Briefwechsel

von Frank Wedekind und Franz Blei

Franz Blei schrieb am 24. Juni 1895 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Franz Blei vom 16.7.1895 aus Zürich:]


[...] mit großem Genuß habe ich in Berlin Ihre Komödie Thea gelesen und danke Ihnen herzlich für die Übersendung.

Frank Wedekind schrieb am 16. Juli 1895 in Zürich folgenden Brief
an Franz Blei

Zürich Universitätsstraße 15.
16.7.95.


Lieber Herr BleiFranz Blei, Schriftsteller in Zürich (Weinbergstraße 114) [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1896, Teil II, Sp. 106f.], der „sich meistens gar nicht in Zürich, sondern studienhalber in Bern aufhielt.“ [Halbe 1935, S. 131],

mit großem Genuß habe ich in BerlinWedekind hielt sich nach seinem Aufenthalt in Paris vom 20.1.1895 bis etwa Anfang Juli in Berlin auf. Ihre Komödie Thea gelesen und danke Ihnen herzlich für die ÜbersendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Buchsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Franz Blei an Wedekind, 24.6.1895. Er hatte Wedekind sein zweites Bühnenstück geschickt, „Thea. Ein Akt Komödie“ (1895), erschienen bei der Deutschen Schriftsteller-Genossenschaft in Berlin.. Erstens halte ich das Stück für durchaus gelungen als das was es sein soll und zweitens athmete ich auf, ein Thema, in dem andere mit heiligem Philisterernst herumwühlen, aus der dazu nöthigen geistigen Größe mit Humor und Grazie behandelt zu sehen. Sie erinnern | sich, was ich Ihnen über Ihre Rechtschaffene FrauFranz Bleis erstes Bühnenstück, „Die rechtschaffene Frau. Drama in drei Akten“ (1893), erschienen im Verlag des Bibliographischen Bureaus (Alexanderstraße 2) in Berlin. sagte. Mein Urtheil ist durch dieses Stück bestätigt worden. Das ist nicht gewollte Kunst, gezüchtete Literatur, wie man sie in Berlin fabrizirt, sondern naives reines Leben. Jedenfalls kommen Sie mit Ihrer Behandlungsweise einem Maupa solcher Stoffe, mit ihrer rein künstlerischen von allem Pathos freien Reife, einem MaupassantWedekind verweist auf Guy de Maupassant, den seinerzeit gern als Vergleichsautor genannten französischen Schriftsteller. näher als andere die sich gerne so nennen lassen.

Ich habe es sehr bedauert, Sie bei meinem Eintreffen in ZürichWedekind dürfte erst kürzlich in Zürich eingetroffen sein, da er sich wenige Tage zuvor noch in Leipzig aufhielt [vgl. Wedekind an Albert Langen, 10.7.1895]. nicht hier zu finden. |

Mein Bruder Donald der noch in Berlin ist, läßt s/S/ie herzlich grüßen. Er hat mir viel von Ihnen erzählt, besonders auch von einem Buch Lolotte, mon Novitiatder französischsprachige Roman „Mon noviciat ou les joies de Lolotte“ (1792) von Robert-André Andréa de Nerciat (in zwei Bänden in Berlin erschienen). „Der Verfasser schildert hier die erotischen Erlebnisse eines Freudenmädchens in der ihm eigenen Verquickung von geistreichelnder Philosophie und Zügellosigkeit unter reichlicher Verwendung der Dialogform.“ [Englisch 1927, S. 465], das ich in Berlin umsonst aufzutreiben gesucht. Wenn Sie es mir vielleicht hierher schicken wollten für einige Tage dürften Sie sicher sein, daß ich es wie meinen Augapfel hüte, und Sie es unversehrt zurückerhalten.

Ich bitte Sie sehr darum, mich Frau DoctorMaria Blei (geb. Lehmann), seit dem 5.6.1894 mit Franz Blei verheiratet, den sie in Zürich kennengelernt hatte, wo sie seit 1891 Medizin studierte (mit Zeugnis vom 3.11.1896 von der Universität Zürich abgegangen, erst später in den USA promoviert, Doctor of dental surgery). Franz Blei wurde an der Universität Bern zum Dr. phil. promoviert, seine Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde, „Abbé Galiani und seine Dialoques sur le commerce des blés (1770)“ (1895), am 5.3.1894 mit dem Imprimatur versehen, erschien in der Buchdruckerei K. J. Wyß in Bern. aufs herzlichste zu empfehlen. Die wenigen angenehmen Stunden die ich vor zwei Jahrenim Sommer 1893, als Wedekind in Zürich war und Franz Blei kennenlernte (mit ihm zusammen am 28. und 29.8.1893 auch Postkarten von dort verschickte). bei Ihnen zugebracht, sind mir heute noch in lebhaftester Erinnerung. | Vielleicht habe ich doch noch das Vergnügen Sie im Laufe des Sommers hierzuSchreibversehen, statt: hier zu. sehen. Vor Anbruch des Winters hoffe ich das schöne Zürich nicht verlassen zu müssen.

