Briefwechsel

von Frank Wedekind und Karl Henckell

Karl Henckell schrieb am 23. August 1886 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Herr WedekindFrank Wedekind traf am 16.8.1886 in Lenzburg ein [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 116], wo sich Karl Henckell, stud. phil. und Schriftsteller in Lenzburg [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1887, S. 120], der seinerzeit „wöchentlich“ zum Schloss Lenzburg „hinauf steigt, auch wegen Franklins jüngerer Schwester Erika“ [Vinçon 2014, S. 39], im Sommer 1886 aufhielt.! Falls Sie etwa ein billet-dous(frz.) kurzer Liebesbrief, schriftliche Liebeserklärung. vermuthet haben sollten, so ist das ein Irrthum. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich diesen holden Wahn, der jetzt schon gelüftet, herbeigeführt haben sollte.

Was mir äußerst intensiv im Kopfe herumgeht und mich zu dieser kuriosen schriftlichen Meinungsäußerung ‒ pardon, Fräulein FridaErika Wedekind – mit vollem Namen: Frida Marianne Erika Wedekind. sagt, „nur die Narren meinenRedensart.[“] ‒ item(lat.) kurzum. (lat.) kurzum. Meinungsäußerung veranlaßt, das ist der Ihnen schon angedeutete Gedanke einer zu gründenden ZeitschriftDas Zeitschriftenprojekt wurde nicht realisiert.. Sie schienen einer solchen Idee ja auch nicht totaliter(lat.) ganz und gar. abgeneigt ‒ wie wäre es, wenn wir die Sache einmal etwas näher und ernstlicher ins Auge faßten, vorausgesetzt, daß Sie Lust haben, mit mir gemeinsam ein gewis nicht unnützliches Werk zu beginnen?

Es bedarf eben in erster Linie des festen und entschiedenen Willens ‒ das Weitere macht sich dann, wie man zu sagen pflegt, von selbst. Das Selbst sind dann eben wir und unser Wille.

Zur Gewinnung eines unternehmungslustigen Verlegers könnte man ja vorläufig, ohne andere Bemühungen auszuschließen, den, nicht mehr ungewöhnlichen Inseratenweg betreten? ‒ Das Weitere bei der kolossalen Entfernung unserer beiderseitigen DomizileKarl Henckell wohnte in Lenzburg bei seinem Bruder Gustav Henckell (er hatte dort im Vorjahr eine Konservenfabrik gegründet), Wedekind wohnte auf Schloss Lenzburg über der Stadt – insofern war die Entfernung zwischen beiden Domizilen gering. brieflich durchzuschwätzen, halte ich für mindestens papierverschwenderisch; diese Zeilen vorzüglich deshalb, weil ich endlich einmal eines dieser mir von geliebter Schwesterhand bescheerten Blumenkärtchenan Karl Henckell gerichtete Korrespondenzstücke Erika Wedekinds. aus stagnirender Ruhe erlösen mußte ‒ sie vergilben sonst vor Gebrauchslosigkeit.

Freundlichsten Gruß Ihr Karl Henckell

Karl Henckell schrieb am 1. Juli 1887 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

Herrn
Frankl. Wedekind
Platteng/s/traße 35
Fluntern
(Haus hinter 32) |


Lieber Frankl.

durch die freundliche Überbringerinnicht sicher identifiziert; es darf aber angenommen werden, dass Anna Buchmann, die Stieftochter der „Pensionshalterin“ [Adressbuch der Stadt Zürich 1888, Teil I, S. 57] Anna Barbara Buchmann-Schellenberg, in deren Pension in Riesbach Karl Henckell wohnte (Seefeldstraße 1) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1888, Teil I, S. 131], Wedekind den Brief überbracht hat. Mit Anna Buchmann „führte Karl Henckell eine platonische Liebesbeziehung“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 127], wie durch das ein mit Wedekind von Josef M. Jurinek geführtes Interview überliefert ist: „Es war ein liebes Kind, die Anna Buchmann. Hatte keine Eltern mehr und [...] besorgte das ganze Haus samt Stiefgeschwister, Stiefmutter und Pensionären. [...] Henckell sang schon damals seine herrlichen, gefühlvollen Lieder [...]. Mag sein, daß diese vollklingenden Verse auch Anna Buchmann begeisterten, mag sein, daß das Mädchen eine Art Schicksalsgefährten, einen Verkannten in Karl Henckell still verehrte: … Anna und Karl sprachen mehr mit den Augen als mit den Lippen miteinander. Es war reine Liebe ohne jede Sinnlichkeit, war Liebe um Treue, die Treue um der Liebe willen“ [KSA 5/II, S. 568f.]. dieses Papiers bitte ich dich, doch so gut sein zu wollen und einen Arzt für mich zu besorgen, da die Morphiumlösung total wirkungslos geblieben ist, im Gegentheil – ich habe die ganze Nacht entsetzliche SchmerzenKarl Henckell hatte sich den Fuß vertreten und war „einige Tage krank“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.7.1887]. gehabt und keine Sek. geschlafen.

H. Gruß
Karl


Es wird vielleicht auch genügen, wenn Armin den Dr. FreyDr. med. Gottlieb Frey war „Bezirksarzt in Zürich-Hottingen“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 111]; er war der spätere Schwiegervater von Armin Wedekind, der in Zürich Medizin studierte. fragt und dann noch mal kommt, wenn er so liebensw. sein will.

Frank Wedekind schrieb am 7. April 1889 in Lenzburg folgende Widmung
an Karl Henckell

Seinem lieben Karl Henckell
Der VerbrecherWedekind dürfte hier auf die Figur des Hochstaplers Dr. Steiner aus seinem Lustspiel „Der Schnellmaler“ anspielen, der im Stück als ein gesuchter Verbrecher entlarvt (Szene III/7), aber dann doch nicht verhaftet wird; der Kommissär bemerkt (Szene III/8): „Die Justiz kennt gottlob kein Ansehen der Person. Ob schuldig oder unschuldig, vor dem Gesetz gilt jeder Verbrecher gleich.“ [KSA 2, S. 92].


Franklin Wedekind.


Der Schnellmaler.

Große tragikomische Originalcharakterposse
in drei Aufzügen.


Zürich 1889.

Verlags-MagazinKarl Henckell hat einige seiner Bücher im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) in Zürich veröffentlicht – ein für die Literatur der frühen Moderne einschlägiger Verlag, den er Wedekind für den Druck des Lustspiels in Zürich vermittelt hat [vgl. KSA 2, S. 546], wie Wedekind später in einem Interview erzählte: „Obgleich ich durchaus keinen Drang zu weiterem dramatischen Schaffen in mir fühlte, da mir meine Stellung bei Maggi reichlich Geld eintrug, ließ ich, vielleicht gerade wegen meiner guten Besoldung, den ‚Schnellmaler‘ ein Jahr später bei Schabelitz durch Vermittlung von Karl Henckell drucken“ [Josef M. Jurinek: Frank Wedekinds literarische Anfänge. Unveröffentlichte Bekenntnisse des Dichters. In: Neues Wiener Journal, Jg. 24, Nr. 8215, 12.9.1916, S. 6]. Insofern spielte der Freund, der seinerzeit in Zürich lebte, für den „Schnellmaler“ eine herausragende Rolle..
(J. Schabelitz.)

Karl Henckell und Marie Felix schrieben am 30. Juni 1890 in Zürich
an Frank Wedekind

Karl Henckell

Marie Felix


VerlobteDie Verlobung zwischen Karl Henckell und Marie Felix wurde mit Interesse registriert [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 29.7.1890 und 19.9.1890], stand dann in Frage [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 8.1.1891], wurde aufgelöst [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 25.2.1891] und führte insofern nicht zur Heirat.


Mailand Zürich.


Juni 1890.

Frank Wedekind schrieb am 23. November 1891 in Lenzburg folgende Widmung
an Karl Henckell

[FotoDie Erstausgabe von „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“ im Verlag Jean Groß in Zürich wurde mit dem Hinweis „Bildnis“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 271, 23.11.1891, S. 7009] angezeigt. Bei dem Bildnis handelt es sich um ein Foto des Ölporträts, das Käthe Juncker von Wedekind gemalt hat; in der Erstausgabe ist darunter ein Faksimile seiner Unterschrift gesetzt [vgl. KSA 2, S. 772], ebenso in der 2. Auflage im Verlag Caesar Schmidt in Zürich, deren Meldung als Neuerscheinung denselben Hinweis auf ein „Bildnis“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 62, 16.3.1894, S. 1663] enthält. Da die faksimilierte Unterschrift der Buchausgaben des Dramas im Faksimile in Karl Henckells „Buch der Saat“ (siehe zum Erstdruck) fehlt und stattdessen die Widmung unter das Bild gesetzt ist, ist hier entweder retuschiert und umgestellt worden (was wahrscheinlich ist, wobei eher die Erstausgabe als Grundlage anzunehmen ist, da Wedekind noch abgekürzt seinen Vornamen Franklin schreibt) oder es handelt sich um einen mit der Widmung versehenen Abzug des Fotos (auch dieser wäre eher 1891 anzusetzen).]

ALBERTvermutlich der Name des Fotografen (nicht ermittelt).


Seinem lieben Karl Henckell
Fr. WedekindWedekind hielt sich im Herbst 1891 in Lenzburg auf, Karl Henckell in Zürich..

Karl Henckell schrieb am 1. Januar 1893 in Zürich
an Frank Wedekind

[1. Hinweis und Zitat in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 7.1.1893 aus Paris:]


Eine reizende Neujahrskarte erhielt ich von Carl Henckell. Er schreibt mir „in aller Freundschaft“ zurückgreifend auf die Tage unserer ersten Begegnung.


[2. Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Henckell vom 9.1.1893 aus Paris:]


[...] Dank für deine liebe freundliche Carte.

Frank Wedekind schrieb am 9. Januar 1893 in Paris folgenden Brief
an Karl Henckell

BabylonWedekind bezeichnet Paris als Babylon – die sagenhafte antike Stadt hatte durch die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel [vgl. 1. Mose 11, 1-9] einen sprichwörtlichen Ruf als ‚Sündenbabel‘, ein Motiv, das Wedekind weiter unten im Brief mit der ironischen Rede von den „Pariser Sünden“ wieder aufgreift., 4. rue Crébillon

9.I.93.


