Briefwechsel

von Frank Wedekind und (Zeitung) Berliner Börsen-Courier , Isidor Landau

Frank Wedekind schrieb am 23. September 1902 in München folgenden Brief
an (Zeitung) Berliner Börsen-Courier , Isidor Landau

[1. Briefentwurf:]


Nachdem Sie vor einigen Tagen die NotizDie Ausgabe des „Berliner Börsen Courier“ (eine Morgen-Ausgabe vor dem 23.9.1902; die Abend-Ausgaben der Zeitung aus dem entsprechenden Zeitraum wurden alle gesichtet) mit der Notiz konnte nicht eingesehen werden; eine entsprechende Notiz findet sich aber in einer anderen Zeitung: „Das Kleine Theater (Schall und Rauch) hat folgende Stücke zur Aufführung in der kommenden Saison erworben: [...] ‚Der Erdgeist‘ und ‚Die junge Welt‘ von Frank Wedekind“ [Berliner Tageblatt, Jg. 31, Nr. 454, 7.9.1902, Sonntags-Ausgabe, S. (3)] brachten daß das kleine Theater (S. u. R. die Brettl-Bühne Schall und Rauch in Berlin (Unter den Linden 44) unter der Direktion von Hans Oberländer [vgl. Neuer Theater-Almanach 1902, S. 263], dann Kleines Theater (Schall und Rauch), ebenfalls unter der Direktion von Hans Oberländer [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 259], schließlich Kleines Theater (Direktion: Hans Oberländer), zusammen mit dem Neuen Theater (Direktion: Max Reinhardt) unter der Gesamtleitung von Max Reinhardt [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245].meine Stücke Erdgeist u. Die Junge Welt in der kommenden Saison zur Aufführung bringen werde bitte ich Sie, Ihren geehrten Lesern mittheilen zu wollen, daß das „Kleine Theater“ das AufführungsrechtDie Direktion des Kleinen Theaters (Schall und Rauch) reagierte auf Wedekinds offenen Brief mit einem offenen Brief an die Redaktion des „Berliner Börsen-Courier“, der dort am 27.9.1902 in der Morgen-Ausgabe (Nr. 453) erschien: „Sehr geehrte Redaktion! Auf den in Ihrem geschätzten Blatt gestern mitgetheilten, uns vollkommen unerklärlichen Brief des Herrn Frank Wedekind haben wir folgendes zu erwidern: Wir haben bezüglich des ‚Erdgeist‘ und des ‚Liebestrank‘ die ausdrückliche briefliche Einwilligung des Autors zur Aufführung; auch bezüglich der ‚Jungen Welt‘ haben wir uns, und zwar auf den mehrfach ausgedrückten Wunsch des Autors, zur Aufführung entschlossen; desgleichen haben wir die ausdrückliche Einwilligung des Vertreters Herrn Wedekinds, Herrn Albert Langen, der uns in seinem letzten Brief die sofortige Zusendung der Verträge in Aussicht stellte. Aus allen diesen Gründen waren wir berechtigt, die projektierte Aufführung der Wedekindschen Stücke anzuzeigen. An dem Ernst dieser unserer Absicht zu zweifeln, haben wir Herrn Wedekind nicht die mindeste Ursache gegeben. Im Übrigen schreibt er uns selbst unter Anderem (am 6. September): ‚Auf Ihre überaus liebenswürdigen Mitheilungen kann ich Ihnen selbstverständlich nicht anders antworten, als daß ich Ihnen für das Vertrauen, das Sie meiner Produktion entgegenbringen, meinen wärmsten Dank ausspreche‘ etc. und ferner: ‚Die Ehrerbietung, die ich vor der künstlerischen Leitung Ihrer Bühne hege, muß mich hindern, Ihrem Fürgutfinden irgend ein Bedenken entgegenzuhalten.‘ Wir glauben dies zur Charakteristik unserer bisherigen Beziehungen zu Herrn Wedekind anführen zu müssen. Indem wir für die freundliche Aufnahme dieser Zeilen im Vorhinein danken, zeichnen wir Hochachtungsvoll und ergebenst Die Leitung des ‚Kleinen Theaters‘ (Schall und Rauch).“ [KSA 5/III, S. 613f.] der beiden Stücke gar nicht erworben hat. Ich glaube, mich mit vollem Recht dagegen verwahren zu dürfen, daß wie vor zwei JahrenDie Presse hatte seinerzeit gemeldet: „‚Der Marquis von Keith‘, Ernst [!] Wedekinds neue Komödie, wird im Neuen Theater durch das Meßthalersche Ensemble zum erstenmal aufgeführt werden.“ [Unterhaltungsblatt des Vorwärts, Nr. 236, 6.12.1900, S. 944] Wedekind spielte insofern an auf Emil Meßthaler, Direktor des Intimen Theaters in Nürnberg (eröffnet am 22.12.1900) und zugleich vom 15.6.1901 bis 15.8.1901 Direktor des Neuen Theaters in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 461], der Ende 1900 die Uraufführung des „Marquis von Keith“ plante [vgl. Wedekind an Beate Heine, 29.12.1900]; der Plan zerschlug sich, das Stück wurde von ihm erst am 31.10.1903 in Nürnberg inszeniert [vgl. KSA 4, S. 534]. von einer anderen Direction, mein Name immer wieder zu einer billigen Sensationsreklame gebraucht wird, ohne daß die angekündigten Stücke daraufhin zur Aufführung gelangenDie Tragödie „Der Erdgeist“ (1895) kam am 17.12.1902 in Berlin im Kleinen Theater zur Aufführung [vgl. KSA 3/II, S. 1223], nicht aber das Lustspiel „Die junge Welt“ (1897)..

