Briefwechsel

von Frank Wedekind und Armin (Hami) Wedekind

Frank Wedekind schrieb am 16. Februar 1884 in Lenzburg folgende Widmung
an Armin (Hami) Wedekind

Seinem geliebten Armin
in brüderlicher Treue
der Verfasser.


PrologDen „Prolog zur Abendunterhaltung der Kantonsschüler“ [KSA 1/I, S. 114-117.] hatte der Autor auf dem ersten Kantonsschülerfest am 1.2.1884 im neuen Festsaal in Aarau mit großem Beifall vorgetragen [vgl. KSA 1/II, S. 1983-1986]. Mitte Februar 1884 wurden die Verse bei Sauerländer in Aarau als 8-seitiger Separatdruck mit einigen 100 Exemplaren gedruckt.
zur
Abendunterhaltung
der
Kantonsschüler
von
Franklin Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 17. April 1885 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[1. Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 24.4.1885 aus Zürich:]


Dein Brief, den ich erst Mittwochs mit dem Packet hieher erhielt hat mir große Freude gemacht.



[2. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Friedrich Wilhelm Wedekind vom 27.4.1885 aus München:]


An Armin hatt’ ich einen langen ausführlichen Brief nach Lenzburg gesandt […]. Er scheint ihn aber erst in Zürich erhalten zu haben.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 24. April 1885 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Zürich, d. 24. Apr. 85.


Lieber Bruder!

Verzeih, daß ich erst jetzt Deinem Verlangen nach Nachrichten aus der Heimath Befriedigung gewähre, hoffentlich werden die 36 M.Frank Wedekind hatte seinem Bruder 36 Mark geliehen, die ihm sein Vater erstattete [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 29.4.1885]. Offenbar hatte Armin Wedekind seinen Vater kurz vor seiner Abreise nach Zürich darüber informiert., von denen ich heute vor 8 Tagen Papa Kunde gab nicht so lange auf sich haben warten lassen. Dein Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 17.4.1885., den ich erst Mittwochsam 22.4.1885. mit dem Packet hieherArmin Wedekind wechselte zum Sommersemester für sein Medizinstudium von München nach Zürich und erhielt aus Lenzburg zum Semesterbeginn ein Paket an seine neue Adresse in Oberstrass (Universitätsstraße 15). erhielt hat mir große Freude gemacht. Namentlich die Characterisirung der NibelungenstückeIn einem Brief an die Mutter berichtete Wedekind von einem Besuch von Richard Wagners Oper „Die Walküre“ am 11.3.1885 im Königlichen Hof- und Nationaltheater München [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 12.3.1885]. Zwei weitere Opern von Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ [vgl. dazu Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 27.4.1885] konnte er dort im April sehen: „Siegfried“ am 10.4.1885, „Götterdämmerung“ am 14.4.1885. Zum Nibelungenthema ist außerdem Emanuel Geibels Tragödie „Brunhild“ (1857) zu zählen, die Wedekind am 31.1.1885 besuchte [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 12.3.1885]., die auch mir erlaubte, an den großen Genüssen Theil zu nehmen. –

Nach meiner ReiseArmin Wedekind reiste spätestens am Samstag, den 11.4.1885 von München nach Lenzburg und verbrachte die letzte Woche der Semesterferien bei seinen Eltern bevor er sein Studium in Zürich fortsetzte. , die ziemlich ungemüthlich war, denn das Regenwetter verließ mich nicht bis an d. Grenzen des Aargaus fand ich zu Hause | die alte liebe Aufnahme. Mama & die Mädel kamen etwas außer sich & auch Doda & Papa freuten sich herzlich. Die Kleinendie noch zuhause wohnenden drei jüngsten Geschwister Erika (Mieze), Donald (Doda) und Emilie (Mati) Wedekind. sind alle gewachsen, Doda am wenigsten. Er hat auch in Folge dessen der Claravermutlich Emilie (Mati) Wedekinds Freundin Clara Marti [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 3.1.1895]., die ihn um Halbkopfeslänge überragt, seinen moralischen Abschied gegeben. Seine andeSchreibversehen, statt: andre. Flamme ist zwar nicht minder kolossal, denn es ist Niemand anders als die Hanneli-JahnHanna Jahn, die Tochter von Bertha Jahn, Frank Wedekinds ‚erotischer Tante‘ (siehe unten).. Auch das Mati ist eine kleine Hexe geworden, denn ich war kaum recht zu Hause, so erzählte sie mir schon, daß das Marielivermutlich identisch mit der unten erwähnten „Marie“, einer Jugendliebe Armin Wedekinds. Frank Wedekind schrieb seiner Mutter: „Armin hat mir viel von Euch, […] Marieli e ct. geschrieben“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 7.5.1885]. Um wen es sich handelt, ist ungewiss, möglicherweise Marie (Mary) Gaudard, Schwester von Blanche Zweifel-Gaudard, die auch „Mitglied des Dichterbundes Fidelitas (gegr. 1883), dem Anny Barck, Minna von Greyerz, Franklin und Armin Wedekind angehörten“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 69], war. da wäre & daß es Morgen zu uns heraufkommen würde. –

So war ich denn glücklich bei den Meinen und mußte nun über Mittag reichlich erzählen, was mir auch das viele Material recht leicht machte. | Mama erkundigte sich namentlich nach Dir und ich verhehlte nicht, den guten Einflußähnlich auch Frank Wedekind über den fünf Jahre älteren Theater-, Musik- und Literaturkritiker Dr. Heinrich Welti, einen Freund Armin Wedekinds aus der Aarauer Schulzeit (1877-79): „Ich selber habe ihm sehr vieles zu danken.“ [Frank Wedekind an Emilie und Friedrich Wilhelm Wedekind, 21.12.1885]. Welti führte Wedekind in das Münchner Kulturleben ein., den der Dr. Welti im Besonderen und die vielen Anregungen der Stadt im Allgemeinen auf Deine Thätigkeit haben würden, zu schildern. Papa wollte viel von dem jetzigen Aussehn der Stadt im Vergleich zu dem vor 50 Jahren, Mama mehr von Theater etc. etc. wissen. In dieser Weise verrannen die ersten Tage. Sonntagder 12.4.1885. war ich in der Kirche; seit langer Zeit zum ersten Male wieder etwas andächtig, dagegen klang mir die Orgel schauderhaft falsch.

Am Montagder 13.4.1885. begannen die Examinadie öffentlich stattfindenden jährlichen Schulprüfungen.. Wir waren alle bei Mati, die Pfr. Haslers Aufgabe: Wief/v/iel ist 3/d/rei & ein halbes Dutzend mit 9 löste, was den Pfr. in einige Verlegenheit brachte. | An diesem Tage war ich auch bei Tante Jahn. Wer da der Mittelpunkt des GesprächesZu der literarisch interessierten Apothekerwitwe Bertha Jahn pflegte Frank Wedekind seit Mitte August 1884 eine enge Beziehung und bezeichnete sie als seine ‚erotische Tante‘ [vgl. Kutscher 1, S. 106]. Sie wird sich daher bei seinem Bruder Armin nach ihm erkundigt haben. war kannst Du Dir wohl selber denken. Ich erzählte ihr viel, daß Du jetzt auf solideren Bahnen wandlest als früher und das schien sie sehr zufrieden zu stellen. Sie meinte jede Verirrung sei zu begreifen, nur nicht eine aesthetische. Der ViktorVictor Jahn, Sohn von Bertha Jahn, hatte das Gymnasium der Kantonsschule Aarau besucht [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule. Aarau 1884, S. 15]. , der ebenso wie JulesJules Gaudard aus Vevey (Waadt), Bruder von Blanche Zweifel-Gaudard, war ein Klassenkamerad von Victor Jahn am Gymnasium der Kantonsschule Aarau [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule. Aarau 1884, S. 15]; er studierte Medizin in Genf. eine famose Maturität gemacht will, horribile dictu(lat.) schrecklich zu sagen., Theologe werdenVictor Jahn studierte in Genf Theologie und wurde 1890 Stadtpfarrer von Brugg.. Tante Jahn meinte, es sei weil er gerne jedem Menschen Guthes thun möchte & er habe ganz geleuchtet, als sie ihm einmal gesagt, er könne nicht Apotheker werdenBertha Jahn führte nach dem Tod ihres Mannes Victor Jahn am 9.9.1882 die Löwenapotheke in Lenzburg fort. Ihren Sohn Victor hielt sie offenbar nicht für einen geeigneten Nachfolger.. Vorläufig geht er nach Genf, um noch Karl Vogt zu hören. Ob ihm der nicht seine Theologie verleidetKarl Vogt, ein Schüler von Justus Liebig, seit 1872 Professor für Zoologie in Genf, war ein prominenter Vertreter des Materialismus und Atheist. Er war 1849 in die Schweiz geflohen und mit Wedekinds Vater befreundet. nimmt mich sehr wunder. |

Ein fernerer Besuch galt Dürst’sArnold Dürst aus Lenzburg war bis Herbst 1878 Klassenkamerad von Heinrich Welti auf der Kantonsschule Aarau. wo ich erfuhr, daß der Walter in Kairo ein Bein gebrochen habe, das nun nur schwer heilen wolle. Er ist zur Kur in Baden. Endlich war ich auch bei Tante SophieSophie von Greyerz, geborene Wedekind, die Mutter von Wedekinds Cousine Minna von Greyerz., die viel dünner geworden ist. Auch sie hatte gerade Besuch von ihrem Aeltesten, dem Walo aus Schweden. Ich lernte ihn kennen & freute mich in ihm einen so stattlichen, imponirenden, sicheren Mann zu sehen. Er ist auch s wunderschön & die Lenzburger Damen schwärmen alle für ihn. –

Natürlich machte ich auch in Aarau einen Besuch bei Professor Rauchensteins. Ich fand sie beide bedeutend ergebener in ihr SchicksalDer Sohn von Johann Friedrich und Sophie Rauchenstein, Hans Rauchenstein, war am 27.6.1884 mit 25 Jahren nach kurzer Krankheit gestorben [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank und William Wedekind, 1.7.1884]. Armin und Frank Wedekind hatten während ihrer Schulzeit auf der Kantonsschule Aarau zeitweise bei der Familie Rauchenstein gewohnt (unter der Adresse: Halden 261).. Der Professor hat sogar seinen alten Humor wiedergefunden. Er beschäftigt sich jetzt immer noch mit seinen alten Studien angesichts eines schönen großen Bildes von Hans, das | er vor sich auf sein Pult gestellt hat. Es freute ihn, daß ich angefangen zu rauchen und er händigte mir gleich ein Päckchen Havanna BoutsZigarren mit kubanischem Tabak, deren Spitze nicht gedreht ist (auch: bouts-français) [vgl. Christian Heinrich Schmidt: Der Taback als wichtige Culturpflanze, und seine Verwendung zu Rauchtaback, zu Kautaback, zu Schnupftaback, besonders aber zu Cigarren nach den in Havanna und anderwärts gebräuchlichen Verfahrungsarten. Weimar 1858, S. 113]. ein, die er für sich & Hans noch gekauft hatte. – Wir gingen dann auf den Kirchhof, wo sie Hans einen sehr hübschen, einfachen Grabstein gesetzt haben. Er besteht aus einer S/g/ebrochenen Säule von schwarzem SyennitSchreibversehen, statt: Syenit – „körniges Eruptivgestein, welches sich wesentlich aus dunkelgrüner bis schwarzer Hornblende und farblosem bis weißem Feldspat (Orthoklas) zusammensetzt. […] Der schönen dunkeln Färbung wegen sind die Syenite als Dekorationsstein für Wandverkleidungen und zu Denkmälern sehr beliebt. Sie nehmen leicht eine schöne und gleichmäßige Politur an, geben große Blöcke und sind nicht so schwer zu bearbeiten wie Granit“ [Otto Lueger: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften. Bd. 8. Stuttgart, Leipzig 1910, S. 399f.]. mit dem Namen in Silberschrift und dem Spruche have, anima pia et candida.(lat.) Sei gegrüßt, fromme und reine Seele.

Einen recht angenehmen Abend verlebte ich mit Mieze zusammen bei Zweifels. Am folgenden Tage kamen Fr. ZweifelBlanche Zweifel (geb. Gaudard), seit 1882 verheiratet mit dem Lenzburger Kolonialwarenhändler Adolf Zweifel, war eine Freundin von Wedekinds Cousine Minna von Greyerz und eine ehemalige Schülerin des Lehrerinnenseminars in Aarau [vgl. Fünfter Jahresbericht über das Töchterinstitut und Lehrerinnenseminar Aarau. Schuljahr 1877/78, S. 6]. Sie gehörte dem Lenzburger Cäcilienverein an. Frank Wedekind widmete ihr mehrere Gedichte [vgl. KSA 1/I, S. 1090]. & Mariemöglicherweise Mary Gaudard, die Schwester Blanche Zweifels (siehe oben).wahrscheinlich Mary Gaudard, die Schwester von Blanche Zweifel (siehe oben). zu uns zum Kafe und wir hatten nun Zeit uns auszusprechen. Hier, im Gartenhäuschen allein mit ihr habe ich von ihr Abschied genommen. Sie war so | wunderschön und so einfach, daß mir der Abschied recht schwer wurde! Doch bitte ich Dich Niemandem etwas hievon zu sagen. –

Mati, Doda und Mieze brachten natürlich wunderschöne Zeugnisse nach Hause. Mati war allerdings vorher nicht fest überzeugt, daß sie definitiv herauf kämein die nächste Klasse versetzt würde., doch machte ihr das sehr wenig Sorgen. Miezle hat es jetzt beim Hl. KellerJakob Keller, Rektor des Töchterinstituts und Lehrerinnenseminars Aarau, unterrichtete Religion, Deutsch und Pädagogik. Erika Wedekind besuchte dort die 1. Klasse. sehr gut, er ist ausgesucht freundlich gegen sie & hat ihre Deutschnote von 2 – 3 auf 1 – 2 erhoben.

So flossen unter allerlei Tagesereignissen die Ferientage sehr schnell dahin. Von Freunden sah ich außer Lenzburgern Niemand & kann Dir deshalb auch leider keine Auskunft geben, wer nach München kommt. Am letzten Samstagdem 18.4.1885. schnürte ich mein Bündel und kam hieher wo ich bald eine treffliche Bude in der | Nähe meines frühern WohnortesArmin Wedekind hatte sein Medizinstudium im Sommersemester 1881 in Zürich begonnen [vgl. https://www.matrikel.uzh.ch/active//static/23376.htm], wechselte 1883 nach Göttingen, 1884 nach München und 1885 zurück nach Zürich. in OberstraßVorort von Zürich, der 1893 eingemeindet wurde. fand. Auch habe ich schon begonnen zu operiren & glaube, daß dieses Semester aus dem Studium was werden kann. Die Nachbarschaft HünerwadelsIn Oberstrass wohnten in der Universitätsstraße 17, also im Nachbarhaus von Armin Wedekinds Wohnung (Universitätsstraße 15), Karoline und Klara Hünerwadel [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1885, Teil I, S. 137]., die mir ins Zimmer sehen können (wenn sie wollen) wird mich nicht daran hindern. Hier wissen die Leute, wie es mir vorkommt furchtbar viel & sind eminent practisch. Hoffentlich lern ich das auch endlich einmal! –

Dir wünsch ich, daß es Dir dies Semester recht gut gehe. Genieße, was Du kannst, man vermißt es bald genug. Welti, Macknicht identifiziert, eventuell auch Mark; möglicherweise der Mathematikstudent Max Mack (Theresienstraße 13, 1. Stock rechts) aus Dillingen, der im Wintersemester 1884/85 und im Sommersemester 1885 in München eingeschrieben war [vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals der Lehrer, Beamten und Studierenden an der königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. Winter-Semester 1884/85. München 1884, S. 58 und Sommer-Semester 1885. München 1885, S. 59]. grüße mir besonders, auch die andren, wer mir nachfrägt. Hiemit will ich schließen und hoffen daß ich auch von Dir wieder von Zeit zu Zeit etwas höre. Ich werde pünktlich antworten. Mit herzlichem Gruß Dein Bruder
Armin.


[um 90 Grad gedreht auf Seite 1:]


Meine Adresse
Universitätsstrasse
No 15.I.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 7. Juli 1885 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Zürich, d. 7. Juli 1885.


Lieber Bruder!

Gestern war Papa hier mit unsern drei Mädelndie Schwestern Erika und Emilie (Mati) Wedekind sowie die Cousine Tilly Kammerer., die Dritte ist wie Du wissen wirst Cousine Tilly. Er erzählte mir, daß Du wahrscheinlich am 15.am Samstag, dem 15.8.1885 [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 27.7.1885] endete die Vorlesungszeit in München. von München abreisen und Dich dann entweder in Zürich oder in RomanshornReiseoptionen [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.7.1885]. einen Tag über aufhalten werdest. Es würde nun mir eine große Freude machen, wenn Du bei mirArmin Wedekind wohnte in Oberstrass (Universitätsstraße 15) bei Zürich. einkehren würdest. Wir würden dann mit einander nach Hause fahren, da meine MonetenStudentensprache für (Münz-)Geld. wahrscheinlich gerade bis zu diesem Zeitpunkte ausreichen werden. Immerhin möchte ich aber auf Dei|nen Reiseplan keinen Einfluß ausüben, wenn Du vielleicht im Sinne hast, denselben anders zu gestalten. –

Außer dieser ersten Sache ist es noch eine zweite quasi offizielle, die ich Dir mitzutheilen habe. Ich habe nämlich beim SchöpfSchuhmacher in Lenzburg. ein Paar Schuhe bestellt, die er mir nach gleichen Maßen, wie die im letzten Herbst erhaltenen machen sollte. Nun macht er sie mir aber auf Deine Maße & jetzt weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll. Sie sind mir eben zu groß und ich müßte sie eventuell für den Winter aufsparen. Hättest Du gerade welche nöthig & wären Dir diese angenehm, so wäre damit allerdings der Sa Schwierigkeit abgeholfen. Daß/s/ sollte | ich nun allerdings sofort wissen & bitte Dich daher mir sofort nur kurz zu melden welche Stellung Du zu dieser kritischen Frage einnimmst. –

Soweit das offizielle. Du wirst zwar auch dies mal als den Grund des Briefes die Schuhfatalität ansehen, allein wenn dieselbe mit dem ersteren Anlasse auch der/as/ Hauptmoment meines Schreibens aus macht, so habe ich doch immerhin den Vortheil auf meiner Seite, daß die Reihe dies mal an Dir gewesen wäre. Aber das verzeih ich gernr/e/, da ich ja selber weiß, was für ein unfruchtbarer Boden in München für Correspondenzen ist. Mir ist es hierArmin Wedekind war zum Sommersemester 1885 für sein Medizinstudium von München nach Zürich gewechselt. dies Semester sehr gut gegangen. Allerdings habe ich meine alten Tugenden noch nicht abgelegt, Kneipe & | Bummelstudentensprachlich für gemeinsames Zechen und Besuche mehrerer Kneipen. hat immer noch mehr Interesse für mich als Klinik & Studium, aber es hat sich jetzt wenigstens der Weg aufgethan, der durch Finsterniß zum Lichtdeutsch für die lateinische Redewendung ‚per aspera ad astra‘ (= ‚durch Mühsal zu den Sternen‘). d. h. durch Examensnöthen zum Ende führt; ein einheitliches Arbeiten ist eben erst möglich, wenn man vor sich sieht, was einmal verlangt wird im Examen. –

Ich denke mit Papa seinem Planevgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1885. Zu einem Studienortwechsel kam es nicht; Frank Wedekind brach sein Studium in München im Sommer 1886 ab. , daß auch Du im nächsten Winter hier in Zürich studiren sollest, wirst Du wohl ebenso wenig einverstanden sein, wie ich. Ich habe allerdings auf bezügliche Anspielungen keine directen Einwendungen gemacht, aber auch nie eingestimmt. Ein ZusammenwohnenWährend ihrer gemeinsamen Studienzeit in München im Wintersemester 1884/85 wohnten Armin und Frank Wedekind zusammen im Hinterhaus der Türkenstraße 30, 1. Stock. wäre einmal von vorne herein nicht ersprießlich und wenn das nicht ist, so ist es noch | viel unangenehmer bei so verschiedenen Neigungen, wie wir haben in derselben Stadt zu studiren. Uebrigens weiß ich ja, daß in diesem Punkte unsere Ansichten dieselben sind und brauche deshalb nicht viel Worte darüber zu machen. –

Wie es zu Hause geht wirst Du wohl beinahe besser wissen als ich, denn meine Correspondenz war eine sehr geringe, und selbst dagewesen bin ich auch nie. Desto mehr freue ich mich, dann mit Dir nach Hause zu kommen, um auch einige Wochen Ferien zu genießen. Anfangs September gehe ich dann zu Freund NiesenArmin Wedekinds Studienfreund Ernst Mützenberg war seit Frühjahr 1885 im Kanton Bern als Arzt zugelassen [vgl. Der Bund, Jg. 36, Nr. 105, 17.4.1885, S. (5)] und ließ sich in Spiez am Thuner See nieder, woher er auch stammte. Seinen Spitznamen (möglicherweise ein studentischer Biername) hatte er nach dem markanten Hausberg des Thuner Sees, dem 2362 Meter hohen Niesen., E. Mützenberg, um ihm erst zu assistiren und dann, während er Dienst hatArmin Wedekind vertrat Ernst Mützenberg während dessen Militärdienstverpflichtungen. ihn zu vertreten. Du kannst Dir denken daß ich mich auf | diese meine erste Praxis sehr freue, & wenn ich auch ein kleines Grauen vor der selbständigen & verantwortlichen Stellung nicht unterdrücken kann. Deshalb möchte ich auch, daß vorher nicht zu viel davon verlautet und bitte Dich darum um Stillschweigen. Es wird aber gewiß gut gehen, da mir Niesen versicherte, es sei gar nicht so schwer, wie man sich das vorstelle und andrerseits in schwierigen Fällen immer ein benachbarter Arzt zu Rathe gezogen werden kann. Ist es dann noch schönes Wetter, so giebt das einen wundervollen LandaufenthaltErnst Mützenbergs Praxis befand sich in Spiez am Thunersee, wo er in der Villa Marienberg eine Nervenheilanstalt „in reizendster Gegend des Berner Oberlandes“ [Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte, Jg. 15, Nr. 21, 1.11.1885, Beilage, S. 162] betrieb und Klinikarzt des Kurhauses Schonegg war [vgl. Der Bund, Jg. 36, Nr. 162, 14. Juni 1885, S. 4]. , wie ich ihn mir nicht schöner d/w/ünschen könnte. –

Gestern traf ich hier im Rekruten|kursIn der Schweiz galt für Männer eine Wehrpflicht vom 20. bis 44. Lebensjahr; den Rekrutenkurs hatten alle Diensttauglichen zu absolvieren [vgl. Handbuch des Oeffentlichen Rechts. Bd. 4. Das Staatsrecht der außerdeutschen Staaten. Erster Halbband. Zweite Abtheilung. Das Staatsrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft. Bearb. v. Alois v. Orelli. Freiburg im Breisgau 1885, S. 49]. ein HernSchreibversehen, statt: einen Herrn. Koch stud.wahrscheinlich Walo Koch aus Laufenburg, der vom Schuljahr 1881/82 bis zum Schuljahr 1883/84 parallel zu Wedekind das Gymnasium der Kantonsschule Aarau besuchte und ein Jahr nach ihm die Matura erlangt haben dürfte. Er studierte Medizin. aus Bern, der Dich grüßen läßt, indem er Dich von Aarau her kenne. Mit ihm sind eine Menge ZofingerMitglieder der in Zofingen (Aargau) gegründeten, nichtschlagenden Schweizer Studentenverbindung Zofingia (Schweizerischer Zofingerverein), die in zahlreichen Orten vertreten war und der Armin Wedekind am 18.5.1881 beigetreten war. aus Bern hier im Dienst, und ich habe in Folge dessen mein Quartier für den Nachtschoppen bei ihnen aufgeschlagen. Wer nie einen durstigen Menschen gesehen hat, der sollte dahin kommen und würde gewiß schnell begreifen lernen, wie Wein, Weib & Würfel das einzige sind, was einen abgehetzten Soldaten noch das Gemüth bewegen kann. –

Solltest Du Zeit haben mich einen längeren Brief zu schreiben, so würde das mich sehr freuen. Doch bin ich fast noch mehr auf eine mündliche Erzählung Deiner Erlebnisse | in diesem S.S. gespannt. Um schleunige Antwort wegen der Schuhe (es sind hohe Schnürschuhe) bin ich aber sehr gespannt. muß ich aber dringend bitten. Im Uebrigen sage ich auf fröhliches Wiedersehen und bleibe mit herzlichem Brudergruß Dein
Armin

Frank Wedekind schrieb am 14. August 1885 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 17.8.1885 aus Lenzburg:]


Deine beiden Briefedas hier erschlossene Korrespondenzstück und ein weiterer nicht überlieferter Brief [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind. München, 16.8.1885]. bestätigten mir die Kunde, die ich schon einige Tage vorher […] vernommen hatte.

Frank Wedekind schrieb am 16. August 1885 in München
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis und Zitat in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 17.8.1885 aus Lenzburg:]


Deine beiden Briefedas hier erschlossene Korrespondenzstück und ein weiterer nicht überlieferter Brief [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind. München, 14.8.1885]. […] Mama, die Deinen zweiten Brief an mich gelesen mußte lachen über den Zusatz: „das ist pure Wahrheit“ […]

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 17. August 1885 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Schloß Lenzburg, ’d. 17.VIII.85.


Mein lieber Bruder!

Deine beiden Briefenicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 14.8.1885 und 16.8.1885. bestätigten mir die Kunde, die ich schon einige Tage vorher von No Hägler u Schmidnicht identifiziert. vernommen hatte. Allerdings hielt ich nach ihren Berichten die SacheFrank Wedekind, der ursprünglich am 15. oder 16.8.1885 nach Lenzburg reisen wollte [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 25.7.1885], litt seit dem 4.8.1885 an einem Rotlauf am Unterschenkel und befand sich deswegen zur Behandlung im Krankenhaus links der Isar in München [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 12.8.1885]. schon für überstanden u war sehr enttäuscht, zu hören, daß Du noch tief im Bette steckst. Hoffentlich ist nun aber doch das aergste vorüber u Deine HeilungEine Heilung wurde Wedekind vom Arzt für den 21. oder 22.8.1885 in Aussicht gestellt [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 12.8.1885]. nahe. Wie sehr würde es mich freuen, wenn ich noch zugleich mit Dir hier in den FerienArmin Wedekind war in den Semesterferien von Zürich aus zu Besuch bei seinen Eltern in Schloss Lenzburg und hoffte auf einen Besuch seines Bruders aus München. zu sein könnte. Ich muß aber schon am 23der 23.8.1885. ungefähr nach Spiez, um noch | 8 Tage mit Niesen zusammenArmin Wedekind vertrat seinen ehemaligen Studienkollegen Ernst Mützenberg (Spitzname: Niesen), der seit dem Frühjahr 1885 als Arzt zugelassen war, in seiner Praxis in Spiez während dessen Militärdienstverpflichtungen und wurde von ihm eingearbeitet. sein zu können. Du mußt Dir aber ja keine Gewalt anthun u etwa deshalb früher kommen wollen als Du Dich wieder ganz wohl u für die Reise bei genügenden Kräften fühlst. Du Armer, der jetzt die schönste Sommerzeit im Bette vertrauern muß u wie langweilig das in München ist, weiß ich auch nochArmin Wedekind hatte vor seinem Wechsel nach Zürich ebenfalls in München studiert und dort mit seinem Bruder Frank zusammengewohnt. Offenbar musste auch er einen Krankenhausaufenthalt absolvieren. aus Erfahrung. Wenn Du nur über die Gefahr hinaus bist! Diese Ueberzeugung habe ich aus Deinen let beiden Briefen noch nicht gewinnen können. Bitte schreibe mir oder lasse mir bald schreiben, wie es geht. Wenn ich nur wüßte wie es einrichten das/dam/it | zu Hause die Andern nichts merken. Sind es schlimmere Nachrichten, wie ich nicht hoffe, so kannst Du ja von anderer, hier unkenntlicher Hand die Adresse schreiben lassen. Aber jedenfalls einen Bericht, denn ich bin hier, wo sonst Alle ziemlich ruhig denken d/u/nd sich wenigstens keine Sorgen machen über Dein Kranksein ziemlich aufgeregtals angehender Arzt wusste Armin Wedekind vermutlich um die lebensbedrohlichen Risiken einer Rotlaufinfektion. und jede Gewißheit ist mir lieber, als diese Unsicherheit. Also bitte melde etwas! –

Dein Brief hat in jedem Punkte vollen Glauben gefunden und wie gesagt sind Papa und Mama ganz außer aller Befürchtungen. – Bei Tante JahnZu der Apothekerwitwe Bertha Jahn pflegte Frank Wedekind seit Mitte August 1884 eine enge Beziehung und bezeichnete sie als seine ‚erotische Tante‘ [vgl. Kutscher 1, S. 106]. bin ich noch nicht gewesen, da ich erst | heute heimgekommen bin, werde aber Morgen früh Deine Bestelu Grüße bestellen. Mama, die Deinen zweiten Brief ge/an/ mich gelesen mußte lachen über den Zusatz: „das ist pure Wahrheit“, den Du sehr für nothwendig zu halten schienest. – Hier zu Hause fand ich Alles beim Alten, nur verklärt durch den Wiederschein des zu hoffenden guten Herbstes. Es scheint derselbe auf d/A/lle zusammen einen guten Einfluß zu haben indem er die Gemüther ruhig u zufrieden macht. – Ein liebes kleines Geschöpf ist die Tilly Kammerer die Cousine Tilly Kammerer aus New York, eine Tochter von Emilie Wedekinds Bruder Libertus Kammerer [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 80].aus New York. Sie hat alle Anlagen einmal ein wunderschönes | Mädchen zu werden, ein rundes Köpfchen, dunkle etwas schwermüthige Augen, einen kleinen aber vollen Mund u eine Hand, die sie einer Venus geraubt zu haben scheint. Mama sagt, gerade so sei einmal die sel. Frau Kreuzervermutlich Emilie Wedekinds Stiefmutter Hanne Kreuzer, die dritte Ehefrau von Joseph Kreuzer. gewesen. Mit ihrem englischen Kauderwelsch erregt sie viel Heiterkeit u wird von Allen sehr geliebt. Dado Doda, der ihr auch Anfangs den Hof machte u sie nach seiner Art des Tages 20 Mal umarmte u verküßte hat ist jetzt, seit Mama ihm darüber den Text gelesen in die das Gegentheil verfallen u verfolgt das arme Wesen mit seiner Unart u Unhöflich|keit. Er ist muß überhaupt ein schauerlicher Don Juan geworden sein. Nicht nur, daß er dernSchreibversehen, statt: der. Clarlivermutlich Clara Marti, eine Freundin von Frank Wedekinds Schwester Erika. auf immer den Rücken gekehrt u am Jugendfest am 10.7.1885; das Lenzburger Jugendfest findet jedes Jahr am zweiten Freitag im Juli statt.nicht einen Tanz mit ihr getanzt hat, er behandelt die Tilly in beschriebener Weise und macht zu gleicher Zeit dem Marieli Hünerwadel auf BruneggDas Schloss Brunegg war 1815 von Friedrich Hünerwadel aus Lenzburg erworben worden, Urgroßvater der erwähnten Marie Hünerwadel. den Hof. Dort wird er aber als das Muster für den Walterwahrscheinlich der 14jährige Bruder von Marie Hünerwadel. von Müttern jeden Alters verhätschelt u verzogen. Heute ist er mit den KadettenAls Kadetten wurden die 10-15jährigen männlichen Schüler in der Schweiz neben dem Schulunterricht einer vormilitärischen Ausbildung unterzogen. Das Lenzburger Kadettencorps wurde 1793 gegründet und bestand seit 1805 ununterbrochen. nach Baden, wo ein großes KadettenfestDas Kadettenfest des Kantons Aargau fand am 17. und 18.8.1885 in Baden statt, „mit folgendem Programm: Erster Tag: Fakultatives Preisschießen; Uebung in Bataillonsschule; Promenade militaire; gemeinschaftliche Abendunterhaltung; großer Zapfenstreich. Am zweiten Tage nach einem patriotischen Feierakte das Feldmanöver; nach demselben Feldverpflegung der Truppen auf dem Festplatze; Preisvertheilung an die besten Schützen; Schluß des Festes. Für unentgeltliche Einquartierung und Verpflegung des Kadettenkorps wird gesorgt.“ [Allgemeine Schweizerische Militärzeitung, Jg. 31, Nr. 28, 11.7.1885, S. 231] von 1400 Theilnehmern stattfindet. – S

Somit habe ich Dir so ziemlich die ganze kleine Chronik von | zu Hause mitgetheilt, wie ich sie selber bis jetzt vernommen. Wohl möglich, daß ein nächster Brief noch mehr davon bringt.

Sei mir tausendmal gegrüßt und bessere Dich bald! Hoffentlich hast Du etwas bessere Gesellschaft als ich damals. Im übrigen sage ich, auf recht baldiges u recht freudiges Wiedersehen! Dein treuer Bruder
Armin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 27. August 1885 in Lenzburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte.
Carte postale. – Cartolina postale.


Herrn stud. iur. Fr. Wedekind.
München.
Kgl. Krankenhaus.Wedekind lag mit Rotlauf im städtischen Krankenhaus links der Isar (Krankenhausstraße 1) und wurde dort von Prof. Dr. Johann Nepomuk Ritter von Nußbaum und weiteren Ärzten behandelt [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 12.8.1885, 12. und 15.9.1885]. |


Lenzb. d. 27.VIII.85.


Lieber Bruder!

Dein Briefvgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 26.8.1885., den wir heute erhielten hat uns zwar die aergste Besorgniß genommen, doch sind wir immer noch nicht beruhigt. Ich speziell möchte Dich deshalb bitten, an meine AdresseArmin Wedekind vertrat als Arzt seinen Studienfreund Ernst Mützenberg, der in Spiez am Thuner See seine Praxis hatte und dort Klinikarzt des Kurhauses Schonegg war [vgl. Der Bund, Jg. 36, Nr. 162, 14. Juni 1885, S. 4]. SchoneggDas Hotel Schonegg in Spiez wurde von Friedrich Mützenberg, dem Bruder von Armin Wedekinds Studienfreund Ernst Mützenberg, geführt. 1893 übernahm August Mützenberg mit seinem Bruder Ernst das Hotel., Spiez, Ct. Bern.[“] noch einmal zu schreiben, wie es Dir nun geht. Es thut mir sehr leid daß wir uns nun doch nicht mehr gesehen haben. Doch hoffe ich noch auf ein paar Tage gemeinschaftl. Ferien im Herbst. Mit herzlichem Brudergruß Dein treuer
Armin.

Frank Wedekind schrieb am 29. Dezember 1885 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 1.2.1886 aus Fluntern:]


Zuvor meinen besten Dank für Deine herzlichen Neujahrswünsche od. vielmehr Geburtstagsw. (Druckfehler.)

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 1. Februar 1886 in Fluntern folgenden Brief
an Frank Wedekind

Fluntern, d. 1.II.86.
Pestalozzistraße 3.


Mein lieber Franklin!

Zuvor meinen besten Dank für Deine herzlichen Neujahrswünschenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 29.12.1885. od. vielmehr Geburtstagsw.Armin Wedekinds 23. Geburtstag war der 29.1.1886; der genannte „Druckfehler“ bezog sich vermutlich auf das Datum: 29.1.1886 statt 29.12.1885. (Druckfehler.) Dann aber noch mehr für Deine famose Idee, ohne welche ich das Ereignißder 70. Geburtstag des Vaters Friedrich Wilhelm Wedekind am 21.2.1886. fast unbeachtet an mich hätte herankommen lassen. Deinen Plan billige ich vollständig und werde mich morgen auf den Weg machen, hier bei Appenzellerdie Kunst- und Schreibmaterialienhandlung von Heinrich Appenzeller in Zürich (Rathausplatz 26) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1886, Teil I, S. 19]. Wedekinds Vater erwähnte in seinem Silvesterbrief sein Interesse für die dort im Schaufenster präsentierten Reproduktionen italienischer Meister [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.12.1885]. od. wo es sonst möglich ist auf ein schö|nes Kunstwerk zu fahnden. Doch will ich auch hierin Deinem Geschmack völlig freies Spiel lassen u gerne einem Vorschlag, den Du aus München machst beistimmen. Die Preisliste werde ich mit allfälligem Vorschlag Dir zuschicken und zum übrigen sage ich aus vollem Herzen Glück auf! Möge Dein WerkFrank Wedekind schrieb im Namen der drei Brüder Armin, Franklin und William für seinen Vater zum Geburtstag ein langes Gedicht: „UNSERM LIEBEN VATER DR. F. W. WEDEKIND zum siebzigsten Geburtstage DEN 21. FEBR. 1886“ [Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 20.2.1886; vgl. KSA 1/I, S. 205-235; KSA 1/II, S. 2109-2122]. würdig sein, unsern lieben Papa, den ich auch leider erst in letzter Zeit verstehen und daher richtig schätzen gelernt habe an seinem A „Siebzigsten“ zu begrüßen!

Um das Leben, das Du in München führst beneide ich Dich | sehr. Es ist wahrh/l/ich schön, wenn man in einem Felde thätig sein kann, zu dessen Bebauung man Lust und Liebe hat, vor allem aber dann, wenn es noch einem Gebiet angehört, daß/s/ wie die Poesie dem Geiste des Schönen unterworfen ist. Wie verteufelt man sich im ungefähr umgekehrten Fall befindet, davon kann ich Dir selber ein das beste Exempel sein. Und doch ist mein größter Wunsch, daß ich mich wirklich ganz in diesem Fall befände u nicht ein noch verteufelterer Leichtsinn mir alle a/A/ugenblick das Gespenst des Examens mit seiner Ruthe aus den Augen bannte. |

Doch genug davon. – Weihnacht u Neujahr war ich zu Hause und lebte die seit einigen Jahren entbehrten Feiertagsfreuden wieder einmal mit. Papa hatte große Freude über Dein BildFrank Wedekind hatte seinem Vater eine Reproduktion des Gemäldes der Madonna della sedia (1513/14) des italienischen Renaissancemalers Raffael da Urbino zu Weihnachten geschenkt [vgl. Frank Wedekind an Emilie und Friedrich Wilhelm Wedekind, 21.12.1885]. Das Bild wurde häufig reproduziert; es zeigt Maria, auf einem Sessel sitzend, mit dem Christuskind auf dem Schoß, neben ihr der Johannesknabe mit dem Kreuzstab.; ob Mama durch den zu Grunde liegenden Gedanken oder die Sache selbst mehr erfreut war wird sie Dir wohl selber mitgetheilt haben.

Einen ganz fröhlichen Abend verlebten wir in der Gesellschaft der Lisa u Victor JahnTochter und Sohn der ‚erotischen Tante‘ Bertha Jahn.’s. Nur ist mir letztere geistig schon beinahe zu cordialherzlich. geworden, indem ich eines Abends etwas bekneipt nach Jahns gekommen und dort von Deinem Bilde u dessen gründlicher | Auslegung alz/l/zu stark angeregt sie beim Abschied mi/sta/tt mit einfachen Händedruck mit einem zarten Taillendruck entlassen wollte. Sie hat’s aber nicht übel genommen. –

Hier spielt jetzt die WalküreRichard Wagners Oper „Die Walküre“ wurde erstmals am 27.1.1886 im Zürcher Actientheater (Direktion: Paul Schrötter) aufgeführt; bis zum 15.4.1886 folgten 14 weitere Aufführungen „zumeist bei ausverkauftem oder bestbesetztem Hause“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 68, Nr. 24, 24.1.1888, 2. Blatt, S. 2]. eine große Rolle. Fleiner behauptetIn ihrer Kolumne „Theater“ berichtete die „Neue Zürcher Zeitung“ unter dem Kürzel „F.“: „Die Walküre ist gestern Abend vor beinahe ausverkauftem Hause siegreich über unsere Bühne geschritten und hat einen ungeahnten, durchschlagenden Erfolg erzielt. Die ganze Ausstattung und Inszenierung, die sich genau an das Bayreuther-Muster anschloß, war eine so überaus glänzende, daß wir dreist behaupten können, auf keiner der großen deutschen Bühnen je eine besser inszenierte Walküre-Vorstellung gesehen zu haben. Unsere Erwartungen sind weit übertroffen worden.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 66, Nr. 27, 28.1.1886, S. 2] in der Z.Z. „dreist“, daß er sie „auf keiner der G/g/roßen deutschen Bühnen in besserer Ausführung gesehen habe.“ Möglich! – Vielleicht gelingt es mir, Mama, die mir ein Geburtstagsgeschenkzu Armin Wedekinds 23. Geburtstag am 29.1.1886. schuldig geblieben ist zu einem schnellen Besuche zu veranlassen.