Lieber Carl,

herzlichen Dank für deine liebe freundliche Cartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Henckell an Wedekind, 1.1.1893. „Die Neujahrskarte ist verschollen.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 164]. Sie kam im richtigen Moment um mir eine wahre Herzensstärkung zu sein. Der erste Eindruck war darum doch eine Enttäuschung. Ich erkannte kaum deine Schrift, als ich als natürlich voraussetzte, du zeigest mir deine Ankunft an. Warum kommst du nicht? Das Beste hat man ja umsonst und das Käufliche kriegt | man bald genug satt. Theater und Concerte sind hier nicht theurer als in Zürich. Gerade für dich, der du die Eindrücke so rasch verarbeitest wäre ja jeder Moment, jede Straßenecke, jeder Schritt den du vor die Thüre tust ein Stück des gehaltvollsten RohmaterialsWedekind spricht hier dezidiert den an realistischer Beschreibung der Wirklichkeit interessierten Naturalisten Karl Henckell an.. Ich weiß nicht ob ich noch lange hierr bleiben kann. Ich gäbe viel darum alles was ich gesehen auch noch einmal an deiner Seite zu sehen. Fürchte nicht, ich würde den lästigen Fremdenführer machen. Ich habe den direkten intuitiven naiven Genuß zu hoch schätzen gelernt. Es vergeht kein Tag wo nicht eine der wenigen | Theorien, die ich mir überhaupt je gemacht, hinfällig Abschied nimmt. Vielleicht muß man Fremder sein, damit e/E/inem hier der Horizont so gewaltsam auseinander gerissen wird. Das glaub ich bestimmt, daß man Paris nicht verläßt ohne einen Schatz fürs Leben mit sich zu nehmen. Man wird nicht blasirt. Die Dinge sind ja überall die nämlichen. Hier aber kann man lernen ihnen mit jedem Tag eine neue Seite abzugewinnen. Die Pariser selber haben keinen Überfluß an Material. Aber welch ein Überfluß muß sich ergeben, wenn man mit einer derartigen Praxis wieder in | unsere jedenfalls um vieles vielseitigeren Verhältnisse zurückkehrte. ‒ Ich scheine doch noch immer keinen Mangel an Theorien zu leiden.

Von der Verlobung deiner Schwester„Berthchen“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 7.1.1893] hat sich verlobt – Bertha Henckell „heiratete den Kölner Kaufmann Karl Keydel“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 164]. hat mir Mati schon geschriebenHinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 23.12.1892., ohne mir zu schreiben mit wem sich deine Schwester verlobt hat. Du läßt es mich vielleicht gelegentlich wissen. Ich möchte deiner Schwester sehr gerne gratulieren und das kann ich doch so mit dem besten willen nicht gut thun, wenigstens nicht formell. Dessen ungeachtet bitte ich dich, wenn Du sie siehst ihr meine herzlichsten Glückwünsche übermitteln zu wollen. Ebenso neu war es mir, daß Mama | Lenzburg verlassen hat. Ich erfuhr es erst vor wenigen Tagen durch einen Brief von ihrnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 6.1.1893. selber demzufolge sie sich in Dresden nach den überstandenen StrapazenEmilie Wedekind hatte nach dem Tod ihres Gatten im Vorjahr in Lenzburg mit der mühseligen „Abwicklung [...] der Erbteilung einschließlich des Verkaufs von Schloss Lenzburg“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 161] zu tun gehabt und ist anschließend Ende 1892 zu ihrer Tochter Erika Wedekind nach Dresden gereist, wo sie dann einige Zeit wohnte. behaglich und wohl zu fühlen scheint.

Zu Weihnachten erhielt ich einen sehr hübschen Brief von Erich Hartlebennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Otto Erich Hartleben an Wedekind, 22.12.1892., von in dem er mir seine Freundschaft ankündigt. Er schickte mir zugleich seinen Pierrot LuneeDer Gedichtzyklus „Pierrot Lunaire“ (1884) des belgischen Lyrikers Albert Giraud ist in der deutschen Übersetzung von Otto Erich Hartleben vordatiert auf 1893 in dem am 1.10.1892 von Paul Scheerbart in Berlin gegründeten Verlag Deutscher Phantasten erschienen.. Was meine eigenen Arbeiten betrifft, so webe ichAuftakt der Anspielung auf den Mythos der Penelope in der Beschreibung der Arbeit an der Schauertragödie „Die Büchse der Pandora“ (siehe unten). seit ich mein BalletWedekinds französischsprachige Ballett-Pantomime, die er in Paris nach seiner Rückkehr aus Lenzburg am 12.9.1892 geschrieben hat – „ein Ballet für Follie Bergers“ [Tb 8.12.1892], für das Pariser Cabaret Les Folies Bergères – und die „Anfang November vollendet war“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 161]: „Les Puces. La Danse de Douleur. Ballet-pantomime en trois tableaux“ [KSA 3/I, S. 9-21]; die Ballett-Pantomime ist im Manuskript überliefert [vgl. KSA 3/II, S. 751], wurde aber erst 1897 und 1914 in der deutschen Fassung „Die Flöhe oder Der Schmerzenstanz“ gedruckt [vgl. KSA 3/II, S. 750, 752]. fertig habe und auf die Musik warteWedekind wartete umsonst auf die Noten zu seiner Ballett-Pantomime „Les Puces“ (frz. „Die Flöhe“) – für deren Begleitmusik hatte er vergeblich versucht, den französischen Komponisten Raoul Stéphane Pugno zu gewinnen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 161; KSA 3/II, S. 765f.]; „auch seine Hoffnung, Richard Strauss könnte sich für eine Vertonung der ‚Flöhe‘ interessieren, zerschlug sich.“ [KSA 3/II, S. 765], an/w/ieder an einem Gewand | der Penelopeein Gewand, das ein Leichentuch ist; Anspielung auf den Mythos der Penelope, der Gattin des Odysseus, „die zwei Jahrzehnte treu auf ihren Mann wartet. In dieser Zeit macht ihr eine Vielzahl von Freiern den Hof, die sie sich in den letzten drei Jahren durch das Weben eines Leichentuchs, das sie nachts immer wieder auftrennt, vom Leibe hält.“ [Brodersen/Zimmermann 2006, S. 453] Wedekind beschreibt mit diesem Bild seine Arbeit an der Schauertragödie „Die Büchse der Pandora“ (1894), die wohl schon zum Zeitpunkt der Niederschrift des 1. Aktes diesen Titel tragen sollte [vgl. KSA 3/II, S. 853]; mit dem Leichentuchweben der Penelope klingt eine durch den Sexualdiskurs begründete Todesmotivik an, die sich in dem von Wedekind ebenfalls erwogenen Titel „Staub“ findet – in dem im sogenannten „Stollberg-Manuskript“ überlieferten Titelblatt-Entwurf „STAUB. Eine Tragödie“ [vgl. KSA 3/II, S. 857].. Du kennst ja mein Faible für das nächtliche AufrebbelnFinale der Anspielung auf den Mythos der Penelope in der Beschreibung der Arbeit an der Schauertragödie „Die Büchse der Pandora“ (siehe oben).. Es gieb wird eine fünfactige ac/Sch/auertragödie wenn es je etwas wird. Über den ersten AktDie Niederschrift des 1. Akts der fünfaktigen Monstretragödie „Die Büchse der Pandora“ (1894) war am 4.12.1892 abgeschlossen [vgl. KSA 3/II, S. 833]. bin ich noch nicht hinausgekommen. Weißt Du vielleicht wie es mit Bierbaums MusenalmanachDer erste Jahrgang der von Otto Julius Bierbaum herausgegebenen Anthologie – „Moderner Musen-Almanach auf das Jahr 1893. Ein Sammelbuch deutscher Kunst“ (1892) – sollte spätestens zu Weihnachten 1892 erscheinen, wie Wedekind wusste [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 7.7.1892], aber offenbar noch kein Exemplar in Händen hielt, obwohl der Band inzwischen im Verlag Dr. E. Albert & Co. in München erschienen war [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 290, 14.12.1892, S. 7741]. Die von Wedekind für diesen Band eingesandten Gedichte sind nicht darin enthalten. Der zweite und letzte Band der von Otto Julius Bierbaum herausgegebenen Anthologie – „Moderner Musen-Almanach auf das Jahr 1894. Ein Jahrbuch deutscher Kunst“ (1893) – enthält dann einen Teilabdruck von Wedekinds vielleicht bereits seit dem Sommer 1887 in Zürich, wahrscheinlich aber erst seit dem Winter 1888/89 in Lenzburg [vgl. KSA 2, S. 1135f.] entstandener Verskomödie „Elin’s Erweckung“ [KSA 2, S. 455-595], nämlich ein Auszug aus der 2. Szene [vgl. KSA 2, S. 1144] unter dem Titel „Bruchstück aus der Komödie ‚Elin’s Erweckung‘“ [KSA 2, S. 507-514]; die Verskomödie ist teilweise in Zusammenarbeit mit Karl Henckell entstanden [vgl. KSA 2, S. 1136, 1140f.]. steht? Bierbaum soll wie man mir aus Amerika schreibtHinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Hans Richard Weinhöppel an Wedekind, 1.1.1893. schwer krank sein. Ich habe seit Jahr und Tag nichts mehr von ihm gehörtvgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 10. bis 15.10.1892..