Indessen verbleibe ich mit den besten Grüßen Ihr
Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 22. Dezember 1895 in Zürich folgenden Brief
an Franz Blei

Lieber Herr BleiDr. phil. Franz Blei, Schriftsteller in Zürich (Weinbergstraße 114) [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1896, Teil II, Sp. 106f.].

darf ich Sie bitten, mir das Exemplar SchnellmalerWedekinds Bitte um Rückgabe vermutlich seines Handexemplars von „Der Schnellmaler oder Kunst und Mammon. Große tragikomische Originalcharakterposse in drei Aufzügen“ (1889), seinerzeit „auf Vermittlung von Karl Henckell“ [KSA 2, S. 546] im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) in Zürich erschienen [vgl. KSA 2, S. 551], belegt, dass er Franz Blei das Buch ausgeliehen hatte. Im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) ist auch Franz Bleis Broschüre über Karl Henckell erschienen [vgl. Franz Blei: Karl Henckell. Ein moderner Dichter. Studie. Zürich 1895]. per Post schicken zu wollen. Ich würde gerne zu Ihnen herauskommenvon der Festgasse 21 in die Weinbergstraße 114 (eine nicht unbeträchtliche Entfernung innerhalb von Zürich). aber ich habe einen Magenkatarrh der mir das Innerste zu äußerst kehrt. Dabei drängt die Arbeit derartWedekind erklärte seiner Mutter, er habe „gerade jetzt sehr viel zu arbeiten“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 22.12.1895]., daß ich mir kaum zu helfen weiß. Melden Sie Frau Dr. BleiMaria Blei (geb. Lehmann), seit dem 5.6.1894 mit Franz Blei verheiratet, den sie in Zürich kennengelernt hatte. bitte meine herzlichsten Wünsche für die Feiertagedie anstehenden Weihnachtsfeiertage 1895..

Im voraus mit bestem Dank
Ihr ergebener
Frank Wedekind


Festgasse 21. I.

Franz Blei schrieb am 6. Juni 1902 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Franz Blei vom 7.6.1902 aus München:]


[...] bin ich gern mit Ihrem Vorschlag einverstanden.

Frank Wedekind schrieb am 7. Juni 1902 in München folgenden Brief
an Franz Blei

FRANK WEDEKIND.


Lieber Herr BleiDr. phil. Franz Blei, als Schriftsteller in München zunächst in der Gabelsbergerstraße 20a verzeichnet [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1902, Teil II, Sp. 119], dann in der Arcisstraße 19 [vgl. Kürschners deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1903, Teil II, Sp. 116], wo er (verzeichnet als Franz Bley) im 3. Stock wohnte [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1901, Teil I, S. 55; Adreßbuch von München für das Jahr 1902, Teil I, S. 57], war Redakteur der Zeitschrift „Die Insel“ (im Insel-Verlag in Leipzig erschienen).!

Unter dieser Bedingung, daß alle drei Akte des Stücks im Juli-Heft erscheinenWedekinds dreiaktige Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903) [vgl. KSA 3/I, S. 477-540] ist vollständig als Zeitschriftenvorabdruck im Juli-Heft der Monatsschrift „Die Insel“ erschienen [vgl. Frank Wedekind: Die Büchse der Pandora. Tragödie in drei Aufzügen. In: Die Insel, Jg. 3, Nr. 10, Juli 1902, S. 19-105]. bin ich gern mit Ihrem Vorschlagnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Franz Blei an Wedekind, 6.6.1902. einverstanden. Ich gebe Ihnen übrigens noch die Versicherung, daß ich Ihnen keinerlei Schwierigkeiten bereiten werde und schließlich auch nicht bereiten kann, da | ich ja noch SchuldnerWedekind hatte von Alfred Walter Heymel, Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Insel“, im Vorjahr 500 Mark an Vorschusshonorar für einen Neudruck von „Frühlings Erwachen“ (1891) im Insel-Verlag erhalten, der nicht zustande kam [vgl. Wedekind an Otto Julius Bierbaum, 7.8.1901]. der „Insel“ bin. Allerdings wäre es wol empfehlenswerth, daß in diesem Fall der Druck möglichst rasch in Angriff genommen würde.

Darf ich Sie bitten, mich Frau Dr. BleiDr. med. Maria Blei (geb. Lehmann), seit dem 5.6.1894 mit Franz Blei verheiratet, den sie in Zürich kennengelernt hatte; sie betrieb in München (Arcisstraße 19, 3. Stock) eine Zahnarztpraxis (Sprechstunden: 10 bis 12 und 14 bis 16 Uhr), verzeichnet unter Maria Bley als „Doctor of Dental Surgery i. Amerika appr. Zahnärztin“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1902, Teil I, S. 57]. bestens zu empfehlen.

Mit bestem Gruß
Ihr
Frank Wedekind.


7.VI.02


[Kuvert:]


Herrn Dr. Franz Blei
München
19. Gabelsbergerstrasse 19 IVGabelsbergerstraße 19 (4. Stock) war keine gültige Adresse. Wedekind hat Straße und Hausnummer aus Franz Bleis alter Adresse Gabelsbergerstraße 20a und neuer Adresse Arcisstraße 19 (siehe oben) kompiliert..

Frank Wedekind schrieb am 19. März 1903 in München folgenden Brief
an Franz Blei

Lieber Blei!

Darf ich Dich bitten, von den Scherzen, die Du Dir gestern Abendam 18.3.1903; wo in München sich Franz Blei abends die Scherze gegenüber Wedekind erlaubte, ist nicht ermittelt (vermutlich in größerer Runde in einem Lokal). mir gegenüber gestattetest, nirgends mehr ein Wort verlauten zu lassen. Sollte ich von irgend einer Seite etwas hören, das sich auf Deine Äußerungen zurückführen läßt, dann bin ich zu meinem Bedauern gezwungen, deine Worte vor Dir und möglichst vielen Zeugen in nachdrücklichster | unzweideutigster Weise zu dementiren. Ich weiß sehr wohl, daß Dein Verhalten nur Scherz war, bitte Dich aber, diese Scherze auf ihre Zulässigkeit doch erst an Anderen erproben zu wollen, bevor Du mich zu ihrem Träger auswählst.

Mit herzlichen Grüßen
Dein
Wedekind.


München, den 19 März 1903.

Franz Blei schrieb am 27. März 1903 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Franz Blei vom 28.3.1903 aus München:]


Besten Dank für Deine liebenswürdige Einladung [...]