Was hier sonst passiert, wird Dich wenig interessiren. Grüß mir meine Münchner Bekannte, vor | allen WeltiDer Theater-, Musik- und Literaturkritiker Dr. Heinrich Welti war ein Freund Armin Wedekinds aus der Aarauer Schulzeit, der Frank Wedekind in das kulturelle Angebot Münchens einführte.. Sein BruderVon Heinrich Weltis fünf Geschwistern studierte sein Bruder Emil Welti aus München kommend seit dem Wintersemester 1885/86 an der Universität Zürich Medizin. ist jetzt hier und klagt, daß er gar nichts von ihm erfahre. LaueFrank Wedekind hatte seinem Bruder offenbar von einer Erkrankung seines ebenfalls in München studierenden Schulfreundes Walter Laué berichtet, die der Betroffene schon einen Monat zuvor erwähnte [vgl. Walter Laué an Frank Wedekind, 5.1.1886]. bedaure ich sehr, doch kann sich in solchem Falle Jeder gratuliren, wenn er mit 4 Wochen Kranksein davonkommt. Das muß aber ein gemüthliches Leben sein, das Ihr zusammen führtWalter Laué wohnte während seiner dreisemestrigen Studienzeit in München (1884/85 bis 1885/86) in der Amalienstr. 57 (1. Stock). Von der Schellingstr. 27 (3. Stock), wo Wedekind sein Zimmer hatte, waren es 170 Meter Fußweg [vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals der Lehrer, Beamten und Studierenden an der königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. Winter-Semester 1885/86. München 1885, S. 60, 84].. Schicke mir nur noch mehr solche Proben Eurer Musevermutlich gemeinsam verfasste Gedichte. Walter Laué und Frank Wedekind hatten schon an der Aarauer Kantonsschule 1880/81 Gedichte ausgetauscht und einen Dichterbund gegründet [vgl. Wedekind an Walter Laué, 11. bis 28.2.1881]., kann ich auch durch Kritik nichts nützen, so „habe ich doch meine Freude daran.“Zitat einer Replik von Mephistopheles aus Goethes „Faust. Erster Theil“: „Hab‘ ich doch meine Freude dran!“ [Johann Wolfgang Goethe: Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Bd. 14. Weimar 1887, S. 178]. Ebenso wie an Tante Jahn ihrer AngelikaVon Wedekind gegenüber seiner ‚erotischen Tante‘ Bertha Jahn erfundene Münchner Geliebte, mit der er das bestehende Verhältnis mithilfe dieses „fingierten Distanzierungs- und Täuschungsversuchs“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 120] aus der Ferne zu beenden suchte. Er widmete Angelika sogar Gedichte [vgl. KSA 1/I, S. 203f. und 1011f.]. Im Dezember 1885 ließ er sie sterben, nicht ohne noch angeblich an ihren offenen Sarg gereist zu sein [vgl. Wedekind an Bertha Jahn, 2. und 30.12.1885]., die sammt ihrem KindeLisa Jahn, Bertha Jahns Tochter, war vor kurzem schwer krank gewesen [vgl. Wedekind an Bertha Jahn, 2. und 30.12.1885]. immer noch der Gegenstand ihres zartesten Mitgefühls ist. Gegen Walter Oschwald hätte ich mich fast verplaudert. Er lachte | auch über die Geschichte und somit hielt ich ihn für einen Wissenden. Beinahe zu spät merkte ich, daß er selber auch im Banne der Geschichte sei. –

Erlaub mir den Schluß! Weß Machte ich auch Gedichte, so würde ich den lehrenSchreibversehen, statt: leeren. Raum noch füllen können, so muß ich’s dabei bewenden lassen. Zu den ZähnenWedekind war wegen kariöser Zähne schon früh gezwungen, ein Gebiss zu tragen. Zum Erhalt der verbliebenen Zähne bekam er ausführliche Ratschläge von seinem Vater [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.12.1885]. gratulire ich noch, nur möchte ich Dich dringend warnen, sie jeden Abend herauszuthun, weil sie meistens nicht so leicht rutschen, wie in diesem Falle.

Schreib mal bald wieder was, wenn’s auch nur ein Paar Zeilen sind. Bis dahin u auch weiter’s lebwohl u sei herzlich gegrüßt von Deinem
Armin.

Frank Wedekind schrieb am 11. Februar 1886 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 12.2.1886 aus Fluntern:]


Vielen Dank für Deinen Brief sammt Inlage.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 12. Februar 1886 in Fluntern folgenden Brief
an Frank Wedekind

Fluntern, d. 12.II.86.


Mein lieber Franklin!

Vielen Dank für Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 11.2.1886. sammt Inlagedas unten genannte „Bild“ und vermutlich die im letzten Briefe erbetenen weiteren Proben der gemeinschaftlichen „Muse“ Frank Wedekinds und Walter Laués. . Es war eine sehr angenehme Ueberraschung, die Du mir da bereitet hast und ich sah mich wieder in die glücklichen Zeiten versetzt, an die ich, seit ich sie genossen so oft sehnsüchtig zurückgedacht. –

Was die Büstedas Geschenk zu Friedrich Wilhelm Wedekinds 70. Geburtstag am Sonntag, den 21.2.1886. Es handelte sich vermutlich um einen der weitverbreiteten Abgüsse der Büste des Hermes von Olympia (um 340 v. Chr., Praxiteles zugeschrieben). betrifft, so habe ich mich für den Hermes entschieden und ihn bestellt. Er kommt von Berlin und es ist deshalb noch eine fatale Un|sicherheit, ob er im rechten Moment da ist. Man kann sich auf Niemand verlassen; was der Eine in dem Geschäftdie Kunst- und Schreibmaterialienhandlung von Heinrich Appenzeller in Zürich (Rathausplatz 26). des Bestimmtesten versichert, davon weiß der andere gar nichts. Aber ich will Dich nicht in Deinem Opusdas im Entstehen begriffene Geburtstagsgedicht „UNSERM LIEBEN VATER DR. F. W. WEDEKIND zum siebzigsten Geburtstage DEN 21. FEBR. 1886“ [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 20.2.1886; vgl. KSA 1/I, S. 205-235; KSA 1/II, S. 2109-2122], das Frank Wedekind verfasste und mit den Worten unterschrieb: „seine Söhne: A. Wedekind./B. Franklin/William. L.“ [KSA 1/I, S. 205] weiter durch ängstliche Gedanken stören, hoffe ich doch des Bestimmtesten, daß Appenzeller sein Versprechen hält, die Büste bis zum 18. hier zu haben. – Auch ich hatte schon daran gedacht Papa Gedicht u Büste selber zu überreichen u da der Gedanke Deine Zustimmung hat, so werde ich | dann MorgenSamstag, den 13.2.1886. 8 Tage heim reisen, die Kiste als Gepäck mitnehmen und dann für eine schöne Aufstellung u DrapirungDekoration durch kunstvoll in Falten gelegten Stoff. sorgen, endlich Sonntag Morgen Papa Dein Gedicht vortragen u die Büste überreichen. Eine Büste habe ich auf jeden Fall, da mir App. eine andere für den Hermes bis dieser ankommt zur Verfügung stellen würde. Immerhin hoffe ich, davon nicht Gebrauch machen zu müssen.

Letzten Montagden 8.2.1886. Eine Aufführung von Richard Wagners Oper „Die Walküre“ fand im Zürcher Actientheater (Direktion: Paul Schrötter) erstmals am 27.1.1886 statt; bis zum 15.4.1886 folgten 14 weitere Aufführungen „zumeist bei ausverkauftem oder bestbesetztem Hause“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 68, Nr. 24, 2. Blatt, 24.1.1888, S. 2]. war ich mit Mama hier in der – Walküre. Natürlich war die Vorstellung gegen MünchenFrank Wedekind hatte am 11.3.1885 eine Aufführung der „Walküre“ am Königlichen Hoftheater in München besucht [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 12.3.1885]. einfach in allen Stücken unzulänglich. | Dennoch war es eine Aufführung, die dem Zürcher Theater alle Ehre macht. Mama war vom Genre nicht befriedigt, immerhin aber recht erfreut, von der Sache einen Begriff bekommen zu haben.

Im Uebrigen ist nichts zu melden. Dem Eissport huldige ich jetzt ein Wenig u setze dabei Bekanntschaften aus dem Klebsschen Gesellschaftsabendvermutlich bei Edwin Klebs, Professor für Pathologie an der Universität Zürich (Plattenstraße 14) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1886, Teil I, S. 163]. fort. Eine der angenehmsten davon ist die von Frl. Kinkelmöglicherweise eine Tochter des Altphilologen und Custos der Kupferstichsammlung Prof. Dr. Gottfried Kinkel (Tonhallestraße 8) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1886, Teil I, S. 162]., einer Dame mit antik schönen Zügen u viel Geist. Leider fehlt mir die Zeit, mich solchen Genüssen mehr zu widmen.

Nochmals viel Glück zum Werk! Vielen Dank für das Bildvermutlich die Fotografie einer hier nicht ermittelten gemeinsamen Bekannten; zugleich die oben genannte Beilage., dessen Original Du vielleicht einen frdl. Gruß ausrichtest, ebenso an dero Familie.

Mit vielen herzlichen Grüßen an Dich selbst

Dein tr. Armin.


[auf Seite 1 um 90 Grad gedreht am linken Rand:]

Ich möchte Dich bitten, das Gedicht selber zu schreiben. Wenn ich es einigemal gelesen werde ich es gut vortragen können. Ich habe beinahe keine Zeit dazu.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 25. Februar 1886 in Fluntern folgenden Brief
an Frank Wedekind

Fluntern, d. 25.II.86.


Lieber Bruder!

Warum ich Dir erst heute Bericht gebe, Bericht, den Du gewiß lange sehnlich erwartet hast mußt Du mich nicht fragen; meine Entschuldigung bestände höchstens darin, daß ich erst eine günstige Stimmung erwarten wollte, nachdem der erste FestmomentFriedrich Wilhelm Wedekinds 70. Geburtstag am 21.2.1886. verrauscht war, um die schönen Erlebnisse würdig zu schildern. Und doch ist so viel gar nicht zu erzählen. |

Samstag Abendder 20.2.1886. hatte ich mich sammt BüsteArmin und Frank Wedekind schenkten ihrem Vater gemeinsam eine Hermesbüste, vermutlich einer der weitverbreiteten Abgüsse der Büste des Hermes von Olympia (um 340 v. Chr., Praxiteles zugeschrieben). ohne, daß Papa etwas merkte zu Hause eingeschlichen u alle Hände arbeiteten fleißig daran, die von ihren Hüllen befreite, in reinstem Weiß glänzende Gestalt würdig aufzustellen. So wurden auch bald einige rothe u grüne Gardinen herbeigeholt, die die DrapirungDekoration durch kunstvoll in Falten gelegten Stoff. ausmachen sollten. Du kennst den kleinen Schrank, der zwischen Ofen u Fenster an der Wand steht. Das war der richtige Ort, auf den sogleich beim Eintreten Papas Augen auf das Bild | fallen mußten. Es wurde also zuerst durch die rothen Vorhänge die Hinterwand von oben bis unten in künstlerischem Faltenwurf bedeckt. Auf das Schränkchen kam ein umgekehrtes Butterfaß, daß/s/ mit dunkelgrünem Tuch drapirt ein hübsches Postament gab. Auf dieses wurde die Büste gestellt. Auf beide Seiten des Postaments stellte man Palmen; die Blumentöpfe u die Kommode selbst waren schnell mit dem gleichen grünen Ueberzug malerisch bedeckt. Es sah wirklich prächtig aus. Die Büste glänzte auf dem | dunklen Hintergrunde hell sich abhebend u doch war alles nicht grell sondern von angenehmem gedämpftem Licht übergossen. So fand es der Morgen. Dein OpusFrank Wedekinds Geburtstagsgedicht für seinen Vater: „UNSERM LIEBEN VATER DR. F. W. WEDEKIND zum siebzigsten Geburtstage DEN 21. FEBR. 1886“ [Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 20.2.1886; vgl. KSA 1/I, S. 205-235; KSA 1/II, S. 2109-2122], das er am 20.12.1886 nach Lenzburg sandte (s. u.) [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 20.2.1886]. hatten wir vergeblich überall und zu allen Zeiten erfragt, erst der nächste Nachmittagam 21.2.1886. sollte es uns bringen.

Der Morgen kam. Wir gratulirten Papa mit allen Freuden, Liebe glänzte auf allen Gesichtern. Der Mittag kam. Auch das richtige Festmahl fehlte nicht. Endlich um 5 Uhr hatte ich das langersehnte Werk in Händen. Papa ließen wir natürlich nichts merken. |

Nachdem schon die Abräumung der Büste befohlen, zum Schluß des Abends aber noch ein Punsch bestellt war, riefen wir Papa nach dem Thee zu der nach Deiner Anordnung geschmückten Büste. Was nun folgte war zu schön, zu ergreifend als daß ich es Dir mit vielen Worten beschreiben könnte. Papa saß an seinem gewöhnlichen Platz, ich ihm gegenüber und die Uebrigen um den Tisch gruppirt. Trotzdem ich d. Gedicht einmal durchgelesen hatte brauchte ich Mühe, die ersten, schönsten Theile desselben ohne Anstoß zu lesen. Saß mir doch Papa tief ergriffen gegenüber, u hörte ich Mama neben mir in | einer Rührung, die mir beinah den Athem nahm. Als das die Sonett Ode kam, nahm ich den Kranz herunter u Mati überreichte ihn Papa mit vieler all ihrer natürlichen Anmuth. Kurz der ganze Abend wurde eine Feier, wie sie sowohl Papa, als wir nicht schöner, erhabener, herzlicher uns hätten wünschen können. –

Wie tief ergriffen Papa von Deinem Gedichte war wirst Du aus seinem nächsten Briefeder Dankesbrief Friedrich Wilhelm Wedekinds ist nicht überliefert, aber Frank Wedekinds Antwort darauf [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 26.3.1886]. wohl bald selber merken. Mama war ganz aufgelöst u die Kleinendie beiden jüngsten Geschwister Donald und Emilie Wedekind. in einer Stimmung, die ich nicht näher beschreiben kann. | Und ich selbst danke Dir viel tausend Mal für das wunderschöne Werk, das mehr werth ist, als der schönste Denkstein, das uns ermöglichte auf so herzerhebende Weise den 70. Geburtstag unseres lieben Vaters zu feiern. Wärst Du hier, so müßtest Du den besten u herzlichsten Kuß haben, den Du je von mir bekommen hast. So kann ich nichts thun, als ihn bis zum nächsten Wiedersehen aufschieben, an dem Du ihn dann mit Zinsen erhalten mußt. – |

Laß mich hier schließen, weil ich sonst doch nichts mehr Rechtes zu berichten habe. Die FerienDas Sommersemester 1886 an der Zürcher Universität begann am 27.4.1886. über bleibe ich hier, Dein nächster Brief läßt hoffentlich nicht länger auf sich warten. –

Die/er/ Preis der Büste, den Papa übrigens gerne gewußt hätte, ich ihm aber nicht sagte beträgt 32 frs., von denen Du mir also die Hälfte gelegentlich, wenn es Dir paßt senden kannst. –

Mit vielen tausend Grüßen bleibe ich Dein treuer Bruder
Armin

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 15. März 1886 in Fluntern folgenden Brief
an Frank Wedekind

Fluntern, d. 15.III.86.


Lieber Bruder!

Du brauchst mir Deinen Antheil von der BüsteArmin und Frank Wedekind hatten ihrem Vater zum 70. Geburtstag eine Hermesbüste für 32 Francs geschenkt [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 12.2.1886]. nicht zu schicken, da Papa trotz des heftigsten Widerstrebens meinerseits mir doch die ganze Summe wieder zurückgegeben hat. Das war eigentlich a/A/lles, was ich Dir schreiben mußte. Immerhin habe ich letzthin auch ein sehr Ane/g/enehmes Erlebnis gehabt dessen Erzählung die übrigen | Seiten ausfüllen mag, denn sonst wäre aus meinem ziemlich einförmigen Leben wirklich nichts zu berichten. –

Letzten Donnerstagder 11.3.1886. nämlich war ich von einem Freundenicht ermittelt. eingeführt bei einem Kränzchen in Fluntern. Es war ein sog. Familienabend; die Damen, worunter einige recht hübsch waren costümirt, die Herren schwarz. Ich war in dem angenehmen Element wieder einmal recht aufgelebt u tummelte mich wie ein Fisch im Wasser. An einem Cotillon„ein Gesellschaftstanz, der ursprünglich aus Frankreich stammt, beginnt mit einer großen Ronde, der zunächst eine große Quadrillentour (chaînes en quatre, croisée) zu folgen pflegt. Andre beliebige Touren schließen sich an; zu Ende einer jeden wird von sämtlichen Paaren einmal herumgewalzt.“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. Bd. 11. Leipzig 1907, S. 541] Zu einem Cotillon gehörten meist auch Spieleinlagen mit entsprechenden Requisiten. hatten ein Herr u ich um eine DameEmma Elisabeth Utzinger aus Bülach, die spätere Ehefrau von Georg Gladbach (siehe unten). zu würfeln mit einem Fußgroßen Würfel. | Die Dame war begehrenswerth. Der Herr warf 3, ich auch 3. Der Herr warf noch einmal – sechs; ich glaubte aber zu bemerken, daß er einen Kunstgriff gebraucht habe u machte es ebenso, warf auch 6. Nun wurde er böse, ich rechtfertigte mich und wir wären wohl zu keinem Resultat gekommen oder zu einem schlagenden, wenn nicht der maitre de plaisirmaître de plaisir (frz.), der Leiter des Unterhaltungsprogramms einer Veranstaltung; Identität nicht ermittelt. die Sache arrangirt hätte zu beider Zufriedenheit. Ich hatte nach einigen Tänzen das recontre(frz.) Zusammentreffen, Begegnung. beinahe vergessen, als der Herr wieder auf mich zukam mit der Frage, ob ich nicht h/s/o u so Wedekind hieße. „Jawohl“ ‒ | „Dann sind wir ja Vettern! ‒ Sind sie aus Darmstadt?“ Das konnte ich nun freilich nicht bejahen. Es gab eine Erklärung, kurz, die Verwandtschaft war etwas sehr weit aber wurde festgehalten. Sein Onkel sei der Dr. iur. v. WedekindDr. Georg Freiherr von Wedekind war auch der Onkel von Wedekinds Cousine Minna von Greyerz, der Bruder ihrer Mutter Sophie Wilhelmine Margarethe von Wedekind. in Darmstadt u er selber der Sohneiner der vier Söhne des Architekten und Professors am Polytechnikum Ernst Gladbach, vermutlich der Kaufmann Georg Gladbach, der auch nach seiner Heirat am 3.1.1890 mit seiner Familie im Haus des Vaters wohnte (Zürichbergstraße 139) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1890, Teil I, S. 111]. des Prof. Gladbach hier, BruderPhilipp Gladbach war zwischen 1869 und 1898 Lehrer für Geometrie, Bauzeichnen und Mathematik an der Kantonsschule Aarau und ein Halbbruder Georg Gladbachs, Sohn aus Ernst Gladbachs erster Ehe mit Henriette Aull aus Mainz. Armin und Frank Wedekind dürften ihn aus ihrer Schulzeit als Lehrer gekannt haben. von Philipp Gl. in Aarau. An diese Erklärung schloß sich einSchreibversehen, statt: eine. Einladung in sein väterliches HausErnst Gladbach wohnte in der Zürichbergstraße 139 im Zürcher Vorort Fluntern [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1886, Teil I, S. 105]., der ich dann gestern gefolgt bin.

Und was für prächtige Leute fand ich da. Die Mutter, eine wunderschöne alte Dame mit ganz weißem Haar, aber großen leb|haften Augen. Sie ist aus der GegendGeorg Gladbachs Mutter Auguste Gladbach (geb. Buck) stammte aus Wilpoldsried, einer Ortschaft 10 Kilometer östlich vom Kempten. Sie war seit 1840 die zweite Ehefrau von Ernst Gladbach. von Kempten gebürtig und spricht auch das/ie/ unverfälschte bayrische Mundart. Dann aber der alte Herr; groß, mit weißem Bart, eine lange Pfeife im Mund, den Schlafrock an, aber in seinem Wesen kein anderer als der Philipp von Aarau. Er selber ist schon ein SiebzigerErnst Gladbach war 73 Jahre alt., wenn er aber von seinem Vater u Großvater erzählt dann reicht das so ungefähr in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück. Sein Vater zB. war mit Danton u Robespierre SchmollisStudentensprache: nach gemeinsamem Trinken mit jemandem per du sein. u. s. w. Du kannst Dir denken, was das für herrliche Stunden waren, die ich | da verlebte. Dabei fehlte auch Jugend u Anmuth nicht, denn die gleiche Dame, vor deren Augen das Schicksal mich in diese Gesellschaft hineingewürfelt hatte war anwesend u wie ich jetzt merken konnte so eine Art Braut vom jungen Gladbach. Denn der Alte verschwatzte sich mal ganz gehörig, indem er eine Geschichte anfing mit den Worten;: mein Onkelder Architekt und Hofbaudirektor des Großherzogtums Hessen-Darmstadt Georg Moller. besuchte ein Frl. X., auch so eine Geliebte da u da ...

Der alte Prof. verließ uns von Zeit zu Zeit indem er sagte, daß die Aufregung ihn ganz todt mache. Ich besah | dann seinSchreibversehen, statt: seine. Skizzen, wunderbar schöne, große Aquarelle auf denen man sofort den Architecten erkennt, aber ebensosehr den schaffenden Künstler bewundern muß, so hübsch u harmonisch ist die exacte Zeichnung mit künstlerischer Behandlung in Ton u Farbe vereinigt. Namentlich ein herrliches, großes Bild von Palermo hat mich ganz begeistert.

Als die Dämmerung herankam holten die beiden Damen ihre Zithern. Alle hatten sich in dem kleinen Eßzimmer, wo wir 6 Personen, um den Tisch gerade Platz hatten versammelt. So hörten | wir auf die bescheidenen u doch so tief gemüthvollen wehmütigen Weisen, bis auf einmal die Fastnachtsfeuerdie am sogenannten Funkensonntag, dem Sonntag nach Aschermittwoch, in Zürich und Umgebung traditionellerweise entzündeten großen Holzstapel. zu den Fenstern herein leuchteten und ich merkte, daß es wohl an der Zeit wäre heim zu kehren. Es war beinahe eine wehmütige Stimmung über uns gekommen. Hatte ich doch einen so tiefen Blick in das Familienleben gethan, daß es mir vorkam als hätte ich einen ganzen Roman in wenigen Stunden selbst durchlebt. Wie sehr ich meinem neuen Freunde für diesen edle Rache dankte, kannst Du Dir selber ausmalen. Daß es nicht das letzte Mal gewesen ist, daß ich das hübsche Haus am Zürichberg aufgesucht ist auch sicher. Nun leb aber wohl u schreibe recht bald auch von Dir etwas.


[um 90 Grad gedreht über den Brieftext geschrieben:]


Mit herzlichem Gruß Dein
treuer Frater(lat.) Bruder.
Armin.

Frank Wedekind schrieb am 1. März 1887 in Zürich folgende Widmung
an Armin (Hami) Wedekind

Fr. Wedekind s. l. Bruder
Armin

III.87.


Die neuen Menschen.


Ein Schauspiel
von
Hermann Bahr.


Zürich 1887.

Verlags-Magazin
(J. Schabelitz.)

Frank Wedekind schrieb am 6. September 1888 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 7.9.1888 aus Spiez:]


Ich weiß nicht ob diese meine Antwort auf Deinen eben angelangten Brief Dich heute noch erreichen wird.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 7. September 1888 in Spiez folgenden Brief
an Frank Wedekind

Spiez, den 7.IX.88.


Lieber Bruder!

Ich weiß nicht ob diese meine Antwort auf Deinen eben angelangten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 6.9.1888. Dich heute noch erreichen wird. Trotzdem lege ich die gewünschte Empfehlungnicht überliefert. Dr. Heinrich Stickelberger war seit 1880 Deutschlehrer am Gymnasium in Burgdorf. Dorthin wechselte Donald Wedekind zum Winterhalbjahr 1888, nachdem er zunächst die 1. Klasse der Kantonsschule in Aarau besucht und eine in Livorno begonnene kaufmännische Lehre abgebrochen hatte [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 145]. für Dr. Stickelberg bei. Ob derselbe Vater geworden weiß ich nicht, er verheirathete sich vor | 4/5/ – 6 Jahren mit einer Baslerin. Seither habe ich über ihn sehr wenig mehr gehört u bin deshalb nicht einmal sicher ob er noch in Burgdorf ist oder nicht. Andere Professoren in Burgdorf kenne ich gar nicht. Dagegen den Besitzer einer ApothekeDie Presse berichtete: „Dem Hrn. Karl Kasser von Niederbipp, welcher ein eidgenössisches Diplom vorgewiesen und die Apotheke Lüdi in Burgdorf übernimmt, wird die Bewilligung zur Ausübung des Apothekerberufs erteilt.“ [Der Bund, Jg. 38, Nr. 181, 3.7.1887, S. 2] Als Apotheker in Burgdorf ist Kasser seit 1888 verzeichnet [vgl. Bernischer Staats-Kalender 1888/89, S. 163]. Vertreten wurde er vermutlich regelmäßig während seiner mehrwöchigen Ausbildungsabschnitte beim Militär, die er 1890 als einer der „Lieutenants (Apotheker)“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 70, Nr. 210, 29.7.1890, 2. Blatt, S. (2)] an der Offiziersbildungsschule II in Basel abschloss. Kasser der vor 4/3/ Jahren in Bern studirte u den Sohn aus einem Drogueriegeschäft Ly Lüdi, der ebenfalls | Apotheker jetzt den erstgenannten im Geschäfte vertritt. Vielleicht kannst Du von ihnen etwas Brauchbares erfahren. Ich lege eine Empfehlung an Lüdy bei, weil ich glaube, daß Kasser noch nicht in Burgdorf ist. –

Für Miezes Bronchialkatarrh ist die Mixtur nach beiliegendem RezeptDie Beilage ist nicht überliefert. vielleicht gut. Hilft’s nicht so soll sie zum Doctor gehen u die | Sache nicht vernachlässigen. Mama kannst Du sagen, daß meine/sie/ mir nach der allarmirendenSchreibversehen, statt: alarmirenden. Nachricht über Fischersein Angestellter auf Schloss Lenzburg. „steife Hand“ wohl auch einige Worte über den Fortgang dieser Sache hätte schreiben dürfen. Sie soll dann so gut sein u mir etwa 2 Hemden, einige Paar Socken, Kragen u Unterhemden hieher schicken, wenn sie gewaschen sind. –

Der Aufenthalt hier obenim Berner Oberland in Spiez am Thunersee; Armin Wedekind vertrat hier regelmäßig seinen Studienfreund Ernst Mützenberg, während dessen Militärdienstverpflichtungen in dessen Arztpraxis. ist sehr schön u interessant.

Mit herzlichem Gruß Dein
Armin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 29. Oktober 1888 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

Riesbach, den 29.X.88.

Feldeggstraße 81.


Lieber Bruder!

Eben in mein neues LogisArmin Wedekind hat sich in dem Zürcher Vorort Riesbach (Feldeggstraße 81) als praktischer Arzt niedergelassen. eingezogen, die Anzeige hast Du vielleicht im TagblattDie Praxiseröffnung hatte Armin Wedekind offenbar in der Presse angezeigt, vermutlich im Tagblatt der Stadt Zürich, dem offiziellen Amtsblatt, oder aber im Aargauer Tagblatt, das auf Schloss Lenzburg gelesen worden sein dürfte. gelesen, muß ich Dich bitten mir das bewußte Büchergestell herzusenden. Vorher aber sollte ich noch meine die Tafel mit Dr. Wedekinddie Praxistafel zum Hinweis auf seine Arztpraxis, die Armin Wedekind offenbar von seinem am 11.10.1888 verstorbenen Vater übernahm., die ich auf Papa’s Zimmer herausgelegt habe, sowie die übrigen dort befindlichen Sachen haben. Am schnellsten jene Tafel, die mir fast unentbehrlich.

Auch wäre es ganz gut wenn Du ein Mal selber herüberkämst. Mit herzlichen Grüßen Dein Bruder
Armin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 24. Dezember 1888 in Zürich folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte. Carte postale. – Cartolina postale. [...]


Herrn Franklin Wedekind.
Lenzburg. |


M. L. F.

Βιττε διε ἀνβει φολγενδεν Σαχεν ἑυτε σω´ ζου φερδειλενSchreibversehen, statt: φερτειλεν (verteilen).: Αλβοω/υ/μ φυρ Ματι φον μιρ, βειδε αρμβἅνδερ φοὺνδ διε Βυχσε σαρδινεν φυρ Ματι φον Εμμα, Κορβ οὺνδ Τασσε φυρ μισσ Ϝλεκκ. Δεν Βλουμεντισχ σχικτ Εμμα μ/Μ/αμα οὺνδ δεν ΚλαϜιρστουλ δαχτε ἰχ Μαμα ιν δεινεμ οὺνδ μεινεμ ναμεν ζου γεβεν. Ζουμ σχλουσσ γουτε Ϝειναχτεν. Μιτ γρουσσ Δειν
Α.


[Transkription:]


Bitte die anbei folgenden Sachen heute abendam 24.12.1888. so zu verdeilen: Album für Mati von mir, beide armbänder vund die Büchse sardinen für Mati von Emma, Korb und Tasse für miss Flekkvermutlich die Tochter der mit Emilie Wedekind befreundeten Frau Fleck, die Donald Wedekind zwei Monate später in New York traf [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 138].. Den Blumentisch schikt Emma Mama und den Klavierstuhl dachte ich Mama in deinem und meinem namen zu geben. Zum Schluss gute Weihnachten. Mit gruss Dein
A.


Frank Wedekind schrieb am 1. Februar 1889 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 11.12.1889 aus Riesbach:]


Denn obwohl Du mir damals schriebst Du thätest Alles, um das einmal feststehende Factum so gut als möglich in Einklang mit Mama den zu Hause herrschenden Ansichten zu bringen […]

Frank Wedekind schrieb am 26. Mai 1889 in Berlin folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

BerlinWedekind war seit dem 18.5.1889 in Berlin [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 19.5.1889]., 26.V.1889.


Lieber Bruder!

Sollte sich indessen vielleicht das Papierein Staatsangehörigkeitsattest im Original [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 3.7.1889], da Frank Wedekinds Vater amerikanischer Staatsbürger war. Anfang Juli 1889 musste er Berlin wieder verlassen. gefunden haben? Wenn nicht, dann sieh doch bitte noch einmal zu. Nimm mir dieses Ansuchen nicht übel. Ich bedarf seiner nämlich hier, da man des kleinen BelagerungszustandesBezeichnung eines Ausnahmezustands aufgrund § 28 des Sozialistengesetzes vom 21.10.1878, der es unter anderem ermöglichte, „Personen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu besorgen ist“ [Reichs-Gesetzblatt, Nr. 34, Berlin 1878, S. 357], kurzerhand auszuweisen. Dieser Ausnahmezustand galt für maximal ein Jahr und musste dann verlängert werden. In Berlin geschah dies regelmäßig seit dem 29.11.1878. wegen eine Bescheinigung deponiren muß. Sollte das Suchen wiederum vergeblich sein, dann schreib mir bitte sofort, damit ich mich nach Lenzburg wende.

Berlin wirkt geistig und körperlich totschlagend. München ist das reine Phäakennestin Anlehnung an die griechische Mythologie galten als Phäaken im übertragenen Sinne, Menschen die geruhsam und in behaglichem Wohlstand lebten. dagegen, in Kunst und Leben. Die Menschheit wimmelt hier täglich auf allen Straßen, wie in Zürich am Sechseläutentraditionelles Zürcher Volksfest zum Frühlingsbeginn am ersten Montag nach der Tag- und Nachtgleiche, beginnend mit dem Glockenläuten des Grossmünsters um 18 Uhr.. In der Oper war ich verschiedentlich dank den liebenswürdigen Freibillets von Frl. Herzog.Die schweizerische Opern- und Konzertsängerin Emilie Herzog, Verlobte von Wedekinds Freund Heinrich Welti, war seit März 1889 am Königlichen Hoftheater Berlin engagiert. Wedekind erhielt von ihr an seinem Ankunftstag in Berlin am 18.5.1889 eine Freikarte zu Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ (1782), in der sie die Constanze sang [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 19.5.1889]. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Berlin hat mindestens ein halbes Dutzend Theater, auf denen so gut gespielt wird wie auf dem Residenztheater in München. Für Museen etc. hab ich noch keine Muße gefunden.

Also bitte such noch einmal nach und schreib mir recht bald.

Dein treuer Bruder
Franklin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 30. Mai 1889 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

Riesbach, den 30.V.89.


Lieber Bruder!

Ich habe Alles durchsucht u konnte zu meinem Leidwesen das betreffende Schriftstückein Staatsangehörigkeitsattest im Original [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 3.7.1889], das Frank Wedekind benötigte, um in Berlin bleiben zu dürfen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 26.5.1889]. nicht finden. Es ist mir sehr unangenehm besonders deshalb, weil ich mir gar nicht denken kann auf welche Weise es verschwunden ist, das Wahrscheinlichste ist immer noch daß es so gut „versorgt“(schweiz.) weggeräumt. ward daß man es nicht mehr zu finden vermag. So wird nun das Beste sein wenn Du Dich direct nach Lenzburg wendest, ich hoffe nur, daß es dort keine Schwierigkeiten giebt.

Es freut mich zu | vernehmen, daß Dir das Leben in Berlin viel Anregung bietet. Gewiß waren die letzten Tage besonders Ereignißvolle. Dem Welti-Herzog-Paar lasse ich zur baldigen Ausführung ihres schönen VorhabensEmilie Herzog und Heinrich Welti, mit denen Frank Wedekind befreundet war, heirateten im folgenden Jahr. gratuliren u meine speziellen Grüße entbieten. – Es würde mich sehr freuen u interessiren, über die weiteren Erfolge Deiner Berliner Thätigkeit, überhaupt Pläne u Vorhaben sowie deren Erfüllung etwas hören zu können. Gewiß wären auch hiesige Blätter gerne bereit, hie u da ein Mal eine Correspondenz aus der Kaiserstadtzeitgenössisch verbreitete Katachrese für Berlin., die mehr als die nüchternen Thatsachen brächten z/a/ufzunehmen. Zwar | schien mir die Berliner Luft nie gerade eine sehr witz- u Geist fördernde zu sein, doch mag ja ein genaueres Zusehen dieses Vorurtheil widerlegen.

In Betreff der VermögenstheilungNach dem Tod des Vaters am 11.10.1888 verwaltete Armin Wedekind das Barvermögen des Erbes. Eine Ausbezahlung William Wedekinds wurde notwendig, da er mit seiner Frau im Herbst 1889 nach Südafrika auswanderte. mit Willy werde ich Dir dann noch ein Schriftstück zukommen lassen, worin ich Dich ersuche Dein Einverständniß damit zu bezeugen, da ich Dein u Mamas (als der andern Geschwister Vormund) Einwilligung ja natürlich zu diesem Zwecke besitzen muß. Darüber also später. Hier ist Alles beim Alten. Solltest Du einmal für das ein übriges Geld haben, um das von Dir erwähnte Vorhaben auszuführen, so wäre uns mit einem geschmackvollen Decorations|stück in unserm Salon, das man gewiß in Berlin leichter als hier u vor Allem billiger erhalten kann wohl am meisten gedient.

Wünschend, daß es Dir in Deinem neuen Wirkungskreis gelinge eine angenehme u befriedigende Thätigkeit zu entfalten, u daß/b/ei das Viele, das ein solcher Aufenthalt bietet, zu genießen, verbleibe

Dein treuer Bruder
Armin.

Frank Wedekind schrieb am 17. Juni 1889 in Berlin folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Berlin, 17.VI.1889Wedekind hat den Brief am 17.6.1889 notiert: „Nach dem Abendbrod schreib ich an Hammi“ [Tb]..


Lieber Armin,

besten Dank für Deinen lieben Briefvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 30.5.1889.. Ein AttestFür seinen Berlinaufenthalt hatte Frank Wedekind bei der Polizei ein Staatsangehörigkeitsattest im Original [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 3.7.1889] vorzulegen, da sein Vater amerikanischer Staatsbürger war. Das aus Lenzburg erhaltene Dokument reichte dafür nicht aus. Am 25.6.1889 notierte er im Tagebuch: „Wie ich am Nachmittag mein Zimmer für einen Augenblick verlasse, seh ich einen Polizisten in der Thür stehen und weiß sofort was die Stunde geschlagen. Er bittet mich auf die Polizei zu kommen, wo man einen Staatsangehörigkeitsausweis von mir fordert. Somit sind denn meine Tage in Berlin gezählt.“ hab ich seither von Lenzburg erhalten und die Polizei scheint sich damit zufrieden gegeben habenrecte: gegeben zu haben.. Es thut mir leid, daß ich Dir unnöthige Mühe verursachte. Es ist indessen auch etwas kühler und der Aufenthalt menschlich erträglich geworden in Berlin. Ich wohne hier in einer sehr angenehmen GegendWedekind wohnte in der Genthiner Straße 28 im 4. Stock. Seine Wohnung war rund 700 Meter vom Tiergarten entfernt., zehn Minuten vom Thiergarten entfernt, in dem ich mich fast täglich einige Stunden begebe um zu lesen. Der Thiergarten und so manches andere erinnern mich auf das lebhafteste an Hannover. Es ist das was uns dort die Eulenriederecte: Eilenriede, der Stadtwald Hannovers östlich des Zentrums. war. Thiere befinden sich natürlich keine anderen darin als Mücken und Droschkenpferde. Eine freundliche ReminiscensErinnerung. erweckte es mir mitanzusehen, wie die Kinder hier auf ihren Spielplätzen, ganz gleich wie wir in Hannover, fast ausschließlich mit Dreck d. h. mit Erde spielten. Sie graben dieselben Burgen wie wir vor 20 Jahren1869 war Frank Wedekind fünf, sein Bruder Armin Wedekind sechs Jahre alt., bauen dieselben Höhlen über dem Fuß und verwandeln schließlich die ganze Anlage durch Bewässerung mit der Gießkanne in denselben chaotischen Quark. Diese angenehmen Empfindungen steigerten sich bei mir im Zoologischen Garten, wo ich mich vor jeder Bestie wieder als kleiner Bengel fühlte. Ich wohne übrigens verhältnismäßig sehr billig und angenehm. Gesellschaft hab ich noch wenig gefunden, aber auch nicht gesucht. – – – – – – – – – – – Gesternam 16.6.1889. Wedekind besuchte gemeinsam mit der Opernsängerin Anna Spicharz – „Anna Spichart [...] mit ihr allein in der National Gallerie“ [Tb] – die Nationalgalerie, eine der Sehenswürdigkeiten Berlins, die sonntags von 12 bis 15 Uhr geöffnet war [vgl. Berliner Adreßbuch für das Jahr 1890, Teil IV, S. 196]. war ich mit den DamenEmilie Herzog, Hofopernsängerin in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1890, Teil IV, S. 15], die Verlobte von Wedekinds Freund Heinrich Welti, und Anna Spicharz, Konzert- und Opernsängerin aus Frankfurt am Main. in der Nationalgallerie und vorgesternam 15.6.1889. Wedekind besuchte gemeinsam mit den Opernsängerinnen Emilie Herzog und Anna Spicharz die Königlichen Museen: „ins Museum. [...] Anna Spichart in einer Extase über den Pergamenischen Altar“ [Tb]. Zu den Königlichen Mussen gehörte das „Alte Museum, Am Lustgarten“, in dem das Fries des Pergamonaltars ausgestellt war („die Pergamenischen Funde“), und das „Neue Museum, welches durch einen Bogengang [...] mit dem Alten Museum in Verbindung steht“ [Berliner Adreßbuch für das Jahr 1890, Teil IV, S. 195]. im Museum. Böcklins Gefilde der Seligen Das von der Berliner Nationalgalerie bei Arnold Böcklin in Auftrag gegebene Öl-Gemälde „Die Gefilde der Seligen“ (1877) war 1878 zunächst ausgestellt, aber aufgrund öffentlicher Proteste vorübergehend wieder abgehängt worden. In seiner Rede im Berliner Abgeordnetenhaus beschrieb August Reichensberger am 12.2.1880 das Gemälde so: „Die Farben sind derart schreiend, daß ich versucht war, mir die Ohren zuzuhalten. (Heiterkeit.) Und worin besteht die ‚Seligkeit‘ der betreffenden Dargestellten? Sie zeigt sich in der Art, daß 6 bis 7 unbekleidete Persönlichkeiten beiderlei Geschlechts, wenn ich nicht irre, theilweise mit Bocksfüßen versehen, auf und ab spazieren, während im Vordergrund, in einem Wasser auf einem centaurartigen Scheusal eine ebenfalls unbekleidete weibliche Person reitet, – wohin ist nicht zu sehen. (Große Heiterkeit.)“ [August Reichensperger: Parlamentarisches über Kunst und Kunsthandwerk nebst Glossen dazu. Köln 1880, S. 48] Im Katalog der Nationalgalerie ist das Gemälde so beschrieben: „Phantastische Landschaft mit schroffer Felshalde zur Rechten, von dunklem Gewässer bespült, welches nach links hin mit flachem Rasenufer abschließt und den Blick durch Pappelgebüsch hindurch auf die von der Frühsonne angeleuchtete Gebirgsferne freiläßt. Durch die von Schwänen durchfurchte Fluth schreitet ein Centaur, auf seinem Rücken ein jugendliches Weib tragend, das von zwei aus dem Schilf auftauchenden Sirenen geneckt, nach dem Gestade umschaut, wo ein im Gras gelagertes Paar und weiterhin ein Reigen seliger Gestalten um den Altar versammelt ihrer harren.“ [Max Jordan: Katalog der königlichen National-Galerie zu Berlin. 7. vervollständigte Aufl. Teil I. Berlin 1885, S. 172] Auf Arnold Böcklins Gemälde hatte bereits Olga Plümacher Wedekind aufmerksam gemacht [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 15.11.1885]. hielt uns fast eine Stunde gebannt. Es ist von überwältigender Stimmung und macht den Eindruck eines schönen Traumes, über den man schon während des Träumens weinen möchte vor Ergriffenheit. Außer diesen Gefilden packte mich nur noch ein Bild so zu sagen an der Kehle, nämlich Platons SymposionDas Gemälde „Gastmahl des Platon“ von Anselm Feuerbach war 1878 von der Nationalgalerie angekauft worden. Im Katalog heißt es dazu: „Die Composition ist veränderte Wiederholung eines im Jahre 1867 vom Künstler gemalten Bildes, welches sich im Privatbesitz des Fräulein Röhrsen in Hannover befindet.“ [Max Jordan: Katalog der königlichen National-Galerie zu Berlin. 7. vervollständigte Aufl. Teil I. Berlin 1885, S. 174]. Das ursprüngliche Bild war 1869 auf der 1. internationalen Kunstausstellung im Münchner Glaspalast gezeigt und von der Malerin Marie Röhrs erworben und dann offenbar in Hannover gezeigt worden. von Feuerbach, das Du, wenn mir recht ist, seiner Zeit in Hannover gesehen hast. Es wirkt nicht weniger traumhaft als das Böcklinsche. Es wirkt wie eine großartige Erinnerung, nichts weniger als realistisch. Selbst die Tänzerinnen des AlcibiadesPersonengruppe in der linken Bildhälfte. Im Katalog heißt es: „Platon’s Dialog ‚Symposion‘ (das Gastmahl) schildert eine Zusammenkunft verschiedener Freunde und Schüler des Sokrates im Hause des Agathon […]. Philosophische Gespräche bilden die Unterhaltung und zwar wird über den Begriff des ‚Eros‘ gehandelt […]. Nachdem Sokrates als der letzte Redner seine tiefsinnigen Gedanken über das Wesen der Liebe dargelegt hat, erschallt Lärm von der Straße her. Alkibiades erscheint weinselig auf der Schwelle; umgeben und gestützt von den ihn geleitenden Mädchen und Sklaven, begrüßt er den Wirth Agathon […]. – Diesen Wendepunkt hat unser Bild zum Gegenstand.“ [Max Jordan: Katalog der königlichen National-Galerie zu Berlin. 7. vervollständigte Aufl. Teil I. Berlin 1885, S. 174f.] Bei Platon kommt Alkibiades, ein prominenter Athener Politiker, betrunken ins Haus, und hält eine Lobrede auf Sokrates. sind wie gebannt inmitten der wildesten Bewegung. Fröhlich sind sie auf keinen Fall, vielleicht selig, aber man kommt auf den Gedanken, daß es ihnen verzweifelt ernst ums Herz ist.

