Briefwechsel

von Marie Uhl und Frank Wedekind

Marie Uhl schrieb am 24. November 1901 in Saxen folgenden Brief
an Frank Wedekind

Saxen Ob. Oesterreich, Lokalbahn
Mauthausen.


Geehrter Herr Wedekind!

Es ist doch recht schade, daß Sie, um einer irrigen Voraussetzung willen, erstlich sich beunruhigen u. unsDer Brief ist nicht unterschrieben; Briefpapier, Ortsangabe und Kontext verweisen auf Marie Uhl als Autorin, die hier jedoch auch im Namen ihrer Mutter Marie Reischl schreibt. Diese hatte die Korrespondenz mit Wedekind in ähnlicher Weise begonnen [vgl. Marie Reischl an Wedekind, 16.11.1901]. den Genuß an Ihrem Schreibennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Marie Reischl, 23.11.1901. Wedekind begründete die Absage der Einladung, seinen Sohn Friedrich Strindberg in Dornach zu besuchen, anscheinend nach einem ersten Schreiben (siehe die folgende Erläuterung) ein zweites Mal nach seiner Rückkehr von Wien nach München am 22.11.1901, als er um den Misserfolg seines Wiener Gastspiels wusste. bedeutend rauben. Schon in Ihrem ersten Briefenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Marie Reischl, 17.11.1901. Wedekind sagte die Einladung zu einem Besuch in Dornach vermutlich unmittelbar von Wien aus ab und ließ später ein weiteres Schreiben mit einer ähnlichen Begründung folgen. fand sich dieses falsche LeitmotivIn der Musik verbreitetes Darstellungsmittel einer wiederkehrenden, prägnanten Tonfolge zur Charakterisierung von Personen oder Situationen. Wedekind muss in beiden Briefen seine ökonomische Situation beklagt haben und fürchtete (als ‚irrige Voraussetzung‘) offenbar, zu Unterhaltszahlungen für seinen Sohn genötigt zu werden., u. nun tritt es geradezu ohrenzerreißend für uns auf. Wir sind gänzlich unschuldig an Ihrem Jammer. Gewiß brauchten Sie viel mehr Mühe in Anwendung zu bringen uns zu überzeugen, daß Sie zu den „Satten“ gehören, selbst wenn Ihre ErfolgeBeide Bühnenprojekte Wedekinds waren ein Misserfolg: Sein Gastspiel als Liedersänger zur Eröffnung des von Felix Salten gegründeten Jung-Wiener Theaters Zum lieben Augustin im Theater an der Wien vom 16.11.1901 bis 22.11.1901 und die Uraufführung des „Marquis von Keith“ am 11.10.1901 im Rahmen des 2. Literarischen Abends am Residenztheater in Berlin unter der Regie von Martin Zickel. Wedekind bezeichnete das eine als ‚lächerlichen‘, das andere als ‚grandiosen Durchfall‘ [vgl. Wedekind an Beate Heine, 10.3.1902]. in Wien u. Berlin auf den | Höhepunkt gestiegen wären, denn „man“ kennt ja das fahrende, spielende, singenden u. schreibende Ritterthum, das sich wohl manchmal satt trinken, aber niemals zu sättigen vermag. Bitte, wir haben uns Ihnen ganz formlos genähertMarie Reischl hatte Wedekind eingeladen, seinen 4-jährigen Sohn Friedrich Strindberg von Wien aus in Dornach zu besuchen [vgl. Marie Reischl an Wedekind, 16.11.1901]. Wedekind hatte seinen Sohn zuletzt im Juli 1898 in Tutzing bei seiner Mutter Frida Strindberg besucht [vgl. Frank Wedekind an Beate Heine, 19.7.1898 und 27.7.1898]., ohne verdächtige Absichten auf Ihre arme leere Börse, wir hatten etwas höheres im Auge, das hehre Glück, einem Vater sein Kind vorzustellen, u. in der freudenvollen Befriedigung desselben, den Lohn für alle Mühen u. AufopferungenFriedrich Strindberg wuchs seit 1899 in der Obhut seiner Großmutter Marie Uhl im oberösterreichischen Saxen und bei seiner Urgroßmutter Marie Reischl im benachbarten Dornach auf. einzuheimsen. Und dann, wir lieben die KinderchensBereits 1896 hatte Frida Strindberg ihre Tochter Kerstin Strindberg aus der Ehe mit August Strindberg ihrer Mutter überantwortet., es schmerzt uns für sie, daß sie elternlos sind, wie gerne würden wir ihnen | dieselben geben, wenn es in unserer Macht stünde. Da hat erst vor kurzem die CherstiKosename für Kerstin [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 10.11.1913]., als sie sah, daß ihre Gespielin von ihrem bislang getrennten Vater für zwei Tage abgeholt wurde, so furchtbar geweint, sie selbst wußte nicht warum, aber ich erkannte es sofort, es war die Sehnsucht nach ihrem Papa, den sie als er einmal längere Zeit bei uns verweilte, abgöttisch liebte – sie war damals 2 Jahre, aber sie vergißt ihn niemals – und der kleine Fritzi gab jedesmal, wenn ihn die Leute fragten , wo ist dein Papa, wo ist deine Mama, die mich auf’s äußerste verwundernde Auskunft: Gestorben! Und niemand hat ihm das je gesagt, Wer würde auch einem Kinde | solch verletzende Erklärung über den Verbleib seiner Eltern geben.