Indem ich Sie ersuche den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochschätzung entgegennehmen zu wollen
ergebenst


[2. Druck im „Berliner Börsen-Courier“:]


Sehr geehrter HerrIsidor Landau war von 1897 bis 1912 Chefredakteur des „Berliner Börsen-Courier“, insofern verzeichnet als „Chef-Redacteur“ [Berliner Adreßbuch für 1902, Teil I, S. 943] und in der betreffenden Ausgabe des „Berliner Börsen-Courier“ [Jg. 35, Nr. 451, 26.9.1902, Morgen-Ausgabe] für „Feuilleton, Theater und Musik“ als verantwortlicher Redakteur ausgewiesen.!

Nachdem Sie vor einigen Tagen die Notiz brachten, daß das „Kleine Theater“ (Schall und Rauch) meine Stücke „Erdgeist“ und „Die junge Welt“ in der kommenden Saison zur Aufführung bringen werde, bitte ich Sie, Ihren geehrten Lesern mittheilen zu wollen, daß das „Kleine Theater“ das Aufführungsrecht der beiden Stücke garnicht erworben hat. Ich glaube mich mit vollem Recht dagegen verwahren zu dürfen, daß, wie vor zwei Jahren von einer anderen Direction, mein Name immer wieder zu einer billigen Sensationsreclame gebraucht wird, ohne daß die angekündigten Stücke daraufhin zur Aufführung gelangen.

Indem ich Sie ersuche, den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochschätzung entgegennehmen zu wollen
ergebenst
Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 28. Januar 1909 in München folgenden Brief
an (Zeitung) Berliner Börsen-Courier , (Zeitung) Berliner Börsen-Courier

*

Sollte das B. T. behaupten, daß ich diese Verwendung d. Pr.die Verbreitung eines offenen Briefes [vgl. Wedekind an Akademische Bühne Berlin] durch die Berliner Presse, nachweislich durch den „Berliner Börsen-Courier“ [vgl. Berliner Börsen-Courier, Jg. 42, Nr. 49, 30.1.1909, Morgen-Ausgabe, S. 6]. nur zu dem Zwecke in Aussicht wünsche um meinem durchgefallenen Sittengemälde MusikWedekinds Streit mit dem „Berliner Tageblatt“ hatte sich an dem Verriss von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ (1908) durch den Feuilletonredakteur Fritz Engel [vgl. F.E.: Wedekinds „Musik“. Erste Aufführung im „Kleinen Theater“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 558, 1.11.1908, Sonntags-Ausgabe, S. (2)] entzündet. dadurch auf die Beine zu helfen, so bitte ersuche ich SieWedekind dürfte Isidor Landau, den Chefredakteur des „Berliner Börsen-Courier“, angesprochen haben. höflichst eine solche derartige Unterstellung nicht ernst zu nehmen zu wollen