FeuilletonsArmin Wedekind hatte seinen Bruder im letzten Brief ermuntert, Berichte aus Berlin für Schweizer Zeitungen zu verfassen [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 30.5.1889]. hab ich bis jetzt noch keine in die Welt geschickt, aber mein Geld ist zu Ende. Es lebt sich freilich sehr billig in Berlin, aber es muß eben alles gelernt sein. Wenn Du mir so bald wie möglich d. h. quam celerrime(lat.) so bald wie möglich. noch einmal Recrutenstudentensprachlich für: Gelder. Die Formulierung so auch im Tagebuch: „Nach dem Abendbrod schreib ich an Hammi wegen Rekruten“ [Tb, 17.6.1889]. schicken wolltest, so sollte es, wenn auch nicht das letzte überhaupt, so doch das letzte sein, zu dem ich nichts dazuverdient. – – – – – – – – – – – – –

Frank Wedekind schrieb am 3. Juli 1889 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Tagebuch vom 3.7.1889 in Berlin:]


Brief an Armin […].

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 7. Juli 1889 in Riesbach folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind , Frank Wedekind

[1. Hinweis in Frank Wedekinds Tagebuch vom 8.7.1889 in München:]


Ich erhalten Geld von Hammi.


[2. Hinweis und Referat in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 10.7.1889 aus München:]


Hammi schreibt mir, du seist bei ihm gewesen, was mich einiger maßen beruhigt hat.

Frank Wedekind schrieb am 13. August 1889 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

München, 13.VIII.1889.


Lieber Armin!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – Was mich betrifft, so gedenke ich in ein bis zwei Monat mit meiner Arbeitdas Lustspiel „Kinder und Narren“ [vgl. KSA 2, S. 635]. Eine erste Fassung des Stücks lag vermutlich erst im April 1890 vor [vgl. KSA 2, S. 629]. fertig zu sein. Du wirst mich zwar fragen, woher ich die Zuversicht nehme, noch ein zweites derartiges Experimentnach dem 1886 entstandenen Stück „Der Schnellmaler“, das Wedekind mehrfach überarbeitete und das 1889 als Buch erschien [vgl. KSA 2, S. 545-552]. mit seinen Kosten zu wagen, aber die Antwort würde mich doch zu weit führen. Ich will Dir lieber noch einiges von München erzählen in der festen Ueberzeugung, es werde Dir erquicklicher sein. Das Hofbräuhaus, um mit der Hauptsache zu beginnen, ist renovirtDas Hofbräuhaus war im Sommer 1885 renoviert und nach mehrwöchiger Schließung am 17.9.1885 wiedereröffnet worden [vgl. Neueste Nachrichten und Münchener Anzeiger, Jg. 38, Nr. 360, 17.9.1885, S. 3]. worden. Der klassische Schweinestall von ehedem ist nicht mehr. Man verschmerzt diesen Verlust aber nicht so schwer wie ich gefürchtet. Man weiß jetzt wenigstens, wo man hintritt. Spät Abends wenn ich von der Arbeit komme, tret ich nicht selten noch ein in die geweihten Hallen, setze mich in der hintersten Ecke hinter eine Maß und hülle mich und meine eventuelle Zukunft in Tabacksdampf. Am Theater hat sich manches geändert. Possart wird von Feinschmeckern nicht sehr vermißtErnst von Possart war von 1864 bis 1887 Schauspieler am Münchner Hoftheater. Die Presse schrieb: „Unser Possart ist nicht mehr unser. Es wäre ebenso ungerecht, als undankbar, wenn man dem scheidenden großen Mimen nicht alle Ehre widerfahren ließe, die er in Wirklichkeit verdient, allein Eines fehlte ihm, was den wahren Künstler am meisten ziert, das ist die Bescheidenheit. Possart hatte von seinem Können eine so hohe Meinung, daß er es gar nicht merkte, daß andere Leute auch was gelernt haben, und auch was können. […] Seinem Entlassungsgesuch wurde willfahrt, und so mag denn München schauen, wie es auch ohne Possart leben kann.“ [Das Münchener (früher andere) Vaterland, Jg. 4, Nr. 25, 18.6.1887, S. 3] 1889 gastierte er in New York [vgl. Neuer Theater-Almanach 1890, S. 285]. 1893 kehrte er als Intendant der königlichen Hoftheater nach München zurück.. Es ist auch gar nicht zu leugnen, daß Andere in seinen Rollen besseres leisten. So sah ich letzte WocheWedekind dürfte die Inszenierung von Shakespeares „König Lear“ am Münchner Hof- und Nationaltheater (Premiere: 1.6.1889) unter der Regie von Jocza Savits mit Wilhelm Schneider in der Titelrolle am 9.8.1889 besucht haben; die Vorstellung war vom 7.8.1889 (Mittwoch) auf diesen Tag (Freitag) verlegt worden (Beginn: 19 Uhr, Ende 22.30 Uhr) [vgl. Münchener Kunst- und Theater-Anzeiger, Jg. 2, Nr. 565, 9.8.1889, S. 2]. Lear in der neuen Scenirung, dargestellt von Schneider, der seine Aufgabe mit einer Großartigkeit löste, die ich ihm nie zugetraut hätte. Die CordeliaFigur aus Shakespeares „König Lear“, 1885 in der von Ernst Possart bearbeiteten Fassung am Münchner Hoftheater von Hermine Bland gespielt [vgl. Königliches Hof- und National-Theater München 1885 [Theaterzettel vom 27.2.1885], o. S.], in der aktuellen Inszenierung von Anna Dandler [vgl. Münchener Kunst- und Theater-Anzeiger, Jg. 2, Nr. 565, 9.8.1889, S. 2]. spielte nicht die Bland, wie früherAnspielung auf die gemeinsame Münchner Studienzeit im Wintersemester 1884/85. , sondern die Dandler, wenn Du Dich an ihre pompösen Hüften noch erinnerst. An Stelle der HerzogDie Schweizer Sopranistin Emilie Herzog trat am 28.2.1889 in der Rolle der Rosina in Gioachino Rossinis Oper „Der Barbier von Sevilla“ zum letzten Mal am Münchner Hoftheater auf. Ihre Nachfolgerin war die 18jährige Schauspielerin und Opernsängerin Hanna Borchers, die am 8.1.1889 als Benjamin in Étienne-Nicolas Méhuls komischer Oper „Joseph von Ägypten“ am Münchner Hoftheater debütierte. ist ein blutjunges ausnehmend hübsches Geschöpf getreten, eine gewisse Frl. Borchers, welche Kenner mit den weitgehendsten Hoffnungen zu erfüllen vermag. Leider hab ich sie bis jetzt noch nicht auftreten sehen. – – – – – – – – – – – – – – – –

Uebrigens ist mein Freund BennatDer Cellist Franz Bennat, der bei Hippolyt Müller am Münchner Konservatorium und anschließend in Brüssel bei François Servais studiert hatte, war seit 1864 in der Münchner Hofkapelle und seit 1888 Mitglied des Walter Quartetts von Benno Walter, das jährlich sechs Quartett-Soiréen in München veranstaltete, mit ihm erstmals am 30.10.1888. ebenfalls Kammermusiker geworden und der hat sich’s gewiß nur durch sein überaus seelenvolles Cellospiel verdient. Im Residenztheater bin ich bis jetzt noch nicht gewesen, werde aber übermorgenHenrik Ibsens „Nora“ wurde am Münchner Residenztheater mit Marie Conrad-Ramlo in der Titelrolle (ihre Paraderolle seit der deutschen Erstaufführung am 3.5.1880 in München) unter der Regie von Heinrich Keppler am 15.8.1889 aufgeführt (19 bis 21.30 Uhr) [vgl. Münchener Kunst- und Theater-Anzeiger, Jg. 2, Nr. 571, 15.8.1889, S. 2]. Nora sehen mit Frau Conrad-Ramlo in der Titelrolle. Ich sah sie erst einmal wieder, die kleine MeerkatzeÄffchen., wie sie ihr Herr GemahlMit dem Schriftsteller Michael Georg Conrad war die Schauspielerin und Schriftstellerin Marie Conrad-Ramlo seit dem 31.10.1887 in zweiter Ehe verheiratet. in den Flitterwochen titulirt haben soll, und zwar als Puck im SommernachtstraumWedekind besuchte die Vorstellung von Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ (Regie: Jocza Savits; mit der Musik von Mendelssohn-Bartholdy; Beginn: 19 Uhr, Ende: 21.30 Uhr) im Münchner Hoftheater am 5.8.1889 [vgl. Münchener Kunst- und Theater-Anzeiger, Jg. 2, Nr. 561, 5.8.1889, S. 2] und notierte im Tagebuch: „Sommernachtstraum. Ich habe einen sehr schlechten Platz und sehe trotz Opernglas keine Phisiognomie. Die Stimme der Ramlo scheint mir seit drei Jahren doch um ein beträchtliches reduzirt.“. Ihre Stimme schien nicht mehr den bestrickenden Schmelz von früher zu besitzen, was schließlich kein Wunder wäre. Sie ist jetzt zwischen 49 und 50Tatsächlich war die am 8.9.1848 geborene Schauspielerin Marie Conrad-Ramlo 40 Jahre alt. und vor Jahresfrist, noch um drei Monate zu früh, von einem gesunden Knäbleinder am 6.2.1888 geborene Erwin Siegfried Conrad. entbunden worden. Dagegen ist ihr Spiel immer noch hinreißend, zumal in TricotrollenTheaterrollen, in denen Frauen auf der Bühne Männer verkörpern (‚Hosenrolle‘) und dazu enganliegende Hosen aus Trikotstoff trugen., wo ihre überaus graziösen Beinchen mit dem herrlichsten Augenpaar um die Palme ringenum den Sieg streiten..

Eine der hervorragendsten Bereicherungen Münchens ist übrigens das Café LuitpoldDas Café Luitpold (Briennerstraße 11) war am 1.1.1888 eröffnet worden. an der Briennerstraße, in dem sich Saal an Saal reiht, einer geschmackvoller als der andere. Die Beleuchtung findet durch unsichtbare Glühlampen statt, die von den vorspringenden Gesimsen aus ihr Licht auf die in Rococostyl ganz hell decorirten Kuppeln werfen, von denen es dann als gedämpftes Oberlicht zwischen die Säulenreihen herabstrahlt. Der Effect ist geradezu feenhaft. Uebrigens schießen die Cafés wie die Pilze aus dem Boden. Es sind schon wieder zwei oder drei neue im Bau. Eine andere ganz neue Errungenschaft sind die Rauchsalons, große mit maurischer Ueppigkeitim Sinne von reich verziert, mit viel Dekor und Ornamentik versehen – in Anlehnung an den maurischen Architektur- und Kunststil Nordafrikas. ausgestattete Tabackshandlungen, in denen man sich auf den Divan legen und von einer der hübschen Verkäuferinnen eine Wasserpfeife anzünden lassen kann.

Daß ich nicht vergesse Dir meine AdresseWedekind war seit dem 20.7.1889 in der Akademiestraße 21 (3. Stock) bei „Mühlberger“ gemeldet [vgl. EWK/PMB Wedekind] Am 18.7.1889 hatte er im Tagebuch notiert: „Ich ziehe bei Frau Mühlberger ein.“ mitzutheilen. Sie heißt Akademiestraße 21IIWedekinds Wohnung befand sich im 3., nicht im 2. Stock.. Meine erste WirthinWalburga Erhart, Verwalterswitwe, war Wedekinds Zimmerwirtin in seiner Wohnung in der Adalbertstraße 41 (4. Stock) [vgl. Adreßbuch für München für das Jahr 1889, Teil I, S. 72], wo er seit dem 9.7.1889 gemeldet war [vgl. EWK/PMB Wedekind]. war mir ein wenig gar zu schmierig. Ich bewohne jetzt eine Bude nebst Alkovenkleiner abgetrennter Nebenraum ohne Fenster, Bettnische. mit freier Aussicht auf einen sehr großen Platz und darüber hinaus auf die ganze Umgegend, zur Rechten die prachtvolle Front des Akademiegebäudes für 15 Mark. Dabei ist nur der eine Uebelstand, daß meine WirthinWedekinds Vermieterin, die Kleidermacherin Anna Mühlberger, wohnte in der Akademiestraße 21 im Parterre links [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1891, Teil II, S. 13], der Eintrag im Adressbuch erfolgte verspätet erstmals für 1891. mit einer kleinen MenagerieTierschau, Tiergehege., zwei Katzen und zwei Hunde, zusammenwohnt, die ihren sämmtlichen Lebensbedingungen in der Wohnung selber gerecht werden, woraus dann manchmal ein geradezu infernalischer Gestank resultirt. Somit werd ich auf den Winter, wenn ich noch hier bin, wahrscheinlich wieder umziehen.

Und nun leb wohl, lieber Bruder. Vergiß ja das GeldArmin Wedekind verwaltete das Geldvermögen der Familie nach dem Tod des Vaters, so dass sich Frank Wedekind zur Auszahlung von Teilen seines Erbes an ihn wenden musste. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind in einer Übersicht den Betrag von 200 Mark für den 19.8.1889 [vgl. Tb, S. 116]. nicht. Wenn Du es hast, kannst Du es ja gleich schicken. Mit tausend Grüßen an EmmaAm 21.3.1889 hatte Armin Wedekind Emma Frey, die Tochter des Zürcher Bezirksarztes Gottlieb Frey geheiratet, bei dem er seit dem Frühjahr 1886, noch vor seinem Examen am 15.12.1887, eine Assistentenstelle angetreten hatte [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.5.1886]. und Dich Dein treuer Bruder
Franklin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 18. August 1889 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg, d. 18.VIII.89.

beiliegend 200 Mark.


Lieber Bruder!

Es thut mir Leid daß Du das GeldFrank Wedekind bat seinen Bruder aufgrund fehlender Einkünfte regelmäßig um Geld aus dem Erbe, das ihm nach dem Tod des Vaters zustand. Das Vermögen wurde von Armin Wedekind verwaltet. Der vorliegende Brief mit den beiliegenden 200 Mark erreichte Frank Wedekind erst am 21.8.1889: „Am Nachmittag trifft die Sendung ein.“ [Tb, 21.8.1889] Zuvor hatte er noch zweimal an Armin diesbezüglich geschrieben [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 19.8.1889 und 21.8.1889] und sich außerdem an seine Mutter gewandt [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 21.8.1889]. Im Tagebuch vermerkte er den Betrag von 200 Mark für den 19.8.1889 [vgl. Tb, Übersicht, S. 116]. erst so spät bekomst. Der Grund liegt darin daß mir Dein Briefvgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 13.8.1889. Der Brief war offenbar an die Adresse in Riesbach adressiert. erst hieher geschickt werden mußte. Ich bin mit Emma seit 8 Tagen hier in Lenzburg u spüren hier wirklich von den Antipathiengegenüber Armin Wedekinds Frau Emma [vgl. Erika Wedekind an Frank Wedekind, 22.9.1889 sowie die weitere Korrespondenz mit Armin Wedekind]., die sich gemäß Deiner einstmaligen Prophezeiung auch ja so richtig einstellten wirklich gar nichts mehr. Es ist mir daßs ein sehr angenehmer u ersehnter Beweis, daß die selben keine nothwendigen waren u mit etwas gutem Willen und Mangel an gehegtem Vorurtheil leicht zu beseitigen waren. – Diese Auseinandersetzung halte ich im Interesse der Klarheit für nothwendig, will sie aber gerne die letzte Erwähnung einer | an u für sich sehr unerquicklichen Angelegenheit sein lassen.

Die Demolirungen, denen das Schloß eine Zeit lang ausgesetzt zu n/s/ein schien, sind nun glücklicherweise noch nicht in Kraft getreten. Weder Kegelbahn noch Abbruch der Schanze„Im Jahr 1889 waren diverse Restaurierungsarbeiten, [...] auch an der Schanze, dem Befestigungswerk auf Schloss Lenzburg, notwendig geworden. Im Zuge dieser Arbeiten beschloss die Gemeinde Lenzburg, den Schlossfelsen wegen eines möglichen Absturzes untersuchen zu lassen“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 149], wobei diese am 26.2.1890 abgeschlossenen Untersuchungen ergaben, dass ein Abbruch der Schanze nötig sei, was wiederum zum Streit zwischen Emilie Wedekind und der Stadt Lenzburg führte [vgl. ebd.]. Frank Wedekind hat von dem schon vorher zur Debatte stehenden Plan, die Schanze auf Schloss Lenzburg abzureißen, durch einen am 15.8.1889 erhaltenen Brief seiner jüngeren Schwester erfahren [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 11.8.1889]. sind vorläufig zu Stande gekommen. Trotzdem geht die Wirthschaft an schönen Tagen sehr gut u auch den Pensionären„Wedekinds Mutter betrieb nach dem Tod ihres Mannes auf Schloss Lenzburg eine Pension für Feriengäste, um zusätzlich Einkünfte für sich und die Familie zu erzielen, solange das Schloss noch nicht verkauft war.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 136], die natürlich n/s/ofort in den Kreis der Familie getreten sind, wie das ja bei Mamas Naturell nicht anders geht gefallen sich hier außerordentlich. Der Vertrag mit der Wasserversorgungsgesellschaftzur Errichtung einer neuen Wasserversorgung von Schloss Lenzburg, damit das benötigte Wasser nicht mehr, wie bislang, aus einem Brunnen emporgepumpt werden musste. ist nun fix gemacht. Das Niederdruckbassin kommt in die SteinbrüchlimatteMatte (schweiz.) für Wiese., das Hochdruckreservoir in das Rondel bei den Kindergärten, die Hahnenkammerdient der Regelung der Wasserverteilung zwischen den beiden Reservoiren und einem Überlauf. in die Steinbrüchlimauer gegenüber der Kronedas im 18. Jahrhundert erbaute Gasthaus Krone in Lenzburg (Kronenplatz 20).. Mama u ich haben an Stelle sämmtlicher Majorennendie Volljährigen; gemeint sind hier die erwachsenen Geschwister Frank, William und Erika Wedekind, die Miterben von Schloss Lenzburg waren. unterschrieben.


[auf Seite 1 am rechten Rand um 90 Grad gedreht:]

Papas Monumentdas Grabmal in Form einer Amphore auf einem Sockel auf Friedrich Wilhelm Wedekinds Grab auf dem Friedhof Lenzburg. wird Ende der Woche aufgestellt. Darüber später mehr.


[auf Seite 1 am rechten Rand um 90 Grad gedreht:]

Mit herzlichem Gruß Dein Bruder
Armin.

Frank Wedekind schrieb am 19. August 1889 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 19.8.1889 in München:]


19. Ich schreibe zum zweiten Mal an Hammi.

Frank Wedekind schrieb am 21. August 1889 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 21.8.1889 in München:]


[...] Hammi. [...]

21. Noch immer kein Geld; ich schreibe zum dritten Mal.

Frank Wedekind schrieb am 4. November 1889 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

München, 4. XI. 1889.


Lieber Bruder,

würdest Du so gut sein und mich so bald es Dir möglich wieder mit etwas Mammon versehenFrank Wedekind bat seinen Bruder aufgrund fehlender Einkünfte regelmäßig um Geld aus dem Erbe, das ihm nach dem Tod des Vaters zustand. Das Vermögen wurde von Armin Wedekind verwaltet. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind den Betrag von 200 Mark für den 6.11.1889 [vgl. Tb, Übersicht, S. 116].. Meine Arbeitam Lustspiel „Kinder und Narren“ [vgl. KSA 2, S. 636]. Eine erste Fassung des Stücks lag vermutlich erst im April 1890 vor [vgl. KSA 2, S. 629]. Am 10.11.1889 notierte Wedekind im Tagebuch: „Seit dem 9. September arbeite ich am zweiten Akt und bin noch immer nicht damit zu Ende. Es fehlen noch 3 Scenen und meine Schaffenskraft ist erschüttert.“ neigt sich ihrem Ende zu. Ich bin gespannt, was dann wird. Wie ich von zu Hause erfahre, steht Dir noch im Laufe des Winters eine freudige Ueberraschungdie bevorstehende Geburt von Armin und Emma Wedekinds Sohn; Armin Wilhelm Gottlieb wird am 9.1.1890 geboren. bevor. Ich gratulire Dir im Voraus und wünsche, daß alles glücklich von statten geht. Ich wäre Dir dankbar, wenn Du vielleicht diesmal Gelegenheit fändest, ein wenig ausführlicher in Deinem Begleitschreibenzu der erbetenen Geldsendung [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 6.11.1889]. zu werden. Ich bin hier gewissermaßen abgeschlossen von der Welt. Seit 3 Monaten hab ich keinen Menschen mehr per Du angeredet, höchstens mich selbst. Meine Gesellschaft theilt sich in Maler und MusikerEin Verzeichnis seiner Bekannten im Münchner Tagebuch ordnete Wedekind grob nach Berufen, beginnend mit den Malern und endend mit den Musikern [vgl. Tb, Übersicht, S. 53-58].. Die Musiker kenn ich von früher her. Mit den Malern wohn ich zusammenWedekinds Liste seiner Münchner Bekannten beginnt unter seiner Adresse „Akademiestr. 21. III“ mit den Einträgen der drei „Maler“: „Heinrich Lefler […] / Rudolph Frische […] / Ragan“ [Tb, Übersicht, S. 53]. Am 10.11.1889 notierte Wedekind: „Gegen Ende vorigen Monats zogen zwei Herren bei meiner Wirthin ein, beides Maler der eine Wiener, der andere Hannoveraner. Der Hannoveraner, Herr Frische“ [Tb]., einen zur Rechten, einen zur Linken, und einen hinten im Haus. Sie machten mir ihre Aufwartung und jeder führte mich in sein Atelier. Der zur RechtenRudolf Frische stammte aus Osnabrück und studierte an der Münchner Akademie der Bildenden Künste [vgl. https://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1841-1884/jahr_1882/matrikel-04217 (Zugriff vom 21/02/23)]., ein Hannoveraner, gehört der alten Schule an. Er malt eine Madonna auf einem Löwen sitzend im Renaissancestyl. Er schwärmt für die alten Meister und führt einen sittlichen Lebenswandel. Der zur LinkenHeinrich Lefler aus Wien studierte seit 1884 an der Münchner Akademie der Bildenden Künste [vgl. https://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1884-1920/jahr_1884/matrikel-00084 (Zugriff vom 21/02/23)]. ist ein Wiener, der sich eine Sängerinim Tagebuch unter der Adresse „Akademiestr. 21. III“ als „Nina-Nino“ verzeichnet [vgl. Tb, Übersicht, S. 53]. hält, ebenfalls eine Wienerin mit böhmischer Stumpfnase, seinem Bekenntniß nach Plainairistrecte: Pleinairist; Freilichtmaler, von frz. ‚en plein air‘ (= im Freien)., sehr begabt und verhältnißmäßig liederlich. Der dritteim Tagebuch unter der Adresse „Akademiestr. 21. III“ als „Ragan“ verzeichnet [vgl. Tb, Überischt, S. 53]. ist ein Russe, ein feiner Herr mit Pelzkragen und einem Violoncell. Er trinkt Abends, wenn er aus dem Atelier kommt, einen großen HafenTopf, Schüssel. voll Thee aus und legt sich um 9 Uhr21 Uhr. zu Bett. Und nun leb wohl, lieber Bruder. Ein andermal mehr von meinen Zimmernachbarn. Besonders von der Sängerin wäre noch manches interessante zu berichten. Sie wohnt in der Augustenstraße bei einer Blumenverkäuferinwahrscheinlich Margarethe Deiß, Wohnung: Augustenstraße 3, 4. Stock; Geschäft: Augustenstraße 50) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1889, Teil I, S. 51; Teil II, S. 28]; verzeichnet ist dort außerdem: Margaretha Linder, Blumenmacherin (Augustenstraße 11, Mittelgebäude, 2. Stock rechts).. Diese Blumenverkäuferin hat ein zwölfjähriges Töchterchen, das nun auch schon zur Sängerin ausgebildet wird. Ihre Lehrmeisterin tritt in der ItaliaCafé-Restaurant mit Weinkeller bei St. Peter (Victualienmarkt 13), im März 1887 von Josef Gianna übernommen [vgl. Neueste Nachrichten und Münchner Anzeiger, Jg. 40, Nr. 61, 2.3.1887, 1. Blatt, S. 6]. Seit dem 1.2.1889 veranstaltete der neue Pächter Emil Reichel dort regelmäßig „Specialitäten-Konzerte“ und Varieté-Veranstaltungen [vgl. Bayerischer Kurier, Jg. 33, Nr. 31, 31.1.1889, S. 5]. Eine Schließung ist nicht belegt, das Lokal ist auch nach 1889 noch in den einschlägigen Reiseführern verzeichnet [vgl. München. Neuester Illustrirter Führer für Fremde und Einheimische […]. München 1890, S. 19]. auf, einem sehr feinen Local am Petersplatz, wo P. F.Leopold Frölich aus Brugg, ein ehemaliger Mitschüler Armin Wedekinds, machte 1881 Abitur an der Kantonsschule Aarau, studierte anschließend Medizin in Genf und wurde Psychiater. Er hatte Frank Wedekind 1886 in München besucht [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 25.1.1886]. Am 21.7.1889 notierte Wedekind im Tagebuch: „Abends im Caffe Italia dem alten St. Peter, wo sich seiner Zeit Poldi Fröhlichs Münchner Novelette abgespielt mit dem hübschen Gretchen“. seiner Zeit so elegisch verknallt war in das hübsche Gretchen. Aber am 15. ds. wird das Local geschlossen. Und nun noch einmal lebe wohl. Auf heute Abend steht mir eine musikalische Delicatesse bevor. Eine Quartettsoirée im MuseumEine Quartett-Soirée im großen Saal des Museums (Promenadestraße 12) ist für den 4.11.1889 nicht belegt. Die Veranstaltungen des Walter Quartetts, mit dessen Cellist Franz Bennat Wedekind befreundet war, fanden dort am 28.10.1889, 2.12.1889 und 19.12.1889 statt. , zu der mich gestern einer der Mitspielenden einlud. Auf meine eigenen Kosten mach ich keine großen Sprünge, da mir immer noch das Anschaffen eines Winterpaletotswarmer Überrock, Wintermantel. bevorsteht. – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 5. November 1889 in Riesbach folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte
Carte postale. – Cartolina postale.

[…]


Herrn Franklin Wedekind.
Akademiestrasse 21.III.
München. |


Lieber Bruder!
Ich werde morgen Nachmittag den Briefvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 6.11.1889. – Frank Wedekind hatte seinen Bruder um die Zusendung von Geld gebeten [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 4.11.1889]. absenden.

Mit herzlichem Gruß
Armin.


Riesb. den 5.XI.89.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 6. November 1889 in Riesbach folgenden Zettel
an Frank Wedekind

Dr. med. A. Wedekind
pract. Arzt
RIESBACH.


[um 90 Grad gedreht:]


Lieber Bruder!

Hier einstweilen das NothwendigeGeld, um das Frank Wedekind seinen Bruder, der das Barvermögen der Familie nach dem Tod des Vaters verwaltete, gebeten hatte [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 4.11.1889]. Der vorliegende Zettel war das Begleitschreiben zu der Geldsendung. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind den Betrag von 200 Mark für den 6.11.1889 [vgl. Tb, Übersicht, S. 116].. Ein Brief folgt sobald mir die Zeit zum Schreiben übrig ist nach.

Herzlich grüßend
Dein Bruder
Armin.


Rb. d. 6. Nov. 89.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 27. November 1889 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

DR. Med. A. Wedekind
Riesbach-ZÜRICH.


Riesbach, den 27Datum fehlt wegen Papierverlusts.


Lieber Bruder!

Länger als ich dachte, hat es sich verzögert, daß bis ich Dir Nachricht über die am 1. Juli erfolgte Ertheilung von Willys Antheilam Erbe nach dem Tod des Vaters am 11.10.1888. Eine Auszahlung William Wedekinds war notwendig, da er mit seiner Frau im Herbst 1889 nach Südafrika auswanderte. Armin Wedekind hatte in der Sache bereits im Frühjahr mit Frank Wedekind korrespondiert [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 30.5.1889]. geben konnte. Das einfache Ergebniß der etwas complicirten Rechnung ist gestützt auf die am 1 Juli gültigen CurseDas Vermögen Friedrich Wilhelm Wedekinds war vor allem in Wertpapieren angelegt, die den üblichen Schwankungen unterlagen. folgendes gewesen:

Gesammtbaarvermögen 180194 frs 87 cms

Antheile der Einzelnen:

Mama (Heiratsgut inbegr) 47168 " In der Übersichtstabelle der Erbteile sind in den untereinanderstehenden Beträgen die Währungsbezeichnungen „frs“ (Francs) und „cms“ (Centimes) durch Wiederholungzeichen fortgeschrieben. 45 "

Meine „Wenigkeit“ 5542 "die Centimes-Angaben fehlen wegen Papierverlusts.

Dein Antheil 20384 "die Centimes-Angaben fehlen wegen Papierverlusts.

Willy 18931 " 80 "

Frida 27902 "  10  "

Donald 28061  "  60  "

Emilie 32186  "  45  "


Das war am 1. Juli u Willy hat Donald seinen Antheil mit Ausnahme von 3 PanamakanalobligationenDie von der Panamagesellschaft ausgegebenen Schuldverschreibungen für den Bau des Panamakanals konnten seit Dezember 1888 nicht mehr eingelöst werden und waren damit wertlos geworden. mitgenommen.

Du ersiehst aus dem Resultat, daß wenn mein Antheil auch nicht groß war ich doch mit ihm bis heute noch nicht gut fertig | sein kann u daher Dein freundliches AnerbietenAnscheinend hatte Frank Wedekind seinem Bruder angeboten, ihm von seinem höheren Erbteil bei Bedarf Geld zu leihen. mit bestem Danke einstweilen abschlagen kann. – Donald der sich vor einigen Tagen telegraphisch angemeldetDas Telegramm von Donald Wedekind an seine Familie ist nicht überliefert. Er befand sich seit Februar 1889 auf einer Nordamerikareise. hat u wohl das D/S/ehnsucht zum heimischen Weihnachtsbaum bekommen haben muß wird dann wohl als getreuer Nachfolger von Willy seinen Antheil am Vermögen ebenfalls in irgend einem schwarzen Ert/d/theil anlegen wollen u es wäre wohl nicht überflüssig sich darüber zu äußern ob einem solchen Vorschlage zu entsprechen sei.

Mama habe ich 10500 frs in Gotthardobligationenvon der Gotthardbahngesellschaft ausgegebene Schuldverschreibungen zum Bau und Betrieb der Gotthardbahn, die 1882 eröffnet wurde. ausgehändigt, die sie in Lenzburg deponirt hat, um kleinere Anleihen zur Bezahlung laufender Schulden Ausgaben darauf machen zu können, da es ihr verleidet war mir jedesmal darum schreiben zu müssenArmin Wedekind war nach dem Tod des Vaters mit der Verwaltung des Geldvermögens betraut, so dass die Erben sich an ihn wenden mussten, wenn sie etwas ausbezahlt haben wollten. u ich nicht immer momentanhier im Sinne von: sofort, gleich. schicken konnte. Die WasserleitungDer Brunnen auf Schloss Lenzburg war vor kurzem durch eine Wasserleitung ersetzt worden, die aus einem Wasserturm und einem Bassin gespeist wurde [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 18.8.1889]. ist jetzt bis oben hin fertig. Nun haben sie die Abtritte abgerissen, um sie zu renoviren. Wie das Alles geht, darüber kann ich Dir keine Auskunft geben, Mama frägt mich natürlich über Nichts um Rath u kommt nur von Zeit zu | Zeit her, um mir das fait accompli(frz.) vollendete Tatsache. so weit sie es mag mitzutheilen. Mieze ist ja, wie Du wohl weißt mit dem Apotheker Könignicht identifiziert; näherer Zusammenhang nicht ermittelt. so schlecht wie verlobt, auch sie hat sich, klug geworden durch die gute Leitung in der HenkelaffaireZu Pfingsten 1887 hatte sich Erika Wedekind mit Karl Henckell verlobt [vgl. Nb 63, Blatt 72v]. „Die Verlobung, die offensichtlich auf Schloss Lenzburg nicht auf Beifall stieß, wurde bald darauf wieder gelöst.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 123] die Sache ziemlich selbstständig zurechtgezimmert. Ueber den/as/ Entwicklungsstadium, das das Verhältniß gegenwärtig einnimmt bin ich nicht orientirt. Weil ich mir bei unserm letzten AufenthaltArmin und Emma Wedekind waren ab dem 10. oder 11.8.1889 [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 18.8.1889] für zwei Wochen in Lenzburg [vgl. Erika Wedekind an Frank Wedekind, 22.9.1889]. einige Worte über eine PensionärinFräulein Mink (siehe unten). „Wedekinds Mutter betrieb nach dem Tod ihres Mannes auf Schloss Lenzburg eine Pension für Feriengäste, um zusätzlich Einkünfte für sich und die Familie zu erzielen, solange das Schloss noch nicht verkauft war.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 136] Fräulein Mink wohnte seit Mitte Juli 1889 auf Schloss Lenzburg. erlaubte, die sich in ungeschminkter Dreistheit das Vertrauen eines jeden zu erfrechen pflegte u ungenirt die Zimmer u die Herzen eines jeden aller HausbewohnersSchreibversehen (unterlassene Folgekorrektur), statt: Hausbewohner. untersuchte u mit dieser Mama äußerst imponirenden Art u. Weise auch aus ihr bald unsere sämmtlichen Familienverhältnisse heraushatte, sodaß Mama von ganzem Herzen sichgestrichen und durch Unterpunktung wiederhergestellt. über Papa u seine ganze hannoversche Verwandtschaft ausließ, – weil ich mirgestrichen und durch Unterpunktung wiederhergestellt. nun also über eine solche Stellung dieses Fräuleins einige Worte entschlüpften, so trat ein Zerwürfniß ein u der so leicht bekannte Spruch „Das ist nicht mein Sohn der aus Dir spricht“ ertönte. | Als ich mit Emma am folgenden Tagewahrscheinlich der 24. oder 25.8.1889. abreiste wurden wir trotz vorheriger scheinbarer Freundschaft ohne irgend ein Wort des Abschiedes entlassen, ungefähr wie man einen Bettler von der Thüre weist. Diese meiner Frau vor Dienstboten und Jedermann offen angethane Kränkung, die sich durch Nichts rechtfertigen läßt u zu deren Erklärung man höchstens die „Hegung“ eines tief sitzenden Vorurtheils herbei ziehen kann ist bis jetzt durch Nichts gesühnt worden. Als ich eine Satisfaction durch einen BriefDas Schreiben von Armin Wedekind an seine Mutter in Lenzburg ist ebensowenig überliefert wie der genannte Antwortbrief. herbeizuführen hoffte, ward mir statt dessen in ebensolächerlicher W/a/ls unverständlicher Weise Neid u Mißgunst vorgeworfen u gegen Emma wieder die mehr als alberne Anklage von Aufhetzung geschleudert. Ich gab demSchreibversehen, statt: den. Brief Emma zur Beantwortung, die diese dummen Geschichten Vorurtheile mit Lachen überging, dennoch aber nicht verhehlte welch deprimirenden e/E/indruck die gefühllose u zweideutige Behandlung ihr hinterlassen hatte, die sie auch vor der HochzeitArmin Wedekind und Emma Frey hatten am 21.3.1889 geheiratet. in Lenzburg erduldet hatte u von der sie mir erst da die Hauptstückchen mittheilte. Darauf folgte nun gar keine Antwort mehr; die Beleidigung saß, kränkte u damit war man ja wohl zufrieden. | Die Fräulein Mink blieb als Siegerin u wurde auch für den Winter als angenehme Gesellschafterin angenommen. F/I/rgend eine Spur, daß die ungerechte u gehäßig in folge bornirenderSchreibversehen, statt: bornierter (engstirnig, uneinsichtig). engherziger Ideen angethane Beleidigung Emmas, die an der ganzen Sache auch nicht die kleinste Schuld trug Mama Leid gethan hätte, davon war keine Rede. Von Mieze erfuhr ichEin Brief von Erika Wedekind an ihren Bruder Armin in der Sache ist nicht überliefert, aber ein Brief an ihren Bruder Frank [vgl. Erika Wedekind an Frank Wedekind, 22.9.1889]. dann allerdings deutlich genug, daß zu Hause weder der Wille noch ein Wunsch da war, die so tief u so gut eingepflanzten u durch so fruchtbaren Mist des Eigendünkels u der Selbstgenügsamkeit zu üb/p/pigem Wachstum gediehenen Vorurtheile abzulegen. Herrliche Bäume das u allerdings Ebenbilder einer Mink! Nur was man selber ist oder sich zu sein wenigstens einbildet hat werth u interessirt, das inter/st/ der Grundsatz der Entwicklung der Individualität. Und diese ist so stark, daß sie es nicht ein Mal erträgt eine andere Individualität neben sich zur Geltung kommen zu lassen, wenn sie nicht in das gleiche große Horn hinein bläst.

Seither ist unser Verkehr ein geringer gewesen; daß ich Emma einer solchen Behandlung nicht ein zweites Mal aussetzen kann versteht sich von selbst u das thäte ich | wenn ich sie wieder veranlaßte in die Nähe blinden Haßes u Vorurtheils zu kommen. Denn daß es nach das letztere ist u nicht etwa eine berechtigte Abneigung, das beweisen mir die 12 Tage, wo wir in bester Freundschaft lebten bis jene Bemerkung wie ein rothes Tuch einen wüthe tollen Stier so die das alte wahre G+++++g Stimmung hervorbrachte. Aber nicht nur Emma, sondern auch ich habe Lenzburg gemieden, mag ich mich doch nicht dort vor Frl. Mink wiedersehen lassen, der es natürlich eine Wonne war an dem Platze sitzen u schmarotzen zu können wo die Mutter ihren Sohn u dessen Frau in solch schöner hochskandalöser Weise fortgejagt. – –

Sieh lieber, Bebi, daß das sind so die Gedanken, die mich bestürmen wenn Du mir schreibstFrank Wedekind hatte zuletzt um einen ausführlichen Brief gebeten [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 4.11.1889]., ich solle meinen Begleitbrief etwas länger werden lassen. Daß sie die ersten sind die meiner Feder entströmen ist vielleicht ein Zeichen unmännlicher Schwäche jedenfalls aber unklug. Denn ich setze sie natürlich damit wieder Deinem so scharfen psychologischen Messer aus, das daraus ganz andere Gebilde herausseciren wird als es/sie/ sind. Da Du mich aber zu verschiedenen Malen aufgefordert hast, länger zu schreiben, so mußt Du nun | eben das Resultat hinnehmen, u s/ich/, der es gegeben, muß seiner weiteren Benutzung in fremder Hand zu sehen. Immerhin hoffe ich, daß Du nicht wie Mieze von StettinErika Wedekind war zu Besuch bei der Familie von Josephine Brunnckow in Stettin (Grabowerstr. 34, 2. Stock) [vgl. Adreß- und Geschäfts-Handbuch für Stettin 1889, S. 25], die sie 1887 während ihres halbjährigen Aufenthalts im Lausanner Pensionat Duplan kennengelernt hatte [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 139]. Mama mit einer KatalepsieStarrsucht, „ein eigentümlicher Zustand der Muskeln, bei dem die Glieder in jeder ihnen gegebenen Stellung unwillkürlich festgehalten werden. Die S. ist keine Krankheit für sich, sondern nur ein Symptom verschiedener Krankheitszustände. Sie tritt am häufigsten auf bei schwerer Hysterie“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd. 18. Leipzig 1909, S. 863]. bedenken wirst noch ihr meine Worte als zartes Muttersöhnchen wie jene Frage über den Gratulationsbrief, die ich einem solchen überlegenen Helden der Psychologie wohl vorzulegen hoffen zu dürfen hoffte ohne deswegen bei Mütterchen angeschwärzt zu werden mittheilen wirstFrank Wedekind berichtete seiner Mutter dennoch vom Brief des Bruders [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.12.1889].. Damals habe ich mich getäuscht vielleicht jetzt wieder! Immerhin bitte ich zu bedenken, daß Mama jetzt mit Wasserleitung, RebarbeitenArbeiten im Weinbau., Donalds hoffnungsvoller Rückkunft genug zu thun hat u sich außerdem in behaglicher Weihnachts u zugleich verdienter = Lorbeerstimmungwohl im Sinne von Sieges- und Triumphstimmung; denkbar ist auch die beruhigende, entspannende Wirkung, die das Verbrennen von Lorbeerblättern hat. Kontext nicht ermittelt. befindet.