Geld u. Gut wird Fritzi von seinem Vater wohl nie bekommen, aber gewiß seine Liebe u. viell. väterliche Führung, wer weiß was noch Alles, ein Vater ist doch die Quintessenz der Güte für sein Kind. Freilich Frida! das ist ein trauriges Kapitel, ein armes Kind, das beklagenswerteste Resultat vorausgegangener schlimmster Ursachen, die ganze Familie ist erotisch, das arme Kind ist schuldlos an seinem Elend u. kann sich nicht helfen. Bitte, es bleibt unter uns, denn Sie kennen ja doch ihren traurigen Zustand. Ich bin nur so glücklich zu wißen, daß sie lebt, mag es sein wie immer, Kind bleibt Kind. Und so danke ich Ihnen hrzl. für Ihre freundl. Bemühung um Fridas ErmittlungMarie Reischl hatte Wedekind um die Mitteilung des Aufenthaltsortes von Frida Strindberg gebeten [vgl. Marie Reischl an Wedekind, 16.11.1901]..

Unsere besten Grüße

Frank Wedekind schrieb am 16. August 1903 in Lenzburg folgenden Brief
an Marie Uhl

Hochgeehrte gnädige Frau!

Wenn ich mich nicht sehr täusche, ist übermorgen den 18. Fritzis GeburtstagFriedrich Strindberg, der 1897 geborene Sohn aus Wedekinds Beziehung mit Frida Strindberg, wurde am 21.8.1903 (nicht am 18.8., wie Wedekind irrtümlich annahm) sechs Jahre alt. Er verbrachte seine ersten Lebensjahre in der Obhut von Fridas Mutter Marie Uhl. Wedekind lernte seinen Sohn erst im September 1913 in Berlin persönlich kennen [vgl Tb 14.9.1913]. und dabei möchte ich mich wenigstens mit einem Zeichen meines guten Willens einfinden. Ich übersende ihm deshalb den HänsekenWedekinds illustriertes Bilderbuch „Der Hänseken. Ein Kinderepos“ ‒ entstanden als Geschenk für die Schwester Emilie (genannt Mati) zu Weihnachten 1879 ‒ erschien 1896 als Buchausgabe im Verlag Albert Langen (München). Die Verse stammen von Frank Wedekind, die Zeichnungen von seinem Bruder Armin.. Fritzi hätte allerdings als erster ein Recht auf die KinderspieleWedekind hatte 1902 eine Reihe von Kinderspielzeugen – einen Diskus, eine Fahrradschaukel, ein Einrad für Kinder, ein für Radfahrer entwickeltes Ringelstechspiel und eine nach allen Seiten drehbare Kugel – entworfen zur Herstellung bei den Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst eingereicht [vgl. KSA 6, S. 854]. Artur Kutscher berichtet, die Produkte seien „im Dezember“ 1902 „fertiggestellt und durch eine Musterrolle beim Amtsgericht geschützt. 1¼ Jahr später lief ein Honorar von 50 Mark ein.“ [Kutscher 2, S. 111f.] Die Verkauf verlief indes schleppend, wie die Firma Schmidt und Müller der Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst Wedekind am 15.3.1904 mitteilte. die in Dresden nach meinen Angaben verfertigt worden sind. Ich selber habe | aber bis jetzt noch keines derselben in Wirklichkeit zu Gesicht bekommen sondern mich mit den Photographien der hergestellten Modelle begnügen müssen. Sobald die Sachen in mehreren Exemplaren hergestellt sind, wird sie Fritzi sofort