Briefwechsel

von Frank Wedekind und Thomas Mann

Frank Wedekind schrieb am 12. Juli 1909 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Thomas Mann

[Hinweis im Brief Thomas Manns vom 12.7.1909 aus München an Heinrich Mann in München (Bedenig/Wißkirchen 2021, S. 211):]


Wedekind schreibt mir sehr angelegentlich und schlägt vor, daß wir uns Mittwoch AbendWedekind hielt am 14.7.1909 (Mittwoch) im Tagebuch fest: „Abends in der American Bar mit Thomas und Heinrich Mann und Klaus Pringsheim.“ Was bei diesem Treffen um 21 Uhr in der Bar im Keller des Münchner Hotels Vier Jahreszeiten (Maximilianstraße 4) besprochen wurde, ist nicht bekannt. um 9 Uhr in der „Americain Bar“ treffen wollten. Er bittet noch um Antwort. Las mich also recht bald wissen, ob Du einverstanden bist.


Thomas Mann schrieb am 21. Juni 1910 in München
an Frank Wedekind

[1. Notiz zum Kontext und Zitat in Kutscher 3, S. 10:]


Thomas Mann [...] in seinem Briefe vom 21.VI.1910, in welchem er Wedekind für sein GlossariumWedekinds Broschüre „Schauspielkunst. Ein Glossarium“ (1910), kurz darauf im Georg Müller Verlag in München als erschienen gemeldet [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 77, Nr. 145, 27.6.1910, S. 7606]. dankt: „dies so persönliche, so tief eigentümliche Manifest, das ich gestern Abend mit ungeheurem Vergnügen, unter stürmischem inneren Beifall gelesen habe. Sie sind ganz darin gegenwärtig mit Ihrem hohen Ernst, Ihrem verbissenen Humor, Ihrer bis zur Wildheit gehenden Leidenschaft, Ihrer drastischen, seltsam tragfähigen Rhetorik, Ihrer glühenden Naivität. Wollen Sie diese letzte Wendung nicht mißverstehen! Sie schließt das nicht aus, was man ‚Verschlagenheit aus Tiefe‘ nennen könnte.“


[2. Notiz zum Kontext und Zitat in Kutscher 3, S. 32:]


Als Thomas Mann in Wedekinds Glossarium gelesen hatte, daß die letzte Szene seiner Fiorenzadas ErhabensteZitat aus dem Abschnitt „Fiorenza“ in Wedekinds Broschüre „Schauspielkunst“ (1910) zur „letzten Szene“ in Thomas Manns Stück über den „Dialog zwischen Savonarola und dem sterbenden Lorenzo de Medici“, der „das Erhabenste, Geistvollste und dramatisch Wirksamste enthält, was je in deutscher Sprache für die Bühne geschrieben wurde.“ [KSA 5/II, S. 374]., Geistvollste und dramatisch Wirksamste enthält, was je in deutscher Sprache für die Bühne geschrieben wurde“, antwortete er (21.VI.10): „Als Dernburg den alten Fontane im Berliner Tageblatt den größten lebenden deutschen DichterDiese Äußerung von Friedrich Dernburg über Theodor Fontane ist so im „Berliner Tageblatt“ bisher nicht aufgefunden. Allerdings ist in Dernburgs Nachruf auf Philipp Reclam beiläufig die Rede von den Werken „unseres ersten und liebenswürdigsten Dichters, Theodor Fontanes“ [Friedrich Dernburg: Der billige Mann von Leipzig. In: Berliner Tageblatt, Jg. 25, Nr. 20, 12.1.1896, S. (3).] In der Fußnote zum Erstdruck des Briefes, den Fontane am 24.4.1896 an ihn geschrieben hat, bemerkte Herman Wichmann: „Dernburg hatte im Feuilleton des ‚Berliner Tageblattes‘ Fontane als unseren jetzt lebenden grössten Dichter erklärt.“ [Herman Wichmann: Frohes und Ernstes aus meinem Leben. Leipzig 1898, Anhang, S. 41] genannt hatte, schrieb der so gefeierte an einen FreundTheodor Fontane schrieb am 24.4.1896 an Herman Wichmann: „Von Dernburgs schmeichelhaftem Wort erfahre ich erst […] durch Sie. […] Ich weiß nun nicht recht, was ich Dernburg gegenüber zu tun habe. Keine Notiz davon nehmen, ist beinah unartig, und sich bedanken, ist beinah albern.“ [Briefe Theodor Fontanes. Hg. von Otto Pniower und Paul Schlenther. Bd. 2. Berlin 1909, S. 387]: ‚Was soll ich denn nun tun. Danke ich ihm nicht, so ist es beinahe ungezogen, und danke ich ihm, so ist es beinahe albern.‘ In einer ähnlichen Lage befinde ich mich heute Ihnen gegenüber.“