Endlich hoffe ich bei Dir so viel männliches Gefühl voraussetzen zu dürfen, daß Du nicht Emma vergelten läßt, was Du/ich/ mit Dir zu sprechen habe u ich wiederhole noch einmal, daß sie noch nie gegen einen von Euch ein Wort fallen ließ, das nicht bitter durch die Wahrheit gerechtfertigt war u daß/s/ von einem | aufhetzen von I/i/hrer Seite oder einem „Entfremden wollen“ den Meinen gegenüber keine Rede ist. Wer sich entfremdet hat, daß/s/ sind meine Leute mir gegenüber gewesen, die zu klein sind als daß sie eine andere Meinung in ihrem Kreise dulden. Emma hat Euch stets nur Liebe u Zutrauen gebracht, Haß, Kränkung und hochmütige Kälte hat sie dafür neben äußerlicher Höflichkeit erfahren, ich aber habe einen tiefen Blick in die Leute von der Pflege Lehre der „freien“ Individualität u des „gesunden“ EgoismusDer für Wedekind signifikante Egoismus-Diskurs [vgl. KSA 2, S. 820, 839f.] durchzog schon die gesamte Korrespondenz mit Adolf Vögtlin und war offenbar auch familienintern wiederkehrendes Thema [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.8.1884]. gethan. –

Lieber als diese bitteren Aeußerungen hätte ich Dir anderes mitgetheilt, aber ich konnte es nicht über mich bringen das zu unterdrücken, was zwischen Glück u Frieden im eigenen Hause wie ein schwarzes Schemenundeutliche, gespenstische Erscheinung. oft dazwischentritt. Wohl weiß ich welche hochweisen Erklärungen meinen Worten folgen werden aber nicht diese sind es die der Wahrheit nahekommen sondern andere viel einfachere, die sich wie ich oben angedeutet zusammenfassen lassen als der Egoismus der Individualität! Das mag ein Princip sein mit dem man bequem durch die Welt kommt, Liebe pflanzt es nicht!

Zum Schluß meine herzlichen Grüße u die Hoffnung auf eine Zeit mit klarerem u wärmerem Wetter zwischender Schluss des Satzes fehlt wegen Papierverlusts.

Dein Bruder Armin.

Frank Wedekind schrieb am 10. Dezember 1889 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[1. Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 11.12.1889 aus Riesbach:]


Mit Freude habe ich Deinen Brief gelesen […]



[2. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 15.12.1889 aus München:]


[…] mein letzter Brief […]

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 11. Dezember 1889 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

DR. Med. A. Wedekind
Riesbach-ZÜRICH.


Riesb., den 11. Dec. 89.


Lieber Bruder!

Mit Freude habe ich Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 10.12.1889. gelesen, aus dem ich dies mal entnehme, daß er nicht vom Diplomaten, sondern von einem offenen Bruder geschrieben ist. Leider ist zwar mein Mißtrauen noch nicht beseitigt, daß/s/ sich besonders damals wieder zu regen begann, als ich erfahren mußte wie illoyal Du seiner Zeit meine Auseinandersetzung mit Dir wegen des Gratulationsbriefes hinter Mama gesteckt hast, sodaß diese dann die Gelegenheit benutzte, es Emma bei ihrem Aufenthalt in Lenzburg vor unserer HochzeitArmin Wedekind und Emma Frey hatten am 21.3.1889 geheiratet. aufzutischen u sie dadurch wie durch manche andere Bemerkung in Verlegenheit zu setzen. Ueber die Rolle, die Du damals gegen sie gespielt hast im Verein mit allen meinen NächststehendenSchreibversehen, statt: nächststehenden. Gemeint sein dürften die Mutter und die Geschwister Armin Wedekinds. Verwandten fordre ich allerdings von Dir selber zunächst Aufklärung bevor ich annehmen kann/darf/, daß Du mit ehrlicher Gesinnung zwischen Mama u mir vermitteln sollst kannst. Denn obwohl Du mir damals schriebstnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 1.2.1889. Der nicht überlieferte Brief entstand wahrscheinlich im Lauf des Jahres vor der Eheschließung Armin Wedekinds mit Emma Frey. Die Verbindung wurde von der Familie in Lenzburg nicht befürwortet, Frank Wedekind ging jedoch bereits im Frühjahr 1888 von einer sicheren Heirat aus [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 7.5.1888], verlobt waren die beiden seit November 1888. Die in dem verschollenen Brief von Wedekind erklärte Absicht, sich für seine zukünftige Schwägerin einsetzen zu wollen, dürfte er in relativer Nähe zum Heiratstermin am 21.3.1889 geäußert haben. Du thätest Alles, um das einmal feststehende Factumdie bevorstehende Eheschließung mit Emma Frey, der Tochter des Züricher Bezirksarztes Gottlieb Frey, bei dem Armin Wedekind seit Frühjahr 1886 in Hottingen als Assistenzarzt tätig war [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.5.1886]. so gut als möglich in Einklang mit Mama den zu Hause herrschenden Ansichten zu bringen so war sowohl Dein Beneh|men als das der andern nicht nur weit entfernt von Herzlichkeit oder Liebe, wie man sie der Braut eines Bruders sonst doch entgegenzubringen pflegt, sondern i/I/hr suchtet ihr im Gegentheil Emma zu beschämen, zu demüthigen u sowohl durch Grobheit als durch hämische Bemerkungen gegen mich sie zu kränken oder zu veranlassen sich eine Blöße zu geben, um dann das/iese/ wieder gegen sie benutzen zu können. Du speziell magst wohl versucht haben Deine psychologischen Studien an ihr zu üben, als sie sich dem entzog war sie Dir gleichgültig, die Braut Deines Bruders hast Du in ihr nicht geachtet. Ueber diesen Umstand wünsch ich von Dir eine bündige ehrliche Erklärung zu haben, erst dann kann ich annehmen, daß wir im alten Vertrauen weiter verkehren dürfen.

Aus diesen Gründen ist auch mein letzter Briefvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889. entstanden. Ich habe nicht Deine Hülfe angefleht, um zwischen mir u Mama zu vermitteln. Es war vielmehr dabei meine Ueberzeugung maßgebend daß ich den Zwist u die DivergenzMeinungsverschiedenheit. mit meinen Angehörigen zu Hause zum großen Theile dem Einflusse zuzuschreiben habe, den Du letzten Winter auf Alle Deine dortigen geistigen Sklaven ausgeübt hast. Wie schwer es auch sowohl Emma als mir wurde, das Vor|urtheil, das gegen sie existirte u tief eingewurzelt war zu zerstreuen, es gelang doch, und es gelang gerade durch unsere Gegenwart, gerade dadurch, daß sich sowohl Mama als Mieze davon überzeugen mußten, es sei doch nicht so schlimm wie sie sich’s vorgestellt. Nun kam am Vorabend unserer Abreise mitten im besten Einvernehmen jene Scene vor, die den Bruch herbeiführte. Mit Emma von einer Tour in’s SeethalTal zwischen Lenzburg und Emmen. zurückgekehrt erlaubte ich mir jene Bemerkung gegen Fräulein Minkein Pensionsgast auf Schloss Lenzburg, die Frank Wedekind kannte und die auch Gegenstand der Korrespondenz mit seiner Schwester Erika war [vgl. Erika Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1889]., daß sie im Hause die erste Rolle spiele oder so etwas, eine Bemerkung die auf Thatsachen beruhte indem diese Dame in Abwesenheit der Pensionäre„Wedekinds Mutter betrieb nach dem Tod ihres Mannes auf Schloss Lenzburg eine Pension für Feriengäste, um zusätzlich Einkünfte für sich und die Familie zu erzielen, solange das Schloss noch nicht verkauft war.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 136], die Zimmer derselben untersuchte, so auch das unsere, dann über Alles ihr nicht nur arrogantes sondern äußerst unverschämtes Urtheil sich erlaubte, über die Dienstboten die Zuträgerinabwertend für eine Person, die ohne Auftrag Informationen weitergibt. machte, aus einem jeden seine Schwächen herauszuexaminiren suchte und sie dann wieder bei andren zu verwerthete um sich damit angenehm zu machen. Dabei ist zu bemerken, daß ich weder gegen Emma noch mich von ihr irgend etwas gehört hatte. Ich sah aber u hörte wie Mama über Papa sich lächerlich machte, dann über unsere VerwandtenIn Hannover lebten Frank Wedekinds Onkel Erich Wedekind sowie seine Tante Auguste Bansen, beides Geschwister des Vaters. in Hannover schimpfte u wie Frl. Mink bei solchen Gelegen|heiten nicht nur aufmerksame Zuhörerin war, sondern in das liebens würdige Urtheil miteinstimmte. Ich kann ihr das nicht übel nehmen, sie ist einmal eine Schmarotzerin, eine s/S/eeleDrekseele„bildlich eine gemeine und niederträchtige denkungsart“ [DWB, Bd. 2, Sp. 1360]., die vom Sumpfe lebt, in den sie sich mit vorliebeSchreibversehen, statt: Vorliebe. hinein setzt u wo sie üb/p/pig u kräftig darin wird, mit einem Wort eine Dame mit soviel Hautgouthaut goût (frz. ‚hoher Geschmack‘) ursprünglich für Wildgeschmack, pikante Würze; daneben: „Hautgout haben (übertr.) = anrüchig, faul sein.“ [Verdeutschungsbücher des allgemeinen deutschen Sprachvereins. I. Die Speisekarte. Braunschweig 1888, S. 53], daß ich nicht dran zweifle, daß sie Dir äußerst behagen wird. Mir dagegen war ihre Gegenwart allerdings zuwieder u die Aussicht, die mir damals schon g/G/ewißheit war, daß sie sich immer fester ankletten werde keine erfreuliche. So ließ ich mich zu jener Bemerkung hinreißen. Was war die Antwort? Das sei nicht meine eigene Stimme, die aus mir spreche u s. w.; kurz Emma, die keine Silbe gesagt hatte, sollte Schuld sein an Allem. Sie hatte mir noch abgerathen als ich auf Mieze ihren Jammer über die Mink zu Mama gehen wollte, trotzdem mußte sie Schuld sein. Am andren Tag kam Mama nicht zu Tisch, sprach kein Wort u als wir Abschied nehmen wollten entließ sie uns, wie man ein Paar Bettler von der Thüre weist. Aber dies rohe, herzlose Betragen, das ihr eine solche brutale Beleidigung ihres Sohnes u seiner Frau vor Dienstboten u Pensio|nären eingab, das wurzelte nicht in meiner Äußerung, sondern in Mamas altem Haß u Hochmuth u der war gehegt u gepflegt von Dir. Er hat sich glänzend bewährt dieser stolze, eingebildete, eigendünkelhafte Sinne, dieses „ich u mein Fleisch sind besser als alles andere Volk.“ Er hat sich in seiner ganzen Höhe u seiner abscheulichen Niedrigkeit, in seiner Unfähigkeit zu denken zu prüfen aber in seiner Wollust, die, die sich nicht wehren können zu quälen u zu beleidigen gezeigt.

So stehen die Dinge. Als ich von Zürich her mich über solche Behandlung beklagte und hoffte, nur einen Wink geben zu müssen um Mama zu veranlassen ihre Rohheit wieder gut zu machen, da kam jener BriefDie Korrespondenz zwischen Emilie und Armin Wedekind ist nicht überliefert., in dem sie mein Betragen als Neid u Mißgunst auslegt u daneben Emma beschuldigt aus gekränkter Eitelkeit jene Scene durch mich herbeigeführt zu haben. Diese dummen u lächerlichen Beschuldigungen ließ ich allerdings unbeantwortet.

Mama hat wohl nachträglich gefühlt, daß sie ein Unrecht begangen. Es läßt sich aber so etwas nicht durch kleine Spenden wieder gut | machen. Ich fordere von Mama einSchreibversehen, statt: eine. bündige Erklärung über ihr Verhalten, denn nur Offenheit kann in einem solchen Falle helfen.

Wenn Du dabei eine Vermittlerrolle s/ü/bernehmen willst so habe ich nichts dagegen sobald wir mit einander im Klaren sind. Die Sache von damals als Spaß auszulegen, wie Du das im letzten Briefenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 10.12.1889. thust, möchte doch wohl verfehlt sein, nachdem Deine Indiscretion sowohl bei Emma als mir den schlechtesten Verdacht gegen Dich rege gemacht. Du hättest nachdem ich so mit Dir gesprochen hatte, wissen können daß ich damit nicht spasse u vor Mama u Emma schweigen dürfen, das wäre anständig gewesen!

Ebenfalls zurückweisen muß ich Dein Ansinnen, daß es sich jetzt um eine gewöhnliche Differenz zw à la Pfarrerin u SchwiegermutterAnspielung nicht ermittelt. handelt. Emma hat mit Mama nie eine Auseinandersetzung gehabt, sie hat leider stets jede Beleidigung ertragen ohne die gehörige Antwort darauf zu geben (auf die es dabei allerdings wahrscheinlich abgesehen war.) Emma befindet sich überdies am Ende ihrer Schwangerschaft sodaß ich sie bitte sie vollständig aus | dem Spiele zu lassen. Sie weiß weder von diesem noch dem vorigen Brief vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889.an Dich etwas. Ich hoffe ich kann mich wenigstens mit dieser Bitte auf Dich verlassen. Daß Du trotz meinem ausdrücklichen Wunsch an Mama geschriebenvgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.12.1889. hast ist mir sehr unangenehm u entschlage ich mich in dieser Beziehung jeder Verantwortung.

Ich überlasse es Dir nun zu thun was Du für gut findest. Daß ich mir von zu Hause eine Behandlung wie die bisherige nicht weiter gefallen lassen kann scheint auch Dir klar zu sein, doch kann ich nicht den ersten Schritt thun, wo es an den andren ist ein bitteres Unrecht einzugestehen u gut zu machen. Sonst So muß ich sogar eben riskiren, nach allen Seiten die Fühlung zu verlieren, da ich zu einem Diplomaten nach Deinem Sinne kein Talent habe.

Indem ich hoffe, daß das nächste Jahr mir von den Meinigen etwas mehr Liebe u Achtung entgegenbringt u zugleich das Mißtrauen in Dich schwinden Möge verbleibe Dein Bruder
Armin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 14. Dezember 1889 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

L. B.

I. schicke Dir anbeiDer Brief war das Begleitschreiben zu einer Geldsendung. Armin Wedekind verwaltete das Geldvermögen der Familie nach dem Tod des Vaters, so dass sich Frank Wedekind zur Auszahlung von Teilen seines Erbes an ihn wenden musste. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind den Betrag von 100 Mark für den 14.12.1889 [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. was gerade vorräthig (100 M), solltest Du mehr benöthigen so bitte ich Dich sofort Nachricht zu senden.

Auf baldiges Wiedersehn!
Armin.


Rb. 14. Dec. 89.

Frank Wedekind schrieb am 15. Dezember 1889 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

München 15 XII 89.


Lieber Bruder,

dein lieber Briefvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 11.12.1889. Der Brief ist demnach am 13.12.1889 in München angekommen. von vorgestern hat mich in meinem voreiligen Versöhnungseifer ziemlich ernüchtert. In erster Linie hatt’ ich dich allerdings mißverstanden. Ich glaubte aus dem weinerlichen Ton deines vorherigen Briefesvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889. schließen zu dürfen, daß es dir mein Eingreifen in die Mißverhältnisse ohne Vorbedingung willkommen wäre. Nun aber meine Qualification zur Vermittlerrolle von einem zuvor zu bestehenden ExamenArmin Wedekind hatte von seinem Bruder „Aufklärung“ bzw. eine „Erklärung“ über früheres Verhalten verlangt, bevor er ihn als Vermittler akzeptieren wollte [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 11.12.1889]. abhängig gemacht wird so scheint es mir ungleich einfacher wenn du dich an einen von vornherein zuverlässigern und zugleich im Lande selbst w/W/ohnenden wendest. Ich würde Dir deinen Freund MützenbergErnst Mützenberg, Sohn eines Gerichtspräsidenten und Studienfreund von Armin Wedekind mit einer Praxis in Spiez. oder auch den Bierkater Burkhartmöglicherweise der mit Minna von Greyerz befreundete Eduard Burkhard, „ein sehr ernster junger Mann, mit soliden Grundsätzen“ [Minna von Greyerz an Wedekind, 30.7.1889], von dem sie allerdings glaubte, Wedekind würde ihn nicht „goutiren“. vorschlagen, denen beiden wol eine frivole Auffassung der Sache gleich fern liegen/t/. Der Umstand daß ich um deinetwillen Donald persönlich abzuholen | gedachte hätte dir eine gewisse Garantie für meine Aufrichtigkeit bieten können. Allerdings wär es mir auch nicht gut möglich gewesen, deine Frau dabei vollkommen aus dem Spiele zu lassen, wie man eben in der Regel k einen Storcht nicht braten kann, wenn man keinen hat. Ich würde ihr einige ganz sachliche Winke ertheilt haben die ihr – gerade ihr den Umgang mit Mama erleichtert hätten und somit, falls ihr die Geschichte nur einen Pfennig werth ist, wol eher vortheilhaft als nachtheilig auf ihre Schwangerschaft gewirkt haben dürften. Ich zweifle übrigens gar nicht, daß auch diese deine Bedingung obgenannten Vertrauensmännern Du mußt nothwendig auch den Pfarrer Bärmöglicherweise Pfarrer Jakob Baer aus Uster [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 147]. mitschicken. Er kann sich dann wieder, wie an deiner HochzeitArmin Wedekind und Emma Frey hatten am 21.3.1889 geheiratet., vollsaufen und Mieze mit Zärtlichkeiten anekeln. keinerlei Schwierigkeiten bereiten wird und bedauere nur daß man sich nun zu Haus schon vergebens auf meine Erscheinen zu Weinachten gefreut hat. Mama zeigte sich nämlich in der That meinen Bemühungen gegenüber durchaus nicht unzugänglich, was die Freude an meiner zu spielenden Rolle noch bedeutend erhöht hatte.

Daß du dich auch jetzt noch mit der Gratulationsgeschichte nicht abgefunden, hat mir eigentlich am | meisten zu denken gegeben. Sieh lieber Hammifamiliärer Spitzname Armin Wedekinds., ich habe noch meiner Lebtag in keiner Gesellschaft verkehrt, in der man „einen anschwärzt“diese und die weiteren in Anführungszeichen gesetzten Formulierungen sind keine Zitate, sondern sinngemäße Übernahmen aus den beiden letzten Briefen Armin Wedekinds an Frank Wedekind. „einem etwas steckt“ „einen aufhetzt“ und wie deine übrigen Ausdrücke heißen. In meinen Bekanntenkreisen ist von jeher über jeden offen gesprochen worden, wodurch der Verkehr Leben, Interesse und einen gewissen Ernst erhielt. Übelnehmereien, Beleidigungen e.ct. sind dadurch ausgeschlossen, daß, was auch verhandelt werden mag, keiner an der guten Absicht, der Harmlosigkeit der Übrigen zweifelt. Daß man über die Menschen spricht wenn sie nicht anwesend sind bringt den Vortheil mit sich daß dann die Begriffe Lob und Tadel wegfallen und das pure Interesse in den Vordergrund tritt. So haben wir es bei meinem ersten AufenthhaltSchreibversehen, statt: Aufenthalt. Frank Wedekind ging zum Wintersemester 1884/85 als Jurastudent nach München. Ein Semester lang studierte er gemeinsam mit seinem Bruder Armin in München und teilte sich die Wohnung mit ihm, bevor Armin nach Zürich wechselte. Frank Wedekind blieb bis zum Sommer 1886 in München und kehrte nach Aufenthalten in Zürich und Berlin am 4.7.1889 wieder dorthin zurück. hier in München gehalten, so in Zürich, in Berlin, so hab ich es zu Hause vorgefunden und so leb ich auch nun wieder unter neuen Bekannten. Dagegen erinnre ich mich noch sehr wol in Z/d/er Zofingianichtschlagenden schweizerische Schüler- und Studentenverbindung, der Armin Wedekind am 18.5.1881 beigetreten war. oft stundenlange Debatten darüber mit angehört zu haben, ob Loch oder Zapfendie beiden Bezeichnungen aus der Holzverarbeitung hier wahrscheinlich als Stellvertreter für beliebige Namen; eventuell auch Biernamen von Mitgliedern der Zofingia. der Beleidiger resp. Beleidigte sei und ob resp. wie Loch oder Zapfen Genugthuung werden müsse. Wie kamst du diesen Sommer dazu, Mama „zu stecken“ was ich dir in Bezug auf den Schanzenabbruch„Im Jahr 1889 waren diverse Restaurierungsarbeiten, [...] auch an der Schanze [...] auf Schloss Lenzburg, notwendig geworden. Im Zuge dieser Arbeiten beschloss die Gemeinde Lenzburg, den Schlossfelsen wegen eines möglichen Absturzes untersuchen zu lassen“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 149], wobei diese am 26.2.1890 abgeschlossenen Untersuchungen ergaben, ein Abbruch der Schanze sei nötig, was wiederum zum Streit zwischen Emilie Wedekind und der Stadt Lenzburg führte [vgl. ebd.]. Wedekind hatte von der Notwendigkeit, das Befestigungswerk auf Schloss Lenzburg abzureißen, von seiner Schwester erfahren [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 11.8.1889]. Im Tagebuch hielt er dazu am 15.8.1889 fest: „Vormittag erhalt ich einen Brief von Mati der mich in Schrecken setzt durch die Nachricht, die Schanze solle abgebrochen werden.“ geschrieben. Der Briefnicht überliefert; in Frage kommen die erschlossenen Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 19.8.1889 oder 21.8.1889. Erika Wedekind berichtete von Wedekinds „sarkastischen Bemerkungen über den Schanzenabbruch“ in diesem Brief, „die dann Hammi mit größtem Wohlbehagen auftischte“ [Erika Wedekind an Frank Wedekind, 22.9.1889], nachdem es wegen Frau Mink zum Streit mit seiner Mutter gekommen war. | war nun allerdings darauf berechnet und ist auf dem vorausgesetzten Wege richtig an seine Adresse gelangt. Deshalb bleibt deine Handlungsweise aber doch ein „Anschwärzen und Aufhetzen“. Übrigens kannst du dich in diesem Fall trösten. Jenes Briefes ist bis heute zwischen Mama und mir noch nicht mit einer Sylbe Erwähnung geschehen und unser Verkehr um kein Haar weniger herzlich als zuvor. Wenn du darauf bestehst unseren Verkehr nach Zofingia-Commentdie geschriebenen und ungeschriebenen Regeln innerhalb einer Studentenverbindung (von frz. ‚wie‘). zu gestalten, so bestehe ich meinerseits darauf, wenigstens auch einen schriftlichen Contocorrent(ital.) laufende Rechnung; verzeichnet die gegenseitigen Zahlungen zweier Geschäftspartner. über unsern Umsatz an Beleidigungen zu eröffnen, damit unsere s respectivenjeweiligen. Nachkommen daraus ersehen können mit welchen Mitteln es ihren Vätern glücklich gelungen ist, sich das Leben zu verbittern.

Es erregt mir beinah Brechreiz dir auf deine übrigen Anklagepunkte zu antworten. Dir speciell gegenüber hab ich von jeher ein reines Gewissen gehabt und deiner Frau gegenüber war mein Gewissen seit letztem Winter so rein wie ein frisches Bettlaken. Während ihres Lenzburger AufenthaltesEmma Frey war über Weihnachten 1888 ohne ihren Verlobten in Lenzburg zu Besuch [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 24.12.1888]. thaten wir im Verein was in unseren Kräften stand um ihre bodenlose Langweiligkeit, ihre Abgeschmacktheiten, ihre naiv sein sollenden Witze, für die man | ein fünfjähriges Kind rüffeln würde, zu verdauen, und sie den Eindruck, den sie damit hervor rief nicht fühlen zu lassen. Ich studirte mir meinen Hirnkasten aus wofür sich diese Seele wol interessiren lassen würde. Als der Brunnen reparirt wurde, war kein Mensch im ganzen Schloß der sich nicht für die interessante Arbeit erwärmt hätte, außer ihr. Sie mochte das selber fühlen und wollte wol ein übriges thun als sie mich in folgende Unterhaltung verwickelte. Mit Mama sprach ich im Saal drüber ob und wie hoch wol Wasser im Brunnen stehe, da fragt mich Emma: Ist denn das Wasser tief im Brunnen? – Nun, so circa 30 Fuß. – Aber ist denn das sehr tief? – Nun, das ist etwa dreimal so tief wie diese Stube. – Das ist aber nicht sehr tief. Ich hätt’ es mir tiefer gedacht. – Du meinst den ganzen Brunnen? Der ist etwa 180 Fuß. – Ist das tief für einen Brunnen oder ist es nicht sonderlich tief? – Nun ich habe noch keinen tieferen gesehen, – worauf sie mir entgegnet: Das ist aber ein tiefer Brunnen!! – Wie ein Hund der ein paar Fußtritte gekriegt, drückt ich mich zur Thür hinaus | und fand nur geringe Erholung darin das Cabinetstückin der Regel ironisch verwendete Bezeichnung für ein seltenes Meisterwerk oder eine besondere Leistung. von Conversation in meinem Tagebuch zu verewigen. Ich gab ihr eine Handvoll der interessantesten Bücher, erstens in der Voraussetzung, daß ich ihr als einer gebildeten Person einen Gefallen damit erweise und zweitens um wenigstens dies oder jenes Gesprächsthema zwischen uns zu schaffen. Eine halbe Stunde später giebt sie mir sämmtliche mit Dank wieder zurück und mit der Bemerkung sie gefielen ihr nicht – nach einer halben Stunde! Es waren Turgenieff „Väter und Söhne“ darunter die mir meine gegenwärthige Wirthin hier vor einiger Zeit mit der Bemerkung zurückgab, das sei ihr ein liebs liebs Bücherl, ein Urtheil, das sie keineswegs einem speciell litterarischen Interesse zu danken hat. Meine Wirthin ist WäscherinWedekinds Vermieterin Anna Mühlberger war „Kleidermacherin“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1890, Teil I, S. 235]. und steht den ganzen Tag über im Waschhaus aber sie besitzt eine gewisse Dosis Kopf und Herz die sie für den in der ganzen Welt hochgeachteten Poeten reactionsfähig macht. Deine Frau reagiert nur auf Julius Stindezeitgenössischer Erfolgsautor, der in den 1880er Jahren mit seiner humoristischen Romanreihe „Familie Buchholz“ bekannt wurde., die sprichwörtliche Seichtigkeit und Banalität. Du erinnerst dich noch wie sie in deiner Gegenwart von den Frühlingswogen1873 erschienene und im gleichen Jahr ins Deutsche übersetzte Novelle von Ivan Turgenev, deren Handlung in Deutschland spielt. | sagte „Es ist Lenz“. Du wurdest damals roth bis über die Ohren. Ich frage dich nun, da wir dank deiner Übelnehmerei so weit gekommen, auf welcher Seite wol dieses Blech zu suchen sei. – Ich machte ihr während der 14 Tage mehr als einmal den Vorschlag, sie zu Frau OschwaldDie Schriftstellerin und Laiendarstellerin Fanny Oschwald, Schwester von Wedekinds Tante Bertha Jahn und Mutter seines Mitschülers Walther Oschwald, der später Erika Wedekind heiratete. zu führen, worauf sie mir entgegnete, du würdest wüthend werden. BeruthSchreibversehen, statt: Beruht. nun diese Antwort auf Wahrheit, so ist das ein trauriges Zeichen für dich. Beruth sie auf Unwahrheit so ist es ein unendliches traurigeres für deine Frau. Ist aber die ganze Geschichte, wie du keinen Augenblick zweifeln wirst, behufs Aufhetzung von mir aus der Luft gegriffen, so wäre alle Bemühung mich je wieder deiner Achtung würdig zu zeigen, an sich eine Narrheit. Anknüpfend an jene Bemerkung erzähteSchreibversehen, statt: erzählte. sie mir dann von deiner fortwährenden Eifersüchtelei und daß sie ihre liebe Noth mit dir habe. Wozu das? Es wäre mir jedenfalls angenehmer und interessanter gewesen hätte sie mir irgend etwas von Dir vorgeschwärmt. Später erfuhr ich dann, daß sie auch Mama und Mieze mit diesem Stoff unterhalten. und Mieze hat daraus den Schluß gezogen sie sei falsch, meiner Ansicht nach durchaus mit Unrecht. Es war nichts als Ziererei | auf Grund ihrer maßlosen Dummheit, die nämliche läppische Ziererei, mit der sie sich bei der Unterzeichnung des Ehecontractes nothwendig geniren zu müssen glaubte und sich dabei anstellte wie ein/als/ säße sie auf dem Kackstuhl. Deine Frau mag sich anstellen wis/e/ sie will, ich werde sie nie für falsch halten; aber mit der Dummheit ist eben am schwersten auskommen. So hat sie sich denn auch in unserm geselligen Verkehr allen Augenblick verletzt fühlen müssen. Behandelte man ein ernstes Thema so konnte sie nicht mitsprechen und wurde gescherzt so blieb sie regelmäßig die Antwort schuldig. Auf diese Weise wird der harmloseste Witz eben verletzend. Was war das, als du eines Sonntags herüberkamstaus Riesbach bei Zürich, wo Armin Wedekind wohnte und eine Arztpraxis eröffnet hatte. für ein Geschrei über eure Kartoffelklöße. Beim Thee wurde über nichts als Kartoffelklöße gesprochen. Deine Braut will sie kochen lernen und Mama verspricht mit vor Freude strahlendem Gesicht in den nächsten Tagen welche zu kochen. Nach dem Thee wird im Saal musizirt. Deine Braut und du sitzen in einer Ecke in eifrigstes Geflüster vertieft, so daß ich in meiner Einsamkeit in der gegenüberliegenden Ecke mich von den wehmüthigsten Gedanken beschlichen fühle. Unversehens hört | ich dann das Wort Kartoffelklöße aus eurem Geflüster heraus. Und werden also drei Tage später richtig Kartoffelklöße gekocht, wobei deine Braut ein einziges Mal auf 5 Minuten, bis über die Ohren in ihren Schal eingewickelt in der Küche erscheint. Dieses Gethu war nicht eben geeignet Mamas Begeisterung für ihre Schwiegertochter zu nähren und dessen ungeachtet hat auch sie alles hinuntergeschluckt und nur im Stillen die Tage bis zur Abreise gezählt, bis es schließlich zu einem gelinden Krach kam, nota bene(lat.) wohlgemerkt., einem Krach um deinetwillen. Aber ich werde hier mein Tagebuch selber sprechen lassen.

18.(III)Das Tagebuch ist nicht überliefert; der Eintrag stammt wahrscheinlich vom 18.3.1889, drei Tage vor Armin Wedekinds Eheschließung.Mieze stört mich bei der Toilette mit der Nachricht daß Mama und Emma sich gezankt haben. Emmchen hat sich wieder über Hammi’s Eifersucht ausgelassen. Sie seien in der TonhalleDie Zürcher Tonhalle im Kornhaus am See beherbergte neben einem Konzertsaal (1867 bis 1895 betrieben) auch ein Restaurant und einen Palmengarten. 1895 wurde die neue Tonhalle am Alpenquai eröffnet. gesessen. Ihr Vater habe einen Herren, Freund von Hamminicht ermittelt. , an ihren Tisch gebeten. Hammi sei aufgestanden und habe sie, Emma mit nach Hause geschleppt. Zu Hause werde er unruhig wenn ein Besuch komme, gesellschaftlich ungenießbar, und ihre Mutter habe ihr gesagt, sie werde noch einen „Bösen“ an ihm kriegen. Mama | protzt los(schweiz.) ufprotzen = „zornig auffahren […], polternd aufbegehren“ [Schweizerisches Idiotikon, Bd. 5, Sp. 1042].. Sie werde auf jeden Fall mit ihm sprechen; er sei früher anders ges/w/esen, habe sich mit den Fröhlichen gefreut. Sie wolle doch sehn ob er sich so verändert. – Sie solle ihm um Gotteswillen kein Wort sagen. – Keine Idee! Sie werde ihn zur Rede stellen. – Nein nein, sie wolle ja alles tragen. – Wenn sie’s tragen wolle, dann solle sie auch das Maul halten. Und wenn sie es sagen wolle, so solle sie’s zuerst ihm sagen, entweder du behandelst mich anständig oder du kannst deiner Wege gehn. – Emmchen in Thränen. Versöhnung. Nach Tisch begleitet sie Mama in die Stadt und sucht ihr das Versprechen abzunöthigen, nichts zu sagen. Mama sagt, sie will es sich überlegen. Am Abend sag/ha/t Emmchen Migräne und sitzt stumm beim Ofen. Mama hat die Überzeugung gewonnen, daß sie ihn liebt. – Nach Tisch zu Minna e.ct.

Ich will diesen Brief nicht fertig schreiben. Ich hätte dir noch viel zu sagen aber ich will es dir und mir ersparen. Ich fühle mich durch das Gesagte schon so deprimirt, daß ich eile zu meiner Arbeit zurückzukommen. Ich werde mich doch nicht wegen geistiger Sklavenhaltereidiese und die folgenden unterstrichenen Formulierungen sind zugespitzte Äußerungen aus den beiden letzten Briefen des Bruders [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889 und 11.12.1889]., wegen Experimentalpsychologie und wegen Suggestion von Vorurtheilen für die Zeit meiner Abwesenheit verantworten. Und wenn ich es um des lieben Friedens willen wollte, so möchtest du in drei Wochen da oder dorther die j/od/er jene Äußerung von früher erfahren und all meine Mühe wäre umsonst. Du weißt die Courtoisie(frz.) Höflichkeit, feines Benehmen. des Umgangs nicht zu schätzen, so will ich dich denn damit verschonen. Im Bewußtsein alles redlich und rechtlich zu wollen, verlangst du von deinen Angehörigen, sich gegenseitig in der Überzeugung zu bestärken daß ein Schimmel ein Rappe sei. Willy der drei Tage lang nichts als Gutes von euch genossen, erklärte mir am ersten Abend deines Lenzburger Aufenthaltes daß er von deiner Frau gar nicht viel halte, aber zu sehr Egoist sei, um sich die Angelegenheit näher gehn zu lassen. Dem hab ich wol zuvor nach Afrika hinüber hypnotisirtWilliam Wedekind war mit seiner Frau im Herbst 1889 nach Südafrika ausgewandert, der genannte Besuch in Lenzburg fand vorher statt. 1888 war William Wedekind in Nordamerika gewesen, so dass Frank Wedekind hier vermutlich Afrika und Amerika verwechselt hat.. Du sagst ich hätte die Braut meines Bruders nicht in ihr geachtet. Sobald sie deine Braut geworden war sie mir als solche heilig und hätte sie jemand beschimpfen wollen, so hätt ich mich dazwischen gestellt und werde deiner Frau gegenüber stets das nämliche thun, mag sich nun das Verhältniß zwischen uns gestalten wie es will. Der beste Beweis für diese meine Gesinnung hätte dir mein letzter Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 10.12.1889. sein können. Da ich nun indessen aber aus deinen | Anschuldigungen gegen jedermann ersehe, wie du überall bösen Willen voraussetzt ohne die Verhältnisse deren Urheber du selber bist im geringsten in betracht zu ziehen, so ist das klare Bild das du mir von dem Lenzburger Vorgang zu geben bemüht bist ziemlich verdunkelt worden. Das Thun und Wesen deiner Frau, ihre jedes geistigen Gehaltes, jeder körperlichen Grazie entbehrenden krampfhaften Bemühungen, sich liebenswürdig zu machen, haben für jeden der nicht in sie verliebt ist, etwas enervirendesetwas auf die Nerven Gehendes, Strapazierendes., etwas das einen allmählig in eine hochgradige höchst unbehagliche Erregung versetzt, etwa so wie Zahnweh oder andauerndes KlaviergeklimperWedekind hatte eine Abneigung gegen „Klaviergeklimper“ [Wedekind an Maximilian Harden, 10.9.1913].. woraus erklärlich wird, daß man sich eben schließlich mal vergißt, wie es Mama letzten Sommer offenbar passirt ist. Ich habe dir das schon früher gesagt und du hättest damit rechnen können. Aber statt Liebe und Vertrauen sich mit der Zeit aus den Verhältnissen entwickeln zu lassen, wie es nothwendig von selbst geschehen würde, pochst du fortwährend darauf, daß sie noch nicht vorhanden sind, das einzige Mittel um sie im Keim zu ersticken. Werr Hund und Katze zusammenbringt, darf sich nicht wundern, daß sie einander in die Haare gerathen. Aber mit der Zeit wird in der ganzen Welt auch aus Hund und Katze das beste Freundespaar. Wenn du Mama | hochmüthig und stolz nennst, so ersuch ich dich das dem geringsten ihrer Tagelöhner gegenüber zu wiederholen. Du kannst dir auf diese Entdeckung was zu gute thun. Du bist auf Gottes weiter Welt jedenfalls der erste, der sieh gerade dieser Fehler verdächtigt. Auf was für Gedanken kommt man aber auch nicht, wenn man sich gewaltsam die Augen zuhält. Übrigens hast du ja Mama Frey als Ersatz, die, wenn auch nicht so gemüthvoll, so liebevoll, so taktvoll wie unsere Mutter, doch dafür um so bornirterengstirniger, uneinsichtiger. ist, an Geist eine Mediceische Venusantike Statue aus dem 1. Jahrhundert vor Christus; Abgüsse von ihr waren in bürgerlichen Haushalten zeitgenössisch weit verbreitet. Die Statue galt als Ideal klassischer weiblicher Schönheit. , an Körperschönheit ein Conversationslexicon, ein „Faust II. Theil“ an Thatkraft und Energie und an S/s/eelischer Tiefe die vollendete Dampfmaschinen, und welche deinen Ansprüchen ohne Zweifel nachgerade unvergleichlich besser convenirtzusagt, gefällt.. Ja ja, was Schwiegermütter betrifft hast du’s vortheilhafter getroffen als deine arme Frau. Du brauchtest nur in deinem bisherigen Abstieg vom Elternhaus durch den TurnvereinArmin Wedekind war Mitglied im Kantonsschülerturnverein Aarau. und die Zofingia hindurch weiter zu steigen; und sie sollte hinauf. Und da das nun einmal nicht geht sollen wir eben herunterkommen, gleichfalls sein wie die Kindlein, mit Verknügen und mit Vergnüken und mit Verknüken und mit Vergenügen uns die Zeit vertreiben | und „gogen lugen“(schweiz.) schauen gehen. und uns gieren und genieren und übelnehmen und Skat spielen zur Erhöhung des häuslichen Glücks und bei Leibe von keinem Menschen, dem es zu Ohren kommen könnte etwas unvortheilhaftes sagen. Dein Windmühlenrennenein aussichtsloser Kampf, abgeleitet von Miguel Cervantes Roman „Don Quijote“ (1605), dessen Titelheld gegen Windmühlen kämpft, die er für Riesen hält. gegen das Princip des fre gesunden Egoismus und der freien Individualität ist an sich so klassisch daß es mir ferne liegt seine Wirkung durch einen Commentar abzuschwächen. Ihren Höhepunkt erreicht deine Naivetät indessen in deinen Auslassungen über Frl. Mink. Nachdem du das Mädchen mit Schubkarrenvoll des unflätigsten Schmutzes beworfen zweifelst du nicht daran, daß sie mir ausnehmend behagen würde. Danke schön! Mir hat noch meiner Lebtag keine „Dreckseele“Zitat aus Armin Wedekinds letztem Brief [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 11.12.1889], der die Untermieterin Mink auf Schloss Lenzburg so charakterisiert hatte. behagt. Da mir aber das Behagen auch von anderer Seitevgl. Minna von Greyerz an Wedekind, 30.7.1889. versichert wird so glaube ich daran, indem ich mich an die Majorität halte in der dein Urtheil den Ausschlag giebt, und stelle dir deinen Düngerhaufen, für den ich keine Verwendung finde, wieder zur Verfügung. Sieh, lieber Bruder, schon in deinem ersten Briefvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 27.11.1889. beginnst du zu schimpfen und ich habe mit keiner Sylbe davon Notiz genommen. Und in deiner Antwort reihen | sich nun die Schimpfwörter so fließend an einander wie Perlen an einer Schnur. Wo ndiese oder jene Beleidigung gefallen oder Mißverständnisse vorliegen da läßt sich mit gute Willen alles in’s Geleis bringen. Wo aber Begriffe wie „Haß“ „Verachtung“ „Bosheit“ e.ct. zur Verwendung gelangen, da bleibt jede Versöhnung elende Flickschusterei. Und deshalb dank ich dir daß du mich durch deine Hochnothpeinlichkeit einer Aufgabe enthoben, der ich doch vermuthlich nicht gewachsen gewesen wäre. Dagegen bedaure ich von Herzen daß ich dir, statt des eines Weihnachtspresentes, das auch mir Freude gemacht hätte, nun Dank deinem Heißhunger nach Aufrichtigkeit nicht umhin kann, dieses weniger erfreuliche darzubringen. Dessen ungeachtet wünsch ich euch frohe Feiertage

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 1. Februar 1890 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

Riesbach, den 1.II.90.


