Briefwechsel

von Frank Wedekind und Emilie (Mati) Wedekind

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 6. Juni 1884 in Lenzburg folgenden Zettel
an Frank Wedekind

[unter dem linken Fenster:] Willi

[über der Tür:] Hammo

[unter dem rechten Fenster:] Bebi

HausFrank Wedekind ließ bei seiner achtjährigen Schwester Emilie sowohl über seinen Vater [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 11.6.1884], als auch über seine Mutter [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 26.6.1884] seinen Dank für die Zeichnung des Hauses ausrichten, bis er sich schließlich selbst mit einem Briefgedicht bedankte [vgl. Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 26.6.1884]; darin datierte er den Versand der getrockneten Blumen und der Zeichnung rückblickend allerdings bereits auf „Mai“.

Dieses Haus ist kein Haus wer es aber doch thuth muß 100 Franken Buse bezalen

Frank Wedekind schrieb am 26. Juni 1884 in Lausanne folgendes Briefgedicht
an Emilie (Mati) Wedekind

An Mati


Stiefmütterchen im Garten steht
Es hat gar lange Zeit.
Das Mati dort spazieren geht
im schönen Sonntagskleid

Stiefmütterchen klagt: Wie gerne
Möcht ich die Welt durchziehn
Das Mati hörts von ferne
Und geht zum Blümlein hin

Und spricht zum Blümelein: So thu’s
Zieh durch die Welt, wolan!
Und bring mir einen schönen Gruß
Dem Baby in LausanneFrank Wedekind ‒ sein in der Familie in unterschiedlichen Schreibweisen gebräuchlicher Kosename war Baby ‒ war am 1.5.1884 von Lenzburg nach Lausanne gereist [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 36], wo er „ein Studiensemester der Literatur neuerer Sprachen an der Académie de Lausanne“ [ebd., S. 27] begonnen hat.! ‒

Stiefmütterchen läßt sich pflücken,
Neigt sich dem Mati dar
Und läßt ans Herz sich drücken
Bis daß es trocken war.

Das Mati tuts in ein Paket
Legt auch ein Bild dabei
Stiefmütterchen auf Reisen geht
Im schönen Monat Mai

Und brachte der Grüße viele
Viel Küsse bracht es dann
Dem Baby von der Miele
Von Lenzburg nach Lausanne

Frank Wedekind schrieb am 18. Dezember 1884 in München folgenden Brief
an Friedrich Wilhelm Wedekind , Friedrich Wilhelm Wedekind , Friedrich Wilhelm Wedekind , Friedrich Wilhelm Wedekind , Friedrich Wilhelm Wedekind , William Wedekind , Emilie (Mati) Wedekind , Donald (Doda) Wedekind , Erika (Mieze) Wedekind , William Wedekind , Emilie (Mati) Wedekind , Donald (Doda) Wedekind , Erika (Mieze) Wedekind , Emilie Wedekind

München, im December 1884.


Ihr Lieben,

ich wünsche e/E/uch allenDer Brief wendete sich an die Eltern und die zu Weihnachten auf Schloss Lenzburg versammelten Geschwister. eine recht fröhliche Weihnachtszeit und für die Zukunft alles Gute, das der Himmel beschehrenSchreibversehen, statt: bescheren. kann. Von den Herrlichkeiten Münchens wüßt’ ich Euch viel zu erzählen und wills auch thun in einem längeren Briefe so bald die FerienDie Weihnachtsferien der Ludwig-Maximilians-Universität dürften am Montag, den 22.12.1884 begonnen haben und dauerten bis zum 4.1.1885. begonnen haben. Beiliegend einstweilen einige Beispielewohl beigelegte Ansichtskarten oder Fotografien.. Doda möge seinen Schiller brav durchstudiren und zwar mit Maria Stuart anfangen und | Fiesko und die Räuber erst nach dem Wallenstein lesen.

Es ist dies das erste Mal, das ichSchreibversehen, statt: daß ich. Weihnachten in der Fremde zubringen und bin sehr darauf gespannt, wie mir das vorkommen wird. Hoffentlich denkt i/I/hr am Heiligen Abend an unsFrank und Armin Wedekind, die sich ein Zimmer in München (Türkenstraße 30, 1. Stock) teilten.; so wird uns der Verlust und das Heimweh leichter zu ertragen sein. Ich weiß noch nicht recht, ob wir hier in München auch einen Weihnachtsbaum bekommen, aber viel Rares wird wol schwerlich daran hängen und auch die Fröhlichkeit dabei wird nicht den heimischen Familien-Charakter tragen. Aber wenn mir dieses Jahr die Gunst versagt ist, Weihnachten in Euerm lieben Kreise zu feiern, | so weiß ich umso mehr das Glück zu schätzen, einen so herben Verlust schmerzlich empfinden zu können in der schönen Erinnerung an andere Jahre und in der Hoffnung Euch, meine Lieben froh und gesund einst wiederzufinden. –– Mit tausend herzlichen Grüßen an Euch alle zusammen und an den strahlenden Weihnachtsbaum verbleib’ ich in unvergänglicher Treue Euer Franklin.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 19. Dezember 1885 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

E W


Lenzburg den 19 Dezember 1885


Lieber Franklin

Ich schenke dir das Bebie als Dein EbenbildDie neunjährige Mati dürfte dem vorliegenden Brief an ihren Bruder Franklin, der in der Familie Baby (meist „Bebi“ geschrieben) genannt wurde, als Weihnachtsgeschenk die Zeichnung eines Babys beigelegt haben. zum Weihnachten, U/u/d werde dir dann noch eine glükliches Neujahr wünschen, Ich will dir jetzt noch mehreres erzählen. Hammi komt heim, aber Willi komt nicht heim. Doda und Mize haben Ihre GeburztageDer Bruder Donald (Doda) hat am 4.11.1885 seinen 14. Geburtstag gefeiert, die Schwester Erika (Mieze) am 13.11.1885 ihren 17. Geburtstag. glüklich | und in Freuden gefeiert. Doda hat ein so genanten Knockabaut g einen Schirm mi und einen Regemantelgemeint ist: Regenmantel. gekriegt, und von Hammi Amerikanische Söldengemeint sein dürfte: Soldaten., und dann erst noch von Pappa 5 Fr. Mize hat von Hammi das Stück s Son wie du, mvon Mama hat sie auch einen KnockabautKnock-about (engl.); kleiner weicher Filzhut. und dann noch von Pappa hat sie auch noch 12/5/ Fr. bekommen. | Bald nach den zwei Geburztagen wollte sich Doda eine b/B/ug/r/g kaufen für die 5 Fr. hatte aber nicht genug Geld da pumtegemeint ist: pumpte. er noch von der MatildeMathilde war das „Hausmädchen auf Schloss Lenzburg“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 350]. 5 Fr. so daß er 10 Fr hatte. Dann schickte er das Geld Hammi und der kaufte ihm zwei denn Doda hatte ihm geschrieben er solte ihm zwwei schiken | damit ich auch mit ihm spielen könne. Letzhin wahregemeint ist: Letzthin waren. Doda Mamma und ich in Aarau und machten sehr viele einkäufe. Und beim Graf MoratRichard Graf-Morath betrieb in Aarau (Oberthor 140) eine Tuch- und Modewarenhandlung bzw. ein „Confectionsgeschäft“ [Adreß-Buch der Stadt Aarau 1884, S. 23]. hat Pappa Mamma einen Mantergemeint ist: Mantel. Gekauft das ist nämlich ein Geschenk zum Weihnachten und wir haben noch viele andere Einkäufe gemacht m Doda Mamma hat | auch einen Anzug für Doda dürfen kaufen es hat am Morgen geschneit gefroht/r/en und am Nachmittaag geschneit, bald darauf ha ist Mamma wieder mit Mize nach Aarau unh/d/ hat dorrt wieder Einkäufe gemach. Pappa ist in der letzten Zeit viel in Zürich gewesen | und hat uns auch jedes m/M/ahl etwas mit gebrach. Das le Fast jedes Mahl hat er uns Kastanjen mitgebracht aber das letzte m/M/ahl hat er uns Guzi(schweiz.) Süßigkeiten, Bonbons. mit gebracht.

Lieber Beebi ich weiß jetzt nichs mehr zu schreiben darum sag ich dir jetzt adjö. Es grüßt dich deine lie
liebe Mati.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 31. Dezember 1885 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg den 31 Dezember 1885


Mein lieber alter Bebi.

Ich wünsche Dir herzlich Glück zum neuen Jahre. Ich bin jetzt gerade im Bett und habe einen sehr starken Kater, aber er ist schon wieder auf der Besserung. Ich bedaure sehr daß ich über die Feiertage im Bett liegen muß. Der Weihnachten ist sehr feierlich forüber gegangen und ich habe sehr fiele Sachen ge|kriecht. (1) an Soldaten eine Burg (2) eine Schlacht (3) 3 Modelir Kartongs, das erste war eine Festung, das (2) ein Schif, und (3) einige Puppenmöbel. Ich kann Dir jetzt nich Allen ihre Geschenke aufschreiben darum wollen wir von etwas anderem sprechen. Hammi ließt jetzt eben Mamma von Göte etwas vor. Ich selber lese jetzt gerade Robinson und bin jetzt gerade da wie er die vielen Sachen aus dem Schiffe holt. Ich weiß jetzt nichts mehr zu erzählen und darum sage ich Dir jetzt adjö und grüßt Dich und küßt Dich Deine liebe alte Mati.

Emilie (Mati) Wedekind und Emilie Wedekind schrieben am 20. Januar 1886 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

E W


Den 20. Januar. 1886.


Lieber Bebi.

Du hast mir jetzt so lange nicht geschrieben; und ich habe Dir nun schon so manchen Brief geschrieben, nun schreibe ich Dir aber zum letzten male bevor Du mir wieder einen schreibst. Die MatildeMathilde war das „Hausmädchen auf Schloss Lenzburg“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 350]. hat sich gestern und und vorgestern die Arme aufgewaschenin der Bedeutung: aufgescheuert [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 91]., und die AnnaAnna Frei war Stubenmagd auf Schloss Lenzburg [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 23.4.1886]; sie war wohl kaum identisch mit derjenigen „Angestellten auf Schloß Lenzburg“ [KSA 1/I, S. 909], auf die Wedekind sein Jugendgedicht „An Anna“ (1877) gemacht hat. hat eine geschwollene | Backe und auch die Lippe ist ganz geschwollen b. Doda lernt jetzt eben Latein. Ich bin heute den ganzen Nachmittag draußen gewesen,. Ich war auch heute morgen nich in der Schule weil es sehr stark geschneit hat, aber Mize ist auch nicht in der Schule geweset/n/, aber Doda hingegen ist in der Schule gewesen. Die Eisbahn war 2 Tage ertöffnet und da ist sie auch 2 mahl eingebrochen | Ich bin vorgestern in den Weier gefallen nähmlich daß [Zeichnung] ging so wie wenn jetzt daß der Weier wäre, so stand ich da und Doda stand neben draußt/e/n an der Wand da fiel ich um, und ‒ daß Eis ist eingebrochen; da konnte ich mich noch halten und, brüllte immer filfgemeint ist: hilf. mir! b als nun Pappa aus dem Fenster guckte sagten er, was denn da seie. Da sagte ich Doda sei nicht die | Schuld. Ich weiß Dir nun nichts mehr zum schreiben, darum sage ich Dir jetzt adjö, also adjö lieber Bebi, entschuldige daß ich so schlecht geschrieben habe, es grüß Dich und küßt Dich Deine liebe
Mati.


Mein lieber Bebi! Warum antwortest Du nicht auf Papas Geldsendungen? Er ist recht bekümmert, daß Du wieder krankAnspielung auf Wedekinds Krankenhausaufenthalt im Sommer 1885. sein könntest oder sonst etwas nicht ist wie es sein sollte. Du weißt, daß Papa sich nicht beruhigen lassen will, daher bitte ich Dich sofortdreifach unterstrichen. zu schreiben u zwar an Papa.