Frank Wedekind schrieb am 6. Dezember 1912 in München folgenden Brief
an Thomas Mann

[1. Briefentwurf:]


Herrn T. MWedekind hat den Brief (Entwurf und nicht überlieferter abgesandter Brief) am 6.12.1912 vermerkt: „Brief an Thomas Mann.“ [Tb]
München


Wer die Billigkeit seiner Angaben Behauptung gegenüber der Polizei oder ihren Organen aufrecht zu halten versucht wird wegen Meineid mit Zensur bestraft

Hochachtungsvoll
FrW


[2. Entwurf der Beilage:]


Fr. W. hat an das Kgl. Polizeipräsidium den Antrag gestellt, in den Beirat der TheaterzensurDer Münchner Polizeipräsident Julius von der Heydte hatte im Frühjahr 1908 einen Zensurbeirat berufen, ein der Polizeidirektion München unterstelltes und von Wedekind publizistisch heftig bekämpftes Gremium mit wechselnden Mitgliedern, das sich aus Universitätsprofessoren, Honoratioren der Stadt und Schriftstellern zusammensetzte, darunter seit Frühjahr 1912 Thomas Mann ‒ er erklärte dem Polizeipräsidenten am 26.5.1913 kollegialer Rücksichten wegen dann seinen Austritt [vgl. Mayer 1982, S. 288]. aufgenommen zu werden mit der Begründung, daß er vor mehr als 20 Jahren schon in seinen Dramen für diejenigen sittlichen und künstlerischen Anschauungen eingetreten ist, die heute in den gebildeten Kreisen des deutschen Volkes allgemeine Anerkennung gefunden haben. | Wedekind fühlt sich zu diesem Antrag durch den Umstand bewogen, daß er sich durch die Entscheidungen des Münchner Mün Zensurbeirates in unbilliger und parteiischer Weise geschädigt fühlt.

Wedekind schreibt dazu:

Thomas Mann schrieb am 7. Dezember 1912 in München folgenden Brief
an Frank Wedekind

MÜNCHEN, DEN 7.XII.1912.
MAUERKIRCHERSTR. 13


Sehr geehrter Herr Wedekind:

Gleich nach Empfang Ihres BriefesWedekind an Thomas Mann, 6.12.1912. Der abgesandte Brief, in dem die Worte „Anstoß“ und „Maßregeln“ fielen, ist verschollen; erhalten ist ein Briefentwurf mit dem Entwurf einer Beilage. habe ich mich natürlich an das Polizei-Präsidium mit der Frage gewandt, wie ein Gespräch gleich dem von Ihnen fixierten habe stattfinden können. Ich mußte mich belehren lassen, daß überhaupt keines stattgefunden habe.

Sollte es Ihnen, geehrter Herr Wedekind, irgendwelche Schwierigkeiten machen, mir den Widerspruch zwischen dieser bündigen Versicherung der Behörde und Ihrem Schreiben zu erklären, so verzichte ich gern auf die Lösung des Rätsels.