Frank Wedekind schrieb am 28. März 1903 in München folgenden Brief
an Franz Blei

Lieber Blei!

Besten Dank für Deine liebenswürdige Einladungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Franz Blei an Wedekind, 27.3.1903. Franz Blei hat Wedekind der Notiz auf dem Brief zufolge (siehe zur Materialität) zu einer ‚italienischen Nacht‘ (ein Fest unter freiem Himmel mit Musik und Tanz) eingeladen, die in der Nacht vom 28. auf den 29.3.1903 in München gefeiert wurde., der ich mit großer Freude Folge leisten werde.

Mit herzlichem Gruß
Dein
Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 19. Juli 1903 in Lenzburg folgende Bildpostkarte
an Franz Blei

POSTKARTE.
CARTE POSTALE.
CARTOLINA POSTALE.


Herrn Dr. Franz Blei
München
Arzis StrasseDr. phil. Franz Blei war als Schriftsteller in München in der Arcisstraße 19 verzeichnet [vgl. Kürschners deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1903, Teil II, Sp. 116], davor in der Gabelsbergerstraße 20a [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1902, Teil II, Sp. 119].
Ecke Gabelsbergerstrasse |


Schloss Lenzburg.


Hier ist es herrlich. Ruhig, vornehm und idyllisch. AbwechslungZitat eines Ausspruchs von Otto von Bismarck (in den Briefen an Johanna von Bismarck vom 28.2.1851 und 6.6.1859): „Abwechslung ist die Seele des Lebens“ [Fürst Bismarcks Briefe an seine Braut und Gattin. Hg. vom Fürsten Herbert Bismarck. Stuttgart 1900, S. 245, 436]. ist die Seele des Lebens. Beste Grüße an deine liebe Frau MariaMaria Blei (geb. Lehmann), seit dem 5.6.1894 mit Franz Blei verheiratet, den sie in Zürich kennengelernt hatte.. Ebenso an BierbaumOtto Julius Bierbaum lebte wieder in München (Wotanstraße 44) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1904, Teil I, S. 55]., wenn du ihn siehst. Dein Frank

Franz Blei schrieb am 1. August 1903 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an , Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Franz Blei 2.8.1903 aus Lenzburg:]


Was du mir über die Scharfrichterei schreibst [...]

Frank Wedekind schrieb am 2. August 1903 in Lenzburg folgenden Brief
an Franz Blei

2. August 1903.


Lieber Blei!

Beim herrlichsten Wetter sitze ich hierin Lenzburg. Wedekind ist am 14.7.1903 von München in den Urlaub nach Lenzburg abgereist – „Wedekind reist morgen ab“ [Tb Halbe, 13.7.1903]; den Abend zuvor, am 13.7.1903, hatte er in München seinen Abschied vom Freundeskreis gefeiert – „W. [...] hat gestern in der Torggelstube Abschiedscour gehalten“ [Tb Halbe, 14.7.1903]. in idyllischer Einsamkeit, blauer Himmel, romantische Umgegend und Ruhe. Ich hoffe hier die SymtomeSchreibversehen, statt: Symptome. der Versumpfung loszuwerden und wieder nach eigenen Normen empfinden zu lernen. Was du mir über die Scharfrichterei schreibstHinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Franz Blei an Wedekind, 1.8.1903. Franz Blei hatte Wedekind über sein Engagement als Regisseur bei den Elf Scharfrichtern (siehe unten) informiert und offenbar vorgeschlagen, „Das Sonnenspectrum“ und den 3. Akt der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ an der Münchner Kabarettbühne zu inszenieren., hat | mich sehr gefreut. Freilich mit dem Sonnenspectrum weiß ich nicht wie das werden soll. Ich habe das Manuscript nicht hier und habe es seit bald zehn Jahren nicht mehr gelesen. Es ist sehr langathmig, hat wenig Handlung und würde, so fürchte ich die Zuschauer auch bei der besten Darstellung ermüden. In Wirklichkeit ist es der erste AktWedekind hatte den 1. Akt seines 1893 konzipierten Dramenprojekts „Das Sonnenspectrum. Ein Idyll aus dem modernen Leben“ [KSA 3/I, S. 669-705; vgl. KSA 3/II, S. 1360f.] als Einakter im Herbst 1900 fertig geschrieben [vgl. KSA 3/II, S. 1355-1358], überliefert sind ferner ein Fragment der Szene II/2 [KSA 3/I, S. 705-708] und ein Fragment des 4. Akts [KSA 3/I, S. 708]. „Die von Franz Blei geplante Aufführung bei den Münchner ‚Elf Scharfrichtern‘ kam nicht zustande.“ [KSA 3/II, S. 1450] eines auf 4 Akte berechneten Dramas und als solcher noch dazu sehr | in die Länge gezogen. Was den 3 AktDas Manuskript der Kabarettbearbeitung des 3. Akts der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903) ist verschollen [vgl. KSA 3/II, S. 862]. Ihre Aufführung war im Programmheft der Elf Scharfrichter vom November 1903 unter dem Titel „LULU. Tragödie in einem Aufzug vom Scharfrichter FRANK WEDEKIND“ [KSA 3/II, S. 1296] sowie in der Presse angekündigt (am 29.10.2903 in den „Münchner Neuesten Nachrichten“) und sollte am 7.11.1903 als ‚Ehrenexekution‘ stattfinden (die erste Subskriptionsvorstellung am 12.11.1903), wurde aber von der Zensur verboten, was die Polizeidirektion München der Direktion der Elf Scharfrichter (Marc Henry) erst am 2.12.1903 mitteilte [vgl. KSA 3/II, S. 1208f., 1296f.]. der Büchse der Pandora betrifft, so halte ich es für richtig, die SaisonDie Wintersaison 1903/04 der Elf Scharfrichter (die letzte Saison des Kabaretts, das sich dann auflöste) begann am 1.10.1903, das Programm unter der Regie von Franz Blei, wie angekündigt war: „Die Elf Scharfrichter eröffnen Donnerstag, 1. Oktober, mit der üblichen Ehrenexekution vor geladenen Gästen ihre Saison. [...] Die Oberregie des Programms besorgt Franz Blei. [...] Die erste öffentliche Vorstellung findet Freitag, 2. Oktober, statt.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 451, 27.9.1903, S. 2] Über die Eröffnungsvorstellung hieß es: „Ein wahrhaft unermeßliches Programm vereinigte Donnerstag Abend die Gäste einer Ehrenexekution der Elf Scharfrichter in dem wohlbekannten Lokal an der Türkenstraße und zeigte in der Tat, was Herr Henri in seinen Eröffnungsworten versicherte, daß die Herren in viermonatiger Pause tüchtig gearbeitet haben. [...] Die Oberregie lag in den Händen des Herrn Dr. Franz Blei und die ganzen Darbietungen zeugten von einer festen, kundigen Hand und fleißigster Vorarbeit.“ [fo.: Bei den elf Scharfrichtern. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 461, 3.10.1903, Vorabendblatt, S. 2-3] nicht damit zu eröffnen. Wenn Du es in der Mitte des Winters mit guten Kräften besetzen kannst so soll mich das sehr freuen.