Mit herzl. Grüßen Deine treue Mutter

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 23. April 1886 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

E W


Den 23 April 1886Der 23.4.1886 war Karfreitag. Der Brief traf erst verspätet bei Wedekind in München ein [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 6.5.1886], wahrscheinlich am 27.4.1886.


Lieber Bebi.

Jetzt ist w/W/illi fort von hier und geht nach AmerikaWilliam Wedekind, von seinem Vater und seinem Bruder Donald bis nach Basel begleitet und nach Paris weiterreisend, wie aus dem vorliegenden Brief hervorgeht, schiffte sich am 24.4.1886 in Le Havre nach New York ein. j nun ist er schon in Paris, und Morgen geht er auf das Schiff. Doda und Papa sind nach Basel mit ihm; Doda hat dort die Helene LemannHelene Leemann war eine Großcousine, eine Tochter einer Cousine von Wedekinds Mutter [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 146, 254]. gesehen welche dort in den | Ferjen ist. Doda ist jetzt über die Ostern auf dem SchloßbrunekSchloss Brunegg liegt in Sichtweite des rund 8 km entfernten Schloss Lenzburg [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 68]. in den Ferjen. Ich war letzthin mit Papa und Willi in Zürich. Willi hat mir ein gedicht in’s Album geschriben was er nur so aus dem Ermel geschüttelt hat. Wir krigen s jetzt dann eine neuje Stubenmachtgemeint sein dürfte: Stubenmagd. denn die Anna Frei will Arbeitsleererin werden, wir | krigen eine die die feinsten Kleider machen kann, sie ist nicht Schneiderin geworden, weil sie das sitzen nicht fertragen kann,. Lieber Bebi bitte schreibe einmal meinen Eeltern Eltern und mir auch. Ich habe einen Regenmantel, ein Croketsch/p/iel, eine Bombonjärre, einen Sonnenschwirm und einen N und ein Notiztbuch zum | GeburtstagEmilie (Mati) Wedekind hat am 7.4.1886 ihren 10. Geburtstag gefeiert. bekommen. Ich kann nun nicht mer weiter schreiben denn ich weiß nits mer. Dann ade lieber Bebi es grüßt dich und küst dich deine liebe
Mati.

Frank Wedekind schrieb am 28. Mai 1886 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[1. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Friedrich Wilhelm Wedekind vom 28.5.1886 aus München:]


Ich bin so frei und lege hier einige Zeilen an Mati bei, die mir schon so oft geschrieben hat.


[2. Hinweis in Friedrich Wilhelm Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 31.5.1886 aus Lenzburg:]


Deinen l. Brief vom Freitag erhielt ich gestern [...] zugleich mit der Einlage an unsere gute Mati; sie war ganz entzückt, als ich ihr den Brief an sie einhändigte [...]

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 23. Juli 1886 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Liebes BeinSchreibversehen, statt: Bebi. Emilie (Mati) Wedekind verwechselte hier die familiären Kosenamen für Armin (‚Bein‘) und Frank (‚Bebi‘) Wedekind, wie sich aus dem Briefkontext in Verbindung mit dem Brief Donald Wedekinds vom gleichen Tag [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1886] ergibt.!

Weil am Samstag dein GeburztagWedekinds 22. Geburtstag am 24.7.1886 (Samstag). ist muß ich dir doch gratulieren. Wenn du haimgemeint ist: heim. kommst wirst du drei Goldprinzenein junger Kater und zwei Katzen [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1886]. antreffen daß einine heist Murr das andere Nurr, d und das letzte Knurr sie sind schon rercht luss/t/ig, und Murr und Knurr können schon saufen. Das Murrenvieh gehört mir, das Nurrenvieh Doda, und das Knurren|vieh Mize! Eben haben wir Doda und ich ein Konzert gegeben durch vierhändig sch/p/ielen und dazu sind/g/en daß das ganze Haus zusammen lief. Nunn muß ich aber Enden denn es muß auf die PostDer Brief dürfte, ebenso wie die Briefe Emilie und Donald Wedekinds zum gleichen Anlass [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1889 und Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1886] dem Brief des Vaters beigelegen haben [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 23.7.1886]. er/s/ grüßt dich di und küßt dich deine dichliebende
Mati!

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 23. Juli 1887 in Lenzburg folgenden Zettel
an Frank Wedekind

Das Papier und die An- Kuverte sind von mir, von deiner treuen Schwester Mati!!!! ‒

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 1. Juni 1889 in Darmstadt folgenden Brief
an Frank Wedekind

DarmstadtEmilie (Mati) Wedekind besuchte spätestens seit Anfang Mai 1889 das „Darmstädter Mädchenpensionat zur Förderung des Fremdsprachen-, Literatur-, Zeichen- und Musikunterrichts“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 323], das von den unverheirateten Schwestern Charlotte und Sophie Wider in Darmstadt (Hügelstraße 6) als Pensionsvorsteherinnen geleitet wurde [vgl. Adressbuch von Darmstadt 1889, S. 170], ein privates evangelisches Pensionat. In einem Nachruf auf die am 11.3.1903 in Darmstadt verstorbene Charlotte Wider [vgl. Todes-Anzeige. In: Darmstädter Tagblatt, Jg. 166, Nr. 37, 13.2.1903, 2. Beilage, S. 12] wurde an die „beiden Schwestern Sofie und Charlotte Wider [...], die Zwillinge [...] in Darmstadt“ erinnert, wobei Charlotte Wider zu den „Stillen“ gehört habe, „die geräuschlos [...] wirken an dem großen Werke [...] der Nächstenliebe.“ [M. (Marie) Loeper-Houselle: Charlotte Wider †. In: Die Lehrerin in Schule und Haus, Jg. 19, Nr. 23, 7.3.1903, S. 723f.] Sichtbar ist auch ein anderes Profil: „In Darmstadt ist Frln. Charlotte Wider, eine in den Kreisen der Frauenbewegung wohlbekannte Persönlichkeit, gestorben.“ [Allgemeine Zeitung, Jg. 106, Nr. 49, 18.2.1903, 2. Abendblatt, S. 4]. d. 1 Juni.


Mein lieber Bruder!

Da ich eben nichts zu thun habe wollte ich die Gelegenheit provitirengemeint ist: profitieren = nutzen. um mit dir ein wenig zu plaudern. Wie Du vielleicht nebenbei ein Mal gehört hast, hat am 11. Mai meine ConfirmationEmilie (Mati) Wedekind wurde dem vorliegenden Brief zufolge am 11.5.1889 in Darmstadt konfirmiert, einem Samstag. Die im Brief ebenfalls erwähnte Prüfung am 4.5.1889 in der Darmstädter Stadtkirche (Kirchstraße 11) fand wohl gemeinsam mit der vorbereitenden Prüfung von Schülerinnen der Stadtmädchenschule statt, die am 5.5.1889 (Sonntag) in der Stadtkirche konfirmiert wurden: „Konfirmation der Stadtmädchenschule [...]. Vorbereitung am Tag vorher Nachm. um 2 Uhr.“ [Darmstädter Tagblatt, Jg. 152, Nr. 87, 5.5.1889, S. 1252] stattgefunden. Nun ich will dich mit dieser so uninteressanten Epistellängerer Brief. nicht so sehr langweilen. Aber zu gleicher Zeit möchte ich dich auch | fragen ob Du überhaupt noch lebst. Du hast seit WeihnachtenFrank Wedekind und seine jüngste Schwester Emilie (Mati) Wedekind dürften sich Weihnachten 1888 in Lenzburg zuletzt gesehen haben nichts mehr von deiner werten Person hören lassen. Du hast wohl viel zu viel mit deinen alten, oder vielmehr jungen KunstreiterinnenAnspielung auf die beiden Töchter des Zirkusartisten „Tom Belling, der Schöpfer der Figur des dummen August, [...] Ella und Viktoria“ [KSA 5/II, S. 561], an die Wedekind sich in einem Essay („Luisa und Radiana“) erinnerte, der zuerst am 1.4.1917 im „Berliner Tageblatt“ erschien, auf ein Gespräch am 27.3.1917 mit dem Feuilletonredakteur zurückgehend, das er im Tagebuch notierte: „Besuche Paul Block auf dem B.T. Erzähle ihm von Ella und Victoria Belling.“ Die Schwestern waren als Drahtseilartistinnen beim Zirkus Herzog aufgetreten, der vom 6.7.1888 bis 8.10.1888 in Zürich-Riesbach gastierte [vgl. KSA 5/III, S. 544]. Insbesondere für die eine der Artistinnen, die ihm auch als Kunstreiterin imponierte, interessierte sich Wedekind: „Ganz besonders von den Leistungen der schönen Ella war ich derart hingerissen, daß ich mir von der Redaktion der ‚Neuen Züricher Zeitung‘ die Erlaubnis erbat, einige Artikel über die Ästhetik des Zirkus schreiben zu dürfen. Selbstverständlich hatte ich längst ein glühendes Liebesgedicht auf Ellas Reize gemacht und flocht dies Gedicht gleich dem zweiten meiner Feuilletonartikel ein.“ [KSA 5/II, S. 561] Der am 2. und 5.8.1888 in der „Neuen Zürcher Zeitung“ veröffentlichte Essay „Im Zirkus“ ist ohne dieses Liebesgedicht erschienen, würdigt „Frl. Ella Belling“ [KSA 5/II, S. 144] aber als Seiltänzerin. Das dem Manuskript des Essays beigelegte, an sie gerichtete Gedicht „Frl. Ella Belling“ (1888) ist verschollen [vgl. KSA 1/II, S. 1800]; erhalten ist in Wedekinds 1888 in Zürich geführten Kollegheften ein Fragment [vgl. KSA 1/I, S. 778] und eine vor dem 5.8.1888 entstandene vollständige Reinschrift [vgl. KSA 1/II, S. 1802] dieses Gedichts „Lichte Perle, leuchtende Rose...“ [KSA 1/I, S. 271f.]. Wedekind hat die Zirkusartistin auch als Kunstreiterin gewürdigt, in „Ella Belling, die Kunstreiterin“ [KSA 5/I, S. 134-138], das erste seiner „Interviews“ im „Simplicissimus“ [Jg. 1, Nr. 30, 24.10.1896, S. 6]. Später komponierte und textete er noch das Tanzlied „Frl. Ella Belling. Sonne, Mond und Sterne“ (1917) [vgl. KSA 1/IV, S. 1082]. zu thun.

Ich habe letzthin in der Zeitung gelesen daß der BruderElla Belling hatte drei Brüder, die Wedekind bekannt waren: „Gobert, [...] Thomas und Clemens“ [KSA 5/II, S. 561]; welcher gemeint war, ist unklar, da die Pressemeldung nicht ermittelt ist, die Emilie (Mati) Wedekind gelesen hat. deines Schwarms Frl. Ella Belling 75000 Mark gestohlen hat.

