albert Langen in München erschienen, vordatiert auf 1908 [vgl. KSA 6, S. 724]. Daneben war er im gleichen Monat auf verschiedenen Bühnen präsent, darunter am 22./23.11.1907 in Gastspielen von „Frühlings Erwachen“ (Regie: Hans Kuhnert) am Stadttheater Amsterdam und am Großen Schauspielhaus in Rotterdam, worüber auch die deutsche Presse berichtete [vgl. Wedekinds „Frühlings Erwachen“ in Holland. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 603, 27.11.1907, Abend-Ausgabe, S. (2-3)]., bin ich Dein
Bruder Donald


Zürich, am Sonntagder 22.12.1907. vor Weihnachten 1907

Frank Wedekind schrieb am 23. Dezember 1907 in Berlin
an Donald (Doda) Wedekind , Armin (Hami) Wedekind , Donald (Doda) Wedekind , Armin (Hami) Wedekind

Abschnitt.

Coupon.

Kann vom Empfänger abgetrennt werden.
Peut être détaché par le destinataire.

––––––

Betrag der Postanweisung in Ziffern.
Montant du mandat en chiffres.

122. frs. 84 Ctms.

––––––

Name, Wohnort und Wohnung (Straße und Nr.) des Absenders
Désignation de l’envoyeur

Frank Wedekind.
Kurfürstenstraße
125. Berlin

–––––––

Den    190 Le |


Lieber Donald, du schreibst mirvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.12.1907. keine Spur von einer Adresse. Ich muß diese M. 100Die Geldsendung an seinen Bruder hat Frank Wedekind nicht im Kontobuch vermerkt. daher an Armin schicken. Ich wünsche euch von Herzen fröhliche Feiertage.

Mit den t/b/esten Grüßen
Dein Frank.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 25. Januar 1908 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Als ich vor einigen Wochen meine erfolglosen Zeilenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.12.1907. an Dich richtete, mußte ich wohl eine Ahnung von einem wirklichen, kommenden Unglück gehabt haben. Aus beiliegendem SchreibenDas beigelegte Kündigungsschreiben ist nicht überliefert; wie aus späterer Korrespondenz hervorgeht [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 1.5.1908] war Donald Wedekind bei dem von der Verkehrskommission Zürich herausgegebenen, wöchentlich erscheinenden „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt“ beschäftigt, wo er sich zwei Jahre zuvor beworben hatte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.4.1906]. wirst Du ersehen, daß mir meine Stellung gekündigt wurde, ohne mein Verschulden, ohne daß man mir vorwerfen kann, daß ich meine Pflicht | nicht erfüllt hätte. Dieser Katastrophe bedurfte es noch, um meinen seelischen und körperlichen Zustand derartig zu compliziren, daß ich mich meiner Lage nicht mehr gewachsen fühle und ohne äußere Hülfe ein schlechtes Ende unvermeidlich vor Augen sehe. Willst Du mir nicht helfen?

Als ich nach Weihnachten vergeblich auf deine Antwort warteteAnscheinend hatte Donald Wedekind eine Geldsendung über 100 Mark, die Frank Wedekind ihm mangels einer aktuellen Adresse in Zürich über Armin Wedekind zukommen lassen wollte [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 23.12.1907], nicht erhalten., wandte ich mich an Walther Oschwald, und Mieze ließ mir dann auch durch ihn eine Summe zukommen, | die gerade reichte, um einigen dringenden Verpflichtungen zu genügen, außerdem nahm ich die Gelegenheit wahr, mir ein möblirtes Zimmer zu nehmen, dessen Ruhe und Comfort meinen gereizten NervenAnspielung auf die zeitgenössische Modediagnose Neurasthenie. zu Gute kommen sollten. Das Gegenteil ist der Fall und ich wohne noch schlechter und unleidlicher als zuvor. Das liegt nun mehr in mir als in der Außenwelt, immerhin sehe ich kein Mittel mehr, das Leben auf diese Weise wei|ter zu ertragen, und einzig und allein ein längerer Landaufenthalt vermöchte meinem subjectiven Empfinden nach mein seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen. Aber wie das machen, jetzt, da ich gerade froh sein muß, für einige Wochen noch ein Obdach über dem Haupt zu haben.

