Briefwechsel

von Berthold Held und Frank Wedekind

Berthold Held und (Theater) Deutsches Theater zu Berlin schrieben am 28. Dezember 1912 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Briefentwurf an Berthold Held vom 30.12.1912 aus München:]


Für Ihre liebenswürdigen Zeilen Benachrichtigung empfangen Sie meinen verbindlichsten Dank.

Frank Wedekind schrieb am 30. Dezember 1912 in München folgenden Brief
an Berthold Held , (Theater) Deutsches Theater zu Berlin

Sehr geehrter Herr Professorsehr wahrscheinlich Berthold Held, Regisseur am Deutschen Theater zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 290], Jugendfreund Max Reinhardts und inzwischen seit über einem Jahr Leiter der Schauspielschule des Deutschen Theaters zu Berlin (insofern wohl die Anrede), wie die Presse seinerzeit meldete: „Die Schauspielschule des Deutschen Theaters wird jetzt von Berthold Held geleitet.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 40, Nr. 477, 19.9.1911, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Berthold Held hatte dem Berliner Polizeipräsidium vor dem 26.2.1912 ein Typoskript „Schloss Wetterstein“ (im Archiv des Deutschen Theaters, Berlin) zur Zensur eingereicht, das von der Zensurbehörde am 15.5.1912 mit dem handschriftlichen Vermerk versehen wurde: „Eingereicht von Direktor Held für ein Sommergastspiel. Demnächst zurückgezogen.“ [KSA 7/II, S. 691] Er hat sein eigenes Genehmigungsgesuch für ein Gastspiel zwar zurückgezogen, dürfte aber als bereits mit dem Stück vertrauter Regisseur des Deutschen Theaters erneut mit dem nun offiziell vom Deutschen Theater in die Wege geleiteten Aufführungsplan des Stücks befasst gewesen sein. Die Direktion des Deutschen Theaters reichte dem Berliner Polizeipräsidium am 4.8.1912 „Schloß Wetterstein“ ein [vgl. KSA 7/II, S. 876], die am 16.1.1913 ein erstes Verbot aussprach [vgl. KSA 7/II, S. 972]; das Deutsche Theater ersuchte das Berliner Polizeipräsidium daraufhin am 27.2.1913 erneut um Genehmigung einer Aufführung, das am 6.5.1913 endgültig entschied, „die Aufführung zu verbieten.“ [KSA 7/II, S. 877] Wedekinds Briefentwurf befindet sich im „Kuvert ‚[Deutsches Theater] Schloß Wetterstein‘“ [KSA 7/II, S. 918]; sein Brief dürfte mit Sicherheit an Berthold Held adressiert gewesen sein (die Dramaturgen des Deutschen Theaters – Felix Hollaender und Arthur Kahane – hätte er anders angesprochen), mit dem er das Vorhaben, „Schloß Wetterstein“ zu inszenieren, wohl schon im Vorjahr besprochen hat, wie er am 26.9.1911 notierte: „Unterredung mit Held“ [Tb].!

Für Ihre liebenswürdigen Zeilen Benachrichtigungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Berthold Held an Wedekind, 28.12.1912. Die Mitteilung der möglichen Rollenbesetzung (siehe unten) der geplanten „Schloß Wetterstein“-Inszenierung dürfte im Zuge der Nachfrage des Deutschen Theaters zu Berlin am 28.12.1912 beim Polizeipräsidium Berlin erfolgt sein, eine Bitte „um freundliche Genehmigung“ des am 4.8.1912 „eingereichten Stückes ‚Schloß Wetterstein‘ von Frank Wedekind, da die Aufführung bereits Ende nächsten Monats stattfinden soll.“ [KSA 7/II, S. 219] Die Aufführung war „für Ende Januar 1913 geplant“ [KSA 7/II, S. 876] und zwar an den Kammerspielen des Deutschen Theaters, wie aus einer Pressemeldung über die begonnenen Proben hervorgeht: „Wedekinds Einakterzyklus ‚Schloß Wetterstein‘ wird zurzeit für die Kammerspiele des Deutschen Theaters probiert.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 42, Nr. 15, 9.1.1913, Abend-Ausgabe, S. (3)] empfangen Sie meinen verbindlichsten Dank. Wollen Sie auch Herrn Professor Reinhardt„Professor Max Reinhardt“ [Neuer Theater-Almanach 1913, S. 290], Inhaber und Direktor des Deutschen Theaters zu Berlin. Er trug den Professorentitel seit 1909: „Der Herzog von Koburg-Gotha hat den Direktor Max Reinhardt in Anerkennung seiner Leistungen als Lehrer und Leiter der Schauspielschule des Deutschen Theaters zum Professor ernannt.“ [Hamburger Neueste Nachrichten, Jg. 13, Nr. 126, 2.6.1909, S. 4] meinen ergebensten Dank für das große Interesse aussprechen, das er für meine Arbeit übrig hat.