erhalten. Wollen Sie ihn bitte die besten Glückwünsche von seinem ihm unbekannten Papa sagen. Wollen Sie ihn versichern, daß ich mich sehr darauf freue, ihn so bald als möglich kennen zu lernen. | Dieser Frühling als die Saison eben zu Ende ging hatte ich das Misgeschick den Fuß zu brechenWedekind war Mitte April 1903 in München auf der Straße ausgeglitten und hatte sich einen Unterschenkelbruch zugezogen.. Andernfalls hätte ich die Erfolge des letzten WintersWedekind dürfte vor allem auf die erfolgreiche Inszenierung seines Dramas „Erdgeist“ unter der Regie von Richard Vallentin am Kleinen Theater in Berlin (Direktion: Max Reinhardt) anspielen, die nach der Premiere am 17.12.1902 bis weit in das Jahr 1903 hinein gespielt wurde. in diesem Sommer besser ausnutzen können. Da ich aber einstweilen noch stark hinke, habe ich auch die Reise zu Ihnen immer noch verschoben und mich hier in eine lautlose Einsamkeit zurückgezogen, um ein neues StückVon Juli bis September 1903 arbeitete Wedekind in Lenzburg an seinem Stück „Hidalla oder Haben und Sein“ (1904). zu schreiben. Wie ich kurz vor meiner Abreise in München von Bekannten Fridas | hörte, waren Kerstin Kerstin Strindberg, die 1894 geborene Tochter aus der Ehe von Frida und August Strindberg, die 1897 geschieden wurde. Wie ihr Halbbruder Friedrich wuchs auch sie in der Obhut ihrer Großmutter auf.und Fritzi während des Sommers bei ihrem Großpapa in MondseeDie Familie Uhl besaß eine Sommervilla in Mondsee (Oberösterreich).. Fritzi ist jetzt sechs Jahr alt und wird wohl nächstens die Schule besuchen müssen. Seien Sie überzeugt, gnädiSchreibversehen, statt: gnädige. Frau, daß ich für jedes Wort, daß ich über ihn höre, so wenig Anspruch ich mich bis jetzt darauf erworben habe, sehr dankbar sein werde. Ich selber bin jetzt nahezu vierzig Jahr alt und in Anbetracht der Thatsache, daß man in dieser Hinsicht mit dem Alter nicht im Werthe | steigt, wird mir die Wahrscheinlichkeit immer größer, daß ich mich nicht mehr verheiraten werde. In diesem Falle wäre es selbstverständlich, daß Fritzi und ich noch einmal sehr gute Freunde werden. Fritzi kann mir mit Recht darauf erwidern, daß das alles Zukunftsmusik ist und nicht im entferntesten gegenüber dem in Betracht kommt, was seine AdoptivelternGemeint sind offenbar Marie und Friedrich Uhl, die jedoch seit geraumer Zeit getrennt voneinander lebten. bis jetzt für ihn gewesen sind und für ihn gethan haben. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur das eine | sagen, daß für mich das ganze Leben bis jetzt nur Zukunftsmusik war. Ich hoffe sehr, daß sich Fritzi sein Leben einmal etwas vernünftiger einrichtet und demzufolge mehr Dank davon hat, als es seinem Vater gelungen ist. Ich möchte durch diese Äußerung aber nicht den Anschein erwecken, als wollte ich Ihnen, gnädige Frau, etwas vorjammern. Ich sage das nur vom rein praktischen Gesichtspunkt aus.