Lieber Frank, bei dem Lebensgang, wie Du ihn selbst teilweise hinter Dir hast, ist es überflüssig, daß ich Dir weiter noch meinen Zustand schildere. | Ich bin gerne bereit, wenn Du mir die nötigen Mittel dazu schickst, das zu tun, was Du mir vor zwei Jahren anrietst, nämlich zu einem Arzt zu gehen und mich auf meinen Zustand untersuchen zu lassen. Das ist aber von zweiter Bedeutung, die Hauptsache ist, daß ich wieder in eine Stellung komme, die mir mein Leben sichert und zwar in reichlicherer Form und nicht unter so unglücklichen Begleitumständen wie das bei meiner bisherigen Anstellung der | Fall war. Kannst Du da nicht etwas tun? Diese Sache hier war Flickwerk, ich hatte den besten Willen, etwas daraus zu machen, es war mir aber nach Aufwand meiner besten Kräfte nicht möglich. Nun ist der Abschluß ganz von selbst gekommen. Vielleicht doch noch zum Guten.

Lieber Frank, ich weiß, daß ich dich vor zwei Jahren beleidigt habe, ich muß aber auch vermuten, daß meine exponirteungeschützte, ausgesetzte. Lage als mildernder | Umstand gelten mag, und ich bitte Dich hiemit um Verzeihung für das, was ich damals geschriebenvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 27.3.1906.. Anderseits empfinde ich, als ob Du ein solches Pater peccavi(lat.) Vater, ich habe gesündigt! Bibelzitat nach Lukas 15,18: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“ selbst nicht verlangst, und ich kann mir nicht denken, daß man einen um eines Wortes willen zeitlebens aus seinem Ideen- und Empfindungskreis ausschaltet. Ist es wirklich nicht möglich, daß sich mein Leben noch richtig gestaltet, so wird hiein diesem Fall. die Natur selbst eines Tages versagen, und hätten | mir die zwei Jahre redlicher Arbeit nicht die Hoffnung gegeben, daß doch noch Alles gut werden kann, wahrlich, ich würde mich nicht an Dich gewandt haben. Aber mir lassen meine Geistes- und Körperverfassung Kämpfe, wie Du und ich sie zusa/frü/her wohl zusammen durchgefochten, nicht mehr zu und bei einer Perspektive, wie sie mir beiliegende Mitteilung eröffnet, greift man wohl zu den äußersten Mitteln, die einigermaßen die Unsicherheit der Lage mildern könn|ten. Daß dieser neue, zu einem schon seit Monaten dauernden, körperlichen Unwohlbefinden hinzugekommene Unglücksumstand Deinem Verhalten eine Wendung geben möge, daß ich Dir, wenn Du mich in die Lage versetzen willst, einige Wochen den nötigen Landaufenthalt zu nehmen, bald eine Wendung zum Besseren wenigstens ein/m/einem/s/ seelischen und körperlichen Zustandes melden kann, daß es mir allein oder unter Deiner Beihülfe gelingen werde, auf | den kritischen Zeitpunkt hin einen andern, womöglich besseren Lebensunterhalt zu finden, das hofft von ganzem Herzen dein treuer Bruder
Donald


Zürich, d. 25. Jan. 1908

17. Mythenstraße

Frank Wedekind schrieb am 27. Januar 1908 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 2.2.1908 aus Zürich:]


Herzlichen Dank für […] Deinen lieben Brief.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 2. Februar 1908 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Herzlichen Dank für die Sendungvermutlich die Geldsendung kurz vor Weihnachten, die Frank Wedekind über seinen Bruder Armin an Donald Wedekind schickte [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 23.12.1907]. und Deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 27.1.1907.. Hier die Aufklärung einiger Mißverständnisse. Als ich vor zwei Jahren Berlin verließam 30.1.1906; Frank Wedekind notierte am 29.1.1906 im Tagebuch: „Donald reist morgen in die Schweiz.“ Zwei Tage zuvor schrieb er: „Donald theilt mir mit, er wolle sich in Baden in der Schweiz niederlassen.“ [Tb, 27.1.1906], hatte ich dir mein Vorhaben mitgeteilt, Aufenthalt in Baden zu nehmen; und Du hattest nicht nur nichts dagegen einzuwenden, sondern, ich erinnere mich dessen ganz genau, ermuntertest mich noch. Die „teure | Pension“ war ein Landwirtshausdie Pension Ruhfels in Baden., in dem ich für volle Verpflegung achtzig Franken monatlich bezahlte. Ich lebte dort von 200 Mark, die mir Mieze schickte, von Anfang Januar bis beinahe Ende März. Hätte ich für weitere sechs Wochen Subsistenz gehabt, so wäre mein Roman „Berlin“ damals fertig geworden, während er so bis heute auf der Hälfte stehen geblieben ist. Dieses nur, um die Gereiztheit meines Briefes von damalsvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 27.3.1906. zu erklären.