Was treibst Du eigentlich in deinem langweiligen München Du alter Kümmeltürke„studentisch gleich philister, [...] bekannt als Schimpfwort“ [DWB, Bd. 11, Sp. 2592].. Denke dir, Pfarrer EgerKarl Eger in Darmstadt (Hügelstraße 30) war „Pfarrassistent“ [Darmstädter Adreßbuch 1890 Nachtrag sowie Handels-Register, S. 9], dann „Hilfsprediger“ [Adressbuch von Darmstadt 1892, Teil II, S. 36], dann erst „Pfarrer“ [Adressbuch der Haupt- und Residenzstadt Darmstadt 1893, S. 31]. mein Pastor der mich | konfirmirt hat raucht auch Pfeifen wie Du. Er ist erst 25 Jahre alt, aber ‒ leider ‒ schon ‒ verlobt..... Ist das nicht traurig. Spekuleschenwohl Wortschöpfung aus: Spekulation = hypothetische Überlegung. ist vorbei, aber mir ist’s einerlei. Im Gang und in der Ganzen Figur sieht er gerade aber auch ganz exakt so aus wie SadiSpitzname Karl Henckells auf Schloss Lenzburg [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 139]. Henckell. Im Gesicht sieht er Doda sehr ähnlich. Er hat den selben Schädel/Kopf/ und die selbe Nasen. Er ist überhaupt ein goldiger Mensch. | Er ist immer so galant gegen uns Pomzenwohl umgangssprachliche Kurzform für Pomeranzen (= junge, unbedarfte Mädchen vom Land).. Einmal kam er dichSchreibversehen, statt: dicht. hinter uns in die Confirmantenstunde. Da warteten wollten wir ihn zuerst hinein lassen. Aber er ließ es nicht geschehen wir mußten zuerst hinein. Und auf der Straße dockeltdockeln, das ist: toggele (schweiz.) = locker sein, wackeln. er immer. Ach Der ist anders als die Lenzburger Schulmeisterchen. Ach er ist halt so herzig. Ich bin alsemal(südhess.) gelegentlich. so verrückt daß ich ihm grad ’ne TuppiKüsschen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 17]. geben möchte. Er hat noch keinen Bart da sind die Tuppis doch | süße Tuppis. Siehst du daß ist noch eine Pracht so einen blondhaarigen und blauäugigen Jüngling vor sich zu haben. Letzten Samstag vor 8 Tagen hat er sich scheerenscheren = rasieren. lassen. In der Confirmandenstunde bekuckte er immer seinen Ehering und dann wenn wir lachten wurde er immer rot bis über die Löffel. Aber Du hättest ihn erst sehen sollen wenn er begann uns von der Liebe gegen unsere Nächsten zu predigen. Dann wurden sogar seine Nasenspitze ganz glühend. Er hat uns immer gefragt ob wir und wann wir Confirmandenstunde haben wollten. Nach der Stunde wurde er immer bestürmt und dann mußte er uns | noch seine Erlebnisse E mittheilen. Wir hatten 8 Tage vor der Confirmation in der Stadtkirche eine Prüfung. Wir mußten darauf hin 75 Sprüche lernen. Den Tag vorher haben wir ihn noch alles gefragt. Eine Ich fragte ihn: „Und wenn wir nun Ihre Frage nicht beantworten können was giebt es dann.“ Und denke dir einmal an er antwortete mir: „Wenn du auf „Sei nur ganz ruhig, wenn du nichts weißt so frage ich dich schnell etwas anderes.“ Ist das nicht ein fammoserfamos = fabelhaft; ausgezeichnet; großartig. Kerl. Wir mußten die zehn Geboteaus der Bibel [vgl. Exodus 20,1-17], die Erklärungen dazu aus einem Katechismus. mit allen Erklärungen von welchen jede eine halbe Seite lang | ist ganz auswendig lernen. Das konnte ich nun natürlich nicht. Ich habe es ihm gesagt daß ich es nicht konnte. Und denke dir der Kerl machte wirklich daß ich nicht mehr dran kam. Er geht jeden Morgen und jeden Mittag an unserm Haus vorbei und dann guckt er immer so herzig schepschepp (südhess.) = schief. herauf. Du darfst mir nicht übel nehmen daß ich dir so verrücktes Zeug schreibe. Wir waren/haben/ letzthin eine Partie mit ihm gemacht. Denke dir er hat auf Lotta Langhans, (Es ist eine Pensionärin von Widersdie Pensionsvorsteherinnen Charlotte und Sophie Wider. welche auch mit mir k confirmirt wurde) be und mich | bei unserm Hause gewartet und ist mit uns bis auf den Bahnhofwohl der Hessische Ludwigs-Bahnhof in Darmstadt (Bahnhofstraße 3). gegangen Ich sage dir es war kostbar er hat auf dem ganzen Weg geplappert. Er hat mir gesagt wie ich einmal in der Stunde bei ihm rot geworden wäre, und als ich sagte es wäre nicht richtig ich würde nie rot, hat er gesagt, er hätte es ganz genau gesehen wie ich immer röter geworden wäre. So hat er geschwatzt bis wir am Bahnhof waren.

Jetzt muß ich aufhören sonst werde ich noch verrückt.

Deine treue
Schwester


[Seite 1 oben unter den durchgezogenen Linien um 180 Grad gedreht:]

Schreibe bitte recht recht bald zurück

Frank Wedekind schrieb am 21. Juni 1889 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 21.6.1889 in Berlin:]


Ich gehe [...] nach Haus und schreibe an Mati.


[2. Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 30.6.1889 aus Darmstadt (AfM Zürich, PN 169.5:54):]


Bebi hat mir letzte Woche geschrieben.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 29. Juni 1889 in Darmstadt folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 30.6.1889 in Berlin:]


Brief von Mati erhalten.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 30. Juni 1889 in Darmstadt folgenden Brief
an Frank Wedekind

Darmstadt d. 30 Juni


Geliebtes MünchnerleinAnspielung auf den letzten (nicht überlieferten) Brief ihres Bruders aus Berlin [vgl. Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 21.6.1889], in dem von München die Rede gewesen sein dürfte.!

Ach dich hatte ich ja ganz vergessen. Jetzt geht es los. Alles gefiel mir an deinem Briefvgl. Frank Wedekind an Emilie (Mati)Wedekind, 21.6.1889. nur daß Du die schweizer Madels so heruntermachst, das hat mich ganz empört. Warte nur das schreibe ich der Minna. Wenn Du es auf die Stumpfnäschen absiest dann könntest Du nur in unsere PensionEmilie (Mati) Wedekind besuchte das „Darmstädter Mädchenpensionat zur Förderung des Fremdsprachen-, Literatur-, Zeichen- und Musikunterrichts“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 323], das von den Schwestern Charlotte und Sophie Wider in Darmstadt (Hügelstraße 6) als Pensionsvorsteherinnen geleitet wurde [vgl. Adressbuch von Darmstadt 1889, S. 170]. kommen hier finden sich etliche solche vor. Unsere MademoiselleWedekinds jüngste Schwester schätzte die im Darmstädter Mädchenpensionat tätige Erzieherin aus Lausanne [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 11.8.1889], deren Name ungenannt bleibt. hat ein reizende Gesichtchen. Ein kurzes vorwitziges Himmelfahrtsnäschen. Zwei große braune Augen, prachtvolle schwarze Haare, ein klei| Schreibversehen (im Zuge des Seitenumbruchs), statt: kleines.süßes Kußmündchen von welchem ich jeden Abend ein Küßchen erhalte. Zwei kleine runde Öhrchen, Z zwei zierliche Händchen. So f/v/iel ich gehört habe ist Frl. Herzog eine SchweizerinEmilie Herzog, die Verlobte von Wedekinds Freund Heinrich Welti, stammte aus Ermatingen im Kanton Thurgau (Schweiz).. Hat der Sadi noch nicht geschrieben. Wenn brude Du ihm einmal schreibst so schreibe ihm auch einen Gruß mir. Ich habe hier noch keinen Jungen gesehen der so hübsch ist wie HeiniHeinrich Welti – wie der Zusammenhang mit seiner zuvor erwähnten Verlobten Emilie Herzog nahelegt.. Denken tu ich in der Regel nicht sehr f/v/iel. Arbei Mit dem Arbeiten ist jetzt hier auch nicht sehr viel los da ich jetzt 4 Wochen lang Ferien habe. Gesehen habe ich schon die ganze Umgebung von Darmstadt, welche schöner | ist als ich sie mir gedacht habe. Gehört habe ich letzten Donnerstag im Saalbau ein prachtvolles GartenconcertIm „Saalbau Darmstadt“ (der offenbar einen Garten hatte) fand am 27.6.1889 (Donnerstag) um 20 Uhr (Eintritt: 50 Pfennig) ein „Großes Militär-Concert“ mit umfangreichem Programm statt, „ausgeführt von der Kapelle des 1. Großh. Hess. Infanterie-(Leibgarde) Rgmts. Nr. 115, unter der Leitung ihres Kapellmeisters Herrn W.G. Hilge.“ [Darmstädter Tagblatt, Jg. 152, Nr. 123, 27.6.1889, S. 1760]. Fühlen tu ich überhaupt nichts. Man wird hier geistig von Mademoiselle so abgehärtet daß ich mir das fühlen schon vergangen. Wenn Du einmal eine kleine SpritzturSchreibversehen, statt: Spritztour. machst so freut es mich sehr wenn Du mir einen kleinen Besuch abstattest. Dann kannst Du auch die verschiedenen lieblichen Gesichterchen sehen die in unserem Hause sich herumbewegen. Aber wenn Du den Mädchen gefallen möchtest so müßtest du auf jeden Fall dein Ziegenbärtchen abrasiren lassen. Schläfst Du immer noch bis Mittags 12 Uhr. In Lenzburg war ja scheinz/s/ ein großartiges Jugendfest. Wir sind hier unserer 4 Schweizermädchen. Mademoiselle von Lausanne, Angelika Blankart | von Lugano, Marili Martini von Frauenfeld und ich.

Nun ad/e/ü. Lebe wohl du altes Haus.

Es schickt dir 1000 TuppisKüsschen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 17]. dein altes
Mati.


Bitte schreibe recht balddreifach unterstrichen..

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 20. Juli 1889 in Darmstadt folgenden Brief
an Frank Wedekind

Darmstadt d. 20 Juli.


Mein lieber Bruder!

Du böser Kerl Du jetzt hab ich dir doch einen sehr langen Briefvgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 30.06.1889. geschrieben und bis jetzt habe ich noch keine Antwort erhalten. Warum schreibst Du mir denn nicht? Du hast doch am Ende nicht viel anderes zu thun.

Eigentlich schreibe ich dir diesen Brief um dir recht viel Glück zu wünschen zu deinem GeburtstagWedekinds 24. Geburtstag am 24.7.1889.. Schenken kann ich dir dieses Jahr nichts da ich selbst für mich keine RabenSchreibversehen, statt: Rappen (die Kleinmünzen zum Schweizer Franken); allerdings sind Raben auch ungarische Dukaten mit dem Bild eines Raben [vgl. DWB, Bd. 14, Sp. 6]. Mati jedenfalls hatte kein Geld übrig. mehr übrig habe. Seit 14 Tagen haben wir Ferien | Frl. WidersCharlotte und Sophie Wider, die Vorsteherinnen des Darmstädter Mädchenpensionats. sind nach Oberamergau und Frau Küchler, eine Frnd. von Frl. W., ist hier und hält mit 4 Ihrer Kinder Haus. Kommst Du in den Ferien nach Hause oder bleibst du in München. Fräulein Wider kommen heute Mittag zurück, wir freuen uns sehr sie zu widersehn. Diesen letzten Satz hat eine En 19jährige reizende Engländerin geschrieben. Am letzten Mittwochder 17.7.1889. waren wir bei Herrn Küchler in Lützelbach letzteres ist ein g Dörfchen im schönen Odenwald. Wir fuhren am Morgen um 625 von hier ab und fuhren bis Ober-Ramstadt. Von dort aus gingen wir 1 Stunde lange bis Obermodau. Daselbst war Herr Küchler mit einem Kutscher welcher einen Leiterwagen mit sich führte. Nach dem wir alle guten Tag gesagt hatten stiegen wir ein und fuhren. | noch zw 1½ Stunden bis nach Lützelbach. Dort machten wir d nachdem wir uns mit Milch und Brod/Schwarz/brod w/W/eißbrod b/B/utterbrod gestärkt hatenSchreibversehen, statt: hatten. einen Sch/p/aziergang in den nahegelegenen Wald. Von dieser StrapatzeSchreibversehen, statt: Strapaze. zurückgekehrt aßen wir tüchtig zu Mittag und hernach zogen wir uns in verschiedene Gemächer zurück um dord/t/ unser Mittagsschläfchen zu vollstrecken. Um ½ 4 Uhr tranken wir Kaffee und aßen Honig und Kuchen und nach diesem machten wir wieder einen wunderhübschen Spaziergang. Um ½ 7 Uhr setzten wir uns wieder in den Leiterwagen und im Galopp gings wieder nach Oberr Ramstadt. Denke dir d die Pferde waren so wild daß Miss Saxby welche | neben mir saß, mich dermaßen in meinen Arm kniff daß [ich] einmal fast aus dem Wagen gehüpft wäre. Miss Saxby ist die von welcher ich dir schon vorher geschrieben habe. Zuguterletzt fing es noch an zu regnen und so kamen wir dann ganz durchnäßt im Ober-Ramstadt an. Wir mußten noch ½ Stunde Wa warten bis der Zug kam in welchen wir gehörten. Um 10 Uhr kamen wir wieder zu Hause an. Wir legten uns gleich ins Bett. N Als wir kaum im Bett waren fing es schrecklich an zu blitzen. Wir sprangen alle aus den Betten und versammelten uns in Fernande Far/v/re’s Zimmer. Es waren daselbst nur die m/M/ädchen aus dem Ober Stockwerk zugegen. So waren wir | also d 6. Alle in unsern langen weißen NachgewändernSchreibversehen, statt: Nachtgewändern.. Ach ich sage dir wenn nur ein Photograph zugegen gewesen wäre es hätte ein fammosesfamos = fabelhaft; ausgezeichnet; großartig. Bild gegeben. Bald schien es aufzuhören und so machten wir uns dann widerSchreibversehen, statt: wieder. so nach und nach in’s Bett; aber kaum hatten wir das Licht ausgelöscht als ein Krach w erscholl daß wir dachten das Haus fiele über uns zusammen. Mit einem HubsHupps (südhess.); plötzliche hüpfende Bewegung. waren wieder alle auf den Beinen und so versammelten wir uns nun in Lorchens Zimmer. Es war indessen Mitternacht geworden und wir sagten uns guten Morgen und schlichen widerSchreibversehen, statt: wieder. ins Bett. | Aber ich sage dir so eine fammose Nacht habe ich noch nie in meinem Leben gehabt. Am andern Morgen standen wir um ½ 10 Uhr auf. Wenn Du mir jetzt dann nicht bald schreibst dann schreibe ich dir gar nicht mehr.

