Briefwechsel

von Frank Wedekind und Kurt Martens

Kurt Martens schrieb am 9. Oktober 1897 in Leipzig folgenden Brief
an Frank Wedekind

LITTERARISCHE GESELLSCHAFT IN LEIPZIG


VORSITZENDER:
KURT MARTENS,
HAYDNSTR. 1, PT.


THEATER-LEITER UND SCHATZMEISTER:
DR. CARL HEINE,
LAMPESTR. 3, II.
SPRECHSTUNDE: 4–5 UHR.


SCHRIFTFÜHRER:
C. HANS V. WEBER,
SCHLEUSSIGER WEG 1A PT.
SPRECHSTUNDE: 12–1 UHR.


am 9. October 1897.


Sehr verehrter Herr Wedekind,

Im Namen der Litterarischen GesellschaftVorsitzender der Literarischen Gesellschaft in Leipzig (Lampestraße 3) war der Schriftsteller Kurt Martens, Schriftführer der Schriftsteller Hans von Weber, Schatzmeister und artistischer Direktor der Privatgelehrte Dr. phil. Carl Heine [vgl. Leipziger Adreß-Buch für 1898, Teil II, S. 220], wie aus dem gedruckten Briefkopf hervorgeht. Die 1895 gegründete Literarischen Gesellschaft hatte sich die „Aufführung mod. Dramen durch eigenes Ensemble u. Veranstaltung litter. Gesellschaftsabende (mit Vorträgen)“ [Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1898, Teil I, Sp. 33] zur Aufgabe gemacht. erlaube ich mir die Anfrage, ob Sie geneigt wären, uns die einmalige Aufführung vom ersten AktWedekinds Tragödie „Der Erdgeist“ (1895) wurde von der Literarischen Gesellschaft in Leipzig unter der Regie von Carl Heine an dessen neugegründetem Ibsen-Theater am 25.2.1898 im Theatersaal des Leipziger Kristallpalastes uraufgeführt (die erste Wedekind-Inszenierung überhaupt), das gesamte Stück, nicht bloß der 1. Akt. Ihres „Erdgeist“, event. auch der „Kaiserin von NeufundlandDie Uraufführung von Wedekinds in der Sammlung „Die Fürstin Russalka“ (1897) veröffentlichter Tanzpantomime „Die Kaiserin von Neufundland“ durch die Literarische Gesellschaft in Leipzig kam nicht zustande (siehe die nachfolgende Korrespondenz).“ zu gestatten. Der „Erdgeist“ als Ganzes ist leider bei einigen Herren des Lese-|Komitéʼs auf Widerspruch gestoßen. Auch die Phantomime könnte Dr. Heine, äußerer Schwierigkeiten wegen, nur mit Kürzungen einstudieren.

Ferner würden wir uns freuen, wenn sie im Lauf des Winters einmal bei uns lesenWedekinds von der Literarischen Gesellschaft veranstaltete Lesung fand am 26.11.1897 statt, angekündigt: „In der Literarischen Gesellschaft in Leipzig, deren erster Gesellschafts-Abend nächsten Freitag, den 26. d. M., pünctlich 8 Uhr im oberen Saale des Hotel de Pologne stattfindet, wird zunächst der Kunsthistoriker Georg Fuchs einen Vortrag über die junge Bewegung im Kunstgewerbe halten [...]. Im zweiten Theile des Abends wird der Dichter Frank Wedekind Scenen der Kinder-Tragödie ‚Frühlings-Erwachen‘, sowie Einiges aus seiner grotesk-komischen Lyrik recitiren. Der Besuch der Gesellschafts-Abende ist nur Mitgliedern gestattet.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 91, Nr. 599, 24.11.1897, Morgen-Ausgabe, S. 8636] wollten. Als Entgelt pflegen wir, je nach Wunsch, die Reisekosten II. Cl. oder 50 M. zu bieten. Die Gesellschafts-Abende, von denen in diesem Winter fünfDie Presse kündigte dazu an: „Die Literarische Gesellschaft in Leipzig wird in den fünf Vortragsabenden, die sie neben den Theater-Aufführungen für diesen Winter vorbereitet, ihre eigentliche Aufgabe, die Pflege unserer jungen, aufblühenden Dichtung, dahin erweitern, daß sie auch die moderne bildende Kunst, Frauenfrage und Philosophie in den Bereich ihrer Darbietungen zieht.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 91, Nr. 531, 18.10.1897, Morgen-Ausgabe, S. 7648] stattfinden, sind im Prinzip auf einen FreitagDer erste Gesellschafts-Abend, an dem Wedekinds Lesung stattfand (siehe oben), war ein Freitag (der 26.11.1897). gelegt und finden, ebenso wie die Theater-Aufführungen, nur vor dem geschlossnen KreiseDas war neu, wie mitgeteilt wurde: „Die Veranstaltungen der Litterarischen Gesellschaft sind nicht mehr öffentlich; nur die Erwerbung der Mitgliedschaft berechtigt zu dem Besuch.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 91, Nr. 526, 15.10.1897, Morgen-Ausgabe, 1. Beilage, S. 7555] unsrer Mitglieder statt. Falls Sie einwilligen, teilen Sie uns, bitte, mit, in welchem/n/ Monaten wir auf Sie rechnen dürfen.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
Kurt Martens.

Frank Wedekind schrieb am 13. Oktober 1897 in Dresden folgenden Brief
an Kurt Martens

Sehr geehrter Herr Martens,

herzlichen Dank für Ihre freundlichen Zeilenvgl. Kurt Martens an Wedekind, 9.10.1897.. Ich sage Ihnen hiemit für den 26. NovemberWedekind las auf Einladung der Literarischen Gesellschaft in Leipzig am 26.11.1897; die Lesung war angekündigt: „In der Literarischen Gesellschaft in Leipzig, deren erster Gesellschafts-Abend nächsten Freitag, den 26. d. M., pünctlich 8 Uhr im oberen Saale des Hotel de Pologne stattfindet, wird zunächst der Kunsthistoriker Georg Fuchs einen Vortrag über die junge Bewegung im Kunstgewerbe halten [...]. Im zweiten Theile des Abends wird der Dichter Frank Wedekind Scenen der Kinder-Tragödie ‚Frühlings-Erwachen‘, sowie Einiges aus seiner grotesk-komischen Lyrik recitiren. Der Besuch der Gesellschafts-Abende ist nur Mitgliedern gestattet.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 91, Nr. 599, 24.11.1897, Morgen-Ausgabe, S. 8636] zu. In einigen Tagen werde ich Ihnen alles zuschickenmit einem Begleitbrief [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 28.10.1897]., was für die Vorlesung in Betracht kommen kann und möchte Sie dann selber bitten die Wahl zu treffen.

In vorzüglichster Hochschätzung

Ihr

Frank Wedekind


13.10.97.
Walpurgisstraße 14
Dresden.

Kurt Martens schrieb am 27. Oktober 1897 in Leipzig folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 28.10.1897 aus Dresden:]


Sie warnen mich davor [...]

Frank Wedekind schrieb am 28. Oktober 1897 in Dresden folgenden Brief
an Kurt Martens , Kurt Martens

Sehr geehrter Herr Martens,

mein Programm für die Vorlesung am 26. NovemberWedekinds von der Literarischen Gesellschaft in Leipzig veranstaltete Lesung am 26.11.1897 wurde angekündigt: „In der Literarischen Gesellschaft in Leipzig, deren erster Gesellschafts-Abend nächsten Freitag, den 26. d. M., pünctlich 8 Uhr im oberen Saale des Hotel de Pologne stattfindet, wird zunächst der Kunsthistoriker Georg Fuchs einen Vortrag über die junge Bewegung im Kunstgewerbe halten [...]. Im zweiten Theile des Abends wird der Dichter Frank Wedekind Scenen der Kinder-Tragödie ‚Frühlings-Erwachen‘, sowie Einiges aus seiner grotesk-komischen Lyrik recitiren.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 91, Nr. 599, 24.11.1897, Morgen-Ausgabe, S. 8636] wäre folgendes:

1. Rabbi Esradie Erzählung „Rabbi Esra“ [KSA 5/1, S. 214-218], die Wedekind am 20.11.1896 auf einem Münchner Autorenabend schon einmal vorgetragen hatte [vgl. KSA 5/1, S. 765]; sie kam auch am 26.11.1897 in Leipzig (siehe oben) zum Vortrag [vgl. KSA 5/1, S. 765]..

2. Das Gastspielursprünglicher Titel des Einakters „Der Kammersänger“ (1899); eine Szene daraus kam am 26.11.1897 in Leipzig (siehe oben) zum Vortrag [vgl. KSA 4, S. 391f.]..

Sie warnen mich davorHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 27.10.1897., etwas Dramatisches vorzulesen. Leider besitze ich aber nichts novellistisches als was in der Fürstin Russalkain Wedekinds Sammelband „Die Fürstin Russalka“ (1897) im Albert Langen Verlag in München, in dem unter dem Titel „Seelenergüsse“ acht Erzählungen („Der Brand von Egliswyl“, „Rabbi Esra“ „Der greise Freier“, „Die Fürstin Russalka“, „Das Opferlamm“, „Die Liebe auf den ersten Blick“, „Bei den Hallen“, „Ich langweile mich“) abgedruckt sind [vgl. KSA 5/I, S. 604]. enthalten ist. Und zweitens bin ich so ziemlich sicher mit dem Gastspiel mindestens einen ebenso großen Erfolg zu haben, wie mit irgend etwas Novellistischem, da die | scenischen Bemerkungen kaum der Rede werth sind und das Stück genau genommen nur aus drei Dialogen besteht. Ich glaube, wenn Sie es durchblättern werden Sie dieselbe Überzeugung bekommen. Anstößiges findet sich nichts darin, allerdings auch nicht viel Poesie. Ich hätte weit dichterischere Sachen vorzulesen, wie mein SonnenspectrumWedekinds Dramenfragment „Das Sonnenspektrum. Ein Idyll aus dem modernen Leben“ [KSA 3/I, S. 669-708], das er bereits am 1.6.1896 einem kleineren Kreis in München vorlesen hatte [vgl. Wedekind an Max Halbe, 30.5.1896]., die aber für einen größeren unvorbereiteten Kreis entschieden zu stark sind.

Den Rabbi Esra, obwohl ihn vielleicht viele meiner Zuhörer kennen, würde ich doch gerne voranschicken, da er eine wirkungsvolle Entree-Nummer ist. |

Beide Stücke zusammen nehmen etwas länger als eine Stunde in Anspruch.

Ich lege Ihnen eine kleine Komödie Die junge Welt beiDie dem Brief beigelegte Erstausgabe von Wedekinds Komödie „Die junge Welt“ (1897) bei W. Pauli’s Nachfolger (H. Jerosch) in Berlin [vgl. KSA 2, S. 646] enthält eine Widmung [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 28.10.1897]., die ich schon vor mehreren JahrenWedekinds Komödie „Die junge Welt“ ist eine Überarbeitung seines Lustspiels „Kinder und Narren“ (1891), mit der er 1895 begonnen hatte [vgl. KSA 2, S. 630]. geschrieben und die jetzt eben im Druck„Die junge Welt“ war soeben als erschienen angezeigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 248, 25.10.1897, S. 7743]. erscheint.

Da ich von dem Gastspiel nur das eine Manuscript„Das Gastspiel“ (siehe oben), das so betitelte Manuskript des soeben abgeschlossenen Einakters „Der Kammersänger“ (1899), ist „nicht erhalten.“ [KSA 4, S. 331] besitze, darf ich Sie ersuchen, es mir eingeschrieben und wenn möglich bald zurückschicken zu wollen.

Ich bitte Sie, mich auch Herrn Dr. HeineDr. phil. Carl Heine in Leipzig (Lampestraße 3), Direktor und Regisseur des Theaters der Literarischen Gesellschaft [vgl. Neuer Theater-Almanach 1898, S. 435]. bestens zu empfehlen und bin mit herzlichem Gruß in vorzüglichster Hochschätzung

Ihr
Frank Wedekind.


Dresden, Walpurgisstraße 14.II. – 28. Okt. 97.

Frank Wedekind schrieb am 28. Oktober 1897 in Dresden folgende Widmung
an Kurt Martens

Herrn K/C/urt Martens
mit collegialem Gruß.


Dresden Okt. 97.
Frank Wedekind


Die junge Welt.

––––

Comödie in drei Aufzügen
und einem Vorspiel
von Frank Wedekind.


––––––––––––

Berlin 1897.

W. Pauli’s Nachfolger (H. Jerosch.)

Frank Wedekind schrieb am 28. Oktober 1897 in Dresden folgenden Brief
an Kurt Martens , Kurt Martens

Sehr geehrter Herr Martens,

mein Programm für die Vorlesung am 26. NovemberWedekinds von der Literarischen Gesellschaft in Leipzig veranstaltete Lesung am 26.11.1897 wurde angekündigt: „In der Literarischen Gesellschaft in Leipzig, deren erster Gesellschafts-Abend nächsten Freitag, den 26. d. M., pünctlich 8 Uhr im oberen Saale des Hotel de Pologne stattfindet, wird zunächst der Kunsthistoriker Georg Fuchs einen Vortrag über die junge Bewegung im Kunstgewerbe halten [...]. Im zweiten Theile des Abends wird der Dichter Frank Wedekind Scenen der Kinder-Tragödie ‚Frühlings-Erwachen‘, sowie Einiges aus seiner grotesk-komischen Lyrik recitiren.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 91, Nr. 599, 24.11.1897, Morgen-Ausgabe, S. 8636] wäre folgendes:

1. Rabbi Esradie Erzählung „Rabbi Esra“ [KSA 5/1, S. 214-218], die Wedekind am 20.11.1896 auf einem Münchner Autorenabend schon einmal vorgetragen hatte [vgl. KSA 5/1, S. 765]; sie kam auch am 26.11.1897 in Leipzig (siehe oben) zum Vortrag [vgl. KSA 5/1, S. 765]..

2. Das Gastspielursprünglicher Titel des Einakters „Der Kammersänger“ (1899); eine Szene daraus kam am 26.11.1897 in Leipzig (siehe oben) zum Vortrag [vgl. KSA 4, S. 391f.]..

Sie warnen mich davorHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 27.10.1897., etwas Dramatisches vorzulesen. Leider besitze ich aber nichts novellistisches als was in der Fürstin Russalkain Wedekinds Sammelband „Die Fürstin Russalka“ (1897) im Albert Langen Verlag in München, in dem unter dem Titel „Seelenergüsse“ acht Erzählungen („Der Brand von Egliswyl“, „Rabbi Esra“ „Der greise Freier“, „Die Fürstin Russalka“, „Das Opferlamm“, „Die Liebe auf den ersten Blick“, „Bei den Hallen“, „Ich langweile mich“) abgedruckt sind [vgl. KSA 5/I, S. 604]. enthalten ist. Und zweitens bin ich so ziemlich sicher mit dem Gastspiel mindestens einen ebenso großen Erfolg zu haben, wie mit irgend etwas Novellistischem, da die | scenischen Bemerkungen kaum der Rede werth sind und das Stück genau genommen nur aus drei Dialogen besteht. Ich glaube, wenn Sie es durchblättern werden Sie dieselbe Überzeugung bekommen. Anstößiges findet sich nichts darin, allerdings auch nicht viel Poesie. Ich hätte weit dichterischere Sachen vorzulesen, wie mein SonnenspectrumWedekinds Dramenfragment „Das Sonnenspektrum. Ein Idyll aus dem modernen Leben“ [KSA 3/I, S. 669-708], das er bereits am 1.6.1896 einem kleineren Kreis in München vorlesen hatte [vgl. Wedekind an Max Halbe, 30.5.1896]., die aber für einen größeren unvorbereiteten Kreis entschieden zu stark sind.

Den Rabbi Esra, obwohl ihn vielleicht viele meiner Zuhörer kennen, würde ich doch gerne voranschicken, da er eine wirkungsvolle Entree-Nummer ist. |

Beide Stücke zusammen nehmen etwas länger als eine Stunde in Anspruch.

Ich lege Ihnen eine kleine Komödie Die junge Welt beiDie dem Brief beigelegte Erstausgabe von Wedekinds Komödie „Die junge Welt“ (1897) bei W. Pauli’s Nachfolger (H. Jerosch) in Berlin [vgl. KSA 2, S. 646] enthält eine Widmung [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 28.10.1897]., die ich schon vor mehreren JahrenWedekinds Komödie „Die junge Welt“ ist eine Überarbeitung seines Lustspiels „Kinder und Narren“ (1891), mit der er 1895 begonnen hatte [vgl. KSA 2, S. 630]. geschrieben und die jetzt eben im Druck„Die junge Welt“ war soeben als erschienen angezeigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 248, 25.10.1897, S. 7743]. erscheint.

Da ich von dem Gastspiel nur das eine Manuscript„Das Gastspiel“ (siehe oben), das so betitelte Manuskript des soeben abgeschlossenen Einakters „Der Kammersänger“ (1899), ist „nicht erhalten.“ [KSA 4, S. 331] besitze, darf ich Sie ersuchen, es mir eingeschrieben und wenn möglich bald zurückschicken zu wollen.

Ich bitte Sie, mich auch Herrn Dr. HeineDr. phil. Carl Heine in Leipzig (Lampestraße 3), Direktor und Regisseur des Theaters der Literarischen Gesellschaft [vgl. Neuer Theater-Almanach 1898, S. 435]. bestens zu empfehlen und bin mit herzlichem Gruß in vorzüglichster Hochschätzung

Ihr
Frank Wedekind.


Dresden, Walpurgisstraße 14.II. – 28. Okt. 97.

Kurt Martens schrieb am 3. November 1897 in Leipzig folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 4.11.1897 aus Dresden:]


[...] ich verstehe vollständig Ihre Intentionen [...]

Frank Wedekind schrieb am 4. November 1897 in Dresden folgenden Brief
an Kurt Martens

Sehr geehrter Herr Martens,

ich verstehe vollstäng/d/ig Ihre IntentionenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 3.11.1897. und kann mich nur dadurch geehrt fühlen. Indessen werden Sie mir zugeben, dass es mir um vieles schwerer fallen wird, mit diesen GedichtenKurt Martens hatte Wedekind in seinem nicht überlieferten Schreiben (siehe oben) offenbar Gedichttitel genannt, die Wedekind bei seiner Lesung am 26.11.1897 in Leipzig (siehe unten) vortragen könnte. zu wirken. Ich hatte gehofft mit dem Vortrag des „GastspielsWedekind hatte „Das Gastspiel“, wie der ursprüngliche Titel seines Einakters „Der Kammersänger“ lautete [vgl. KSA 4, S. 323, 331], für die Lesung am 26.11.1897 in Leipzig (siehe unten) zum Vortrag vorgeschlagen [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 28.10.1897].“ einen ganz bescheidenen, aber dafür wenigstens indiscutierbaren Erfolg davon zu tragen, der mir gegenwärtig sehr not thäte. Ich stehe fortwährend zwischen den zwei Eventualitäten, dem Publik/c/um etwas p/P/ractisches, Reinsachliches vorzulegen, worauf ich zur Antwort erhalte, es sei nichts aussergewöhnliches, oder dem Publik/c/um etwas Eigenartiges anzubieten, wonach man entgegen/ne/t: Er/s/ ist unbracu/uc/hbar, unaufführbar, es lässt sich nichts damit machen. Ich bedaure nur, Ihnen mein SonnenspectrumWedekind hatte sein Dramenfragment „Das Sonnenspektrum. Ein Idyll aus dem modernen Leben“ [KSA 3/I, S. 669-708] für die Lesung am 26.11.1897 in Leipzig (siehe unten) zum Vortrag vorgeschlagen [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 28.10.1897]; es wurde nicht vorgetragen. nicht vorlesen zu können, das sich in intimem Kreise auch ganz gut vor Damen praesentiert, aber vor einer grösseren Gesellschaft stofflich unmöglich ist.