Meinen besten Dank für dein Aus meinem LiederbuchKarl Henckell muss Wedekind seinen neuen Lyrikband „Aus meinem Liederbuch“ (1892), der einige Wochen zuvor im Verlag E. Albert & Co. in München erschienen ist [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 275, 26.11.1892, S. 7301], angekündigt haben – auf der nicht überlieferten Neujahrskarte (siehe oben).. Ich habe es noch nicht erhalten sonst würde ich dir darüber | schreiben können. Ich werde es nicht unterlassen. Mein Leben fließt momentan in absoluter Stille dahin. Meine drei Weibernicht sicher identifiziert; gemeint waren möglicherweise Rachel Decoulange, Henriette Joli, Fernande (Nachname unbekannt), alle drei Frauen zwischen dem 3. und 24.12.1892 nur mit ihren Vornamen von Wedekind häufiger notiert [vgl. Tb]. hab ich mir glücklich vom Halse geschafft. In dieser Hinsicht habe ich Paris überwunden. Damit bin ich aber auch so ziemlich zum Einsiedler geworden. Vor wenigen Wochen beglückte Morgenstern ParisWilly Rudinoff (Geburtsname: Willy Morgenstern) trat im Cirque d’Hiver auf, wo Wedekind, der 1890 in München von ihm gezeichnet worden ist und seitdem mit dem Universalkünstler befreundet war, am 5.12.1892 im Publikum saß und sich in der Pause, nach dem Zwischenakt und nach der Vorstellung mit ihm traf, nachdem der Freund ihn erkannt und ihm einen Zettel geschrieben hat [vgl. Willy Rudinoff an Wedekind, 5.12.1892]. Seine letzte Vorstellung in Paris, die Wedekind ebenfalls besuchte, gab er wohl am 22.12.1892, wie Wedekind, der anschließend noch eine lange Nacht mit ihm verbrachte, notierte: „Stehe gegen 9 Uhr Abend auf, dinire und gehe in den Circus. Ich hatte Morgenstern versprochen hinzukommen. [...] Beim Abschiednehmen lädt mich Morgenstern auf Montag Mittag zum Frühstück ein.“ [Tb] Dieser Montag war der 26.12.1892, wahrscheinlich Willy Rudinoffs Abreisetag von Paris. mit seinen SchattenbildernWedekind notierte am 5.12.1892 über Willy Rudinoffs Bühnenprogramm im Cirque d’Hiver: „Seine Schattenbilder haben, so bescheiden sie sind, den meisten Beifall geerntet. Einen Kuß der darin vorkommt markirt er als Vogelstimmenimitator.“ [Tb]. Er war im Cirque d’Hiver mit 1000 frs monatlich engagirt und arbeitet gegenwärtig in Lion bei RancyWedekind notierte am 21.12.1892 über Willy Rudinoffs anstehendes Engagement am Cirque Rency in Lyon: „Für den nächsten Monat ist er zu Rency in Lion engagirt.“ [Tb] Und am 22.12.1892: „Frau Rubini, eine Agentin in Paris hat Morgenstern sein Engagement zu Ranci vermittelt.“ [Tb] für 2000 frs. Wir verlebten einige glückliche AbendeWedekind verbrachte mit Willy Rudinoff in Paris nachweislich die Abende (oder begegnete ihm auch schon tagsüber) am 5.12.1892, 7.12.1892, 8.12.1892, 11.12.1892, 21.12.1892 und 22.12.1892 [vgl. Tb]. zusammen, meistens in CircusgesellschaftWedekind notierte am 22.12.1892 im Tagebuch ausführlich den Besuch von zwei Pariser Lokalen, in denen Zirkusartisten verkehrten, insbesondere seine Bekanntschaft dort mit einem ‚dummen August‘ (Clown), einem Wildkatzenbändiger und einer Balletteuse [vgl. Hay 1986, S. 255-258]., unter BaleteusenSchreibversehen (oder französisierende Schreibweise), statt: Balletteusen (= Balletttänzerinnen)., Kunstreitern, Schlangenmenschen, | Katzenbändigern, AtletenSchreibversehen, statt: Athleten., dummen Augusten und anderem Gelichterabwertende Bezeichnung für eine Gruppe von Menschen aus einem Milieu (hier: des Zirkus); Gesindel.. Mein treuer Genosse Weinhöppel ist mit seiner SchülerinDie Gesangsschülerin war wohl Wilma Schedlbauer, die dann 1894 unter ihrem Pseudonym Vilma Bertani Volontärin an der Oper des Großherzoglichen Hoftheaters in Darmstadt war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1895, S. 333]. „In der Oper wurde Wilma Bertani (recte Schedlbauer) aus München, eine Anfängerin, mit kleinen Partien betraut.“ [Hermann Knispel: Das Großherzogliche Hoftheater zu Darmstadt 1810-1910. Darmstadt 1910, S. 88] Hans Richard Weinhöppels Gesangsschülerin ist ihm von München nachgereist und kam am 14.6.1892 in Paris an, wie Wedekinds Tagebuch vom 21.5.1892 und 13.7.1892 zu entnehmen ist; sie ist namentlich erwähnt am 21.6.1892 („Frl. Schedelbauer mit herunterhängender Nase und schiefen Augen ist geradezu gewöhnlich“), am 29.7.1892 („Nach dem Diner suche ich Weinhöppel auf [...]. Er musicirt mir einiges vor. Darauf bitte ich Frl. Schedelbauer zu singen. Ihr Gesang versöhnt mich vollkommen mit ihrer unglücklichen Erscheinung“) und am 1.8.1892 („Gehe Abends nach Moulin rouge und treffe dort unversehens Weinhöppel mit seiner Schülerin. Frl. Schedelbauer [...] wird die Vorstellung nicht los daß ihr Richard in den Armen einer andern liege. [...] Weinhöppel hat sie barbarisch gut gezogen. Sie würgt ihre Eifersucht hinunter [...]. Sie läßt jede Demüthigung jede Rohheit über sich ergehen“). nach Amerika gegangenDer eng mit Wedekind befreundete Musiker und Komponist Hans Richard Weinhöppel war 1892 bis 1896 „Dirigent an der Opéra Française in New Orleans“ [Nottscheid 2008, S. 396]. Wedekind hatte ihn am 22.7.1889 in München kennengelernt [vgl. Tb]. Er ist in den Pariser Tagebüchern des maßgeblichen Zeitraums (erhalten sind hier Einträge vom 30.4.1892 bis 3.8.1892 und vom 3. bis 24.12.1892) oft erwähnt, erstmals am 30.4.1892 („Mit [...] Weinhöppel zum Essen, darauf ins Casino de Paris, wo Weinhöppel seine Augen wie zwei Wolfsrachen aufreißt“), dann nach häufigen weiteren Erwähnungen am 3.8.1892 („Darauf gehe ich zu Weinhöppel“), schließlich am 21.12.1892 („Adele [...] fragt nach meinem Freund. Ich sage er sei in Amerika, in New-Orleans“), zuletzt im Rückblick am 22.12.1892, als Wedekind dem Universalkünstler Willy Rudinoff ein Erlebnis mit dem Freund erzählt („Als wir beim Restaurant de la Rotonde vorbeikommen erzähle ich Morgenstern das Abenteuer das ich dort eines Abends mit Weinhöppel hatte. Es war an einem der letzten Tage vor seiner Abreise in die neue Welt“). Wann genau Hans Richard Weinhöppel von Paris abreiste, um in New Orleans seine Stelle anzutreten, ist unklar. Es dürfte im Herbst 1892 gewesen sein. Wedekind jedenfalls notierte am 3.12.1893 über seinen Umgang mit Carl Muth (notgedrungen aus Mangel an Gesellschaft): „Was mich an ihn fesselt, ist der Umstand, daß seit Weinhöppels Abreise oft 14 Tage vergehen, ohne daß ich mit einem Menschen zusammenkomme.“ [Tb] wo er als Chordirigent bei kläglichem Salair für seine Pariser SündenRichard Weinhöppel hat 1892 in Paris ein ausschweifendes Sexualleben geführt, wie Wedekinds Pariser Tagebüchern zu entnehmen ist. Buße thut.

Ich hoffe zu Gott daß Du mir nun auch mal schreibst ‒ wenn Du nicht bald kommst. Du hast mit der Wurst nach dem Schinken geworfen und wirst es nicht dabei bewenden lassen wollen. Meine Gedanken sind nicht selten bei dir Ich mache mir auch hin und wieder das Vergnügen, an Hand von deinen AmselrufenKarl Henckells im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) in Zürich veröffentlichter Gedichtband „Amselrufe“ (1888) [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 57, 9.3.1888, S. 1211] enthält „mehrere Gedichte“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 123], die an Erika Wedekind gerichtet sind, Arthur Kutscher zufolge [vgl. Kutscher 1, S. 143] zwei an Frank Wedekind gerichtete Gedichte – unbetitelte Verse [vgl. Karl Henckell: Amselrufe. Neue Strophen. Zürich 1888, S. 64f.] und das Gedicht „Uetli“, in dem er als „Brüderchen Baby“ [ebd., S. 101] bezeichnet ist – sowie ein Gedicht an die Mutter: „Widmung an Frau Emilie Wedekind auf Schloß Lenzburg“ [ebd., S. 151]. | den ganzen herrlichen Sommer 87Karl Henckell und Wedekind hatten den Sommer 1887 gemeinsam in Zürich verbracht, wo beide studierten. mit all seinen Verrücktheiten, seinen Spielereien, seiner harmlosen Unschuld, seinem blauen Himmel, seinen Ausflügen, freventlichen Versäumnissen, Küssen, Thränen, Scenen, Verwicklungen, mit seiner rührenden Komik, seinem unendlichen Geistesflug, seiner göttlichen Faulenzerei wieder Revue passiren zu lassen. Ich bin zwei Mal Kind gewesen, und das zweite Mal danke ich dir. Glaub mir auch daß ich es hoch genug anzuschlagen weiß, daß wir gerade in den letzten Jahren unseres Zusammenseins auf dem SchlosseKarl Henckell war 1886/87 „als gern gesehener Gast“ [Kutscher 1, S. 140] oft auf Schloss Lenzburg, „wöchentlich“ sei er „zum Schloss hinauf“ gestiegen, „auch wegen Franklins jüngerer Schwester Erika, um bei einem Glas Wein [...] über Literatur, Kunst und Politik zu palavern.“ [Vinçon 2014, S. 39] Er hat sich am 29.5.1887 in Lenzburg mit Erika Wedekind verlobt, was „auf Schloss Lenzburg nicht auf Beifall stieß“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 123]; die Verlobung wurde bald wieder gelöst. – Wedekind und er jedenfalls haben sich im Sommer 1886 dort kennengelernt und angefreundet. „Die jungen Schriftsteller lasen einander ihre Werke vor, machten gemeinsame Ausflüge und schlossen sich in einer fürs Leben währenden Freundschaft zusammen.“ [Kutscher 1, S. 143] dich dabei hatten, der Du uns | so manches Schöne aus jener Zeit für alle Zeiten gewährt hast. Über andere Dinge, derentwegen wir uns in den Haaren lagen, hab ich indessen auch anders denken gelernt. Demgemäß kam mir dein Gruß „in alter FreundschaftZitat aus der nicht überlieferten Neujahrskarte Karl Henckells (siehe oben). Wedekind zitierte die Stelle auch im Brief an seine Mutter [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 7.1.1893].“ wie aus der eigenen Brust, ich meine, wenn es dir ein Bedürfniß war, so ist es mir das gewiß nicht minder. Empfange nochmals meinen innigsten Dank dafür.