Zu meinem großen Bedauern hörte ich von dem unersetzlichen Ver|lustDie Schriftstellerin und Journalistin Marie Weyr (geb. Uhl), die ältere Tochter von Marie und Friedrich Uhl und Ehefrau des prominenten Bildhauers Rudolf von Weyr, war am 19.4.1903 im Alter von 38 Jahren in Wien gestorben., der Sie im Laufe des letzten Winters betroffen hat, und bitte Sie, den Ausdruck meines erfüchtigen Beileids entgegenzunehmen.

Ich bitte Sie, trotz der obwaltenden Verhältnisse, mir Ihr Wohlwollen nicht entziehen zu wollen und grüße Sie und die beiden Kinder als Ihr ergebenster

Frank Wedekind


Lenzburg, Ct. Aargau, Schweiz.
16. August 1903.


[Kuvert:]


Frau Marie Uhl
Amstetten
Post Kammer
Oberösterreich |


Absender Wedekind. Lenzburg
Schweiz

Marie Uhl schrieb am 17. September 1913 in Mondsee folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Herrn
Frank Wedekind
Berlin
Neustädtische Kirchstrasse
Hotel Elite.


Mondsee 17/913.2 Uhr14 Uhr, Ankunftszeit des Zuges in Mondsee. Friedrich Strindberg fuhr am 16.9.1913 abends mit dem Zug von Berlin über München und Salzburg nach Mondsee. prompt, kam „Fritz“ in meine Arme geflogen, u. seine Freude Sie gesehen zu habenFriedrich Strindberg hatte seinen Vater Frank Wedekind in Berlin vom 14. bis 16.9.1913 getroffen und kennengelernt [vgl. Tb]. strömte in mich über, Beide sind wir trunken davon. Fritzl ist toll – u. wie er sich auf München – sprich auf Sie u. liebe Frau GemalinSchreibversehen, statt: Gemahlin. freut, ist unbeschreiblich. Ich danke Ihnen Beiden aufs innigste, viell. begrüßen wir uns einmal in dieser VillaDie Bildpostkarte zeigt auf der Vorderseite das um 1870 nach Plänen von Karl Stattler errichtete Haus der Familie Uhl in Mondsee. Von einem Besuch Wedekinds dort ist nichts bekannt., es wäre meine größte Freude. Ihre Uhl.

Marie Uhl schrieb am 5. November 1913 in Mondsee folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Herrn
Frank
Wedekind
Schriftsteller
München
Prinz Regentstraße


Mondsee, 5/11 1913


Verehrter Herr Wedekind!

Wie Fritz in seinem letzten BriefeDer Brief Friedrich Strindbergs an Marie Uhl ist nicht überliefert. von Salzb. den 4., andeutete, hat er sich in seinen selbstverschuldeten Nöten, an Sie, geehrten Herrn, gewendet. Ich erlaube mir zu ersuchen ihn nicht zu unterstützen, wenn er Strafe verdiente, er ist in einem Hause, wo Moral, Wahrheit u. Gerechtigkeit herrscht u. auch +/s/onst für ihn aufs Beste gesorgt ist. Mit besten Grüssen M. U.

Marie Uhl schrieb am 10. November 1913 in Mondsee folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mondsee 10/11 1913


Sehr geehrter Herr Wedekind!

Fritz schrieb heuteDer Brief von Friedrich Strindberg an Marie Uhl ist nicht überliefert., daß, geehrter Herr, den BesuchWedekind erfragte schon zu Beginn seiner Korrespondenz mit Friedrich Strindberg die Münchner Adresse von dessen drei Jahre älterer Halbschwester Kerstin [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.9.1913 und 19.9.1913], die, wie ihr Halbbruder, als Kind in der Obhut der Großmutter aufgewachsen war. Kersti’sSchreibversehen, statt: Kerstin’s. wünschen. Ich erlaube mir bezüglich dessen Ihnen einige Aufklärungen zu geben, die Sie vielleicht bestimmen werden den Wunsch Kerstinen kennen zu lernen, aufzugeben.