Wenn Sie mit/r/ nun in der Tat Gelegenheit bieten wollen, mich Ihrem geschätzten Publik/c/um ganz zun zeigen, so möchte ich Ihnen folgendes Programm vorschlagen.

I Scenen aus Frühlings Erwachen.

Ich würde diejenigen Scenen wählen, die sich um den Selbstmord des GymnasiastenMoritz Stiefel, auf dessen Suizid mehrere Szenen im 2. und 3. Akt von „Frühlings Erwachen“ (1891) reflektieren, bevor er in der letzten Szene III/7 auf dem Kirchhof als Toter in Erscheinung tritt [vgl. KSA 2/, S. 316-322]. gruppieren, weil die doch wol dem grössten Interesse begegnen dürften. 8/I/ch kann S/s/ie Ihnen augenblicklich noch nicht bezeichnen, da ich kein Exempzur/pla/r zur Hand habe. Seien Sie sicherhandschriftlich korrigiert aus: Siesicher., dass ich alles Anstössige vermeiden würde.

II GedichteWedekind rezitierte bei seiner Lesung am 26.11.1897 in Leipzig (siehe unten) sieben Gedichte, die alle in der Sammlung „Die Fürstin Russalka“ (1897) abgedruckt waren: „Eroberung“ [vgl. KSA 1/II, S. 1515f.], „Kathja“ [vgl. KSA 1/I, S. 946], „Franciscas Abendlied“ [vgl. KSA 1/II, S. 1599f.], „Christine“ [vgl. KSA 1/I, S. 1110], „Sieben Rappen“ [vgl. KSA 1/II, S. 1370], „Der Tantenmörder“ [vgl. KSA 1/II, S. 1287f.] und „Erdgeist“ [vgl. KSA 1/II, S. 1505, 1507]. und zwar die von Ihnen ausgewählten, eventuell auch die Sieben Rappen; die Gedichte würde ich natürlich frei vortragen.

III. Aus dem Gastspiel die Scene: Gerardo, Helenedie 9. Szene mit dem Dialog zwischen dem Kammersänger Gerardo und Frau Helene Marowa [vgl. KSA 4, S. 33-44], an deren Ende sie sich das Leben nimmt, der dramatische Höhepunkt des Einakters „Der Kammersänger“ (1899)..

IV Rabbi EsraWedekind hatte seine Erzählung „Rabbi Esra“ [KSA 5/1, S. 214-218] für die Lesung am 26.11.1897 in Leipzig (siehe unten) zum Vortrag vorgeschlagen [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 28.10.1897]. (frei vorgetragen, was ich Sie aber bitten würde, auf dem Programm nicht zu bemerken.) |

Die Zeit, D/d/ie Sie mir zur Verfügung stl/e/llen, würde damit nicht überschritten.

Das Programmzu Wedekinds Lesung am 26.11.1897 in Leipzig, veranstaltet von der Literarischen Gesellschaft, die unspezifisch annonciert war: „Dichtungen von Frank Wedekind, vorgetragen vom Dichter“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 91, Nr. 603, 26.11.1897, Morgen-Ausgabe, S. 8687]; detaillierter wurde angekündigt: „In der Literarischen Gesellschaft in Leipzig, deren erster Gesellschafts-Abend nächsten Freitag, den 26. d. M., pünctlich 8 Uhr im oberen Saale des Hotel de Pologne stattfindet, wird zunächst der Kunsthistoriker Georg Fuchs einen Vortrag über die junge Bewegung im Kunstgewerbe halten [...]. Im zweiten Theile des Abends wird der Dichter Frank Wedekind Scenen der Kinder-Tragödie ‚Frühlings-Erwachen‘, sowie Einiges aus seiner grotesk-komischen Lyrik recitiren.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 91, Nr. 599, 24.11.1897, Morgen-Ausgabe, S. 8636] würde also für den Fall, dass Sie es jetzt schon nötig haben, das beiliegendeDie Briefbeilage, ein von Wedekind offenbar noch einmal zusammengestelltes Programm für die Lesung in Leipzig (siehe oben), ist nicht überliefert. sein.

Damit empfehle ich mich Ihnen bestens und bin in vorzüglicher Hochschätzung Ihr

Frank Wedekind.
Walpurgisstr. 14.


Dresden, 4.11. (oder VI.?)nicht Teil der Briefabschrift, sondern entsprechend in Klammern gesetzte Datierungsunsicherheit (4.11.1897 oder 4.6.1897) wohl wegen Unklarheit des grafischen Befunds im verschollenen Originalbrief. Juni („VI.“) kommt aber dem Briefinhalt zufolge nicht in Frage.97.

Kurt Martens schrieb am 14. November 1897 in Leipzig folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 15.11.1897 aus Dresden:]


[...] es freut mich, daß Sie mit meinem Programm zufrieden sind.

Frank Wedekind schrieb am 15. November 1897 in Dresden folgenden Brief
an Kurt Martens

Sehr geehrter Herr Martens,

es freut mich, daß Sie mit meinem Programmdas von Wedekind für seine am 26.11.1897 in Leipzig (veranstaltet von der Literarischen Gesellschaft) zusammengestellte Programm, das er in seinem letzten Brief beschrieben und beigelegt hatte [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 4.11.1897]. zufrieden sindHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 14.11.1897.. Erlauben Sie mir heute nur einige Bemerkungen über die K. v. NeufudlWedekinds Tanzpantomime „Die Kaiserin von Neufundland“ (1897) sollte von der Literarische Gesellschaft in Leipzig uraufgeführt werden [vgl. Kurt Martens an Wedekind, 9.10.1897], was nicht zustande kam, „da der Musiker Hans Merian die gewünschten Kompositionen nicht lieferte“ [KSA 3/II, S. 794].. Wenn ich Zeit gefunden hätte wäre ich schon einmal zu Ihnen hinübergekommenvon Dresden nach Leipzig. Nun rechne ich darauf mich nach der Vorlesung einige Tage in Leipzig aufzuhalten. Vorläufig nur folgendes zur Orientierung:

Ich hielte es für angezeigt auf die Scenerie keine besondere Sorgfalt zu verwenden, umsomehr | aber auf die Kostüme, und auch hier nur auf wenige. Das wären Filissadie Titelfigur der Tanzpantomime: Ihre Majestät Filissa XXII., Kaiserin von Neufundland [vgl. KSA 3/I, S. 58]. HolthoffEugen Holthoff, „der stärkste Mann der Welt“ [KSA 3/I, S. 58], die männliche Hauptfigur in der Pantomime; sein Name geht auf den Artisten Ewald Lomberg zurück [vgl. Wedekind an Edmund Holthoff, 6.7.1910], der sich Holtoff nannte und den Wedekind am 21.12.1892 in Paris kennengelernt hatte: „Holtoff“, einer der „stärksten Männer der Welt […]. Holtoff setzt sich an unsern Tisch. Er ist ein schöner Mensch mit der einem starken Manne eigenen harmlos-selbstgefälligen Kindlichkeit.“ [Tb] Lea-GibaGraf Lea-Giba, „Ministerpräsident und Großschatzmeister“ [KSA 3/I, S. 58], der in der Tanzpantomime erstmals im 1. Bild, 3. Szene „als eleganter Kavalier von einer Dame gespielt“ [KSA 3/I, S. 63] aufritt. und die beiden Pagen Raoul und Edward„Pagen“ [KSA 3/I, S. 58], über die es in der Tanzpantomime im 2. Bild, 1. Szene heißt: „Beide Pagen sind mit ausgesuchtester Eleganz und Delikatesse gekleidet.“ [KSA 3/I, S. 71]. Alles übrige so grotesk und zugleich so einfach und b anspruchslos wie möglich. Die eben erwähnten weiblichen FigurenGraf Lea-Giba und die Pagen Raoul und Edward (siehe oben). müßten durch distinguirten Geschmack wirken. Holthoff dürfte in seinem Kostüm nicht lächerlich sein und erfordert deshalb einige Sorgfalt.

Bobin der Tanzpantomime im 1. Bild, 1. Szene eingeführt: „BOB, ein großer Hund Neufundländischer Rasse, mit treuen kummervollen, blutgeröteten Augen und starken hängenden Lefzen, folgt der Kaiserin Filissa gesenkten Hauptes mit schweren Schritten dicht auf den Fersen.“ [KSA 3/I, S. 60], den Hund, würde ich weglassen.

Die lebenden Kandellaberin der Tanzpantomime im 2. Bild, 1. Szene: „Das Gemach ist erhellt durch sechs LEBENDE KANDELABER, drei Paare, bestehend aus je einer männlichen und einer weiblichen Herme. Jede der Hermen trägt einen Helm mit drei elektrischen Glühlampen, zwei Glühlampen vor der Brust und eine mit einer dunkelroten Tulpe auf einem fackelähnlichen Stab“ [KSA 3/I, S. 70]. lassen sich entweder ganz eliminiren, oder was auf einer kleinen Bühne das Beste wäre, auf zwei reducieren, | die zu beiden Seiten des Lagers stehen.

Der Automobilwagenin der Tanzpantomime im 1. Bild, 5. Szene: „EIN ZWEISITZIGER AUTOMOBILWAGEN mit emporgeschlagenem Kutschendach kommt, stark rauchend, in den Saal gefahren, macht dreimal die Runde, hält vor dem Thron und pfeift, während sich der eiserne Schornstein mehrmals nach vorn senkt. [...] ALWA EDISON klappt das Kutschendach herunter und steigt in elegantester Soireetoilette mit weitausgeschnittener Weste aus dem Wagen. EIN NEGER, der den anderen Platz im Automobilwagen innehat, dirigiert denselben nach rückwärts.“ [KSA 3/I, S. 65] ist als eine primitive Maschine gedacht, wie Sie aus beiliegender Skizze ersehen wollen. Ich würde ihn der Einfachheit wegen nur für eine Person einrichten.

Nun aber die Hauptsache, die Composition, und dazu möchte ich Sie ersuchen mich mit Herrn MerianHans Merian, Schriftsteller und Verlagsbuchhändler in Leipzig (Thalstraße 21) [vgl. Leipziger Adreß-Buch für 1898, Teil I, S. 574], Chefredakteur der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1897, Teil II, Sp. 865], außerdem Komponist, der die Musik für die Tanzpantomime „Die Kaiserin von Neufundland“ komponieren oder jedenfalls einrichten sollte, was nicht geschah (siehe oben). in Beziehung zu setzen, indem Sie ihm vielleicht diese Zeilen vorlegen. Ich weiß zur Genüge daß ein Componiren der Pantomime in der kurzen Zeit auch für den geübtesten Musiker nicht möglich ist. Es handelte sich also um ein Arrangement, um ein Zusammenstellen geeigneter Musikstücke | und da würde ich mit dem/n/ schwierigsten Partien anfangen, um die einzelnen Stücke nachher nur noch durch beliebige Tanztempi zu verbinden.

Das Problematischste wäre natürlich das Kraftmotivdas musikalische Hauptmotiv in der Tanzpantomime, über das es im 3. Bild, 3. Szene heißt: „Die Musik spielt das Kraftmotiv aus dem ersten und zweiten Bild in vollkommener Zerrüttung und wüster Auflösung.“ [KSA 3/I, S. 89]. Dazu schwebte mir von Anfang an ein Beethofvenscher Walzer vor, der „Schmerzenswalzerein Walzer in f-moll, der nicht von Ludwig van Beethoven stammt; der „fälschlicherweise Beethoven zugeschriebene ‚Schmerzenswalzer‘ [...] genoß bereits damals Popularität.“ [KSA 3/II, S. 755] Er wurde „1829 zusammen mit [...] anderen Stücken unter dem Titel ‚Souvenir à Beethoven‘ veröffentlicht“ [KSA 3/II, S. 755]. Die Noten – Wedekind legte dem Brief handschriftliche Noten bei (siehe die Beilagen 1 und 2) – finden sich etwa als einer der „Walzer für Pianoforte“ unter dem Titel „Nr. 2. Schmerzenswalzer“ in einem mit Partituren versehenen Verzeichnis mit dem Hinweis „erschien als eine Composition von Beethoven i.J. 1826 bei Schott’s Söhnen in Mainz und bei Bachmann in Hannover.“ [G. Nottebohm: Thematisches Verzeichniss der im Druck erschienenen Werke von Ludwig van Beethoven. 2. Aufl. Leipzig 1868, S. 190f.]“, dessen erste paar Tacte ich Ihnen hier aus einer alten Abschrift beilege. Die Fortsetzung habe ich nicht mehr, habe sie aber aus dem Gedächtniß zu skizziren versucht. Dieser Walzer müßte Akt 1. Scene 6. angedeutet werden, Act 2. Scene 1 und undSchreibversehen, statt: und. Akt 2. Scene 2 sich nach und nach vervollkommnen und bei dem 400 Gewicht vollendet gespielt werden, dann bei dem 2000 Kg-Gewicht eine Variation ins Wagnerschenach der Manier von Richard Wagners Kompositionen. und im dritten Act eine | schwache, zerrüttete Wiedergabe davon erfolgen.

Der große NapoleonFigur in der Tanzpantomime [KSA 3/I, S. 58], eingeführt im 1. Bild, 4. Szene: „Tusch, Fanfaren, kriegerische Musik. DER GROSSE NAPOLEON tritt mit decidiertem Schritt [...] ein“ [KSA 3/I, S. 63], eine Persiflage auf Napoleon Bonaparte. würde natürlich mit von der Marseillaiseder Chant de guerre pour l’armée du Rhin, das berühmte französische Revolutionslied, 1792 von Claude Joseph Rouget de Lisle in Straßburg komponiert, „von den Marseiller Föderierten bei ihrem Einzug in Paris gesungen“ [KSA 3/II, S. 789], 1795 zur französischen Nationalhymne deklariert, nach zwischenzeitlichem Verbot dann wieder ab 1879. g/b/egleitet, vielleicht übergehend zum Schluß in „Oh du lieber Augustinpopuläres Volkslied, entstanden in Wien im 18. Jahrhundert.[“].

Alwa AdisonFigur in der Tanzpantomime [KSA 3/I, S. 58], nach dem amerikanischen Erfinder Thomas Alwa Edison, dessen Name im 19. Jahrhundert „zum Mythos für den Ingenieur und Erfinder“ [KSA 3/II, S. 785] wurde. Wedekind legte dem Brief eine „Zeichnung zum dampfgetriebenen Automobil von ‚Alva Adison‘“ [KSA 3/I, S. 798] bei (siehe Beilage 3). Yankee-Doodle.

2. Act II Scene nach Pustekohls TodHeinrich Tarquinius Pustekohl, „Poeta Laureatus“ [KSA 3/I, S. 58], erdolcht sich in der Tanzpantomime im 2. Bild, 3. Szene (nicht 2. Szene): „HOLTHOFF ist eben im Begriff, ihn hochzuheben, als PUSTEKOHL seinen langen Dolch aus dem Busen zieht und ihn sich ins Herz stößt. Er verblutet zu Füßen der Kaiserin“ [KSA 3/I, S. 79]. natürlich ein Trauermarsch.

Es liegt mir sehr fern, Herrn Merian irgend welche Weisungen ertheilen zu wollen, falls er die Güte hätte, die Musik zu arrangiren, wofür ich ihm sehr zu Dank verbunden wäre. Ich erlaube mir diese Bemerkungen nur, damit der Componist seine Aufgabe nicht zu schwer | auffaßt, denn dann wäre sie meinem Ermessen nach in der kurzen Zeit nicht zu lösen. Zur Ausführung der Musik würde ich vorschlagen: Klavier und einige Schlaginstrumente, Pauke Cymbeln„Zimbeln“ [KSA 3/I, S. 67]: „Kleine Becken“ [KSA 3/II, S. 792]. und Triangel.

Wollen Sie mich bitte Herrn Merian bestens empfehlen, ebenso Herrn Dr. HeineDr. phil. Carl Heine in Leipzig (Lampestraße 3), Direktor und Regisseur des Theaters der Literarischen Gesellschaft [vgl. Neuer Theater-Almanach 1898, S. 435]., dem ich Sie gleichfalls bitte, meine Ideen mittheilen zu wollen, beides nur um eine detaillirtere Verständigung gelegentlich des Vortragsabends um so rascher möglich zu machen

Ihnen, geehrter Herr Martens, danke ich bestens für Ihre Bemühungen | und für das Interesse, das Sie der Sache entgegenbringen und bin in vorzüglichster Hochschätzung

Ihr
Frank Wedekind.


Dresden 15.11.97. Walpurgisstr. 14 II.


[Beilage 1: Notenblatt]


Walzer No II.
Schmerzenswalzer
von
L. van Beethoven.


[Partitur]


[Beilage 2: Notenblatt]


[Partitur, durchgestrichen]

Fortsetzung v. Schmerzenswalzer.

[Partitur]


[Beilage 3: Zeichnung mit Beschriftung]


[Zeichnung]

ALVA ADISON

Kurt Martens schrieb am 5. Februar 1899 in München folgenden Brief
an Frank Wedekind

München, Fürstenstr. 19IKurt Martens, der im Vorjahr von Leipzig (Haydnstraße 1) [vgl. Leipziger Adreß-Buch für 1898, Teil I, S. 558] nach München umgezogen war, ist unter dieser Adresse (Fürstenstraße 19, 1. Stock) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1899, Teil II, S. 171] nicht verzeichnet und dürfte in Untermiete gewohnt haben.
den 5. Febr. 1899.