Unter allen Umständen können Sie | sich überzeugt halten, daß ich nicht der Mann bin, an Ihren Dichtungen „Anstoß“ zu nehmen und die Behörde zu irgendwelchen „Maßregeln“ dagegen zu veranlassen. Dieser Gedanke ist absurd, und ich bedauere, daß Sie ihn überhaupt zuließen. Im Gegenteil sehe ich meine Aufgabe als Mitglied des Censur-BeiratesDer Münchner Polizeipräsident Julius von der Heydte hatte im Frühjahr 1908 einen Zensurbeirat berufen, ein der Polizeidirektion München unterstelltes und von Wedekind publizistisch heftig bekämpftes Gremium mit wechselnden Mitgliedern, das sich aus Universitätsprofessoren, Honoratioren der Stadt und Schriftstellern zusammensetzte, darunter seit Frühjahr 1912 Thomas Mann ‒ er erklärte dem Polizeipräsidenten am 26.5.1913 kollegialer Rücksichten wegen dann seinen Austritt [vgl. Mayer 1982, S. 288]. darin, die Aufseher der oeffentlichen Ordnung vor Eingriffen in Werke von Dichtungsrang zu warnen. Diese Möglichkeit, die Censur-Behörde, so lange sie nun einmal besteht, von Fall zu Fall meine Meinung wissen zu lassen, ist mir von Wert, und ich beabsichtige nicht, sie aufzugeben. Auch heute habe ich die Gelegenheit nicht versäumt, dem Polizeipräsidenten die Freigabe des von ihm be|anstandeten SatzesStreichungsauflagen der Münchner Polizeidirektion für die öffentliche Aufführung von „Franziska“ waren zwar reduziert worden [vgl. KSA 7/II, S. 1156], gestrichen blieb aber laut Verfügung der Polizeidirektion vom 4.12.1912 [vgl. KSA 7/II, S. 1198] u.a. eine Replik von Veit Kunz (in der Uraufführung von Wedekind gespielt) in der Szene V/3: „Immerhin finde ich es weniger unsittlich, von zwei Männern ein uneheliches Kind zu haben, als von einem zwei.“ [KSA 7/I, S. 385] Thomas Manns Schwiegermutter Hedwig Pringsheim schrieb am 23.12.1912 an Maximilian Harden über Wedekind, dieser habe „vor dem Zensurbeirat eine hysterische Wansinnsscene aufgeführt und sich schließlich mit – Thomas Mann entzweit, den er – natürlich fälschlicherweise – für den Anlaß hält; daß die Censur, die in unglaublicher, nie dagewesener Toleranz und fast sträflicher Liberalität die Aufführung selbst der heikelsten Scenen dieses ‚Mysteriums‘ [...] gestattet hatte, daß die Censur ihm einen Satz schließlich strich. Dieser Satz lautet, echt wedekindisch ‚ich halte es immer noch für anständiger, zwei Väter zu einem Kind, als zwei Kinder von einem Vater zu haben‘.“ [Neumann 2006, S. 122f.] zu empfehlen; leider glaubte er nicht, sich dazu entschließen zu dürfen.

Lassen Sie mich übrigens hinzufügen, daß die betreffende Replik vielleicht zu den im Theatersinne wirksamsten, aber gewiß nicht zu den bedeutendsten Ihres Mysteriums gehört. Mir schienThomas Mann saß also am 30.11.1912 bei der Uraufführung von Wedekinds ‚modernem Mysterium‘ „Franziska“ in den Münchner Kammerspielen (Regie: Eugen Robert, in den Hauptrollen Tilly und Frank Wedekind) im Publikum. Es handelte sich um eine geschlossene Vorstellung, bei der das Stück unzensiert gespielt wurde. bei der ersten oeffentlichen Aufführung sogar, als ob die dankbare Heiterkeit des Publikums an dieser Stelle Sie selbst enerviere und als ob Sie, abgewandt, mit einer gewissen Ungeduld das Aufhören des Gelächters erwarteten.

In unveränderter, unveränderlicher Wertschätzung,
sehr geehrter Herr Wedekind,
Ihr ergebener
Thomas Mann.

Frank Wedekind schrieb am 8. Dezember 1912 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Thomas Mann

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 8.12.1912 in München:]


Erhalte Antwortvgl. Thomas Mann an Wedekind, 7.12.1912. von Thomas Mann und antworte ihm.

Frank Wedekind schrieb am 28. Mai 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Thomas Mann

[Hinweis in Thomas Manns Brief an Wedekind vom 29.5.1913 aus Bad Tölz:]


Sie haben mir mit Ihrem Brief eine wirkliche Freude gemacht [...]

Thomas Mann schrieb am 29. Mai 1913 in Tölz folgenden Brief
an Frank Wedekind

BAD TÖLZ, DEN 29.V.1913.
LANDHAUS THOMAS MANN.


Mein verehrter Herr Wedekind:

Sie haben mir mit Ihrem Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Thomas Mann, 28.5.1913. eine wirkliche Freude gemacht, die mich für die Aergernisse der letzten Zeit entschädigt.

Sie hatten mich mißverstandenWedekind hat Thomas Mann die Mitgliedschaft im Münchner Zensurbeirat übelgenommen., ‒ aber wer selber so wenig verstanden wird, ist nicht verpflichtet, andere zu verstehen.