Dem bedeutendsten und ThatkräftigstenSchreibversehen, statt: thatkräftigsten. Verband zur Unterstützung hülfsbedürftiger MütterHinweis auf den „Bund für Mutterschutz“ in Wilmersdorf (Trautenaustraße 20), jener Verband „für hilfesuchende uneheliche Mütter“ [Berliner Adreßbuch 1909, Teil II, S. 213], dessen Vorsitzende die Frauenaktivistin Dr. phil. Helene Stöcker war; nicht weiter ausgeführte Anspielung auf Helene Stöckers Stellungnahme zu Wedekinds „Musik“, in der sie Wedekind als „Kampfgenossen“ [Helene Stöcker: Wedekind und die Frauenbewegung. In: Morgen, Jg. 1, Nr. 8, 2.8.1907, S. 251; vgl. KSA 5/III, S. 582-584] begrüßt hatte.

Frank Wedekind schrieb am 4. November 1911 in Königsberg folgenden Brief
an (Zeitung) Berliner Börsen-Courier

Grd. Hôtel Deutsches Haus
Otto Kahl
Vornehmstes und grösstes Hôtel am Platz
Ruhige Lage im Mittelpunkt der Stadt
Festsäle, Konferenz- u. Ausstellungszimmer
: Appartements mit Bad : Automobil :
Restaurant ‒ Weingrosshandlung
Telephone: Nr. 14, 3339, 3211


Königsberg i. Pr., 4. November 1911.


An die tit. Redaktion des
Berliner Börsen Courier
Berlin.


Sehr verehrliche RedaktionChefredakteur des „Berliner Börsen-Courier“ war seinerzeit Dr. Albert Haas, verantwortlich für die Feuilleton-, Theater- und Musikredaktion der frühere Chefredakteur Isidor Landau, der seit 1883 als Theaterkritiker für die Zeitung tätig war.!