Also nochmals mit den herzlichsten Glückwünschen verbleibe ich deine Schwester
Mati

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 23. Juli 1889 in Darmstadt folgenden Brief
an Frank Wedekind

Darmstadt d. 23. Juli 1889.


Mein lieber Bebi!

Hier schicke ich dir neben vielen herzlichen Glückwünschen, ein kleines Andenken. Ich hoffe Du brauchst es recht oft und habest immer so viele RabenSchreibversehen, statt: Rappen (die Kleinmünzen zum Schweizer Franken); allerdings sind Raben auch ungarische Dukaten mit dem Bild eines Raben [vgl. DWB, Bd. 14, Sp. 6]; gemeint ist Geld. übrig um es mit den feinsten Cigarren zu füllen. Du könntest wohl einmal herkommen und mich besuchen. Hoffentlich kommst Du an Weihnachten auch nach Hause; dann kommt villeichtSchreibversehen, statt: vielleicht. Mamma hier her und Du kommst von Berlin hier her und wir fahren | ganz fröhlich und wohlgemut zu dritt nach Hause. Das wäre doch gewiß ganz fammoßfamos = fabelhaft; ausgezeichnet; großartig.. Denke dir seidSchreibversehen, statt: seit. 14 Tagen habe ich von zu Haus keinen Brief mehr erhalten. Wenn Du etwas weißt warum sie mir nicht schreiben so benachrichtige mich bitte davon. Wie geht es dir denn eigentlich in deinem alten Berlin. Hast Du Frl. Herzog immer noch als Visavieals Gegenüber; von: vis-à-vie (frz.) = gegenüber. Wedekind, der nach seiner Ankunft in Berlin am 6.5.1889 zunächst in einem Hotel wohnte, hat am 19.5.1889 in Berlin ein Zimmer bei dem Portier W. Pansegrau und dessen Frau gemietet – Genthinerstraße 28 (4. Stock); inzwischen hatte er Berlin allerdings verlassen müssen und war seit dem 5.7.1889 wieder in München. Die Opernsängerin Emilie Herzog war erst kürzlich von München nach Berlin gegangen und dort dann gemeldet Lützowstraße 20 [vgl. Berliner Adreß-Buch für das Jahr 1890, Teil I, S. 463].. Denke dir wir hatten schon 3 Wochen Ferien und haben jetzt noch 4 das wäre doch zu schön 2 Wochen. Von meiner Freundin habe ich gehört daß am letzten Freitag Jugendfest war | und daß da unser holdes Schwesterlein sehr schön gesungenErika Wedekind berichtete dem Bruder über ihren Gesangsauftritt auf dem diesjährigen Jugendfest in Lenzburg am 19.7.1889 [vgl. Erika Wedekind an Frank Wedekind. Lenzburg, 23.7.1889]. habe. Ich habe gehört daß Mama in Paris ist. Ach es wundert mich gar nicht. Nimmt mich nur wunder ob sie solo gegangen ist. Hast du noch nichts von Doda gehört? Es nimmt mich eigentlich recht wunder wo er herum fagirtfagieren (rhein.), vagieren (südhess., vor allem in Darmstadt) = beim Sprechen mit den Händen herumfuchteln.. Ich glaube halt nur er macht’s wie WillyWilliam Wedekind war 1889 von seiner Reise in die USA nach Lenzburg zurückgekehrt (und wanderte im selben Jahr nach Südafrika aus). Donald Wedekind war im Februar 1889 in die USA gereist und kam Ende November zurück. Er berichtete seiner Schwester erst kurz vor seiner Rückreise nach Europa über seine Reise nach Amerika und seinen Aufenthalt dort [vgl. Donald Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 17.11.1889; Auszug: Vinçon 2021, Bd. 2, S. 138]. und ist uhrplötzlichSchreibversehen, statt: urplötzlich. zu Hause. Daß Willy am 26. Juli HochzeitWilliam Wedekind heiratete seine Cousine Anna Kammerer aus New York am 25.7.1889 in Zürich. hat wirst wohl schon gehört haben. Ich hätte nie geglaubt daß er Ernst macht. | Schreibe mir doch wie alt Du bist und wie alt Hammi im nächsten FebruarArmin Wedekinds nächster Geburtstag war am 29.1.1890, er wurde 27 Jahre alt. wird. Jetzt muß ich aber zu Ende gehen mit meinem Brief, denn bald kommt der Briefbote und dem will ich meinen Brief mitgeben. Hoffentlich bringt mir der Briefbote heute einen Brief von zu Hause. Nun adieu mein teurer Bruder. Es wünscht dir mit 10,000,000,000,000,000,000,000,000,000 Küßen noch vieles ebenso vieles Glück zu deinem GeburtstagWedekinds 24. Geburtstag am 24.7.1889. dein dich innig liebendes Schwesterchen
Mati.


[Seite 1 oben links um 90 Grad gedreht:]

Bitte schreibe recht baldvierundvierzigmal unterstrichen..

Frank Wedekind schrieb am 3. August 1889 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 3.8.1889 in München:]


Briefe an Mieze und Mati.

Frank Wedekind schrieb am 11. August 1889 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 18.8.1889 aus Darmstadt:]


Am letzten Montag erhielt ich deinen lieben Brief.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 11. August 1889 in Darmstadt folgenden Brief
an Frank Wedekind

Darmstadt d. 11 August


Lieber Bebi!!

Deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 3.8.1889. habe ich erhalten. Du fragst mich was die Vorzüge in Darmstadt sind. Ich habe hier nur einen Vorzug. Es ist ein Mädchen für welches ich wirklich schwärme. Es ist unsere Mademoiselle. Ich habe sie dir in meinem ersten Briefvgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 30.6.1889. Das war nicht der erste Brief, den die jüngste Schwester dem Bruder aus dem Mädchenpensionat in Darmstadt geschrieben hat. beschrieben. Leider geht sie schon im September nach Lausanne in ihre Heimat zurück die Glückliche. Die Ferien sind jetzt schon vorbei und nun muß bis zum Herbst wieder ernsthaft geschafft werden. Was ist dir nur eingefallen auf einmal nach München zu reisen. Welches ist eigentlich der Grund davonWedekind konnte den für seinen Aufenthalt in Berlin verlangten Staatsangehörigkeitsausweis nicht vorweisen, eine Bestätigung über seine amerikanische Staatsangehörigkeit genügte den preußischen Behörden nicht, er wurde aus Berlin ausgewiesen und verließ die Stadt am 4.7.1889 [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 134]. Er traf am 5.7.1889 in München ein.. Wir gehen fast jede Woche einmal die auf die Fasaneriebeliebtes Ausflugsziel mit dem Ausflugslokal Forsthaus Fasanerie in Kranichstein, Entfernung von Darmstadt rund 5 Kilometer [vgl. Adressbuch von Darmstadt 1889, S. 516].. Es ist ein W/w/underhübscher Platz im Wald. Dort essen wir allmal(schweiz.); jedesmal. zu Nacht. Wir bekommen Bier, Fleisch, Schweizerkäsedreimal unterstrichen. | Brot und Butter. Dann sehen wir die Wildschweinfütterung an, welche auch sehr interessant ist. Letzthin war es besonders fidel dort. Wir gingen unserer 5 Mädels f zur Fütterung. Da war nun ein Schwein welches schon gar nicht zufrieden zu sein schien. Ich reitzte es indem ich seine Stimme ganz täuschend nachahmte. Es sah uns nun an als wolt/l/e es uns verschlingen. Auf einmal überlief uns ein Schauder. Wir namenSchreibversehen, statt: nahmen. alle 5. Reißaus und als wir wieder bei den andern ankamen freuten wir uns so über unsere eigene Dummheit daß wir in ein helles Gelächter ausbrachen. Morgens stehe ich um 7. auf und gehe Abends um 9 in’s Bett. Letzthin war es fidel. Ich war am Abend um 9 ins Bette und habe dermaßen geträumt daß ich am andern Morgen erst aufwachte als es zum herunterkommen | schellte. Ich wußte nicht daß es schon einmal geschellt hatte und zog mich also ganz gemütlich an. Als ich nun herunter kam waren schon alle vertigSchreibversehen, statt: fertig. mit Kaffee trinken. Alle lachten mich aus und nicht einmal Frl. Widerentweder Charlotte Wider oder Sophie Wider, beide Vorsteherinnen des Darmstädter Mädchenpensionats. war ungehalten über mein Ausbleiben. Auf meinem Teller lagen zwei kollosaleSchreibversehen, statt: kolossale. dickgeschmirtereichlich belegte. Weck(südhess.), Wegg (schweiz.); Brötchen.. Im ganzen Haus wo ich hin kam fragte man mich ob ich gut geschlafen hätte. Den Tag über habe ich immer Stunden. Am Abend wird immer in Reih und Glied in den KuhwaldFlurname; welche Grünanlage in Darmstadt gemeint ist, ist unklar. gegangen welches mir jetzt dann bald langweilig ist. Es muß ja da in deiner WohnungWedekind notierte am 16.7.1889 in München über seinen erneuten Umzug in der Stadt: „Ich suche nach einer Wohnung [...] und finde schließlich was passendes in der Akademiestraße über vier Stiegen ein langes darmartiges Zimmer mit Alkoven zu 15 Mk.“ [Tb]. recht gemütlichkeitSchreibversehen, statt: gemütlich sein.. Aber ich möchte doch nicht an deiner Stelle sein, denn wie deine WirtinWedekind hat am 18.7.1889 im Tagebuch notiert: „Ich ziehe bei Frau Mühlberger ein.“ Seine Zimmerwirtin, die Witwe Anna Mühlberger, die seit 1889 eine Wohnung im Parterre (links) in der Akademiestraße 21 hatte, war eine „Kleidermacherin“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1890, Teil I, S. 235]; Artur Kutscher sprach von „einer alten Wäscherin“ [Kutscher 3, S. 189]. erSchreibversehen, statt: es. treibt, so das heiß ich doch die Kultur zu weit getrieben. Siehst Du, da hanters wiedergemeint sein dürfte: da haben wir es wieder., die Minna kann dir schreiben mir aber nicht hätte sie noch keinen Buchstaben geschrieben. Du muß in Deinem | nächsten Brief besser schreiben, denn das Gekritzel kann ich fast nicht lesen. Ich hätte den letzten Brief nicht entziffern können wenn mir nicht Angelique (eine Pensionärin) dabei geholfen hätte. Eben habe ich Sadi’s BriefKarl Henckells Brief an Emilie (Mati) Wedekind ist nicht überliefert. (den alten) in der Hand. Er schreibt allerdings deut kleiner, aber doch 1000 mal deutlicher als Du. Jetzt soll ich etwas wissen von Sadi, der würde nie die Feder in die Hand nehmen um mir ein Wort zu schreiben, der kann nur anderten Leutander Leut (südhess.) = andere Leute. anhimmeln. Hat er dir auch noch nicht geschrieben. Das Buch das diesen HerbstKarl Henckells neuer Gedichtband „Diorama“ erschien zwar vordatiert auf 1890 im Verlags-Magazin (J. Schabelitz) in Zürich, versehen mit einem auf den 2.9.1889 datierten Vorwort des Verfassers [vgl. Karl Henckell: Diorama. Zürich 1890, S. IX], wurde aber „auf Grund von § 11 des Reichsgesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 28. Oktober 1878“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 276, 27.11.1889, S. 6345] verboten., von ihm, heraus kommt möchte ich wirklich auch sehen. Es nimmt mich wunder in welcher Tonart er jetzt wieder jammert. Nicht wahr lieber Bebi wenn Du etwas hast drucken lassen schickst Du es mir auch gleich. Ich habe mir das wegen dem langweiligen und interressantenSchreibversehen, statt: interessanten. mit diamantenen Buchstaben auf die Hirntafel geschrieben. Das wirst w/Du/ wol schon aus meinem Brief lesen. (Wildschwein u.s.w.) Gestern Abend habe ich einen Brief vom BeinBein war ein Spitzname von Armin Wedekind. Sein Brief an Emilie (Mati) Wedekind ist nicht überliefert. Emilie (Mati) Wedekind bezieht sich in einem undatierten Brieffragment [AfM Zürich, PN 169.5:055] an ihren Bruder Armin Wedekind auf diesen Brief. erhalten der mich teilweise betrübt | Besonders hat es mich betrübt daß ich habe hören müssen daß Doda in Amerika herumstreicht und sich nichts weniger als gut aufführt. Wir scheinen ja eine ganz reizende SchwägerinAnna Kammerer aus New York hat am 25.7.1889 in Zürich ihren Cousin William Wedekind geheiratet, den zweitjüngsten Bruder von Emilie (Mati) und Frank Wedekind. bekommen zu haben. Es hat mich ganz empört daß ein Teil von der Schanz abgebrochen wirdWedekind hielt dazu am 15.8.1889 im Tagebuch fest: „Vormittag erhalt ich einen Brief von Mati der mich in Schrecken setzt durch die Nachricht, die Schanze solle abgebrochen werden.“ Er hat von dem Plan, die Schanze, ein Befestigungswerk auf Schloss Lenzburg, abzureißen, durch den Brief der Schwester erfahren. „Im Jahr 1889 waren diverse Restaurierungsarbeiten, [...] auch an der Schanze [...] auf Schloss Lenzburg, notwendig geworden. Im Zuge dieser Arbeiten beschloss die Gemeinde Lenzburg, den Schlossfelsen wegen eines möglichen Absturzes untersuchen zu lassen“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 149], wobei diese am 26.2.1890 abgeschlossenen Untersuchungen ergaben, ein Abbruch der Schanze sei nötig, was wiederum zum Streit zwischen Emilie Wedekind und der Stadt Lenzburg führte [vgl. ebd.].. Die Schanz ist doch eins r fast der schönste Bau der am Schloß ist. Jetzt auch nur wegen der lumpigen Wasserleitung. Gestern habe ich mir einen neuen Hut und einen neuen Schirm gekauft. Der Hut ist ein ganz etntsetztliches Monstrum, aber, sie sind jetzt halt so mode. Wir müssen hier jeden Sonntag in die Kirche tanzen. Heute morgen bin ich fast eingeschlafen. Heute Mittag hatten wir fammoses Vanillieneis. Ach! ich weiß jetzt auch gar nichts mehr zu schreiben. Ich will jetzt schließen mit 1,000,000 Küssen verbleibe ich dein treues Schwesterschen
Mati.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 17. August 1889 in Darmstadt folgenden Brief
an Frank Wedekind