Armin hielt es für nötig, mich lezten Sommer | auf offener Straße zu beleidigen und nur die Rücksicht darauf, daß er mein Bruder ist, verhinderte mich, mit einer Tätlichkeit zu antworten. Natürlich verkehre ich seit der Zeit nicht mehr bei ihm und gab ihm, als ich in den Weihnachtstagen an’s Telephon gerufen wurde, den Bescheid, daß ich gerne irgend wo auswärts zur Dispositionzur Verfügung. stehe. Das war die grobe Antwort. Daß Ihr Beide wieder ausgesöhnt zu sein scheint, freut mich herzlich und ich hoffe nur, daß dieses Euer gutes Einvernehmen sich niemals mehr trüben möge. Si|cher kommt das Armins wie Deinen Kindern zu Gute.

Ich ging nunFrank Wedekind hatte Donald angeblich schon vor zwei Jahren empfohlen, seinen psychischen Gesundheitszustand überprüfen zu lassen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 25.1.1908]., um auf meine Angelegenheit zu sprechen zu kommen, sofort zu Herrn Professor Dr. v. MonakowConstantin vom Monakow, russisch-schweizerischer Neurologe, Neuroanatom und Neuropathologe, hatte seit 1885 in Zürich eine Praxis (Dufourstraße 116) [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1908, Teil I, S. 294] und war seit 1894 Professor an der Universität Zürich., Düfourstraße 116. und setzte ihm mein Anliegen auseinander. Er muß es wohl, nach Allem, was ich ihm aus meinem Leben rückhaltslos erzählte, für ganz natürlich gefunden haben, daß ich bis zu einem gewissen Grade nervös gewordenAnspielung auf die zeitgenössische Modediagnose „Nervenschwäche (lat. Nervosität, griech. Neurasthenie), eine Störung des gesamten Nervensystems, d. h. des Gehirns des Rückenmarks, des peripherischen und sympathischen Nervensystems. In diesem weitesten Sinne gefaßt, sind es die ‚Nerven‘, die bei den erhöhten Ansprüchen, die das gegenwärtige Leben der Kulturvölker an die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit stellt, angegriffen werden und einer abnormen Reizbarkeit und leichten Erschöpfbarkeit verfallen. In den höheren Gesellschaftsklassen sind dabei die gesellschaftlichen Strapazen vielfach von großer ursachlicher Bedeutung, bei Lebemännern der gehäufte gesundheitsschädliche Lebensgenuß auf Kosten des Schlafes, ebenso aber tritt eine Schädigung des Nervensystems auch ein bei den Männern, denen eine schwere Berufspflicht, eine angespannte Geistesarbeit, ein rastloser Kampf ums Dasein mehr zugemutet hat, als Körper und Geist auf Dauer ohne Schaden ertragen können. Nicht minder als gesteigerte geistige Leistungen sind aber dauernde niederdrückende Einwirkungen auf das Gemüt, Not und Sorge um den Lebensunterhalt, Kummer, Enttäuschung und ähnliches wichtige Ursachen der N.“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd. 14. Leipzig 1908, S. 528] bin. Nach einer sehr eingehenden, vollkommenen Untersuchung fand er indessen keine bemer|kenswerten, organischen Veränderungen vor und meinte, daß meine Mutlosigkeit und Concentrationsunfähigkeit auf ein freiwillig gewähltes ArbeitsT/t/hema Folgen von Vereinsamung seien, wie sie an einen jeden Junggesellen hie und da herantreten. Er constatirte auch eine fortgesetzte UnternährungSchreibversehen, statt: Unterernährung., herbeigeführt durch den gänzlichen Mangel eines Kauapparates und meinte zum Schluß, um ein festes Urteil sich zu bilden, müßte ich ihn wohl in nächster Zeit noch einige Male aufsuchen. So werde ich Ende dieser Woche | wieder einen Besuch machen. Professor v. Monakow genießt jedenfalls den Ruf einer ersten Autorität, er besitzt eine Art und Weise des Eingehens in die Interessensphäre des Patienten, die außerordentlich wohltuend wirkt und auch er sprach sich dafür aus, daß ein längeres Ausruhen und ein längeres Überhobensein von Nahrungssorgen von sehr gutem Erfolg sein möchten. Das sind die Resultate meiner Schritte und ich denke, vorderhand müssen wir uns wohl den Anordnungen des Psychiaters fügen. Noch | zwei Punkte brachte die Untersuchung zum Vorschein, nämlich ein Lungenemphysem und eine angeborene Deformirung zweier linksseitiger Rippen, die gerade über dem Herzen liegen. Sobald sich nun Professor v. M. bereit erklärt, den Befund schriftlich niederzulegen, so werde ich Dir denselben zuschicken.