Lieber Bruder!

Anbei 200 frsDer Brief war das Begleitschreiben zu einer Geldsendung. Armin Wedekind verwaltete das Geldvermögen der Familie nach dem Tod des Vaters, so dass sich Frank Wedekind zur Auszahlung von Teilen seines Erbes an ihn wenden musste. Im Tagebuch vermerkte Wedekind den Betrag von 200 Francs für den 4.2.1890 [vgl. Tb, Übersicht, S. 116]., Alles, was mir im Moment zur Verfügung steht. Deinen AuftragZusammenhang nicht ermittelt. an Donald werde ich mir erlauben, nicht auszurichten, da ich es nicht nothwendig für ihn finde, sich im Gegenwärtigen Moment zu bespiegeln. Ich vermuthe Du werdest das verstehen, wenn ich Dir mittheile, daß er, nachdem er auf hiesigem Gymnasiumdie Kantonsschule Zürich. Emilie Wedekind hatte Frank Wedekind geschrieben, dass Donald in Zürich abgewiesen worden sei, „weil er von zwei Schweizer Gymnasien fortgelaufen war“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 8.2.1890]. nicht ankommen konnte u auch die FremdenmaturitätZulassungsprüfung an der Universität Zürich für Nichtschweizer und Schweizer ohne schweizerische Matura. vor Ablauf seiner normalen Gymnasialzeit für ihn nicht offen steht, nun gestern mit Mama nach Aarauzum erneuten Besuch der dortigen Kantonsschule, die Donald Wedekind 1888 nach der 1. Klasse verlassen hatte. ist, wo er sich eben so gut es geht in die Verhältnisse finden muß. Mamas Entschluß geht dahin, ihm, falls er nicht in Aarau bliebe bis zur Maturität, zu keinem weiteren Studium Unterstützung zu gewähren, sondern ihn | nach ihrer WahlEmilie Wedekind schwebte für ihren Sohn eine Ausbildung zum Buchdrucker vor [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 1.2.1890]. ein Handwerk lernen zu lassen.

Sein Antheil am Vermögen, wird, weil er eine fürchterliche AngstArmin Wedekind billigte diesen Wunsch Donalds nicht, wie die Abschrift eines Briefes „Hammi an Doda“ vom 7.2.1890 in Frank Wedekinds Tagebuch belegt: „Leider muß ich wieder hören, daß Rohheit und feige Ängstlichkeit noch immer die Triebfedern deines Benehmens sind. Deine eigene Erbärmlichkeit ist aber so groß, daß man sich ein Gewissen daraus machen müßte, an Charakter oder Vertrauen bei dir zu appeliren und so ist es sowohl Mamas als mein Entschluß, dir wenigstens aus der Angst über dein Vermögen, das dir ja gewiß noch einige Jahre Nichtsthun fristen kann, wenn es dir einmal zufällt, hinwegzuhelfen. Dein Antheil am Vermögen basirend auf dem Status vom 31. Dec. 1889 wird abgesondert verwaltet und zur Bewirthschaftung des Schlosses nicht weiter beansprucht werden. Dein Antheil an diesen Kosten wird dir aufgeschrieben und nach einem einstigen Verkauf der Liegenschaften in Lenzburg von deinem Antheil an denselben abgezogen werden. Ich hoffe mit dieser Zusicherung deinen rohen Gefühlsausbrüchen und erbärmlichen Anschuldigungen gegen Mama den Boden entzogen zu haben.“ gezeigt hat, derselbe möchte durch die Kosten für das Schloß aufgezehrt werden, vom übrigen abgesondert verwaltet werden u sein Antheil an den Kosten für’s Schloß später von seinem Theil am ErlösEmilie Wedekind wollte nach dem Tod ihres Mannes das Lenzburger Schloss verkaufen, was sich allerdings bis zum Frühjahr 1893 hinzog, bis das Schloss für 120.000 Franken an den amerikanischen Unternehmersohn August E. Jessup verkauft wurde [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 157]. für dasselbe abgezogen werden.

In der angenehmen Hoffnung der Brief werde Dich bei guter Gesundheit antreffen verbleibe ich Dein treuer Bruder
Armin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 4. April 1890 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

DR. MED. ARMIN WEDEKIND
Seefeldstrasse 81, RIESBACH


Lieber Bruder!

Du weißt wohl daß ich Dir das GeldDer vorliegende Brief war das Begleitschreiben zu einer Geldsendung. Armin Wedekind verwaltete das Vermögen der Familie nach dem Tod des Vaters, so dass sich Frank Wedekind zur Auszahlung von Teilen seines Erbes an ihn wenden musste. Im Tagebuch vermerkte er den Betrag von 200 Francs für den 6.4.1890 [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. was Du verlangst stets ohne Weiteres schicke. Hingegen kann ich Dich nicht vor Warten bewahren, wenn Du nicht geneigt bist meiner früher ausgesprochenen Bitte zu willfahren u Deine Aufträgedie regelmäßigen Bitten um die Zusendung von Geld. etwa 8 Tage vor dem gänzlichen Erschöpftsein Deines Geldbeutels einzusenden. Ich habe selten soviel übriges Geld liegen, daß ich es Dir gleich hinsenden kann. Und eine Karte schreiben kann ich Dir auch nicht | bevor ich weiß, oh/w/oher u wann ich das Geld kriege. Weiß ich aber daß das, dann kann ich es auch meist gleich schicken. Wenn Du Dich also in Zukunft vor dem unangenehmen Warten bewahren willst, so bitte meinen Rath zu beachten.

Mit herzlichem Gruß

Armin.


Riesbach, den 4. April 1890.


N.B. Anbei 200 frs

Es wäre auch besser wenn ich Zeit hätte deutsche Banknoten zu schicken, da an den andern viel verloren geht.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 14. Mai 1890 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Bruder!

Hiemit 250 frs.Der vorliegende Brief war das Begleitschreiben zu einer Geldsendung. Armin Wedekind verwaltete das Vermögen der Familie nach dem Tod des Vaters, so dass sich Frank Wedekind zur Auszahlung von Teilen seines Erbes an ihn wenden musste. Im Tagebuch vermerkte er den Betrag von 250 Francs für den 15.5.1890 [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. Ich wartete von Tag zu Tag auf Zinsen welche ich bis heute noch nicht erhalten. So nehme ich denn was ich selber noch liegen habe, u bin damit so ziemlich auf dem trocknen. Ich werde mir mit der letzten Reserve, der Leihkasse Neumünster„Durch die Initiative der Gemeinnützigen Gesellschaft des Wahlkreises Neumünster wurde im Jahre 1860 unter der Firma ‚Leihkasse im Wahlkreise Neumünster‘ eine Aktiengesellschaft in’s Leben gerufen mit dem Zwecke, den Verkehr, namentlich des Handwerker- und Gewerbestandes, durch Befriedigung der Kredit- und Geldbedürfnisse und durch Annahme verzinslicher Gelder nach Maßgabe der Statuten zu erleichtern.“ [Chronik der Kirchgemeinde Neumünster. Hg. von der Gemeinnützigen Gesellschaft von Neumünster. Zürich 1889, S. 648]. Die Kirchengemeinde Neumünster gehörte zu Armin Wedekinds Wohnort Riesbach. helfen müssen. Brauchst Du in Bälde mehr so bitte bei Zeiten zu schreiben.

Dein Goldschmidtder Schriftsteller Leonor Goldschmied. In einer Übersicht seiner Bekannten notierte Wedekind: „Leonor Goldschmidt, realistischer Schriftsteller aus Berlin. (Troll)“ [Tb, Übersicht, S. 53]. Der aus Brandenburg stammende Goldschmied war vom Wintersemester 1888/89 bis Wintersemester 1889/90 als Student der Philosophie in Berlin eingeschrieben (wohnhaft Krausnickstraße 23, später Burgstraße 17) [vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studirenden der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Berlin 1888, S. 68; ebd. Berlin 1889, S. 68]. Leonor Goldschmied war Verfasser von „Troll. Soziale Novelle“ [vgl. Die Gesellschaft, Jg. 6, Nr. 1, Januar 1890, S. 23-38]. ist – ohne daß ich es bedauerte – bis zur Stunde noch nicht erschienenFrank Wedekind hatte offenbar die Adresse seines Bruders als Anlaufstelle für Leonor Goldschmied, der im Frühjahr sein Studium in Berlin abgebrochen hatte, weitergegeben.. Mieze ist gegenwärtig auf ihrer Tourhier im Sinne von Reise. Ob Erika Wedekind, die im Winter 1890 ihr Gesangsstudium in Dresden begann, dabei bereits als Sängerin auftrat, ließ sich nicht belegen. DarmstadtStuttgart begriffen u wird sich wohl noch an letzterem Orte aufhalten.

Hier ist Alles gesund, u weiter nicht viel Neues zu melden.

Mit besten Grüßen
Armin.

Frank Wedekind schrieb am 1. Juni 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 2.6.1890 aus Riesbach:]


Solltest Du nicht im Stande sein diesen TonHinweis auf ein verschollenes Korrespondenzstück. Dass Frank Wedekind seinem Bruder geschrieben hatte, ergibt sich aus einem späteren Brief Armin Wedekinds, in dem er auf einen ebenfalls nicht überlieferten Brief an die Mutter verweist und anmerkt, es handle sich um zwei Zeugnisse der gleichen „schlechten Stimmung“ [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 3.7.1890]. einzustellen wenn Du das Geld nicht gleich zur Verfügung hast […].

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 2. Juni 1890 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Franklin!

In aller Eile muß ich Dir mittheilen daß ich gegenwärtig auch nicht den kleinsten Posten GeldArmin Wedekind verwaltete das Vermögen der Familie nach dem Tod des Vaters, so dass sich Frank Wedekind zur Auszahlung von Teilen seines Erbes an ihn wenden musste. Im Tagebuch vermerkte er den Betrag von 160 Mark erst für den 8.6.1890 [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. zur Verfügung habe, indem ich Mama u Donald das letzte was ich von eigenem Geld hatte geschickt habe. Ich muß eben so ungern ich es thue wieder etwas verkaufenFriedrich Wilhelm Wedekind hatte das Familienvermögen in Wertpapieren angelegt, die, sofern die Zinserträge nicht ausreichten, zum Tageskurs verkauft werden mussten.. Die 10000 frs die ich Mama zu ihrer Verfügung nach Lenzburg schickte sind bereits verbraucht, ebenso 4000 frs, welche ich um nichts zu verkaufen zu billigem Zins bei Dr. FreyArmin Wedekinds Schwiegervater, der Zürcher Bezirksarzt Dr. Gottlieb Frey. aufnahm. Du mußt Dich wenn es irgend geht bis Ende dieser Woche gedulden, im Gegenthei andern Fall telegraphiren, aber bitte höflich und ohne | Deine wie es scheindSchreibversehen, statt: scheint. systematisch werdenden Wahnideen. Solltest Du nicht im Stande sein diesen TonHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 1.6.1890. Vermutlich ging diesem Schreiben eine Anfrage um Geld voraus, der Armin Wedekind nicht sogleich entsprochen hatte. In ähnlichem Tonfall hat Frank Wedekind – vermutlich am gleichen Tag – auch einen nicht überlieferten Brief an seine Mutter geschrieben [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 1.6.1889]. einzustellen wenn Du das Geld nicht gleich zur Verfügung hast so möchte ich Dich bitten Die/ei/nen Antheil am Vermögen in eigene Verwaltung zu nehmen. Die zahlreichen An/Nach/fragen die in letzter Zeit über Deine Thätigkeit in München an mich gerichtet wurden, konnte ich mit der Vermuthung beantworten Du befändest Dich im ersten Stadium des Verdienens, in das Du Dich seiner Zeit mit großer Entschlossenheit hineinzustürzen beschlossen +++ ++++ hattest.

Somit Gott befohlen!

Armin.

Frank Wedekind schrieb am 2. Juli 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 3.7.1890 aus Riesbach:]


Soeben erhalte ich Deinen Brief u da ich Geld liegen habe kann ich Deinem Wunsche auch sogleich entsprechen.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 3. Juli 1890 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

DR. MED. A. WEDEKIND
Seefeldstrasse 81, RIESBACH


Riesbach, den 3.VII.90.


Lieber Bruder!

Soeben erhalte ich Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 2.7.1890. u da ich Geld liegen habe kann ich Deinem WunscheDer vorliegende Brief war das Begleitschreiben zu einer Geldsendung. Armin Wedekind verwaltete das Vermögen der Familie nach dem Tod des Vaters, so dass sich Frank Wedekind ebenso wie seine Mutter und die übrigen Geschwister zur Auszahlung von Teilen des Erbes an den ältesten Bruder wenden mussten. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind den Betrag von 240 Mark für den 4.7.1890 [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. auch sogleich entsprechen. Wegen der KarteEine Benachrichtigungskarte im Falle von Verzögerungen hatte Frank Wedekind wiederholt eingefordert [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 4.4.1890]. muß ich Dir noch einmal sagen, daß ich in dem Moment wo ich weiß, wann ich das Geld haben werde, es meist auch keine 12 Stunden mehr dauert, bis ich es schicken kann, dann alsoeine Karte keinen Sinn mehr hat. Vorher aber könnte ich höchstens schreiben: „gegenwärtig kein Geld da, folgt sobald als möglich“, was Du Dir ebensogut selber denken kannst. Uebrigens werde ich es jetzt so einzurichten suchen, daß ich immer etwas bares Geld zur Verfügung habe, sodaß ich den verschiedenseitigen Wünschen jeweilen schneller entsprechen kann. Uebrigens habe ich Deine Ungeduld u die daraus resultirende Empfindlichkeit einer schlechten Stimmung zugeschrieben, die Dich damals beherrscht zu haben scheint, erhielt doch auch Mama ein solches testimonium(lat) Zeugnis.... Was Du in jenem Briefenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 1.6.1890. schriebst fand allerdings, abgesehen von dem liebenswürdigen Tone des Schreibens Beifall u so viel ich weiß ist jenem Käufernicht identifiziert; Wedekinds Mutter wollte Schloss Lenzburg und die verschiedenen Sammlungen an Gemälden und Antiquitäten ihres verstorbenen Mannes möglichst zügig verkaufen. [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 10.11.1890] für vorläufig abgeschrieben worden. Mieze, glaube ich, beschäftigt sich jetzt mit KatalogisirenErika Wedekind dürfte das zum Verkauf stehende Inventar von Schloss Lenzburg insbesondere die vorhandenen Antiquitäten sowie die Münz- und Kupferstichsammlung von Wedekinds Vater erfasst haben [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 148], um deren Verkauf sich Frank Wedekind kümmern wollte [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 10.11.1890].. Mama hat viel zu thun u viel durchzuma|chen. Wenn Du mit Deiner Arbeit Erfolg haben sollst so würde das mich u andre sehr freuen. Wir sind gesund u wohl.

Mit bestem Gruß
Armin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 10. September 1890 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg, den 10.IX.90


Lieber Bruder!

Anbei 200 FrankenArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Vermögen der Familie und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind den Betrag von 200 Francs für den 10.9.1890 [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. für Dich, von denen Du an DonaldDonald Wedekind war seit dem 13.8.1890 bei seinem Bruder Frank in München zu Besuch. abgeben magst, soviel er noch braucht, welche Summe er mir dann hier b/n/ach seiner Ankunft zur Buchung angeben kann. Ich bin seit circa 8 Tagen hier u werde auch noch etwa ebenso lange dableiben. Wir genießen die schönen Sommertage nach bestem Vermögen in | der freien Luft u sind nicht ungeduldig unsere Zürcher Staub- u Mäusewohnung wieder zu bewohnen. Indem ich hoffe, daß auch an Dir diese herrlichen Tage nicht ohne gute Wirkung vorübergehen verbleibe ich mit besten Grüßen Dein treuer Bruder
Armin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 18. September 1890 in Lenzburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

– Carte postale. –
Union postale universelle. – Weltpostverein. – Unione postale universale.
[…]


Herrn Franklin Wedekind
München
Akademiestr 21. |


L. B.

Da wir Donald letzten Freitag u Samstagam 12. und 13.9.1890. hier erwarteten, er aber bis jetzt noch nicht eingetroffen ist, so bitte ich Dich mir mitzutheilen ob er sich noch in MünchenDonald Wedekind war vom 13.8.1890 bis 17.9.1890 bei seinem Bruder Frank zu Besuch in München, wie dieser im Tagebuch notierte: „Am 13. August kam Donald von Lenzburg mit einer Anzahl Neuigkeiten. […] 17. Sept. Donalds Abreise von München.“ befindet. Hast Du meine Sendungdie monatliche Geldsendung, die Armin Wedekind seinem Bruder aus dem Erbe zuschickte, mit dem dazugehörigen Begleitschreiben [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 10.9.1890]. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind den Betrag von 200 Francs für den 10.9.1890 [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. erhalten? Mit bestem Gruß von uns Allen u einer umgehenden Antwort entgegensehend


Lenzburg den 18.IX.
Armin

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 1. Oktober 1890 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Franklin!

Da ich gegenwärtig gar kein flüssiges GeldArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Barvermögen der Familie, das in Wertpapieren angelegt war, und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Folgt man der Übersicht in Frank Wedekinds Tagebuch, erhielt er am 3.10.1890 200 Mark [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. vorräthig habe u erst etwas von den Werthschriften verkaufen muß um solches zu erhalten so muß ich Dich um einige Tage Geduld bitten. Die 50 Mark die Du Donald geliehen habe ich auf diesem sein Conto gesetzt. Wie Du wohl von ihm selber wissen wirst hat Donald Mama’s entschiedener Aufforderung die Schule in SolothurnDonald Wedekind besuchte seit Frühjahr 1890 zunächst die 5. Klasse des Gymnasiums in Solothurn, das entsprach der 2. Gymnasialklasse in Aarau. Von Konflikten mit dem Rektorat berichtete er bereits im März [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 28.3.1890]. Im Herbst wechselte er in die 6. Klasse [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 29.7.1890]. am letzten Montagam 29.9.1890. wieder aufzusuchen u D/s/ich den Maßregeln der dortigen Lehrerschaft als den Consequenzen | seiner eigenen Handlungen zu unterziehen dadurch geantwortet, daß er sich aus dem Staube machte. Er hat durch sein ebenso langweiliges als aufdringliches Geschwäz es dahin gebracht, daß n/N/iemand seinen Weggang betrauerte, allein und da wohl Niemand behaupten kann, daß Mama ihm gegenüber nicht mehr gethan als ihre Pflicht allein sie hieß u mehr geduldet als das beste u treuste Gemüth ertragen kann, so ist es begreiflicheSchreibversehen, statt: begreiflich. daß sein Weggang allen eine Erlösung war. Allein trotzdem interessirt es mich zu wissen ob er seinen Lebensweg, dessen Verantwortung von nun | an selbstverständlich auf ihm allein u denen lastet, die an seiner kurzsichtigen Ueberhebung etwa noch Antheil haben, nun nach München gefunden hat. Sollte dies der Fall sein so bitte ich um eine kurze Benachrichtigung.

Das Geld also sobald es mir möglich. Bis dahin mit bestem Gruß
Armin.

Frank Wedekind schrieb am 7. Oktober 1890 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Armin Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 8.10.1890 aus Riesbach:]


Auf Deinen Brief nur einige Bemerkungen [...].

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 8. Oktober 1890 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

Riesbach, den 8. Oct. 1890.


Lieber Franklin!

Auf Deinen Brief nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 7.10.1890.nur einige Bemerkungen, da Donald ja durch seine Rückkehr nach Solothurn Dein Anerbieten überflüssig gemacht hat. Meine Andeutungvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 1.10.1890., daß die Verantwortung für seinen künftigen Lebensweg auf denen laste die ihn in seiner kurzsichtigen Ueberhebung unterstützen geht allerdings, wie Du richtig errathen hast zum größten Theil auf Dich, da ich der Ueberzeugung bin, daß ohne Deine mehrmaligen Zufuhren von angemessenem Futter seine Selbstüberschätzung sich noch nicht einen solchen Wanst angefressen hätte, sondern im Gegentheil die mehrmaligen Erfahrungen, die er mit seiner/n/ vermeintlichen geistigen Mitteln machen konnte sobald er auf eigenen Füßen stand seine geistige die Reife seines Geistes u Charakters etwas befördert hätten. –

Donalds Nachrichtvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 24.9.1890. er habe sich auf meine Initiative hin mit mir geprügelt ist mir ein Zeichen, daß er die Welt doch noch nicht vom pessimistischen Standpunkte betrachtet. Die Wahrheit, wenigstens wie sie mir schien | war die, daß ich ihn aus der Stube warf nachdem er meiner Aufforderung, dieselbe zu verlassen keine Folge leistete. Diese Aufforderung war aber eine Folge der Discussion, die sich an meine Uebermittlung von Mama’s Eröffnung anspan/chloß/, daß Donald die Schule am folgenden Sonntag von Beginn an wieder zu besuchen habe und sich den Anordnungen der Lehrer unterziehen müsse. Er kam hierauf mit dem Vorschlag, Dich als Vormund nehmen zu wollen (welches Amt ich Dir, nebenbei gesagt, von Herzen gönnen möchte) u ähnlichem u als das Alles nicht verfing warf er mir die Drohung an den Kopf, daß er zum Gericht gehen müsse u ihn/m/en die Sache übergeben. Es ist begreiflich daß ich daraufhin die Discussion nicht fortsetzte, sondern ihm überließ zu thun was er wolle, ihn aber aufforderte, nicht länger in meinem Zimmer zu bleiben. Der mehrmaligen Aufforderung wurde leider erst in unfreiwilliger Art Folge geleistet. Daß sich Donald nachher in Gemeinheiten über Mama u mich erging ist seinem Character leider angemessen u kann ich aus diesem Grunde verstehen. – Ich muß es natürlich Deinem Ermessen anheim geben, den Cultus der freien Individualität, wie er bei Donald bis jetzt so schöne Blüthen hervorgebracht auch weiter zu pflegen, kann mich aber vorläufig noch nicht entschließen, die überzeugen, daß dieser eine bessere Garantie für das Wohl unseres Bruder bietet als eine gewöhnliche, regelrechte Schul- u Berufsbildung. Uebrigens mit bestem Gruß
Armin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 7. November 1890 in Riesbach folgenden Brief
an Frank Wedekind

7.XI.90.


Lieber Franklin!

Selber auf dem Trockenen konnte ich Dir vorher bis jetzt unmöglich etwas schickenArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Barvermögen der Familie, das in Wertpapieren angelegt war, und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Folgt man der Übersicht in Frank Wedekinds Tagebuch, erhielt er am 7.11.1890 300 Francs [vgl. Tb, Übersicht, S. 117].. Wie sehr wäre es doch in Deinem Vortheil mir, wie ich Dich schon öfter ersuchtvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 4.4.1890. habe 8 – 10 Tage vor der Zeit zu schreiben wo Dir das Geld ausgeht. Noch angenehmer wäre mir freilich wenn Du ein bestimmtes Quartalgeld in Aussicht nehmen würdest etwa im Betrag der Zinsen von Deinem Antheil oder wie es Dir beliebt. Ich wüßte dann auf lange Zeit voraus wann ich das Geld bereit halten müßte u könnte es auf den Termin schicken.

Mit bestem Gruß!
Armin.


Anbei 300 frs.

Frank Wedekind schrieb am 5. Dezember 1890 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

München, 5.XII.1890.


Lieber Bruder,

über lauter Arbeit habe ich wieder vergessen, Dir zu schreiben. Wenn Du mir daher vielleicht eine größere SummeArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Barvermögen der Familie und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind in einer Übersicht den Betrag von 160 Mark für den 24.12.1890 [vgl. Tb, Übersicht, S. 117]. Größere Summen über 800 Mark verzeichnete er erst ab Februar 1891. schicken wolltest, so würdest Du Dich und mich des ewigen Drängens entheben. Ich werde nun doch in nächster Zeit aufhören Geld zu brauchen. Mein StückWedekinds Lustspiel „Kinder und Narren“ erschien spätestens Anfang März 1891 in München [vgl. KSA 2, S. 643]. ist nahezu gedruckt. In den nächsten Tagen wird es erscheinen. Ich habe von maßgebenden Leuten, die es im Manuskript gelesen, darunter auch vom Oberregisseur SavitsJocza Savits war einer der leitenden Regisseure für das Schauspiel am Münchner Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1891, S. 354]. aus die günstigsten Urtheile darüber und indessen habe ich ein zweites StückAn „Frühlings Erwachen“ arbeitete Wedekind seit Oktober 1890 [vgl. KSA 2, S. 763]. schon wieder zur Hälfte fertig. Die stete Anspannung aller Kräfte, in der es mich hält, ist eben Ursache, daß ich Dir zu schreiben verpaßt. Außerdem bin ich hier kritischer Mitarbeiter verschiedener, wenn auch nur kleinerer Blätternicht ermittelt., was mir aber immerhin dann und wann eine Kleinigkeit abwirft. In der ,,Münchner Kunst“Die Zeitschrift „Münchner Kunst. Illustrirte Wochen-Rundschau über das gesammte Kunstleben Münchens“ (Hg. von Julius Schaumberger) erschien seit dem 1.11.1889. Sie war das Folgeprojekt des „Münchener Theater-Journals“, als dessen 35. Jahrgang die neue Zeitschrift im Titel auch firmierte. Ihre letzte Nummer erschien am 1.1.1891. Das kurzlebige Projekt wurde durch die Gesellschaft für modernes Leben und deren Zeitschrift „Moderne Blätter“ abgelöst, wie die Redaktion in der letzten Nummer mitteilte [vgl. Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 52, 1.1.1891, S. 521]. einer allerdings hochtendenciösenDie „Münchner Kunst“ verfolgte eine naturalistische Programmatik und habe sich „in den Dienst der litterarischen Revolution“ gestellt [Adalbert von Hanstein: Das jüngste Deutschland. Zwei Jahrzehnte miterlebter Literaturgeschichte. Leipzig 1901, S. 196]. künstlerischen Wochenschrift erscheinen derweil meine GedichteIn der „Münchner Kunst“ sind zwei Gedichte von Wedekind erschienen: „Pirschgang“ [Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 45, 12.11.1890, S. 436] und „Meningitis tuberculosa“ [Münchner Kunst, Jg. 2, Nr. 48, 4.12.1890, S. 468] [vgl. KSA 1/I, S. 286-287; KSA 1/II, S. 1891-1893, 1963-1965]., die meinen Namen in kürzester Zeit in den hiesigen Journalistenkreisen nicht unrühmlich bekannt gemacht haben. – – – – – – – – – – – – – – – –

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 14. Dezember 1890 in Riesbach folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Kutscher 1, S. 169:]


Über den Fortgang der Komödie ist uns auf einer Briefrückseite seines Bruders Armin vom 14. Dezember 90 folgendes Schema erhalten […].

Frank Wedekind schrieb am 24. Mai 1891 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

München, 24.V.1891


Lieber Bruder,

ich muß Dich leider schon wieder um Geld bittenArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Barvermögen der Familie und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind den Betrag von 800 Mark für den 11.6.1891 [vgl. Tb, Übersicht, S. 118].. Zu PfingstenDer Pfingstsonntag war der 17.5.1891. habe ich seit 7 Jahren zum ersten Mal wieder eine VergnügungstourWedekind absolvierte eine der gängigen Rundtouren, wie sie in zeitgenössischen Reiseführern vielfach beschrieben sind [vgl. z. B. Wilhelm Keller: Keller’s 130 Ausflüge in das Bayerische Hochland und die angrenzenden österreichischen Alpen. München 1893, S. 42-56]. gemacht. Ich war mit zwei Malerinnennicht eindeutig identifiziert. In Frage kommen Käthe Juncker [vgl. KSA 2, S. 1236], die Wedekind im April 1891 gemalt hatte, sowie die Schwestern Rosa und Elisabeth Krüger, die Wedekind aus der Pension Sußner in München kannte, wo er regelmäßig zu Mittag aß. Donald Wedekind vermutete „die Fräulein Krüger“ [Donald Wedekind an Frank Wedekind, 30.5.1891], von denen er während seines Besuchs in München im Sommer 1890 gehört hatte, als die beiden Mitreisenden. Aus der Pension Sußner kannte Wedekind ferner die zwei Malerinnen „Frl. Bacher, Malerin aus Böhmen“ und „Frl. von Seckendorf aus Manheim, Malerin“, die er beide in die Liste seiner Münchner Bekannten aufnahm [vgl. Tb., Übersicht, S. 55]. acht Tage in den Bayrischen Bergen, Partenkirchen, EibseeNeun Kilometer südwestlich von Partenkirchen unterhalb der Zugspitze gelegener See., Partnachklamm700 Meter lange und 80 Meter tief eingeschnittene Klamm im Reintal bei Partenkirchen., Kloster Etthalseinerzeit säkularisierte Benediktinerabtei aus dem 14. Jahrhundert in Ettal., Schloß Linderhof1886 fertiggestelltes Schloss von Ludwig II. in Ettal., PlanseeIn Tirol gelegener Bergsee bei Reutte., Reute, Neuschwansteinseit 1869 erbautes Schloss von Ludwig II., das nach dessen Tod 1886 besichtigt werden konnte., Hohenschwangauin den 1830er Jahren von Kronprinz Max im neugotischen Stil zum Schloss umgebaute Burg bei Füssen. und wieder nach München zurück, zumeist beim herrlichsten Wetter. Der Pfingstsonntag mit starkem Schneefall war übrigens das Großartigste, was ich in dieser Weise je erlebt. – BeiliegendDem Brief lag offenbar ein Exemplar von Wedekinds Lustspiel „Kinder und Narren“ bei, das Anfang März erschienen war [vgl. KSA 2, S. 643]. erhältst Du meine K. u. N. Für ein aufrichtiges UrtheilArmin Wedekinds Brief, in dem er sich ausführlich zu dem Stück äußerte, ist verschollen [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 9.6.1891]. über das Stück wäre ich Dir sehr verbunden. Der Stoff ist Romanstoff. Das mag neben anderen sein Hauptfehler sein. Ich stehe mit der hiesigen freien BühneDer am 18. Dezember 1890 gegründete Münchner Literatur- und Theaterverein Gesellschaft für modernes Leben unter dem Vorsitz von Michael Georg Conrad, wollte sich nach dem Vorbild der Berliner Freien Bühne ebenfalls um die Aufführung moderner Stücke bemühen. „Neue Vereine unter dem Namen Freie Bühne wurden in München (Mai 1891), Wien (Juni 1891) und Kopenhagen (Februar 1891) gegründet. An der Spitze des Münchener Unternehmens stehen mehrere Schriftsteller naturalistischer Richtung (M. G. Conrad, O. J. Bierbaum u. a.), deren von J. Schaumberger geleitetes Organ die Wochenschrift ‚Moderne Blätter‘ ist. Eine Theateraufführung hat der Münchner Verein bis April 1892 nicht veranstaltet.“ [Meyers Konversations-Lexikon. 4., gänzl. umgearb. Aufl. Bd. 19. Jahres-Supplement 1891–1892. Leipzig, Wien 1892, S. 343] in Unterhandlung wegen der Aufführung. Indessen habe ich ein zweitesein zweites Stück. ,,Frühlings Erwachen“ geschriebenDie Arbeit an „Frühlings Erwachen“ hatte Wedekind im April 1891 abgeschlossen. Im Mai 1891 erschien die 2. Szene des II. Aktes als Separatdruck in München unter dem Titel „Die Frage“ zum Versand an die Feuilletonredaktionen der Presse [vgl. KSA 2, S. 763, 766] mit einem offenen Brief des Autors [vgl. Wedekind an Unbekannt, 24.5.1891]., mit dem ich im Laufe des Juni in Vorträgenfür den genannten Zeitraum nicht belegt. Lesungen der Kindertragödie hatte Wedekind auch in der brieflichen Vorrede zu dem Separatdruck angekündigt [vgl. Wedekind an Unbekannt, 24.5.1891; KSA 2, S. 923]. Die erste nachgewiesene Lesung aus „Frühlings Erwachen“ fand am 25.1.1896 in Zürich statt [vgl. Vinçon 2014, S. 111]. in verschiedenen öffentlichen Gesellschaften vor das Publicum treten werde.

Gestern erhielt ich Donalds BrochüreDie 32-seitige Broschüre „Schloss Lenzburg in Geschichte und Sage“ wurde im Mai in Solothurn in der Buchdruckerei Gassmann Sohn gedruckt. Donald Wedekind hatte sie auf Veranlassung seiner Mutter verfasst und zur Korrektur an seinen Bruder geschickt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 12.4.1891]. Emilie Wedekind wollte die Broschüre an ihre Pensionsgäste verkaufen. Donald Wedekind gab die Herstellungskosten mit 120 Francs für 510 Exemplare an und erwog einen Verkaufspreis von 80 Centimes [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 30.5.1891]. , die mir und auch Anderen einen sehr günstigen Eindruck macht. Ich habe ihm gerathenDas Schreiben mit dem Rat ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 24.5.1891., sie an die schweizerische Presse zu verschicken. Es wäre nicht ausgeschlossen, daß er einen günstigen NachhallDie „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb unter dem Verfasserkürzel „F. M.“ in ihrer Rubrik „Litteratur und Kunst“ zu der Broschüre: „In einem Athemzuge und gleichen Stärkegrade des Tones von der ersten bis letzten der starken 32 Seiten wird die Geschichte des Schlosses Lenzburg an dem Leser vorübergeführt in einer Reihe von Bildern, gewoben aus der Wirklichkeit, der Sage und der eigenen blühenden Phantasie des Verfassers zu gleichen Theilen, so daß keines der drei Ingredienzen ausgeschieden werden kann. Das blumenreiche Pathos der Sprache, an die Rhetorik der Schüleraufsätze erinnernd, verräth große Jugendlichkeit des Verfassers, aber seiner Leistung darf eine gewisse Achtung nicht versagt werden.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 72, Nr. 82, 22.3.1892, 2. Blatt, S. (2)] damit erzielte.

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Bitte schreib mir, was Du treibst und wie es Dir geht. Ich habe den ganzen Winter über in einer Art Erstarrung gelebt, aus der ich auf unserer Reise dank der Liebenswürdigkeit meiner Begleiterinnen allmälig erwacht bin. Ich stehe dem Leben mit neuem Muthe gegenüber.

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Armin (Hami) Wedekind schrieb am 9. Juni 1891 in Riesbach folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Kutscher 1, S. 205:]


[…] am 9. Juni schreibt ihm der Bruder Armin eine ausführliche Kritik über „Kinder und Narren“.

Frank Wedekind schrieb am 23. Juli 1891 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 30.7.1891 aus München:]


[…] im Falle Du meinen letzten Brief richtig erhalten, darf ich Dich vielleicht um Antwort bitten.

Frank Wedekind schrieb am 30. Juli 1891 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

30.VII.1891.


Lieber Bruder,

im Falle Du meinen letzten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 23.7.1891. richtig erhalten, darf ich Dich vielleicht um Antwort bitten. Andernfalls die Bitte mir möglichst bald wieder einiges GeldArmin Wedekind verwaltete nach dem Tod des Vaters das Barvermögen der Familie und zahlte auf Wunsch Gelder an die Geschwister und seine Mutter aus. Im Tagebuch vermerkte Frank Wedekind den Betrag von 1000 Francs für den 11.6.1891 und von 200 Francs für den 6.8.1891 [vgl. Tb, Übersicht, S. 118]. zu schicken. Sodann kann ich Dir die Mittheilung machen, daß im Kunstverlag von E. Albertdie von dem Verleger Dr. phil. Eugen Albert betriebene Münchner Kunst- und Verlagsanstalt Dr. E. Albert & Co. (Schwabinger Landstraße 55) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1892, Teil I, S. 4], „eine Kommanditgesellschaft unter technischer Leitung von Dr. E. Albert. Sie wurde 1882 in München gegründet behufs der Verwertung der Erfindungen von Dr. Eugen Albert [...]. Die Hauptthätigkeit der Anstalt besteht in der Herstellung von Hochdruckclichés (in Kupfer geätzt) zum Ersatz des Holzschnitts für Verleger und Industrielle des In- und Auslandes; die Verlagsunternehmungen in der Herausgabe von Einzelblättern in Heliogravüre und Photographie, sowie in der Herstellung von Prachtwerken, darunter besonders das Böcklin-Werk“ [Brockhaus’ Konversations-Lexikon. 14. Aufl. Bd. 1. Leipzig, Berlin, Wien 1892, S. 328]., dem Verleger der Böcklinschen Bilder, ein Romandas Drama „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“ (1891) – „Wedekinds Formulierung ‚ein Roman‘ ist nicht als Gattungsbezeichnung gemeint, sondern bezieht sich auf das Romanhafte des Stoffes.“ [KSA 2, S. 766] Wedekind sprach auch anlässlich des Lustspiels „Kinder und Narren“ (1891) von dessen „Romanstoff“ [Frank Wedekind an Armin Wedekind, 24.5.1891]. von mir, illustrirtDem Buchumschlag der Erstausgabe von „Frühlings Erwachen“ liegt eine Illustration von Franz Stuck mit einer Frühlingslandschaft zugrunde [vgl. KSA 2, S. 771f.]; sie lag offenbar dem Verlag Dr. E. Albert & Co. (siehe oben) bereits vor. von Fr. Stuck erscheint„Frühlings Erwachen“ erschien nicht, wie zunächst geplant, im Verlag Dr. E. Albert & Co. (siehe oben) in München, sondern im Oktober 1891 bei Jean Groß in Zürich [vgl. KSA 2, S. 771]. Wedekind berichtete rund 20 Jahre später, der Verlagswechsel sei aufgrund einer befürchteten strafrechtlichen Verfolgung erfolgt [vgl. KSA 2, S. 769f.].. Daß ich mit den letzten 1000 Frs. so rasch zu Ende war, liegt darin, daß ich die SatireWedekinds Satire auf Hanns von Gumppenbergs Schrift „Das dritte Testament. Eine Offenbarung. Seiner Zeit mitgeteilt von Hanns von Gumppenberg“ (München 1891) erschien unter dem Titel „Das neue Vater Unser. Eine Offenbarung Gottes. Seiner Zeit mitgetheilt von Hugo Freih. von Trenck“ [KSA 1/I, S. 297-314] als Privatdruck im Münchner Verlag Bruckmann [vgl. KSA 1/II, S. 1160]., die ich Dir mit gleicher Post übersendeHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Sendung des Privatdrucks (siehe oben); erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 30.7.1891., auf meine Kosten habe drucken lassen. – Also bitte laß mich nicht zu lange warten. Mit bestem Gruß Dein treuer Bruder
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 30. Juli 1891 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 30.7.1889 aus München:]


[...] die Satire, die ich Dir mit gleicher Post übersende [...]

Frank Wedekind schrieb am 26. Dezember 1891 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

München, 26.XII.1891.


Lieber Bruder,

ich bin nun doch über Weihnachten hier geblieben, habe auch in einem Atelier einen recht vergnügten Abend mit Kinderbescheerung verlebt, dabei ist aber nach Abtragung meiner Schulden mein Geld dermaßen zur Neige gegangen, daß ich gerade eben noch mit knapper Noth das Billett nach Paris bestreiten kann. Dessenungeachtet werde ich reisen, übermorgen 28.XII. früh 7 UhrDer Zug verließ München um 7 Uhr und erreichte Paris über Ulm, Stuttgart, Karlsruhe, Straßburg und Avricourt laut Fahrplan am nächsten Morgen um 5.10 Uhr [vgl. Eisenbahn-Kursbuch für Bayern und die angrenzenden Nachbarstaaten. Winterdienst 1891/92, S. (304)]., da ich fürchte sonst überhaupt nicht mehr los zu kommen. Ich werde aber demgemäß das Pariser Pflaster mit nicht mehr als etwa 20 Frs in der Tasche betreten. Darf ich Dich nun vielleicht bitten, mir wenn irgend möglich vielleicht Frs 100 bereit zu halten, die Du mir sofort auf Angabe meiner Adresse hin schicken könntest – natürlich nur für den Fall, daß Du zufällig das Geld liegen hast und es momentan nicht brauchst. Ich würde es Dir, sobald ich in Paris etwas verkauft habe, zurückschicken, wenn Du es nicht vorziehen würdest, eines meiner Papiere in Zürich zu verkaufen und mir den Rest zu übersenden. Im Falle sich das alles nicht machen läßt, müßt ich Dich natürlich darum bitten, meine PapiereDas von Wedekinds Vater vererbte Vermögen war in Wertpapieren angelegt, die Armin Wedekind für die Geschwister und seine Mutter verwaltete. Frank Wedekind plante seinen Aufenthalt in Paris durch ihren Verkauf zu finanzieren und bat daher um ihre Übersendung. in Zürich zum Absenden bereit zu halten, damit ich sie möglichst bald nach meiner Ankunft in Paris erhalten könnte. Bitte verzeih meine schlechte Schrift. Ich schreibe unter den unbequemsten Verhältnissen. Indem ich Dir im Voraus danke mit den besten Glückwünschen zum neuen Jahr an Emma und Dich Dein treuer Bruder
Franklin.