Darmstadt d. 17. August.


Mein geliebter Franklin!

Am letzten Montag erhielt ich deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 11.8.1889.. Ich habe denselben 1, 2, 3 ja 4 m/M/al durchgelesen und immer sah ich mehr daraus wie gut Du gegen mich bist. Nun weiß ich auch weßhalb ich so früh von zu Hause fortkam. Mama hat es mir nie gesagt. Daß Doda zu Dir kommen darf freut mich sehr. Du hast sehr recht wenn du sagst wir 3 verstünden uns am besten, aber als Doda an Weihnachten sagte ich wäre nichts rechtes geworden verstand ich ihn nicht ganz. Jetzt begreife ich es sehr gut. Ich bin hier so weich und so willenlos geworden. Alle Energie habe ich hier in diesem | Hause verloren. Es würde mir unendlich schaden wenn ich noch länger hier bliebe. Denke dir ein Mädchen hier in der Pension hat es schon so weit gebracht daß ich mir eingebildet habe Heimweh zu haben. In meinem Jammer nun habe bin ich so willenlos und so weich geworden daß ich die großartigsten Jammerbriefe nach Hause geschrieben habe. Ich habe Mama versprochen ihr beis/z/ustehen solange ich zu Hause wäre. Jetzt bereue ich meine Jammerei; aber auf eine andere Weise wäre ich nicht von hier fort gekommen. und das ist unbedingt notwendig. Hier kann ich eh nicht mehr bleiben denn sonst gehe ich noch unter in meinem zu mädchenhaften Wesen. Frl. Widersdie Pensionsvorsteherinnen Charlotte und Sophie Wider. sind nicht im geringsten daran schuld. Sie warvermutlich Schreibversehen, statt: waren. immer sehr gut mit mir, aber einige Mädchen | hier besonders eines hat mich so mit ihren Netzen umgarnt daß ich ganz lahm und weich an Geist geworden bin. Wenn Du mich hier sehen würdest so würdest Du sagen: Das ist nicht mehr mein altes Mati. Ich hoffe daß ich die alte Energie zu Hause wieder erlange. Wenn ich zu Hause bin werde ich Dir alles noch mehr erklären und ich hoffe daß Du mir dann die Thorheiten die ich begangen habe z/v/erzeihen kannst. Du mußt auch immer bedenken daß ich noch keinen ausgebildeten Geist habe und daß Ihr mir noch immer ein wenig beistehen müßt. Ich könnte mir nicht denken daß wir unser schönes Schloß lassen können. Ich war noch nicht zu Hause seit es zu einem Wirtshaus gewordenNach dem Tod von Friedrich Wilhelm Wedekind am 11.10.1888 betrieb seine Witwe „auf Schloss Lenzburg eine Pension für Feriengäste, um zusätzlich Einkünfte für sich und die Familie zu erzielen, solange das Schloss noch nicht verkauft war.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 136] Emilie Wedekind hatte bei der Gemeinde Lenzburg die Bewilligung einer Sommerwirtschaft auf Schloss Lenzburg beantragt, die am 28.12.1888 genehmigt wurde [vgl. ebd.]. ist und so habe ich es nun nur noch in der alten Erinnerung. Wie schön war es wenn wir da oben spielten. Ach wie viele schöne Erinnerungen knüt/p/fen sich daran. | Am liebsten möchte ich es gar nicht mehr sehen. Was würde Papa sagen wenn er es sähe und wenn er mich die KelnerinSchreibversehen, statt: Kellnerin. machen sähe. Ich glaube es/r/ würde sich es uns nie verzeihen daß wir es zugelassen haben. ‒ Wenn ich nach Hause komme werde ich Mamm/a/ im Hause beistehen und helfen aber in die Wirtschaft bringen sie mich mit 20 Pferden nicht. Mieze läßt sich das alles gefallen weil sie jetzt noch die erste Rolle in Lenzburg spielt. Aber wie bald wird sie sie nicht mehr spielen und dann, was ist sie dann? Nicht war lieber Bebi Ihr kommt am selben Tage oder wenigstens nicht viel später nach Hause als ich. Es würde mich unendlich freuen Euch beide bei meinem Kommen gleich dort zu finden. Ich komme am 1. September Abends zwischen 8 9 ‒ und 9 Uhr in Wildegg anWildegg liegt etwa vier Kilometer von Lenzburg entfernt.. Mit Gruß und Kuß an Doda und dich dein treues
Mati.


[Seite 4 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Ich hoffe wir können uns gegenseitig zu Hause recht aussprechen. Schreibt mir beide recht, recht bald. ‒‒‒

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 23. September 1890 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg d. 23. Sept. 1890.


Mein geliebter Bebi!

Ich kann nicht mehr anders als Dir mittheilen was ich in den letzten Tagen empfunden habe. Du weißt daß ich mich sehr gefreut habe bis Doda nach Hause kamDonald Wedekind war in den Schulferien vom 13.8.1890 bis 17.9.1890 bei seinem Bruder Frank Wedekind in München gewesen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 147] und ist dann zu seiner Mutter nach Lenzburg zurückgekehrt.; aber leider habe ich sehen müssen daß mit ihm Krieg und Unfriede eingezogen ist. Er ist manchmal so gegen Mama daß er sich schämen sollte als Sohn seiner Mutter auf diese Weise entgegenzutreten. Da nun Mama sieht daß ich ihn dennoch lieb habe so denkt sie natürlich mit mir werde es einmal auch | so weit kommen. Darüber ist sie natürlich ganz untröstlich. Nun habe ich den Plan im Frühling nicht nach Hause zu kommen ganz umgestürzt. Ich werde so thun wie Mama es haben will und werde ihr dadurch ihr Leben ein wenig leichter machen, denn daß es ihr bei all ihren Sorgen schwehr wird ist gar keine Frage. Jetzt denke dir wenn ich sie jetzt auch noch verlassen wollte. Ich glaube sie würde verzweifeln. Dazu wird Mieze ja doch bald heiratenErika Wedekind und Walther Oschwald haben erst am 15.10.1898 geheiratet. und dann hätte Mama ja keinen Menschen zu Hause der ihr beistehen würde. Hoffentlich begreifst Du mich und wirst nicht schlecht | von mir denken wenn ich deinen gutgemeinten Ratschlägen nicht Folge leisten kann. Daß mich Doda verwerfen wird weiß ich schon, es thut mir auch schrecklich weh seine Liebe zu mir verlieren zu müssen aber ich kann weiß Gott nicht anders handeln als wie ich es für recht halte. Hoffentlich giebst Du ihm gute Worte daß er doch auch noch ein wenig für mich übrig hat und hoffentlich wirst Du selbst mich auch fernerhin auch noch so weiter achten wie Du es bis her gethan hast. Schreibe Mama oder Mieze nichts von ihrem Verhältniß mith Walter Oschwald denn ich selbst | sollte ja noch nichts davon wissen. Gelt Du schreibst mir recht bald D was Du zu meinen Gedanken sagst. Aber wenn es Dir nicht gefällt so verdamme mich nicht zu arg denn es würde mich furchtbar unglücklich machen wenn ich denken müßte daß mich mein Bruder verachtet. Ja denke nur, Mama glaubt sogar wir drei wollten sie zu Grunde richten. Aber gelt Du schreibst Mama gar nichts von dem was ich Dir hier schreibe. In der Hoffnung baldige Antwort von Dir zu erhalten verbleibe ich deine treue und dich liebende Schwester
Mati.