Und nun zu der von Ihnen vorgenommenen BesetzungBerthold Held hatte für die geplante Aufführung von Wedekinds Schauspiel „Schloß Wetterstein“ an den Kammerspielen des Deutschen Theaters (siehe oben) offenbar vorgeschlagen, die Rollen Rüdiger Freiherr von Wetterstein, Effie von Gystrow, Meinrad Luckner und Karl Salzmann [vgl. KSA 7/I, S. 100] mit Alfred Abel, Leopoldine Konstantin, Jakob Tiedtke und Eduard Rothauser zu besetzen – allesamt Schauspieler und eine Schauspielerin aus dem Ensemble des Deutschen Theaters zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 291].. Selbstverständlich hatte ich mich mit dieser Frage beschäftigt seitdem das Drama von Herrn Professor Reinhardt angeno zur A angenommen war. Die Besetzung der HauptrollenWedekind schlug vor, die Hauptrollen Rüdiger Freiherr von Wetterstein, Leonore von Gystrow, deren Tochter Effie und Meinrad Luckner [vgl. KSA 7/I, S. 100] in der Berliner Inszenierung seines Schauspiels „Schloß Wetterstein“ mit Alexander Moissi, Else Heims, Camilla Eibenschütz oder Johanna Terwin sowie mit Wilhelm Diegelmann (alternativ mit Alexander Rottmann) zu besetzen – allesamt ebenfalls Schauspieler und Schauspielerinnen aus dem Ensemble des Deutschen Theaters zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 291f.]. wie sie mir vorschwebte war folgende: |

Rüdiger = Alexander Moissi

Leonore = Frau Else Heims

Effie = Camilla Eybenschütz oder Johanna Terwin

Luckner = Herr ? Diegelmann

In der Leonoregesamter stark durchkorrigierter Absatz durchgestrichen bis „Gesellschaft zu gestalten bestrebt.“ hatte war ich bestrebt ein Prototyp von Gesundheit, Frische und Natürlichkeit im ersten und dritten Aktumgestellt; zuerst in der Zeile darunter: „im ersten {und dritten} Akt zu gestalten bestrebt.“ mit ausgesprochnem Humor zu gestalten bestrebt. außerdem den Inbegriff einer Dame der guten besten Gesellschaft zu gestalten bestrebt. |

In der Leonore war ich mir bewußt ein Prototyp von Gesundheit, Frische und Natürlichkeit, im ersten und dritten Akt mit ausgesprochenem Humor, außerdem den Inbegriff einer Dame der besten Gesellschaft zu gestalten. Frau Heims wür Professor HeimsElse Heims, Schauspielerin am Deutschen Theater zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 291], seit 1910 mit Max Reinhardt verheiratet, wurde von Wedekind wie ihr Mann mit dem Professorentitel versehen (siehe oben). würde sich mit dem mir vorschwebenden Ideal in gleich vollkommener Weise decken wie Moissi mit der Rolle des Rüdiger. Bei der Besetzung dieser Rolle durch Herrn Abel glaube ich der Unstimmigkeit entgegensehen zu müssen daß das Drama zum KonversatzionsstückSchreibversehen, statt: Konversationsstück. diminuirtverkleinert, vermindert, verringert. würde und sich alles ethische Pathos darin als echt Wedekindsche Unbeholfenheit erweisen würde. Diese Beobachtung drängte sich mir bei der Besetzung meines Fritz | Schwiegerling durch Herrn AbelAlfred Abel, inzwischen Schauspieler am Deutschen Theater zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 291], hatte in der Inszenierung von Wedekinds Schwank „Der Liebestrank“ (1899) am Kleinen Theater (Direktion: Victor Barnowsky) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1910, S. 290] in Berlin (Premiere: 6.10.1910) die Hauptrolle des Fritz Schwigerling gespielt – mit teilweise kritischer Presseresonanz; so meinte etwa Alfred Kerr in der Berliner Tageszeitung „Der Tag“ (8.10.1910): „Herr Abel [...] verfehlte den Stil“ [KSA 2, S. 1091]. am Kleinen Theater auf, wobei die Kritik auch durchaus nicht mehr für gut fand den Darsteller gegen den Autor in Schutz zu nehmen.