Und nun leb wol/h/l. Mein Kaminfeuer ist am Ersterben, schickt dir aber doch die besten/wärmsten/ Grüße. Ebenso meine Guitarre. Herzliche Grüße an TomarElias Tomarkin, der mit Wedekind befreundete Medizinstudent in Zürich, den er 1887/88 im Züricher Kreis um Carl Hauptmann und Karl Henckell kennengelernt hat [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 132] und dessen Name die Figur Elias in der Verskomödie „Elin’s Erweckung“ mitinspiriert haben dürfte [vgl. KSA 2, S. 1187], hat Wedekind dann auf seiner Durchreise nach London in Paris besucht – nachweislich haben die Freunde sich am 28.3.1893 in Paris gesehen [vgl. Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893].. Auf baldiges Wiedersehen. Dein Franklin.

Frank Wedekind schrieb am 29. März 1893 in Paris folgende Visitenkarte
an Karl Henckell

Paris 29.III.93.


Lieber Carl,

ich habe dir noch für dein BuchKarl Henckells neuer Lyrikband „Aus meinem Liederbuch“ (1892) war inzwischen bei Wedekind eingetroffen, der das Buch im letzten Brief noch erwartet hatte [vgl. Wedekind an Karl Henckell, 9.1.1893]. nicht gedankt, so großen Genuß es mir bereitet. In Herrn Carl Muth empfehle ich dir einen verständnißvollen VerehrerWedekind hat dagegen am 3.12.1892 über Carl Muths Verständnis von Karl Henckells Gedichtband „Diorama“ (1890) notiert: „In Henckells Diorama findet er nur diejenigen zwei Gedichte schön, auf die ich ihn zufällig aufmerksam gemacht habe.“ [Tb] Deiner Dichtungen, einen lieben FreundWedekinds Charakterisierung seines Bekannten Carl Muth im Tagebuch, mit dem er lediglich verkehrte, da er nach der Abreise seines Freundes Hans Richard Weinhöppel von Paris Gesellschaft vermisste, spricht dagegen eine andere Sprache [vgl. Hay 1986, S. 224-234, 247f., 252]; so notierte er zum Beispiel am 3.12.1892 über den Antisemiten und dessen Neigung zum Opportunismus: „Er ekelt mich an, daß ich mich versucht fühle ihm den Laufpaß zu geben. [...] Ich sage ihm, ein anständiger Mensch sei kein Antisemit und ein Antisemit kein anständiger Mensch, worauf er seinen Antisemitismus einschränkt, behauptet, es sei eine Gefühlssache, der noch die richtige Bezeichnung fehle, er möchte es Nationalismus nennen.“ [Tb] Oder am 21.12.1892: „Ich gehe nach Hause um zu arbeiten, bald aber stellt sich Herr Muth ein. Nach einigen nichtssagenden Worten beißt er den Chauvinisten heraus und ich ereifre mich ihm gegenüber. Wir schließen mit einem inhaltslosen Zank über die Worte Sinnlich und Geil.“ [Tb] von mir und | zukünftigen RedacteurCarl Muth war zwar in Paris und Rom bereits Korrespondent für das „Mainzer Journal“ (er schrieb dort unter dem Kürzel „C. M.“) [vgl. Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893], er sollte aber nach einem Volontariat 1893 bei der katholischen Zeitung „Germania“ in Berlin 1894 Redakteur der Straßburger Tageszeitung „Der Elsässer“ werden, als solcher dann auch erstmals als Journalist in Neuburg bei Straßburg im Elsass bei Joseph Kürschner verzeichnet [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1995, Teil II, Sp. 863]., der um seinen Beruf um so gewissenhafter erfüllen zu können, vorher noch einmal die Welt durchwandertWedekind hat am 3.12.1892 über Reisen Carl Muths, der eigentlich Missionar werden wollte, notiert: „Er ist in den Niederlanden, in Spanien in Italien und Africa gewesen, ohne daß ihm was Bemerkenswerthes dabei aufgefallen wäre.“ [Tb]. – Bei Thomars BesuchDer mit Wedekind und Karl Henckell befreundete Züricher Medizinstudent Elias Tomarkin hat Wedekind auf seiner Durchreise nach London am 18.3.1893 in Paris besucht [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 20.3.1893]; er heiratete am 21.3.1893 in London die 25jährige Jeannette Althausen aus Wilna, am 6.4.1893 kam in London der gemeinsame Sohn Percy Henry Bysshe Tomarkin zur Welt [vgl. Rogger/Herren 2021, S. 186]. Elias Tomarkin besuchte Wedekind dann nochmals auf der Rückreise; die Freunde haben sich nachweislich am 28.3.1893 in Paris gesehen [vgl. Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893]. habe ich herzlich bedauert daß du nicht mitgekommen. Mich zieht mein Herz jetzt nach EnglandWedekind reiste dann Monate später in der Tat nach England, am 23.1.1894 nach London [vgl. Tb], wo er etwa ein halbes Jahr blieb und dann nach Paris zurückkehrte.. – Mit den besten Grüßen dein treuer Fr.W.


BENJ. FRANK WEDEKIND


4, rue Crébillon

Frank Wedekind schrieb am 17. April 1894 in London folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Henckell

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 28.4.1894 aus Zürich:]


Henckell freute sich sehr über das Telegramm, das aber jedenfalls defect hier angekommen ist, indem dessen Sinn niemand herausbrachte.

Karl Henckell schrieb am 28. Januar 1895 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Henckell vom 29.1.1895 aus Berlin:]


[...] Dank für das schöne Geschenk.

Frank Wedekind schrieb am 29. Januar 1895 in Berlin folgenden Brief
an Karl Henckell

BerlinWedekind, der davor lange in Paris und zwischenzeitlich in London war, traf am 20.1.1895 in Berlin ein [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 169]. Dem Briefinhalt zufolge dürfte sich Karl Henckell ebenfalls in Berlin aufgehalten und den Brief dort empfangen haben; als Schriftsteller verzeichnet war er in Zürich (Mühlebachstraße 90) [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1895, Teil II, Sp. 494]. 29.I.94Schreibversehen, statt: 95. ‒ Wedekind war am 29.1.1895 seit einigen Tagen in Berlin (im Vorjahr dagegen, am 29.1.1894, war er seit einigen Tagen in London)..

Schumannstraße 9.


Lieber Freund,

herzlichen Dank für das schöne GeschenkHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben (oder eine Widmung) zu einer Buchsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Henckell an Wedekind, 28.1.1895. ‒ Bei dem Geschenk handelte es sich um ein Exemplar von Karl Henckells im Vorjahr im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) in Zürich veröffentlichten Lyrikband „Zwischenspiel“ (1894) [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 89, 19.4.1894, S. 2392], der, eröffnet mit einem Widmungsgedicht „An Tormarkin in Zürich“ (nicht paginiert), ein explizit an Wedekind gerichtetes Gedicht enthält: „Elodie (An Franklin Wedekind.)“ [Karl Henckell: Zwischenspiel. Zürich 1894, S. 19f.]. Sobald ich ExemplareWedekind erwartete Exemplare der im Vorjahr im Verlag Caesar Schmidt in Zürich erschienenen 2. Auflage von „Frühlings Erwachen“ (1894) [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 62, 16.3.1894, S. 1663]; ein Exemplar davon war als Gegengabe zu Karl Henckells „Zwischenspiel“ (1894) vorgesehen (siehe oben). Beide Bände enthalten als Frontispiz ein Bildnis ihrer Verfasser. Die Erstausgabe von „Frühlings Erwachen“ (1891) im Verlag Jean Groß in Zürich dürfte der Freund seinerzeit mit einer Widmung erhalten haben [vgl. Wedekind an Karl Henckell, 23.11.1891]. bekomme, soll es mir eine Freude sein, Dir mein Fr.E.„Frühlings Erwachen“ – Karl Henckell hat das Stück besprochen [vgl. KSA 2, S. 868]: „‚Frühlingserwachen!‘ Unter diesem säftestrotzenden Titel ist vor einigen Jahren hier in Zürich eine in dialogischer Form gehaltene Dichtung erschienen, die der Verfasser, Frank Wedekind, „eine Kindertragödie“ nennt und damit schon ausreichend als ein Erzeugnis von seltener ungewöhnlicher Neuart einführt. [...] Auf dem Umschlag des Buches befindet sich ein Titelbild von Franz Stuck: graziöse, schlanke Blütenstengel auf lichtem Anger und zwei die ersten Blätter ansetzende Bäumchen, in deren grünem Stamm man die weißen Lebenssäfte emporsteigen sieht, im Vordergrund; zwei Schwälblein in der Luft und eine dunkle, geheimnisvoll-melancholische Hügelkette im Hintergrund. Frühlingserwachen! Es ist nur eine bisher, aber eine schwerwiegende Gabe moderner Dichtung, die uns Frank Wedekind mit diesem seinem dramatischen Jugendspiegel bescheert hat. Der Titel ist symbolisch. Auch die Kinder des Menschengeschlechts, Mägdlein wie Knaben, feiern einmal zuerst mit aller Gewalt ihr ebenso individuelles wie typisches Frühlingserwachen, und aus dieser jugendlichen Lebensperiode, wo das bewußte Unbewußte sich seiner Unbewußtheit bewußt wird, wächst die hochoriginelle, mit echter Stimmung und wahrem Lebensgehalt gesättigte, dabei phantastisch barocke Dichtung des merkwürdigen Wedekind hervor. Sie ist einem mysteriösen, auch in der Dichtung auftretenden „vermummten Herrn“ gewidmet, sie könnte sämtlichen vermummten oder nicht vermummten Herren Pädagogen zugeeignet sein, denn erzieherische Probleme von ernstester Bedeutung sind in ihr dichterisch angeschlagen, und ein denkender Leser – Wedekind ist kein Dichter für geistige Minderjährigkeiten – wird lange, lange dem schwermütigen Banne dieser traurig fragenden Tragödie erliegen. [...] da ich mich an dieser Stelle mit flüchtigsten Andeutungen begnügen muß, so sei nur noch das Eine gesagt, daß man diese ganz selbständige, jedes litterarischen Schulbegriffs spottende Dichtung eines geistreichen philosophischen Kopfes im großen Ganzen die moderne Klapperstorchtragödie nennen könnte, sintemal die intimen Beziehungen besagten Kirchturmlangbeins zum menschlichen Leben in ihr eine zwar weniger erheiternde, als erschütternde Rolle spielen.“ [Karl Henckell: Moderne Dichterabende. Zwanglose Zitatenplaudereien. Leipzig, Zürich 1895, S. 94f.] Es folgen Hinweise auf die Erstrezeption und den Ruf nach Zensur durch die Presse. zu schicken. Ich bitte dich, mich für Morgen zu entschuldigen. Ich bin in’s Theaternicht sicher ermittelt; es könnte sich um das Deutsche Theater (Direktion: Otto Brahm) gehandelt haben, das Wedekind am 30.1.1895 besuchte, da er bald darauf – im Frühjahr 1895 – dem Deutschen Theater in Berlin sein Drama „Der Erdgeist“ im Manuskript eingereicht und somit für eine Aufführung angeboten hat, wenn auch ohne Erfolg [vgl. Wedekind an Otto Brahm, 17.8.1895]. geladen. Dagegen wäre ich dir dankbar wenn du in den nächsten Tagen vielleicht eine Nachtstunde für mich frei wärst, in einem Café gegen 11 Uhr23 Uhr., wo man intimer | sprechen könnte als es im Kellerklubhier kein Name eines Lokals, sondern ein bestimmter Typ von Lokal (wohl ein Bierkeller – im Kontrast jedenfalls zu einem Café). möglich ist. Vielleicht schreibst du mir eine Carte.