Was ich Ihnen jetzt sagen will geht mir ganz contre coeurzuwider (von frz. ‚contre‘ = ‚gegen‘ und ‚coeur‘ = ‚Herz‘)., denn ich liebe meine Enkelin aus ganzem Herzen u. geht mir ihr Schicksal ungemein nahe. Dennoch aber fühle ich mich verpflichtet Ihnen zu sagen )/(/ich könnte es nicht verantworten zu schweigen) | daß sie ihrer Mutter leider sehr ähnelt, ja sogar noch im verschärften Maaße, gepaart mit Strindbergs NeurasthenieNervenschwäche, um 1900 ein Modeleiden; die Veranlagung dazu galt als ererbt., also ein Wesen hat, das wohl zeitweilig reizend u. liebenswürdig sein kann, aber in ihrer Grundnatur ihrer Umgebung Entsetzen einflößt, ein trauriges Bild dieser unglückseligen Abstammung. Es ist nicht ohne Gefahr mit ihr zu verkehren, sie übt großen Sinnenreiz aus, wer sie nicht kennt vermutet eher alles andre, als die Wahrheit. | Ich kann nicht mehr darüber sprechen, es widerstrebt mir schon dieses aufs Äußerste, denn unter all dem Gesagten verstehe ich nur ihre Anlagen, die sich wohl bisher nicht bestätigen konnten. Meiner Pflicht habe ich nun genügt, nehmen Sie es, geehrter Herr, nicht übel, seien Sie überzeugt, daß es nur in wohlmeinender Absicht geschah. Bitte noch recht sehr dieses Briefes Fritz gegenüber niemals etwas zu erwähnen.

In Hochachtung
ganz ergebenste
Marie Uhl

Marie Uhl schrieb am 29. November 1913 in Mondsee folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Hochwolgeboren
Herrn Frank Wedekind
Schriftsteller in
München
Prinz Regentstrasse
(Bayern)


29/11 1913.Sehr geehrter Herr, sofort erfolgte ein EntsetzensschreibenDer Brief Kerstin Strindbergs an Marie Uhl, geschrieben am 24.11.1913 [vgl. Kerstin Strindberg an Wedekind, 24.11.1913], ist nicht überliefert. von armer K. mit der Aufforderung meine UntatMarie Uhl hatte Wedekind nachdrücklich aufgefordert, ihre Enkelin Kerstin Strindberg nicht zu treffen [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 10.11.1913]. zu erklären, der ich schnellstens Folge leistete. Nachdem ich mein SchreibenDer Brief Marie Uhls an Kerstin Strindberg ist nicht überliefert. motiviert hatte, teilte ich ihr die Hauptsache mit, daß ich F. W. schriftlich gebeten habe, keine Einladung an Kerstin ergehen zu lassen. Bitte, bitte, diese Version auch gegenüber Fritzl aufrechtzuerhalten, dieser Schlingel trägt die Schuld an allem, indem wir, er u. ich, uns verabredet haben, Kerstinen nicht wissen zu lassen, daß sie Besuch im Hause Wedekind machen solle. Er brach das Wort. Mit hrzl. Grüssen |


MONDSEE, PARTIE mit Villa Uhl (rotes Dach)

Marie Uhl schrieb am 20. Dezember 1913 in Mondsee folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Herrn
Frank Wedekind
Schriftsteller in
München
Prinz Regentstrasse 50
(Bayern)