Damit bin ich, mein lieber Frank, dir nochmals für deine Hülfe aufrichtig dankend und dir an’s Herz legend, daß es mein Bestreben ist, irgendwohin als Correspondent, nach Rom, | nach Paris oder anderswohin, zu kommen und auf diese Weise des besten Mittels, das noch nie versagt hat, einer radikalen Luftveränderung, teilhaftig zu werden, mit der Bitte, daraufhin, insofern sich in deiner Umgebung zufällig so etwas bietet, dein Augenmerk zu richten, bin ich, Dich und Deine Frau herzlich grüßend, Dein treuer Bruder
Donald


Zürich, Mythenstraße 17.
am 2. Februar 1908

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 10. Februar 1908 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Société du Musée
à
ZURICH


Museumsgesellschaft
in
ZÜRICH


Zürich Den 10. Februar 1908
17. Mythenstraße


Mein lieber Frank!
Letzten Sonnabendam 8.2.1908. war ich wiederum bei Dr. v. Monakowder Neurologe Constantin von Monakow, Donald Wedekinds behandelnder Arzt, bei dem er auf Anraten seines Bruders Frank seinen Gesundheitszustand überprüfen ließ. und er empfahl mir für einige Zeit vollständige Enthaltung„Mißbrauch von Alkohol und Tabak spielen“ nach zeitgenössischem Verständnis „eine bedeutende Rolle“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd 14. Leipzig, Wien 1908, S. 528] bei der Entstehung von Neurasthenie. geistiger Getränke und Einschränkung im Nikotingenuß, welchen zwei Principien ich augenblicklich recht gerne nachlebe, schon deswegen, weil mit einem solchen Beginn ein sparsameres Leben Hand in Hand geht. Ich vermutete, Du würdest Dich vielleicht brieflich an Dr. v. M. gewandt haben, um auf diese | Weise eine Begutachtung, die er mir noch nicht geben will, zu erhalten. Ich glaube dieser Modus wäre der Beste, um den anfänglichen Zweck zu erreichen und mit den jedenfalls nicht billigen ConsultationSchreibversehen, statt: Consultationen. ein Ende zu machen. Ich sprach ihm also von Dir und er wäre jedenfalls/gewiß/ nicht verwundert, von Dir im obigen Sinne einige Zeilen zu erhalten.

Was nun meine materielle Existenz anbelangt, so ist mit einer Rückgängigmachung der KündigungDonald Wedekind war seine Stelle als Redakteur des „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatts“ gekündigt worden [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 1.5.1908], die er seit Ende Mai 1906 inne hatte [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.4.1906]. Sein Nachfolger wurde „Herr Willy Bierbaum, der Bb.-Mitarbeiter der ‚Neuen Zürcher Zeitung‘“ [Zürcherische Freitagszeitung, Nr. 14, 3.4.1908, Beilage, S. (3)]. kaum zu rechnen, da es eigentümlicherweise J. C. HeerDer Schweizer Schriftsteller Jakob Christoph Heer war 1892 Feuilletonredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“ und 1899 Mitarbeiter der „Gartenlaube“ gewesen. 1908 war er nach Rüschlikon bei Zürich übergesiedelt [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1909, Teil I, S. 179]. Sein im Engadin angesiedelter, überaus erfolgreicher Roman „Der König der Bernina“ (1900) hatte 1908 bereits die 40. Auflage erreicht. ist, der Dichter des Königs der Bernina, der den Keil zwischen meine KommissionDas „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt“ wurde von der Verkehrskommission Zürich herausgegeben: „Die offizielle Verkehrskommission (30 Mitglieder, worunter 3 vom Stadtrat Zürich gewählte Vertreter), der Vorstand der offiziellen Verkehrskommission (7 Mitglieder) und ein stehendes Bureau als Offizielles Verkehrsbureau im Hause Nr. 1, Stadthausquai, Parterre, dem als Chef der Sekretär der offiziellen Verkehrskommsission vorsteht.“ [Adreßbuch der Stadt Zürich 1908, Teil IV, S. 114f.]. und mich getrieben hat. Was diesen Mann, der doch der Einkünfte überreichlich hat, veranlassen konnte, sich um die Leitung | eines mehr verkehrstechnischen als litterarischen, kleinen Blattes zu bewerben, ist mir unerklärlich. Aber die Liebe zur Zeitungsschreiberei mag ja bei vielen Leuten groß sein. Ich meinesteils schrieb in diesen Tagen an drei maßgebende, mir persönliche Stellen in Berlinnicht ermittelt., im Sinne einer Bewerbung um einen Korrespondenzposten, und werde in nächster Zeit noch mehr Weckrufe erlassen, außerdem sehe ich jeden Tag die Annoncenteile der Zeitungen nach, mache natürlich hier auf dem Platze Gebrauch von allen meinen persönlichen RelationenBeziehungen., um von der verlorenen Position allenfalls noch zu retten, was zu retten ist. Mehr kann ich nicht tun. Glaube mir, daß ich Dich beneide, daß es Dir gelungen ist, Deinem freien Schaffen/Arbei/ten und Dei|ner Persönlichkeit so Durchbruch zu verschaffen, daß Du auch materiell gesichert bist; daß für mich Solches ausgeschlossen ist, weiß ich heute und damit auch, daß das Frühjahr, ohne neue, feste Betätigung und ohne Subsistenz, ziemlich sicher katastrophal werden muß. Ich bitte dich deshalb noch einmal, vielleicht in Hinsicht auf unsere alte Mutter, die ohne Not keine herbe Lebenserfahrung mehr in’s Jenseits hinüber nehme, tue in meiner Sache, was du kannst. Und was ich jederzeit für dich getan hätte.