Frl. Konstantin kenne ich aus dem gesprochenen Drama leider nur sehr wenig. Der mädchenhafte Heroismus, der Effie, ihr transzendentaler Mystizismus, ihre überlegene und doch spielerische Intelligenz, vor allem die für den 3. Akt nötige Majestät und tragische Größe, das alles glaube in Gefahr ich bei der Besetzung der Rolle durch Fräulein Konstantin in Gefahr durch einen derben wuchtigen Realismus ausgeschaltet zu werden. Bei den Damen Eybenschütz und Terwin glaube würde ich mich in dieser Hinsicht eines erschöpfenden Ver|ständnisses und einer glänzenden Wiedergabe vollkommen sicher fühlen

Herr Digelmann hat uns einen vielbewunderten FalstaffWilhelm Diegelmann, Schauspieler am Deutschen Theater zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 291], spielte diese Rolle dort unter der Regie von Max Reinhardt bei der Premiere von Shakespeares „Heinrich VI.“ am 12.10.1912 (Teil I) und 18.10.1912 (Teil II); angekündigt war: „Für die Erstaufführung von Shakespeares ‚König Heinrich IV.‘ im Deutschen Theater am Sonnabend ist folgende Besetzung festgesetzt: [...] Sir John Falstaff – Wilhelm Diegelmann“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 476, 10.10.1912, Morgen-Ausgabe, S. 6] Die Presseurteile waren allerdings gemischt. So zeigte sich der sozialdemokratische „Vorwärts“ von der Darstellung begeistert, vom ersten Teil – „Diegelmann war ein famoser Falstaff, breit und behaglich die unsterblichen Humore des dicken Ritters widerstrahlend“ [Vorwärts, Jg. 29, Nr. 241, 15.10.1912, 1. Beilage, S. (1)] – und im zweiten Teil II verwies er auf die „lustigen Partien, in denen Diegelmanns trefflicher Falstaff Chorführer war“ [Vorwärts, Jg. 29, Nr. 246, 20.10.1912, 1. Beilage, S. (1)]; andere sahen eine Steigerung in der Darstellungsleistung: „Das Deutsche Theater will sich der schweren, aber höchst dankenswerten Aufgabe unterziehen, einige von Shakespeares Königsdramen aufzuführen, und begann sie am Sonnabend mit ‚König Heinrich der Vierte‘ 1. Teil. [...] Der Falstaff war Herrn Diegelmann zugeteilt. Der Künstler charakterisierte manchen hübschen Einzelzug. Der lärmende, polternde Sir John gelang ihm gut, das Humorvolle, namentlich die Selbstironie kamen aber zu kurz.“ [Deutscher Reichsanzeiger, Nr. 245, 14.10.1912, Abends, S. (4)] „Die gestrige Aufführung des zweiten Teils von Shakespeares ‚König Heinrich dem Vierten‘ übertraf in einigen Einzelheiten diejenige des ersten Teils [...]. Herr Diegelmann hatte sich in die Rolle des Falstaff mehr eingelebt und fand wiederholt den Ausdruck für einen kernigen und echten Humor.“ [Deutscher Reichsanzeiger, Nr. 250, 19.10.1912, Abends, S. (4)] Paul Schlenther (P.S.) war mit der Darstellung im ersten Teil nicht einverstanden: „Sir John Falstaff [...] wuchs [...] dem Dichter unter der Hand gewaltig in die Höhe und, man kann bei Falstaff auch sagen, in die Breite, so daß er [...] fast zur Hauptgestalt wurde. Der Falstaff des Deutschen Theaters, Herr Diegelmann, bringt die Breite und die Höhe äußerlich mit. Aber nur die Gesamtheit konnte ihn tragen, und der Witz der Regie [...] kam in dieser Tiefebene nicht weit. Eine stimmliche Indisposition nahm ihm auch die letzte Gestaltungskraft.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 523, 13.10.1912, Morgen-Ausgabe, S. (2)] Er sah sie auch im zweiten Teil noch kritisch: „Herr Diegelmann ist ganz anständig in den passiven Falstaff des zweiten Teils hineingewachsen. Aber er hilft sich zu oft mit unartikulierten Lauten, statt das Gold des Humors im Shakespeareschen Text zu suchen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 534, 19.10.1912, Morgen-Ausgabe, S. (2)] geschenkt. Für mich ist er die Idealbesetzung des Luckner, obschon ich mir bei der Gestaltung der Rolle Alexander Rottmann vorschwebteWedekind, der am 23.2.1912 nach Wien gereist ist [vgl. Tb], um die Proben zu der für den 2.3.1912 vom Akademischen Verband für Literatur und Musik in Wien geplanten geschlossenen Uraufführung von „Schloß Wetterstein“ zu leiten, die dann nicht stattfand [vgl. KSA 7/II, S. 877] und „während der Proben abgesagt“ [KSA 7/II, S. 908] wurde, hat Alexander Rottmann, der die Rolle des Meinrad Luckner (ein Frauenverführer) probte, in Wien täglich vom 24. bis 28.2.1912 bei den Proben [vgl. Tb] in der Rolle erlebt.. Es scheint mir zweifelhaft ob man Herrn Tiedge das brutale Hereinplatzen des Luckner glauben würde. Sollte die Rolle aber zu einem seelischen Problem diminuirt werden, dann müßten meines Erachtens die grellen schreienden Kontraste darunter leiden auf die die Wirkung des Ganzen berechnet ist