Darf ich Sie höflichst ersuchen, Ihrem geehrten Herrn Mitarbeiter für die überaus wohlwollende BesprechungIn der ohne Verfasserangabe veröffentlichten Besprechung von Wedekinds Vortragsabend (siehe unten) in der Rubrik „Was sich Berlin erzählt“ im „Berliner Börsen-Courier“ heißt es: „Frank Wedekinds gestriger Vortragsabend hatte eine starke Anziehungskraft ausgeübt und den Klindworth-Scharwenka-Saal mit einer höchst erwartungsvollen Menge gefüllt. Thema des Vortrags sollten, der Ankündigung nach, ‚Gedanken – ethische und ästhetische Probleme‘ sein. Von diesen gelangte auch im Verlauf des Abends eine ganze Reihe zur Betrachtung. Aber eigentlich nur so nebenbei sich durchsetzend. In der Hauptsache las Wedekind aus eigenen Dichtungen vor. Er begann mit einer – Predigt, deren Nutzanwendung er seinen Hörern überließ. Er entnahm dem Evangelium das prahlerische Wort der Söhne, die an ihrer Väter Stelle den Propheten nicht gemordet hätten, reihte daran den ‚Hungertod‘ Heinrich von Kleists und schloß mit der Zornesformel, daß immer wieder auch die Söhne ihre Propheten umbrächten. Dann ging der Vortragende dazu über, den dritten Akt seines neuen Werkes vorzulesen [...]. Jedenfalls enthielt dieser dritte Akt [...] manch Fesselndes und Vielversprechendes. Besonders als der Dichter auf sein Steckenpferd geriet und in einer unendlich bissigen Satire den Polizeipräsidenten einer Duodezresidenz ein Festspiel verbieten und den Hauptakteur darin verhaften läßt, ohne zu ahnen, daß sein eigener Fürst der Verfasser und Schauspieler ist, und nachdem er die trostlose Wahrheit erfährt, in die Worte ausbricht: ‚Strafen Sie mich, königliche Hoheit! Nur die strengste Strafe kann mir meine Menschenwürde wiedergeben‘ – da durchlief unbändige Heiterkeit die Reihen der Zuhörer und löste sich in stürmischen Beifall auf.“ [Berliner Börsen-Courier, Jg. 44, Nr. 510, 30.10.1911, Abend-Ausgabe, S. 14, 3. Beilage] , durch die mein VortragBei dem am 29.10.1911 notierten „Vortrag in Klintwortsaal“ [Tb] handelte es sich um einen Vortragsabend Wedekinds um 20 Uhr im Klindworth-Scharwenka-Saal in Berlin, angekündigt unter dem Gesamttitel „‚Gedanken‘. Ethische und ästhetische Probleme“ [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 40, Nr. 552, 29.10.1911, Morgen-Ausgabe, 10. Beiblatt, S. (3)]. Wedekind hielt dort erstmals seine Rede „Heinrich von Kleist“, las aber noch andere Texte, darunter den Prolog zu „König Nicolo“, vor allem aber aus dem neuen Stück „Franziska“ den 3. Akt. Wedekind hielt diesen Vortrag ein zweites Mal am 4.11.1911: „Vortrag im Deutschen Haus“ [Tb] – das war in einem Saal jenes Hotels, auf dessen Briefpapier er den vorliegenden Brief schrieb. im Klindworth-SaalKlindworth-Scharwenka-Saal (eingeweiht am 6.10.1907), benannt nach dem Berliner Pianisten und Professor für Musik Karl Klindworth, einer von zwei Konzertsälen im Konservatorium Klindworth-Scharwenka in Berlin-Tiergarten (Genthiner Straße 11). in Ihrem geschätzten Blatt ausgezeichnet wurde, meinen aufrichtigen herzlichen Dank zu übermitteln. Da der Artikel nicht signiert war, ist es mir leider nicht möglich, dem Herrn direkt zu danken.

Zugleich erlaube ich mir die AnfrageWedekind hatte die „Kleist“-Rede zuvor schon dem „Berliner Tageblatt“ angeboten [vgl. Wedekind an Fritz Engel, 22.10.1911], das sie offenbar nicht angenommen hat., ob Sie für die Worte, die ich über Heinrich von Kleist sprach vielleicht gelegentlich der hunderjährigenSchreibversehen, statt: hundertjährigen. Wiederkehr seines TodestagesDer 100. Todestag des am 21.11.1811 in Berlin verstorbenen Dichters Heinrich von Kleist fand starke Beachtung. VerwendungEin Druck der „Kleist“-Rede im „Berliner Börsen-Courier“ ist nicht nachgewiesen [vgl. KSA 5/III, S. 428]. hätten. Ihre gefällige Erwiderung würde ich mir nach München, Prinzregentenstraße 50 erbitten. Den kurzen Artikel könnte ich Ihnen dann von dort am nächsten Mittwochder 8.11.1910; Wedekind war am 7.11.1910 (Dienstag) zurück in München. oder Donnerstag zuschicken.

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung
Ihr ergebener
Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 2. September 1913 in Berlin folgenden Brief
an (Zeitung) Berliner Börsen-Courier