Frank Wedekind schrieb am 29. Dezember 1891 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, 29.XII.1891.


Lieber Bruder,

eben komme ich schlaftrunken in ein Café, um mich fürs erste auf die 25stündige ReiseWedekind reiste für einen mehrjährigen Aufenthalt von München nach Paris. Er verließ München am 28.12.1891 morgens um 7 Uhr und kam laut Fahrplan in Paris am nächsten Tag um 5.10 Uhr an, also nach gut 22 Stunden [vgl. Eisenbahn-Kursbuch für Bayern und die angrenzenden Nachbarstaaten. Winterdienst 1891/92, S. (304)]. zu stärken. Mrsrecte: Mr (= Mister). Leo Rich Lewis aus Woodstock in Vermont studierte drei Jahre an der Königlichen Musikschule in München Komposition und schloss beim Prüfungskonzert am 30.6.1892 mit Auszeichnung ab [vgl. Jahresbericht der K. Musikschule in München. 16. 1889/90, S. 10; 17. 1890/91, S. 10; 18. 1891/92, S. 10, 12 u. 41]. Mit ihm hatte Wedekind während seines Pariser Aufenthalts regelmäßig Kontakt [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 21.1.1892; Lewis an Wedekind, 19.7.1892 und Tb 11.12.1892]. Lewis hielt es nur bis Nancy aus. Er stieg aus um zu übernachten und morgen nachzukommen. Ich werde jedenfalls im Hotel Crébillon, Rue Crébillon 4, Quartier nehmen, habe aber thatsächlich nicht mehr als Frs. 20 in der Tasche. Ich wäre Dir daher sehr dankbar, wenn Du mir umgehend etwas Geld schicken könntest. Ich würde es Dir zurückerstatten, so bald ich meine PapiereDas von Wedekinds Vater vererbte Vermögen war in Wertpapieren angelegt, die Armin Wedekind für die Geschwister und seine Mutter verwaltete. Frank Wedekind plante seinen Aufenthalt in Paris durch ihren Verkauf zu finanzieren und hatte daher um ihre Übersendung durch seinen Bruder gebeten [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 26.12.1891]. hätte. Also bitte schick mir wenn Du kannst umgehend nach Hotel Crébillon, 4 Rue Crébillon 4.

Jedenfalls lasse mich nicht ohne umgehende Antwort.

Mit tausend Grüßen
Dein treuer Bruder
Frank.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 31. Dezember 1891 in Riesbach folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 1.1.1892 aus Paris:]


[…] herzlichen Dank für Deine rasche HülfeHinweis auf den Erhalt der Geldsendung, die Frank Wedekind erbeten hatte [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 29.12.1891]..



[2. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 4.1.1892 aus Paris:]


[…]  zugleich mit Abschickung des TelegrammesHinweis auf das hier erschlossene Telegramm, das Armin Wedekind parallel zur Geldsendung schickte. […]

Frank Wedekind schrieb am 1. Januar 1892 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, Neujahrstag 1892.


Lieber Bruder

herzlichen Dank für Deine rasche HülfeFrank Wedekind hatte seinen Bruder zuletzt um die schnelle Übersendung von Geld gebeten [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 29.12.1891], das offenbar bereits eingetroffen war. Zugleich Hinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben, ein Telegramm, zu der Geldsendung [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 4.1.1892]; erschlossenes Korrespondenzstück: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 31.12.1891.. Ich habe mir gleich einen schwarzen Frackanzug machen lassen; Paris ist thatsächlich über alle Illusion erhaben. Es wird mir schwer meine Eindrücke zu sammeln. Das fabelhafteste ist dabei die grenzenlose Behaglichkeit. Ich bin, was Wäsche, Kleider etc. betrifft, sehr reduzirt angekommenFrank Wedekind war für seinen mehrjährigen Aufenthalt am 29.12.1891 in Paris eingetroffen.. Dessenungeachtet fällt es auch im feinsten Café niemandem ein, Einen schief anzusehen. Die übrigen Menschen sehen zum größten Theil ungefähr ebenso aus. Bekannte habe ich schon eine ganze Menge hier – leider noch keine Franzosen, aber das wird kommen, sobald ich die Leute verstehen gelernt. Gleich am ersten Tag war ich bei Frl. HünyDie Schweizer Journalistin Emilie Hüni lebte seit 1881 in Paris und berichtete von dort unter anderem regelmäßig unter dem Pseudonym „E. H.“ für die „Neue Zürcher Zeitung“., vorgestern war Mr. LewisLeo Rich Lewis aus Woodstock in Vermont studierte drei Jahre an der Königlichen Musikschule in München Komposition und schloss beim Prüfungskonzert am 30.6.1892 mit Auszeichnung ab [vgl. Jahresbericht der K. Musikschule in München. 16. 1889/90, S. 10; 17. 1890/91, S. 10; 18. 1891/92, S. 10, 12 u. 41], der mit Wedekind seine Reise nach Paris angetreten hatte [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 29.12.1891]. bei mir und heute bei Tisch treffe ich zwei Münchner Malerinnennicht identifiziert. In Paris hatte Wedekind engen Kontakt zu der Münchner Malerin Käthe Juncker sowie zu den Schwestern Rosa und Elisabeth Krüger, beide Malerinnen, die aber erst am 12.5.1892 eintrafen [vgl. Tb]., die mir sofort ihre Adresse aufhalsten. Frl. Hüny will mich mit der bedeutendsten Malerin bekannt machen, die die Welt besitzt, nämlich mit Frl. BreslauDie in Zürich aufgewachsene deutsche Malerin Louise-Cathérine Breslau war die berühmteste Malerin ihrer Zeit in Paris. 1876 war sie zum Kunststudium an die Académie Julian nach Paris gegangen, stellte seit 1879 im Salon de Paris aus und hatte 1889 auf der Pariser Weltausstellung die Goldmedaille erhalten. Sie war eine Freundin Emilie Hünis, mit der sie sich auch über die Werke Wedekinds austauschte.. Außerdem sagte sie mir, daß Fritz Fleinerehemaliger Schüler der Kantonsschule Aarau, ein jüngerer Bruder des Züricher Journalisten Albert Fleiner, der wie Emilie Hüni fur die „Neue Züricher Zeitung“ schrieb. hier ist. Sie ist eine sehr decidirte Dame, vollkommene Pariserin und bedauert es, daß Zürich so sehr unter deutschem Einfluß steht. – Von den Herrlichkeiten der Stadt habe ich noch wenig gesehen.

Am zweiten TagWedekind sah am 30.12.1891 um 20 Uhr im Théâtre du Châtelet die Bühnenbearbeitung des Romans „Michel Strogoff“ (1876) von Jules Verne durch Adolphe d’Ennery und Jules Verne, ein „pièce à grand spectacle en 5 actes et 16 tableaux“ (dort uraufgeführt am 17.11.1880, wiederaufgenommen am 21.11.1891) [vgl. Les annales du théatre et de la musique 1892. Paris 1892, S. 248f]. war ich im Theater du Chatelet in Michael Strogoff, einem riesigen Ausstattungsstück mit einem Ballett, über das ich weiß Gott schweigen will. Ein solches Sichüberbieten von Geschmack und Grazie hätte ich nie für ausführbar gehalten. Dabei sind die Preise für die Vergnügungen äußerst civil. Heute AbendWedekind sah am 1.1.1892 um 20 Uhr im Théatre national de l’Odéon Racines Tragödie „Phèdre“ (1678). Die Aufführung eröffnete den Abend, an dem außerdem Robert Valliers „L’Exil de Racine“ (1892) und Racines „Les Plaideurs“(1668) gegeben wurden [vgl. Le Figaro, Jg. 38, Nr. 1, 1.1.1892, S. 4]. Die Stücke wurden anlässlich von Racines 252. Geburtstag seit dem 21.12.1891 gespielt [vgl. Les annales du théatre et de la musique 1892. Paris 1892, S. 167f.]. sehe ich mir Phädra von einem Parquetsitz im Odéontheater für 3 Frs an. Das ist weniger als man für den nämlichen Platz im Gärtnertheater in München giebt. Kaffe, Schnaps etc. kosten in den Cafés hier gerade soviel wie in Zürich und dabei ist alles übrige, was man zum Leben braucht, weit billiger. Wenn es mir irgend wie gelingt, mich zu halten, werde ich wohl mehrere Jahre hier bleiben. An deutschen Elementen findet man, was man nur wünscht, und hat Paris dazu. Das Wetter ist regnerisch, aber so lauwarm, daß man Nachts zwei Uhr auf offnem Boulevard seinen Kaffee trinkt.

Gestern AbendWedekind besuchte am 31.12.1891 den Cirque d’Hiver (Rue Amelot 110), dessen Programm um 20.30 Uhr begann: „Les Moujicks Petits Russien“ [Gil Blas, Jg. 13, Nr. 4426, 31.12.1891, S. 4]. war ich im Cirque d’Hiver und traf dort als ersten Clown Herrn Lavater Lee, an den Du Dich vom Circus HerzogDer Wanderzirkus Herzog gastierte vom 6.7.1888 bis 8.10.1888 in Zürich. Wedekind veröffentlichte seinen davon inspirierten Essay „Im Zirkus“ am 2. und 5.8.1888 in der „Neuen Zürcher Zeitung“ [vgl. KSA 5/III, S. 454f.] – seine Behauptung, er sei in den Jahren 1887 und 1888 „Sekretär beim Cirkus Herzog“ [Wedekind an Jaroslav Kvapil, 24.4.1901] gewesen und 1888 „ein halbes Jahr lang als Sekretär mit dem Cirkus Herzog“ [Wedekind an Ferdinand Hardekopf, 28.4.1901] herumgereist, ist „Legende“ [KSA 5/III, S. 81]. her vielleicht noch erinnerst. Er war seiner Zeit der Abgott des Zürcher PublikumsÜber eine Aufführung des Zirkus Herzog in Zürich schrieb die Presse: „Am Samstag Abend war der Zirkus Herzog ganz ausverkauft; handelte es sich doch um eine Benefice-Vorstellung der vorzüglichen Clowns, welche uns in den letzten Wochen so manchen vergnügten Abend bereitet hatte. […] Der unvergleichliche Clown Lavater Lee war an jenem Abend unerschöpflich an Humor und witzigen Einfällen, sei es, daß er eine Kunstreiterin zu Pferde parodirte oder sein ‚in Freiheit dressirtes‘ Schwein vorführte oder eine Schaar wettspringender ‚Amateurs aus Zürich‘ leitete, deren Sprünge und Purzelbäume rauschenden Beifall und förmliche Lachsalven hervorriefen. […] Der riesige Lorbeerkranz, der am Schlusse den Clowns gespendet wurde, war zwar so groß, daß Lavater Lee bequem hindurch springen und im Sprunge einen Purzelbaum schlagen könnte, aber er war nicht zu groß, wenn er ein Symbol der außerordentlichen ’Popularität‘ darstellen sollte, welche sich Lavater Lee hier durch seine fröhliche Komik zu erringen wußte. Denn Lavater Lee ist heute […] fast der populärste Mann in Zürich“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 68, Nr. 241, 28.8.1888, 1. Blatt, S. (2f.)]. , trat jeden Abend als Frosch in die Arena und sagte jeden Abend unter donnerndem Applaus der Galerie, wenn er auf dem Kopf seines Bruders stand: ,,Das isch chaibe luschtich“(schweiz.) Das ist sehr lustig.. Er erinnerte sich mit Vergnügen an das schöne Zürich. Mit Herzog ist er zerfallen. Hier befindet er sich im Winterquartier und will im Frühjahr nach Amerika, um 93 bei der Ausstellungdie World’s Columbian Exposition 1893 in Chicago, die 19. Weltausstellung vom 1.5.1893 bis 30.10.1893. mitzuwirken.

Nun leb wohl, lieber Bruder.

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In München habe ich circa 500 Cigaretten zu Weihnachten geschenkt bekommen. In Avricourtseit dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 Grenzbahnhof zwischen Deutschland und Frankreich in Lothringen, durch die Bahnstrecke Paris – Nancy – Straßburg in einen nördlichen deutschen und einen südlichen französischen Teil getrennt. brachte ich sie glücklich über die Grenze, indem ich die verschiedenen Schachteln in meine Taschen vertheilte, that sie dann aber gleich wieder in den Koffer, der im Pariser BahnhofZüge aus Deutschland kamen am Gare de l’est an. auf mein verdutztes Gesicht hin vom Zollbeamten geöffnet wurde. Meine Cigaretten erregten einen Auflauf. Sie wurden bei Seite gelegt und alles durchwühlt. Nachdem aber der Menschenandrang zu kolossal wurde und jeder seine Glossen machte„In der Umgangssprache [...] spöttische, tadelnde Bemerkungen (daher Glossen machen).“ [Meyers Konversationslexikon. 4., gänzl. umgearb. Aufl. Bd. 7. Leipzig 1887, S. 443], packte sie mir der Chef des Bureausnicht identifiziert. eigenhändig wieder ein und sagte, ich solle machen daß ich weiterkomme. Das war mein erstes glücklich überstandenes Abentheuer in Paris.

Frank Wedekind schrieb am 4. Januar 1892 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, 4.I.1892.


Lieber Bruder,

verzeih, daß ich dir schon wieder schreibe, zumal wenn Du die AngelegenheitWedekind erwartete die Zusendung von Wertpapieren aus dem Erbe seines Vaters, durch deren Verkauf er seinen Parisaufenthalt finanzieren wollte [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 26.12.1891]. vielleicht schon besorgt hast. Von denFrs 150Zur kurzfristigen Überbrückung von Frank Wedekinds Geldnöten hatte sein Bruder ihm zum Jahreswechsel offenbar diese Summe zukommen lassen und parallel dazu das unten genannte Telegramm verschickt [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 31.12.1891]. mußte ich 50 dem Schneidernicht identifiziert. Frank Wedekind hatte unmittelbar nach Erhalt des Geldes einen Anzug in Auftrag gegeben [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 1.1.1892]. geben und 45 an Miethe zahlen – bleiben 55, davon hab ich noch 7. Ich bin nun acht Tage hierWedekind war am 29.12.1891 gegen 8 Uhr morgens in Paris angekommen. und hätte sicher geglaubt, daß sich die Absendung des Geldes in den ersten acht Tagen effectuiren ließ. Ich erwarte täglich eine EinladungDie Schweizer Journalistin Emilie Hüni lebte seit 1881 in Paris und berichtete von dort unter anderem regelmäßig für die „Neue Zürcher Zeitung“. Frank Wedekind hatte sie bereits an seinem Ankunftstag in Paris aufgesucht [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 1.1.1892]. von Frl. Hüny, müßte sie aber wahrscheinlich durch nicht Erscheinen vor den Kopf stoßen, da ich in meinem täglichen Anzug nicht gehen kann und mir der neue nicht zur Verfügung steht, solange ich ihn nicht ganz bezahlt. Noch schlimmer sieht es mit meinem Schuhwerk aus. Ich laufe thatsächlich auf bloßen Socken in Paris herum. Die ersten Abende brachte ich selbstverständlich im TheaterFrank Wedekind besuchte Vorstellungen im Théâtre du Châtelet (30.12.1891), im Cirque d’Hiver (31.12.1891) und im Théâtre de l’Odéon (1.1.1892) [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 1.1.1892]. zu, da ich zu Haus noch nicht eingerichtet war. Nun ist das Geld fort und ich kann mich nicht einrichten. Es sind jetzt volle drei Monat, daß ich um dieses Geldes willen in der verzweifelten Situation zwischen Thür und AngelZusammenhang unklar. schwebe, ohne einen Fleck zu haben, wo ich mich annähernd zu Hause fühle und in Ruhe arbeiten konnte.

Ich bitte dich inständig, mich um jeden Preis aus dieser Tantaluslagein Anlehnung an die Figur des Tantalos in der griechischen Mythologie bildlich für eine besonders quälende Situation. „In der Unterwelt büßt er nach Homer durch ungestillten Hunger und Durst: bis zum Kinn steht er in Wasser, die schönsten Früchte hängen ihm vor den Augen; will er aber essen oder trinken, so weichen Früchte und Wasser zurück. Bei Pindar, andern Lyrikern und den Tragikern quält ihn ein über seinem Haupte hängender, stets den Sturz drohender Felsblock.“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd. 19. Leipzig 1909, S. 313f.] endlich zu erlösen. Ich hatte mich so darauf gefreut, daß das unstete ungewisse Treiben hier ein Ende nehmen werde, und schwebe nun thatsächlich an einem Faden in der Luft als ein Mensch, der des nächsten Tages nicht sicher ist. Wenn es nicht Mangel an Zeit war, wüßte ich nicht, was dich hätte hindern können, zugleich mit Abschickung des Telegrammesdas Begleitschreiben zu einer Geldsendung [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 31.12.1891]. oder Tags darauf wenigstens die Papiere zu expedirenabzusenden.. Verzeih mir wenn ich mich ereifere, aber ich bin des ruhelosen Umherirrens so furchtbar müde, daß ich am liebsten den ganzen Tag im Bett bleiben möchte. Gestern habe ich schon sparenshalber nicht zu Mittag gegessen, kam dann Abends halb ohnmächtig ins Café und zerschlug ein Glas. Also bitte schick mir das Geld oder wenigstens eine größere Summe, aber gleich. Ich weiß effectivhier für: wirklich. nicht, wie ich über morgen mein Essen bezahlen soll, wenn es mir meine Schuhe überhaupt noch ermöglichen auszugehen. Und dabei sehne ich mich furchtbar nach Ruhe und Arbeit.

Entschuldige auch, wenn ich Dir irgendwie Unrecht thue. Ich bin der Letzte, der die Mühe, die Du um unsertwillen hast, unterschätzt.

Mit den herzlichsten Grüßen an Dich und Emma und bestem Dank im voraus Dein treuer Bruder
Franklin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 13. Januar 1892 in Riesbach folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 21.1.1892 aus Paris:]


Hami schrieb mir über vergnügt verlebtes Neujahr bei euch und bei sich zu Hause.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 13. März 1892 in Riesbach folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 14.3.1892 aus Paris:]


[…] herzlichen Dank für Deinen lieben Brief […]

Frank Wedekind schrieb am 14. März 1892 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, 14.III.1892.


Lieber Bruder,

herzlichen Dank für Deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 13.3.1892. und Dein freundliches Anerbieten. Ich bitte Dich demnach die PapiereWedekinds Vater hatte das Familienvermögen in Wertpapieren angelegt. Mit dem Verkauf seines Erbteils finanzierte Wedekind seinen Paris-Aufenthalt. wenn möglich alle in Zürich zu verkaufen, die Summe, die ich Matifamiliärer Spitzname für Wedekinds jüngste Schwester Emilie. schulde, abzuziehen und mir den Rest in baar herzuschicken, wenn möglich bis Ende dieses Monats oder in den ersten Tagen des April.

Was mich betrifft so habe ich in der letzten Zeit ziemlich fleißig gearbeitetIn der ersten Jahreshälfte 1892 arbeitete Wedekind in Paris vor allem an dem Schwank „Fritz Schwigerling“ [vgl. KSA 2, S. 997], den er am 11.7.1892 abschloss [vgl. Tb].. Hoffe bald wieder mit etwas fertig zu sein. An neuen Bekanntschaften hab ich die von Frl. BreslauLouise-Cathérine Breslau (Avenue de Ternes 40) [vgl. Paris-Adresses 1893, Teil I, S. 197; Teil IV, S. 2450], in Zürich aufgewachsene deutsche Malerin, die 1876 zum Kunststudium an die Académie Julian nach Paris gegangen war, seit 1879 im Salon de Paris ausstellte und 1889 auf der Pariser Weltausstellung die Goldmedaille erhalten hatte; eine ausführliche Charakterisierung von ihr findet sich in Wedekinds Tagebuch [vgl. Tb, 19.1.1894]. und Max NordauDr. med. Max Nordau (Avenue de Villiers 34) [vgl. Paris-Adresses 1893, Teil II, S. 679], Arzt (Gynäkologe), Kulturkritiker und Schriftsteller, seit 1880 in Paris lebend. gemacht, einige unbedeutendere nicht gerechnet. Frl. Breslau ist das interessanteste Weib, das mir je an der Nase vorbei gelaufen. Ich habe sie übrigens erst einmal gesehen, hatte aber drei Tage lang an einem eigenthümlichen Kribbeln in den Extremitäten zu laborirenleiden; mit einer Krankheit beschäftigt sein.. Die ReceptionAufnahme. fand in ihrem Atelier statt bei Thee, AstiWein aus der Region Asti im Piemont, die vor allem für ihre Schaumweine bekannt war. und Cigaretten. Letztere waren auch mir ein großer Trost, da man hier im Allgemeinen in Gesellschaft nicht zu rauchen pflegt. Die Pariser leben überhaupt so mäßig, wie ich selten ein Volk habe leben sehen. Sie trinken nicht, sie rauchen nicht. Alles concentrirt sich bei ihnen auf die Liebe. Aber auch die hat im großen Ganzen etwas wässriges Seichtes. Zu irgend welcher Größe erhebt sie sich nicht. Es ist ein fortgesetztes Flackern ohne Blitze und Explosionen.

Max Nordau hat mich sofort zum Diner eingeladen. Er ist Dr. med. und hat eine große Praxis. Man unterhält sich vorzüglich in seiner Gesellschaft, in der man Gott sei Dank alles sagen kann. Er selber ist schonungslos, gesteht aber anderen Sterblichen das nämliche Recht zu. So entsteht eine Lebhaftigkeit in der Conversation, die beruhigend und anregend wirkt. Die zweifellos gemütlichsten Nachmittage verlebe ich hier jeden Freitag in Gesellschaft zweier junger Amerikanerinnennicht identifiziert., die einmal per Woche die Blüthe der Unionder Vereinigten Staaten von Amerika. um sich versammeln. Sie entstammen beide den höchsten Gesellschaftskreisen Bostons und huldigen dem anbetungswürdigen Princip alles kennen zu lernen. Ich machte bei ihnen die Bekanntschaft eines amerikanischen Componistennicht identifiziert., der in seiner Heimat schon mehrere Operetten auf den Brettern hat und mit dem ich mich aufs beste befreundete. Nächste Woche treffe ich die Damen auf dem Maskenball der Akademie Juliendie Académie de painture von Rodolphe Julian in der Galerie Montmartre (Passage de Panoramas 27) [vgl. Paris-Adresses 1893, Teil I, S. 512], eine 1868 gegründete private Kunstakademie, die vor allem bei ausländischen Studierenden beliebt war und bei der auch Frauen an lebenden Modellen ausgebildet wurden., den die Modelle, soweit sie Schönheiten aufzuweisen haben, unmaskirt besuchen, und erstrecke sich die Schönheit noch so weit. „Sie müssen kommen, sagte Miß Whitoneine der beiden oben genannten Amerikanerinnen. zu mir, es wird sehr schlecht; ich freue mich.“

Bei Frl. HünyDie Schweizer Journalistin Emilie Hüni lebte seit 1881 in Paris und berichtete von dort unter anderem regelmäßig für die „Neue Zürcher Zeitung“. traf ich letzte Woche einen Freund von Amor KirchhoferLeo Kirchhofer, Jurist und späterer Bezirksgerichtspräsident in St. Gallen, mit dem Armin Wedekind zur selben Zeit in Zürich studiert hatte und der zu seinen Korrespondenzpartnern gehörte. Seine Briefe an Armin Wedekind unterschrieb er mit Amor Kirchhofer., einen Herrn Fäsinicht identifiziert.. Er fragte nach Dir, persönlich kennt er Dich nicht, aber Amor Kirchhofer muß ihm oft erzählt, besonders von Deiner HochzeitArmin Wedekind und Emma Frey hatten am 21.3.1889 geheiratet. vorgeschwärmt haben. Bei einer jungen SteingutmalerinSophie Schäppi aus Winterthur; die schweizerische Künstlerin besuchte seit 1874 die Académie Julian in Paris und hatte eine Ateliergemeinschaft mit Louise-Cathérine Breslau. Als Fayencemalerin war sie für die Keramik-Manufaktur Théodore Deck tätig. Wedekind gab ihre aktuelle Adresse an den mit ihr befreundeten Michael Georg Conrad weiter [vgl. Wedekind an Michael Georg Conrad,13.5.1892]. , einer Freundin von Dr. Conradder naturalistische Schriftsteller und Publizist Michael Georg Conrad, der von 1878 bis 1882 als Journalist und Korrespondent in Paris gelebt hatte; Vorsitzender der Gesellschaft für modernes Leben, die nach Berliner Vorbild in München eine Freie Bühne einrichten wollte, von der sich Wedekind eine Aufführung seines Stücks „Kinder und Narren“ erhoffte [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 24.5.1891]., sah ich vor einiger Zeit eine Karikatur von S. H.wohl Selma Hartleben (geb. Hesse; genannt ‘Moppchen’), ehemalige Kellnerin und langjährige Lebensgefährtin, seit 1893 Gattin des mit Wedekind befreundeten Schriftstellers Otto Erich Hartleben., noch dazu von hinten, aber unverkennbar. Ich bemerkte ihr, wie klein doch diese Welt sei, was sie auch ohne Einwand zugestand. Mit zwei deutschen Malerinnennicht identifiziert. aus dem Atelier Rossidie Académie Colarossi (Rue de la Grande-Chaumière 10) [vgl. Paris-Adresses 1893, Teil IV, S. 2001] des Bildhauers Filippo Colarossi war eine private Kunstakademie, an der auch Frauen die Arbeit mit Aktmodellen möglich war. bringe ich dann und wann angenehme Abende zu in Moulin rouge oder im Casino de Paris, und einem jungen Pariser Philosophennicht identifiziert. Wedekind hat ihm auch mit Notizen zu einem Nietzsche-Vortrag an der Sorbonne ausgeholfen [vgl. Wedekind an Michael Georg Conrad, 13.5.1892]. bin ich bei der Uebersetzung von NietzscheZu den frühen Übersetzungen Nietzsches ins Französische zählt die Übertragung von „Der Fall Wagner“ durch den 20jährigen Daniel Halévy und den 19jährigen Robert Dreyfus („Le cas de Wagner, un problème musical.“ Paris 1893), zwei ehemaligen Mitschülern Marcel Prousts. behülflich. Er hat mich in die Bohème des Quartier LatinPariser Studenten- und Künstlerviertel. eingeführt, wo die weltberühmten Grisetten„(franz.), ursprünglich ein graues Hauskleid, dann ein unscheinbar gekleidetes Mädchen, das selbständig als Wäscherin, Näherin, Putzmacherin etc. von Handarbeit lebt und einen nicht ganz vorwurfsfreien Lebenswandel führt. Namentlich bezeichnete man in Paris als Grisettes du quartier latin die Geliebten der Studenten, Künstler etc., die ihren Liebhabern zeitweise den Haushalt führten. Seit jeher aber stand der Begriff im Gegensatz zur Kokotte, der berufsmäßigen Buhlerin.“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd. 8. Leipzig 1907, S. 349] blühen. Es sind unglaublich drollige Geschöpfe, wie PuckFigur aus Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtsraum“ (1600), Hofnarr des Elfenkönigs Oberon. im Sommernachtstraum. Die Studenten leben mit ihnen wie das liebe Vieh zusammen. Das Leben meiner Münchner Freunde mit ihren Modellen hatte mehr Romantik. Hier ist alles kindlich naiv. Wenn ich an PohlAnton Pohl, Kunstmaler in München (Theresienstraße 65, 1. Stock) [vgl. Adreßbuch für München 1890, Teil I, S. 264] war Student an der Münchner Kunstakademie [https://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1884-1920/jahr_1887/matrikel-00392]. Wedekind listete ihn im Tagebuch unter seinen Bekannten auf („Pohl Maler“) und datierte die Bekanntschaft auf das Jahr 1890 [vgl. Tb, S. 53 und S. 115]. zurückdenke, beschleicht mich ein Heimweh eigener Art wie nach den Geistern im Höllenpfuhl.

Nun leb wohl lieber Bruder. Nochmals herzlichen Dank für Deine Liebenswürdigkeit, mit der Du meiner gedenkst. Es war thatsächlich Zeit, mich an mein eigenes Interesse zu mahnen. Empfange meine besten Grüße. Grüße Emma aufs herzlichste von mir. In der Zuversicht, daß Deine Lieben sich im besten Wohlsein befinden, Dein treuer Bruder
Franklin.

Frank Wedekind schrieb am 8. November 1892 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, 8.XI.1892.


– – – – – – – – – – – – – – – – Seit meiner RückkehrWedekind war am 12.9.1892 von einer vierwöchigen Reise nach Lenzburg, Bern und Genf nach Paris zurückgekehrt [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.9.1892]. „Seine Mutter und seine Geschwister hatten Frank gebeten, wegen der in Paris grassierenden Cholera nach Lenzburg zu kommen.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, 159] In Bern hatte er den 4. Internationalen Friedenskongress (23. bis 28.8.1892), in Genf gemeinsam mit seinem Bruder Donald seine Schwester Emilie (Mati) besucht. nach Paris habe ich ein französisches BalletWedekinds Tanzpantomime „Le Puces. La Danse de Douleur. Ballet-pantomime en trois tableaux“ [KSA 3/I, S. 9-21] entstand in den vorangegangenen zwei Monaten [vgl. KSA 3/II, S. 749]. Im Dezember berichtete er, er „hätte ein Ballet für Follie Bergers geschrieben, mit dem es nichts vorwärts wolle“ [Tb, 8.12.1892], kurz darauf von seiner „Affaire mit dem Flohballet“ [Tb, 11.12.1892]. geschrieben, habe auch bereits einen der ersten Pariser ComponistenRaoul Stéphane Pugno, Komponist und Professor für Harmonielehre am Pariser Konservatorium, der bereits verschiedene Ballettmusiken geschrieben hatte. Eine Zusammenarbeit kam nicht zustande [vgl. KSA 3/II, S. 765f.], ebenso wenig wie mit Richard Strauss, dem Wedekind sein Ballett später ebenfalls anbot [vgl. Wedekind an Richard Strauss, 11.2.1896]. dafür gewonnen und von einflußreichen Leutennicht identifiziert. Einen Monat später nahm Wedekind Kontakt mit einem Redakteur der Pariser Zeitung „Le National“ auf – „setze mit Ach und Krach die Epistel an Mr. Leblanc auf“ [Tb, 9.12.1892] –, dem er das Manuskript offenbar aushändigte. Knapp zwei Wochen später notierte er: „Ich gehe zu Tisch und dann auf die Redaction des National, um mich womöglich meines Ballets wieder zu bemächtigen. Mr. Leblanc ist aber eben fortgegangen.“ [Tb, 21.12.1892]. in der Pariser Presse die Versicherung, daß es zur AufführungWedekinds Ballett blieb unaufgeführt. gelangen wird. Wenn mein LustspielSeinen Schwank „Fritz Schwigerling“ hatte Wedekind am 11.7.1892 abgeschlossen [vgl. Tb], er erschien aber erst Jahre später unter dem Titel „Der Liebestrank“ (1899) [vgl. KSA 2, S. 1004]., das ich im Laufe des Sommers geschrieben und auf das ich von Berlin herWedekind hatte „Fritz Schwigerling“ an den Bühnenverleger und Theateragenten Theodor Entsch in Berlin (Mittelstraße 25) [vgl. Berliner Adreßbuch für das Jahr 1892, Teil I, S. 272] geschickt [vgl. Tb, 3.8.1892] und veranlasste später durch seinen Freund Carl Langhammer die Weiterleitung des Manuskripts an eine andere Agentur [vgl. Tb, 22.12.1892]. noch keine Antwort erhalten, nicht reüssiren sollte, so erwarte ich mir von diesem Ballet wenigstens einen auch pecuniär dankbaren Erfolg. Außerdem erwarte ich auf Neujahr den ErtragWedekinds „Kindertragödie“ „Frühlings Erwachen“ war im Oktober 1891 bei Jean Groß in Zürich erschienen, so dass Wedekind zum Jahreswechsel eine erste Abrechnung der Umsätze erwartete. meines Frühlings Erwachen, der wenigstens ein Tropfen, wenn auch auf einen heißen Stein sein wird. Gegenwärtig wird es von einer der ersten Pariser Schriftstellerinnen, Jean de NéthyPseudonym der österreichischen Gräfin Emmy de Némethy, die in Paris als Kritikerin, Übersetzerin und Schriftstellerin lebte. Auf sie war Wedekind durch Otto Julius Bierbaum aufmerksam gemacht worden [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 7.7.1892]. Ihre Übersetzung von „Frühlings Erwachen“ sollte in der Zeitschrift „Revue des Revues“ und später als Buch erscheinen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 31.5.1893], was allerdings nicht geschah. Wedekinds Bemühen, die französische Fassung bei Albert Langen in Paris unterzubringen [vgl. Tb, 21.1.1894], scheiterte offenbar. Persönlich lernte Wedekind Emmy de Némethy erst im Mai 1893 kennen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 31.5.1893]., einer Dame aus der höchsten Gesellschaft, ins französische übersetzt.

Unter häufigen Unterbrechungen, die die Realisirung meines Ballets mit sich bringt, arbeite ich jetzt an einem großen Trauerspieldie fünfaktige Urfassung „Die Büchse der Pandora. Eine Monstretragödie“. Am 12.6.1892 notierte Wedekind erstmals, er habe die „Idee zu einer Schauertragödie“ [Tb]; während seines London-Aufenthaltes im Juni 1894 schloss er die Arbeit an der Urfassung des Stücks dann ab [vgl. KSA 3/II, S. 833]. , mit dem ich mir meinen in Deutschland durch mein Fr. Er. erworbenen Namen zu sichern denke. Deshalb habe ich Mieze um die UnterstützungGeld für seinen Unterhalt; da Armin Wedekind das vom Vater geerbte Vermögen seiner Schwester Erika mitverwaltete, wäre die Auszahlung über ihn erfolgt. Frank Wedekind erhielt einen Teil des erbetenen Geldes stattdessen jedoch von seiner Mutter [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 14.11.1892 und Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893]. gebeten, sonst würde ich wohl schon für Zeitungen zu arbeiten begonnen haben. Ich gäbe indessen alles dafür, wenn ich das vorher noch beenden könnte. Ich habe meine Bitte leider bis zum letzten Augenblick hinausgeschoben. Laß mich also bitte nicht mehr lange warten. Schreib mir wenigstens umgehend zwei Worte. Indem ich Dir im voraus aufs herzlichste danke, mit den besten Grüßen an Emma und Dich und in der Hoffnung, daß Ihr Euch beide des besten Wohlseins erfreut, Dein treuer Bruder
Frank.


Ich schreibe im Café mit einer heillos spitzen Feder. Daher das Gekritzel, für das ich um Entschuldigung bitte.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 24. Februar 1893 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 25.2.1893 aus Paris:]


[…] dein Brief traf mich in dem Augenblick, als ich an dich schreiben wollte […] Deinem Brief gemäß […]

Frank Wedekind schrieb am 25. Februar 1893 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, 25.II.1893.


Lieber Bruder,

dein Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 24.2.1893. traf mich in dem Augenblick, als ich an dich schreiben wollte, und zwar in meinen eigenen Angelegenheiten. Ich sah mich darauf angewiesen durch eine Cartevgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.2.1893., die mit der gleichen Post von Donald an mich eintraf. Ich weiß nun wirklich nicht, ob ich Dir zuerst auf Deinen Vorschlagden Umgang mit Donalds Erbe betreffend (siehe unten). antworten und dann meine Bitte aussprechen soll oder umgekehrt. Da die beiden Angelegenheiten in einander greifen, will ich da anfangen, wo sich mir der Anfang bietet.

Du weißtArmin Wedekind verwaltete das Erbe des Vaters für seine Geschwister und unterstützte seine Mutter bei den Bemühungen um den Verkauf von Schloss Lenzburg. Frank Wedekind hatte sich sein verbliebenes Erbteil des Wertpapiervermögens zur Finanzierung seines Paris-Aufenthalts bereits auszahlen lassen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 14.3.1892]., daß ich Mama Anfang Winters um 2000 frs gebeten habe, d. h. ich hatte Mieze darum gebetenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Erika Wedekind, 7.11.1892. und erhielt darauf hin 1000 von Mamadas Begleitschreiben zu der Geldsendung der Mutter ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 12.11.1892., mit der Zusicherung, daß ich die übrigen 1000 eventuell bekommen könnte. Ich habe darauf hin noch 200 frsdas Begleitschreiben zu der Geldsendung ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 26.1.1893. von Mama erhalten und 200 schickte mir DonaldHinweis auf das Begleitschreiben zu der Geldsendung: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 8.2.1893. Anfang dieses Monats. Ich hatte ihn um circa 500 gebetenvermutlich in den beiden nicht überlieferten Briefen Frank Wedekinds an Donald Wedekind, 25.1.1892 und 5.2.1893., und er schrieb mir damals, daß ich den Rest vor Ende des Monats haben könnte. Nun erhalte ich eben eine Carte von ihm, worin er mir anzeigt, daß er mir leider nichts schicken könnte. Ich sah mich dadurch in einer Hinsicht – von Anderem abgesehen, das sich leicht arrangiren läßt – aber in einer Hinsicht in einer sehr unangenehmen Verlegenheit. Ich schulde nämlich frs 75 – der alten Frau HerweghDie 75jährige Schriftstellerin und Politikerin Emma Herwegh, Witwe des Dichters und Revolutionärs Georg Herwegh, lebte seit 1878 in Paris und zählte im September 1893 und Januar 1894 gemäß Wedekinds Tagebuch zu seinen engen Kontakten., für eine französische ArbeitEmma Herwegh war Wedekind gemeinsam mit Louise Read bei der Korrektur der umfangreichen französischsprachigen Dialoge in der entstehenden „Monstretragödie“ „Die Büchse der Pandora“ behilflich, wie das Tagebuch ausweist: Am 8.1.1894 sagte sie ihm, „sie hätte eben den vierten Akt schon gelesen, sie finde ihn fürchterlich. Die Read sei bei ihr gewesen […] Sie habe sie gebeten, mit mir zusammen das Französische im vierten Akt durzugehen […] Wir gehen die französischen Stellen im vierten Akt zusammen durch“ [Tb]. Kurz darauf notierte Wedekind: „bin um halb zehn bei der alten Herwegh. Gleich darauf kommt Mlle Read und wir nehmen zu dritt noch einmal das Französische im vierten Akt durch.“ [Tb, 11.1.1894] Und am 15.1.1894 schreibt er: „Am Nachmittage nehme ich den 4. Akt unter den Arm und gehe damit zur Read. Sie hat mir versprochen ihn noch einmal lesen zu wollen.“ [Tb] Die fast durchgängig französischsprachigen Dialoge finden sich in den Auftritten IV/1 [vgl. KSA 3/I, S. 234-238], IV/6 [vgl. KSA 3/I, S. 248f.], IV/9 bis Auftakt IV/14 [vgl. KSA 3/I, S. 252-257] und IV/20 [vgl. KSA 3/I, S. 268-274]; den 4. Akt hatte Wedekind am 3.1.1894 abgeschlossen: „gehe nach Hause, schreibe noch die letzten drei Sätze am vierten Akt und trage das Manuscript zur alten Herwegh.“ [Tb], die sie mir korrigirt hat. Diese 75 frs sind am 28.II. d. h. am Dienstag fällig, und es würde mir wirklich eine unendliche FatalitätUnheil. daraus erwachsen, wenn ich sie ihr nicht bezahlen könnte. Frau Herwegh ist arm und auf derartige Arbeiten angewiesen. Dessenungeachtet habe ich ihr die Arbeit nicht aus Mitleid übergeben, sondern erstens, weil ich die Correctur in der That nöthig hatte, und zweitens, weil ich durch sie Bekanntschaften zu machen hoffte, die mir von großem Werth sein könnten. Sie hat das dann auch, ohne daß davon die Rede gewesen wäre, vollkommen begriffen und mich mit verschiedenen namhaften Pariser Redacteuren und Componisten in liebenswürdigster Weise in Verbindung gebracht. Da mich nun Donald im Stich gelassen, da ich nicht weiß, wo Mama momentan ist, da ich auch nicht mit Bestimmtheit annehmen kann, daß Mieze so viel Geld übrig hat, so wende ich mich an Dich, an Dich persönlich mit der Bitte, wenn es Dir möglich ist, mir aus deinen eigenen Mitteln über die peinliche Unannehmlichkeit hinwegzuhelfen, und mit der Versicherung, daß du mir einen zehnmal größeren Dienst damit erweist, als das Vorstrecken von 75 frs. unter gewöhnlichen Verhältnissen zu bedeuten hätte. Wäre es eine gewöhnliche Schuld, so würde ich mir sagen, ich könnte sie ebenso gut jemand anders schuldig sein wie dir, ich würde jedenfalls lieber jemand fremden, der von mir verdient, als dich damit belästigen. Es ist aber eine rein gesellschaftliche Verpflichtung, die ich in der Zuversicht auf das Versprechen Donalds eingehen zu dürfen glaubte und deren Nichterfüllung mich das Zehnfache kosten würde. Von den 2000 frs, die mir Mama versprochen, habe ich 1200 frs von Mama und 200 frs von Donald erhalten. Du siehst daraus, daß ich keine übermäßigen Ausgaben gemacht. Ich habe diesen Winter thatsächlich so einfach wie nur irgend möglich gelebt. – Wenn Du in der Lage bist, mir den großen Dienst, um den ich dich bitte, erweisen zu können, so schicke mir die frs 75 – bitte umgehend telegraphisch. Mit der gewöhnlichen Post würden sie kaum mehr zur rechten Zeit eintreffen. Du bist meines herzlichsten aufrichtigsten Dankes gewiß. Seit dem Empfang von Donalds Karte befinde ich mich in ununterbrochener Aufregung über das mir bevorstehende Mißgeschick, in einer Aufregung, die mit Absendung dieses Briefes keineswegs gehoben ist, da ich ja nicht weiß, ob du mir helfen kannst oder nicht. Ich hoffe natürlich darauf, da es das einzige ist, worauf ich hoffen kann. Ich bitte Dich, wenn es Dir irgend möglich ist, mir deinerseits den großen Dienst nicht zu versagen. Ich versichere Dich, es ist kein Bagatellunbedeutende Angelegenheit., es sind keine 75 frs, es ist so ziemlich das beste, was ich mir hier in Paris bis jetzt mit unendlicher Mühe errungen.