Mondsee 20/12 13.Hochgeehrtester, grüsse Sie u. Geehrte Frau Gemalinbei Marie Uhl wiederholt vorkommendes Schreibversehen, statt: Gemahlin. aufs freundlichste, Also Fritzl wird sich erlauben, entweder Dienstag oder Mittwoch mit dem frühesten Zug von hier wegfahrend, in München einzutreffenFriedrich Strindberg besuchte Wedekind über Weihnachten vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 – eine Einladung, die bereits im September beim Treffen von Vater und Sohn in Berlin ausgesprochen worden war.. Tag u. Stunde werden wir telegrafisch meldenvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.12.1913; Friedrich Strindberg kam am 23.12.1913 um 12.20 Uhr in München an., denn bis jetzt kenne ich Direktors EntschliessungenDie Abreiseerlaubnis zum Ferienbeginn wurde vom Schulleiter in Friedrich Strindbergs Internat offenbar erst kurzfristig festgelegt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.12.1913]. noch nicht. Ich will Sie etwas bitten: Fritzl soll sich in München equipierenausstatten. Wedekind kam dieser Aufforderung gleich bei Friedrich Strindbergs Ankunft nach und besuchte mit ihm am 23.12.1913 ein Kaufhaus für Knaben- und Herrenbekleidung in der Sendlinger Straße: „Hole Fritz Strindberg vom Bahnhof ab Er kommt in Uniform. Bei Isidor Bach kaufe ich ihm Zivilkleider.“ [Tb] mit Anzug u. Mantel u. Kappe – wollen Sie ihm gütigst beim Ankauf behilflich sein, alles muss mit 100 KronenDie Summer entspräche heute ungefähr der Kaufkraft von 500 €. zuwege gebracht werden, nur praktisch für den täglichen Gebrauch. Wäre Ihnen sehr verbunden, bitte! Ganz ergebenste Uhl.

Frank Wedekind schrieb am 20. Dezember 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Marie Uhl

[Hinweis in Marie Uhls Postkarte an Wedekind vom 22.12.1913 aus Mondsee:]


Bedaure VerehrtesterHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben, das hier erschlossene Korrespondenzstück., es ist zu spät um noch aktiv einzugreifen.

Marie Uhl schrieb am 22. Dezember 1913 in Mondsee folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Hochwolgeboren
Herrn Frank Wedekind
Schriftsteller in
München
Prinz-Regentstrasse 50
(Bayern)


Montag Bedaure VerehrtesterHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Marie Uhl, 20.12.1913. – Nach wiederholten Nachrichten seines Sohnes über den ungewissen Ferienbeginn und die Ankunftszeit für den Weihnachtsbesuch in München am 22. oder 23.12.1913 [vgl. zuletzt Friedrich Strindberg an Wedekind, 19.12.1913], versuchte Wedekind offenbar bei Marie Uhl den früheren Ankunftstermin durchzusetzen – anscheinend mit dem Vorschlag, sich deswegen direkt an den Schuldirektor wenden zu wollen. , es ist zu spät um noch aktiv einzugreifen. H. Direktor hält sich nur an meine Weisungen u. liebt nicht eigenmächtige Abmachungen u. Verfügungen 2. oder 3. Personen. Wollten nach Salzb. fahrenum in Friedrich Strindbergs Internat, der Lehr-und Erziehungsanstalt für Schüler der Mittelschulen von Prof. Tschurtschenthaler, vorstellig zu werden. um die Sache zu ordnen, aber H. Direktor ist imstand u. unterbricht die Stunde nicht u. man kann unverrichteter Dinge heim gehen. Es ist aber so egal, ob Fritzl 1 Tag früher oder später in München eintrifft, nur seine brennende Ungeduld treibt.

Glückselige Weihnachten mit d. großen Christkindbescherung

Marie Uhl schrieb am 31. Dezember 1913 in Mondsee folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Herrn
Frank Wedekind
Schriftsteller
München
Prinz-Regentstrasse 50


Sylvester 1913. Wollen auch E. Hochwolgeboren meine besten Wünsche für sich u. liebwerte Familie entgegennehmen. Unser Schicksal verwebt sich nun durch Fritzl ganz ohne weiteres zutun ineinander, wir sind gewissermaßen unserer Freiheit beraubt gleichgültig aneinander vorbei gehn zu können. Nun Glück auf, wenn’s uns so beschieden, wer würd sich nicht freuen.