[Seite 4 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Nach der Weinlese werde ich in die französische Schweiz abreisen.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 21. Juli 1892 in Genf folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis und Referat in Wedekinds Tagebuch vom 23.7.1892 in Paris:]


GratulationsbriefEmilie (Mati) Wedekind hat ihrem Bruder Frank Wedekind zu seinem 28. Geburtstag am 24.7.1892 gratuliert. von Mati. Sie ist in Genf in der PensionEmilie (Mati) Wedekind ist am 1.5.1892 in das Mädchenpensionat „Les Violettes“ in Genf aufgenommen worden [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 323].. Mieze feiert Triumphe über Triumphe in Lenzburg. Willy, schreibt manEmilie (Mati) Wedekind hat offenbar einen Brief ihres nach Südafrika ausgewanderten Bruders William (Willy) Wedekind referiert., fühle sich in Afrika noch zehnmal besser unglücklich als in Europa glücklich. Sie bittet mich, ihr Fr. Er. zu schicken.

Frank Wedekind und Donald (Doda) Wedekind schrieben am 28. August 1892 in Bern folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 13.9.1892 aus Paris:]


Da wir Mati von Bern aus telegraphirt hatten wurden wir von ihr […] am Bahnhof erwartet.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 23. Dezember 1892 in Genf folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 7.1.1893 aus Paris:]


Mati hat mich zu Weihnachten reich beschenkt und ich habe ihr noch nicht einmal dafür gedankt. Ich habe eine solche Menge Briefschulden [...]


[2. Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Henckell vom 9.1.1893 aus Paris:]


[...] hat mir Mati schon geschrieben [...]

Frank Wedekind schrieb am 22. Dezember 1893 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Donald Wedekind vom 4.1.1894 aus Paris:]


Ich habe [...] Mati eine Anzahl Photographien zu Weihnachten geschickt.

Frank Wedekind schrieb am 7. Februar 1894 in London folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Notiz auf einem Brieffragment vom 29.1.1894 in London (Mü, FW B 192):]


7 M An Mati [...]


[2. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 24.2.1894 aus London:]


Ich schrieb Mati vor vierzehn Tagen nach Dresden und erhielt keine Antwort.

Frank Wedekind schrieb am 19. April 1894 in London folgende Widmung
an Emilie (Mati) Wedekind

Dem
lieben, süßen
MATI
sei das Gedicht geweiht.

Frank Wedekind schrieb am 22. Dezember 1894 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 3.1.1895 aus Lenzburg:]


[...] Deinem letzten Schreiben [...]

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 3. Januar 1895 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Beby!

Die Bücher und das Übrige wirst Du wohl bekommen haben; aber auf meinen Brief hast du leider bis heute warten müssen. Meine Freundin Clara Marti verhalf mir zu diesem Heftein Heft mit Liedern, das Wedekind von der Schwester erhalten hatte. das vom LiederkranzGesangverein; hier wohl ein Gesangverein oder ein Lyrikkreis in Othmarsingen in den 1880er Jahren. Sophie Haemmerli-Martis erster in Othmarsinger Mundart verfasster Gedichtband „Mis Chindli“ (1896) trägt den Titel „Ein Liederkranz für junge Mütter“. in der | Zeit benutzt wurde, als Strindberg in OthmarsingenDer schwedische Schriftsteller August Strindberg verbrachte im Sommer 1886 einige Wochen in Othmarsingen (im Gasthof Zum Rössli) im Kanton Aargau, dem Geburtsort von Sophie Haemmerli-Marti. war. Das andere Buch ist in der Schule in Gebrauch. Mehr konnte ich nicht auftreiben. Hoffentlich sind die beiden Bändenicht ermittelt (zwei Liederbände, darunter das genannte Heft); sie waren jedenfalls für August Strindberg in Paris bestimmt, übergeben von Wedekind, der sich insofern noch in der Stadt aufgehalten muss. geschaffen Strindberg’s trübe Stunden zu erheitern.

Hoffentlich kommst Du bald zu uns. Mir scheint es jetzt ganz gemüthlich bei uns. Mama geht es allerdings nicht sehr gut. Wir waren über Weihnachten in Zürich und das hat ihr gar nicht gut getan. Sie sieht/hat/ sich sehr, sehr verändert aus seit Du sie nicht mehr gesehen. Wie ich ungefähr aussehe weißt Du ja jetzt. Mama ist sehr aufgeregt und wenn man in Versuchung kommt Äußerungen von ihr zu empfinden, muß man sich eben immer sagen, daß sie krank istWedekind war bereits im Vorjahr von seinem Bruder über den „sehr schlechten Gesundheitszustand“ [Donald Wedekind an Frank Wedekind, 28.4.1894] der Mutter informiert worden, bekam allerdings auch die Meldung: „Mama geht es bedeutend besser“ [Donald Wedekind an Frank Wedekind, 9.6.1894].. Seitdem das Wetter hier so schlecht ist und sie nicht hinaus gehen kann ist sie auch wieder viel schwächer und schläft in Folge dessen sehr viel über Tag. |

Denk dir mal Mieze hat mir ’ne goldene Uhr zum Weihnachten geschenkt, ist das nicht großartig. Sie kommt im März hierher d.h. nach Zürich und giebt dort 3 Gastspiele. Einen Abend singt sie hier im Concert. Wo’s was zu tanzen giebt, da mach ich hier mit. Ich bin sehr oft bei Sophie Hämmerli. Sie ist so eine liebe Frau und ich glaube wir verstehen uns ganz gut. Dann verkehre ich noch mit Henckelsdie Geschwister Gustav, Karl und Thea (Dorothea) Henckell.. Thea ist seitdem sie endlich mal verlobtThea (Dorothea) Henckell heiratete 1896 den Lenzburger Bezirksschullehrer Dr. Arnold Hirzel, der in Aarau wohnte [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 122]. war, ganz artig. Am Silvester gaben wir ein Nachtessen wobei Pfarrerseine Pfarrersfamilie; nicht eindeutig ermittelt., deren Großmutter, Tante, Gustav, Sadi und Thea Henckell, Frau Wyß mit ihrer Tochter Anna und Tante Geiler waren.

Wenn Du nur recht, recht bald kommst. Wir freuen uns furchtbar darauf. Doda hat uns schon ein paar lange BriefeÜberliefert ist einer davon, Donald Wedekinds Brief aus Berlin vom 13.12.1894 an die Mutter Emilie Wedekind in Lenzburg [Aa, Wedekind-Archiv A II Donald Wedekind, b Autographen], aus dem die Schwester gleich darauf referiert [vgl. unten die Erläuterungen zu den Berlinern und zur Gesellschaft Donald Wedekinds in Berlin]. geschrieben. Seine AdresseDonald Wedekind wohnte in Berlin in der Belle-Alliance-Straße 98 (2. Stock rechts) in Untermiete bei der Kaufmannswitwe H. Bölter (geb. Borrmann) [vgl. Berliner Adreß-Buch für das Jahr 1895, Teil I, S. 123]. Frank Wedekind hat die Adresse des Bruders benötigt, denn er reiste bald darauf von Paris ab nach Berlin, wo er am 20.1.1895 eintraf [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 169]. ist: Belle Alliance-Straße 98 II rechts, Berlin.

Er findet die Berliner schrecklichDonald Wedekind schrieb am 13.12.1894 [vgl. oben die Erläuterung], Berlin sei „das Non plus ultra von einer unangenehmen Stadt, ungefähr mit New York auf eine Stufe zu stellen was Ungemütlichkeit des öffentlichen Lebens anbetrifft, die Menschen aber sind unvergleichlich roh und tragen sämmtlich einen unverkennbaren Stallknechtsduft mit sich herum. Der ist nun nicht eingewurzelt, sondern nur äußerlich aber er verbirgt so ungeheuer die gute Natur des Schlages, daß man es aufgiebt darnach zu suchen.“, sagt aber | daß er bei HartDonald Wedekind meinte die Brüder Heinrich und Julius Hart., Hartleben, KampfmeierWelcher der beiden Brüder gemeint ist, Paul Kampffmeyer oder Bernhard Kampffmeyer, ist unklar. und Bölsche immer in angenehmer GesellschaftDonald Wedekind schrieb am 13.12.1894 [vgl. oben die Erläuterung] über seine Sozialkontakte in Berlin: „Meine Bekannten haben mich so liebenswürdig empfangen, wie ich es gar nicht besser wünschen konnte. Namentlich Herr Boelsche und Herr Kampfmeyer, die beide in ihrem eigenen Haus in Friedrichshagen, einem Vororte Berlins wohnen, führen ein sehr, sehr angenehmes Leben, und lassen eine Gastfreundschaft walten, wie ich sie nur in Amerika gefunden habe. Man fühlt sich sehr, sehr wohl bei den ungezwungnen Leuten und so pilgere ich denn wenn ich mich ganz heimisch fühlen will und mal einen Schnak machen möchte, und ein gesundes Mittagessen haben will, dort hinaus, wo ich gewöhnlich über Nacht bleibe. Wohlverstanden, davon habe ich bis jetzt nur zweimal Gebrauch gemacht, aber es war jedes Mal ein Licht für mich und ich glaube für die Andern auch. Ebenfalls so liebe Leute sind die Gebrüder Hart, die in dem gleichen hübschen Villenort wohnen und die ich auch bei Kampfmeyer treffe. Außerdem bin ich in einen Club eingeführt, wo ich jeden Freitag mit Sicherheit einen alten Bekannten finde, sei es John Henry Mackay, Hartleben oder die Friedrichshagener.“ ist und daß diese alle reizend gegen ihn sind. Der Häusermann erkundigte sich letzthin sehr angelegentlich nach Dir und die Annivermutlich eine ehemalige Hausangestellte auf Schloss Lenzburg, die nun im Steinbrüchli, seit 1893 Wohnhaus der Mutter in Lenzburg, einen Neujahrsbesuch machte. war heute auch da um uns ein glückliches neues Jahr zu wünschen. Wir sagten ihr daß du vielleicht bald herkommst und da sagte sie: „He no s’ weert denn wieder öppis müese go!(schweiz.), etwa: „Na ja, es wird dann schon wieder etwas los sein!“

Ich wünsche Dir alles Gute und Glückliche zum neuen Jahre. Hoffentlich hast Du Dich mittlerweile aus der Abhängigkeit befreit das/ie/ Dich während Deinem letzten Schreibennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 22.12.1894. offenbar sehr bedrückte, und kommst recht, recht bald zu uns. Es ist gerade in diesem und im nächsten Monat so schöne Ruhe bei uns. Mama steht selten vor 10 Uhr auf, sondern gewöhnlich noch später. Im März kommt | dann schon wieder Mieze, die viel Aufregung und Lärm mit sich bringt. Wenn Du da bist mußt Du dich aber nicht daran stoßen wenn Mama sich hinsetzt und ihre Zeitung liest während Du vielleicht gerade im Sinn hast Dich mit ihr zu unterhalten. Doda machte deßwegen einmal furchtbaren Lärm. Heute Abend bekam Mama eine Rechnung von Prof. EichhorstHermann Eichhorst war seit 1884 als Professor für Innere Medizin und Direktor am Züricher Kantonsspital. von 75 frs. für einen einzigen Besuch den er auf Hammi’s Ersuchen während ihrer Krankheit hier gemacht hat. Sie weinte vor Empörung darüber daß er ihr solche Rechnung schicke dafür daß er sie krank gemacht habe. Ich weiß daß Du auch verstehst wenn ich Dir dies alles von Mama schreibe. Ich würde es nicht thun, wenn ich nicht möchte daß Du Dich bei Deinem Hiersein behaglich fühlst, denn das kannst Du entschieden nur, wenn Du Mama ihre Art und Weise vollkommen begreifst | und fassen kannst, was eben ganz unmöglich ist, wenn man nicht immer um sie ist.

Wir haben einen lieben großen Kater hier,: den B/A/lten Bauz. Du hast ihn ja gesehen wie er noch ganz klein war. Er ist sehr lang, hochbeinig und etwas blasirt und sitzt eben graziös an den Kohlenkasten gelehnt auf dem SmirnateppichSmyrnateppich; nach der Stadt Smyrna benannter, orientalisch gemusterter handgeknüpfter Teppich aus Wolle. beim Ofen. Sein Pathe ist Karl Henckell und das sieht man ihm entschieden an.