Darf ich SieChefredakteur des „Berliner Börsen-Courier“ war seinerzeit Dr. Albert Haas; in Nachfolge von Isidor Landau war seit dem 1.10.1912 Emil Faktor verantwortlich für die Feuilleton-, Theater- und Musikredaktion. höflichst ersuchen, Ihren Lesern mitteilen zu wollen, daß ich bei dem Zustandekommen der BesprechungWedekind notierte am 13.8.1913 in München: „Interview von Frau Kovacsné“ [Tb]; gemeint sein dürfte die ungarische Journalistin Lydia Kovács, die für mehrere Zeitungen und Zeitschriften in Budapest schrieb. Das Interview dürfte der Angabe im „Berliner Börsen-Courier“ zufolge am 29.8.1913 in Budapest erschienen sein (siehe unten), vermutlich in ungarischer Sprache; in welcher Zeitung oder Zeitschrift ist nicht ermittelt. über Schauspieler, die Sie im AuszugDer „Berliner Börsen-Courier“ zitierte in einem mit Verfasserkürzel veröffentlichten Beitrag ‒ versehen mit Vorbemerkung („Frank Wedekind äußerte sich einem ungarischen Journalisten gegenüber folgendermaßen:“) und Nachbemerkung („Soweit Wedekind, dem man mindestens das zugestehen muß, daß er den Mut seiner Ueberzeugung hat“) ‒ aus dem mit Wedekind geführten Interview (siehe oben), datiert „Budapest, 29. August“, unter anderem: „Ich beginne einzusehen, daß ich Jahre hindurch ungerechterweise den Schauspielern gezürnt habe. Immer dachte ich, sie wollen meine Stücke nicht spielen ‒ doch heute bin ich im Reinen ‒ sie können sie nicht spielen. 12 Jahre mußte ich warten bis ich die Schauspieler wenigstens dazu gebracht hatte, meine Gestalten so darzustellen, wie ich sie mir vorstelle. Und dann begann ich zu verstehen und lernte einsehen, daß nicht Indolenz, sondern Unfähigkeit der Grund war, meinen Rollengestalten auszuweichen, die meiner Ansicht nach alle großartige Rollen sind. Den Hetmann spielte ich 200 mal. 50 mal in Berlin, 50 mal in München und 100 mal in anderen deutschen Städten. Bei Reinhardt hingegen fiel das Stück durch ‒ es wurde dort höchstens sechs mal gegeben. In meinem Drama: ‚So ist das Leben‘ trat ich 50 mal hintereinander auf. ‒ In einer Vorstellung, wo allererste Schauspieler spielten, wurde das Stück stark abgelehnt. ‚Franziska‘ schlug sofort ein ‒ meine Frau und ich kreierten die Hauptrollen. / Daraus muß ich, müssen Sie und jedermann den Schluß ziehen, daß Schauspieler den Wedekind-Helden nicht gewachsen sind, und nur ich sie dem Publikum verständlich machen kann. Denn mit dem neuen Drama reifte nicht zugleich der neue Schauspieler. Der heutige Schauspieler ist durch die seit 20 Jahren bestehende realistische Bühnenliteratur verdorben. Im heutigen Schauspieler ist weder Kraft, noch Energie. Er ist der bescheidenste Mensch der Welt, denn ich kenne keinen einzigen, der sich getrauen würde, etwas übermäßig laut oder stark zu sagen. Und meine Helden sind gerade durch Kraft und Energie charakterisiert. ‒ Der Musikprofessor in ‚Musik‘ ist ein schlechter Kerl, doch er weiß, was er will. Winterstein, der diese Rolle auch in Budapest spielte, weiß es aber nicht. Deshalb gibt es keinen Erfolg bei seiner Darstellung, der hingegen bei der meinigen nie ausbleibt.