Mit herzlichen Grüßen Dein
Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 9. April 1896 in München folgenden Brief
an Karl Henckell

9.IV.1896.


Lieber CarlKarl Henckell lebte in Zürich (V, Mühlebachstraße 90) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1896, Teil I, S. 203].,

Herr Langen läßt Dich bitten, uns doch lyrische BeiträgeGedichte Karl Henckells sind in der von Albert Langen herausgegebenen und verlegten illustrierten Münchner Wochenschrift „Simplicissimus“ nicht nachweisbar. Das erste Heft – eröffnet mit Wedekinds Erzählung „Die Fürstin Russalka“ [vgl. Simplicissimus, Jg. 1, Nr. 1, 4.4.1896, S. 1-3] – war soeben erschienen und enthält Gedichte von Richard Dehmel, Theodor Wolff, Georg Herwegh, Carl Busse. Das zweite Heft enthält Wedekinds Gedicht „Ein letztes Ende“ [vgl. Simplicissimus, Jg. 1, Nr. 2, 11.4.1896, S. 2] sowie Gedichte von John Henry Mackay, Mia Holm und Otto Erich Hartleben. Wedekind war von Anfang an stark mit Beiträgen – vor allem mit Gedichten – im „Simplicissimus“ vertreten. zum Simplicissimus zu schicken. Herr Langen kennt Deine Gedichte sehr gut und schätzt die Perlen daraus als das Höchste der modernen Lyrik. Humoristische Gedichte im Stil des MaimarkSchreibversehen oder Übertragungsfehler, statt: Maimarkt. Gemeint ist das Gedicht „Maimarkt“ [vgl. Karl Henckell: Diorama. Zürich 1890, S. 71f.]., des Professors BilleterGemeint ist nicht der Lehrer Karl Billeter in Zürich (II, Seestraße 374) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1895, Teil I, S. 39], sondern das von seiner Person angeregte Gedicht „Herr Professor“ [vgl. Karl Henckell: Diorama. Zürich 1890, S. 125-127]; Fritz Strich hat zu der Stelle angemerkt: „Wedekind setzte den Namen des auch ihm bekannten Modells, eines Züricher Originals ein.“ [GB 1, S. 355] wären sehr willkommen. Bitte, grüße die Züricher aufs beste von mir, vor allem Thomarder mit Wedekind und Karl Henckell befreundete Elias Tomarkin in Zürich (V, Florastraße 50) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1895, Teil I, S. 469]..

Mit bestem Gruß Dein alter
Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 10. Juli 1896 in München folgenden Brief
an Karl Henckell

München, 34. Adalbertstraße.
X. Juli 96.


Lieber FreundKarl Henckell lebte in Zürich (V, Mühlebachstraße 90) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1896, Teil I, S. 203] und war dort nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Verleger und Herausgeber verzeichnet [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1897, Teil II, Sp. 521].,

ich schicke dir hier den Briefnicht überlieferte Beilage. der betreffenden Damenicht identifiziert; dem Brief liegt kein Brief der Dame aus Paris mehr bei. in Paris. Mit Scharf bin ich auch nicht zusammengekommenLudwig Scharf lebte seinerzeit noch in München (Wilhelmstraße 3e) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1896, Teil II, S. 539]., werde mich aber nächster Gelegenheit nach seiner Arbeit erkundigen und dir schreiben, wie es damit steht.

Leider bin ich mit meinen | eigenen AngelegenheitenWedekinds Dramenprojekt „Das Sonnenspectrum“ war noch immer nicht abgeschlossen [vgl. KSA 3/II, S. 1355-1361], mit der Arbeit an dem Opernlibretto „Nirwana“ begann er „Ende Juli 1896“ [KSA 3/II, S. 1469]. immer le retard(frz.) in Verzug.. Vielleicht schickst du mir GelegentlichSchreibversehen, statt: gelegentlich. einige Druckbogen des rothen HeinrichIn Karl Henckells Verlag (siehe unten) hergestellte Druckbogen des von Elias Tomarkin „lange mit sich herumgetragenen Romans, betitelt ‚Der rote Heinrich‘, der schließlich, d.h. sein erster Teil doch endlich das Licht der Welt erblickte.“ [F.M.: Zürcher Bilder. Zürich und die neuere deutsche Literatur. In: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 135, Nr. 595, 19.4.1914, 3. Sonntagsblatt, S. (1)] Der Roman ist „nie ganz veröffentlicht worden“ [Urner 1976, S. 270f.]. Er erschien unter dem Pseudonym Ernst Thoma unter dem Titel „Eine Lebensgeschichte“ Ende 1897 im Verlag von Karl Henckell in Zürich mit einem Umfang von 379 Seiten [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 297, 22.12.1897, S. 9611] und war erst kurz zuvor angekündigt worden [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 276, 27.11.1897, S. 8894]. Franz Blei, der den Namen des Verfassers nicht nannte, erinnerte sich an „einen, der [...] ein ewiger Student war und unter seinem Bett ein dickes Bündel vollgeschriebener Seiten verbarg, einen Roman ‚Der rote Heinrich‘.“ [Franz Blei: Erzählung eines Lebens. Leipzig 1930, S. 196] Elias Tomarkin in Zürich (V, Florastraße 50) war verzeichnet als „Stud. Med.“ [Adressbuch der Stadt Zürich für 1895, Teil I, S. 469]. Karl Henckell erinnerte sich: „[...] der ‚immer langsam voran‘ pilgernde Königsberger stud. med. Elias Tomarkin“, der „auf der heimlichen Traumeswiese am Zürichberg lustwandelte und an seiner üppig phantasiereichen ‚Lebensgeschichte‘, dem ‚Roten Heinrich‘, seinem ewigen Schmerzenskinde, herumsinnierte und skizzierte, sofern er nicht als klug vermittelnder Weltversöhnungsagent irgendeinem kleinen Stimmungskrach zwischen gemeinsamen Freunden mit väterlicher Überredung würdig auszugleichen suchte.“ [Henckell 1923, S. 272] In den Romantext sind Elis Tomarkins „politische Anliegen eingeflochten: der Sieg der Sozialisten, die Emanzipation der Frauen und der Kampf gegen den Antisemitismus.“ [Rogger/Herren 2012, S. 194; ebd. das Faksimile des Titelblatts]. Grüße Tomar aufs herzlichste. Nächster Tage ist mein GeburtstagWedekinds 32. Geburtstag am 24.7.1896., Ich bin sehr gespannt ob ich bei der Gelegenheit vielleicht etwas über das Befinden meiner lieben Angehörigen erfahre.

Mit den herzlichsten Grüßen an dich und die Deinen und den besten Wünschen zum Gelingen | deiner UnternehmungenKarl Henckell hatte im Vorjahr mit seinem Bruder und zwei Freunden einen Verlag gegründet: „Karl Henckell [...] in Zürich V, Gustav Maier [...] in Zürich V, Gustav Henckell [...] in Lenzburg, und Walter Laué [...] in Düsseldorf haben unter der Firma Karl Henckell & Cie, Verlag der fliegenden Schriften in Zürich V eine Kommanditgesellschaft eingegangen, welche am 18. September 1895 ihren Anfang nahm. Unbeschränkt haftender Gesellschafter ist Karl Henckell und Kommanditäre sind: Gustav Maier, Gustav Henckell, jeder mit dem Betrage von eintausend Franken und Walter Laué mit zweitausend Franken. Herausgabe literarischer Werke. Mühlebachstrasse 90.“ [Schweizerisches Handelsamtsblatt, Jg. 13, Nr. 276, 11.11.1895, S. 1147] Das war im Frühjahr im Fachblatt annonciert worden: „Zürich, April 1896. [...] Wir beehren uns hierdurch die Mitteilung zu machen, daß wir hierselbst unter der Firma Karl Henckell & Comp. eine Verlagsbuchhandlung eröffnet haben. [...] Ueber unsere Unternehmungen werden binnen kurzem Cirkulare zur Versendung gelangen. Hochachtungsvoll Karl Henckell & Comp.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 91, 21.4.1896, S. 2382] Karl Henckell war seit kurzem Mitglied im Buchhandelsfachverband: „In den Börsenverein der Deutschen Buchhändler sind in der Zeit vom 1.‒30. Juni 1896 folgende Mitglieder aufgenommen worden: [...] 5797 [= Nummer in der Mitgliederrolle] Henckell, Karl, in Firma Karl Henckell & Co. in Zürich.“ [Bekanntmachung. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 149, 30.6.1896, S. 3837] Die ersten Bände erschienen.
dein alter
Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 4. Februar 1907 in Berlin folgende Postkarte
an Karl Henckell