Mein lieber Wedekind,

nachdem ich gestern Ihre AdresseWedekind wohnte nun in Paris (Rue Bonaparte 49) [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 24.2.1899], wohin er von Zürich am 22.12.1898 gereist war [vgl. Wedekind an Beate Heine, 7.1.1899], im französischen Exil, um der Verhaftung wegen Majestätsbeleidigung infolge der „Simplicissimus“-Affäre zu entgehen [vgl. KSA 1/II, S. 1704-1712]. von von Richard erfahren habe, kann ich es mir nicht versagen, Ihnen eine seltsame Komplikation meines Lebens, meine VerlobungKurt Martens hatte sich mit Mary Fischer verlobt, der Tochter des pensionierten Münchner Oberlandesgerichtsrats Georg Fischer; angezeigt war: „Verlobte. [...] Kurt Martens, Schriftsteller aus Sachsen, mit M. Fischer, k. Oberlandesgerichtsrathstocher von hier.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 87, 22.2.1899, Vorabendblatt, S. 4] Das Paar heiratete am 29.3.1899 in München. nämlich, mitzuteilen. Die Mangelhaftigkeit der hiesigen Wohnungs- und Restaurant-Verhältnisse einerseits, mein Bedürfnis, verehrt, geliebt und verwöhnt zu werden andrerseits wiesen gebieterisch auf ein junges, stilles und | schüchternes Mädchen hin, die, wie wenige ihres Geschlechtes, berufen sein dürfte, meinen Erwartungen zu genügen. Sie heißt Mary, ist die Tochter eines weil. Oberlandesgerichtsrates, ein paar Jahre jünger als ich und ziemlich hübsch. Da ich solch liebe, unterwürfige Geschöpfe stets sehr gern gehabt habe, so bin ich ich auch im stande, ihre rührende Zuneigung zu erwidern. Ende März werden wir heiraten und eine zierliche Wohnung, Franz Josephstr. 48IIKurt Martens war unter dieser Adresse (Franz Josefstraße 48, 2. Stock) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil I, S. 361] dann verzeichnet. beziehen. Ich bin sehr glücklich in der Hoffnung, wie beruhigend und kräftigend diese Ehe auf mich und meine Arbeiten einwirken wird. –

Im übrigen genieße ich maßvoll das Münchner Leben, insbesondere den Fasching, die Premieren und jours fixes. Mme Morawetz ist noch immer jung. Ihre Tochter Mizi könnte mich als Geliebte wahnsinnig machen und als Ehefrau unter die Erde bringen Frau von OehlschlägerMarie von Oehlschläger (geb. Mellenthin), Gattin des Reichsgerichtspräsidenten und Mutter des Schriftstellers und Malers Hans von Oehlschläger, den Wedekind grüßen ließ [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 9.11.1899]. spielt eine Rolle in der guten Gesellschaft, und auch Weber heiratet demnächstHans von Weber, der Cousin von Kurt Martens, war mit Anna Jäger verlobt; angezeigt war: „Verlobte. [...] Hans von Weber, Schriftsteller aus Sachsen, mit Anna Jäger, Lohgerberstochter von Leipzig.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 129, 18.3.1899, Vorabendblatt, S. 4] Das Paar heiratete am 29.3.1899 in München – am selben Tag wie Kurt Martens und Mary Fischer (siehe oben). sein Verhältnis. Jeden Montag tagt „die UnterströmungMax Halbes zwanglose Münchner Kegelrunde [vgl. Kemp 2017, S. 29], 1898 gegründet. „Der Geselligkeit diente Max Halbes zur Kegelbahn gewordene ‚Unterströmung‘“ [Kutscher 2, S. 74], eine Kegelgemeinschaft, die ihm zufolge einen „Stamm tüchtiger Kegler“ hatte, „deren Namen [...] auf dem literarischen Felde [...] einen guten, vielfach sogar einen weithin hallenden Klang hatten.“ [Halbe 1935, S. 379]“: Halbe, Steiger, einige Maler, Weber und ich, auch Wolzogen und Conrad, die, während der Hofkapellmeister Stavenhagen auf einem verstimmten Klavier ungarische Tänze spielt, zusammen cancanierenvon ‚cancaner‘ (frz.) = den Cancan tanzen; auch: klatschen, tratschen.. Halbes „Lebenswende“ erlebte gestern im Schauspielhaus einen bösen DurchfallDie Presse schrieb über die Premiere von Max Halbes Komödie „Lebenswende“ (1896) am 4.2.1899 im Münchner Schauspielhaus: „Das war ein böser Abend [...]. In der Lebenswende verläuft alles im Sande. Bewundert haben wir nur das Publikum; das war ein Achtungsdurchfall von vornehm höflicher Entschiedenheit, man klatschte nach dem ersten Akt, dem zweiten folgte Todtenstille, nach dem dritten mischte sich Beifall und Zischen und den letzten begleitete unterdrücktes Gelächter, beschloß fast einmütiges Zischen. Wir dürfen das Stück wohl als bekannt voraussetzen, es verdient diese Aufnahme, jede Beschönigung wäre zwecklos.“ [Allgemeine Zeitung, Jg. 102, Nr. 37, 6.2.1899, S. 2] „Das Premièrenpublikum des Schauspielhauses ist ein ungerechter, ein inkonsequenter und ein grausamer Richter. Man hat dort schon Stücke, die an künstlerischen Qualitäten sich mit der ‚Lebenswende‘ nicht im Entferntesten messen können, mit lautem Beifall aufgenommen, – diese selbst hat man am Samstag verhöhnt und verlacht.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 60, 7.2.1899, Vorabendblatt, S. 1]; dagegen ist sein | neustes Stück „Die Heimatlosen“ – er las es uns vorgestern vor – von starker Wirkung; soll in 14 Tagen am LessingtheaterMax Halbes Drama „Die Heimatlosen“ (1899) wurde am 21.2.1899 im Berliner Lessingtheater uraufgeführt. Die Münchner Presse konstatierte: „Halbes Schauspiel ‚Die Heimatlosen‘ hatte im Lessing-Theater einen starken äußern Erfolg.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 88, 22.2.1899, Morgenblatt, S. 3] kommen. –

Wie ich höre, sollen Sie in Paris fleißig sein. Erzählen Sie mir, bitte, ein bischen, was Sie treiben und schreiben. Wird Ihr undankbares Vaterland Sie niemals wiedersehen? Oder wollen Sie die zwanzigjährige Verjährungsfristbezieht sich auf die Anklage wegen Majestätsbeleidigung in der „Simplicissimus“-Affäre (siehe oben). abwarten? –

La vie est dure(frz.) Das Leben ist hart., mein lieber Wedekind. Wenn wir unsre beiden Persönlichkeiten doch verschmelzen oder konkret ausgedrückt – wenn wir doch ein Stück zusammen schreiben könnten! – Das müßte ein Erfolg werden.

Die schönsten Grüße von
Ihrem Antipoden
Kurt Martens.


Frank Wedekind schrieb am 9. November 1899 in Festung Königstein folgenden Brief
an Kurt Martens

Mein lieber Martens!maschinenschriftliche Textrestitution auf einem eingeklebten Blatt aufgrund von Papierverlust (siehe die Hinweise zur Materialität).

Sie benutzen also die günstige Gelegenheit, daß ich im GefängnisWedekind, der sich am 2.6.1899 in Leipzig den Behörden gestellt hatte, am 3.8.1899 wegen Majestätsbeleidigung in der „Simplicissimus“-Affäre zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt wurde und die Gefängnishaft dann am aufgrund eines Begnadigungsgesuchs vom 23.8.1899 in Festungshaft umgewandelt worden ist, war seit dem 21.9.1899 auf der Festung Königstein inhaftiert [vgl. KSA 1/II, S. 1710]. sitze dazu um sich zu verheirathenKurt Martens und Mary Martens (geb. Fischer) heirateten am 29.3.1899 in München, was der Freund Wedekind angekündigt hatte [vgl. Kurt Martens an Wedekind, 5.2.1899].. Ich muß es Ihnen selbst überlassen für eine derartige Handlungsweise die richtigen Ausdrücke zu finden. Wie mir Dr. Heine, der mich vor vier Wochenam 12.10.1899, genau gerechnet; der Besuch fand aber früher statt. Carl Heine hat Wedekind gleich in den ersten Tagen seiner Haft auf der Festung Königstein besucht [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 5.10.1899]. besucht hat, erzählt, haben Sie es derweil auch nicht bei der bloßen Heirat bewenden lassen sondern sind viel/noch/ weiter gegangenAnspielung auf die Schwangerschaft von Mary Martens; die Geburt der Tochter Hertha Helena Martens wurde 1899 „zu Weihnachten“ [Kurt Martens an Wedekind, 5.12.1899] erwartet.. Und nun erwarten Sie eventuell von mir noch, Ihnen zu alledem Glück zu wünschen. Aber ich bin an Grauen zur genüge gewöhnt um mich noch über etwas zu wundern. | Dessenungeachtetmaschinenschriftliche Textrestitution auf einem eingeklebten Blatt aufgrund von Papierverlust (siehe oben). gestehe ich Ihnen, dass mich in meiner Einsamkeit eine heftige Sehnsucht nach Ihnen ergreift. Vor einigen Tagen las ich im Berliner Tageblatt eine sehr lobende anerkennende und ohne Zweifel auch verdiente Anzeige eines NovellenbandesPaul Block hatte im „Berliner Tageblatt“ den Band „Tagebuch einer Baronesse von Treuth und andere Novellen“ (1899) von Kurt Martens zustimmend besprochen: „Dies neue Buch des feinsinnigen und geistreichen Verfassers des ‚Roman aus der Décadence‘ gehört zu den Werken, die man recht langsam lesen muß. Es ist wie ein alter, guter Wein, nicht besonders stark, aber von unendlich feinem Aroma, den man mit gewölbter Zunge schlürft, und der uns mit stillem, wärmendem Feuer durchströmt. [...] Mir erscheinen Seelenskizzen wie das ‚Tagebuch der Baronesse von Treuth‘ [...] als nicht hoch genug zu werthende Gaben in unserer literarischen Tombola, die so unendlich viel Nieten in lockender Verpackung enthält.“ [P.B.: Kurt Martens. Tagebuch einer Baronesse von Treuth und andere Novellen. Berlin, F. Fontane u. Co. In: Berliner Tageblatt, Jg. 28, Nr. 512, 7.10.1899, Abend-Ausgabe, 1. Beiblatt: Litterarische Rundschau, S. (1)] von Ihnen. Ich habe mich aufrichtig sehr darüber gefreut aber das war der Funken in das Pulverfaß meiner während fünf Monaten verhaltenen Empfindungen. Mit stiller Wehmut denke ich an die schönen Tage in LeipzigWedekind, 1898 am Theater der Literarischen Gesellschaft (Direktion: Carl Heine), zugleich Ibsen-Theater, in Leipzig als Dramaturg und Schauspieler engagiert [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 408], und Kurt Martens, Mitbegründer der Literarischen Gesellschaft, hatten vor der Leipziger Uraufführung des „Erdgeist“ (25.2.1898) täglichen Umgang miteinander. zurück, an Ihr molliges Interieurdie wohl gemütliche Wohnungseinrichtung von Kurt Martens in Leipzig (Haydnstraße 1, Parterre) [vgl. Leipziger Adreß-Buch für 1898, Teil I, S. 558]. und Ihr noch von keinen Vaterfreuden präoccupirtesbefangen gemachtes. Herz. Aber wenn das Alles nun doch | jemand a/A/anders/e/m gehört so lassen Sie mich wenigstens an Ihrem Glück theilnehmen. Sie wissen wie viel Verständnis ich für das Glück meiner Freunde habe. Ich hoffe zuversichtlich, daß auch Sie mich Ihre Seligkeit mitempfinden lassen werden.

Was soll ich Ihnen von mir schreiben? Seit jenem Abend da wir zu dritt, Sie, Weber und ich auf einen kurzen Augenblick zusammen im Hofbräu saßen, der letzte behagliche Augenblick, den ich erlebt habe, ist bei mir sowohl wie bei Ihnen mancher Tropfen Wasser den Fluß hinabgelaufen. Aber bei Ihnen waren die Wassertropfen Tropfen der Lust, wogegen mein Wasser das Wasser der Bitternis war. Ich bitte Sie | fest davon überzeugt sein zu wollen, daß die Sehnsucht nach Ihnen der alleinige Grund war, der mich veranlaßte die Freuden der SeinestadtWedekind war am 22.12.1898 von Zürich nach Paris gereist [vgl. Wedekind an Beate Heine, 7.1.1899], wo er lebte, bis er sich am 2.6.1899 in Leipzig den Behörden stellte (siehe oben). mit der Stille der Gefängniszelle zu vertauschen. Ich hätte auch um Ihretwillen noch ganz andere Opfer gebracht und mich in ganz andere Gefahren gestürzt. Und nun wo das schlimmste überstanden und ich daran denke die Frucht meiner Leiden in die Arme schließen zu können, muß ich hören daß Sie sich feige verheiratet haben. Vier Monate Gefängnis und vier Monate Festung umsonst gesessen, die reine Donquixoterie! Hätte ich das ahnen können, ich wäre ruhig bei meiner Pariser Geliebten geblieben, der alten | Frau Herwegh, die Ihnen trotz ihrer 87 Jahre an jugendlichem Feuer nicht nachsteht.

Aber genug der JeremiadenKlagelieder.. Wie geht es in München? Ich hoffe Sie werden etwaigen infamen Verleumdungen die darauf ausgehen mein Verhalten in LeipzigWedekind hatte bei dem Majestätsbeleidigungsprozess am 3.8.1899 in Leipzig (siehe oben) vor dem Gericht den Verleger Albert Langen (er lebte infolge der „Simplicissimus“-Affäre nach wie vor im Exil) als „skrupellosen Geschäftsmann“ hingestellt, „der sich auf Kosten seiner Mitarbeiter bereichern wollte“ [Abret/Keel 1985, S. 27]. in schlechtem Licht erscheinen zu lassen keinen Glauben beimessen. Ich bemerke das nur ganz beiläufig. Ich kann mich ja augenblicklich nicht wehren. In dem Moment wo ich wieder in München bin, verstummt das Geschwätz mit der größten Eilfertigkeit, dessen bin ich s/v/öllig gewiß. Die literarischen, speziell dramatischen Wogen gehen überaus hoch in München, wie ich zu meiner Freude lese. Kommen | Sie vielleicht hie und da mit Halbe zusammen,/?/ dann grüßen Sie ihn herzlich von mir. Was macht Ihr specieller literarischer Kreis? Ich meine damit mehr die Damen, denn im Übrigen zähle ich Sie zu keinem speciellen Kreis. Und sagen Sie mir noch Eines: Sind Sie glücklich? Können Sie glücklich sein? Ich kann es nicht. Wenn Sie zufällig nach Dresden kommen besuchen Sie mich vielleicht. Sie finden hier gute Luft, gutes Bier, guten Wein, kurzum alles was Ihr schlechtes Gewissen betäuben kann. Nur muß ich zwei Tage vorher davon unterrichtet sein um die Kanonen für die Salutschüsse auffahren lassen zu können. Wenn | Sie im Taumel Ihres überströmenden Glückes und des literarischen Gewoges eine freie Minute finden, so opfern Sie vielleicht noch einige ersterbende Empfindungen auf dem Altar der alten Götter. Schreiben Sie mir recht ausführlich, machen Sie mir den Mund wäßrig, vielleicht bekehre ich mich dann auch, folge Ihrem Beispiel, heirate ein unschuldiges junges Gänschen, das sich von mir den Himmel auf Erden verspricht und wunder glaubt welchen Fang sie gemacht habe. Wissen Sie nicht vielleicht irgendjemand in Ihrer Umgebung bei dem ich meine Batterien spielen und meine Minen springen lassen könnte. Ich bat Sie seinerzeit schon, mich Ihrer Fräulein Schwester zu | empfehlen, aber damals waren Sie der EifersüchtigeKurt Martens erinnerte sich später an eine Szene mit Wedekind in der Literarischen Gesellschaft in Leipzig, in der es um seine Schwester ging: „An einem unserer Gesellschaftsabende war zufällig einmal meine Schwester zugegen. Er nahm es mir ernstlich übel, daß ich ihn nicht mir ihr bekannt machte. ‚Das ist eine unverdiente Zurücksetzung‘, sagte er voll Bitterkeit. ‚Fürchten Sie etwa, ich könnte Ihr Fräulein Schwester vor allen Leuten vergewaltigen?‘ – ‚Das zwar nicht‘, erwiderte ich ihm. ‚Aber, Sie verstehen ... die bewußte Frage, die Sie gewohnheitsmäßig an jede junge Dame richten: Mein Fräulein, sind Sie noch Jungfrau? ... Auf diese Frage hätte Ihnen meine Schwester, vorurteilsvoll, wie sie nun einmal ist, vielleicht den Rücken gewendet.‘ Er knirschte mit den Zähnen und grinste hinterhältig: ‚Zugegeben, ich richtete diese aufklärende Frage wirklich an Ihr Fräulein Schwester, und sie ließ mich darauf schimpflich abfallen, wäre damit nicht immerhin eine erste Beziehung angeknüpft gewesen?‘“ [Martens 1921, S. 206f.] Margarethe Martens heiratete am 28.9.1900 in Loschwitz den sächsischen Juristen und Staatsbeamten Max Ferdinand von Koppenfels.. Sie waren nicht einmal dazu zu bringen mich ihr vorst/z/ustellen, so zitterten Sie um Ihren Besiz.

Tempi passati(lat.) Die Zeiten sind vorbei.; machen Sie gut was Sie versäumten. Empfehlen Sie mich bitte aufs beste Ihrer geehrten Frau Gemahlin, grüßen Sie bitte auch Weber, wenn Sie ihn sehen und Herrn von Öhlschläger und sein Sie selber in alter Herzlichkeit gegrüßt von Ihrem

sehr discreten

Frank Wedekind


Festung Königstein.
9.XI 99.

Kurt Martens schrieb am 5. Dezember 1899 in München folgenden Brief
an Frank Wedekind

München, Franz Josephstr. 48/II.
den 5. Dezember 1899.
Kälte. Schnee und Regen.