Damit bin ich, Dich in Treuen grüßend und dir nochmals versichernd, daß ich mich von Herzen an Deinem Glücke freue, Dein Bruder
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 3. März 1908 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Société du Musée
à
ZURICH


Museumsgesellschaft
in
ZÜRICH


Den 190


Mein lieber Frank!

Du scheinst an Dr. v. Monakow nicht geschriebenDonald Wedekind hatte seinen Bruder zuletzt aufgefordert, sich über seinen psychischen Gesundheitszustand selbst bei dem behandelnden Arzt in Zürich zu erkundigen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.2.1908]. zu haben und nachdem ich nun vier oder fünf Consultationen gehabt und die Aussagen des Arztes soweit dahingehen, daß ich nicht krank, sondern nur durch meine äußeren Lebensverhältnisse in einer begreiflichen Depression bin, möchte ich gerne mit dem Verfahren abschließen. Ein Verlassen Zürichs und ein Niederlassen an einem kleinen, ruhigen Ort würde meinem Zustand unbedingt sehr zu Gute kommen, einstweilen aber | bin ich noch bis Ende April gebunden und muß eben die verschiedenen Klippen zu umschiffen suchen, die sich aus dem Umstand eines unzulänglichen Mietszimmers, aus jenem einer unregelmäßigen Lebensweise und einer durch die drohende, vollkommene Subsistenzlosigkeit nur zu leicht erklärlichen Nervosität ergeben.

Die Schritte, die ich bis dahin in Berlin und hier getan, blieben erfolglos. Als Charakteristicum meines Verhängnisses lege ich eine KarteDie beigelegte Karte ist nicht überliefert, möglicherweise handelte es sich um ein Horoskop. Zehn Tage vor Donald Wedekinds Geburt war der 25.10.1871. bei, die ich vor einigen Tagen erhalten. Sie zeigt Dir, wie ich offenbar genau zehn Mal vierundzwanzig Stunden zu spät auf die Welt gekommen bin, was ich meinetwegen auch noch als ganz selbstverständlich auf mein | Schuldconto nehme. Indessen, Hoffnungen, eine sichere Position zu erlangen, sind vorhanden und wenn ich sicher wüßte, daß ich mit Deiner und Miezes Hülfe für die Zeit des Ausfalles rechnen kann, so würde mir das auch jetzt diese schweren Wochen einer Übergangsperiode nach einem wirklichen Schicksalsschlag erleichtern. Aber auch jetzt bedürfte ich noch einer einmaligen, augenblicklichen Subvention, erstens um den überflüssig gewordenen, ärztlichen Verkehr abbrechen zu können, dann weil ich für den täglichen Bedarf einiger Geldmittel benötige, bis ich am 15. dieses Monats mein halbes Gehalt wieder ausgezahlt bekomme. Willst Du noch einmal einspringen? Ich weiß, daß, wenn Du es kannst, Du es | auch tust. Und damit verbleibe ich dann, bis zur endgültigen Bereinigung meiner Zürcher Verhältnisse im negativen oder positiven Sinne, das heißt, bis zum ersten Mai, da vor dem reinen Nichts eine Wendung in dieser oder jener Richtung kommen muß, mit treuen Grüßen Dein Bruder
Donald


Zürich, d. 3. März 1908
17. Mythenstraße

Frank Wedekind schrieb am 6. März 1908 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Donald (Doda) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 1.5.1908 aus Zürich:]


[…] meinem besten Dank für Deine letzte Sendung.