[am rechten Rand um 90 Grad gedreht:]

Von Schwester u. mir herzlichteSchreibversehen, statt: herzlichste. Grüsse.

Marie Uhl schrieb am 9. Januar 1914 in Mondsee folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind , Frank Wedekind , Frank Wedekind

Herrn
Frank Wedekind
Schriftsteller
München
R/P/rinz Regentstrasse 50. |


Mondsee 9 1, 14. Verehrtester, bin erst heute vom KrankenlagerMarie Uhl war seit Jahresbeginn „halsleidend“ [Friedrich Strindberg an Wedekind, 2.1.1914]. auferstanden u. beeile mich sofort meinen innigsten DankFriedrich Strindberg verbrachte auf Einladung Wedekinds den Großteil der Weihnachtsferien bei seinem Vater in München [vgl. Tb]. auszusprechen. Fritzl Friedrich hat starke seelische Erschütterungen erlitten durch die große Freude, die er an Ihnen u. der so lieben Familie erlebte, er war halb verrückt (in der Tat). So erfüllt, daß ich fürchte er vermag nicht mehr zu lernen. Ueberhaupt ist er aus dem Gleichgewicht, genug, wenn ihm das Essen! Wurst ist. Nichts interessiert u. fesselt ihn als Sie.


[am unteren Rand um 90 Grad gedreht:]

Nochmals meinen besten Dank u. Ihnen Allen v. Grüße.

Marie Uhl schrieb am 8. Juni 1914 in Mondsee folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mondsee 8. Juni 1914.


Euer Hochwolgeboren!

Plötzlich zwingt es mich zum Schreiben, verzeihen Sie, es kostet mich ein ungeheures Opfer es zu tun, doch im Interesse Friedrichs muß es geschehen.

Wollen Sie mir gütigst die Aufklärung geben, in welchen Beziehungen E. Hochwolgeboren mit ihm seit OsternFriedrich Strindberg hatte seinen Vater in der Woche vor Ostern, am 4. und 5.4.1914, in München besucht und ihm dort sein Drama „Menschenrecht“ vorgelesen [vgl. Tb]. Anschließend stellte er es in Salzburg fertig und sandte eine Reinschrift an Wedekind [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914], der davon Typoskripte herstellen ließ und an seinen Sohn schickte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 29.4.1914]. Damit wollte sich Friedrich Strindberg zwecks Publikation an Verlage und Zeitschriften wenden. Zum Zerwürfnis mit Wedekind kam es, als er ihn zunächst darum bat, ihm das Stück widmen zu dürfen und Wedekind kurz darauf einen Erpresserbrief erhielt, den er mit Handlungselementen des Dramas in Verbindung brachte: Ein Familienvater hat eine Affäre mit einer Kellnerin [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 4.5.1914 und 8.5.1914]. Wedekind brach daraufhin den Kontakt zu seinem Sohn ab. stehen. Ich fürchte mich von dem Buben beschwindelt u. hintergangen zu sehen, indem er vorgibt es wäre alles im alten. Aber meine Vernunft sagt mir „Nein“. Wie der Blödrian vor Ostern dies unglückselige Drama„Menschenrecht“ – Friedrich Strindberg hatte seiner Großmutter das Drama vorgelesen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 9.5.1914] und war von ihr aufgrund des Inhalts gewarnt worden [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.5.1914]. Offenbar erkannte sie in dem Stück allzu deutliche Anspielungen auf die familiäre Situation Wedekinds. schrieb, war ich schon entsetzt, aber noch mehr, als er Ihnen dasselbe als Ostergeschenk zu Ihrer größten Freude senden wollte. Alle Vorstellungen blieben wirkungslos, er konnte nicht verstehen, daß das Ihr Glück, Ihre Hausehre tangiere, | er war sich nämlich nichts bewußt, es war ja nur eine künstlerische Arbeit, u. ein Dichter wie Sie, kalkulierte er, abstrahiert vom Stoff – also nur mit Gewalt konnte ich verhindern, daß er das Manuskript nicht wegschickte, dafür aber tat er den heillosen Schritt in Salzburgvon der Lehr- und Erziehungsanstalt für Schüler der Mittelschulen aus, die Friedrich Strindberg als Internatsschüler besuchte. u. sandte Ihnen den Entwurf. Als er mich davon verständigte, wußte ich, er habe nun sein Glück begraben. Und ich bin überzeugt es ist so gekommen, trotz Ableugnung, Lug u. Trug. Es ist ja begreiflich, es offenbart sich ein höllischer Pfuhl von Gemeinheit u. Schlechtigkeit. Aber der Unglückliche hatte jeden Maßstab der Sittlichkeit verloren, nachdem er Franziska, Simson u. dgl. gelesen u. sich vollgesogen hatte. | Offenbar wollte er Sie noch überholen. Ja, der Meister kann den Schüler loben! Die Arbeit war nicht Ihres Sohnes Arbeit, sie war visionär – er selbst sagte so – ein göttliches Weltgericht. Wie schade, daß Sie selbe nicht in ihrer Totalität gelesen, um zum vollen Bewußtsein zu kommen. Friedrich ist nun ein Verlorener, das Einzige, der Anhalt an Sie, die fanatische Liebe zu Ihnen, gaben ihm den Ansporn nach Höherem zu streben, seine schlechten Neigungen zu unterdrücken, er hatte das Ideal seines Herzens gefunden, u. nun ist’s trüber u. finsterer in ihm als ehedem.