Und nun zu DonaldNach seiner Matura war Donald Wedekind am 9.9.1892 zunächst nach Turin gereist [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.9.1892] und hielt sich bis Februar 1893 in Italien auf, vorwiegend in Rom. „Dort konvertierte er zum katholischen Glauben und nahm sich vor, in ein Jesuitenkolleg einzutreten. Der Plan scheiterte.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 159].. Deinem Brief gemäßnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 24.2.1893. hast Du ihm bis jetzt 6500 frs geschickt, das macht nach Abzug dessen, was er mir vergangenen Sommer in Lenzburg und dann vor 4 WochenVermutlich bezieht sich Wedekind hier auf seine erste briefliche Bitte an Donald Wedekind um Geld [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 25.1.1893], das er dann am 8.2.1893 erhielt. Demnach hat er sich 1000 Francs in Lenzburg geliehen und später noch die genannten 200 Francs erhalten. vorgestreckt, 5300 frs. Das ist allerdings etwa das Dreifache von dem, womit er das behaglichste Leben hätte führen können. Seine Briefe an mich fließen ebenfalls von verrückter verworrener Verzweiflung über, die aber jedenfalls zum guten Theil Komödie ist. Gearbeitet hat er den Winter über einiges, das kann ich am besten bezeugen, da er es mir zur Correctur übersandtDonald Wedekind hatte seinem Bruder seit Herbst das Manuskript zu seiner Reisebeschreibung „Eine Auswanderfahrt im Jahre 1889“ zur Korrektur zugeschickt [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 11.10.1892 sowie die daran anschließende Korrespondenz]..

Der Hauptgrund seiner Verschwendung liegt offenbar darin, daß er in Rom nicht das gefunden, was er gesucht, und vor allem jeder anständigen gebildeten Gesellschaft entbehrt. Ich finde gleichfalls, daß das wenigste, was er sich für sein Geld verschaffen könnte, eine gediegene Bildung wäre. Ich habe ihn daher auf die Klage in seinem letzten Briefvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 8.2.1893. , nicht mehr arbeiten zu können, dringend gebetenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 19.2.1893. , hierher zu kommen, da sich ihm hier Gelegenheit zur Arbeit auf den Bibliotheken, wo ich mich auch täglich aufhalte, von selbst bietet, und da er hier auch in anderer Hinsicht von seinem Gelde einen wenigstens relativ guten Gebrauch machen könnte. Er hat mir darauf noch nicht geantwortet. Ich werde ihm nun noch den anderen Vorschlag machen, nach München zu gehen. Ich könnte ihm dorthin die besten Empfehlungen mit geben und er in seinem Alter könnte in München jedenfalls ebenso viel profitiren wie in Paris. Desgleichen steht ihm, wenn er sich durchaus der katholischen Kirche widmen will, das ja in München wie in Paris ebenso und vielleicht leichter zu Gebote wie in Rom. Soweit mein moralischer Einfluß auf Donald reicht, gebe ich Dir die Versicherung, daß ich nichts unversucht sein lasse, was ihn von seinen gegenwärtigen Sprüngen zurückführt. Dabei hege ich doch noch die feste Zuversicht, daß er, sobald er irgendwo festen Fuß gefaßt und eine anregende, anständige, gebildete Gesellschaft gefunden, selber rasch zur Besinnung kommen, und sich der Arbeit, sei es welche es sei, widmen wird. Ich verspreche Dir, daß ich alles aufbieten werde, um ihn dahin zu bringen. Was Deinen Vorschlag in Bezug auf seine Papiere betrifft, so würde ich den Auftragnicht ermittelt. natürlich übernehmen. Ich verspreche mir davon allein aber keine großen Vortheile. Die beste Garantie für seine Umkehr sind, soweit mein Urtheil reicht, seine verzweifelten Briefe, indem sie davon Zeugniß ablegen, daß er sich bei seinem Leben alles andere eher als wohl fühlt. Theil mir bitte Deine Ansicht darüber mit und ob Du mit meiner Ansicht einverstanden bist. Ich meinerseits werde derweil alles aufbieten, um ihn aus Italien zu entfernen. Ich glaube, wie gesagt, daß, sobald er anständige Gesellschaft gefunden, auch sein besseres Ich wieder wach werden wird. – Und nun noch einmal, lieber Bruder, laß mich, wenn Du irgendwie kannst, bitte nicht im Stich. Im Voraus mit bestem Dank und den herzlichsten Grüßen Dein treuer Bruder
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 20. März 1893 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, 20.III.1893.


Lieber Bruder!

– – – Vorgesternam 18.3.1893. kam Thomar durch auf seiner Reise nach England – zu welchem ZweckDer mit Armin, Frank und Donald Wedekind befreundete Zürcher Medizinstudent Elias Tomarkin heiratete am 21.3.1893 in London die 25jährige Jeannette Althausen aus Wilna; am 6.4.1893 kam in London der gemeinsame Sohn Percy Henry Bysshe Tomarkin zur Welt [vgl. Rogger/Herren 2012, S. 186]. Bereits am 28.3.1893 reiste Elias Tomarkin wieder über Paris zurück nach Zürich [vgl. Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893]. wissen die Götter, er hat mir nichts anvertraut. – – – Auf der Rückkehr, die in einigen Tagen stattfinden soll, will er sich hier einige Zeit aufhalten. Er sagte mir, Donald wolle ihn eventuell abholen. Ich erwarte Donald also mit tausend Freuden. Du selbst, der Du jetzt ja auch die Ellbogen etwas freier hast, kommst ja vielleicht mit. Ich weiß nicht, ob Zürich momentan sehr krank istAnspielung auf den Arztberuf des Bruders. Armin Wedekind hatte sich im Oktober 1888 im inzwischen nach Zürich eingemeindeten Riesbach mit einer Arztpraxis niedergelassen (Seefeldstraße 81) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1893, Teil II, S. 409]., sonst würde es sich doch jedenfalls ohne Gewissensbisse machen lassen. Wir wären dann unserer vier. Das ist gerade die richtige Zahl, um sich gut zu unterhalten, um eine Loge im Theater zu füllen, und sich gegenseitig nicht zu verleiden, da man ununterbrochen abwechseln kann. Besondere Vorbereitungen kostet es dich auch nicht; du kannst Dich in’s Coupé(frz.) Eisenbahnabteil. setzen, wie Du gehst und stehst. Alles übrige findest Du hier.

Ueberlege dir die Sache. Mir würdest Du eine große Freude dadurch bereiten. Nochmals herzlichen Dank für Deine Bemühungen um Meinetwillen. Meine besten Grüße an Emma und Donald, ebenso an die Kleinen.

Dein treuer Bruder
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 18. April 1893 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, 18.IV.1893.


Lieber Bruder,

darf ich Dich bitten, sobald es dir möglich ist, wieder frs. 1000 zu schickenSeit dem Verkauf von Schloss Lenzburg im März 1893 war Armin Wedekind erneut Ansprechpartner für die Auszahlung von Frank Wedekinds Erbteil. Den Rest seines Anteils aus dem Geldvermögen des Vaters hatte er zu Beginn des Paris-Aufenthalts erhalten., wenn möglich wieder in der Art wie das letzte Mal, indem mir das am wenigsten Legitimationspapiere kostet. Ich denke, wenn möglich noch Ende dieses Monats nach LondonWedekind reiste erst am 23.1.1894 nach London [vgl. Tb]. zu gehen, um ein halbes Jahr wenigstens dort zu bleiben. Uebrigens bin ich davon abgesehen dem Trocknen so nahe wie möglich und wäre Dir daher dankbar, wenn du die ExpedirungAbsendung, Beförderung. möglichst rasch erledigen könntest. Ueber die Abrechnung bin ich so ziemlich durch Donald unterrichtet und möchte dich daher, wenn Du momentan nicht Zeit fändest, durchaus nicht drängen, sie mir mitzutheilen. Eventuell hätte das ja sogar bis zum Herbst Zeit; ich werde im Herbst doch voraussichtlich wieder in Geschäften nach Zürich kommen. Wenn du mir die 1000 Frs indessen möglichst umgehend schicken könntest, wäre ich Dir wie gesagt sehr dankbar.

Am Freitagden 14.4.1893. Morgen um 10 Uhr war ich im Hotel New York. Frau Dr. Armin Wedekinds Schwiegermutter Elise Frey.war um 6 Uhr angekommen und hatte sich zur Ruhe gelegt, kam indessen gleich herunter. Ich vermochte sie dazu, sich von ihrer Gesellschaft zu trennen, und da sie vor der Hand keinen Hunger spürte, geleitete ich sie im offenen Wagen durch die ganze Stadt, über die hauptsächlichsten Boulevards, durch den Louvrehof, in die Elysäischen Felderdie öffentliche Parkanlage Jardins des Champs-Élysées auf beiden Seiten der Avenue des Champs-Élysées zwischen dem Place de la Concorde und der Straßenkreuzung des Rond-Point des Champs-Élysées im 8. Arrondissement., bis wir gegen 12 vor einem der besten Restaurants Diner Européen zum Frühstück abstiegen. Von dort fuhren wir zu ihrem Hotel zurück, wo sich uns eine junge Damenicht identifiziert. ihrer Reisegesellschaft zu einer zweiten Spazierfahrt anschloß. Ich sorgte dafür, daß die Damen sämmtliche bemerkenswerthen Bauten wenigstens im Vorüberfahren zu sehen bekamen. Bei Notre Dame stiegen wir aus und hielten uns wol eine halbe Stunde in der Kirche auf. Dann hielten wir wieder vor dem Magasin du LouvreDie Grands Magasins du Louvre im Louvre Saint Honoré-Gebäude zwischen der Rue de Rivoli, dem Place du Palais-Royal und der Rue Saint-Honoré beherbergten eine Vielzahl von Geschäften., in dem sich die Damen Handschuh kauften. Von dort gings in einem Strom von Equipagen zum Arc de Triomphe hinaus. Meine Damen waren Paris gegenüber ein so dankbares Publikum, wie ich es mir nur wünschen konnte. Die Champs Elysees versetzten sie in ungeheuchelte Begeisterung. Da die junge Begleiterin durchaus auf den Triumphbogen steigen wollte, begleitete ich sie, während Frau Dr. uns im Wagen erwartete. Dann fuhren wir durch die Avenue de Neuillyzeitgenössisch die Allee vom Place de l’Étoile zum Pont de Neuilly (heute: Avenue Charles de Gaulle). und über die großen Boulevards wieder zum Hotel zurück. Frau Dr. war ziemlich müde und legte sich wieder nieder. Es hatte sich indessen herausgestellt, daß ein kleines Mädchen, das von der Gesellschaft war, Helene Stapfer, an Diphtherie erkrankt war. Man ließ den Arztnicht identifiziert. rufen, der ihr die Weiterreise untersagte. Ein schweizer Herr, ein gewisser Herr Senn begleitete sie ins Spital. Ich versprach ihr, sie besuchen zu wollen, und versprach Frau Dr., Herrn Dr. Frey darüber Mittheilung machen zu wollen. Da übermorgen, Donnerstag, Besuchstag im Spital ist, werde ich hingehen und meinem Versprechen gemäß an Herrn Dr. Frey schreiben. Wenn das Kind wieder gesund geworden, wird sie sich einer nachfolgenden Gesellschaft anschließen. Da sich auch Frau Dr. nicht besonders wohl fühlte, verabschiedete sie mich mit der Bitte, noch einmal vorzusprechen. So ging ich denn zur Zeit des Abendessens noch einmal ins Hotel. Da aber alles herzlich müde war und niemand meiner Einladung, den Abend in einem Vergnügungslokal zuzubringen, Folge leisten mochte und konnte, und da ich mich bei der allgemeinen Ermüdung ziemlich überflüssig fühlte, so verabschiedete ich mich endgültig. Ich that, was in meinen Kräften stand, Frau Dr. den Tag so angenehm wie möglich zu machen; in Anbetracht ihrer Reisestrapazen hielt ich darauf, daß sie keinen Schritt zu Fuß zu gehen hatte; und ich versichere Dich, daß mir das alles ein großes Vergnügen war. Zu sprechen hatten wir die Hülle und die Fülle, zumal am Vormittag so lange die zweite Dame nicht dabei war, die den Gesprächston naturgemäß etwas abkühlte. Ueber Tisch war Frau Dr. so gerührt, daß ihr die Thränen in den Augen standen.

Und nun leb für heute wohl; ich schreibe im Café und die Feder läßt alles zu wünschen übrig. Mit den herzlichsten Grüßen an Emma und Dich Dein treuer Bruder
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 31. Mai 1893 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, 4. rue Crébillon, 31.V.1893.


Lieber Bruder,

ich habe mir noch einen neuen Anzug machen lassen und was dazu gehört und möchte Dich bitten, mir doch noch Frs. 300 schickenSeit dem Verkauf von Schloss Lenzburg im März 1893 war Armin Wedekind erneut Ansprechpartner für die Auszahlung von Frank Wedekinds Erbteil. Den Rest seines Anteils aus dem Geldvermögen des Vaters hatte er zu Beginn des Paris-Aufenthalts erhalten. zu wollen.

Ich hatte sehr gehofft, Dich in diesen letzten Tagen noch hier zuhabenrecte: zu haben., indem Dir jetzt doch wol nichts im Wege steht, Dich auch einmal auszuspannen. Nun freue ich mich um so mehr, Dich zu Hause wieder zu sehenWedekind plante für Ende Juni einen Besuch in Lenzburg und Zürich [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 8.5.1893].. Eventuell kommst du dann auf der RückreiseWedekind reiste am 4.9.1893 zurück nach Paris [vgl. Tb]. mit.

Vor einigen Tagen lernte ich hier meine UebersetzerinDie Schriftstellerin und Übersetzerin Emmy de Némethy (Pseudonym; Jean de Néthy) hatte mit der Übersetzung von „Frühlings Erwachen“ ins Französische begonnen – ein Projekt, das Otto Julius Bierbaum angeregt hatte [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 17.3.1893], das aber unabgeschlossen blieb. Zwischen Emmy de Némethy und Wedekind entwickelte sich ein enges Verhältnis, er besuchte sie nicht nur im Rahmen seiner Schweizerreise in Bregenz [vgl. Tb, 5.9.1893], sondern erwog sogar, sie zu heiraten, wie er am 21.1.1894 im Tagebuch notierte: „nehme eine Droschke und fahre zur Nemethy. Ich bleibe bis nach Mitternacht bei ihr. […] Ich habe noch keinen so angenehmen Abend mit ihr verlebt. Wir sprechen über die verschiedensten Dinge und ich komme zu der Überzeugung daß sie ein hülfloses Kind ist und von allen Seiten ausgebeutet und gemißbraucht wird. Wie ich sie verlasse, trage ich mich, wie seinerzeit Strindberg mit dem Gedanken, sie zu heiraten.“ kennen, eine noch junge Dame aus dem höchsten Ungarischen AdelEmmy de Némethys Mutter war eine geborene Gräfin von Schärffenberg, stammte also aus krainisch-österreichischem, nicht ungarischem Adel., die Nichte des Grafen AuersbergEmmy de Némethys Großonkel war Graf Anton Alexander von Auersperg, bekannt als Schriftsteller unter dem Pseudonym Anastasius Grün, dessen Werke sie ins Französische übersetzte.. Sie war bis vor wenigen Wochen in Deutschland. Mein Buch wird hier in der Revue des Revuesseit 1890 in Paris (Rue le Peletier 7) erscheinende Zeitschrift unter Leitung von Jean Finot, die Artikel aus anderen französischen und ausländischen Zeitschriften publizierte. und nachher als Buch erscheinen. Ich freue mich insofern sehr darauf, als mir das den Aufenthalt in Paris für die Zukunft unvergleichlich ergiebiger und angenehmer machen wird. – Vor einigen Tagen sind G. Hauptmanns Weber hier mit glänzendem Erfolg über die Bretter des Théâtre libreDer von André Antoine 1887 gegründete Theaterverein Théâtre libre (Vorbild der Freien Bühne Berlin) veranstaltete in Paris Aufführungen aktueller, vorwiegend sozialkritischer Stücke. Gerhart Hauptmanns naturalistisches Drama „Die Weber“ (1892) wurde in Jean Thorels Übersetzung „Les Tisserands“ am 29.5.1893 im Théâtre des Menus-Plaisirs (Boulevard de Strasbourg 14) aufgeführt. Die Presse schrieb: „On l’a furieusement applaudi, comme tout le reste, d’ailleurs peut-être avec ce sentiment égoïste et ‚chauvin‘ que les malheureux que nous dépeignait M. Hauptmann étaient... de l'autre côté de la frontière. […] Les Tisserands ont été fort bien joués par l’excellente troupe de M. Antoine. […] Cette fois encore, on a pu voir qu’Antoine était un maître incontestable en l’art de faire mouvoir ses gens.“ [Le monde artiste, Jg. 33, Nr. 23, 4.6.1893, S. 403] gegangen. Es ist das ein hochachtbares Zeugnis für den feinen Geschmack und die Aufrichtigkeit der Pariser, denn das Stück ist so philiströsengstirnig, spießig. wie möglich und will nach den strengsten Gesetzen des Realismus gewürdigt werden. Weiteres werden wir uns hoffentlich bald mündlich erzählen können. Vergiß bitte die Sendung – möglichst umgehend – nicht und nimm im voraus meinen Dank nebst den herzlichsten Grüßen an Emma und Dich von Deinem treuen Bruder
Frank.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 9. Oktober 1893 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Franklin!

Soeben erhalte ich den Zeddelin der Schweiz verbreitete Schreibweise für ‚Zettel‘. Ein Zettel lag dem Brief nicht bei, wie aus der Antwort Wedekinds hervorgeht., den ich bei lege. Ich habe, da ich kein Exemplar hier habe, geantwortet, Du werdest Herrn Mayer u Zellerder 1780 gegründete Verlag Meyer und Zeller in Zürich, der seit 1879 von dem Verlagsbuchhändler Heinrich Reimmann (Rathausquai 20) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1894, Teil I, S. 317] unter Beibehaltung des Namens geführt wurde und der ihn am 1.5.1894 verkaufte; das Branchenblatt meldete für „Heinrich Reimmann in Zürich“ die „käufliche Abtretung seiner unter der Firma Heinrich Reimmann, vormals Meyer und Zeller’s Verlag betriebenen Verlagsbuchhandlung“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 126, 4.6.1894, S. (3395)]. Möglicherweise hatte Wedekind bei seinem Besuch im Sommer in Zürich Kontakt mit dem Verleger aufgenommen. „Wedekind war mit dem Verkauf seines ‚Frühlings Erwachen‘ durch den Zürcher Verlag Jean Groß unzufrieden und wartete auf Zahlungen aus den ihm zustehenden Erträgen und reiste deshalb nach Zürich. Da keine gütliche Einigung erzielt werden konnte, suchte er Groß das Verlagsrecht an dem Buch zu entziehen“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S.165]. Erschienen ist die zweite Auflage von „Frühlings Erwachen“ 1894 bei Caesar Schmidt in Zürich [vgl. KSA 2, S. 772]. selber umgehend ein „Frühlingserwachen“ schicken u ihnen auch die verlangten Titel der anderen Sachen angeben. Der Bursche, der geschickt wurde, wollte das Buch baar bezahlen.

Wir haben, d. h. Emma, der Bub u ich, uns einen kleinen Aufenthalt am Thuner|see bei Fürsprech(schweiz.) Anwalt. MützenbergAugust Mützenberg, Rechtsanwalt und Hotelier in Spiez am Thunersee, Bruder von Armin Wedekinds Freund und Kollegen Ernst Mützenberg, mit dem er gemeinsam das Schlosshotel Schonegg betrieb [vgl. Schweizerisches Handelsamtsblatt, Jg. 11, Nr. 77, 27.3.1893, S. (1)]. erlaubt u daselbst angenehme Tage erlebt.

Diesen Winter soll nun noch gehörig englisch studirt werden und es ist nicht unwahrscheinlich, daß ich Dich im künftigen Januar in London aufsuchen werde, wenn ich wenigstens dazu komme, mein a/A/merikaner ProjectArmin Wedekind erwog nach den USA-Reisen seiner Brüder William (1886 bis 1888) und Donald Wedekind (1889) ebenfalls einen längeren Aufenthalt in Amerika, eventuell sogar eine Auswanderung, was aber nicht zustande kam [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.3.1894]. auszuführen.

Soviel in Eile. Da ich nicht weiß, ob Du Dich noch in Paris aufhälst, bin ich in einiger Unruhe, ob Dich der Brief findet. Auch ohne daß/s/ wird es mich sehr freuen, etwas von Dir | und Deinen Plänen für die nächste Zukunft zu hören.

Mit herzlichem Gruß
Dein
Armin.

Frank Wedekind schrieb am 10. Oktober 1893 in Paris folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Paris, 10.X.1893.
63 Rue de Seine.


Lieber Bruder,

herzlichen Dank für Deinen freundlichen Briefvgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 9.10.1893.. Aber der Zeddelin der Schweiz verbreitete Schreibweise für ‚Zettel‘. Ein Mitarbeiter des Verlags Meyer und Zeller aus Zürich hatte bei Armin Wedekind einen Zettel mit Literaturwünschen abgegeben [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 9.10.1893]., von dem Du sprichst, liegt nicht darin. Ich weiß es ganz bestimmt, daß er mir nicht unter den Händen herausgefallen, denn ich habe sofort alles nachgesucht. Würdest Du also so freundlich sein und ihn mir sofort in ein Couvert legen und herschicken. Laß Dich bitte das doppelte Porto nicht reuen, da ich ja nicht weiß, ob der Zeddel nicht von Wichtigkeit ist. Ich habe gar keine Ahnung davon, was die anderen Bücher sein könnten, die darauf verlangt werden, da ja nur das eine„Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“, Zürich: Jean Groß 1891. von mir im Buchhandel existirt.

Des weiteren wollte ich Dich bitten, mir 1000 frs zu schickenArmin Wedekind verwaltete das Erbe des Vaters für seine Geschwister. Frank Wedekind hatte sich sein verbliebenes Erbteil des Barvermögens zur Finanzierung seines Paris-Aufenthalts bereits auszahlen lassen [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 14.3.1892]. Nach dem Verkauf von Schloss Lenzburg im Frühjahr 1893 hatte er Anspruch auf weitere Mittel.. Ich wollte eben an Dich schreiben, als Dein Brief eintraf. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn ich das Geld Ende dieser Woche oder jedenfalls Anfangs nächster hier hätte.

Da ich hier ein sehr angenehmes ruhiges Zimmer gefundenAm 5.9.1893, dem Tag seiner Rückkehr aus der Schweiz, notierte Wedekind: „Im Gare de l’Est nehme ich eine Droschke, versäume leider meinen Koffer gleich mitzunehmen, und fahre in’s Hotel Mont Blanc, rue de Seine 63. Ich miethe mir ein großes helles nach dem Hof gelegenes ruhiges Zimmer im zweiten Stock“ [Tb]. , bin ich noch für einen Monat hier geblieben, um meine Arbeit hier zu vollendenWedekind beendete seine Monstretragödie „Die Büchse der Pandora“ erst in London [vgl. KSA 3/II, S. 833]; er reiste am 23.1.1894 von Paris ab nach London.; da ich nicht weiß, ob ich in London sofort wieder die angenehme Ruhe finde. Ende dieses Monats werde ich aber auf jeden Fall hinübergehen. Außer mit der alten Herwegh, bei der ich jeden zweiten AbendWedekind suchte Emma Herwegh bereits unmittelbar nach seiner Ankunft in Paris am 5.9.1893, auf: „Ich frühstücke im Duval am Boulvard St Michel und gehe nach Tisch zu Frau Herweg. Sie ist die sichtliche Freude wie sie mich wiedersieht. Mlle Read war bei ihr“ [Tb]. Auch für den 8.9. („Bis Mitternacht sitze ich bei der alten Herweg“) und den 10.9.1893 („Ich lege mich aufs Bett und schlafe bis sieben, gehe dann zu Tisch und nachher an Leib und Seele bankerott zu Frau Herwegh“) sind Besuche im Tagebuch verzeichnet, das dann bis Anfang 1894 unterbrochen ist. zu Gaste bin, und einem Kreis französischer Schriftsteller, die ich zwei Mal die Woche bei einer Freundin Mlle. ReadDie Schriftstellerin Louise Read, die in Paris einen Salon führte, war Wedekinds Tagebuch zufolge „die intimste Freundin von François Coppé“ [Tb, 21.12.1892]; bei ihr begegnete er außerdem dem Dramatiker Claude Coutourier [vgl. Tb, 3.12.1894]. treffe, habe ich hier kaum mit einer Menschenseele verkehrt.

Es freut mich, daß du deinen PlanArmin Wedekind plante einen längeren Amerika-Aufenthalt und wollte vorher seinen Bruder in London besuchen. verfolgst. Wenn wir uns im Frühling in London treffen, werden wir einander doch vielleicht wieder besser kennen lernen, als es bei zehnmaligem Wiedersehen in Zürich möglich wäre. Ich bin hier unter fremden Menschen ein ernsterer Mensch als in Zürich, und du wirst es ja wahrscheinlich auch sein. Meine Pläne für die Zukunft werden sich aus der Nothwendigkeit zu leben ergeben. Ich habe jetzt verschiedenes in die Welt gesetzt, was mir diese Nothwendigkeit bedeutend erleichtern kann. Im Uebrigen freue ich mich auf den Kampf.

Verzeih meine schlechte Feder, ich schreibe im Café. Grüße Emma bitte herzlich von mir. Mit den besten Wünschen für das Wohlergehen des KleinenArmin und Emma Wedekinds drittes Kind Eva, das hier gemeint sein dürfte, war am 30.7.1893 geboren. und mit bestem Dank im voraus Dein treuer Bruder
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 24. Februar 1894 in London folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

London, 14.II.1894Dem Briefinhalt zufolge ist von einer irrtümlichen Datierung im Erstdruck auszugehen – 14.2.1894 statt 24.2.1894..


Lieber Bruder,

Seit vier WochenWedekind traf am 24.1.1894 in London ein [vgl. Tb]. sitze ich hier in London und seit vier Monaten habe ich nichts mehr von zu Hause gehört. Ich weiß nicht, wo Mati, wo Mieze, wo Donald, wo Mama ist. Ich habe an verschiedene geschrieben, ohne Antwort zu erhalten. Zu Weihnachten schickte ich Mati und Miezedie beiden Begleitschreiben zu den Sendungen – Bücher und Fotografien [vgl. Frank Wedekind an Donald Wedekind, 4.1.1894] – sind nicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 22.12.1893; Frank Wedekind an Erika Wedekind, 22.12.1893. jeder ein Geschenk nach Dresden. Es hat es weder die eine noch die andere angezeigt gefunden, mit einem Wort darauf zu erwidern. Donald schrieb mirvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 12.12.1893. so was, daß Mieze ein Engagement nach Cassel Erika Wedekind, die auch nach ihrer Prüfung am Dresdner Konservatorium im Frühjahr 1893 dort ihre Ausbildung als Sängerin fortsetzte, schloss im Herbst 1893 einen Vertrag mit dem Hoftheater Kassel ab und sollte ihr Engagement im Frühjahr 1894 beginnen, wurde jedoch vorher in Dresden zur Königlich-Sächsischen Hofopernsängerin ernannt und dort verpflichtet [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 317].angenommen; ob sie das Engagement aber gleich angetreten, konnte ich nicht erfahren. Darf ich dich nun um einen recht ausführlichen Brief bitten. Ich werde jedes Wort wie einen Thautropfen aufsaugen. Ich schrieb Mati vor vierzehn Tagennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 7.2.1894. Das Schreibdatum ist durch Wedekinds kalendarische Notizen für die Tage vom 28.1.1894 bis 10.2.1894 auf einem in London geschriebenen Brieffragment [vgl. Wedekind an Otto Julius Bierbaum, 29.1.1894] belegt. Emilie (Mati) Wedekind war bereits im Januar aus Dresden abgereist. nach DresdenEmilie Wedekind (Mati) trat nach Abschluss ihrer Schulzeit im Herbst 1893 „einen mehrmonatigen Aufenthalt in Dresden an, wo sie Gesangs- und Klavierunterricht am Konservatorium, Schauspiel-, Zeichen- und Malunterricht bei Privatlehrern nahm, um nach einem einmonatigen Aufenthalt im Januar 1894 bei Verwandten in Hannover ihre Mutter wieder bei der Haushaltsführung im Steinbrüchli zu unterstützen.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 323] und erhielt keine Antwort. Ich bin wirklich beunruhigt. Ich hoffe, du wirst meine Empfindungen verstehen. Von allem, was unsere häuslichen Verhältnisse betrifft, bin ich wie abgeschnitten. Schreib mir besonders über Mati. Du wirst ja auch am besten über sie unterrichtet sein. Ich beginne zu fürchten, daß sie am Ende gar nicht mehr in Dresden ist. Ich bitte dich, verschweig mir nichts von dem, was sie betrifft. Wenn es ihr gut geht, will ich gerne auf die Correspondenz mit ihr verzichten. Aber schreib mir auf jeden Fall ihre Adresse. Wie steht es mit deiner AmerikafahrtArmin Wedekind hatte zuletzt von seinen Plänen zu einer Amerikareise berichtet, die ihn über London führen sollte [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 9.10.1893].? – Wann darf ich dich erwarten? – Ich residire hier in einem Boarding HousePension mit Verköstigung (engl.: ‚boarding‘), „wo man für einen festen Preis, 30, 40s. und mehr die Woche, Wohnung und Kost (Breakfast, Lunch, Dinner und Abendthee) findet, und mit dem Eigentümer des Hauses und den übrigen Gästen desselben wie in einer Familie lebt. […] So angenehm dies sein mag, so paßt eine derartige Unterkunft doch nur für den, welcher sich längere Zeit in London aufhält, weniger für den Touristen“ [Karl Baedeker: London und Umgebungen. Handbuch für Reisende. 11. Aufl. Leipzig 1894, S. 10] Wedekinds erste Londoner Adresse war Bedford Place 30, Russel Square., in dem man täglich willkommen ist. Mir wird es eine außerordentliche Freude sein, wiewol ich dich zehnmal lieber in Paris gehabt hätte. Ich habe noch kein abgeschmackteres BuxtehudeToponym für einen provinziellen Ort fernab der Zivilisation. gesehen als dieses London. Ich büße hier alles, was ich je gesündigt habe. Abends um 12 Uhr24 Uhr. wird man polizeilich zu Bett geschicktdurch die geltende Sperrstunde: „Bei allen Abendunterhaltungen Londons ist […] daran zu denken, daß ihnen um Mitternacht, am Sonntag sogar schon um elf Uhr nachts, durch das Early Closing Act eine unübersteigliche zeitliche Grenze gezogen ist.“ [Stichwort ‚Polizeistunde‘ in: Langenscheidts Notwörterbuch. Sachwörterbuch (Land und Leute in England, etc.). Teil III. 2. Aufl. Berlin 1888, S. 467]. Am Sonntag„Die Sonntagsfeier ist in England bekanntlich streng; alle Geschäfte, Läden, Sehenswürdigkeiten und die City Restaurants sind den ganzen Tag geschlossen, andre Speisehäuser nur von 1 bis 3 und von 6 bis 11 U. geöffnet. Viele Geschäfte schließen schon Samstag mittag.“ [Karl Baedeker: London und Umgebungen. Handbuch für Reisende. 11. Aufl. Leipzig 1894, S. 72] bleibt man dem Wahnsinn überantwortet. Dabei keine Schönheit, kein Geschmack, kein Glanz, keine Freude, keine Sonne. Und bei alledem fühlt man sich unausstehlich wol, in dem erhabenen Phlegma, wie ein Schwein unter Schweinen. Bis jetzt habe ich meine Empfehlungen noch nicht abgegeben. Wenn ich erst einige Häuser offen habe, hoffe ich, daß sich mein Horizont erhellen wird. Ich habe Paris mit leichtem Herzen verlassen, weil mir dort die letzten Monate alle gesellschaftlichen Annehmlichkeiten boten, die man sich träumen kann. Ich hatte alles in rosigstem Lichte sehen gelernt. Jetzt nähre ich meine Phantasie kümmerlich von den Lebenszeichen, die mir meine Freunde und Freundinnen über den Canal herüberschicken.

Lasse mich bitte nicht zu lange auf eine Antwort warten. Daß Mati nichts von sich hören läßt, liegt mir schwer auf der Seele. Ich werde mich gerne einige Tage gedulden, in der Hoffnung, daß dein Brief um so ausführlicher wird. Aber leg meine bangen Erwartungen nicht ad acta(lat.) zu den Akten = etwas als erledigt betrachten, nicht mehr berücksichtigen..

Die herzlichsten Grüße an Emma, ebenso an Bubi und vor allem an dich von deinem treuen Bruder
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 27. Februar 1894 in London folgende Widmung
an Armin (Hami) Wedekind

Seinem lieben Bruder
Armin.


London 27. Febr. 94.
Frank Wedekind.


Dem vermummten Herrn der Verfasser.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 14. März 1894 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 21.3.1894 aus London:]


Ich danke Dir für den RomanHinweis auf eine Sendung, zu der das Begleitschreiben hier erschlossen ist..

Frank Wedekind schrieb am 21. März 1894 in London folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

London, 21.III.1894.


Lieber Bruder!

– – – – – – – – – – – – – – – – Ich danke DirHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der Buchsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 14.3.1894. für den RomanWilliam Makepeace Thackerays Roman: „Vanity Fair“ (1847/48) [vgl. GB 1, S. 354].. Er ist allerdings sehr echt, sehr englisch, aber nicht sehr künstlerisch. Ich habe ihn noch nicht ganz fertig gelesen. Ich glaube aber, daß die Sachen von Dickens unvergleichlich höher stehen. Immerhin war er mir sehr willkommen in meiner Einsamkeit. Ich werde ihn jedenfalls auch nicht ohne großen Nutzen gelesen haben.

Die Marquis PosaFigur aus Friedrich Schillers Drama „Dom Karlos“ (1787). Kontext unklar; seit dem Vorjahr lag im Verlag J. G. Cotta in Stuttgart „Don Karlos, Infant von Spanien“ in Band 2 von „Schiller’s sämtlichen Werken“ in 16 Bänden vor [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 114, 19.5.1893, S. (3054)]. Ausgabe ist erschienen. Ich schicke Dir in den nächsten Tagen ein Exemplar. Das von mir im Musenalmanach erschienene Fragment„Bruchstück aus der Komödie ‚Elin’s Erweckung‘“ [KSA 2, S. 507-514], ein Fragment aus Wedekinds nur in Entwürfen überliefertem Stück „Elin’s Erweckung“ [vgl. KSA 2, S. 1135-1144], das Otto Julius Bierbaum mit einer Vorbemerkung Wedekinds in seinem „Modernen Musen-Almanach auf das Jahr 1894“ veröffentlichte [vgl. KSA 2, S. 1144]. habe ich selber bei Mlle Read, der treuesten meiner Freundinnen, in Paris gelassen. Ich möchte Dich aber davor warnen, das Buch zu kaufen. Es ist eine schandbare BlütenleseIn einem Briefentwurf äußerte sich Wedekind gegenüber dem Herausgeber ähnlich deutlich [vgl. Wedekind an Otto Julius Bierbaum, 29.1.1894]. von allen erdenklichen Abfällen, langweilig und werthlos von A bis Z. Ich höre, daß der Verleger bis jetzt fünf Exemplare abgesetzt hat. Du wirst nicht der sechste sein wollen.

Mein Leben hier in London gestaltet sich nach und nach aus. Ich habe zwei sehr angenehme französische Dameneinem späteren Brief zufolge [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 14.4.1894] die Schwestern Louise und Jeanne Douste de Fortis (Hornton Street 4, Kensington) [vgl. London Metropolitan Archives. London City Directories. London 1895, S. 2183], zwei in London geborene Pianistinnen, deren Eltern aus den französischen Pyrenäen stammten. Die Geschwister waren bereits als Kinder erfolgreich aufgetreten und später auch als Sängerinnen und Klavierlehrerinnen tätig. kennen gelernt, bin in einigen englischen Familien gastfreundlich aufgenommen, sodaß ich schließlich doch habe, wohin mein Haupt legenbiblisch inspirierte Redewendung nach Matthäus 8,20: „Jesus sagt zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hin lege.“. Aber Paris – Paris ist es darum noch lange nicht.

Frank Wedekind schrieb am 14. April 1894 in London folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

London, 14.IV.1894.