“ [E.K.F.: Wedekind über die Schauspieler. In: Berliner Börsen-Courier, Jg. 45, Nr. 408, 1.9.1913, Abend-Ausgabe, S. 6; vgl. KSA 5/II, S. 496-497] Ein fast gleichlautender Auszug ist auch in Wien erschienen [vgl. Wedekind gegen die Schauspieler. Ein scharfer Angriff des Dichters. In: Neues Wiener Journal, Jg. 21, Nr. 7132, 31.8.1913, S. 14]. im „Berliner Börsen-Courier“ mitteilen, in bedauerlicher Weise mißverstanden wurde. Ganz richtig beginnt die VerfasserinIn der redaktionellen Vormerkung zu dem offenen Brief griff der „Berliner Börsen-Courier“ Wedekinds Richtigstellung des Geschlechts der Person, die das Interview mit ihm geführt hat, auf: „Wir veröffentlichten kürzlich eine Korrespondenz aus Budapest über ein Interview, in dem Frank Wedekind sich zu einer wißbegierigen Dame über seine Stellung zu den Darstellern seiner Werke geäußert hatte. Es scheint nun, als ob die Dame den Dichter in manchen nicht unwesentlichen Punkten mißverstanden hätte, wie aus seiner nachstehenden Zuschrift an uns hervorgeht“ [Noch einmal: Wedekind und die Schauspieler. In: Berliner Börsen-Courier, Jg. 45. Nr. 412, 3.9.1913, Abend-Ausgabe, S. 6, 1. Beilage]; zuvor hat die Zeitung angenommen, Wedekind habe „sich einem ungarischen Journalisten gegenüber“ [E.K.F.: Wedekind über die Schauspieler. In: Berliner Börsen-Courier, Jg. 45, Nr. 408, 1.9.1913, Abend-Ausgabe, S. 6] geäußert, was auch anderorts angenommen worden war: „Einem ungarischen Journalisten, der ihn interviewte, erklärte der Dichter“ [Wedekind gegen die Schauspieler. Ein scharfer Angriff des Dichters. In: Neues Wiener Journal, Jg. 21, Nr. 7132, 31.8.1913, S. 14]. Wedekind stellte das am 3.9.1913 in Berlin auch im Gespräch mit dem Korrespondenten des „Neues Wiener Journal“ richtig: „Durch die deutsche und die österreichische Presse gehen jetzt angebliche Erklärungen von mir, die sich mit der denkbar größten Schärfe gegen die deutschen Schauspieler richten. Ich soll einer ungarischen Journalistin gesagt haben, daß die männlichen Darsteller Deutschlands alle meine Charaktere verderben und daß alle meine Stücke nur dann Erfolg hätten, wenn ich selbst die männliche Hauptrolle spiele. [...] Ich habe in der Tat mit der ungarischen Journalistin gesprochen. Die Dame aber hat mich sehr mißverstanden.“ [Dichter und Schauspieler. Eine Unterredung mit Frank Wedekind. In: Neues Wiener Journal, Jg. 21, Nr. 7136, 4.9.1913, S. 8; vgl. KSA 5/II, S. 498] mit meinem Eingeständnis, daß ich dem deutschen Schauspieler Jahre hindurch Unrecht getan habe. Alles übrige gründet sich auf rein theoretische Erörterungen über naturalistische und stilisierte Spielweise, deren Sinn der Verfasserin augenscheinlich entgangen ist. Daß ich aber über Herrn Eduard v.WintersteinWedekind hat Eduard von Wintersteins Darstellung der Rolle des Musikpädagogen Josef Reißner in „Musik“ durchaus kritisiert (siehe oben). Bei einem Gastspiel des Berliner Deutschen Theaters in Budapest wurde am 30.5.1913 im Lustspieltheater („Vigszinház“) Wedekinds „Musik“ mit Eduard von Winterstein als Josef Reißner aufgeführt [vgl. Pester Lloyd, Jg. 60, Nr. 127, 30.5.1913, Morgenblatt, S. 10, 16]; die Darstellung wurde kritisch rezensiert: „Herr v. Winterstein hat den robusten Musikpädagogen nicht in der Auffassung, aber im Ausdruck verfehlt. Er sprach unwirsch, machte sich durch eine näselnde Hochmut antipathisch, was nicht in der Absicht des Dichters gelegen ist. Stellenweise mußte Herrn v. Winterstein lautes Zischen aufmerksam machen, daß er deutlicher sprechen müsse.“ [Pester Lloyd, Jg. 60, Nr. 128, 31.5.1913, Morgenblatt, S. 3], dessen reife, ernste Kunst ich seit Jahren aufs höchste verehre, mich abfällig geäußert haben soll, kann nur in der Phantasie der Dame entstanden sein.

Frank Wedekind.