Die Nachricht von deinem EngagementFranz Blei war für die nächste Saison (siehe oben) der Elf Scharfrichter (Direktion: Marc Henry) als Oberregisseur und Dramaturg engagiert worden [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 444]. bei den Scharfrichtern war mir eine sehr erfreuliche Überraschung, vor allem im Hinblick auf die Scharfrichter. Henry | erwartet seit 14 Tagen einen Brief von mir. Ich habe aber eben erst begonnen, hier etwas frische Luft zu schnappen und hatte noch nicht eine Zeile gearbeitet, weder für die Scharfrichter noch an sonst einem Stoff. Ich nehme heute meine ganze Energie zusammen um die Feder zu ergreifen und hoffe so, daß ich auch ihm noch antworten werde.

Grüße bitte Bierbaum, wenn Du ihn siehst.

Mit den besten Grüßen an Frau MariaMaria Blei (geb. Lehmann), seit dem 5.6.1894 mit Franz Blei verheiratet. und Dich Dein
Frank.


[am linken Rand:]


Willst Du TillyTilly Brannenburg hatte im Vorjahr in einer ganzen Reihe von Inszenierungen der Elf Scharfrichter auf der Bühne gestanden [vgl. Kemp 2017, Anhang Repertoire, S. 6, 10-13, 20, 26, 29, 69; Anhang Ensemble, S. 7], darunter in der Uraufführung von Wedekinds Pantomime „Die Kaiserin von Neufundland“ (1897) am 12.3.1902 in der Titelrolle „Fillisa XXII., Kaiserin von Neufundland“ [Programm Die Elf Scharfrichter, März-April 1902, S. 3]. Franz Blei hat sie im aktuell zusammengestellten Programm der Elf Scharfrichter nicht berücksichtigt. nicht bei den Scharfrichtern auftreten lassen?

Franz Blei schrieb am 19. Oktober 1903 in München folgenden Brief
an Frank Wedekind

DIE ELF SCHARFRICHTER MÜNCHEN TÜRKENSTR. 28


Arcisstrasse 19Wohnadresse (Arcisstraße 19, 3. Stock) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1904, Teil I, S. 61] Franz Bleis, der bei den Elf Scharfrichtern (Direktion: Marc Henry) als Oberregisseur und Dramaturg engagiert war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 444].


Lieber Frank, ich bin nicht und komm nicht dazu, dich aufzusuchen, die Vormittage, wo du mit einiger Wahrscheinlichkeit zu treffen bist, hab ich mit den ProbenDie Presse meldete: „Die Proben für das November-Programm, das [...] Szenen von [...] Scharfrichter Frank Wedekind bringen wird, haben bereits begonnen.“ [Die Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 491, 21.10.1903, Vorabendblatt, S. 3] zu thun, die Nachmittage, mich davon zu erholen. Hast du Lust und Zeit, morgen vormittag zwischen 10 – 1210 bis 12 Uhr. nach der Türkenstrassezu den Elf Scharfrichtern (Türkenstraße 28, Parterre, Seitengebäude) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1904, Teil I, S. 139]. zu kommen?