Komm recht bald und nimm inzwischen die beste TuppiKüsschen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 17]. von Deinem alten
Mati.


Den Rest des Abends verbringe ich in Gesellschaft von Tolstoy’s „Anna Karenina.“

Frank Wedekind schrieb am 6. Januar 1896 in Zürich folgende Postkarte
an Emilie (Mati) Wedekind

– Carte postale. –
Union postale universelle. – Weltpostverein. – Unione postale universale.
SUISSE. SCHWEIZ. SVIZZERA.


Nur für die Adresse.
Côté réservé à l’adresse.
Lato riservato all’indirizzio.


Mademoiselle Emilia Wedekind
Piazza di Spagna 5
Rome. |


Zürich, Fest Gasse 21.I. – 6.1.96.


Liebes Mati, ich habe eben Frau InhelderMartha Inhelder (geb. Sieber) aus Derendingen bei Solothurn, die vor einigen Jahren unter den Pensionsgästen auf Schloss Lenzburg war, wie aus einem Brief Donald Wedekinds an seine Mutter Emilie Wedekind vom 23.6.1892 aus Solothurn hervorgeht: „Soeben empfing ich auf meinem Zimmer Frau Inhelder, die ich [...] leider nicht besuchen konnte. Sie fragte mich ob Du immer in Lenzburg noch weilst. [...] Sie erwartet auch ihre Tochter diesen Sommer in der Schweiz und würde sich freuen, wenn Du noch Sommerfrischler hältst, bei Dir sich einzulogieren, da auch die Gesundheit ihrer Tochter einen Bergaufenthalt verlangt. [...] Wenn die Tochter von Frau Inhelder kommt, so wird sich Mama Inhelder in Derendingen, wo sie sich langweilt, los reißen, um dann später in Zürich zu wohnen.“ [Mü, FW B 304] Die Dame ist auf einer Mitgliederliste der Ortsgruppe Dresden des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins zu finden (abgedruckt in einer in Zürich erscheinenden Zeitschrift): „Martha Sieber-Inhelder, Derendingen, Kt. Solothurn.“ [Die Philantropin. Organ des Schweizer-Frauenverbandes, Jg. 1, Probenummer 1, Juni 1890, S. 9] geschriebenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Martha Inhelder, 6.1.1896. sie möchte mir Deinen Malkasten hierher schicken, da er mir große Dienste leisten kann bei meiner VorstellungWedekind plante offenbar eine Aufführung oder szenische Lesung seiner Posse „Der Schnellmaler“ (1889) [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 29.12.1895].. Ich hoffe, du wirst nichts dagegen haben. Sage Donald bitte, daß ich seine Sachen in Zürich auf der Güterexpedition nicht gefunden, und daß ich einen Spediteur damit beauftragt, sie ausfindig zu machen. Sobald ich sie erhalten werde ich den Mantel schicken.

Mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen an Mama, dich und Donald, dein treuer Bruder
Frank.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 16. November 1901 in Pettighofen folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 11.1.1902 aus München:]


Als ich in Wien war erhielt ich eine Einladung von Mati […]

Frank Wedekind schrieb am 18. Juni 1902 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Bildpostkarte an Frank Wedekind vom 14.8.1902 aus Lenzburg:]


[...] Dank für deine hübschen Kartendas vorliegende erschlossene Korrespondenzstück (wohl eine Bildpostkarte, die mit einem der Bildmotive der Elf Scharfrichter illustriert gewesen sein könnte) und ein weiteres erschlossenes Korrespondenzstück [vgl. Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 13.8.1902]..

Frank Wedekind schrieb am 13. August 1902 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Bildpostkarte an Frank Wedekind vom 14.8.1902 aus Lenzburg:]


[...] Dank für deine hübschen Kartendas vorliegende erschlossene Korrespondenzstück (wohl eine Bildpostkarte) und ein weiteres erschlossenes Korrespondenzstück [vgl. Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 18.6.1902]..

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 14. August 1902 in Lenzburg folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Postkarte
Carte Postale. ‒ Cartolina Postale.
Nur für die Adresse.
Côté réservé à l’adresse.


Herrn Frank Wedekind
Franz Josefstrasse 42
München
Kgr. Bayern. |


Lenzburg. 14. August 1902.


Lieber Bebi! Vielen herzl. Dank für deine hübschen Kartennicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 18.6.1902; Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 13.8.1902. Es dürfte sich um Bildpostkarten gehandelt haben.. Leider konnte ich nicht nach MünchenFrank Wedekind dürfte seine Schwester nach München eingeladen haben, wo er zur Eröffnung des neuen Programms der Elf Scharfrichter nach seinem Berliner Gastspiel am 19.6.1902 das erste Mal auftrat. Die Presse meldete: „Wie schon gemeldet, findet die Ehrenexekution des neuen Programms am Donnerstag, 19., und die erste öffentliche Exekution am Freitag, 20. Juni, statt. Was den Inhalt des Sommerprogramms betrifft, so ist vor Allem hervorzuheben, daß Frank Wedekind, der von seinem Gastspiel an Wolzogens Buntem Theater in Berlin zurückgekehrt ist, seine Thätigkeit bei den Elf Scharfrichtern nunmehr wieder aufnimmt. Er wird mit einer Reihe neuer Lieder und Rezitationen am Donnerstag zum ersten Male wieder auftreten.“ [Die Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 277, 18.6.1902, Vorabendblatt, S. 3] Er trat ab da wieder allabendlich bei den Elf Scharfrichtern auf. Emilie (Mati) Wedekind war „bis Juni 1902 in Pettighofen als Hauslehrerin und Hausdame“ beschäftigt, dann, zurück in Lenzburg, musste sie „kurzfristig an der Gemeindeschule in dem rund 4 km von Lenzburg entfernten Dorf Hendschiken (Mati an Arnim, 2.9.1902)“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 323] unterrichten; insofern konnte sie nicht nach München kommen. kommen.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 2. Juni 1903 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg 2. Juni 1903.


Mein lieber Frank!

Wir freuen uns sehr auf dein HerkommenWedekind ‒ er hatte der Mutter in Aussicht gestellt, im Sommer nach Lenzburg zu kommen [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 6.5.1903] ‒ verbrachte den Sommer 1903 in Lenzburg. Mitte Juli war er dort [vgl. Wedekind an Franz Blei, 19.7.1903] und blieb bis Mitte September [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 17.9.1903]; wahrscheinlich kam er in Lenzburg an, unmittelbar nachdem Mati ihre im vorliegenden Brief genannten Lehrverpflichtungen vom 29.6.1903 bis 15.7.1903 hinter sich gebracht hatte.. Besonders ich fühle das große Bedürfnis, michirrtümlich nicht gestrichen. nach langer Zeit wieder einmal von einer gewaltigen RaketeFeuerwerkskörper (bildlich gemeint). in die Lüfte getragen zu werden.

Ich habe mich gestern nach einem Zimmer für Dich umgeschaut. | Drüben in der Krone die seit dem neuen Besitzer eines der ruhigsten Häuser geworden, ist ein hübsches zweifenstriges Zimmer für Dich zu haben. Im zweiten Stock die ersten zwei Fenster zwischen dem KoridorSchreibversehen, statt: Korridor. und dem obern Saal. Es soll im Monat auf 20 frs. kommen. Jedenfalls wärest Du da ungenierter und ungestörter, als in irgendeinem Privathaus. Dann | bist Du auch mit einem Sprung bei uns drüben im schönen Garten, wo Dir das Badehaus jeder/zum/ Arbeiten jederzeit zur Verfügung steht. Dann kannst Du auch zu uns zum Essen kommen oder drüben essen, ganz wie es Dir gerade paßt. Daß Du dich hier aufs Radeln freust, glaube ich wohl. Nirgends in der Welt mag die Gegend dazu lieblicher eingerichtet sein, | als hier um Lenzburg, aber ich fürchte das ist wird für Dein armes BeinWedekind hatte sich einige Wochen zuvor das Bein gebrochen, worüber die überregionale Presse berichtete: „Frank Wedekind glitt in München auf der Straße aus und erlitt einen Beinbruch.“ [Neue Hamburger Zeitung, Jg. 8, Nr. 176, 16.4.1903, Abend-Ausgabe, S. (1)] In Wien: „Schriftsteller Franz Wedekind ist in München auf der Straße gefallen und hat sich den Fuß gebrochen.“ [Die Zeit, Jg. 2, Nr. 197, 17.4.1903, Morgenblatt, S. 7] eine etwas gefährliche Nachkur werden. Seit meinem Hiersein habe ich es noch nicht wieder versucht, werde es dann aber doch tun, wenn ich Dich zur Gesellschaft habe. Fährt denn Graf Kaiserling auch? Es ist sehr freundlich von ihm, wenn er auch herkommen will, ich | freue mich ihn näher kennen zu lernen, denn er machte mir damals in der kurzen Zeit einen ange/äußerst/ angenehmen Eindruck.

Wenn Du vor Mitte Juli kommst, werde ich in der Zeit nicht viel von Dir haben können, da ich vom 29. Juni bis 15 Juli hier an der oberen Mädchenschule unterrichten muß für Frl. HämmerliMarie Hämmerli ‒ vermutlich eine Verwandte von Sophie Haemmerli (geb. Marti) ‒ war seit 1886 über viele Jahrzehnte als Lehrerin an der oberen Mädchenschule in Lenzburg tätig [vgl. R. F.: Marie Hämmerli †. In: Schweizerische Lehrerinnen-Zeitung, Jg. 58, Heft 19/20, 20.7.1957, S. 313-314]., die sich operieren lassen will. Das darf | Dich aber nicht abhalten zu kommen so bald als möglich und Du Lust dazu hast.

Hat Dich die Karte von Sophie nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Sophie Haemmerli-Marti an Wedekind, 7.5.1903.gekränkt? Sie erlaubte sich diesen Scherz, weil ihr Dein Marquis von KeithWedekinds „Marquis von Keith“ hatte am 30.4.1903 in Wien im Theater in der Josefstadt (Regie und Titelrolle: Josef Jarno) mit großem Erfolg und Presseecho Premiere gehabt und war in aller Munde. so außerordentlich gut gefallen hat. Ich habe ihn zu PfingstenPfingstsonntag war am 31.5.1903, Pfingstmontag am 1.6.1903. auch wieder gelesen. Ich spüre die gute Wirkung davon immer noch lange nachher in meiner innern | und äußern Haltung. Aber wenn man so außer der Welt lebt, dann verwischen sich die Eindrücke allmählich im/und/ man klappt wieder zusammen. Nicht jeder ist eben ein Kunstwerk, wie Du es vom Menschen verlangst und diejenigen die einem dazu verhelfen könnten es annähernd zu werden, die wenden sich stillschweigend von einem, wahrscheinlich mit mit | dem mitleidigen Gedanken: Armes Mati, das sind für d/D/ich versunkene Raketen! ‒‒‒

Darum komm recht bald und erfreue uns mit Deiner lieben Gegenwart.

Dein altes
Mati.


Tausend herzliche Grüße von Mama.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 12. Februar 1904 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg 12. Febr. 1904.