RohrRohrpost; damit war eine beschleunigt Zustellung innerhalb Berlins (einschließlich Charlottenburg) garantiert, bei allerdings höherem Porto (die vorliegende Postkarte ist mit Briefmarken von insgesamt 25 Pfennig frankiert; ihr Postweg dauerte den Poststempeln zufolge nur 10 Minuten). „Seit 1877 war die Nutzung des Rohrpostsystems mit Rohrpostkarten zum fünffachen Preis einer regulären Inlandspostkarte, d.h. zu jeweils 25 Pfennigen innerhalb Berlins möglich.“ [Holzheid 2011, S. 228]

Postkarte


An Herrn Karl Henckell
in Charlottenburg
Wohnung (Straße und Hausnummer) Eosanderstrasse 16Karl Henckell, der 1902 von Rüschlikon bei Zürich [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1902, Teil II, Sp. 557] nach Charlottenburg (Kantstraße 42) [vgl. Kürschners deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1903, Teil II, Sp. 543] bei Berlin umgezogen, wohnte in Charlottenburg (Eosanderstraße 16, 1. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 860].. |


Lieber Karl, wie ich eben sehe ist am Freitagder 8.2.1907; an diesem Abend stand in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ auf dem Programm, nicht „Frühlings Erwachen“, Wedekinds erfolgreiche ‚Kindertragödie‘, die dort am 20.11.1906 uraufgeführt worden ist und seitdem fast täglich zu sehen war – inszeniert von Max Reinhardt und mit Wedekind in der Rolle des Vermummten Herrn. Wedekind war am 3.2.1907 zu Besuch bei dem Ehepaar Karl und Anny Henckell – „Nachmittags bei Henkells“ [Tb] – und hatte wohl zwei Theaterkarten für eine Vorstellung von „Frühlings Erwachen“ irrtümlich für den 8.2.1907 verabredet. nicht Frl. Erw, sondern DonnerstagFrank Wedekind notierte am 7.2.1907 die 50. Vorstellung von „Frühlings Erwachen“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters und ein anschließendes Beisammensein mit Tilly Wedekind, Heinrich Welti, Emil Gerhäuser, Karl Henckell und Cäsar Flaischlen in der Weinstube Eugen Steinert: „Frl. Erw. 50. Nachher mit Tilli bei Steinert mit Welti Gerhäuser Henckel und Cäsar Fleischlen.“ [Tb] Da Anny Henckell nicht notiert ist, dürften sie und ihr Mann Karl Henckell „Frühlings Erwachen“ an diesem Abend nicht gesehen haben. und SonnabendFrank Wedekind notierte am 9.2.1907 die 51. Vorstellung von „Frühlings Erwachen“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters und ein anschließendes Beisammensein mit Tilly Wedekind, Karl Henckell, Anny Henckell und Emil Gerhäuser in der Weinstube Eugen Steinert: „Frl. Erw. 51 Abend mit Tilly Henckel Annie Henkel und Gerhäuser bei Steinert.“ [Tb] Da Anny Henckell hier notiert ist, dürften sie und ihr Mann Karl Henckell „Frühlings Erwachen“ an diesem Abend gesehen haben.. Wolltest Du mir also mittheilen, welcher der beiden Tage Dir besser passen würde, damit ich die Plätze belege. Mit der Bitte mich der/FrauAnny Henckel (geb. Haaf) hat Karl Henckell, den sie 1892 auf dem Friedenkongress in Bern kennengelernt hat (sie stammte aus Bern), am 20.4.1897 in Zürich geheiratet. Wedekind dürfte sie bald nach seiner Übersiedlung von München nach Berlin persönlich kennengelernt haben, als er am 3.10.1905 einen Abend mit seinem nun in Charlottenburg (siehe oben) ansässigen alten Freund Karl Henckell verbrachte und sie mit dabei war (außerdem Nathan Sulzberger und Julius Schaumberger): „Abends mit Sulzberger Schaumberger Carl Henkel und Frau.“ [Tb]/ Annie bestens zu empfehlen
Dein alter
Frank


Kurfürstenstraße 125.

Karl Henckell schrieb am 28. Juni 1907 in Charlottenburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Postkarte an Karl Henckell vom 10.7.1907 aus Leipzig:]


[...] besten Dank für deine Karte [...]

Frank Wedekind schrieb am 10. Juli 1907 in Leipzig folgende Postkarte
an Karl Henckell

HOTEL HAUFFE LEIPZIG
Zweiggesch.: Hotel Englischer Hof, Baden-Baden.


Postkarte


An Herrn Karl Henckell
p.a. Herrn Gustav Henckell
ConservenfabrikDie Konservenfabrik in Lenzburg – Gustav Henckell „hatte sich dort im Herbst 1885 niedergelassen, um eine Konservenfabrik zu gründen“ [KSA 1/I, S. 981] – verarbeitete „Gemüse und Obst aus einer vom Betrieb selbst betriebenen Plantage“ [KSA 1/II, S. 1665f.]; ihr späterer Firmenname („Hero“) war gebildet durch den Auftakt der Nachnamen der beiden Inhaber Gustav Henckell und Karl Roth.
in Lenzburg
Schweiz (Ct. Aargau.) |


HOTEL HAUFFE, LEIPZIGWedekind war seit dem 8.7.1907 in Leipzig [vgl. Tb]. den


Lieber Karl, empfange meinen besten Dank für deine Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Henckell an Wedekind, 28.6.1907. Die Postkarte dürfte noch in Charlottenburg geschrieben worden sein, die anstehende Reise in die Schweiz mitgeteilt und ein Treffen in Berlin noch vor der Abreise vorgeschlagen haben., die ich leider erst nach Sonntagder 30.6.1907. Abend bekam, da ich einige Tage in PragWedekind war vom 28.6.1907 (Freitag) bis 1.7.1907 (Montag) zu seinem Gastspiel in „Frühlings Erwachen“ am Deutschen Volkstheater (28. bis 30.6.1907) in Prag [vgl. Tb]. war, sonst wär es uns ein großes Vergnügen gewesen, noch einmal zusammenzukommen. Also auf w/W/ieder in der Schweiz. EmpfielSchreibversehen, statt: Empfiehl. mich bitte deiner verehrten Frau. Meine Tilly ist schon in GrazWedekind hat am 9.7.1907 in Leipzig notiert: „Ich begleite Tilly zur Bahn.“ [Tb]. Viel Vergnügen und schöne Grüße
Dein Frank.


[um 180 Grad gedreht:]

Beste Grüße an deinen l. BruderKarl Henckells älterer Bruder Gustav Henckell.

Frank Wedekind schrieb am 15. Oktober 1907 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Karl Henckell

Postkarte


Monsieur Karl Henckell
Paris
53. Quai Bourbon


Lieber Karl, herzliche Grüße an Frau Annie und Dich von Tilly und mir. Ich bitte Dich auch besonders Léon Bazalgette zu grüßen. Ich freue mich zu hören, daß Ihr nach München übersiedelnKarl Henckell siedelte 1908 von Charlottenburg (Eosanderstraße 16) [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1908, Teil II, Sp. 644] bei Berlin nach München (Bogenhausen, Kufsteinerplatz 1) [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1909, Teil II, Sp. 646] über, der seit 1905 in Berlin wohnende Wedekind ebenfalls. wollt. Ich habe nämlich die selbe Absicht. Auf baldiges Wiedersehen
Dein Frank


Bazalgette treffe ich vielleicht im Frühjahr in ParisWedekind reiste erst im Sommer 1914 wieder nach Paris. Er hatte mit dem Schriftsteller Léon Bazalgette bei seinem letzten Aufenthalt in Paris 1898/99 (nach Zürich sein Exil nach der Flucht aus Deutschland wegen drohender Verhaftung durch die Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“) näheren Umgang [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 10.1.1899].. |


MÜNCHEN Theatinerkirche

Frank Wedekind schrieb am 27. Februar 1909 in München folgende Postkarte
an Karl Henckell

Königreich Bayern
Postkarte


Herrn Karl Henckell
München
Kuffsteinerplatz 1Karl Henckell wohnte seit dem Vorjahr in München (Kufsteinerplatz 1, 4. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1909, Teil I, S. 215].. |


Lieber Karl!

Da Dr. v. Jakoby morgen AbendDr. phil. Bernhard von Jacobi, Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 285], gab am 28.2.1909 (Sonntag) ein Gastspiel in Henrik Ibsens Schauspiel „Nora“ (er spielte den Dr. Rank) am Münchner Residenztheater [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 62, Nr. 98, 28.2.1909, S. 4], in dessen Ensemble er dann bald wechselte, und kam nach der Vorstellung in das Weinlokal Zur Torggelstube (Platzl 8), wie Wedekind notierte: „Torggelstube mit Jakoby Kutscher Henckell und den Andern.“ [Tb] Albert Steinrück, Schauspieler am Münchner Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 531], dürfte ebenfalls in der Runde mit Artur Kutscher und Karl Henckell gewesen sein. spielt und nachher mit Steinrück in die Torggelstube kommt, so kommst Du mit Deiner lieben Frau Gemahlin vielleicht auch dorthin, so daß wir den MontagabendWedekind war dem Tagebuch zufolge am 1.3.1909 (Montag) ebenfalls in der Torggelstube (weitere Personen sind nicht notiert). Er hatte sich wahrscheinlich zuerst für diesen Abend mit Karl Henckell sowie Artur Kutscher dort verabredet, in dessen Seminar er am 27.2.1909 als Autor zu Gast war: „Bei Dr. Kutscher im Colleg“ [Tb]. vorderhand morgen, Sonntag, feiern könnten. Ich habe auch an Dr. Kutscher geschriebenvgl. Wedekind an Artur Kutscher, 27.2.1909..

Mit besten Grüßen
Dein alter
Frank


27.2.9.

Frank Wedekind schrieb am 16. September 1909 in München folgende Postkarte
an Karl Henckell

Königreich Bayern
Postkarte


Herrn Karl Henckell
München Bogenhausen
KuffsteinerplatzKarl Henckell wohnte Kufsteinerplatz 1 (4. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1910, Teil I, S. 220].
hinter dem Brunnen |


Lieber KarlWedekind schrieb eine fast gleichlautende Mitteilung an Artur Kutscher [vgl. Wedekind an Artur Kutscher, 16.9.1909].!