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 1. Mai 1908 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Beiliegend den EmpfangsscheinDer beigelegte Empfangsschein ist nicht überliefert. Frank Wedekind hat offenbar Honorarzahlungen bei dem Neurologen Prof. Dr. Constantin von Monakow, dem behandelnden Arzt von Donald Wedekind, übernommen. für Frs 30.– Honorar an Herrn Prof. v. M. und meinem besten Dank für Deine letzte SendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu einer Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 5.3.1908.. Mit dem ersten Mai hat meine Geschäftsverbindung mit der Off. VerkehrskommissionDas „Offizielle Verkehrsbureau Zürich“ und die „Verkehrskommission“ befanden sich im „Parterre I, Stadthausquai 1“ [Adreßbuch der Stadt Zürich 1908, Teil I, S. 450] und gehörten zum Verkehrsverein Zürich. Sie gaben das wöchentlich erscheinende „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatts“ heraus, bei dem Donald Wedekind als Redakteur fest angestellt gewesen war. Anlässlich seines Todes meldete die Presse: „Er lebte bis vor wenigen Wochen in Zürich und redigierte hier seit 1906 das Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatt, aus dessen Redaktion er am 1. Mai dieses Jahres ausschied.“ [Neue Zürcher Nachrichten, Nr. 154, 9.6.1908, Abendblatt, S. (2)] lt. Kündigung vom 1. Jan.Das Kündigungsschreiben seiner Stelle beim „Zürcher Theater-, Konzert- und Fremdenblatts“ hatte Donald Wedekind seinerzeit an seinen Bruder geschickt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 25.1.1908]. aufgehört und wenn ich auch vermutlich am Fremdenblatt mitzuarbeiten nicht aufhören werde, so bin ich doch jedenfalls ohne | feste Subsistenz. Meine eifrigsten Bemühungen einen Ersatz zu schaffen, waren bis heute erfolglos. Ich bin deshalb den Sommer über auf Deine und der Übrigen mir Nahestehenden Hilfe angewiesen und mache Dir als demjenigen, der am meisten Verständnis für meine Lage haben dürfte, folgenden Vorschlag. Da mir hier in Zürich immerhin noch am meisten Erwerbsquellen offen stehen, so bleibe ich einstweilen den Sommer über hier. Ich habe oben am Zürichberg ein Zimmer gefunden, das bescheidenen | Ansprüchen an Ruhe und Comfort genügt und wo mein nervöser Zustand die letzten Wochen, die ich dort schon wohne, sich erheblich besserte. Ich betone das, weil es als ein Glückszufall zu betrachten ist, indem Dr. v. Monakow ungefähr als Hauptresultat seiner Untersuchungen feststellte, daß eine Besserung meines Zustandes wohl zum Großteil von einer selbstständigen Wohnweise abhänge. Doch so, wie ich es nun getroffen habe, ist es leidlich und wenn nur me/e/in Unterhalt/Mini/mum meines Unterhaltes für etwa sechs Monate sicher | wäre, so glaube ich wohl, daß ich diesen Sommer recht nützlich verwenden könnte. Kannst Du mir bis 1. November monatlich 120 Mark zukommen lassen, vielleicht trägt Mieze ihr Scherflein bei, wenn Dir der Betrag zu Deinen Verhältnissen nicht in Proportion zu stehen scheint, was ich ja natürlich bei der völligen Unkenntnis Deiner Lage nicht zu beurteilen vermag. Um das Eine möchte ich Dich aber noch im Besonderen bitten, ziehe, so Du etwas tun kannst und zu tun gesonnen bist, als Zwischenmann nicht et|wa Armin herbei, denn ich stehe zu ihm, es ist ja das der ganz analoge Fall, genauso zu ihm wie/wie/ Du zur Zeit Deines Zürcher AufenthaltesFrank Wedekind hielt sich – nach seiner Zeit bei der Firma Maggi in Kemptthal von November 1886 bis Sommer 1887 – zuletzt von November 1895 bis März 1896 und im November und Dezember 1898 längere Zeit in Zürich auf. Im erstgenannten Zeitraum war er bei seinem Bruder Donald und seiner Schwester Erika verschuldet und benötigte weitere Unterstützung. Vor allem das Verhältnis zu Erika Wedekind war deswegen sehr angespannt, nicht jedoch das zu seinem Bruder Armin [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 22.12.1895]. und Geld, das ich aus seinen Händen zu empfangen hätte, würde für mich zu Steinen. Du begreifst mich gewiß, wenn nicht eine Zeit, wie sie Dir jetzt hold ist, trübe Erinnerungen aus der Vergangenheit nicht/heit/ gänzlich verwischt hat. Ich lebe übrigens schon seit vier Wochen ausschließlich von zufälligen Erträgnissen, ich gab hier in Zürich eine recht zahlreich besuchte VorlesungDonald Wedekind war am 5.4.1908 im Programm des Cabarets Waldvogel im populär-wissenschaftlichen Theater Universum im Züricher Wohn- und Geschäftshaus Utoschloss am Utoquai [vgl. Adreßbuch der Stadt Zürich 1908, Teil I, S. 447] aufgetreten: „Dem Cabaret Waldvogel, das Sonntag abend sein erstes, zirka eine Woche dauerndes Gastspiel im ‚Universum‘ beendigte, brachte die letzte Vorstellung ein total ausverkauftes Haus. Im Mittelpunkt des Interesses stand der Sänger und Rezitator Robert Koppel […] Das Debut der Ueberbrettl-Soubrette Lona Barré, die einige unbedeutende Chansons vortrug, ging ohne sonderliche Aufregung vorüber, ebenso die Vorlesungen Donald Wedekinds, der ein Stück, betitelt ‚Der Student‘, aus seinem Novellenbuch ‚Bébé Rose‘, sowie ein Stimmungsbild ‚Das Haus im Walde‘ vortrug. Donald Wedekind teilt das Geschick mit den meisten seiner Kollegen, nicht wirkungsvoll vorlesen zu können und durch monotones Heruntersagen der Zeilen die beste Sache zu schädigen. ‚Der Student‘ ist eine amusante, mit viel Witz geschriebene Skizze und ‚Das Haus im Walde‘ eine feinpoetische Milieuschilderung, die bei der Lektüre sicherlich jedem großen Genuß bereiten wird, während sie zum Vortrag in einem Cabaret, noch dazu vor einem bunt zusammengeworfenen Sonntagspublikum als gänzlich ungeeignet gelten muß.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 129, Nr. 98, 7.4.1908, 2. Abendblatt, S. (2)], e|benso in Lenzburgnicht ermittelt., ich wollte Dich aber nicht vor dem 1. Mai mit neuen Anliegen behelligen, da ich Dir versprochen hatte, bis dahin auszukommen. Noch ist nicht ausgeschlossen, daß ich in nächster Zeit als Schriftleiter gewisser Verkehrs- und Industrieinteressen nach Baden berufen werde, aber einstweilen bleibt mir nichts Anderes übrig als die unfreiwillige Muße zur Verarbeitung meiner eigensten IdeeenSchreibversehen, statt: Ideen. zu verwenden, und dazu/m/it das in fruchtbringender Weise geschehe, bedarf ich Deiner, respektive Miezes | Unterstützung.