Wirst du mitthun? Henry wusste nichts Bestimmtes darüber?/./

In der ersten Subscriptionsvorstellung, die in der Gegend vom 10. NovemberDie erste Subskriptionsvorstellung des 3. Akts der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903), als Kabarettbearbeitung unter dem Titel „LULU. Tragödie in einem Aufzug vom Scharfrichter FRANK WEDEKIND“ [KSA 3/II, S. 1296] im Programmheft der Elf Scharfrichter vom November 1903 angekündigt, sollte am 12.11.1903 stattfinden, die vorangehende ‚Ehrenexekution‘ am 7.11.1903 [vgl. KSA 3/II, S. 1296f.]. Die Presse hatte zunächst angekündigt: „Das Theater der Elf Scharfrichter wird in der kommenden Saison unter Zuziehung gastierender Künstler eine Reihe von Vorstellungen auf Subskription veranstalten. Es wird die Aufführung folgender Bühnenwerke vorbereitet: [...] ‚Büchse der Pandora‘ von Frank Wedekind“ [Die Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 435, 18.9.1903, Vorabendblatt, S. 2], dann: „Die Einladungen zu den Subskriptions-Vorstellungen werden dieser Tage versandt. Um den zahlreichen Anfragen gerecht zu werden, sei bekannt gegeben, daß diese Vorstellungen (acht an der Zahl, deren jede einmal wiederholt wird) außer dem regulären Betrieb am Anfang jeden Monats stattfinden. – Bei der ersten Subskriptions-Vorstellung, am 12. November, werden folgende Bühnenwerke aufgeführt: Wedekinds ‚Lulu‘ (dritter Akt der ‚Büchse der Pandora‘)“ [Die Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 505, 29.10.1903, Vorabendblatt, S. 2]. Die Aufführung wurde von der Zensur untersagt, was die Polizeidirektion München der Direktion der Elf Scharfrichter (Marc Henry) erst am 2.12.1903 mitteilte: „Die öffentliche Aufführung von ‚Lulu‘ [...] wird aus Gründen des öffentlichen Anstands verboten.“ [KSA 3/II, S. 1209] sein soll, will ich den letzten Akt der Pandora spielen, als erstes Stück eine 15 Minuten dauernde Zartheit von R. MichelDas Subskriptionsformular für das Stück „Der Vater im Feld“ von Robert Michel war ausgefüllt [vgl. Kemp 2017, Anhang Repertoire, S. 149], es wurde aber nicht aufgeführt.. Dann die Pandora, zum Schluss den Capitol-AktIn der antiken Komödie „Lysistrate“ des griechischen Komödiendichters Aristophanes haben sich die Frauen auf der Akropolis in Athen verschanzt (sie verweigern sich dort ihren Ehemännern so lange sexuell, bis diese den Krieg beenden), nicht auf dem Kapitol, der Burg des antiken Rom; gemeint sein dürfte die 3. Szene. Die Presse hatte „‚Lysistrata‘ des Aristophanes“ [Die Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 435, 18.9.1903, Vorabendblatt, S. 2] angekündigt, das Stück wurde von den Elf Scharfrichtern aber nicht aufgeführt [vgl. Kemp 2017, Anhang Repertoire, S. 148]. der Lysistrata. Die Vor|stellung wird zwei mal wiederholt. Für den PrivatdozentenDr. Hilti, „Privatdozent“ [KSA 3/I, S. 478], der Schwyzerdütsch (Schweizerdeutsch) spricht [vgl. KSA 3/I, S. 535f.], einer der Freier Lulus im 3. Akt der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903). In der Kabarettbearbeitung „Lulu. Tragödie in einem Aufzug“ (siehe oben) sollte dem Programmheft der Elf Scharfrichter vom November 1903 zufolge „Dr. Hilti“ von „FRANK WEDEKIND“ [KSA 3/II, S. 1296] gespielt werden. haben wir einen OriginalschweizerEugen Keller, der einzige Schweizer (in Basel geboren und erst kürzlich aus der Schweiz gekommen) unter den zum Saisonbeginn am 1.10.1903 neu engagierten Ensemblemitgliedern der Elf Scharfrichter; für den Eröffnungsabend war angekündigt, es „werden sich an diesem Abend die neuengagierten Mitglieder vorstellen“, darunter „Eugen Keller“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 451, 27.9.1903, S. 2], der sein Debüt als Schauspieler am 19.12.1902 am Stadttheater in Aarau hatte [vgl. Thomas Blubacher: Befreiung von der Wirklichkeit? Das Schauspiel am Stadttheater Basel 1933-1945. Basel 1995, S. 42], bevor er Mitglied der Elf Scharfrichter [vgl. Kemp 2017, Anhang Ensemble, S. 25] wurde. Die Rolle des Privatdozenten Dr. Hilti wurde nicht mit ihm besetzt (siehe oben)., der es leider nur immer und in allen Rollen ist und den wir nur für diese eine Rolle behalten wollen. Aber du wirst selbst eine Rolledie Rolle des Dr. Hilti (siehe oben). übernehmen müssen, ich würde den SchigolchFigur in Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903) [vgl. KSA 3/I, S. 478]; in der Kabarettbearbeitung „Lulu. Tragödie in einem Aufzug“ (siehe oben) sollte die Rolle von Paul Larsen gespielt werden [vgl. KSA 3/II, S. 1296]. meinen oder AlwaAlwa Schön, „Schriftsteller“ [KSA 3/I, S. 478] in Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903), „Dr. Alwa Schön“ [ KSA 3/II, S. 1296] in der Kabarettbearbeitung „Lulu. Tragödie in einem Aufzug“ (siehe oben), in der die Rolle von Carl Neubert gespielt werden sollte [vgl. KSA 3/II, S. 1296]..

Mitte Februar dürfte das neue TheaterDer Umzug der Elf Scharfrichter in ein größeres Theater wurde nicht realisiert [vgl. Kemp 2017, S. 89]. fertig sein, das eine anständige Bühne hat; bis dahin will ich mit dem Liebestrank wartenWedekinds Schwank „Der Liebestrank“ (1899) war zwar angekündigt: „Das Theater der Elf Scharfrichter wird in der kommenden Saison [...] eine Reihe von Vorstellungen auf Subskription veranstalten. Es wird die Aufführung folgender Bühnenwerke vorbereitet: ‚Der Liebestrank‘ [...] von Frank Wedekind“ [Die Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 56, Nr. 435, 18.9.1903, Vorabendblatt, S. 2], und das Subskriptionsformular ausgefüllt [vgl. Kemp 2017, Anhang Repertoire, S. 149], er wurde aber bei den Elf Scharfrichtern nicht aufgeführt, „da sich die Truppe Anfang 1904 auflöste.“ [KSA 2, S. 1073] u. den andern Sachen, die die Türkenstrassenbühnedie Bühne der Elf Scharfrichter in der Türkenstraße 28 (siehe oben). nicht vertragen.