Und nun muß ich Ihnen noch ein Geständnis ablegen von dem ich wohl | hoffen darf daß Sie es niemandem verraten werden. Für das energische unerbittlich sachliche, jeden blindenden Einwand ertötende Auftreten des Direktor Salzmann, gab mir die alleräußerste Äußerlichkeit im Wesen unsers hochverehrten MeistersMax Reinhardt, von Wedekind „in den Entwürfen zu ‚In allen Wassern gewaschen‘“ – später der 3. Akt von „Schloß Wetterstein“ (1912) – „als Modell für den Betreiber eines zweifelhaften Unternehmens erwähnt“, was darauf deute, „daß er ihn nicht nur als Künstler, sondern auch als Geschäftsmann wahrnahm.“ [KSA 7/II, S. 833] Die Unternehmerfigur – in dem Entwurf noch explizit notiert: „Betrieb: Max Reinhart“ [KSA 7/II, S. 712] – ist „Modell für [...] die spätere Salzmann-Figur“ [KSA 7/II, S. 818]. Karl Salzmann [vgl. KSA 7/I, S. 160] tritt im 3. Akt von „Schloß Wetterstein“ auf, in den Szenen III/4, III/6 und III/8.

Die wenigen für die kleinen Rollen nötigen Anhaltspunkte.

Zweierlei lag mir dabei völlig fern:

1. Etwas anderes als nur das alleräußerlichste dieser großen Erscheinung, die in der Welt nicht ihres Gleichen hat, mir zunutze zu machen

2. Die Vermuthung, daß diese kinderleichte Rolle jemals zu Besetzungsschwierigkeiten veranlassen könnte.

Herr Rothauser wird sich in dieser | Rolle nicht die höchste Note sondern die tiefste für seine Ausgestaltung maßgebend sein lassen: „Ich bin Familien-Vater.Zitat aus der letzten Szene III/8 von „Schloß Wetterstein“ (Figurenrede Karl Salzmann): „Ich bin Familienvater.“ [KSA 7/I, S. 155]“ Ein seelisches Problem durch das der zweik psychologische Zweikampf Tschamper – Effie sich mit Leichtigkeit an die Wand g drücken läßtzuerst gestrichen, durch Unterpunktung wiederhergestellt. wird, da das Publikum seit 25 Jahren Einkämpfe und Selbstkämpfe unvergleichlich höher schätzt bewertet als Zweikämpfe. Salzmann beschließt das Drama als dessen tragischer Held

Wollen Sie, geehrter Herr Professor bitte verzeihen daß ich meiner Phantasie die Zügel schießen ließ. Schloß Wetterstein ist was Inscenierung betrifft, das einfachste StückWedekind hat schon früher zu „Schloß Wetterstein“ erklärt, das Stück sei „kinderleicht zu inscenieren“ [Wedekind an Fritz Basil, 9.3.1912]. das ich geschrieben habe. Ich Bei gelernten Rollen verpflichte ich mich es an