Mein lieber Wedekind,

Ihr Briefvgl. Wedekind an Kurt Martens, 9.11.1899. war mir eine große Freude und Überraschung. Eine Überraschung besonders deshalb, weil ich Ihnen im Januarirrtümlich, statt: Februar (siehe unten). d. J. sehr eingehend und nicht ohne Gemüt nach Paris geschriebenvgl. Kurt Martens an Wedekind, 5.2.1899. In diesem Brief hatte Kurt Martens von seiner Verlobung mit Mary Fischer berichtet, mit der er inzwischen verheiratet war. hatte, ohne daß Sie all meine sensationellen Mitteilungen incl. Verlobungsanzeige einer Antwort gewürdigt hätten. Vielleicht aber ist jenes Schreiben nicht an die Adresse gelangt, die ich von Hans Richard erfahren hatte. Eine „Gratulation“ erwartete ich auch nicht. Sie wurde mir mit Recht von allen weiseren Männern vorläufig | versagt. Denn a priori(lat.) von vornherein, grundsätzlich. ist natürlich jede Ehe eine Thorheit und eine große Gefahr. Ich hätte mich auch wohl gehütet, mich mit einem Geschlechtsweib, einem „Vollweib“, überhaupt mit einem Weibe zusammenzuketten, das irgend welche Genuß- oder Herrscherinstinkte hat. Solch eine Ehe muß ja den Mann zu Grunde richten. Meine Frau ist aber auch kein GänschenBriefzitat. Wedekind hatte von „Gänschen“ [Wedekind an Kurt Martens, 9.11.1899] gesprochen., denn sie ist weder oberflächlich, noch albern, noch eitel. Sie hat eigentlich nur eine Eigenschaft – und jetzt gerate ich in bewußten Enthusiasmus – sie ist von einer grenzenlosen Güte! Nun sehe ich das Lächeln der Verachtung auf Ihren schönen, ausdrucksvollen Lippen. Aber ich kann Ihnen nur sagen, daß eine ähnliche Frau Ihnen noch weit besser bekommen würde als mir, und | zwar auf/s/ gleichen Gründen. Sie beeinflußt mich in keiner Weise, weder meine Anschauungen, noch meine Beschäftigung noch meine spärlichen Genüsse. Sie lebt einzig der Aufgabe mir zu Hause eine warme Athmosphäre von Liebe und Stille zu bereiten, mich zu pflegen, zu beruhigen, mir einen Nachkommen zu gebären und aufzuziehen, einen Nachkommen, der, wie ich zuversichtlich hoffe, von einer guten, wenn auch nicht robusten Race sein wird. Also, um mich auf eine philosophische Autorität zu stützen, ein Weib nach dem Rezept von NietzscheDie nach zeitgenössischen Mustern Weiblichkeit imaginierenden Maximen von Kurt Martens sind an Ausführungen Friedrich Nietzsches orientiert, der in verschiedene Schriften sein problematisches Frauenbild im Zusammenhang mit der Institution der Ehe erörtert hatte. Kurt Martens schrieb erinnernd, er „beschäftigte“ sich „damals hauptsächlich mit Nietzsches Werken. Ich las und las sie immer wieder, von vorn nach hinten, von hinten nach vorn und Aphorismen mitten heraus, mit innigster Sympathie und Bewunderung mehr für den Dichter und Menschen als für den Philosophen; indes, ich kann nicht sagen, daß ich zu irgend einer Zeit meines Lebens dem Erlebnis Nietzsche ganz verfallen gewesen wäre.“ [Martens 1924, S. 20]: Keine Gefährtin, auch kein Genußmittel, aber eine Basis für die allzumenschlichenAnspielung auf Friedrich Nietzsches Schrift „Menschliches, Allzumenschliches“ (1878). Instinkte. Insofern kann ich schon sagen, daß ich glücklich bin, soweit es eben je|mand sein kann, der weder Genie noch Kraftmensch‚Genie‘ und ‚Kraftmensch‘ sind anthropologische Kategorien des Sturm und Drang, der sogenannten Genieperiode des 18. Jahrhunderts. ist, sondern sein kleines Leben mit Kompromissen fristen muß. Für mich giebt es keine Tragödie, aber auch keinen Rausch. Selig kann ich nur noch sein, wenn mir künstlerisch etwas gelungen ist. Wenn ich Ihre Natur besäße, so wüßte ich schon, was ich thäte. Zunächst heiratete ich gleichfalls, womöglich Frau StrindbergWedekinds inzwischen gelöste intime Beziehung mit Frida Strindberg, die von ihm ein uneheliches Kind hatte, war Anfang 1897 breit registriert worden: Rainer Maria Rilke schrieb an Oskar Fried, eine der „Hauptklatschgeschichten Münchens“ sei „die Verlobung Frank Wedekinds mit Frau Strindberg“ [J. A. Stargardt: Katalog 560 (1962), Nr. 953]; und Max Halbe schrieb am 4.2.1897 an Luise Halbe: „Wedekind hat sich mit Frida Strindberg verlobt!“ [Mü, MH B 589], dann schlösse ich gleichfalls zunächst einige ungefährliche Kompromisse, nähme z. b. irgend eine feste Stellung an einer Zeitung oder einem Theater an, schriebe ein nicht allzu wüstes, bühnenmäßiges Stück, würde überhaupt den Staatsangehörigen vorläufig die Meinung erwecken, ich wäre gesonnen, mich ihren Einrichtungen anzubequemen. | Das klingt Ihnen wahrscheinlich alles abscheulich. Aber nach meiner und aller Ihrer Freunde Überzeugung ist das der erste und notwendigste Kompromiß, den Sie schließen müßten. Verzeihen Sie mir, lieber Wedekind, diese philiströsen Redensarten. Aber ich habe die letzten 11 Monate mehr mit Ihnen mich beschäftigt als Sie glauben und habe mich in fremden Menschen immer besser zurecht gefunden, als in mir selber. Hier leitet jetzt Bierbaum mit zwei jungen Leuten und 5 Millionen Kapital die „Insel“, eine hoffnungsvolle KunstzeitschriftDas erste Heft der ästhetisch anspruchsvoll gestalteten literarischen Monatsschrift „Die Insel“ ‒ herausgegeben von Otto Julius Bierbaum, Alfred Walter Heymel (der auch das Startkapital aufbrachte) und Rudolf Alexander Schröder, erschienen im Verlag der Insel bei Schuster & Löffler in Berlin ‒ kam im Oktober 1899 heraus. Wedekind, der dann ab dem Jahr darauf in der „Insel“ veröffentlichte, war über diese Zeitschriftengründung bereits informiert [vgl. Wedekind an Beate Heine, 22.9.1899].. Das wäre so ein Weideplatz für Sie! – Was Sie im übrigen von München gehört haben, weiß ich nicht, kann Ihnen also nur das Wesentlichste berichten. Ich selbst sitze mit im Vorstand der Litt. Gesellsch.Kurt Martens war neben Emil Sulger-Gebing, Georg Habich, Gustav Keyßner und Wilhelm von Scholz Mitglied der Lese- und Theaterkommission (Vorsitz: Friedrich von der Leyen) der 1897 in München gegründeten Literarischen Gesellschaft (Büro: Jägerstraße 3b), deren Vorsitzender Ludwig Ganghofer war (stellvertretender Vorsitzender: Fritz von Ostini, Schriftführer: Friedrich von der Leyen, Schatzmeister: Fritz Schwartz); ihr Zweck: „Aufführung von Werken, die aus nicht künstlerischen Gründen von den öffentl. Bühnen ausgeschlossen sind (5 Vorst. im Jahr) und öffentl. Vorträge.“ [Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1900, Teil I, Sp. 34] Kurt Martens war am letzten Vortragsabend der Literarischen Gesellschaft am 24.11.1899 nicht nur als Mitglied beteiligt: „Münchener Literarische Gesellschaft. Freitag, den 24. November, Abends 8 Uhr im Mathildensaale findet der zweite Vortragsabend statt. Programm: Novelletten Münchener Autoren – Thomas Mann, Kurt Martens, Arthur Holitscher, Otto Julius Bierbaum – vorgetragen von Herrn Hofschauspieler O. König.“ [Münchner Neuester Nachrichten, Jg. 52, Nr. 541, 23.11.1899, Morgenblatt, S. 3] Im Frühjahr 1900 stellte die Münchner Literarische Gesellschaft ihre Tätigkeit ein [vgl. Wülfing/Bruns/Parr 1997, S. 340-343]., die mühsam gute Stücke | für ihre Aufführungen sucht und meist unter Stollbergs RegieGeorg Stollberg war Direktor am Theater am Gärtnerplatz und führte dort die Oberregie [vgl. Neuer Theater-Almanach 1900, S. 458]. Die letzte Aufführung der Literarischen Gesellschaft (siehe oben) im Theater am Gärtnerplatz hatte am 20.11.1899 stattgefunden: „Münchner Literarische Gesellschaft. Wir machen nochmals darauf aufmerksam, daß Montag, 20. November (Abends halb 8 Uhr) im ‚Theater am Gärtnerplatze‘ die erste Aufführung dieser Spielzeit stattfindet.“ [Münchner Neuester Nachrichten, Jg. 52, Nr. 534, 19.11.1899, S. 4] Die nächste Aufführung war für den 20.12.1899 angekündigt: „Münchener Litterarische Gesellschaft. Mittwoch, den 20. Dez., abends 7½ Uhr, findet im Theater am Gärtnerplatz die zweite Aufführung der Spielzeit 1899/1900 statt.“ [Allgemeine Zeitung, Jg. 102, Nr. 348, 16.12.1899, 2. Abendblatt, S. 6] im Gärtnerplatztheater spielt. Den Montag-Abend der „Unterströmungdie von Max Halbe gegründete zwanglose Münchner Kegelrunde [vgl. Kurt Martens an Wedekind, 5.2.1899].“ besuche ich nicht mehr, da er ganz in ein rauhbeinig-socialdemokratisches Fahrwasser geriet. SteigerEdgar Steiger, Schriftsteller in München und Kritiker bei den „Münchner Neuesten Nachrichten“ [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1900, Teil II, Sp. 1375], war weiterhin Theaterreferent der großen Münchner Tageszeitung [vgl. Edgar Steiger: Irene Triesch in München. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 560, 5.12.1899, Vorabendblatt, S. 1; Edgar Steiger: Der Vater. Trauerspiel von August Strindberg. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 571, 12.12.1899, Vorabendblatt, S. 1; Edgar Steiger: Drohnen. Schauspiel in vier Akten von R. Stratz. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 573, 13.12.1899, Vorabendblatt, S. 2-3; Edgar Steiger: Die Wildente. Schauspiel in 5 Akten von Henrik Ibsen. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 579, 16.12.1899, Vorabendblatt, S. 1; Edgar Steiger: Wenn wir Todten erwachen. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 591, 23.12.1899, Vorabendblatt, S. 1-2; Edgar Steiger: Die Heimatlosen. Drama in fünf Aufzügen von Max Halbe. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 52, Nr. 598, 29.12.1899, Vorabendblatt, S. 2-3] Er war 1898 von Leipzig (dort war er als Redakteur der sozialdemokratischen Sonntagsbeilage „Die Neue Welt“ 1897 im sogenannten Nazarener-Prozess zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden) nach München übergesiedelt und gehörte dort zu dem Freundeskreis, in dem Wedekind verkehrte., der übrigens kürzlich aus den „Münchener Neuesten“ als Theaterkritiker zur allgemeinen Schadenfreude wieder ausgewiesen wurde, beherrscht dort alles mit seinem brutalen Mundwerk. Halbe geht noch regelmäßig hin; weshalb begreife ich nicht. Sonst sind nur noch ganz unwesentliche Leute da. Besonders in dieser Gesellschaft wurden Sie viel ver|lästert. Hauptvorwurf: Sie hätten sich vor GerichtWedekind hatte sich bei dem Majestätsbeleidigungsprozess am 3.8.1899 in Leipzig [vgl. KSA 1/II, S. 1710] kritisch über seinen Verleger Albert Langen geäußert und angenommen, in München seien darüber „Verleumdungen“ [Wedekind an Kurt Martens, 9.11.1899] im Umlauf. von der Majestätsbeleidigung dadurch zu reinigen versucht, daß Sie ihren Wohltäter Langen beschuldigten, er habe durch die Honorare Sie verlockt wider Ihre bessere Überzeugung solch gefährliches Zeug zu schreiben. – Nun, sei dem wie ihm wolle. Sie wissen, daß noch ärgere Schandthaten mich nicht zur sittlichen Entrüstung zwingen konnten. – Weber läßt Sie vielmals grüßen und will Ihnen auch nächstens schreiben. Er wohnt in einer entzückenden VillaHans von Weber wohnte mit seiner Frau Anna von Weber (geb. Jäger) in einer Villa in „München-Neuwittelsbach“ [Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1900, Teil II, Sp. 1509] (Romanstraße 26, 1. und 2. Stock) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil I, S. 614]. mit seiner – jetzt legitimen – Frau in Mü-Wittelsbachdie Villenkolonie Neuwittelsbach im Münchner Stadtteil Nymphenburg., sodaß ich ihn seltener sehe. | Sonst sehe ich nur gelegentlich mal jemand, besonders Kasynervermutlich Schreibversehen (Buchstabendreher), statt: Kaysner; gemeint sein dürfte Dr. phil. Gustav Keyßner [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1900, Teil II, Sp. 697], Schriftsteller in München (Seestraße 3e) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil I, S. 277], der wie Kurt Martens Mitglied im Vorstand der Münchner Literarischen Gesellschaft war (siehe oben).. Mit Peter Altenberg war ich ein paar Mal zusammen. Er lebt jetzt hierPeter Altenberg war als Schriftsteller eigentlich in Wien ansässig [vgl. Deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1900, Teil II, Sp. 14]. und hat in seinem Wesen und z. T. auch in seinem Äußern eine verblüffende Ähnlichkeit mit Ihnen. Die litterarischen Salons besuche ich nicht mehr. Sobald ich sie einmal kennen gelernt hatte, langweilten sie mich natürlich. Ich höre viel Musik. In Konzerten oder zu Haus. Denn meine Frau spielt recht gut. Zum Zwecke des Neben-Verdienstes schreibe ich Recensionen, u. habe mich von der „Zeit“ als TheaterkritikerKurt Martens schrieb seit einigen Wochen für die jeden Samstag erscheinende Wiener Wochenschrift „Die Zeit“ (sie erschien von 1894 bis 1904) in der Rubrik „Kunst und Leben“ Notizen aus dem Münchner Theaterleben: „Man schreibt uns aus München: [...] Kurt Martens.“ [Die Zeit, Bd. 21, Nr. 264, 21.10.1899, S. 44; vgl. Nr. 265, 28.10.1899, S. 61; Nr. 669, 25.11.1899, S. 125f.] f. München anstellen lassen. Einen neuen RomanKurt Martens, der zuletzt seinen „Roman aus der Decadence“ (1898) veröffentlichte, hatte vermutlich mit seinem nächsten Roman „Die Vollendung“ (1902) begonnen. hab ich begonnen. |

Besuchen kann ich Sie unmöglich in Ihrer Haft. Vorläufig bin ich überhaupt hier gefesselt durch die NiederkunftDie Geburt des Kindes wurde zu Weihnachten 1899 erwartet – es war dann eine Tochter, Hertha Helena Martens [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 26.12.1899]. meiner Frau zu Weihnachten, durch Besuch meiner Mutter etc. Aber Ihre HaftWedekind wurde am 3.2.1900 aus seiner Festungshaft entlassen, die er wegen Majestätsbeleidigung verbüßte [vgl. KSA 1/II, S. 1710]. wird doch auch inzwischen ablaufen. Dann kommen sie doch wohl sofort wieder her?

Liebster, leben Sie wohl!
Ewig der Ihrige
Kurt Martens.

Kurt Martens und Mary Martens schrieben am 24. Dezember 1899 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 26.12.1899 von der Festung Königstein:]


Nun ist Ihnen auch die Erfüllung dieses Wunsches geglückt [...]

Frank Wedekind schrieb am 26. Dezember 1899 in Festung Königstein folgenden Brief
an Kurt Martens

Mein lieber Martens,

Sie sind doch ein verhätscheltes Glückskind. Erinnern Sie sich noch wie Sie mir vor zwei JahrenEnde 1897 oder Anfang 1898 in Leipzig. Kurt Martens erinnerte sich: „Über unser beider Qualifikation zum Ehemann und Vater hatte ich mich noch lange bevor die Frage brennend wurde, mit Frank Wedekind tiefgründig und höchst offenherzig ausgesprochen.“ [Martens 1921, S. 243] erzählten, daß Sie sich zu Kindern lediglich MädchenKurt Martens erinnerte sich: „Der Himmel hatte ein Einsehen und schenkte mir wahrhaftig ein Töchterchen [...]. Es wurde auf die Namen Hertha Helena getauft.“ [Martens 1921, S. 243] wünschten, weil Sie gar nicht wüßten was Sie mit Knaben anfangen sollten. Nun ist Ihnen auch die Erfüllung dieses WunschesHinweis auf eine nicht überlieferte Geburtsanzeige; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens, Mary Martens an Wedekind, 24.12.1899. Die Eltern dürften Wedekind über die Geburt ihrer Tochter Hertha Helena Martens, die „zu Weihnachten“ [Kurt Martens an Wedekind, 5.12.1899] erwartet worden war, durch eine vermutlich gedruckte Geburtsanzeige informiert haben. geglückt, wie alles was Sie in Ihrem ruhigen besonnenen Zielbewußtsein vornehmen. Wie ich aus dem hübschen geschmackvollen TitelAnspielung auf die Kombination des deutschen („Hertha“) mit dem griechischen Vornamen („Helena“) in der Namensgebung der Tochter von Kurt Martens (siehe oben), mit der die Geburt als Metapher für schriftstellerische Produktion rhetorisch eröffnet wird. ersehe, den Sie Ihrem WerkeWedekind setzt die Geburt der Tochter von Kurt Martens hier in Analogie zu einem geschaffenen literarischen Werk. gegeben verfolgten Sie das Ziel, die Deutsche Seele mit der griechischen Schönheit zu vereinigen. Wenn es mir einmal vergönnt sein sollte, das Buch zu durchblättern, werde ich mit Aufmerksamkeit darauf achten, in welcher Weise Sie das Problem gelöst haben; denn daß Sie es gelöst haben, dara/vo/n bin ich bei der großen Sicherheit mit der Sie arbeiten von vorn | herein fest überzeugt. Eines fürchte ich nur, das sage ich Ihnen ganz offen, daß Sie den Stoff zu sehr fin de siècle behandelt haben. Es kann sich das ja aber ebensowol als ein Vortheil wie als Nachtheil erweisen. Auf jeden Fall also meine herzlichsten aufrichtigen Glückwünsche. Wenn ich an meine eigenen ArbeitenAnspielung Wedekinds auf seine eigenen beiden unehelichen Kinder, die Analogiebildung von der Geburt eines Kindes mit einem geschaffenen literarischen Werk fortführend (siehe oben). zurückdenke fühle ich mehr als je, wie schwer es ist, etwas wirklich harmonisches zu schaffen.

Wollen Sie bitte auch Ihrer verehrten Frau Gemahlin meinen herzlichen Glückwunsch aussprechen.

In Ihren lieben freundlichen Zeilenvgl. Kurt Martens an Wedekind, 5.12.1899., die mir eine große Freude waren geben Sie mir allerhand gute Ratschläge für die ich Ihnen sehr dankbar bin. Sie setzen aber dabei voraus, daß ich mich über Ihre Ansichten achselzuckend hinwegsetze. Wie wenig kennen Sie mich doch. Alles was Sie mir als gut und erstrebenswerth anpreiseSchreibversehen, statt: anpreisen. ist seit Beginn meiner wechselvollen Carrière mein einziges Ziel, das ich ja noch vor einem Jahr schon beinahe zu erreichen im Begriff war. Dieses ewige Beinahe, das ist das Verhängnis, das Charakteristische meiner Natur. Ich war beinah verheiratetWedekind war 1896/97 mit Frida Strindberg verlobt gewesen (die Beziehung wurde noch vor der Geburt des gemeinsamen unehelichen Kindes Friedrich Strindberg gelöst) und Kurt Martens hatte ihm vorgeschlagen, sie zu heiraten [vgl. Kurt Martens an Wedekind, 5.12.1899]., wäre beinahe SchauspielerWedekind war in der ersten Jahreshälfte 1898 zunächst an Carl Heines Ibsen-Theater auch als Schauspieler engagiert [vgl. Neuer Theater-Almanach 1899, S. 408] und ist aufgetreten (unter dem Pseudonym Heinrich Kammerer als Dr. Schön im „Erdgeist“), in der zweiten Jahreshälfte 1898 dann auch als Schauspieler am Münchner Schauspielhaus (Direktion: Georg Stollberg) [vgl. Wedekind an Beate Heine, 27.7.1898], bevor er nach der Münchner „Erdgeist“-Premiere (er spielte am 29.10.1898 in München ebenfalls die Rolle des Dr. Schön und stand zuvor auch in anderen Rollen auf der Bühne) am 30.10.1898 infolge der drohenden Verhaftung wegen Majestätsbeleidigung in der „Simpliccisimus“-Affäre nach Zürich geflohen ist [vgl. KSA 1/II, S. 1710]. geworden, bin beinahe | ein geschätzter Schriftsteller und verdiene beinahe eine Unmenge Geld. Mit diesem Beinahe hat man aber nicht viel Glück, am wenigsten bei Frauen, die in ihrem berechtigsten Realismus wenig Empfänglichkeit für das Beinahe haben.

Ich kann Ihnen, mein lieber Freund, heute nicht mehr schreiben. Ich leide an Herzbeklemmungen die mir die Ruhe nehmen. Verzeihen Sie dieses BriefformWedekind hat den vorliegenden Brief zu einem Kuvert gefaltet, wie im 18. Jahrhundert üblich. aus dem vorigen Jahrhundert. Ich habe Es sind seit drei Tagen hier keine Enveloppenenveloppe (frz.) = Briefumschlag, Kuvert. zu haben. Grüßen Sie bitte Weber aufs herzlichste. Ich erhielt einige Zeilen von ihmnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Hans von Weber an Wedekind, 22.12.1899. die ich nächstdem beantworten werde.

Empfehlen Sie mich Ih zu Gnaden Ihrer verehrten Frau Gemahlin, ebenso Ihrer Frau Mama, wenn sie noch bei Ihnen ist und seien Sie herzlichst gegrüßt

von Ihrem getreuen
Frank Wedekind.