Da der RummelDie Eröffnung der Schack-Galerie, jene bedeutende Münchner Kunstsammlung, die in einen repräsentativen Neubau in der Prinzregentenstraße zog [vgl. Neubau der Schackgalerie und der preußischen Gesandtschaft in München. In: Zentralblatt der Bauverwaltung, Jg. 29, Nr. 81, 9.10.1909, S. 533-535], erfolgte am 18.9.1909, an jenem Samstag, an dem Frank und Tilly Wedekind zu diesem Anlass einen Tee in ihrer Wohnung Prinzregentenstraße 50 gaben, wie Wedekind notierte: „Einweihung der Schackgalerie. 35 Personen.“ [Tb] schon um 2 Uhrum 14 Uhr. beginnt würde ich Dich bitten mit deiner verehrten Gemahlin schon um 1 Uhrum 13 Uhr. zu uns zu kommen da vielleicht auch Straßen abgesperrt werden. Beste Grüsse
Dein Frank.

Karl Henckell schrieb am 25. November 1909 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Henckell vom 1.12.1909 aus München:]


Auf jeden Fall danke ich Dir, daß Du meiner gedacht hast.

Frank Wedekind schrieb am 1. Dezember 1909 in München folgenden Brief
an Karl Henckell

Lieber Karl,

es hat mir aufrichtig leid gethan daß ich nicht zu Deinem VortragKarl Henckells Vortrag war in der Presse weder angezeigt noch besprochen worden; er fand insofern wohl in privatem Kreis statt und dürfte am 26.11.1909 (einem Freitag) in Artur Kutschers Seminar gehalten worden sein, auf einem jener von ihm organisierten außeruniversitären Treffen, die in der Regel freitags mit Studierenden im Hotel Union stattfanden, zu denen Schriftsteller geladen wurden [vgl. Buglioni 2017, S. 164-173 und passim]. Wedekind war zuerst am 27.2.1909 dort zu Gast [vgl. Tb]. kommen konnte. Ich war leider nicht hierin München. Wedekind brach am 25.11.1909 zu einer Vortragsreise nach Hamburg auf und reiste über Leipzig zurück nach München, wo er am 30.11.1909 eintraf [vgl. Tb].. Ich hoffe nur, daß Du ihn nicht zum letzten Mal gehalten hast. Denkst Du nicht an die BuchhandlungsgehilfenDie Ortsgruppe München der Allgemeinen Vereinigung Deutscher Buchhandlungsgehilfen veranstaltete Vorträge, aktuell eine Reihe Autoren-Abende. Sie hatte zuletzt am 16.11.1909 als 6. Münchner Autoren-Abend Wedekinds Lesung „Die Büchse der Pandora“ veranstaltet – der „Frank Wedekind-Abend“ [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 79, Nr. 264, 12.11.1909, S. 13801], davor hatte der 5. Münchner Autoren-Abend am 30.9.1909 mit Heinrich Mann stattgefunden. Wedekind hat seinen Vortrag am 16.11.1909 notiert (auch anschließend das Beisammensein mit Albert Steinrück, Artur Kutscher und Karl Henckel in der Torggelstube): „Abends Vorlesung B. d. Pandora im Börsensaal Nachher Torgelstube Steinrück Henckell Kutscher.“ [Tb], an den Neuen VereinDer Neue Verein ‒ Ende 1903 in Nachfolge des Akademisch-Dramatischen Vereins in München gegründet, Vorsitzender war Dr. Wilhelm Rosenthal [vgl. Adreßbuch für München 1910, Teil III, S. 185] – veranstaltete außer Aufführungen von Dramen (darunter Dramen Wedekinds) auch Vorträge, im Rahmen der sogenannten Intimen Abende. Karl Henckell hat am 26.4.1910 eine vom Neuen Verein veranstaltete Lesung gehalten; angekündigt war: „Heute Dienstag Abend 8 ¼ Uhr findet im Gobelinsaal des Hotels Vier Jahreszeiten an der Maximilianstraße der letzte Intime Vortragsabend statt. Karl Henckell wird eigene Nachdichtungen aus verschiedenen fremden Sprachen vorlesen. Eintritt frei; Gäste willkommen.“ [Vom Neuen Verein. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 63, Nr. 193, 26.4.1910, Morgenblatt, S. 3] Diese Lesung hat Wedekind nicht besucht oder an die Freien StudentenDie literarische Abteilung der Münchner Freien Studentenschaft – die „Organisation der nichtinkorporierten Studierenden der Universität München“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 58, Nr. 529, 13.11.1905, S. 4], „Geschäftsstelle: Universität Audit. 116“ [Adreßbuch für München 1910, Teil III, S. 197] – veranstaltete Vorträge und Aufführungen von Dramen. Wedekind hatte mit ihr eine Aufführung von „Totentanz“ geplant, wie er am 26.10.1909 notierte: „Nach Tisch kommen zwei Herren von der freien Studentenschaft mit denen ich Totentanzaufführung verabrede.“ [Tb]? Dann würde ich mich sehr freuen, Deinen Vortrag noch zu hörenangekündigt war: „Karl Henckell als Dichter kennen Viele. [...] Wenigen aber, vor allem hier in München, ist dieser Künstler als Redner bekannt. Und es ist umso erfreulicher, daß wir ihn auch als solchen kennen lernen, als es auf seinem ureigensten Gebiete ist ‒ wieder im Dienste der echten, freiheitlichen Idee, des jungen, pulsierenden Lebens. Er hatte die Liebenswürdigkeit, dem Jungdeutschen Kulturbund auf 18. Januar im Bayerischen Hof einen Vortrag ‚Kultur und Lyrik‘ zuzusagen.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 63, Nr. 21, 15.1.1910, Vorabendblatt, S. 3] Diesen Vortrag hat Wedekind gehört, wie er am 18.1.1910 notierte: „Besuch bei Henckel wegen Vortrag Abends mit Tilly im Vortrag von Carl Henckell“ [Tb].. Auf jeden Fall danke ich Dir, daß Du meiner gedachtHinweis auf eine nicht überlieferte Einladung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Henckell an Wedekind, 25.11.1909. hast.

Mit herzlichen Grüßen
Dein alter
Frank.


1.12.9.

Karl Henckell schrieb am 21. Oktober 1910 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Henckell vom 26.10.1910 aus München:]


[...] Dank für das schöne Geschenk, das Du mir mit Deiner Weltlyrik machst.

Frank Wedekind schrieb am 26. Oktober 1910 in München folgenden Brief
an Karl Henckell

Lieber Karl!

Empfang meinen herzlichsten Dank für das schöne GeschenkHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Buchsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Henckell an Wedekind, 21.10.1910. – Wedekind lag der Band „Weltlyrik. Ein Lebenskreis in Nachdichtungen“ (1910) von Karl Henckell (erschienen bei: Die Lese – Verlag, München) spätestens am 22.10.1910 vor, als er notierte: „Henckells Weltlyrik.“ [Tb], das Du mir mit Deiner Weltlyrik machst. Ich beglückwünsche Dich aufrichtig zu dem Buch. Der prachtvolle Hymnus | an das LebenKarl Henckells „Hymnus an das Leben“ ist das Eröffnungsgedicht seiner Anthologie „Weltlyrik“ (es ist dort nicht paginiert). ist meinem Empfinden nach das Vollste und Tiefste, was Du je geschrieben. Brillant finde ich dann die UmdichtungenWedekind zählt aus den in „Weltlyrik“ von dem Freund aus verschiedenen Sprachen übertragenen Nachdichtungen fünf französischsprachige Dichter auf; es entfallen von den 83 Gedichten (ohne das Eröffnungsgedicht gezählt) 27 Gedichte auf Emile Verhaeren („Unser Heim“, „Der Garten der Erfüllung“, „Nach fünfzehn Jahren“, „Die kleine Jungfrau“, „Dürre“, „Sturm auf dem Meer“, „Die Freude“, „Die Armen“), Paul Verlaine („Im Waggon“, „Sehnsucht“, „Nicht wahr?“, „Dirnchen“, „Stimmung bei Brüssel“, „Charleroi“, „Grotesken“, „Karussell“), Charles Baudelaire („Beichte“, „Abendstimmung“, „Der Balkon“, „Mondestrauer“, „‚Pech‘“, „Aufschwung“), Guy de Maupassant („Ein Sonnenstich“, „Die wilden Gänse“) und Alfred de Musset („Nach einer Lektüre“, „Lied“, „Dichterlust“). nach Verhaeren, Verlaine, Baudelaire, Maupassant und Musset. Das ganze Buch macht mir einen ungemein reifen Eindruck. Dabei steht es als internationale moderne | AntologieSchreibversehen, statt: Anthologie. wohl einzig in seiner Art da. Ich hoffe daß wir bald ausführlich darüber sprechen werden.

Ich höre eben daß Du in Berlin bist. Nach deiner Rückkehr treffen wir uns vielleicht wieder zu einem Abend im RatskellerWedekind hat den Freund in München zwar öfters in anderen Lokalen getroffen; dem Tagebuch zufolge lag der letzte gemeinsame Abend im Ratskeller aber schon länger zurück – am 15.4.1910 („mit Tilly Henckells und Langheinrich im Rathskeller“) – und es sollte auch länger dauern, bis man sich wieder im Ratskeller traf – am 25.4.1911 („Im Hofgarten treffen wir Karl Henckel. [...]. Dann gehen wir in den Ratskeller und treffen dort Henckel, Kutscher und zwei Herren“).. Mit besten Grüßen an Deine verehrte Gemahlin und Dich von Tilly und mir
Dein alter
Frank


26.10.10.