Aus seinen Briefen erkenne ich, daß die | Sonne seines Lebens untergegangen ist. Na, so eine Tragik! Aber hoch geehrter Herr, seien wir gerecht – ein Vater zieht seinen Sohn unter allen Umständen an sein Herz – Sie kennen doch die Parabel mit dem verlorenen Sohnvgl. Lukas 15,11-32.! Ihr Sohn bedarfvon Marie Uhl dreifach unterstrichen. Ihrer, er hat Niemanden, wenn ich die Augen schließe, u. das gar bald. Es handelt sich um das moralische Wohl Ihres Kindes, für welches Sie mitverantwortlich sind. Bub kann noch ein anständiger Mann werden unter Ihrer Aufsicht u. Leitung. Man darf ihn nicht selbstSchreibversehen, statt: nicht sich selbst. überlassen, man muß ihn wie ein Mädchen hüten. Ich kann ihn Sommers über nicht zu mir nehmen, weil soviele junge Dienstmädchen im Hause sind u. er ließe sich so gerne kirrenzähmen, gefügig machen.. Er muß bei Tschurtschenthaler bleibenFriedrich Strindberg verbrachte die Schulferien mit dem Direktor seiner Schule, Josef Tschurtschenthaler, in Sexten, Südtirol., sein Schmerz. |

II

Zweck meines Schreibens ist nicht, daß viell. Sie hochgeehrter Herr ihn zu sich nehmen sollten, bewahre! nur daß Sie in liebevollenSchreibversehen, statt: liebevollem. Kontakt mit ihm verbleiben, als Vater, als Freund, sowohl für sein Herz, als für seine Zukunft sorgen. Es muß auf ihn gut eingewirkt werden, die Tugenden hochgehalten u. das Laster verabscheut werden – – sieht er u. hört er dies von Ihnen, dem liberal denkendsten der Menschen, dann glaubt er daran, Sie haben das leichteste Spiel, jedes Wort verwandelt sich in Gold für ihn. | Friedrich soll Sie einstens segnen als seinen Retter, nicht verfluchen, daß Sie ihm das Leben gegeben. Und so ist die edle Sühne da, ist sie nicht wert Opfer zu bringen, die zugleich den schönsten Lohn einschließen. Ihr Kind, Ihr Sohn, Ihr Blut – was wollen Sie mehr, bedarf’s denn eines Wortes?

Und so leben Sie wohl Verehrtester! Mit freundlichen Grüßen ergebenste
Marie Uhl