Herzlichst
Dein
Blei

Franz Blei schrieb am 1. April 1904 in München folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank, von dem Verleger Bardder Verleger Julius Bard in Berlin (Culmbacherstraße 3), mit Eugen Marquardt Geschäftsführer des Verlags Bard, Marquardt & Co. (Lützowplatz 8) [vgl. Adreßbuch für Berlin 1905, Teil I, S. 66], in dem die im Frühjahr 1904 gegründete bibliophile Reihe „Die Literatur. Sammlung illustrierter Einzeldarstellungen“ erschien, die Georg Brandes herausgab. Julius Bard und Georg Brandes haben im März 1904 Gerhart Hauptmann angeschrieben (ein ähnliches Schreiben dürfte auch Wedekind erhalten haben): „Unter der Redaktion von Herrn Professor Dr. Georg Brandes, wird demnächst [...] eine Sammlung allgemein aesthetischer und litteraturgeschichtlicher Monographien erscheinen. [...] Die Unterzeichneten erlauben sich die höfliche Anfrage, ob Sie [...] geneigt sind, Beiträge für die Sammlung zu liefern.“ [Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Gerhart Hauptmann, GH Br NL A: Julius Bard Verlag für Literatur und Kunst] in Berlin wirst du wegen deiner IbsenstudienJulius Bard dürfte Wedekinds zuerst 1895 veröffntlichten und dann 1902 neubearbeitet erschienenen Essay „Schriftsteller Ibsen (‚Baumeister Solness‘)“ [vgl. KSA 5/II, S. 131-144, 176-188; KSA 5/III, S. 754-766] gekannt und den Autor um eine entsprechende Studie für die von Georg Brandes betreute Reihe „Die Literatur“ in seinem Verlag gebeten haben. wohl schon einen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Julius Bard an Wedekind, 22.3.1904. bekommen haben. Der Mann schreibt mirJulius Bards Brief an Franz Blei ist nicht überliefert., er „nähme sie blind.“ Hoffentlich machst du dir für 500 Mark die kleine Mühe und schreibst ihm die 50 kleinen Druckseiten.

In der Pension SiegfriedDie Pension Siegfried in München (Amalienstraße 12) wurde von Jeanette Künsberg geführt [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1905, Teil I, S. 505]., Amalienstrasse 12 II wohnt eine junge Jüdin mit einer schönen weißen Haut; sie singt, aber eigentlich möchte sie wie sie mir sagte, höheren Unterricht | in der Liebe nehmen. Ich empfahl ihr dich als Lehrer und sie sagte, sie wäre glücklich, wenn du sie telephonisch (Telephon Pension Siegfried) von deinem Besuch verständigen wolltest. Sie heisst auch Käte Hildbergnicht näher identifiziert. und oscilliert um das Alter von 23, zeigt grossen Eifer und träumt von nichts als eine grosse Hure zu werden. Es ist kein Witz, der keiner wäre, wollte er einer sein. |

Bitte: schreib für die Kleine nicht Ibsen und gehe nicht darauf aus, Bard, den Verleger, zu einer grossen Hure zu machen – du musst das auseinanderhalten, was ich bemerke in der Annahme, dass du diese Mittheilungen etwa um 8 Uhr früh ins Bett bekommen könntest.

Herzlichst
dein
Blei

Franz Blei schrieb am 11. Juni 1905 in München folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank, in einem BüchelBüchlein – der Band „Launenhafte, zärtliche und moralische Gedichte“ (1782) von Johann Traugott Plant, erschienen bei Johann Sigismund Kaffke; darin befindet sich das Gedicht „Lied einer alten verliebten Jungfer“ [vgl. J.T.P.: Launenhafte, zärtliche und moralische Gedichte. Stettin 1782, S. 23-25], das Franz Blei um drei Strophen gekürzt und mit Varianten unter dem gekürzten Titel „Lied einer alten Jungfer“ in seine Anthologie „Fleurettens Purpurschnecke. Erotische Lieder und Gedichte aus dem achtzehnten Jahrhundert“ (1905) aufgenommen hatte [S. 55-57], unter fingiertem Verlagsort („Paphos“) und Jahr („im Jahr der Cythere 5091“) unter Pseudonym („gesammelt und herausgegeben von Franciscus Amadeus, M. A. Er.“) mit Zeichnungen von Franz von Bayros im Privatdruck bei C. W. Stern in Wien herausgegeben. Franz Blei, der in Wedekinds Gedicht „Ave Melitta!“ [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 23; vgl. KSA 1/I, S. 534f.] „offenbar ein Plagiat vermutete“ [KSA 1/I, S. 1060], hat ihm das im Brief zitierte Gedicht daher abgeschrieben (siehe die Hinweise zur Datierung). Schon vorher hatte es Streit gegeben, wie Wedekind am 9.5.1905 notierte: „Nach Krakel mit Blei in der Torggelstube.“ [Tb]: Launenhafte, zärtliche und moralische Gedichte, von J. T. P. Stettin 1782 finde ich folgendes


Lied„Lied einer alten verliebten Jungfer“ (1782) und „Lied einer alten Jungfer“ (1905) weisen Varianten auf (siehe oben), untereinander (so schon im Liedtitel) und zur vorliegenden Abschrift, die im Folgenden mitgeteilt sind. einer alten verliebten Jungfer.

Allen„Allen“ bis „gewidmet.“ Variante 1905: fehlt.
in ähnlichem Zustande seufzenden Seelen
gewidmet.Variante 1782: gewidmet. / In eigner Melodie.

Variante 1905: fehlt.


Schon viele Jahre quäl ich mich im Stillen
Um einen Mann!
WannVariante 1782: Wenn. wird Andreas‚der Männliche‘ oder ‚der Mannhafte‘ (aus dem Griechischen abgeleiteter Vorname). mein Gebet erfüllen
Und hört mich an!