Damit bin ich für heute, Dich und Deine Frau und Dein Kind herzlich grüßend, Dein treuer Bruder
Donald


Zürich, Bolleystraße 41.
am 1. Mai 1908

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 14. Mai 1908 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Société du Musée
à
ZURICH


Museumsgesellschaft
in
ZÜRICH


Den 190


Mein lieber Frank!

Nachdem mein Briefvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 1.5.1908. nunmehr seit mehr als 10 Tagen unbeantwortet geblieben ist, sind das die letzten Zeilen, die ich in meiner Angelegenheit an dich richte.

Von nächstem Montagder 18.5.1908. an ist meines Bleibens nicht mehr in Zürich, denn ich habe nicht im Sinne, dieser Stadt, die mich seit zwei Jahren als anständigen Menschen gesehen hat, das Schauspiel eines Subsistenzlosen zu geben. Es bleiben mir dann zwei Eventualitäten, entweder den besagten, letzten SchrittDonald Wedekind nahm sich am 5.6.1908 im Wiener Prater das Leben. zu tun, was ich auch bei der äu|ßersten Notwendigkeit gerne hinausschieben möchte, um unserer alten Mutter eine bittere Erinnerung auf dem Todtenbett zu ersparen, oder, ich muß, wie die marokkanischen GesandtenAnspielung auf tagespolitische Ereignisse, in denen Donald Wedekind offenbar Analogien zu seiner Situation erblickte. Im Zuge der gewaltsamen Auseinandersetzung um das Sultanat in Marokko zwischen den Brüdern Abd al-Aziz und Mulai Abd al-Hafiz, die auch Einfluss auf die Unabhängigkeit Marokkos hatte, schickte Mulai Abd al-Hafiz Abgesandte unter anderem nach Berlin. Die Presse berichtete: „Die Unruhen in Marokko. Berlin, 13. Mai. Sp. Die Abgeordneten Muley Hafids erschienen heute im Auswärtigen Amte und wurden durch den Legationssekretär Freiherrn Langwerth von Simmern empfangen. Die Marokkaner überreichten ein Schreiben Muley Hafids und erklärten. daß Muley Hafid tatsächlich Herr des ganzen Landes mit Ausnahme der Küstenstädte sei, daß er aber außerdem nach dem Gutachten der Ulemas und auch auf Grund des Korans und der religiösen Rechtsgewohnheiten des Landes als der alleinige rechtmäßige Sultan von Marokko zu gelten habe. Muley Hafid sei gewillt, die Verträge, insbesondere auch die Generalakte von Algeciras zu halten und alle Mächte gleichmäßig zu behandeln. E[r] bitte eine kaiserliche Regierung, mit der französischen Regierung und mit den Regierungen der übrigen Signatarmächte in Verbindung zu treten, damit die französischen Truppen zurückgezogen werden. Er werde alsdann dem Wiederaufleben des Handels mit den Mächten seine ganz besondere Aufmerksamkeit zuwende.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 129, Nr. 134, 14.5.1908, 1. Morgenblatt, S. (2)], eine Rundreise an den europäischen Höfen, das heißt bei Dir und Mieze antreten, um so durch persönliche Einwirkung doch noch das zu erreichen, was Ihr mir auf die Entfernung versagen zu dürfen glaubt. Es ist wahrhaftig nicht die Furcht vor der Not und vor Entbehrungen, die mich an Eure Hülfe appellieren läßt, sondern viel eher die Angst, durch Not und Entbehrungen zu etwas geführt zu werden, durch das mein Ruf, wie ich ihn mir bis jetzt gut erhalten habe, geschädigt werden könnte. Ich will durchaus, daß ich ehrlich sterbe, eine ehrliche Erinnerung hin|terlassend und das ist, so meine ich, doch wahrhaftig auch in Euerm Interesse. Nun aber wieder zu Dir und warum ich mich besonders an Dich wende.