Karl Henckell schrieb am 30. Juli 1913 in München folgenden Brief
an Frank Wedekind

München
Kufsteinerplatz 1
den 30/7/13


Lieber Frank,

ich weiß nicht, ob Du Dich für die dramatische Frauenbewegung, wie sie in beiliegendem ZirkularRundschreiben; nicht ermittelt. Dem Brief liegt nichts mehr bei. zu Tage tritt, interessirst ‒ | ich weiß nur, daß sich die dramatische Frauenbewegung sehr dafür interessirt, daß Du für sie zu Tage trittst. Frau v. WillemoesHelene von Willemoes war zunächst Sängerin, bis „ihr ein tückisches Schicksal ihre Stimme raubte. Indes hatten ihr mehrere Musen Weihgeschenke in die Wiege gelegt; auch der Funke der Dichtkunst glimmte in ihr, und so konzentrierte sie denn ihre Kraft zu dramatischem Schaffen.“ [Brümmer 1913, Bd. 7, S. 456] Die Dramatikerin lebte inzwischen in München (Rauchstraße 8, Parterre), war dort aber unter dem Namen ihres Gatten, dem Porträtmaler und Leutnant a.D. Friedrich von Willemoes, verzeichnet [vgl. Adreßbuch für München 1913, Teil I, S. 745]., die die Sache unternimmt, ist eine begabte Vertreterin ihres Geschlechts und | hat u.a. ein Drama „SavonarolaDie im Verlag Franz Grunert Separat-Conto (Inhaberin: Marie Grunert) vordatiert veröffentlichte Tragödie [vgl. Helene von Willemoes-Suhm: Savonarola. Tragödie in 5 Akten. Berlin 1902] ist Ende 1901 erschienen [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 281, 3.12.1901, S. 10060], wurde zuvor in Berlin durch eine Lesung vorgestellt: „Im Salon der Gräfin B. las der Regisseur des königlichen Schauspielhauses, Georg Dröscher aus der Tragödie ‚Savonarola‘ von Helene v. Willemoes-Suhm einige Akte vor“ [Berliner Tageblatt, Jg. 30, Nr. 137, 16.3.1901, S. (3)], am 17.10.1901 am Hoftheater in Weimar uraufgeführt, hatte am 23.5.1903 im Berliner Theater Premiere (eine Nachmittagsvorstellung) und ist das einzige bekannte Drama von Helene von Willemoes. „Ihr Drama ‚Savonarola‘ bahnte sich den Weg auf die Bühne des Berliner Theaters und feierte in Weimar Triumphe, schwand aber bald infolge der Gleichgültigkeit des Publikums gegen alles, was nicht dem Zeitgeschmack huldigt, vom Repertoire.“ [Brümmer 1913, Bd. 7, S. 456f.] geschrieben, das m.E. wertvoll ist, wie sie u.a. auch ein Drama „Lassallenicht nachweisbar. geschrieben hat, das m.E. ganz mißlich ist. Jedenfalls ist sie Jemand und verdient Berücksichtigung. | Natürlich nur, wenn man Lust hat, so was mitzumachen. In diesem Sinn, ganz unverbindlich, mit herzlichem Gruß von Haus zu Haus
Dein Karl


Es handelt sich zunächst um Deinen Namen wegen einer PreßnotizWedekind hat sich an der Aktion beteiligt; die Pressenotiz lautet: „Auf Veranlassung mehrerer Damen und Herren hat sich in München eine Vereinigung zur Pflege der Frauendramatik gegründet, die es sich zur Aufgabe macht, dramatische Werke weiblicher Autoren in Separatvorstellungen an Münchner Theatern zur Aufführung zu bringen. Dem vorbereitenden Komitee gehören an: Frau Gräfin Eva v. Baudissin, Frau Helene Böhlau al Raschid Bey, Herr Richard Elchinger, Herr Hans Ludwig Held, Herr Karl Henckell, Herr Georg Hirschfeld, Frau Professor Kiesselbach, Herr Thomas Mann, Frau Professor Selenka, Herr Frank Wedekind und Frau Helene v. Willemoes-Suhm. Als juristischer Beirat wurde Rechtsanwalt Dr. Brantl, München, Sophienstraße 5b, bestellt. Interessentinnen werden gebeten, Manuskripte an die Geschäftsstelle (Helene v. Willemoes-Suhm) Rauchstraße 8/0 zu senden.“ [Gesellschaft für Frauendramatik. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 66, Nr. 393, 3.8.1913, Vorabendblatt, S. 2] Die Pressenotiz erschien (teilweise gekürzt) auch in anderen Zeitungen [vgl. z.B. Berliner Tageblatt, Jg. 42, Nr. 390, 4.8.1913, Montags-Ausgabe, S. (3); Neue Freie Presse, Nr. 17582, 4.8.1913, Nachmittagsblatt, S. 8; Dresdner Nachrichten, Jg. 57, Nr. 213, 4.8.1913, S. (4); Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 361, 5.8.1913, Morgen-Ausgabe, S. 8; Die Zeit, Jg. 12, Nr. 3903, 7.8.1913, Morgenblatt, S. 3; Pester Lloyd, Jg. 60, Nr. 186, 7.8.1913, Morgenblatt, S. 7; Deutsches Volksblatt, Jg. 25, Nr. 8837, 10.8.1913, Morgen-Ausgabe, S. 11]..

Frank Wedekind schrieb am 14. März 1914 in Berlin folgendes Briefgedicht
an Karl Henckell

Ein Menschenalter, reich an Freuden,

An ernsten Schicksalsstunden reich,

Durch Geist und Ziel uns beiden gleich

Entrollte sich und schwand uns beiden.


Aus deinem Herzen wundervoll

Der Strom gewaltiger Lieder quoll,

Den Tausende, den Millionen

Entbürdet ihrer Last dir lohnen.


Und LiebeAuftakt der Anspielung auf die beiden Ehefrauen der befreundeten Schriftsteller., die, wie wundersam,

Erst dirKarl Henckell heiratete Anny Haaf am 20.4.1897 in Zürich., dann mirFrank Wedekind heiratete Tilly Newes am 1.5.1906 in Berlin. aus heitrem Süden kamAnspielung auf die Herkunft der beiden Ehefrauen in der „Anspielung auf Henckells Eheschließung (1897) mit Anny Haaf, die aus Bern stammte, sowie auf Wedekinds Verheiratung (1906) mit Tilly Newes, die in Graz geboren war.“ [KSA 1/I, S. 982],

Verjüngend uns in weiche Arme nahm,

Gesellte sich dem nordischen Bunde„Anspielung auf den gemeinsamen Geburtsort Hannover.“ [KSA 1/I, S. 982].


So magst du ferner am Gedeihn

Der Liebe dich, der Freundschaft freun

Und alle Freude ernster Dichtung weihn.

So schenkst du uns noch manche frohe Stunde!


Dein alter
Frank Wedekind.


AN KARL HENCKELL

Frank Wedekind schrieb am 10. April 1914 in München
an Karl Henckell

Herrn Karl Henckell
München
Kuffsteinerplatz 1.

Frank Wedekind und Tilly Wedekind schrieben am 16. April 1914 in Stuttgart folgendes Telegramm
an Karl Henckell

Telegramm.

[...]

Karl PenckellÜbertragungsfehler, statt: Henckell. Hotel Union.

konversationssaal
barerstrasse 7 muenchen |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt [...] München.


Aufgegeben in StuttgartFrank und Tilly Wedekind waren vom 15. bis 22.4.1914 zu einem Gastspiel in Stuttgart [vgl. Tb]. [...]


= dem dichter der frejheit des fruehlings und der liebe senden herzlichste verehrungsvolle glueckwuenschezu Karl Henckells 50. Geburtstag am 17.4.1914; ein schriftlicher Glückwunsch war außer dem vorliegenden Telegramm ein Gedicht Wedekinds [vgl. Frank Wedekind: An Karl Henckell. Zum fünfzigsten Geburtstage (17. April 1914). In: Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 190, 16.4.1914, Morgen-Ausgabe, S. (2)], das der Jubilar auch handschriftlich als Briefgedicht im Album „Karl Henckell zum 50. Geburtstage“ erhalten hat [vgl. Wedekind an Karl Henckell, 14.3.1914; vgl. Beilage zu Wedekind an Hubert Wilm, 17.3.1914], überreicht auf einer Geburtstagsfeier (siehe unten). zum jubelfestEine Geburtstagsfeier fand am 16.4.1915 in München im Hotel Union (Barerstraße 7) [vgl. Adreßbuch für München 1914, Teil II, S. 74] statt (dem Jubilar vertraut als Veranstaltungsort der Kutscher-Seminare), dorthin war das vorliegende Telegramm adressiert. Die Presse berichtete: „Eine Karl-Henckell-Feier aus Anlaß des 50. Geburtstags des Dichters veranstaltete Donnerstag abend im Hotel Union ein Kreis Münchner Schriftsteller und Künstler. Die Herzlichkeit der Freundschaft und Verehrung gab dem Abend die rechte Stimmung für eines Lyrikers Ehrung. Als erster sprach Joseph August Lux. In seiner Festrede, die er im Namen des ‚jungen Krokodils‘ und im Namen der Anwesenden hielt, beglückwünschte Lux Henckell zu seinem Geburtstag und bat ihn, ein ‚Dichter-Widmungsbuch‘ entgegenzunehmen, das als erster Hubert Wilm, der bekannte Radierer angeregt habe. [...] Zum Schlusse forderte Lux seinen Freund Wilm auf, Karl Henckell das Widmungsbuch zu überreichen. An die feierliche Ueberreichung des Widmungsbuches, dessen Beiträge später Erich Mühsam vorlas, schloß sich ein Abendessen, in dessen Verlauf dem Dichter noch manch liebes und preisendes Wort gewidmet wurde. Dr. Kutscher knüpfte an Münchner Erinnerungen an, Herr Albu sprach für den Schutzverband, Dr. Sinzheimer für die ‚Jugend‘. Roda Roda widmete seinen humorvollen Toast den Damen, an ihrer Spitze Frau Henckell und Frau Lux, Herr Timm sprach für die Arbeiterschaft. Henckell selbst dankte seinen Freunden mit einem Gedichte. Aber noch manch anderer Klang ergab sich aus der festlich-heiteren Stimmung, die den Stunden den sanften Rhythmus gab, in dem man willig über die Mitternacht in den neuen Tag schreitet, und der die Erinnerung zur Erhebung werden läßt.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 197, 18.4.1914, Vorabendblatt, S. 3] = frank und tilly wedekind

Frank Wedekind schrieb am 12. August 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Henckell

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 12.8.1914 in München:]


Martha liest TelegrammWedekind dürfte in dem nicht überlieferten Telegramm unmittelbar nach der Lektüre zu dem Kriegsgedicht „Wilder Jäger“ Stellung genommen haben, das sein alter Freund am 12.8.1914 in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ (im Vorabendblatt auf den Folgetag datiert) veröffentlicht hat [vgl. Karl Henckell: Wilder Jäger. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 411, 13.8.1914, Vorabendblatt, S. 1], wie die Notiz des Gedichttitels im Tagebuch nahelegt. an Henckell

Wilder Jäger“ [...]