Wie lange soll ich armes DingVariante 1905: Kind. noch weinen
Verschmäht, veracht? –
WennVariante 1905: Wann. wird der langersehnte Tag erscheinen
Mit seiner Nacht?Variante 1782: Rosts schöne Nacht. (= Anspielung auf das erotische Gedicht „Schöne Nacht“ von Johann Christoph Rost). Variante 1905: Und seine Nacht?

Wenn Jünglinge mit andern Mädchen spielen
Im Frühlingshain,
Und ihre Lust auf Rosenlippen kühlen
Bin ich allein.

Dann schmachte ich voll Sehnsucht nach dem Glücke
Geliebt zu sein;
Doch niemand sieht auf meine Liebesblicke
Und hört mein Schrein.

Wie gräm ich mich des Nachts in meinem Bette
Von Liebe tollVariante 1782, 1905: voll.Variante 1782, 1905: voll
Ach! – wenn ich nur ein einzges Männchen hatteVariante 1782, 1905: hätte.Variante 1782, 1905: hätte
Von siebenVariante 1782: funfzig. Variante 1905: fünfzig. Sieben Zoll entsprechen 17,78 cm. Die in den beiden gedruckten Fassungen genannten 50 Zoll entsprechen 1,27 m. Zoll.

Ich putze mich, ich thürme meine Haare
Hoch in die Luft
Ich balsamiere meines Busens Waare
Mit süssem Duft.

∙/∙ |

Mit Flor und BänderSchreibversehen, statt: Bändern. schmück ich mein Gesichte
Mit fremder Zier:
Und dennoch nennt mich FritzchenVariante 1782, 1905: Daphnis. bei dem Lichte
Ein altes Thier.Variante 1782: Thier. // Und eine Katze hies mich jüngst Leander – / Ein Krokodill, / Ein liebend Murmelthier nennt mich voll Spott Menander / Und ein Pasquill. // Mein Stand, mein Herz, mein schmachtendes Bestreben / Wird mir verhöhnt, / Der Spötter Blick verlacht und kürzt mein Leben / Mit Schmach gekrönt. // Ach wollte sich doch Einer nur erbarmen! – / Und nehme mich, / Als Ehefrau mit süssen Hymens-Armen / Nur ganz zu sich. – //Variante 1782: Thier. || Und eine Katze hies mich jüngst Leander – | Ein Krokodill, | Ein liebend Murmelthier nennt mich voll Spott Menander | Und ein Pasquill. || Mein Stand, mein Herz, mein schmachtendes Bestreben | Wird mir verhöhnt, | Der Spötter Blick verlacht und kürzt mein Leben | Mit Schmach gekrönt. || Ach wollte sich doch Einer nur erbarmen! – | Und nehme mich, | Als Ehefrau mit süssen Hymens-Armen | Nur ganz zu sich. – ||

Welch eine Glut durchwühlt mein armes Herze
Und zehrt es ab.
Ich diene nur den Jünglingen zum Scherze
Bis in mein Grab

Komm Charonin der griechischen Sage Fährmann in der Unterwelt., komm, und fahre mich von hinnen
Du alter Schnipps„ein springinsfeld [...]; ein unausgewachsener naseweiser junge [...]; ein kleiner mensch“ [DWB, Bd. 15, Sp. 1341].!
Denn sonst verlier ich alle meine Sinnen
Und sterb am Pipps„die verstopfung der nase mit verhärteter zungenspitze beim federvieh, dann auch eine damit ähnliche krankheit der menschen, besonders ein den anfang einer krankheit bezeichnendes unwolsein“ [DWB, Bd. 13, Sp. 1866]..


HerGruss
Dein Blei

Franz Blei schrieb am 3. Mai 1906 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Franz Bleis Brief an Wedekind vom 15.5.1906 aus München:]


[...] Amethystheft – ich schickte das 4. nach Nürnberg [...]

Franz Blei schrieb am 15. Mai 1906 in München folgenden Brief
an Frank Wedekind

Hubertusstrasse 13Dr. phil. Franz Blei war als Schriftsteller in München inzwischen in der Hubertusstraße 13 gemeldet [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1906, Teil II, Sp. 119], im 1. Stock [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil I, S. 47]; davor wohnte er in München in der Arcisstraße 19 [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1905, Teil II, Sp. 114]. Franz Blei teilte André Gide am 25.2.1905 mit, „dass meine Adresse vom 1. März ab ist: München-West, Hubertusstrasse 13.“ [Theis 1997, S. 25]


Lieber Wedekind, ich ärgere mich heute noch über die unwürdige Unterhaltung damalsAnspielung auf den heftigen Streit mit Franz Blei, den Wedekind am 9.5.1905 in München notiert hat: „Nach Krakel mit Blei in der Torggelstube.“ [Tb] Danach kam es erst einmal zu keiner weiteren Begegnung mehr; man traf sich erst am 30.7.1906 in München wieder [vgl. Tb]. im Hofgarten, die ich verschuldete und derentwegen ich dich und mich um Verzeihung bitte. Jeder hat einmal ganz blödsinnige Augenblicke und ich hatte sie damals. Wollen wir es ganz vergangen sein lassen, ja?