Lieber Bruder,

es liegt mir schwer auf der Seele, daß ich seit 4 Wochen umgezogenWedekind wohnte inzwischen Air Street 13, Piccadilly Circus. bin, ohne Dir meine Adresse mitzutheilen. Jedenfalls habe ich auf meinen letzten ausführlichen Briefvgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 21.3.1884 – nur gekürzt überliefert. noch keine Antwort bekommen. Es sollte mir unendlich leid thun, wenn sich dieselbe verloren hätte. An Donald schrieb ichHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 25.3.1894. vor einigen Wochen nach Mailand, habe aber auch noch keine Antwort. Wie geht es Dir und wie geht es zu Hause? Hat Mama ihren UmzugEmilie Wedekind war nach dem Verkauf von Schloss Lenzburg im Frühjahr 1893 ins Haus Steinbrüchli am Fuße des Schlossbergs umgezogen. schon bewerkstelligt. Donald schrieb mirHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 11.3.1894. Anfang März hatte Donald Wedekind seinem Bruder von dem bevorstehenden, aber noch nicht sicheren Vertragsabschluss seiner Schwester berichtet [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 6.3.1894]. Das Engagement Erika Wedekinds in Dresden hob den bereits seit Herbst 1893 bestehenden Vertrag mit der Hofoper Kassel auf [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 317]., daß Mieze in Dresden engagirtErika Wedekind war seit dem 1.4.1894 Hofopernsängerin in Dresden. Die Presse in Dresden berichtete: „Frl. Erica Wedekind, Schülerin von Frl. Orgeni, ist für die Königl. Hofoper engagirt worden. Frl. Wedekind debutirt nächsten Donnerstag in der Rolle der Frau Fluth in Nicolai’s ‚Lustigen Weibern‘.“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 39, Nr. 70, 11.3.1894, S. (3)] „Zu dem bereits vorgestern gemeldeten Engagement des Frl. Wedekind läßt uns das Königl. Konservatorium mittheilen: Die Königl. Hofoper hat mit Frl. Erika Wedekind einen fünfjährigen, am 1. April beginnenden Vertrag geschlossen [...]. Die Dame ist seit 3½ Jahren Vollschülerin des Königl. Konservatoriums [...]. Die Besucher der Konservatoriumaufführungen sahen schon seit längerer Zeit mit hohem Interesse die außerordentliche Entfaltung des Talentes der jungen Dame.“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 39, Nr. 72, 13.3.1894, S. (3)] Das Engagement wurde auch in Zürich registriert: „Die Sängerin Erica Wedekind von Lenzburg, welche dieses Frühjahr ihre Studien am Konservatorium in Dresden beendigen wird, ist nach einmaligem Gastspiel (Frau Fluth in ‚Lustige Weiber‘) als erste Soubrette am königlichen Hoftheater in Dresden engagiert worden.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 115, Nr. 77, 18.3.1894, S. (1)] Zu dem Gastspiel kam es durch Erika Wedekinds Auftritt bei einem Wohltätigkeitskonzert im Dresdner Musenhaus kurz zuvor [vgl. Dresdner Nachrichten, Jg. 39, Nr. 67, 8.3.1894, S. (3)]: „Errungen hat Frl. Wedekind sich diesen schnellen und unerwarteten Eintritt in die Hofoper durch den Erfolg ihrer Mitwirkung in einem Wohltätigkeitsconcert der vergangenen Woche, in welchem sie die große Szene und Arie der Norma sang. Unmittelbar darauf erhielt sie von Generalmusikdirektor Schuch die Aufforderung zu einem Probegastspiel im Köngl. Hoftheater“ [Dresdner Nachrichten, Jg. 39, Nr. 76, 17.3.1894, S. (3)]. sei. Mehr weiß ich von Mieze auch nicht. Mir geht es so weit noch gut. Ich habe hier eine unschätzbare Bekanntschaft in dem aus Paris verwiesenenOtto Brandes, seit 1883 Auslandskorrespondent des Berliner Tageblatts, war „wegen ihm fälschlicherweise unterstellter Pressemeldungen über die frz. Panama-Affäre Ende März 1893 aus Frankreich ausgewiesen worden“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 166] und mit seiner Familie nach London übergesiedelt [vgl. dazu ausführlich Sonja Hillerich: Deutsche Auslandskorrespondenten im 19. Jahrhundert. Die Entstehung einer transnationalen journalistischen Berufskultur. Berlin, Boston 2018, S. 140-150]. Die Ausweisung wurde durchgesetzt, obwohl bereits bekannt war, dass Brandes an den ihm vorgeworfenen Korruptionsbezichtigungen gegenüber der Präsidentenfamilie unbeteiligt war [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 22, Nr. 159, 27.3.1893, S. (1)]. Die Angelegenheit wurde in der deutschsprachigen Presse mit Empörung wahrgenommen, auch weil es auf dem Weg zum Bahnhof zu Angriffen auf die Familie Brandes kam [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 22, Nr. 163, 29.3.1893, Abend-Ausgabe, S. (1)]. Dr. Brandes gemacht, in dessen Familie ich mit einer Herzlichkeit aufgenommen bin, über deren Motive ich mir noch nicht recht klar geworden. Im übrigen finde ich das Leben hier immer noch unausstehlich, wiewol ich in einigen Clubs verkehre, wo man für die Nacht wenigstensWedekind litt unter der mitternächtlichen Sperrstunde in den öffentlichen Londoner Lokalen. Die privaten Clubs, bei denen man Mitglied sein oder als Gast mitgenommen werden musste, waren in ihren Öffnungszeiten hingegen nicht eingeschränkt. ein sicheres Unterkommen hat. Außerdem habe ich zwei reizende Französinnendie Schwestern Louise und Jeanne Douste de Fortis (4 Hornton Street, Kensington) [vgl. London Metropolitan Archives. London City Directories. London 1895, S. 2183], zwei in London geborene Pianistinnen, deren Eltern aus den französischen Pyrenäen stammten. Die Geschwister waren bereits als Kinder erfolgreich aufgetreten und später auch als Sängerinnen und Klavierlehrereinen tätig. kennen gelernt, Hofpianistinnen ihrer kgl. H. der Herzogin von Flandernwohl die belgische Königin Marie Henriette Anne von Österreich aus dem Hause Habsburg-Lothringen (seit 1865), die zugleich Herzogin von Brabant war. Flandern war eine Grafschaft, die Gräfin von Flandern war Marie Prinzessin von Hohenzollern-Sigmaringen (seit 1867). Die beiden Musikerinnen Louise und Jeanne Douste de Fortis waren wiederholt vor der belgischen Königin und der Gräfin von Flandern aufgetreten [vgl. Signale für die Musikalische Welt, Jg. 39, Nr. 6, Jan. 1881, S. 86]. Jeanne Douste war 1889 zur Hofpianistin ernannt worden [vgl. Frederick F. Buffen: Musical Celebreties. London 1889, S. 27]., bei denen ich jeden Dienstag Abend in Kunst- und anderen Genüssen schwelge. Das sind meine wöchentlichen Oasen, an deren CisternenZisternen = Wasserbehälter. ich mich wie ein Kameel für die ganze Wüstenwanderung mit Seelentrost vollpumpe. In all der Misèremisère (frz.) = Misere, Elend, bejammernswerter Zustand. träume ich allnächtlich von alten schönen Tagen, von München, von meiner Freundin Katharina III.die Malerin Käthe Juncker [vgl. GB 1, S. 354], die Wedekind 1891 in Öl porträtiert hatte. Das Bild diente als Vorlage für das Frontispiz in der Erstausgabe von „Frühlings Erwachen“ (1891). 1892 hatte Wedekind in Paris eine Liaison mit ihr und führte sie in seinem Tagebuch unter dem Namen Katja; der Spitzname Katharina III. hier wohl in Anspielung auf die russische Zarin Katharina II., die wegen ihrer zahlreichen Liebhaber berüchtigt war. Ich habe nie solches Heimweh nach Deutschland empfunden wie hier. Ich wohne jetzt im Centrum der 7 Millionen Stadt, unter den Bleidächern am Picadilly Circus, theurer und schlechter als in Paris, aber ich schätze mich glücklich, dem Bazar entronnen zu sein, dem BoardinghousePension mit Verköstigung (engl.: ‚boarding‘)., in das mich ein böser Stern geführt hatte.

Wenn Du in Zürich irgend jemanden triffst, der Dir die Adresse von Frau KinkelMinna Kinkel (geb. Werner), Witwe des exilierten Politikers und Kunsthistorikers Gottfried Kinkel, lebte in Zürich (Schönbühlstraße 15) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich 1894, Teil I, S. 210], wo ihr Mann seit 1866 Professor für Kunstgeschichte gewesen war. Zuvor lebte sie in London, wo sie 1858 den ehemaligen 1848er-Revolutionär Gottfried Kinkel kennengelernt und dort am 31.3.1860 geheiratet hatte. geben kann, so wäre ich Dir sehr dankbar dafür. Ich möchte gerne unter irgend welchem Vorwand ihre Bekanntschaft machen. Eine gute Empfehlung an die Dame wäre mir natürlich sehr angenehm. Sonst sag aber lieber nicht, für wen es ist, damit sie nicht vorher gewarnt wird.

Und nun leb wohl. Schreib mir gelegentlich, wenn Du mir auch nicht viel neues mitzutheilen hast. Es ist immer besser als gar nichts. Mein neues Trauerspiel, ,,Die Büchse der Pandora“, wird voraussichtlich in Paris erscheinenWedekind beabsichtigte sein Stück „Die Büchse der Pandora. Eine Monstretragödie“, das er in London fertigstellte, bei Albert Langen in Paris erscheinen zu lassen, den er am 18.1.1894 in Paris wegen einer französischen Übersetzung von „Frühlings Erwachen“ aufgesucht hatte [vgl. Tb]. Wegen seiner fünfaktigen Monstretragödie verhandelte er mit ihm seit August 1894 [vgl. KSA 3/II, S. 833], was zur Umarbeitung ihrer ersten drei Akte zu dem vieraktigen Stück „Der Erdgeist“ führte (die beiden letzten Akte wurden zum zweiten Teil der Doppeltragödie umgearbeitet, dem dreiaktigen Stück „Die Büchse der Pandora“).. Aber die Sache ist noch nicht sicher. Grüße Emma herzlich von mir. Mit den besten Grüßen Dein treuer Bruder
Frank.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 30. April 1894 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis und Referat in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 2.5.1894 aus London:]


[…] ich danke Dir für Deine Nachrichten. […] Du fragst mich nach Guitarren Accorden.

Frank Wedekind schrieb am 2. Mai 1894 in London folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

London, 2.V.1894.


Lieber Armin,

ich danke Dir für Deine NachrichtenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 30.4.1894.. Es freut mich zu hören, daß es Mama besser geht. Ich werde ihr nun jedenfalls auch zu ihrem GeburtstagEmilie Wedekind wurde am 8.5.1894 54 Jahre alt. schreiben. Mir geht es so weit gut. Ich habe hier jetzt mehr Verkehr, meist unter deutschen Flüchtlingen. Wir treffen uns in demselben ClubDer Communist Club in London ging aus der am 7.4.1840 von sieben Mitgliedern des Bundes der Gerechten gegründeten Deutschen Demokratischen Gesellschaft hervor. Karl Marx und Friedrich Engels schlossen sich dem Bund 1847 an, der dann in Communist League (Bund der Kommunisten) umbenannt wurde. Gottfried Kinkel trat dem Bund nach seiner Flucht aus Deutschland 1850 bei. Der Versammlungsort der Clubmitglieder war zunächst Great Windmill Street 20 in Soho, ab 1846 in Räumlichkeiten in der Drury Lane. Der Club spaltete sich mehrfach auf. Während Wedekinds Aufenthalt war der Communist Club in der Tottenham Street 49 beheimatet, eine anarchistische Abspaltung in Stephens Mews, Rathbone Place., der vor 80wahrscheinlich Übertragungsfehler, statt: 50. Jahren von Marx, Kinkel und Engels gegründet worden. Meine aesthetischen Bedürfnisse befriedigen die Damen Doustedie Schwestern Louise und Jeanne Douste (Hornton Street 4, Kensington), die als Pianistinnen, Sängerinnen und Klavierlehrerinnen in London tätig waren., zwei reizende Französinnen, die schönsten Mädchen, die ich je gesehen, und bei denen man sich alle vierzehn Tage in Frack und weißer Cravatte zusammenfindet. Ein solcher Abend ist ein wahres Labsal für mich, besonders da man etwas freier sprechen darf als in Herrengesellschaft. Wenn Du die ältere der beiden sähest, in ihrer Haltung, in ihren Bewegungen, in der absoluten Harmonie ihrer Erscheinung, ich wüßte nicht, was mit Dir geschähe. Wahrscheinlich das gleiche, was mit mir geschieht. Ich habe nie so viel Intelligenz mit soviel Lebhaftigkeit, soviel Schönheit und so viel Liebenswürdigkeit vereinigt gesehen. Dabei ist sie höchstens 22 Jahr altLouise Douste war 30, Jeanne Douste 23 Jahre alt.. Ich thue ihr vielleicht noch Unrecht damit. Dabei stark brünet und eine volle elastische Figur. Ich hätte nie geglaubt, daß solch ein Prachtwerk in der Wirklichkeit möglich wäre.

Donald hatte mir eine Empfehlung geschickt, für die ich ihm sehr dankbar bin, von Dr. BölscheWilhelm Bölsche, Schriftsteller und von 1890 bis 1893 Redakteur der Zeitschrift „Freie Bühne“, lebte seit Oktober 1893 vorübergehend in Zürich, nachdem er das Verhältnis zwischen seiner Frau Adele und dem mit ihm befreundeten anarchistischen Publizisten Bernhard Kampffmeyer entdeckt hatte, in dessen Haus in Friedrichshagen (Wilhelmstraße 72), einem Treffpunkt des Friedrichshagener Dichterkreiseses, das Paar wohnte. Bernhard Kampffmeyer und Adele Bölsche reisten daraufhin nach Paris und London, wo sie am 22.12.1893 eintrafen. in Zürich an Herrn Kampfmeyer hier. Herr Kampfmeyer hat mich in den anarchistischen Club geschleppt. Ich traf dort viele Bekannte, die ich letzten Sommer in ZürichWedekind war von Juli bis September 1893 in Zürich und besuchte den Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongress in der Tonhalle (6.8. – 12.8.1893). kennen gelernt, viele Flüchtlinge aus ParisNach einem Bombenanschlag auf die Nationalversammlung in Paris durch den Anarchisten Auguste Vaillant am 9.12.1893 erließ die französische Regierung mehrere Gesetze, die die Pressefreiheit einschränkten und sich gegen politische Sympathisanten richteten (‚lois scélérates‘). Man darf annehmen, dass etliche Sozialisten und Anarchisten daraufhin das Land verließen, um einer Verhaftung zu entgehen., kaum einer darunter, der nicht schon irgend wo einige Zeit hinter verschlossenen Thüren zugebracht.

Du fragst mich nach Guitarren Accorden. Ich habe nun momentan leider keine Guitarre. Ich habe mir in Paris eine Violine gekauft, mit der ich meine einsamen Stunden erheitere. Ich gehe fortwährend mit dem Gedanken um, mir auch wieder eine Guitarre zuzulegen. Aber bei den schlechten Zeiten kann das noch ein Weilchen dauern. Ich habe mir aus dem Kopf die Accorde zusammenzustellenGemeint sind die Griffmuster der linken Hand zur Liedbegleitung auf der Gitarre. Im Folgenden erläutert Wedekind seinem Bruder die gängige Akkordfolge der tonalen Harmonik (Tonika – Subdominante – Dominante – Tonika). gesucht. Es ist mir aber nur mit zweien gelungen, auf die sich allerdings schon die meisten Lieder singen lassen. Sobald ich eine Guitarre habe, schicke ich Dir die anderen nach. Es thut mir besonders leid, daß ich keinen Mollaccord zusammengebracht. Eine weitere Erklärung ist zu den Accorden nicht nöthig. Jedes Lied beginnt mit der Tonica, geht dann in die Oberdominante über, um wieder zur Tonica zurückzukehren. Ausnahmsweise geht die Untere der Oberen voraus.

Nun leb wohl, lieber Bruder. Ich dank Dir auch für das FeuilletonEs dürfte sich um Hermann Stegemanns Besprechung von Max Halbes Drama „Jugend“ in der „Neuen Zürcher Zeitung“ gehandelt haben, die mit den Worten schließt: „Ich kenne aber noch ein modernes Büchlein, das den Anspruch erheben darf, wenn auch nicht poetisch und dramatisch neben die ‚Jugend‘ gestellt, so doch inhaltlich und der Analyse nach ihr vorangestellt zu werden. Es heißt ‚Frühlingserwachen‘, eine Kindertragödie von Frank Wedekind. Darstellbar ist die Tragödie nicht“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 115, Nr. 116, 27.4.1894, Morgenblatt, S. (2)].. Rühmend ist es gerade nicht, aber immer besser als nichts. Mit den herzlichsten Grüßen Dein treuer Bruder
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 28. Januar 1905 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Alles Schöne Gute und Liebe
wünscht DirWedekind gratulierte seinem Bruder zu seinem 42. Geburtstag am 29.1.1905. von Herzen
Dein treuer Bruder
Frank.


Donald schließt sich diesem Wunsch aus vollem Herzen an.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 6. Oktober 1905 in Zürich folgenden Brief
an Frank Wedekind

Zürich, den 6. Oct.
1905.


Lieber Bruder!

Bei unsrer Uebernahme von Papas Erbschaft blieb ein Posten von 26 PanamaobligationenDie von der französischen Panamagesellschaft ausgegebenen Schuldverschreibungen für den Bau des Panamakanals konnten seit Dezember 1888 nicht mehr eingelöst werden und waren damit wertlos geworden. Am 4.2.1889 wurde in Paris die Liquidation der Panamakanal-Gesellschaft gerichtlich verfügt. Nachdem der Liquidator der Gesellschaft 1904 die vorhandenen Maschinen, Gebäude, die Panamabahn und die Kanalstrecke sowie die Baukonzession an eine amerikanische Auffanggesellschaft verkauft hatte, konnten die Obligationäre der alten Panamagesellschaft entschädigt werden. zu nominell frs 500, damals gewerthet zu 5 frs pro Stück ungetheilt. Da die jetzige Panama-Gesellschaft sich mit der jetzigen alten auseinandergesetzt hat, ist eine Liquidation dieser Obligationen begonnen worden, bei welcher bis jetzt eine Rate von 10 % an die Obligationäre ausbezahlt wurde. | Den Betrag dieser Rate, frs 1391.25 Cms. habe ich letzter Tage in Empfang genommen und beeile mich, jedem der 7 Teilhaberdie sechs Geschwister und Wedekinds Mutter. sein Siebtel zuzustellen. Dasselbe beträgt fr. 198.75 cms. Unter Abzug des Porto fr. 198.15 cms, wofür ich beim Banquiernicht identifiziert. M. 160.70 Pf. erhielt, die ich Dir hiemit übersende.

Ob noch weitere Raten ausbezahlt werden, kann ich natürlich nicht wissen, die Zeit wird’s | lehren.

Indem ich die Gelegenheit benütze, Dir von Herzen alles Gute zu wünschen, bleibe ich mit freundlichem Gruss
Dein Bruder
Armin.

Frank Wedekind schrieb am 23. Dezember 1907 in Berlin
an Armin (Hami) Wedekind , Donald (Doda) Wedekind , Armin (Hami) Wedekind , Donald (Doda) Wedekind

Abschnitt.

Coupon.

Kann vom Empfänger abgetrennt werden.
Peut être détaché par le destinataire.

––––––

Betrag der Postanweisung in Ziffern.
Montant du mandat en chiffres.

122. frs. 84 Ctms.

––––––

Name, Wohnort und Wohnung (Straße und Nr.) des Absenders
Désignation de l’envoyeur

Frank Wedekind.
Kurfürstenstraße
125. Berlin

–––––––

Den    190 Le |


Lieber Donald, du schreibst mirvgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.12.1907. keine Spur von einer Adresse. Ich muß diese M. 100Die Geldsendung an seinen Bruder hat Frank Wedekind nicht im Kontobuch vermerkt. daher an Armin schicken. Ich wünsche euch von Herzen fröhliche Feiertage.

Mit den t/b/esten Grüßen
Dein Frank.

Frank Wedekind schrieb am 2. August 1909 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Lieber Armin,

ich muß Dich sehr um Entschuldigung bitten, daß ich dem Dr. M.nicht sicher identifiziert; wahrscheinlich der mit Armin Wedekind befreundete Arzt Ernst Mützenberg aus Spiez. nicht geschrieben hatte. Aber ich habe im Monat Juli 29 Mal gespieltder erste Wedekind-Zyklus vom 1. bis 30.7.1909 am Münchner Schauspielhaus (Direktion: Georg Stollberg), ein Gastspiel von Frank und Tilly Wedekind. und 21 ausgiebige ProbenWedekind verzeichnete 22 Probetermine [vgl. Tb]. abgehalten und sein Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Ernst Mützenberg an Wedekind, 15.7.1909. kam gerade ungefähr in der Mitte des Monats. Hätte er mich einfach in unserer KneipeWedekind besuchte in der zweiten Julihälfte 1909 fast täglich das Weinlokal Zur Torggelstube (Platzl 8) in München [vgl. Tb], eine seiner Stammkneipen. aufgesucht, die ihm jeder Theaterarbeiter hätte verrathen können, dann würde es mich sehr gefreut haben, aber einen Brief oder eine Postkarte zu schreiben war mir damals nicht möglich. Jetzt hab ich ihm ausführlich geschriebennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Ernst Mützenberg, 2.8.1909. und mich bei ihm entschuldigt.

Wir denken immer noch mit Vergnügen an die schönen Tage in ZürichWedekind war dem Tagebuch zufolge gemeinsam mit seiner Frau Tilly vom 16.5.1909 („Abfahrt nach Zürich. Wir logieren Bellevue. Abend bei Armin“) bis 28.5.1909 („½ 11 Abfahrt von Zürich.“) in Zürich. Mit seinem Bruder Armin traf er sich am 16., 19., 21., 22. und 27.5.1909 [vgl. Tb]. . Tilly findet, daß es bis jetzt unsere schönste amüsanteste GastreiseDer Wedekind-Zyklus am Pfauentheater (Direktion: Alfred Reucker) in Zürich umfasste die Stücke „So ist das Leben“ (19.5.1909 und 25.5.1909; jeweils von 20 bis 22.30 Uhr) mit Frank Wedekind als König Nicolo und Tilly Wedekind als Prinzessin Alma [vgl. Neue Zürcher Nachrichten, Nr. 135, 19.5.1909, 1. Blatt, S. (2)] , „Erdgeist“ (21.5.1909; 20 bis 22.30 Uhr) mit Frank Wedekind als Tierbändiger und Dr. Schön sowie Tilly Wedekind als Lulu [vgl. Neue Zürcher Nachrichten, Nr. 136, 21.5.1909, 1. Blatt, S. (4)] und „Frühlings Erwachen“ (27.5.1909, 20 bis 23 Uhr) mit Frank Wedekind als Vermummtem Herrn [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 130, Nr. 145, 26.5.1909, 2. Abendblatt, S. (2)]. war. Wenn Du wieder einmal ans Reisen denkst, dann bitte ich Dich, München nicht zu vergessen. Du kömmst hier bei gutem wie bei schlechtem Wetter im Sommer ebenso wie im Winter auf Deine Rechnung, von den alten Erinnerungen ganz zu schweigen. Grüße bitte Deine liebe Frau und die lieben Kinder aufs beste von Tilly und mir. Höchst wahrscheinlich werden wir ja auch mal wieder nach Zürich kommen. Die Erfahrungen, die wir dort über So ist das Leben sammelten, haben wir hier verwendetNach seiner Rückkehr nach München verfasste Wedekind vom 31.5.1909 bis 3.6.1909 den Prolog zu „So ist das Leben“ und begann Mitte Juni mit den Proben (16. bis 19.6.1909 und 26.6. bis 1.7.1909) des Stücks. Es folgten im Rahmen des Wedekind-Zyklus am Schauspielhaus München im Juli 1909 Aufführungen von „So ist das Leben“ am 2., 5., 8., 11., 21. und 26.7.1909 [vgl. Tb]. und dem Stück so richtig auf die Beine geholfen. Jetzt werde ich dasselbe in WienBei Wedekinds Gastspiel am Lustspieltheater in Wien (15. bis 19.12.1909) kam sein Stück „Musik“ nach der Premiere am 15.12.1909 in zwei weiteren Vorstellungen am 16. und 19.12.1909 zur Aufführung [vgl. Tb]. mit Musik versuchen.

Sei herzlichst gegrüßt und vergiß nicht Deinen getreuen Bruder
Frank.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 20. Dezember 1909 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind aus München am 21.1.1909:]


[…] komme ich erst heute dazu, Deine freundlichen Zeilen zu beantworten und die herzlichen Wünsche ebenso herzlich zu erwidern.

Frank Wedekind schrieb am 21. Januar 1910 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

München, 21.I.1910.


Lieber Armin,

infolge unseres Wiener GastspielsBei Frank und Tilly Wedekinds Gastspiel am Lustspieltheater (Direktion: Josef Jarno) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1910, S. 652] in Wien (15. bis 19.12.1909) kamen die Stücke „Musik“ (am 15., 16. und 19.12.1909) sowie „Der Kammersänger“ und „Zensur“ (zusammen am 17. und 18.12.1909) zur Aufführung [vgl. Tb]. Wedekind war vom 4. bis 21.12.1909 in Wien, Tilly Wedekind traf dort am 9.12.1909 ein [vgl. Tb]. und einer Menge ArbeitWedekind arbeitete nach seiner Rückkehr aus Wien dem Tagebuch zufolge an den beiden Einaktern „Mit allen Hunden gehetzt“ und „In allen Wassern gewaschen“ [vgl. KSA 7/II, S. 655-657], die er später in das Schauspiel „Schloß Wetterstein“ integrierte. komme ich erst heute dazu, Deine freundlichen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 20.12.1909. zu beantworten und die herzlichen Wünschevermutlich zu Neujahr 1910. ebenso herzlich zu erwidern. Mit Deinem Vorschlag bin ich vollkommen einverstanden und freue mich schon sehr darauf, mit Dir über diese Dinge sprechen zu können. Das Fatale ist die entsetzlich unleserliche Schrift, in der die Tagebüchervom Vater Friedrich Wilhelm Wedekind; überliefert sind ein Tagebuch in drei Teilen (Teil 1: 1.4.1854 bis 14.12.1854; Teil 2: 15.12.1854 bis 27.11.1855; Teil 3: 27.11.1855 bis 2.1.1856) [vgl. AfM Zürich PN 169.1: 308], von dem hier die Rede sein dürfte. Außerdem ist ein Tagebuch für den Zeitraum vom 1.1.1861 bis 14.5.1861 in französischer Sprache überliefert, das sein Sohn später übersetzte [vgl. Die Wedekinds in Amerika. Das „Journal amoureux“ seines Vaters – übersetzt von Frank Wedekind. Hg. und mit einem Essay von Stephen Parker. Göttingen 2020, S. 109-215]. Frank Wedekind notierte am 20.2.1910 „Vaters Tagebuch gelesen“ [Tb] sowie am 21.2.1910 „Vaters Tagebuch zu Ende gelesen.“ [Tb] geschrieben sind. Ich habe deren drei, ich hatte nie mehr und habe infolge der Schrift noch wenig darin gelesen. Von dem einen habe ich nun eine Abschrift anfertigen lassen, die ich in den nächsten Tagen erhalten werde. Sobald sie in meinen Händen ist, schicke ich Dir das Original zu. Ebenso denke ich es mit den andern beiden zu machen. Selbstverständlich habe ich nichts dagegen, daß Du sie behältst und würde Dich dann nur darum bitten, auch mir das Material gelegentlich zugänglich zu machen, das Du in Händen hast. In Wien haben wir sehr angestrengt gearbeitet, während unsere KleinePamela Wedekind war mit dem Kindermädchen zu Tilly Wedekinds Eltern nach Graz gefahren, musste aber wegen einer Erkrankung des Kindermädchens abgeholt werden [vgl. Tb, 20.12.1909]. Die Großmutter Mathilde Newes unternahm während des Aufenthalts ihrer Enkelin einen Selbstmordversuch [vgl. Tb, 10.12.1909]. derweil bei den Großeltern in Graz war. Jetzt bin ich eben beim dritten ActDie Tragödie „Mit allen Wassern gewaschen“ (1910), der spätere dritte Akt des Schauspiels „Schloß Wetterstein“ (1911). Wedekind begann die Arbeit daran am 30.12.1909 und schloss sie am 5.4.1910 ab [vgl. KSA 7/II, S. 656f.]. eines abendfüllenden Stückes, das mich aber noch einige Monate beschäftigen wird. In vierzehn Tagen sollen wir zu einem mehrtägigen Gastspiel nach DüsseldorfFrank Wedekind war dem Tagebuch zufolge am 6.2.1910 („Abfahrt nach Düsseldorf“) von Berlin zu einem Gastspiel in „Zensur“ und „Totentanz“ (14. und 15.2.1910) sowie „Hidalla“ (16. und 17.2.1910) vom 14. bis 17.2.1910 am Lustspielhaus (Direktion: Gustav Charlé) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1910, S. 389] nach Düsseldorf gereist und von dort am 18.2.1910 wieder abgereist („Fahrt in der Dämmerung nach Köln und von dort per Schlafwagen nach München“); Tilly Wedekind reiste am 9.2.1910 zum Gastspiel in Düsseldorf an (mit der Tochter Pamela). fahren.

Ich hoffe, daß es Dir und Deinen Lieben gut geht. Sage bitte Emma und den Kindern die herzlichsten Grüße von Tilly und mir und sei selber bestens gegrüßt von Deinem treuen Bruder
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 21. Juli 1910 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

München, 21.VII.1910.


Lieber Armin!

Anfang August denken Tilly und ich nach Lenzburg zu gehenWedekind reiste mit seiner Familie am 6.8.1910 nach Lenzburg: „Abfahrt zur Bahn. […] Ankunft in Lenzburg.“ [Tb] Auf der Rückreise nach München am 2.9.1910 traf er sich in Zürich mit der Frau und dem Sohn seines Bruders: „Abreise von Lenzburg. In Zürich begrüßen uns Emma und Armin junior am Bahnhof.“ [Tb]. Ich bringe Dir das Tagebuchvon Friedrich Wilhelm Wedekind [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 21.1.1910]. mit, über das wir im Winter korrespondirten. Ich frage mich nun, ob sich bei der Gelegenheit nicht eine Zusammenkunft unserer alten FreundeLeopold Frölich (Psychiater in Königsfelden), Adolf Vögtlin (Lehrer und Schriftsteller in Zürich), Arnold Hirzel (Rektor der Bezirksschule in Aarau), Walter Laué (Beigeordneter Bürgermeister und Dezernent für Kulturangelegenheiten in Köln), Oskar Schibler (Oberrichter in Aarau), Hermann Huber (Politiker, Mitglied des Großen Rats in Aargau) und Ernst Zschokke (Lehrer für Deutsch und Geschichte an der Kantonsschule Aarau) waren Mitschüler von Frank und Armin Wedekind an der Kantonsschule Aarau gewesen; Hans Kaeslin (Lehrer für Deutsch an der Kantonsschule Aarau) war ein Bekannter Wedekinds aus seiner Aarauer Zeit, den er am 9. und 12.4.1905 in München getroffen hatte [vgl. Tb]; Heinrich Welti (Literatur- und Musikkritiker), ebenfalls ehemaliger Schüler der Kantonsschule, hatte Armin und Frank Wedekind während ihrer gemeinsamen Studienzeit in München ins dortige Kulturleben eingeführt; Gustav Henckell, der Bruder Karl Henkells und Konservenfabrikant in Lenzburg, stand mit Wedekind dem Tagebuch zufolge nach wie vor in freundschaftlichem Kontakt – so auch während seines Aufenthalts in Lenzburg am 14.8.1910 („Mit Gustav Henckel und Frau“), am 26.8.1910 („Gustav Henckell und Frau kommen nach dem Nachtessen“) und am 31.8.1910 („Abendessen bei Henckels mit Arnold Hirzel und Frau“, der Schwester von Karl und Gustav Henckell). Ein Treffen in größerer Runde kam nicht zustande. arrangiren ließe. Ich jedenfalls würde mich sehr freuen, sie wiederzusehen. Ich dachte an:

Leopold Frölich,
Adolf Vögtlin,
Heinrich Welti (der vielleicht schon in AarburgHeinrich Welti, der lange in Berlin gelebt hatte, zog 1910 zurück nach Aarburg, wo er aufgewachsen war.),
Arnold Hirzel,
Walther Laue (der voraussichtlich in AarauWalter Laué, der nur das Schuljahr 1880/81 als Klassenkamerad Wedekinds an der Kantonsschule Aarau verbrachte, lebte in seiner Heimatstadt Köln. Von ihm wird berichtet, dass er „[s]ozusagen jeden Amtsurlaub [...] zu einem Aufenthalt in der Schweiz, meist in Aarau,“ nutzte, wo sich „um ihn ein Kreis alter und neuer Freunde“ versammelt habe [M. Schmidt: Walther Laue. 1863–1938. In: Mitteilungen der aargauischen Naturforschenden Gesellschaft, Bd. 21, 1943, S. LXX]. ist),
Oskar Schibler,
Ernst Zschokke,
Hermann Hechervermutlich Übertragungsfehler für: Hermann Huber.,
Hans KöslinÜbertragungsfehler für: Käslin.
und Gustav Henkell.

Aarau wäre wol für die meisten der gelegenste Treffpunkt, wobei natürlich nicht ausgeschlossen wäre, daß wir uns auch außerdem in Zürich treffen. Selbstverständlich wären auch die Damen willkommen.

Ich theile Dir diese Idee mit in der Voraussetzung, daß Du vielleicht den einen oder andern gelegentlich triffst und dabei erfahren könntest, ob er Lust dazu hätte.

Auf jeden Fall freue ich mich sehr darauf, Dich wieder zu sehen. An Dich, Deine liebe Frau und Deine Kinder die herzlichsten Grüße von Tilly und mir.

Auf baldiges frohes Wiedersehen! Dein
Frank.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 2. Juni 1913 in Zürich folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte
Carte postale. Cartolina postale.


Herrn
Franklin Wedekind
München.
Prinzregentenstr. 50 |


Lieber Bruder!

Soeben kommt Dein Telegrammnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Armin Wedekind, 2.6.1913.. Ich werde dafür sorgen, dass morgenam 3.6.1913, an dem Frank Wedekind notierte: „Martha bringt die Kinder nach Lenzburg Fahr nach Wien.“ [Tb] Demnach brachte Tillys Wedekinds Schwester Martha Newes die Töchter Pamela und Kadidja für die Dauer des Wiener „Franziska“-Gastspiels (4. bis 13.6.1913) der Eltern mit der Bahn zu seiner Mutter nach Lenzburg, der er zur Bestreitung der Unkosten Geld geschickt hatte [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 2.6.1913]. Für den Umstieg in Zürich hatte er offenbar seinen Bruder Armin telegraphisch gebeten, seiner Schwägerin behilflich zu sein. 5 Uhr 23 am Bahnhof die Kinder & ihre Begleiterin in Empfang genommen & richtig weiter spedirtbefördert. werden. Mit herzlichen Grüssen!
Armin.


2.VII.13.Schreibversehen, statt: 2.6.1913.

Frank Wedekind schrieb am 2. Juni 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Armin (Hami) Wedekind

[Hinweis in Armin Wedekinds Postkarte an Frank Wedekind vom 2.6.1913 aus Zürich:]


Soeben kommt Dein Telegramm.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 22. August 1913 in Zürich folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte. Carte postale.
Cartolina postale
SCHWEIZ SUISSE SVIZZERA


Herrn
Frank Wedekind
Prinzregentenstr. 50
München.


[…]


Zürich, 22.VIII.13.


Lieber Bruder!

Am 31. l. Mtsam 31.8.1913. werde ich voraussichtlich, Nachmittags 5.50 mit Lilli in München eintreffen, um auf der Durchreise | nach Dresdenzum Besuch seiner Schwester Erika. ein paar Tage dort zu verweilen. Es würde mich nun sehr freuen, mit Dir und den Deinen ein wenig zusammen zu sein. Deshalb möchte ich Dich anfragen, ob Du in der Zeit vom 31. Aug. bis 3. Sept. dort sein wirstZu einem Treffen in München kam es nicht. Wedekind reiste für ein Gastspiel von „Franziska“ am 28.8.1913 nach Berlin und blieb dort bis Ende September [vgl. Tb]. und auch, wann Ihr Euer Gastspiel in ZürichWedekinds nächstes Gastspiel in Zürich fand erst 1917 statt. absolviren werdet.

Mit herzlichem Gruss und dem Wunsche eines fröhlichen Wiedersehens
Dein Bruder
Armin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 1. Juli 1914 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 3.8.1914 aus München:]


Für Deine beiden lieben Briefeder hier erschlossene Brief und ein weiterer nicht überlieferter Brief [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1914]. sage ich Dir herzlichen innigen Dank.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 23. Juli 1914 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 3.8.1914 aus München:]


Für Deine beiden lieben Briefeder hier erschlossene Brief und ein weiterer nicht überlieferter Brief [vgl. Armin Wedekind an Frank Wedekind, 1.7.1914]. sage ich Dir herzlichen innigen Dank. […] Dein zweiter Brief war mir eine große Freude […]. Von allen Briefen, die ich vor acht Tagen erhielt, hat mich keiner so ergriffen […]

Frank Wedekind schrieb am 3. August 1914 in München folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

München, 3.VIII.1914.


Lieber Bruder!

Für Deine beiden lieben Briefenicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 1.7.1914 und 23.7.1914. sage ich Dir herzlichen innigen Dank. Ueber Mamas Befinden erhielt ich derweil auch Nachrichten von ihr selbstnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1914., von Miezenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Erika Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1914. und von Matinicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1914.. Sie schreiben alle, mit welcher Liebe Du sie pflegst, nur daß leider Deine Besorgnisse nicht unbegründet sind.

Dein zweiter Brief war mir eine große Freude und Wohlthat. Von allen Briefen, die ich vor acht Tagen erhieltdie Gratulationspost zu Frank Wedekinds 50. Geburtstag am 24.7.1914., hat mich keiner so ergriffen, und so erhältst Du auch die erste Antwort. Hoffen wir nur, daß es uns in den Jahren, die wir vor uns haben, vergönnt ist, uns persönlich öfter nahe zu kommen und uns dadurch gegenseitig das Leben zu bereichern. Aufrichtig kann ich Dir sagen, daß ich unter meinen Freunden nicht einen wüßte, mit dem ich lieber zusammen wäre als mit Dir. Der Unterschied ist nur der, daß ich mit den andern durch die Geschäfte zusammengeführt werde, und dann liegt es wol in der gesunden naturgemäßen Tendenz jeder einmal fruchtbar gewordenen Familiengemeinschaft, in Zukunft zu divergirensich unterscheiden, auseinander streben., nicht zu convergirensich annähern, übereinstimmen.. Wie Du richtig schreibst, glaube ich, daß wir Beide unsere Jünglingsjahre reichlich ausgenutzt haben. Viel mehr hatte wol nicht Platz gegenüber den Ansprüchen des Lebens. Aber jetzt könnte es ja nachgeholt werden. Wenn ich mich noch auf etwas freue, so wären es solche Begegnungen. Von ganzem Herzen wünsche ich Dir und den Deinigen Glück und Freude, wie Du es ja in hohem Maße hast.

Mit besten Grüßen und Wünschen an Dich und die Deinigen von uns allen in alter Treue Dein Bruder
Franklin.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 25. März 1916 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 25.3.1916 in München:]


TelegrammDas Telegramm mit der Nachricht von Emilie Wedekinds Tod am 25.3.1916 dürfte Armin Wedekind aufgegeben haben. Er ist unter den Geschwistern derjenige, der ganz in der Nähe von Lenzburg lebte, in Zürich, und insofern zur totkranken Mutter nach Lenzburg gefahren sein dürfte und bei ihrem Tod wohl dabei war, wie er seinem Bruder den Tag darauf offenbar erzählte, dem er noch am 25.3.1916 entweder von Lenzburg oder von Zürich aus telegrafierte. Er ist dann zurück nach Zürich gefahren, wo er seinen Bruder am Tag darauf erwartete. Frank Wedekind reiste am 26.3.1916 früh morgens von München über Zürich nach Lenzburg: „Sechs Uhr aufgestanden. Tilly begleitet mich zum Bahnhof. [...] Mit Armin von Zürich nach Lenzburg. Schöne Fahrt. Er erzählt Mamas Tod.“ [Tb] Die Todesanzeige dürfte ebenfalls Armin Wedekind aufgegeben haben: „Lenzburg, den 25. März 1916. Todes-Anzeige. Freunden und Bekannten machen wir hiemit die schmerzliche Mitteilung, dass unsere liebe Mutter Frau Dr. Emilie Wedekind nach standhaft ertragenem Leiden im Alter von 76 Jahren heute morgen sanft entschlafen ist. Wir bitten, der teuren Heimgegangenen ein stilles Andenken zu bewahren und Kondolenzbesuche und Blumenspenden zu unterlassen. Dr. Armin Wedekind und Familie, Zürich. Frank Wedekind und Familie, München. Wilhelm Wedekind und Familie, Johannesburg. Erika Oschwald-Wedekind und Familie, Dresden. Emilie und Eugène Perré, Paris.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 137, Nr. 482, 27.3.1916, 1. Morgenblatt, S. (4)] von Mamas Tod.

Armin (Hami) Wedekind schrieb am 24. Juli 1917 in Zürich folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 25.7.1917 aus Zürich:]


Nimm den allerherzlichsten Dank für das prachtvolle GeschenkHinweis auf das hier erschlossene, nicht überlieferte Begleitschreiben zu der Sendung., mit dem Du mich zu meinem Geburtstag überrascht hast.

Frank Wedekind schrieb am 25. Juli 1917 in Zürich folgenden Brief
an Armin (Hami) Wedekind

Zürich, 25.VII.1917.


Mein lieber Armin!

Nimm den allerherzlichsten Dank für das prachtvolle Geschenkzu Frank Wedekinds 53. Geburtstag am 24.7.1917; zugleich Hinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der Sendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Armin Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1917., mit dem Du mich zu meinem Geburtstag überrascht hast. Tief beschämt nahm ich das schöne Werkein repräsentativer Band [vgl. Karl Federn: Dante und seine Zeit. Zweite, neubearbeitete Auflage. Mit 26 Abbildungen. Leipzig 1916], im Alfred Kröner Verlag erschienen. in Augenschein und freue mich außerordentlich darauf, es eingehend zu studiren. Ueber Dante weiß ich noch so gut wie nichts, obschon ich ihm schon mehrmals nahe zu kommen suchte. In dem Werk von Prof. Federn ist offenbar alles bei einander zu finden, Aufklärung über seine Göttliche Komödie an Hand seines Lebens und Wirkens. Herzlichen Dank für das prächtige Buch.

Gestern machten wir eine prachtvolle TourIm Tagebuch notierte Wedekind am 24.7.1917: „Mit Tilly und den Kindern nach Luzern zurück nach Zürich. Prachtvolle Fahrt.“ an den Vierwaldstätterseein vier Kantonen gelegener See in der Zentralschweiz, an dem sich mit dem Rütli und der Tellsplatte Schauplätze der Wilhelm Tell-Sage befinden. und waren den ganzen Tag über guter Dinge. Die Kinder schwelgten in Erinnerungen an Wilhelm Telllegendärer Schweizer Freiheitskämpfer, Nationalheld der Schweiz. und ich dachte daran, wie wir im gleichen AlterArmin und Frank Wedekinds erste Fahrt auf dem See fand wahrscheinlich während ihres Schweiz-Aufenthalts mit ihrem Vater im Sommer 1872 statt [vgl. Emilie Wedekind an Armin und Frank Wedekind, 27.7.1872], also im Alter von acht und neun Jahren. Pamela und Kadidja waren acht und fünf Jahre alt. die Seefahrtvon Luzern aus verkehrten Ausflugsdampfer zu zahlreichen Stationen am Vierwaldstättersee. zum ersten Mal machten. Hoffentlich finden wir uns bald wieder zu einer Vorlesung aus Mamas TagebuchEmilie Wedekind war am 25.3.1916 gestorben und hatte ein Tagebuch hinterlassen (ein Band von 1891 [vgl. Mü, FW M2/44] ist überliefert), über das Wedekind am 29.5.1917 in Zürich notierte: „Nachher bei Armin der uns den Anfang des Tagebuches unserer Mutter vorliest“ [Tb] zusammen.

Mit herzlichen Grüßen an Dich, Emma, Lotte und nochmals schönstem Dank Dein treuer Bruder Frank.


Von Eva und Lili bekam ich ein PaketHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben zu der Blumensendung zu Wedekinds Geburtstag am 24.7.1917; erschlossenes Korrespondenzstück: Eva und Lilli Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1917. prächtiger Alpenblumen aus dem Wallis geschickt.