Du weißt oder vermutest wenigstens, daß ich krank bin. Ist das nicht schon Grund genug, daß Du das tun solltest, was ich Dir gegenüber, als Du in der Vollkraft deines Lebens standst, so und so oft unaufgefordert getan habe. Und verlangst Du wirklich vorerst aller/me/dicinische Belege, daß ich an allerhand Alterszerrüttungen leide, die eine/de/n Genuß des Lebens zu einer recht zweifelhaften Sache machen.

Also, ich hatte das Glück, einem kleinen Menschenkindenicht identifiziert. das Unglück zuzufügen, es vom imminentendrohenden, nahe bevorstehenden. Tode zu erretten. Es war das vor zwei Jahren, als ich | in der gewohnten, bitteren Not Baden verließ, um Zürich aufzusuchen. Ich habe mich bis heute geweigert, einen materiellen Entgelt entgegenzunehmen, erhalte ich aber bis Sonnabend Abendden 16.5.1908. von Dir nicht irgendwelchen Bericht, so sehe ich mich gezwungen, den Credit dieses Mannesnicht identifiziert. in Anspruch zu nehmen, um damit meine Reise nach Berlin anzutreten. Denn Du hast Verpflichtungen mir gegenüber, Du solltest mich verstehen, von Mieze kann ich das weniger mehr verlangen, erstens weil sie meine Hülfe nie beansprucht und zweitens, weil sie nicht freie Handlungsweise hat.

Das sind, wie ich einleitend schrieb, die letzten Worte, dichSchreibversehen, statt: die. ich an Dich richte. Ich habe auch noch andere Gründe Berlin nochmals, wenn auch nur für | wenige Stunden aufzusuchen. Und damit lebe wohl – wenn es dir möglich ist. Dein Bruder
Donald


Zürich, 41. Bolleÿstraße
am 14. Mai 1908

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 26. Mai 1908 in Wien folgende Kartenbrief
an Frank Wedekind

Herrn Frank Wedekind
p. Adr. Deutsches VolkstheaterVom 9.5.1908 bis 22.5.1908 hatte Frank Wedekind ein Gastspiel in „Frühlings Erwachen“ am Deutschen Volkstheater (Direktion: Adolf Weisse) in Wien. Am 23.5.1908 reiste er ab: „Abreise Wien nach München.“ [Tb] Zu einem Treffen mit Donald kam es folglich nicht, der Kartenbrief wurde ihm nach München nachgesandt.
Hofstallstraße VII.2 |


Mein lieber Frank!

Geschäftlich in Wien und auf der Durchreise nach Berlin, möchte ich Dich gerne für einige Augenblicke sehen. Teile mir bitte mit, | wann und wo das möglich wäre. Meine Adresse ist: Palace-Hôtel, Maria-Hilfstraße 99, VI.2.

Mit herzl. Gruß
Donald

Donald (Doda) Wedekind schrieb am 1. Juni 1908 in Wien folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[…]

frank wedekind

hauptpostlagernd -- muenchen -- = |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Wien 2 […]


in extremis(lat.) im Sterben (liegend). . bitte telegrammsendung! wien hotel palace = donald.