Festung Königstein
26. Dec. 99. |


Herrn Kurt Martens
Schriftsteller
München
Franz Josephstrasse 48.II.

Frank Wedekind schrieb am 30. April 1903 in München folgenden Brief
an Kurt Martens

Lieber Freund!

Die Versammlungeine „Sitzung“ [Wedekind an Max Halbe, 30.4.1903], tatsächlich ein geselliger Abend (siehe unten). ist auf Morgen, Freitagam 1.5.1903, an dem Max Halbe notierte: „Bier- und Sektabend an W.’s Bett. Holm, Keyserling, Langheinrich, Martens“ [Tb Halbe], er selbst, Kurt Martens, Eduard von Keyserling und Max Langheinrich, außerdem Korfiz Holm, einen geselligen Abend bei Wedekind (Franz Josefstraße 42, 2. Stock) verbrachten., Abend 9 Uhr21 Uhr. anberaumt. Anwesend werden sein Halbe, Keyserling, Langheinrich und Du. Empfange nochmals herzlichsten Dank für Deine Großmut und Dein MitgefühlWedekind hatte sich am 10.4.1903 „das Bein gebrochen“ [Wedekind an Korfiz Holm, 12.4.1903], „den rechten Unterschenkel“ [Wedekind an Wolfgang Geiger, 12.4.1903], und musste „wochenlang das Bett hüten“ [Kutscher 2, S. 112]. Die Presse hatte berichtet: „Frank Wedekind glitt in München auf der Straße aus und erlitt einen Beinbruch.“ [Neue Hamburger Zeitung, Jg. 8, Nr. 176, 16.4.1903, Abend-Ausgabe, S. (1)] mit meinem | hülflosen Zustand. Deine liebe süße Gegenwart wird meine Seele wieder aufrichten.

Mit herzlichsten Grüßen
Dein
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 4. März 1904 in München folgenden Brief
an Kurt Martens

Mein lieber Martens!

ich bin in der traurigen Lage von Deinem überaus liebenswürdigen AnerbietenZusammenhang nicht sicher ermittelt (für die Zeit vom 12.2.1904 bis 14.3.1904 enthält Wedekinds Tagebuch keine Einträge); es dürfte sich aber um eine Geldangelegenheit im Zusammenhang mit dem Albert Langen Verlag gehandelt haben [vgl. Albert Langen Verlag an Wedekind, 3.3.1904]. Gebrauch machen zu müssen. Es wäre aber zu unverschämt, wenn ich Dir zumuten wollte, deswegen zu mir zu kommen. Ich werde also morgen möglichst früh aufstehen und Dich in Deiner WohnungKurt Martens wohnte in München (Düllstraße 5, Parterre) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1904, Teil I, S. 430]; seine Adresse hat Wedekind doppelt – „Martens Düllstrasse 5“ sowie „Kurt Martens Düllstr. 5.0“ [Tb] – auf den hinteren Innendeckel seines Taschenkalenders für die zweite Jahreshälfte 1904 notiert. aufsuchen.

Mit herzlichstem Dank
Dein
Frank Wedekind.


4 März 1904.

Frank Wedekind schrieb am 7. September 1908 in Berlin folgende Postkarte
an Kurt Martens

Postkarte


Herrn Kurt Martens
München
Konradstrasse 7Kurt Martens wohnte bisher in München (Konradstraße 7, 3. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil I, S. 347] und zog dann nach Loschwitz bei Dresden (siehe unten).. |


Lieber Freund

Auf der Durchreise nach MünchenWedekind notierte am 21.9.1908: „Abreise von Berlin nach Dresden“ [Tb], am 30.9.1908: „Reise von Dresden nach München.“ [Tb] werden meine Frau und ich 8 TageWedekind hielt sich vom 21. bis 30.9.1908 in Dresden auf, von wo aus er dem Tagebuch zufolge Kurt Martens am 22.9.1908 in Loschwitz besuchte („Nachmittag in Loschwitz“), dann wieder am 25.9.1908 und den Abend mit ihm in Dresden verbrachte („Besuch bei Martens [...] Mit Martens bei Kneist und Palais de Sachs Café Central“), ihn dann am 28.9.1908 nochmals besuchte („Nachmittag und Abend bei Martens“). in Dresden zubringen und es wäre doch sehr schade wenn wir uns nicht träfen für den Fall daß Du schon in Dresden oder in Loschwitz wohnst. Ich würde Dich daher bitten mich Deine AdresseKurt Martens wohnte den Postzustellvermerken zufolge (siehe zur Materialität) bereits in Loschwitz (Schillerstraße 24) [vgl. Kürschners Literaturkalender auf das Jahr 1909, Teil II, Sp. 1040] in einer Wohnung, wo ihn jedenfalls die Post erreichte; verzeichnet ist er auch unter einer anderen Adresse in Loschwitz (Bergstraße 1, Parterre) [vgl. Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1909, Teil VI, S. 264], die Wedekind dann benutzte [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 27.9.1908]. wissen zu lassen. Wir werden am 20 ds etwa dort sein.

Mit besten Grüßen Dein
Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 27. September 1908 in Dresden folgende Postkarte
an Kurt Martens

Postkarte


Herrn Dr. Kurt Martens
Loschwitz
Bergstrasse 1Kurt Martens ist unter dieser Adresse in Loschwitz (Bergstraße 1, Parterre) verzeichnet [vgl. Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1909, Teil VI, S. 264], auch noch im Jahr darauf [vgl. Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1910, Teil VI, S. 273]; das Haus gehörte seinem Schwiegervater Friedrich Wilhelm Hertzsch [vgl. Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1909, Teil VI, S. 272]. Der Schriftsteller Dr. jur. Kurt Martens war zugleich unter einer anderen Adresse in Loschwitz bei Dresden verzeichnet [vgl. Kürschners Literaturkalender auf das Jahr 1909, Teil II, Sp. 1040], ebenfalls noch im Jahr darauf [vgl. Kürschners Literaturkalender auf das Jahr 1910, Teil II, Sp. 1043], unter der ihn die Post ebenfalls erreichte [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 7.9.1908].. |

Lieber Freund, wir haben auf heute Abendam 27.9.1908, an dem Frank Wedekind in Dresden (er war seit dem 21.9.1908 mit seiner Frau auf der „Durchreise nach München“ [Wedekind an Kurt Martens, 7.9.1908] in der Stadt) den Abend mit Tilly Wedekind, seiner Schwester Erika Wedekind, dem Chefredakteur der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ Julius Ferdinand Wollf und dem Redakteur Dr. phil. Paul Fechter im Hotel Westminster (Bernhardstraße 1) [vgl. Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1909, Teil IV, S. 83] verbrachte: „Abend mit Tilly Mieze, Wolff und Dr. Fechter im Westminsterhotel“ [Tb]. eine längere Sitzung vor (Westminsterhotel, für den Fall, daß Du Zeit hättest.xmit Bleistift notiert (wie der zugehörige Zusatz oben auf der Textseite).) Aber deshalb wäre es wohl etwas viel mu/o/rgen Mittag schon wieder anzufangen. Dagegen kommen wir, wenn es Euch recht ist, morgen Nachmittag (Montagder 28.9.1908, an dem Wedekind notierte: „Nachmittag und Abend bei Martens.“ [Tb]) Nachmittag zwischen 4 und fünfzwischen 16 und 17 Uhr. zu Euch hinauf. Wir könnten dann etwas spazieren gehen und das weitere für den Abend beraten. Ich bitte, uns Deiner verehrten Frau Gemahlin bestens zu empfehlen.

Mit herzlichsten Grüßen
Dein Frank


27.9.8.


[mit Bleistift am oberen Rand:]

x leider erreicht dich die KarteDie Postkarte hat Kurt Martens dem Posteingangsstempel zufolge am 27.9.1908 in Loschwitz nach 21 Uhr zwar noch erreicht, zu spät allerdings, um an diesem Abend noch in das Hotel Westminster in Dresden zu kommen (siehe oben). wohl nicht mehr

Kurt Martens schrieb am 7. März 1909 in Loschwitz folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 8.3.1909 aus München:]


[...] besten Dank für Deine liebenswürdigen Zeilen [...]

Frank Wedekind schrieb am 8. März 1909 in München folgenden Brief
an Kurt Martens , Kurt Martens

Lieber Martens!

empfang meinen besten Dank für Deine liebenswürdigen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 7.3.1909. und die NachrichtenKurt Martens hat Wedekind Fritz Strich zufolge „die Bitte des französischen Schriftstellers Georges Edeline übermittelt, den Totentanz übersetzen zu dürfen. Das Drama sollte dann auch in Paris aufgeführt werden.“ [GB 2, S. 366] Beide Vorhaben mit „Totentanz“ (1906) kamen nicht zustande: „Im März 09 wollte ihn Georges Edeline ins Französische übersetzen und in Paris zur Aufführung bringen; auch das schlug fehl.“ [Kutscher 2, S. 239], die Du di/m/ir mittheilst. Den Akadémos bekam ich zugeschicktHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Sendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Akademos. Revue mensuelle d’Art libre et de Critique an Wedekind, 1.2.1909. Wedekind hatte das erste Heft der französischen Monatsschrift „Akademos“ erhalten (eine sich dezent für die Akzeptanz von Homosexualität einsetzende Zeitschrift, finanziert von Jacques d’Adelswärd-Fersen), die in Paris herauskam (auf dem Titelblatt als Adresse der Direktion: Rue Eugène Manuel 24, Leitung und Redaktion: Albert Messein, Quai Saint-Michel 19); es enthält einen von Gaspar Etscher übersetzten Artikel von Kurt Martens über Wedekind [vgl. Kurt Martens: Frank Wedekind. In: Akademos. Revue mensuelle d’Art libre et de Critique, Jg. 1, Nr. 1, 15.1.1909, S. 94-102], der bereits deutschsprachig vorlag [vgl. Kurt Martens: Frank Wedekind. In: Das literarische Echo, Jg. 10, Heft 1, 1.10.1907, Sp. 7-11]. In einem Artikel über französische Zeitschriften wurde auf die Zeitschrift hingewiesen: „Die begabtesten und zukunftsreichsten Mitarbeiter dieser Revuen bemüht sich Graf Fersen in seiner jüngst gegründeten Zeitschrift ‚Academos‘ (Direktion: 24 rue Eugène-Manuel, 12 Nummern 18 Fr. jährlich) zusammenzuschließen; der ‚Academos‘, der bei einem größeren Verleger erscheint, strebt einen großartigen Stil an.“ [Otto Grautoff: Die junge literarische Bewegung Frankreichs. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 112, Nr. 22, 29.5.1909, S. 501] Nur ein Jahrgang dieser Zeitschrift ist erschienen.. Wie soll ich Dir denn für alles das danken. Nächsten Samstag den 13.Wedekind notierte am 13.3.1909 seinen „Vortrag“ [Tb] auf Einladung des Dresdner Goethebundes im Künstlerhaus in Dresden (Beginn 20 Uhr); er las aus „Die Zensur“ und „Totentanz“ – ein erstmals am 25.11.1908 in München präsentiertes Programm [vgl. Wedekind an Emil Gutmann, 21.11.1908]. „Der Goethe-Bund wollte seinen Mitgliedern etwas Besonderes bieten und hatte den in München lebenden Dichter Frank Wedekind zu einem Vortragsabend eingeladen.“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 53, Nr. 74, 15.3.1909, S. (3)] „Frank Wedekind las am Sonnabend im Dresdner Goethebund einige seiner Dichtungen vor. [...] er trug aus seiner Theodicee die bekannte Szene zwischen Dr. Prantl und Buridan vor. Er fing also mit dem späten Wedekind an, der um Wirkung und Verstandenwerden ringt, um im zweiten Teil die glänzende Tragikomödie des Moralisten, den ‚Totentanz‘, zu bringen.“ [Dresdner Neueste Nachrichten, Jg. 17, Nr. 72, 16.3.1909, S. 2] Ob Kurt Martens den Vortrag besuchte, ist unklar. habe ich Vortrag in Dresden. Ich schreibe an Ottomar EnkingHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Ottomar Enking, 8.3.1909. Ottomar Enking, Schriftsteller und Kritiker [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1909, Teil II, Sp. 367] in Dresden (Zirkusstraße 39) [vgl. Adreßbuch für Dresden 1909, Teil I, S. 165], hat offenbar Wedekinds Vortrag am 13.3.1909 auf Einladung des Dresdner Goethebundes im Künstlerhaus in Dresden (siehe oben) organisiert; er war der neue stellvertretende Vorsitzende des Literarischen Vereins in Dresden, ein Verein, der im Künstlerhaus tagte [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1910, Teil I, Sp. 37]. Bei Wedekinds Vortrag war er nicht dabei. Wedekind, der am 12.3.1909 von München nach Dresden abgereist ist, notierte am 13.3.1909 in Dresden: „Besuch bei Ottomar Enking der verreist ist“ [Tb]. er möchte | Dir zwei Plätzezwei Eintrittskarten zu Wedekinds Vortrag im Künstlerhaus (siehe oben). schicken für den Fall daß Du Lust hast hinzukommen. Auf jeden Fall hoffe ich, daß wir uns sehen werdenFrank Wedekind notierte am 14.3.1909 in Dresden zu seiner Rückreise nach München (vor der Abfahrt ein Abendessen mit seiner Schwester Erika Wedekind, seinem Schwager Walther Oschwald und Kurt Martens): „Abendessen Palais de Sax mit Mieze Walter und Kurt Martens, der mich zum Bahnhof begleitet Abfahrt.“ [Tb]. Wegen Totentanz können wir dann sprechen. Ich bin natürlich sehr mit dem Vorschlag einverstanden, bitte Dich aber Herrn Edeline vorher noch nicht zuzusas/g/en.

Dir und Deiner verehrten Frau sende ich die herzlichsten Grüße
Auch meine Tilly läßt grüßen.

Auf baldiges Wiedersehn
Frank.


8.3.9Wedekind war am 8.3.1909 in München [vgl. Tb]..

Frank Wedekind schrieb am 15. Januar 1910 in München folgenden Brief
an Kurt Martens

Lieber Martens!

Ich lese ebenWedekind dürfte am 15.1.1910 die Novelle „Die Panacee des Lebens“ von Kurt Martens zu Ende gelesen haben, die zusammen mit den Novellen „Der Emigrant“ und „Caritas Mimi“ in dem Band „Drei Novellen von adeliger Lust“ (1909) vorlag, der erstmals im Sommer 1909 angekündigt wurde [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 76, Nr. 193, 21.8.1909, S. 9535], im Spätsommer 1909 im Verlag Egon Fleischel & Co. in Berlin als soeben erschienen angezeigt war [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 76, Nr. 215, 16.9.1909, S. 10597], in München erst zum Jahresende: „Martens Kurt: Drei Novellen von adeliger Lust, Berlin 1909, Egon Fleischel & Co.“ [Vom Büchertisch. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 62, Nr. 594, 20.12.1909, S. 6] Die Novelle war davor bereits in sieben Folgen in der Wochenschrift „Die Gesellschaft“ (Berlin) vorabgedruckt, begonnen Ende 1907 [vgl. Die Panacee des Lebens. Novelle von Kurt Martens. In: Die Gesellschaft, Jg. 36, Nr. 52, 28.12.1907, S. 410-413], abgeschlossen Anfang 1908 [vgl. Die Panacee des Lebens. Novelle von Kurt Martens. (Schluß.) In: Die Gesellschaft, Jg. 37, Nr. 6, 8.2.1908, S. 88-90]. mit großem Entzücken die Panacée des Lebens zu Ende. Also morgen | Sonntag Abendder 16.1.1910, an dem Wedekind in München notierte: „Zum Abendessen kommt Martens.“ [Tb] Kurt Martens, der seinerzeit in Loschwitz bei Dresden wohnte (siehe die vorangehende und nachfolgende Korrespondenz Wedekinds mit ihm), war zu Besuch in München, wo Wedekind ihn dem Tagebuch zufolge bereits am 12.1.1910 („Auf der Prinzregentenstr. treffe ich Martens der eben zu mir will. Zweistündiger Spaziergang er trinkt Thee bei uns“) und 13.1.1910 („Gegen Abend kommt Karl Henckell [...]. Wir essen mit Martens und Thomas Mann in der Amerikan Bar zu Abend“) getroffen hat. um ½ 9um 20.30 Uhr.

Mit besten Grüßen
Dein
Frank W.

Kurt Martens schrieb am 30. Januar 1910 in Loschwitz folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 6.3.1910 aus Prag:]


Ich danke Dir für das Buch [...]

Frank Wedekind schrieb am 6. März 1910 in Prag folgenden Brief
an Kurt Martens

HÔTEL BLAUER STERN
CARL SELTMANN.
TELEGRAMM-ADRESSE:
STERNHÔTEL PRAG.


PRAGWedekind befand sich auf einer Lesereise, zu der er am 26.2.1910 von München aufgebrochen war (sie führte ihn nach Wien, Olmütz, Prag, Teplitz und Dresden); er traf am 4.3.1910 um 15 Uhr zu seinem „Vortrag in Prag“ [Tb] ein, der um 19.30 Uhr im Hotel Central stattfand: „Heute abends pünktlich ½8 Uhr findet im Zentral-Hotelsaale die einzige Vorlesung Frank Wedekind aus eigenen Werken statt.“ [Prager Tagblatt, Jg. 34, Nr. 63, 5.3.1910, Morgen-Ausgabe, S. 8], 6.III.10.


Mein lieber MartensKurt Martens lebte seinerzeit in Loschwitz bei Dresden und ist dort unter zwei Adressen verzeichnet – Bergstraße 1 [vgl. Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1910, Teil VI, S. 273] und Schillerstraße 24 [vgl. Kürschners Literaturkalender auf das Jahr 1910, Teil II, Sp. 1043].!