Hier ist das 5. AmethystheftFranz Blei schickte Wedekind Heft 5 [April 1906] der von ihm herausgegebenen Monatsschrift „Der Amethyst“ (1905/06), von der nur ein Jahrgang erschienen ist (12 Hefte, davon Heft 6/7, Heft 9/10, Heft 11/12 Doppelhefte), die als Privatdruck nur für Subskribenten hergestellt wurde und vom ersten Heft an auf dem Umschlag den Hinweis enthält: „GEDRUCKT FÜR SUBSCRIBENTEN“ [Der Amethyst. Blätter für seltsame Kunst und Litteratur, Jg. 1, Heft 1, Dezember 1905, Umschlag]. Das war der Zensur geschuldet, stand die illustrierte Zeitschrift mit ihren erotischen und sexuellen Themen doch unter dem Verdacht, es handle sich um Pornografie, wie Franz Blei sehr wohl wusste, als er André Gide am 13.3.1906 schrieb: „Der Amethyst – [...] ich muss es wie Ihr Prometheus machen, da er die pornographischen Bilder vertheilte – ohne das bekäme diese Zeitung nicht die ihr nötigen 800 Subscribenten“ [Theis 1997, S. 51]. Die Presse meldete über die in Wien vom Verlag C. W. Stern vertriebene Zeitschrift: „Aus Wien wird neu angekündigt: ‚Der Amethyst‘. Blätter für seltsame Kunst und Literatur, herausgegeben von Dr. Franz Blei (monatlich ein Heft mit je einem Kunstblatt). Diese Zeitschrift wird nur für Subskribenten gedruckt und kommt nicht in den Handel. Preis jährlich 35 Mk., Luxusausgabe auf Japan 70 Mk.“ [Von Zeitschriften. In: Das literarische Echo, Jg. 8, Heft 8, 15.1.1906, Sp. 609] – ich schickte das 4. nach NürnbergHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Sendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Franz Blei an Wedekind, 3.5.1906. Franz Blei hat Heft 4 seiner Zeitschrift „Der Amethyst“ (siehe oben) nach Nürnberg geschickt, an das Intime Theater (Direktion: Emil Meßthaler), wo am 2.5.1906 Wedekinds „Totentanz“ uraufgeführt wurde, worüber die Presse berichtete: „Im Nürnberger Intimen Theater fand gestern die Uraufführung von Wedekinds ‚Totentanz‘ mit Verfasser in der Hauptrolle statt.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 222, 3.5.1906, Morgen-Ausgabe, S. (2)] Wedekind reiste am 5.5.1906 zurück nach Berlin [vgl. Tb]. Franz Blei hat Heft 4 des „Amethyst“ [März 1906] auch an André Gide geschickt, der den Empfang von „le quatrième No de l’‚Amethyst‘“ [Theis 1997, S. 57] am 10.4.1906 meldete (nicht etwa in seinem früheren Brief vom 2.4.1906, ein Indiz dafür, dass die Monatsschrift nicht sehr pünktlich erschien). Heft 4 dürfte das erste Heft seiner Zeitschrift gewesen sein, das Franz Blei nach dem Streit mit Wedekind (siehe oben) an ihn verschickt hat., dieses ans | Deutsche Theateran das Deutsche Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin (Schumannstraße 13a) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, Übersichtspläne der Theater, S. 29], wo Wedekind als Schauspieler engagiert war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 287].. Bitte schreib mir eine Zeile, ob dieses eine sichere Adresse ist und du die Sachen da bekommst oder soll ich sie wo anders hinschicken?

Mit bestem Gruss
Dein FBlei

Franz Blei schrieb am 15. Juni 1906 in München folgenden Brief
an Frank Wedekind

Hubertusstrasse 23Franz Blei wohnte in der Hubertusstraße 13 [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil I, S. 47].


Lieber Wedekind, hier ist das letzterschienene Amethystheftein Doppelheft, wie im Heft vermerkt ist: „Dieses Heft wird als Doppelheft Mai-Juni, das nächste Ende Juli herausgegeben.“ [Der Amethyst, Jg. 1, Heft 6/7, Mai/Juni 1906, S. 228]; zuletzt hatte Wedekind vom Herausgeber Heft 5 [April 1906] der Monatsschrift „Der Amethyst“ erhalten [vgl. Franz Blei an Wedekind, 15.5.1906]. Das genannte nächste Heft 8 [Juli 1906] war nicht gemeint (und auch nicht eines der dann noch erschienenen drei Doppelhefte). Wedekind, der vom 26.6.1906 bis 30.7.1906 wegen eines Gastspiels in München war (dann in die Schweiz reiste), hat sich am 18.7.1906 mit Franz Blei (und Felix Hollaender vom Berliner Deutschen Theater) nach einer „Erdgeist“-Vorstellung in München getroffen: „Nachher mit Blei und Holländer im Hoftheaterrestaurant“ [Tb], wo auch über Franz Bleis Zeitschrift gesprochen worden sein könnte. – möge es dir gefallen. Und möge meine Bitte an dich Erfolg haben, die ist: würdest du das SonnenspektrumfragmentFranz Blei hatte seinerzeit bei den Elf Scharfrichtern eine Inszenierung von Wedekinds Dramenprojekt „Das Sonnenspectrum. Ein Idyll aus dem modernen Leben“ geplant [vgl. Wedekind an Franz Blei, 2.8.1903], die nicht zustande kam, und bat ihn nun als Herausgeber der Monatsschrift „Der Amethyst“, das Fragment seiner „Zeitschrift zum Druck zu überlassen. [...] Die vorgesehene Veröffentlichung kam nicht zustande.“ [KSA 3/II, S. 1357] oder von deinen Gedichten dem Amethyst zu DruckTexte Wedekinds sind in der bald eingestellten Monatsschrift „Der Amethyst“ nicht erschienen, auch nicht in der Nachfolgezeitschrift „Die Opale. Blätter für Kunst & Litteratur“ (1907), die Franz Blei am 1.10.1906 André Gide ankündigte: „Der Amethyst wird im nächsten Jahre ‚Die Opale‘ heissen“ [Theis 1997, S. 61]. geben? Das wäre sehr schön.

Herzlichst
Dein
Blei

Franz Blei schrieb am 27. September 1909 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Ernst Rowohlt vom 31.10.1909 aus München:]


Auf einmal erfahre ich durch Zuschriften von verschiedenen Seiten, daß sich die Sachen in Ihrem Besitz befinden.