Wenn ein bürgerlicher Einschlag in meine Produktion, in meine ganze Lebensstimmung und Lebenshaltung (ein Einschlag, der mich weder als Menschen noch als Künstler entehrt, denn | bei sehr großen Künstlern war er vorhanden) ‒ wenn, sage ich, dieser Einschlag den bürgerlichen Ordnungsmächten ein täppisches Vertrauen zu mir einflößte: warum sollte ich solches Vertrauen nicht benutzen, um zwischen Genie und Ordnung politisch zu vermitteln? Sie hat mich sehr amüsiert, diese Art, mich oeffentlich nützlich zu machen, und ich bilde mir ein, daß ich einen oder den anderen Erfolg dabei zu verzeichnen gehabt habe ... Einerlei. Da nur meine Demission als „PolizeiorganDas am 26.5.1913 von der Münchner Polizeidirektion beschlossene Verbot einer öffentlichen Aufführung der Tragödie „Lulu“ am Münchner Künstlertheater [vgl. KSA 3/II, S. 1292], das sich auf ein Mehrheitsvotum des Münchner Zensurbeirats stützte, nahm Thomas Mann zum Anlass, aus dem Zensurbeirat auszutreten [vgl. KSA 3/II, S. 1207], in dem er seit der Gründung im Frühjahr 1912 Mitglied war. Er erklärte dem Polizeipräsidenten Julius von der Heydte am 26.5.1913 seinen Austritt [vgl. Mayer 1982, S. 288]. Der Münchner Schutzverband Deutscher Schriftsteller stellte sich in seiner Mitgliederversammlung am 28.5.1913 „geschlossen hinter Wedekind.“ [KSA 3/II, S. 1207] Das hat Thomas Mann kommen sehen und Kurt Martens, der sich durch „persönliches Vorgehen“ [Wedekind an Kurt Martens, 25.5.1913] bei ihm für Wedekind eingesetzt hatte, am 26.5.1913 geschrieben, dass er „zugleich“ seinen „Austritt aus dem Censur-Beirat und dem Schutzverbande erkläre. [...] Aus dem Censur-Beirat trete ich natürlich aus, weil ich mich nicht der liebenswürdigen Unterstellung aussetzen will, ich hätte mich gegen Geist, Freiheit und Kollegenschaft auf die Seite der Polizei gestellt.“ [Wysling/Sprecher 1991, S.196f.] Thomas Mann war 1. Beisitzender des erst am 7.3.1913 konstituierten Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, Ortsgruppe München, gewesen (1. Vorsitzender: Karl Henckell, 2. Vorsitzender: Kurt Martens, Schriftführer: Hans Ludwig Held, Schatzmeister: Eugen Albu, 2. Beisitzende: Eva von Baudissin; Wedekind war Mitglied des Ehrenausschusses). mir Ihre Sympathie zurückgewinnen konnte, so will ich vergnügt sein, sie gegeben zu haben. Das Verbot Ihres größten WerkesThomas Mann hat in seiner Antwort auf das Schreiben des Münchner Polizeipräsidenten Julius von der Heydte an die Mitglieder des Zensurbeirats vom 25.4.1913 zur Begutachtung der „Lulu“-Tragödie [vgl. KSA 3/II, S. 1279], eine fünfaktige Fassung der Doppeltragödie „Erdgeist“ und „Büchse der Pandora“, die das Münchner Künstlertheater zeigen wollte (genehmigt wurde nur eine geschlossene Vorstellung, die am 29.5.1913 stattfand), die „Verantwortung“ auf sich genommen, nicht „zum Verbot der öffentlichen Aufführung zu raten.“ [KSA 3/II, S. 1280]. war | jedenfalls eine passende Gelegenheit dazu. Und von dem Odium dieses besonderen AmtesThomas Manns Mitgliedschaft im Münchner Zensurbeirat. abgesehen, ‒ ganz ohne Amt ist mir schließlich am wohlstenThomas Mann hatte am 26.5.1913 an Kurt Martens ähnlich geschrieben: „Als Unbeamteter und Unorganisiert ist mir schließlich am wohlsten.“ [Wysling/Sprecher 1991, S. 197].

Ihr ergebener
Thomas Mann.

Thomas Mann schrieb am 23. Juli 1914 in Tölz folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis im Zusammenhang mit Wedekinds 50. Geburtstag in Kutscher 3, S. 179:]


Thomas Mann sandte die illustrierte Separatausgabevgl. Thomas Mann: Tonio Kröger. Berlin: S. Fischer [1913] (Fischers illustrierte Bücher). Das ist die erste selbstständige Ausgabe der Novelle; sie ist mit Zeichnungen von Erich M. Simon illustriert. seines Tonio Kröger [...]