Ich danke Dir für das BuchHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Buchsendung (oder eine Widmung im Buch); erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 30.1.1910. Wedekind bedankt sich für den bei Egon Fleischel & Co. in Berlin verlegten Band „Drei Novellen von adeliger Lust“ (1909), der die Novellen „Die Panacee des Lebens“, „Der Emigrant“ und „Caritas Mimi“ enthält – die erste dieser Novellen, deren Titel Wedekind im vorliegenden Brief nicht nennt, hat er in einem früheren Brief sehr gelobt [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 15.1.1910]; der Freund war dann am 16.1.1910 in München bei ihm zu Besuch – „Zum Abendessen kommt Martens“ [Tb] – und dürfte ihm den Band nach seiner Rückkehr nach Loschwitz bald zugeschickt haben, vermutlich mit einer Widmung. und beglückwünsche Dich herzlich zu Caritas Mimi über das ich gerne mit Dir sprechen möchte. Auch Der Emigrant ist ein Juwel aber Caritas MimiDie Novelle aus dem Band „Drei Novellen von adeliger Lust“ (siehe oben) ist in der gedruckten Widmung der Buchausgabe des Einakters „In allen Wassern gewaschen“ (1910) – „Kurt Martens dem Dichter von ‚Caritas Mimi‘ gewidmet“ [KSA 7/I, S. 65] – besonders hervorgehoben [vgl. KSA 7/II, S. 667, 690, 802] und 1914 auch in die Edition des Schauspiels „Schloß Wetterstein“ in den „Gesammelten Werken“ aufgenommen [vgl. KSA 7/I, S. 158; KSA 7/II, S. 693]. scheint mir für Dich ein Wendepunkt.
Ich komme am 8.Frank Wedekind traf im Zuge seiner Lesereise (siehe oben) am 8.3.1910 in Dresden ein, wo er zunächst seine Schwester Erika Wedekind besuchte – „Fahrt nach Dresden. Besuch bei Mietze“ [Tb] – und dann abends Kurt Martens traf (siehe unten). Nachmittag nach Dresden, werde dann meine Schwester aufsuchen und mache Dir | den Vorschlag, daß wir e/e/ventuell auch Herr v. d. GablenzGeorg von der Gabelentz war Schriftsteller in Dresden (Lukasstraße 6) [vgl. Kürschner Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1910, Teil II, Sp. 473], zugleich Rittmeister und Großherzoglich Sächsischer Kammerherr [vgl. Adreßbuch für Dresden 1910, Teil I, S. 218]. Er war am 8.3.1910 abends im Weinrestaurant Zum neuen Palais de Saxe (Neumarkt 9) [vgl. Adreßbuch für Dresden 1910, Teil III, S. 461] mit dabei, wo Wedekind sich mit Kurt Martens, dem Chefredakteur der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ Julius Ferdinand Wollf und seinem Schwager Walther Oschwald traf: „Mit Martens Gablenz Wollf und Walter im Hotel d. Saxe.“ [Tb] uns um 10 Uhr22 Uhr. im Palais de Saxe treffen, da Du doch am 9.Kurt Martens war am 9.3.1910 verhindert, als Wedekind um 20 Uhr im Künstlerhaus auf Einladung der Buchhandlung Carl Tittmann in Dresden – angekündigt war: „Frank Wedekinds einmaliger Vortragsabend findet heute abend 8 Uhr im Künstlerhause statt. (Karten in Carl Tittmanns Buchhandlung, Prager Straße 19, und an der Abendkasse.)“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 54, Nr. 67, 9.3.1910, S. (4)] „Auf den einmaligen Vortragsabend, den Frank Wedekind nächsten Mittwoch, abends 8 Uhr, veranstaltet, sei nochmals aufmerksam gemacht“ [Literarische Veranstaltungen der Tittmannschen Buchhandlung im Künstlerhause. In: Dresdner Nachrichten, Jg. 54, Nr. 64, 6.3.1910, S. (4)] – sein Drama „Die Büchse der Pandora“ vorlas: „Abends Vortrag d. B. d. Pandora.“ [Tb] Er las das ganze Stück: „Der zehnte Literarische Abend der Tittmannschen Buchhandlung brachte gestern noch ein Erlebnis: Frank Wedekind las die jüngste (dritte) Fassung des zweiten Teils seiner Lulu-Tragödie, die ‚Büchse der Pandora‘ vor. [...] Jedenfalls aber lebt in den Resultaten dieser Versuche Wedekinds ein Stück Zeitausdruck, wie ihn in dieser Intensität zurzeit kaum ein Zweiter in Deutschland zu geben hat, und innerhalb des mit Ereignissen nicht gerade gesegneten Dresdner Winters war dieser Vortrag Frank Wedekinds eines der bedeutsamsten. Bedauerlich war nur, daß Wedekind nicht von vornherein seine Absicht, das ganze Werk vorzutragen, mitteilte, so daß ein Teil der Zuhörer bereits in der Pause nach dem zweiten Akt den Saal verließ.“ [P.F.: „Die Büchse der Pandora.“ Vorlesung Frank Wedekind. In: Dresdner Neueste Nachrichten, Jg. 18, Nr. 67, 11.3.1910, S. 1-2]. Eine von der Buchhandlung Carl Tittmann in Dresden (Prager Straße 19) [vgl. Adreßbuch für Dresden 1909, Teil V, S. 62] veranstaltete Lesung war zuerst für den 5.4.1909 in Aussicht genommen worden [vgl. Wedekind an Emil Gutmann, 19.1.1909]. nicht frei bist. Gieb mir bitte Nachricht nach Webers Hotel ob es Dir so paßt. Ich freue mich sehr Dich wiederzusehen. Später wird es kaum möglich sein, da ich am 10.Wedekind notierte am 10.3.1910 vormittags seine Rückfahrt nach München und beendete damit seine Lesereise (siehe oben): „Um 11 Uhr Abfahrt nach München“ [Tb]. früh nach München zurück möchte.
Mit besten Grüßen und der Bitte mich Deiner verehrten Frau Gemahlin zu empfehlen Dein

Frank Wedekind.

Kurt Martens schrieb am 30. Juli 1910 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 31.7.1910 aus München:]


Empfang meinen herzlichen Dank für Deine liebenswürdige Einladung.

Frank Wedekind schrieb am 31. Juli 1910 in München folgenden Brief
an Kurt Martens

Mein lieber Martens!

Empfang meinen herzlichen Dank für Deine liebenswürdige Einladungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 30.7.1910. Kurt Martens, der gerade wieder in München war, hatte Wedekind offenbar ein gemeinsames Treffen mit dem Regisseur Carl Heine, der ebenfalls in München war, vorgeschlagen, das am 3.8.1910 zustande kam (siehe unten).. Aber wir dachten nach unserem GastspielFrank und Tilly Wedekind hatten ein Gastspiel am Münchner Schauspielhaus (Direktion: Georg Stollberg) – der Wedekind-Zyklus vom 1. bis 31.7.1910 mit täglichen Auftritten [vgl. Tb], gespielt wurde „König Nicolo“, „Marquis von Keith“, „Erdgeist“, „Hidalla“, „Musik“, „Der Kammersänger“, „Die Zensur“ [vgl. Seehaus 1973, S. 730]. Wedekind notierte am 31.7.1910 die letzte Vorstellung: „Letztes Gastspiel Erdgeist.“ [Tb] möglichst bald abzudampfenabzureisen. Wedekind reiste wenige Tage nach seinem Münchner Gastspiel (siehe oben) in die Ferien; er war dem Tagebuch zufolge vom 6.8.1910 („Abfahrt [...]. Ankunft in Lenzburg“) bis 2.9.1910 („Abreise von Lenzburg“) in der Schweiz.. Das wird natürlich einige Tage dauern. In diesen Tagen habe ich aber noch einige nicht erfreuliche Sitzungen mit meinem ZahnarztWedekind war bei dem Münchner Zahnarzt Dr. med. Ermanno Ceconi (Amalienstraße 3), der nur vormittags von 9 bis 12 Uhr Termine anbot [vgl. Adreßbuch für München 1910, Teil I, S. 79], in Behandlung; er notierte am 1.8.1910 die erste Sitzung: „Um 12 Uhr bei Dr Ceconi“ [Tb], vom 2. bis 5.8.1910 jeweils weitere Sitzungen [vgl. Tb]. Der Zahnarzt war der erste Ehemann der Schriftstellerin Ricarda Huch (mit ihr verheiratet 1898 bis 1906), der Wedekind 1887 in Zürich wohl begegnet ist und in der Figur der Ricarda Russ in „Kinder und Narren“ (1891) auf sie anspielte [vgl. KSA 2, S. 714f.]. zu absolvieren, die nur Vormittags stattfinden können. Deswegen möchte ich mich für diese Tage nicht binden. Meine Frau wird sicher alle Hände voll mit Packen zuthun haben. | Umso mehr wird es mich aber freuen wenn wir AbendsFrank Wedekind verbrachte den Abend des 3.8.1910 in größerer Runde mit Kurt Martens und Carl Heine – die beiden Freunde hatten ihn morgens noch vor seinem Zahnarztbesuch bei Dr. Ceconi (siehe oben) aufgesucht – sowie mit Tilly Wedekind, Edgar Steiger, Anna Heitmeier und Hanns von Gumppenberg im Hoftheater-Restaurant und in der Torggelstube: „Dr. Heine und Kurt Martens kommen. Ceconi HTR und TSt. mit Tilly. Heine Martens Steiger und Frau Heitmeier Gumppenberg“ [Tb]. zusammen sein können. Ich bitte Dich Dr. Heine gleich aufs beste zu grüßen. Ich werde mich dann schon melden für etwaige Verabredungen.

Mit den herzlichsten Grüßen an Dich und Deine verehrte Gemahlin von uns beiden

Dein
Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 7. November 1912 in München folgende Visitenkarte
an Kurt Martens

Lieber MartensDr. jur. Kurt Martens wohnte inzwischen erneut in München (Viktor Scheffelstraße 13, 3. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1912, Teil I, S. 396], wo er seit dem Vorjahr wieder als Schriftsteller verzeichnet ist [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1911, Teil II, Sp. 1063].Heuteam 7.11.1912, an dem Wedekind in München ein Treffen mit Kurt Martens im Münchner Ratskeller (Marienplatz 8) notierte: „Mit Martens im RK“ [Tb]. 10 ¼22.15 Uhr. bin ich im Ratskeller. Sollte Dir ein anderes Lokal lieber sein bitte zu telephonierenWedekind, der hier seine Telefonnummer 633 angibt, hatte seit dem Sommer in seiner Münchner Wohnung einen Telefonanschluss, wie er am 26.7.1912 notierte: „Das Telephon wird eingerichtet.“ [Tb] No 633 Herzlichsten Gruß Dein
Wedekind |


Frank Wedekind

Kurt Martens schrieb am 24. Mai 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 25.5.1913 aus München:]


Besten Dank für Deine freundliche Benachrichtigung.

Frank Wedekind schrieb am 25. Mai 1913 in München folgenden Brief
an Kurt Martens

Lieber Freund!

Besten Dank für Deine freundliche Benachrichtigungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 24.5.1913. Kurt Martens hatte Wedekind offenbar am 24.5.1913 nachmittags (siehe unten) darüber benachrichtigt, dass er vom Drei Masken Verlag in München (Karlstraße 21) [vgl. Adreßbuch für München 1913, Teil I, S. 113], der die Bühnenvertriebsrechte für Wedekinds Dramen hatte, für die geschlossene „Lulu“-Vorstellung am 29.5.1913 im Münchner Künstlertheater noch keine Eintrittskarte erhalten habe. Er dürfte die Vorstellung aber besucht haben und war anschließend jedenfalls mit Wedekind (sowie Heinrich Michalski, Hans von Weber, Max Halbe und Efraim Frisch) in der geselligen Runde in der Torggelstube mit dabei, wie Wedekind am 29.5.1913 notierte: „Lulu Aufführung im Künstlertheater [...]. T.St. Michalski Martens Weber Halbe Frisch“ [Tb].. Ich ging damit sofort auf den Dreimaskenverlag und fand dort einen Platz für Dich bereits vorgemerkt, den Du vielleicht schon erhalten hast. Ich bestand darauf daß man Dir zwei Plätze überläßt. Morgen erkundige ich mich ob man das geschehen ist und werde es sofort | veranlassen.

Du beschämst mich tief durch Dein persönliches VorgehenKurt Martens, stellvertretender Vorsitzender der am 7.3.1913 gegründeten Ortsgruppe München des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller (SDS), hat sich gegen das Zensurverbot der „Lulu“-Tragödie (eine fünfaktige Fassung der Doppeltragödie „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“) eingesetzt, die im Münchner Künstlertheater unter der Regie von František Zavřel aufgeführt werden sollte; „die öffentliche Aufführung von Wedekinds fünfaktigem Trauerspiel ‚Lulu‘ im Künstlertheater“ war „von der Zensurbehörde verboten worden“ [Wedekinds „Lulu“ im Künstlertheater verboten? In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 66, Nr. 250, 18.5.1913, Morgenblatt, S. 3], von den daraufhin beantragten zwei geschlossenen Vorstellungen wurde nur eine genehmigt (sie kam am 29.5.1913 zur Aufführung), gestützt auf das Votum des Münchner Zensurbeirates, zu dessen Mitgliedern Thomas Mann gehörte [vgl. KSA 3/II, S. 1207], den Kurt Martens um ein persönliches Gespräch gebeten hat, das am 24.5.1913 um „12 Uhr mittags im Café Luitpold“ [Wysling/Sprecher 1991, S. 195] stattfand, wie aus Thomas Manns Brief an Kurt Martens vom 23.5.1913 hervorgeht (Thomas Mann erklärte dem Münchner Polizeipräsidenten dann am 26.5.1913 seinen Austritt aus dem Zensurbeirat). Wedekind hat sich am 24.5.1913 morgens noch vor der Probe mit dem Regisseur František Zavřel, Kurt Martens und Joachim Friedenthal darüber beraten – „Conferenz bei mir mit Sgarvrel, Martens und Friedenthal. Prologprobe im Künstlertheater“ [Tb] – und gleichzeitig war in der Presse eine von Kurt Martens verantwortete Mitteilung des SDS veröffentlicht: „Der Schutzverband Deutscher Schriftsteller (Ortsgruppe München) teilt uns mit: ‚Wie wir erfahren, hat die Zensurbehörde auch eine neuerliche Umarbeitung der Lulu-Tragödie von Wedekind, die mit der Streichung der vielangefeindeten Jack-Szene den Ansprüchen der Polizeibehörde, anscheinend völlig Genüge tun sollte, jetzt endgültig verboten. Die Publizierung, insbesondere die Plakatierung, soll verhindert, jede Benachrichtigung durch die Presse verboten werden. Umsomehr hält es der Schutzverband für seine Pflicht, dieses öffentlich kundzugeben. Die geschlossene Vorstellung findet trotz all der in den Weg gelegten Schwierigkeiten am Donnerstag, den 29. Mai, abends 7½ Uhr, im Münchner Künstlertheater statt. [...] Regie: Franz Javrel. Den Prolog spricht Frank Wedekind. Nähere Auskunft in dieser Angelegenheit erteilt der zweite Vorsitzende des Schutzverbandes, Dr. Kurt Martens, Habsburgerstraße 3/3.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 66, Nr. 262, 25.5.1913, Morgenblatt, S. 3]. Ich habe es nicht verdient und kann nur hoffen es noch zu verdienen.

Mit herzlichen Grüßen
Dein alter
Frank Wedekind.


München 25.5.13.


Kurt Martens schrieb am 2. Juni 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 3.6.1913 aus München:]


Empfang meinen herzlichen Dank für Deine liebe Einladung.

Frank Wedekind schrieb am 3. Juni 1913 in München folgenden Brief
an Kurt Martens

Lieber Martens!

Empfang meinen herzlichen Dank für Deine liebe Einladungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 2.6.1913.. Leider erhielten wir vorgestern Abend die Nachrichtnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Eugen Robert an Wedekind, 1.6.1913. Wedekind notierte am 1.6.1913: „Telegramm von Robert.“ [Tb] Eugen Robert, Direktor der Münchner Kammerspiele, die gerade ein Ensemblegastspiel am Deutschen Volkstheater in Wien gaben (es hatte am 27.5.1913 begonnen), in dessen Rahmen auch Wedekinds „Franziska“ gespielt wurde (Vorstellungen am 7.6.1913, 9.6.1913 und 12.6.1913), dürfte Wedekind telegrafisch aufgefordert haben, rasch nach Wien zu kommen., daß wir nach Wien fahrenWedekind notierte am 3.6.1913 die Abreise „nach Wien“ [Tb], wo er und seine Frau ab dem 7.6.1913 am Deutschen Volkstheater im Rahmen des Ensemblegastspiel der Münchner Kammerspiele (Direktion: Eugen Robert) ein „Franziska“-Gastspiel gaben (siehe oben). müssen. Es galt zuerst die Kinder unterzubringenWedekind notierte am 3.6.1913: „Martha bringt die Kinder nach Lenzburg“ [Tb]; seine Schwägerin Martha Newes hatte es übernommen, die beiden Töchter Pamela und Kadidja zu ihrer Großmutter in die Schweiz zu bringen. und dann die Koffer zu packenWedekind notierte am 2.6.1913: „Koffer gepackt.“ [Tb]. Heute Abend fahren wir. Ich kann aber nicht | reisen, ohne Dir vorher meinen aufrichtigen herzlichen DankWedekind bedankt sich erneut [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 25.5.1913] bei Kurt Martens, stellvertretender Vorsitzender der am 7.3.1913 gegründeten Ortsgruppe München des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller (SDS), der sich gegen das Zensurverbot der „Lulu“-Tragödie (eine fünfaktige Fassung der Doppeltragödie „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“) eingesetzt hat, die durch das Votum des Zensurbeirats legitimiert war. Der SDS hatte sich 28.5.1913 in seiner Mitgliederversammlung „geschlossen hinter Wedekind“ [KSA 3/II, S. 1207] gestellt und eine Resolution verfasst, die am 28.5.1913 in der „Münchener Zeitung“ [vgl. KSA 3/II, S. 1290] und in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ (im Vorabendblatt einen Tag vordatiert) veröffentlicht wurde: „Der Schutzverband deutscher Schriftsteller (Ortsgruppe München) faßte gestern abend in einer Mitgliederversammlung nach einem Referat von Dr. Kurt Martens folgende Resolution: ‚Nach den neuesten Erfahrungen, die mit dem Zensurbeirat gemacht wurden, ist es mit der Würde eines deutschen Schriftstellers künftig nicht mehr vereinbar, dem Münchener Zensurbeirat anzugehören.‘ Ferner wurde beschlossen, eine große Versammlung einzuberufen, in der über das Thema: ‚Kunst und Polizei – Münchner Zensurverhältnisse‘ gesprochen werden soll.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 66, Nr. 268, 29.5.1913, Vorabendblatt, S. 3] Kurt Martens hatte außerdem am 27.5.1913 zu Wedekinds Schwierigkeiten mit der Zensur einen Leitartikel veröffentlicht (siehe unten). gesagt zu haben für die großen Opfer an Zeit und Mühe, die Du in den letzten Wochen in meinen Angelegenheiten gebracht hast. Wenn sich meine AngelegenheitenWedekinds Schwierigkeiten mit der Zensur (siehe oben). mit denjenigen der Allgemeinheit theilweise deckten so entbindet mich das nicht meiner Dankbarkeit Dir | gegenüber.Kurt Martens hat danach ein Kreuzchen („x“) als Anmerkungszeichen gesetzt und unten auf der Seite die Anmerkung dazu formuliert: „x bezieht sich auf W’s Kampf mit der Münchner Zensur u einem Leitartikel von mir darüber in den ‚M.N.N.‘ Martens“ (siehe den Hinweis zur Materialität). Kurt Martens hatte in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ am 27.5.1913 (im Vorabendblatt einen Tag vordatiert) zu dem „Lulu“-Zensurverbot (siehe oben) einen Leitartikel veröffentlicht, in dem es heißt: „Die Partei, die gegenwärtig in Bayern den Ton angibt, hat niemals Wert darauf gelegt, für eine Beschützerin der Künste und Wissenschaften zu gelten. Die Dichtung aber betrachtet sie als ihren gefährlichsten Widersacher [...]. Eines der wenigen Kampfmittel gegen die Dichter, die ihr noch blieben, ist die Handhabung der polizeilichen Zensur. [...] Das Verbot von Wedekinds Tragödie ‚Lulu‘ [...] ist kein Sonderfall, sondern typisch zu nehmen. Das, was heute und gestern Frank Wedekind angetan wurde, kann morgen jedes [...] Talent zu erdulden haben. [...] So und so viele wertvolle Dramen werden von den Bühnen von vornherein nicht in Betracht gezogen, weil mit einem Zensurverbot gerechnet werden muß. Was die Zensur von der öffentlichen Aufführung einer ihr unsympathischen Dichtung eigentlich fürchtet, ist niemals klar geworden. [...] Selbst die Ausrede, die früher einmal von irgend einem Zensor vorgebracht wurde, das Publikum wünsche die Wedekindschen Dramen gar nicht [...] ist heute hinfällig. Frank Wedekind ist nicht nur von der Literaturgeschichte als einer der hervorragendsten deutschen Dramatiker anerkannt, sondern auch inzwischen nahezu populär geworden. [...] Nun hat die Zensurbehörde ihre Verantwortlichkeit zum Teil auf einen sogenannten Zensurbeirat abzuwälzen gesucht, eine [...] Gruppe von Herren, die zum kleinsten Teil literarische Sachverständige, in ihrer erdrückenden Mehrheit aber [...] Gegner der modernen Dichtung sind. Ihre Majorität soll sich [...] gegen die Aufführung der ‚Lulu‘ ausgesprochen haben. [...] Die Entwicklung von Kunst und Dichtung läßt sich mit Polizeigewalt ebensowenig aufhalten wie der Fortschritt der Wissenschaften und Weltanschauungen. [...] die Herren, die jetzt am Ruder sind, sollten es sich lieber zweimal überlegen, ob es politisch klug ist, die Intelligenzen, die sie für ihre Schlachtreihen nur allzu nötig brauchen, systematisch zu mißachten und zu unterdrücken. Sie treiben damit die deutschen Schriftsteller, die von Natur durchaus keine Feinde der staatlichen und sittlichen Ordnung sind, scharenweise in das Lager einer grundsätzlichen Opposition hinüber.“ [Kurt Martens: Das neueste Zensurverbot. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 66, Nr. 266, 28.5.1913, Vorabendblatt, S. 1]

EmpfielSchreibversehen, statt: Empfiehl. mich bitte Deiner verehrten Gattin und sei bestens gegrüßt von

Deinem alten
Frank Wedekind.


3.6.13.

Kurt Martens schrieb am 23. Mai 1914 folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 24.5.1914 aus Berlin:]


[...] Dank für Deine freundliche Karte.

Frank Wedekind schrieb am 24. Mai 1914 in Berlin folgenden Brief
an Kurt Martens

ELITE HOTEL


BERLINWedekind notierte am 22.5.1914 seine „Fahrt nach Berlin“ [Tb], wo vom 31.5.1914 bis 14.6.1914 ein Wedekind-Zyklus an den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin stattfand. N.W.
AM BAHNHOF FRIEDRICHSTR.


Lieber Kurt Martens!

HerlichenSchreibversehen, statt: Herzlichen. Dank für Deine freundliche Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 23.5.1914. Es dürfte sich um eine Bildpostkarte gehandelt haben (siehe unten).. Es tut mir sehr leid, daß wir uns nicht sahenWedekind hat Kurt Martens zuletzt am 29.4.1914 in München gesehen (sie waren im Hoftheater-Restaurant und im Ratskeller): „HTR und RK mit Martens“ [Tb]; ein weiteres verabredetes Treffen vor Wedekinds Abreise aus München (siehe oben) war offenbar nicht zustande gekommen. aber die Arbeit geht vor. Das ist schön, daß Du fleißig bist. Dein Buch über den Geschmackder Band „Geschmack und Bildung. Kleine Essays“ (1914) von Kurt Martens, erschienen bei Egon Fleischel & Co. in Berlin, in München drei Wochen zuvor angezeigt: „Kurt Martens läßt soeben bei Egon Fleischel & Co. (Berlin) einen Band kleiner Essays erscheinen, denen er den Gesamttitel gab: ‚Geschmack und Bildung‘.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 226, 3.5.1914, Morgenblatt, S. 3] habe ich mit hierher genommen und werde es während der Siesta am Nachmittag genießen. Was | ich nach flüchtigem Hies/n/einsehen kenne scheint mir sehr fein getönt.

Derweil lese ich in der Zeitung schon Euren AufrufKurt Martens hat danach ein Kreuzchen („x“) als Anmerkungszeichen gesetzt und unten auf der Seite die Anmerkung dazu formuliert: „x bezieht sich auf W’s 50. Geburtstg Martens“ (siehe den Hinweis zur Materialität). Wedekind hat den Aufruf zu seinem 50. Geburtstag noch vor seiner Abreise in München in der Zeitung lesen können: „Man ersucht uns um Aufnahme des folgenden Aufrufs. Am 24. Juli d. Js. wird Frank Wedekind 50 Jahre alt. Um diesem Dichter, der als unserer bedeutendsten Dramatiker um die Freiheit seines Schaffens bis auf den heutigen Tag schwer kämpfen und leiden mußte, ein schwaches Entgelt hiefür und besonders ein Zeichen öffentlicher Verehrung zu bieten, hat sich das unterzeichnete Komitee gebildet. An alle Freunde seiner Persönlichkeit und seines Werkes ergeht hiemit die Bitte, sich durch Stiftung einer Summe zu der geplanten Ehrengabe, die Frank Wedekind an seinem Geburtstage überreicht werden soll, an dieser Feier zu beteiligen und in ihren Kreisen dafür zu wirken. Es handelt sich hier selbstverständlich nicht um die Unterstützung eines Bedürftigen, sondern um die demonstrative Ehrung eines hervorragenden Dichters. Die Zahlung der Beiträge, zu denen das Komitee mit 1000 M den Grund gelegt hat, wird an die Bayerische Vereinsbank München, Promenadenstraße 1, Konto ‚Ehrengabe Frank Wedekind‘ erbeten. Quittung über die Beiträge erfolgt im ‚Zwiebelfisch‘ und im ‚Neuen Merkur‘. Das Komitee: Herbert Eulenberg. Maximilian Harden. Friedrich Kayßler. Thomas Mann. Kurt Martens. Georg Müller. Baron zu Putlitz, Generalintendant. Felix Salten. Hans von Weber.“ [Ein neuer Aufruf für Frank Wedekind. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 258, 21.5.1914, Vorabendblatt, S. 2]. Nun ist es wohl selbstverständlich, daß ich den Unterzeichnern des Aufrufes wenigstens sofort danke. Dazu werde ich aber während der nächsten 14 Tage kaum Gelegenheit finden, da doch in diesem Falle billige Redensarten am allerwenigsten am Platze | sind. Mitte JuniWedekind notierte am 16.6.1914 seine „Abfahrt von Berlin“ [Tb] und war abends zurück in München, wo er den Abend des 19.6.1914 im Hoftheater-Restaurant mit Kurt Martens verbrachte: „HT.R. mit Kurt Martens“ [Tb], der ihn aber bereits am 18.6.1914 gemeinsam mit Joachim Friedenthal zuhause aufgesucht hatte: „Martens und Friedenthal kündigen uns das Banket an. Ich bleibe zu Hause“ [Tb]. Das zu seinem 50. Geburtstag am 24.7.1914 einen Monat vorgezogen veranstaltete Bankett im Hotel Bayerischer Hof in München – Wedekind notierte am 24.6.1914 „50 Geburtstagsbankett“ [Tb] – hatte ein kleinerer Freundeskreis organisiert, darunter Kurt Martens und Joachim Friedenthal. hoffe ich wieder in München zu sein und freue mich sehr, Dich dann dort zu finden. Du hast Dir für die Arbeit ja einen herrlichen Fleck Erdebezieht sich wohl auf die Abbildung auf der nicht überlieferten Bildpostkarte (siehe oben), die Kurt Martens an Wedekind geschickt hatte; von welchem Ort sie abgesandt wurde, ist nicht ermittelt – jedenfalls nicht aus Welschnofen in Südtirol, denn Kurt Martens erinnerte sich, dort sei er 1914 erst einige Wochen später gewesen: „im Juni, fuhr ich mit meiner Familie zum Sommeraufenthalt nach Welschnofen, nahe dem Karersee, arbeitete dort in größter Zurückgezogenheit am letzten Teil meiner Trilogie ‚Die alten Ideale‘“ [Martens 1924, S. 137]. ausgesucht. Solltest Du Hans von WeberHans von Weber, Verleger in München (Bismarckstraße 22, Verlag: Adalbertstraße 76) [vgl. Adreßbuch für München 1914, Teil I, S. 750] und Cousin von Kurt Martens, gehörte nicht nur zu den Unterzeichnern des Aufrufs für eine Ehrengabe zu Wedekinds 50. Geburtstag (siehe oben), der Aufruf (er wurde in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht) erschien auch in der von ihm verlegten Zeitschrift „Der Zwiebelfisch“ [vgl. Der Zwiebelfisch, Jg. 6 (1914), Heft 2, S. 43], über die auch die Quittierung der Ehrengabe erfolgte. inzwischen sehen, das/n/n grüß ihn bitte von mir und sag ihm auch vorläufig meinen aufrichtigen Dank so wie ich Dir danke.

Also auf baldiges frohes Wiedersehen.

Mit herzlichem Gruß
Dein alter
Frank Wedekind


24.5.14

Frank Wedekind schrieb am 27. Dezember 1914 in München folgenden Brief
an Kurt Martens

München, 27.XII.1914.


Lieber Kurt Martens!

Mit wahrer Andacht habe ich soeben zum zweiten MalWedekinds erneute Lektüre des Gedichts „Das Grab in der Landschaft“ (siehe unten), das umfangreichste und letzte von sieben Gedichten in dem 15 Seiten umfassenden Lyrikbändchen „Verse“ (1914) von Kurt Martens, im Herbst als Heft 6 der Reihe „Münchner Liebhaber-Drucke“ im Verlag Heinrich F. S. Bachmair in München erschienen [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 81, Nr. 233, 7.10.1914, S. 7601], das auch die beiden anderen genannten Gedichte „Virago“ und „Lenia“ enthält, lässt vermuten, dass er das Heft zumindest schon einige Tage besaß (vielleicht war es ein Weihnachtsgeschenk). Es enthält den gedruckten Hinweis: „‚Verse‘ von Kurt Martens wurde als sechster der von Berthold Sutter herausgegebenen Münchner Liebhaberdrucke bei Poeschel & Trepte in der Goethefraktur gedruckt. Die Auflage beträgt 500 Exemplare. Erschienen 1914 im Verlag Heinrich F.S. Bachmair in München“ [Kurt Martens: Verse. München 1914 (= 6. Münchner Liebhaber-Druck), S. (16)]. das Gedicht „Das Grab in der LandschaftDas Gedicht „Das Grab in der Landschaft“ aus dem Heft „Verse“ (siehe oben) bietet in traumartigen Sequenzen düstere Bilder, die Wedekind im vorliegenden Brief vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens deutet; die acht Strophen lauten: „Nach dieser letzten, namenlosen Qual / Zersprangen überhitzt mir die Gedanken / In eine Dämmerung, ungewiß und fahl, / Begann die Seele nun hinauszuwanken – / Und alsbald sah ich mich in einem Saal, / Durch dessen Fenster Abendschatten sanken. / Still wie in Grüften war es ringsumher, / Der Marmorboden kalt, die Wände leer. // Langsam verengten sich vor mir die Mauern, / Doch immer tiefer trieb es mich hinein; / In Sehnsucht ratlos und in Todesschauern / Wußt’ ich mich hier mit einem Ziel allein. / Jetzt war nicht mehr die Zeit, entnervt zu trauern; / Hier galt es Sucher und Entdecker sein! / Und gierig tastend mit angstvollen Händen / Schleppt’ ich mich vorwärts zwischen diesen Wänden. // Bis plötzlich ich gehemmt an weiteren Schritten: – / Ein hohes Bild trat aus dem Dunkel vor, / Stückwerk von Landschaft, wie herausgeschnitten / Aus der Natur, die jedes Band verlor. / Gleichwie ein Fetzen Welt stieg es inmitten / Von dieser Krypta klarer mir empor / Und war nichts anderes doch als ein Gemälde, das / Zum Schutz bedeckt mit einer Scheibe Glas. // Es überschatteten uralte Bäume / Mit ihren Zweigen ein verlass’nes Grab. / Dahinter zog in ungewisse Räume / Endlos sich eine Ebene hinab, / So mittagshell, gewiegt in Frühlingsträume, / Wie Gott sie uns im Paradiese gab, / Die seligsten der seligen Gefilde … ! / Doch schwer und finster blieb das Grab im Bilde. // Noch sann ich grübelnd vor das Glas gebannt, / Ob dieser Hügel Frieden wohl bedeute: / Als neben mir ein greiser Führer stand, / Der mir, wie wenn ihn meine Neugier freute, / Zunickte, grinste darauf meine Hand / Gewaltsam, weil sie die Berührung scheute, / Zum Rahmen zog und an die Scheibe stieß, / Daß dröhnendes Geklirr sich hören ließ. // Das Grab sprang auf. Es teilten sich die Schollen, / Verwesungs-Dunst stieg giftig grün empor; / Gleichwie Gewürm aus einem Sumpf, so quollen, / Greulich geballte Leichen draus hervor / Und drängten, wälzten sich in einer tollen / Flucht durch das geborstne, allzu enge Tor. / Dann aber, kaum befreit von ihren Banden, / Entschwebten sie nach jenen sel’gen Landen. – // Noch blickte ich dem Zuge schaudernd nach, / Als mich der Alte abermals berührte / Und schmeichelnd, überredend also sprach: / ‚Das Bild, vor welches dich dein Dämon führte, / Fand diesmal dich zum Werke noch sehr schwach; / Doch hättest du gewagt, wie sich’s gebührte, / Aus eigener Kraft die Toten zu befrein, / Du könntest leicht ein großer Zaubrer sein.‘ // Ich aber wandte mich von ihm und lief / Und lief, gejagt von Abscheu und von Grauen, / Dem Lichte zu, das mich von Ferne rief, / Das helle Leben wiederum zu schauen / Und jener Qual des Lebens jetzt, so tief / Sie auch verwundet, doch – stark im Vertrauen – / Zu trotzen und, statt Tote zu beschwören, / Gegen Verfall und Tod mich lebend zu empören.“ [Kurt Martens: Verse. München 1914 (= 6. Münchner Liebhaber-Druck), S. 13-15]“ gelesen. Dir Freundlichkeiten darüber zu sagen, liegt mir gänzlich fern, nur feststellen möchte ich, was unumstößlich über jeden Zweifel erhaben dasteht und Dir jeder bestätigen muß, der etwas davon versteht. Die Form des Gedichtes ist einfach klassisch, nicht ein Wort, das ein schöneres oder treffenderes zu wünschen übrig ließe. Dabei eine Einfachheit, eine Selbstverständlichkeit, wie ich sie bei keinen anderen Octave-Rime„das auch Oktave (ital. Ottava rima) genannte epische Versmaß der Italiener, eine aus acht fünffüßigen Jamben bestehende Strophe, in der die Verse so verschlungen sind, daß der 1., 3. und 5., dann der 2., 4. und 6., endlich der 7. und 8. aufeinander reimen.“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd. 18. Leipzig, Wien 1907, S. 853] kenne. Mich auf Vergleiche einzulassen, möchte ich vermeiden, denn was dem einen ein Ruhm ist, braucht nicht immer für einen andern, der sich gerne mitfreuen würde, eine Kränkung zu sein. Die Ueberzeugung aber steht fest in mir, daß Dein Gedicht weder Tote noch Lebende zu scheuen hat.

Der Inhalt zeigt seinen Werth am stärksten dadurch, daß er bei gutem Vortrag eine sehr weitgehende Wirkung ausüben wird. Manche Kriegsfeierlichkeit, die unter gebildeten Menschen noch veranstaltet wird, kann sich Dein Gedicht als Prolog mit sicherem Erfolg zu Nutze machen, während es für Dich gleichzeitig immer und unangetastet durch die öffentliche Verwendung der Ertrag jenes Erlebnisses ist, das viele mit Dir theilen und doch niemand künstlerisch zu bändigen vermochte.

Also nochmals meine aufrichtigsten Glückwünsche zu diesem einzigen Werk unserer Zeit.

Von den übrigen Gedichten gefielen mir besonders „Virago“ und „Lenia“. Dir und Deinem VerlegerInhaber des Verlags Heinrich F. S. Bachmair in München (Horschellstraße 4) [vgl. Adreßbuch für München und Umgebung 1914, Teil I, S. 22, 729] war der Schriftsteller und Verleger Heinrich Franz Seraph Bachmair in Pasing (Planeggerstraße 5) [vgl. Adreßbuch für München und Umgebung 1914, Vororts-Adreßbuch für das Jahr 1914, S. 37]. wünsche ich die besten Erfolge des Buches.

Ueber michWedekind hat im Tagebuch vom 13. bis 23.12.1914 quer über die Seiten „krank“ geschrieben, der 25. bis 28.12.1914 enthält keine Einträge, am 29.12.1914 ist notiert: „Werde mit dem Sanitätswagen in die Klinik gebracht und operiert.“ [Tb] Er wurde in der Klinik von Dr. med. Friedrich Scanzoni von Lichtenfels, Spezialarzt für Chirurgie und Betreiber der Chirurgischen Privatheilanstalt (Werneckstraße 16) [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil I, S. 590], am Blinddarm operiert. kann ich Dir leider noch gar nichts Zuverlässiges schreiben, deshalb wäre es mir auch peinlich, Menschen zu sehen. Grüße bitte Herrn Doctor Friedenthal aufs Herzlichste von mir. Ebenso Mühsam. Aber lies es ihm bitte nicht aus diesem Briefe vor, ich möchte nicht kränken, wo ich freundlich sein möchte. Wenn Deinem Verleger meine obigen Worte zu irgend etwas dienlich sein können, so wird mir das die größte Freude sein.
Mit herzlichsten Grüßen auf baldiges Wiedersehen Dein alter
Frank Wedekind

Kurt Martens schrieb am 2. Februar 1915 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 3.2.1915 aus München:]


Heißen Dank für Deine theuren Anerbietungen.

Frank Wedekind schrieb am 3. Februar 1915 in München folgenden Brief
an Kurt Martens

Lieber Martens!

Heißen Dank für Deine theuren AnerbietungenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 2.2.1915.. Aber etwas theureres kannst Du mir nicht opfern als Dich selbst. Ich würde mich ungemein freuen Dich zu sehen. Darf ich Dich vielleicht heute | Nachmittagam 3.2.1915, an dem Wedekind notierte (er war zuhause und dort von seinem Arzt frisch verbunden worden): „Martens zum Thee.“ [Tb] Kurt Martens hatte Wedekind schon einmal nach der ersten Blinddarmoperation (er wurde am 29.12.1914 operiert) in der Klinik besucht [vgl. Wedekind an Artur Kutscher, 16.1.1915], wohl kurz, bevor Wedekind am 9.1.1915 aus der Klinik entlassen und mit „dem Sanitätswagen nach Hause gebracht“ [Tb] wurde; er hat von Wedekinds Krankheitsbefinden berichtet [vgl. Thomas Mann an Wedekind, 11.1.1915]. um vier Uhrum 16 Uhr. erwarten?

Bitte, mich Deiner verehrten Gattin bestens zu empfehlen.

Mit wärmstenSchreibversehen, statt: wärmstem. Dank für Deine Liebe
Dein
Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 14. September 1915 in Lenzburg folgende Bildpostkarte
an Kurt Martens

CARTE POSTALE
POSTKARTE ‒ CARTOLINA POSTALE


Adresse


Herrn

Dr. Kurt Martens
München
Habsburgerstrasse 3Dr. jur. Kurt Marten war schon seit einiger Zeit als Schriftsteller unter dieser Adresse (Habsburgerstraße 3, 3. Stock) verzeichnet [vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender auf das Jahr 1914, Teil II, Sp. 1113], nun als „Privatgelehrter“ [Adreßbuch für München 1916, Teil I, S. 442]..


Lieber Kurt Martens!