Thomas Mann schrieb am 24. Juli 1914 in Tölz
an Frank Wedekind

[Notiz zum Kontext und Zitat in Kutscher 3, S. 178:]


[Zum 50. Geburtstag Wedekinds kamen Glückwünsche] auch telegraphisch [...]; und launig meinte Thomas Mann: „Möge Held Simson die solennefeierliche, festliche. LockenschneidereiAnspielung auf den alttestamentarischen Mythos von Simson (oder Samson), der seiner unbezwingbaren Kraft beraubt war, als ihm durch Delilas Verrat das Haupthaar geschoren wurde – Wedekind, dessen neuestes Stück „Simson oder Scham und Eifersucht“ (1914) den Mythos verarbeitet, wird von Thomas Mann hier mit dem Helden des Stücks identifiziert. dieser Tage in alter Kraft überstehen.“

Thomas Mann schrieb am 11. Januar 1915 in Tölz folgenden Brief
an Frank Wedekind

BAD TÖLZ, DEN 11. Jan. 1915.
LANDHAUS THOMAS MANN.


Sehr verehrter Herr Wedekind:

Von Kurt Martens höre ich zu meiner Bestürzung, daß Sie recht krank waren und wohl gar noch sind, ‒ sich einer Operation unterziehenWedekind wurde am 29.12.1914 erstmals am Blinddarm operiert und am 9.1.1915 aus der Klinik entlassen, wie er festhielt: „Mit dem Sanitätswagen nach Hause gebracht.“ [Tb] mußten und was noch alles! Ich möchte Ihnen doch sagen, wie sehr ich das bedaure und wie sehr ich wünsche, daß dies Mißgeschick bald und völlig vorübergehen möge.

Bei uns ging es in den letzten Monaten ziemlich kümmerlich zu. Die KinderKatia und Thomas Manns Kinder Erika (* 9.11.1905), Klaus (* 18.11.1906), Golo (* 27.3.1909) und Monika (* 7.6.1910). waren krank, eines sogar gefährlich, die Gesundheit meiner Frau litt unter der Pflege, auch ich war | durch die Erschütterungen und Sorgen der Zeit ziemlich mitgenommen, und so haben wir denn auf einige Wochen unsere hiesige Zuflucht aufgesucht, wo ich zu meiner laufenden Arbeit zurückzufinden suche, nachdem ich während der ersten Kriegsmonate allerlei politische und historische Allotria getriebenThomas Mann hat in den ersten Monaten nach dem Kriegsbeginn vom 1.8.1914 Kriegsessays wie „Gedanken im Kriege“ oder „Gute Feldpost“ geschrieben und veröffentlicht, in denen er wie fast alle deutschen Schriftsteller den Ersten Weltkrieg begrüßte.. Ich wollte wohl, ich könnte in München bald einmal wieder mit Ihnen über die Ereignisse sprechen. Sie setzen einem im Ganzen nicht wenig zu, ‒ man war nicht darauf eingerichtet, große Geschichte zu erleben. Denn als große Geschichte muß man die Dinge doch schließlich anerkennen, obgleich eine gewisse radikal-intellektuelle, humanitär-|pazifistische RichtungAnspielung auf den Bruder Heinrich Mann, der von Anfang an ein entschiedener Kriegsgegner war. den Krieg ungefähr als Schwindel hinstellt.

Auf Martens’ Empfehlung lese ich jetzt endlich Kubins schon vor einer Reihe von Jahren erschienenen Roman „Die andere Seite“. Er unterhält mich sehr. Ich bin in zwei, drei Tagen damit fertig, und wenn das Buch Sie interessiert, würde ich es Ihnen gern schicken.

Die besten Wünsche also für Ihre rasche und vollkommene Wiederherstellung!

Ihr sehr ergebener
Thomas Mann.

Frank Wedekind schrieb am 28. Januar 1915 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Thomas Mann

[Hinweis in Thomas Manns Postkarte an Wedekind vom 29.1.1915 aus Bad Tölz:]


Vielen Dank für Ihren Brief.

Thomas Mann schrieb am 29. Januar 1915 in Tölz folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Königreich Bayern
Postkarte


Herrn
Frank Wedekind
München
Prinzregentenstraße |


Tölz den 29.I.15.


Sehr verehrter Herr Wedekind:

Vielen Dank für Ihren Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Thomas Mann, 28.1.1915..

Ich freue mich sehr, daß es Ihnen besser geht.

Sie vergaßen schließlich, den Zeitungsausschnittnicht ermittelt., den Sie erwähnen, beizulegen. Sie haben mich gespannt darauf gemacht. Wollen Sie ihn noch nachsenden?

Die besten Grüße!

Ihr
Thomas Mann