Herzlichste Grüße aus der schönen Schweiz aus dem mit x bezeichneten Häuschendas Steinbrüchli, auf der kolorierten Ansicht von Lenzburg das zweite Haus oben links, das langjährige Wohnhaus der Mutter Wedekinds, der seit dem 30.8.1915 seinen Sommerurlaub dort verbrachte [vgl. Tb].. Auf OktoberWedekind reiste am 30.9.1915 aus der Schweiz zurück nach München, wo er sich abends mit Kurt Martens und Joachim Friedenthal traf: „Prachtvolle Rückfahrt von Lenzburg [...] nach München [...]. Abends mit Martens und Friedenthal Hoftheaterrestaurant“ [Tb]. hoffe ich wieder in München zu sein und an Halbes GeburtstagsfeierHinweis auf eine nicht überlieferte Einladung; erschlossenes Korrespondenzstück: Max Halbe an Wedekind, 12.9.1915. – Die Feier zu Max Halbes 50. Geburtstag am 4.10.1915 fand am 3.10.1915 in München im Weinhaus Schleich (Briennerstraße 6, Inhaber: Fritz Schleich) statt, wie Wedekind notierte: „Halbe-Banquet im Restaurant Schleich.“ [Tb] Die Presse berichtete: „Im Rokokosaal des Weinhauses Schleich versammelte sich Sonntag mittag eine erlesene Schar von Freunden und Verehrern Max Halbes, um den 50. Geburtstag des Dichters zu feiern. Die Vertreter des Münchner Schrifttums hatten sich fast vollständig zu diesem Fest eingefunden und man freute sich, unter ihnen auch den nun wieder völlig genesenen Frank Wedekind zu erblicken. [...] Kurt Martens sprach für den Schutzverband deutscher Schriftsteller [...]. Max Halbe dankte in schlichter und eindrucksvoller Rede und führte aus, [...] wie es ihn beglücke, daß zu dieser Feier Freunde aus allen Teilen des Reiches und der Nachbarmonarchie zusammengekommen seien, ein sichtbares Symbol der Einigkeit der gewaltigen Zeit. Das Bankett verlief in der festlichsten Stimmung“ [Bankett zu Ehren Max Halbes. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 68, Nr. 506, 4.10.1915, Morgenblatt, S. 3]. teilzunehmen. Hoffentlich geht es Dir und Deinen Lieben recht gut.

Mit besten Wünschen

Dein alter
Frank Wedekind |


x


1916 Lenzburg

Frank Wedekind schrieb am 30. April 1916 in München folgende Postkarte
an Kurt Martens

30.4.16. Lieber Martens! Seit einigen Tagen bin ich wieder hierWedekind, der vom 10. bis 24.4.1916 Berlin besucht hat, war am 24.4.1916 abends zurück in München [vgl. Tb]. und ersehne Deine RückkehrKurt Martens war offenbar im Begriff, bald nach München zurückzukehren, den er hat Wedekind bereits am 3.5.1916 in München besucht: „Abendessen [...]. Dann kommen Martens und Friedenthal.“ [Tb]. In Berlin habe ich mir allerhand GeschäfteWedekind hat sich in Berlin um Aufführungen seiner Dramen, mögliche Gastspiele und Lesungen gekümmert sowie am 17.4.1916 einen Vortrag in der Deutschen Gesellschaft 1914 – „Vortrag im Klub“ [Tb] – gehalten. aufgeladen, sodaß für Dresden keine freie Zeit übrig blieb und ich direkt zurückfuhrWedekind hatte geplant, auf dem Rückweg von Berlin nach München über Dresden zu reisen, wovon seine Frau ausging [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.4.1916], was er ihr bestätigte [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 17.4.1916] und zunächst an dem Plan festhielt [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.4.1916]; er hatte vorgehabt, in Dresden Kurt Martens zu treffen.. Ich hoffe, daß Du die schönen Frühlingstage frohen Herzens genießest. In Berlin sprach ich allerhand Leute, die den | Schicksalsmächtendie politische und ökonomische Machtelite. Wedekind ist in Berlin Menschen in Machtpositionen begegnet, so etwa – im Tagebuch notiert – in der Deutschen Gesellschaft 1914 (genannt: Klub, 1915 gegründet von dem Diplomaten und Staatsekretär im Reichskolonialamt Wilhelm Solf) [vgl. Martin 1996, S. 131f.] am 17.4.1916 („Nachher Klub. Exz. Solf Reinhardt Theodor Wolff Erich Reiß Baron Rummel“), 18.4.1916 („Abends mit Herbert Gutmann im Klub gegessen“), 19.4.1916 („Mittag im Club“), 20.4.1916 („Mittag im Klub mit Theodor Wolff“), 22.4.1916 („Mittagessen im Club“) und 23.4.1916 („Mittagessen im Klub“); er hat den Elektroindustriellen Walther Rathenau, der 1914/15 die Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium geleitet hatte, am 15.4.1916 („Treffe Rathenau auf der Potzdamer Straße“) und 16.4.1916 („Abends [...] bei Rathenau“) getroffen und den Herausgeber der politischen Wochenschrift „Die Zukunft“ Maximilian Harden am 21.4.1916 („Zu Mittag bei Harden“), aber auch den Chefredakteur des „Berliner Tageblatt“ Theodor Wolff am 19.4.1916 („Abends bei Borchardt mit Reinhardt Theodor Wolff Weingarter Baron Schein. Mit Wolff und Herrn Kleefeld nach Hause gegangen“) sowie den Tag darauf und zuvor schon am 17.4.1916. nahe stehen und freue mich sehr darauf, wenn wir unsere Wahrnehmungen wieder austauschen können. Seit einigen Tagen ist Kutscher hierunklar, seit wann. Wedekind hat die letzte Begegnung mit Artur Kutscher, der seit Kriegsbeginn 1914 als Soldat im Felde stand (zwischenzeitlich Heimaturlaub), am 4.12.1915 notiert: „Verabschiede mich von Kutscher“ [Tb]. Wedekind war aber seit rund zwei Wochen darüber informiert, dass Artur Kutscher bald nach München kommen werde [vgl. Wedekind an Artur Kutscher, 12.4.1916]., leicht verwundetArtur Kutscher, als Soldat auf Heimaturlaub in München, hatte sich im Krieg während eines Marsches mit schwerem Gepäck eine Knieverletzung zugezogen [vgl. Kutscher 1960, S. 117-119].. Mit herzlichsten Grüßen in alter Freundschaft
Dein FrWedekind.


Königreich Bayern
Postkarte


S. H.
Herrn
Dr. Kurt Martens
Loschwitz bei Dresden
Villa Starckedie Villa seiner Mutter, der Amtshauptmannswitwe Antonie Starke-Martens in Loschwitz (Schillerstraße 24) [vgl. Adreßbuch für Dresden und Vororte 1916, Teil VI, S. 285], bei der Kurt Martens zu Besuch war: sein Elternhaus.

Frank Wedekind schrieb am 11. März 1917 in Berlin
an Kurt Martens

DEUTSCHE GESELLSCHAFT 1914   11.III.17Wedekind notierte am 11.3.1917 in Berlin: „Abendessen im Club.“ [Tb] Das war die Deutsche Gesellschaft 1914, in deren Räumen er die vorliegende Briefkarte schrieb; bereits bei seinem Aufenthalt in Berlin im Vorjahr war er oft dort [vgl. Wedekind an Kurt Martens, 30.4.1916]..


BERLIN W.
WILHELMSTR. 67.


Lieber Kurt Martens! Hier in BerlinWedekind ist am 6.3.1917 von München abgereist – „Abends Fahrt nach Berlin“ [Tb] – und traf am 7.3.1917 früh morgens in Berlin ein, wo er im Hotel Excelsior (Königgrätzer Straße 112/113) logierte: „Ankunft in Berlin. Hotel Exzelsior.“ [Tb] Er gab in Berlin vom 9.3.1917 bis 7.4.1917 ein Gastspiel als Dr. Schön in der „Erdgeist“-Inszenierung (Premiere: 4.11.1916) unter der Regie von Rudolf Bernauer im Theater in der Königgrätzer Straße (Direktion: Carl Meinhard und Rudolf Bernauer) mit Maria Orska in der Rolle der Lulu, die sie an 373 Abenden spielte [vgl. Seehaus 1973, S. 712], und fuhr am 8.4.1917 zurück nach München [vgl. Tb]. ist es sicherlich unterhaltender als in München. Gesternam 10.3.1917, an dem Wedekind notierte: „Sechs Uhr Probe mit Orska von 3 Akt Schluß. Vorstellung Erdgeist“ [Tb]; sein Gastspiel als Dr. Schön mit der Lulu-Darstellerin Maria Orska als Partnerin in der Berliner „Erdgeist“-Inszenierung (siehe oben) hatte am 9.3.1917 begonnen: „Um zwölf Uhr ½stündige Probe mit meiner Partnerin Maria Orska [...] Vorstellung Erdgeist“ [Tb]. habe ich zum zweiten Mal gespielt. Die Hotels sind aber überfüllt, Habsburger Hof sowohl wie Excelsior. Da ich am frühen morgenSchreibversehen, statt: Morgen. ankam erhielt ich noch Platz. Des Abends ist aber nur bei Vorausbestellungen | Unterkunft zu haben. Solltest Du also am Tag fahren so würde es sich empfehlen das Zimmer vorher zu bestellen. Wenn ich es für Dich tun kann, dann laß es mich bitte wissen. Ich freue mich sehr auf Dein EintreffenKurt Martens dürfte nicht nach Berlin gefahren sein. Wedekind sah ihn erst nach seiner Rückkehr in München wieder, am 18.4.1917 im Café Luitpold: „C.L. mit Friedenthals Martens und Heinrich Mann“ [Tb]..

Mit schönsten Grüßen
Dein
Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 26. Mai 1917 in Zürich folgende Bildpostkarte
an Kurt Martens

Herrn
Dr. Kurt Martens
Habsburgerstrasse 3
München


ZürichFrank und Tilly Wedekind sind am 10.5.1917 zu einer Gastspielreise nach Zürich aufgebrochen (mit einzelnen Gastspielen in Basel, Davos und Baden), fortgesetzt als Urlaubsreise, und kamen am 7.10.1917 zurück nach München [vgl. Tb]. City-Hotel 26.V.17.


Lieber Freund! Vier VorstellungenFrank und Tilly Wedekinds „Erdgeist“-Gastspiele am Künstlertheater in Zürich (Premiere am 19.5.1917 und zwei weitere Vorstellungen am 20. und 21.5.1917) sowie am Stadttheater in Basel (Vorstellung am 23.5.1917). Sie waren am 25.5.1917 zurück in Zürich [vgl. Tb]. in Zürich und Basel haben wir glücklich hinter uns und senden Dir und Deinen Lieben herzlichste Grüße. Wäre es Dir nicht möglich hierher zu kommenKurt Martens dürfte nicht nach Zürich gefahren sein. Wedekind sah ihn erst nach seiner Rückkehr in München wieder, am 10.10.1917 im Café Luitpold (mit Heinrich Mann): „CL. mit Martens und H Mann.“ [Tb]? Es ist wunderschön Dein alter treuer Frank. |


Zürichsee. Dampfer „Helvetia“ mit Alpenquai und Uetliberg

Kurt Martens schrieb am 14. Juli 1917 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Kurt Martens vom 18.8.1917 aus Zürich:]


Sehr verspätet erhielt ich Deine freundlichen Zeilen über die Kundgebung zugunsten Meyrinks [...]

Frank Wedekind schrieb am 18. August 1917 in Zürich folgenden Brief
an Kurt Martens

Zürich 18. August 1917
Schönbühlstraße 14 III.


Lieber Freund!

Sehr verspätet erhielt ich Deine freundlichen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Kurt Martens an Wedekind, 14.7.1917. Kurt Martens dürfte angesichts der kriegsbedingt verzögerten Postbeförderung etwas zu kurzfristig nach Wedekinds Einverständnis seiner Mitwirkung an der dann am 17.7.1917 morgens bereits publizierten Solidaritätserklärung für Gustav Meyrink (siehe unten) gefragt haben. über die Kundgebung zugunsten MeyrinksKurt Martens hatte als Vorsitzender der Ortsgruppe München des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller (SDS) eine Solidaritätserklärung initiiert, die der publizistischen Hetzkampagne gegen den Schriftsteller Gustav Meyrink entgegen wirken sollte, ausgelöst durch ein völkisch-antisemitisches Pamphlet in der Zeitschrift „Deutsches Volkstum“ [vgl. Albert Zimmermann: Gustav Meyrink. In: Deutsches Volkstum, Jg. 19, Heft 4, April 1917, S. 161-167], aus dem die Erklärung des SDS zitierte (unterzeichnet von Ernst und Anni von Aster, Johann Heinrich von Bernstorff, Frances Külpe, Artur Kutscher, Heinrich Mann, Kurt Martens, Adele von Moser, Hermann von Riese-Stallburg, Tilla von Roeder-Diersburg, Albert von Schrenck-Notzing, Hermann Uhde-Bernays, Frank Wedekind, Felix Weingartner): „Gegen den in Starnberg lebenden Dichter Gustav Meyrink richten seit Wochen gewisse deutsche Blätter heftige Schmähungen, die auf seine vor zwölf Jahren erschienenen satirischen Novellen zurückgreifend den Anschein zu erwecken suchen, als sei Gustav Meyrink ein Schädling der deutschen Literatur, als habe er ‚die deutschen Frauen teuflisch verhöhnt‘ und ‚Modergestank‘ um sich verbreitet. Dabei scheint die regelmäßig wiederkehrende Behauptung, Meyrink sei Jude – er ist weder Jude noch stammt er von Juden ab – zugleich eine Art antisemitische Hetze gegen ihn in die Wege leiten zu wollen. Die Unterzeichneten, die Gustav Meyrink als Menschen von lauterster, vornehmster Gesinnung kennen und als einen unserer hervorragendsten Erzähler hochschätzen, legen gegen jene niedrigen persönlichen Angriffe Verwahrung ein und betonen, daß sie in seinen Werken niemals irgendwelche Verunglimpfungen, sondern nur die jedem Dichter freistehende Satire gegen lächerliche oder unerfreuliche Erscheinungen der Zeit gefunden haben.“ [Für Gustav Meyrink. In: Vossische Zeitung, Nr. 359, 17.7.1917, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Die Erklärung erschien außer in der „Vossischen Zeitung“ zugleich im „Berliner Tageblatt“ [vgl. Eine Kundgebung gegen die Meyrink-Hetze. In: Berliner Tageblatt, Jg. 46, Nr. 359, 17.7.1917, Morgen-Ausgabe, S. (3)] sowie die Diffamierung fortsetzend als Gegen-Erklärung präsentiert in den „Berliner Neueste Nachrichten“ [vgl. Eine Meyrink-Schutztruppe. In: Berliner Neueste Nachrichten, Jg. 37, Nr. 360, 17.7.1917, Abend-Ausgabe, S. (2)]. Siegfried Jacobsohn hatte gehofft, es werden „genügend viel Blätter von Rang und Verbreitung die Zuschrift des Schutzverbandes drucken, die eben eintrifft“ [Die Schaubühne, Jg. 13, Nr. 29, 19.7.1917, S. 71]. Wedekind hat Gustav Meyrink in München oft getroffen, zuletzt wohl am 5.1.1917 im Café Luitpold: „C.L. mit Friedenthal Meyrinck und Martens“ [Tb]. und konnte mich nur noch darüber freuen, daß Du mich mit meinem Namen schon an dem Protest hattest teilnehmen lassen. In Zürich ist es derweil sehr still geworden | nachdem ReinhardtMax Reinhardt, Direktor des Deutschen Theaters in Berlin, hatte mit seinem Ensemble zunächst vom 9. bis 12.6.1917 am Stadttheater in Zürich gastiert: „GASTSPIEL des Deutschen Theaters Berlin unter persönlicher Leitung von Professor Max Reinhardt“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 138, Nr. 996, 3.6.1917, 1. Sonntagblatt, S. (4)], das bis zum 16.6.1917 verlängert worden war [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 138, Nr. 164, 16.6.1917, 1. Blatt, S. (3)]. Wedekind hatte ihm dem Tagebuch zufolge am 13.6.1917 in Zürich sein neues Stück „Herakles“ vorgelesen („Lese Reinhardt Holländer und Reiß Herakles vor“), in der Hoffnung, er werde es zur Aufführung bringen (was nicht geschah), ihn am 15.6.1917 nochmals getroffen („Mit Reinhardt Busoni Reucker e.ct. im Baur au Lac“) und am 16.5.1917 an der Dampferfahrt für ihn teilgenommen („Nach dem Theater mährchenhafte Dampferfahrt nach der Au, zu Ehren Reinhardts veranstaltet vom Hot. Lesezirkel und Theatergesellschaft. Trage Brigitte B vor“). und die Wiener Operettedas ‚operettenhafte‘ Auftreten des aus Österreich stammenden Regisseurs und Theaterdirektors Max Reinhardt und seines Ensembles in Zürich (siehe oben). vorübergerauscht sind. Alles lebt in den Bergen, kein Publicum läßt sich auftreiben, aber die Tage sind wunderschön. Trotzdem sehne ich mich nach München zurück und hoffe auch am ersten OktoberWedekind, der mit seiner Familie seit dem 10.5.1917 in Zürich lebte (zunächst eine Gastspielreise, dann ein langer Urlaubs- und Erholungsaufenthalt), kehrte am 7.10.1917 nach München zurück [vgl. Tb]. wieder dort zu sein. Dir wünsche ich daß auch Du Dich des herrlichen Sommers nach Herzenslust freust und Kraft und Mut für den kommenden Winter gesammelt hast. Häufig | lese ich hier die n/N/euesten Nachrichten und glaube an vielen Stellen die Wirkung Deines Geistes darinKurt Martens war seit dem 5.2.1917 Feuilletonredakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten“ für Literatur, wie die große Münchner Tageszeitung an diesem Tag meldete (und ihn auch schon auf der Titelseite in seiner Funktion vermerkt): „Herr Dr. Kurt Martens, der bekannte Romanschriftsteller und langjährige Mitarbeiter unseres Blattes, hat sich in liebenswürdiger Weise bereit erklärt, für die Kriegsdauer die Leitung des literarischen Feuilletons der ‚M.N.N.‘ zu übernehmen. Er wird von heute ab seine Tätigkeit beginnen.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 70, Nr. 63, 5.2.1917, Abend-Ausgabe, S. 2] zu spüren. Das ganze Blatt hat ein frischeres Gesicht bekommen. Im Café Odéondas 1911 eröffnete Café Odeon in Zürich (am Bellevueplatz), das Wedekind oft besuchte – zuletzt hat er am 1.8.1917 „Cafe Odeon“ [Tb] notiert. findet sich hier eine Gesellschaft von Künstlern und Journalisten zusammen, unter denen die Tagesneuigkeiten erörtert werden. Daneben verwende ich möglichst viel Zeit auf Rudern und SchwimmenWedekind hat zuletzt am 17.8.1917 notiert: „Gerudert. Gebadet.“ [Tb]. Aber auch bei Regen ist die Temperatur | so schwül, daß man täglich unentgeltlich sein Schwitzbad bekommt. Eben bittet mich Pamela ihre Grüße an Hertha zu bestellen. Auch meine Frau sendet schönste Grüße. Mit den besten Wünschen auf baldiges WiedersehnWedekind sah Kurt Martens nach seiner Rückkehr in München am 10.10.1917 im Café Luitpold (mit Heinrich Mann) wieder: „CL. mit Martens und H Mann.“ [Tb] in München
in alter Freundschaft
Dein
Frank Wedekind