Mein lieber Frank,

ich habe gewaltig Moralischen ob meiner MoritatWedekinds jüngste Schwester hat ihm am selben Tag als Beilage zu einem Brief [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 12.2.1904] eine Glosse in Versen über eine kleine Skandalgeschichte in Lenzburg geschickt, die sie für einen möglichen Abdruck im „Simplicissimus“ geschrieben hat; im vorliegenden Folgebrief hat sie Bedenken, ihren Text der Münchner Wochenschrift so anzubieten (das sollte ihr Bruder in München übernehmen) und zieht ihn zurück.. So darf es nirgends erscheinen. Ich dürfte es schon der Sofie nicht antun. Sie hat alles mitgemacht und kennt alle die Aussprüche vom Alten; zwar nur durch mich, denn der Paulus schilderte mir die Bettscene in seinem Abschiedsbrief. Und dann möcht ich es doch auch eigentlich dem Paulus nicht zu leide tun und trotzdem er dies Quartal nicht | mehr nach Hause geht, könnte er doch später noch übel drunter leiden müssen. Es war mir so merkwürdig, wie ich gestern Abend die ganze Geschichte nur so in einem Zuge hinschmieren konnte, da glaubte ich denn auch, es müsse so schnell wie möglich unter die Presse. Wenn es erscheint, müssen auf jeden Fall ganz ausländische Ratsnamen hinein, damit die Nichtbeteiligten niemals auf die Idee kommen, das sei hier passiert. Die Leute, die es mit angesehen haben von unten: Mama, Fr. Dr. Sommerhalder und ihre Tochter | Augusta haben offenbar bis jetzt geschwiegen, denn niemand spricht davon in der Stadt und die beiden Buben in der Matte, wurden offenbar in ihrer Meinung wieder irre, als sie ihn so tapfer davon gehen sahen. Mama meint übrigens, er hätte sich wegen seinen Schulden geschiessen wollen und ich rühre wohlweislich nicht an dieser guten Meinung. Sie sagte: „Daß mir der Mensch nicht mehr ins Haus kommt, ich will keinen hierhaben, der sich erschießt, ich hab’ genug an meinen eigenen Jungens.“ |

So ist nun für alle Teile gut gesorgt. Alle sind jetzt zufrieden gestellt und es thäte mir leid wenn der Frieden durch diesen meinen etwas rohen Streich nun wieder gestört würde.

Schick mir also meine Geschichte nur so wieder, obschon es zwar den Alten gehören würde, ihm für seine Rohheit und ihr für ihre Gemeinheit. Aber es ist besser man läßt es jetzt ruhn.

Mit vielen herzlichen Grüßen Dein altes
Mati.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 12. Februar 1904 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg 12. Febr. 1904.


Mein lieber Frank!

InliegendesDie Beilage zu dem Brief, eine Glosse in Versen über eine kleine Skandalgeschichte in Lenzburg, die Emilie (Mati) Wedekind für einen Abdruck in der für ihre Satiren berüchtigte Münchner illustrierte Wochenschrift „Simplicissimus“ geschrieben hat, ist nicht überliefert. hat sich letzten Montag und Dienstagder 8. und 9.2.1904. ganz genau so zugetragen wie ich es hier in aller EileEmilie (Mati) Wedekind hat den Text am Vorabend verfasst, am 11.2.1904 (Donnerstag), wie sie dem Bruder in ihrem am selben Tag geschriebenen Folgebrief bekennt [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 12.2.1904]. aufgeschrieben habe. Glaubst Du es wäre zu verwerthen? Im Simpel oder sonst wo? Natürlich müßten die Namen noch geändert werden. Oder glaubst Du auch dann noch, daß ich positivehier: reale. Unannehmlichkeiten davon haben könnte? Wenn Du hie und da einen besseren Reim findest, könntest | Du ihn mir daneben schreiben. Bitte sage mir ganz offen Deine Meinung drüber. Du hast ja in alledem ErfahrungWedekind hat für den „Simplicissimus“ zahlreiche satirische Zeitgedichte geschrieben.. Schreib mir auch wie die Namen abzuändern sind. Überhaupt wenn Du glaubst es ist wo anzubringen, so wäre ich sehr froh, wenn Du au/Di/ch selbst damit befaßtest. Ich würde mich auch riesig freuen, wenn es mir ein paar Batzenältere, bis 1850 noch gebräuchliche Schweizer Silbermünze, hier: Geld. einbrächte. Du siehst, daß wir uns hier nicht langweilen. Ich hoffe dasselbe von Dir. Schreibe bald und wenn es nicht zu brauchen ist, so schick es bitte gleich wieder zurück. | Ich meine es müßte gut für den Simpel passen, weil es hübsch zu illustrieren wäre.

Uns geht es immer gut und wir haben schon herrliches Frühlingswetter.

In aller Eile mit herzl Gruß und Kuß
Dein altes
Mati.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 23. April 1904 in München folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Postkarte – Carte Postale
Weltpostverein – Union postale universelle

[...]


Herrn Frank Wedekind
42 Frank Josephstrasse 42
Hier. |


H/L/ieber Frank, heute Nachmittag komme ich nicht, bitte hol’ mich um 9 Uhr oder etwas nach halb in meiner WohnungEmilie (Mati) Wedekind war seit dem 29.3.1904 bei ihrem Bruder in München (mit kurzer Unterbrechung durch eine Reise nach Lenzburg vom 2. bis 4.4.1904), wobei unklar ist, wo sie dort wohnte. ab.

Mati.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 17. Mai 1904 in Pettighofen folgenden Brief
an Frank Wedekind

PettighofenEmilie (Mati) Wedekind, die von 1899 bis 1902 in Pettighofen bei der Unternehmerfamilie Hamburger als Hauslehrerin und Hausdame tätig gewesen ist [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 323], war nun zu Besuch bei dieser Familie. 17. Mai 1904


Mein lieber Frank

wie geht es Dir? Ich bekam letzthin eine KarteDie Gruppenpostkarte aus München an Emilie (Mati) Wedekind ist nicht überliefert. von EeurerSchreibversehen, statt: Eurer. Gesellschaft, aber Du warst nicht mit dabei.

Ich führe hier ein außerordentlich gesundes Leben. Abends um 9 geht man zu Bett und steht um ½ 8 auf. Die Menschen sind reizend. Man taucht hier unter im Grünen und allerlei andern ländlichen Genüssen. Das größte Vergnügen, | entschuldige den banalen Ausdruck, bereitet es mir aber mit meinen Gedanken im herrlichen München und in Deiner lieben Gesellschaft zu weilen. Diese 6 WochenEmilie (Mati) Wedekind traf am 29.3.1904 bei ihrem Bruder in München ein und blieb dort (mit kurzer Unterbrechung durch eine Reise nach Lenzburg vom 2. bis 4.4.1904) bis zum 9.5.1904, wie Frank Wedekind im Tagebuch festhielt: „Mati reist ab nach Pettighofen.“ sind eine Epoche in meinem Leben, sie haben meine Lebensgeister mächtig angeregt und mir wieder so mancherlei Interesse geweckt, das am einschlummern war. In Lenzburg scheinen sie schon mit Ungeduld auf mein Erlebtes zu warten. Otti Bertschinger schrieb mir einen reizenden BriefOtto Bertschingers Brief an Emilie (Mati) Wedekind ist nicht überliefert.. Nur bin ich mir | nie so recht klar, ob er Dich durch mich oder mich durch Dich meint. Auf jeden Fall ist der Brief eine gute Waffe gegen Mamas Eingriffe in meine Lebensweise.

Ist Hidalla schon herausWedekind versandte seinem Tagebuch zufolge die Buchausgabe seines Schauspiels „Hidalla oder Sein und Haben“ am 31.5.1904 („Exemplare von Hidalla verschickt“), ihr Erscheinen im Verlag von Dr. J. Marchlewski und Co. in München war allerdings erst einige Tage später angezeigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 71, Nr. 132, 10.6.1904, S. 5042].? Wenn ja, darf ich Dich um ein Exemplar mit einer Widmung von Deiner Hand bitten? Ich bin außerordentlich gespannt darauf und möchte mir doch vor allem mein eigenes Urteil darüber bilden. Bitte schicke | es mir so bald wie möglich. Man kann hier so ruhig und unbeeinflußt über alles nachdenken.

Am nächsten Mittwochwohl der 25.5.1904 (nicht der 18.5.1904, das wäre der nächste Tag gewesen). werde ich von hier abreisen und somit am Donnerstagwohl der 26.5.1904 (nicht der 19.5.1904). in Lenzburg sein.

Sei herzlich bedankt für Deine Freundlichkeit, mit der Du mir in München entgegenkamst. G/V/iele Grüße an all meine lieben Bekannten.

Dein altes Mati.

Frank Wedekind schrieb am 20. Mai 1904 in Nürnberg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Bildpostkarte an Frank Wedekind vom 10.6.1904 in Lenzburg:]


[...] besten Dank für [...] die Karte.

Frank Wedekind schrieb am 31. Mai 1904 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[1. Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 17.5.1904 in Pettighofen:]


Ist Hidalla schon heraus? Wenn ja, darf ich Dich um ein Exemplar mit einer Widmung von Deiner Hand bitten?


[2. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 31.5.1904 in München:]


Exemplare von Hidalla verschickt.


[3. Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Bildpostkarte an Frank Wedekind vom 10.6.1904 in Lenzburg:]


[...] besten Dank für Hidalla [...]

Frank Wedekind schrieb am 5. Juni 1904 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 5.6.1904 in München:]


Briefe an [...] Mammavgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 4.6.1904. Wedekind hat im Tagebuch im Fall dieses Briefes hier offenbar das Versanddatum notiert. Mati [...]

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 10. Juni 1904 in Lenzburg folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Carte Postale.
Union postale universelle. – Weltpostverein. – Unione postale.

–––
Nur für die Adresse.
Côté réservé à l’adresse.
Lato riservato all indirizzo.


Herrn Frank Wedekind
42 Franz Josefstrasse
München
Bayern. |


Schloss Lenzburg


Lieber Frank, besten Dank für HidallaWedekind hat seiner Schwester die Buchausgabe seines Schauspiels „Hidalla oder Sein und Haben“ (1904) mit einer Widmung geschickt [vgl. Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 31.5.1904]. und die Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 20.5.1904.. Du begreifst, daß ich jetzt nicht viel schreiben mag. Ich bin voll von meiner IdeeEmilie (Mati) Wedekind hat während und nach ihres Aufenthalts in der Theaterstadt München vom 29.3.1904 bis 9.5.1904 die Idee entwickelt, „ob sie sich nicht als Schauspielerin beruflich orientieren könnte. Dieser Plan [...] stieß bei ihrer Mutter sowie bei ihren Geschwistern Armin und Erika auf wenig Verständnis.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 219]. Herzl Gr. an die, so sich noch meiner erinnern.

Dein altes
Mati.

Frank Wedekind schrieb am 11. Juni 1904 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 22.7.1904 in Lenzburg:]


Ich danke Dir auch noch für Deine lieben aufmunternden KartenEs hat sich um mindestens zwei Postkarten oder Bildpostkarten gehandelt, um das vorliegende erschlossene Korrespondenzstück sowie um ein weiteres erschlossenes Korrespondenzstück [vgl. Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 21.7.1904]..

Frank Wedekind schrieb am 21. Juli 1904 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 22.7.1904 in Lenzburg:]


Ich danke Dir auch noch für Deine lieben aufmunternden KartenDer 21.7.1904 ist als Ankerdatum gesetzt ‒ das späteste mögliche Schreibdatum der Postkarte, von dem nächsten Korrespondenzstück der Schwester aus gerechnet, das Wedekind von ihr erhalten haben dürfte [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1904]..

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 22. Juli 1904 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg 22. Juli 1904


Mein lieber Frank,

ich wünsche Dir zu Deinem GeburtstagWedekinds 30. Geburtstag am 24.7.1904. noch viel mehr Glück als Du in der letzten Zeit schon hattest. Das sind ja herrliche RecensionenEs dürfte sich um Rezensionen der „Erdgeist“-Vorstellung vom 24.6.1904 im Rahmen eines Gastspiel des Berliner Kleinen und Neuen Theaters am Münchner Volkstheater gehandelt haben, das Wedekind im Tagebuch notierte: „Abends Erdgeist.“ Hanns von Gumppenberg resümierte: „Im Volkstheater wurde Wedekinds ‚Erdgeist‘ in der vortrefflichen Wiedergabe durch das Ensemble des Kleinen und Neuen Theaters mit starkem, zuletzt stürmischem Beifall aufgenommen. Mit und nach den Darstellern erntete auch Wedekind selbst zahlreiche Hervorrufe. (Bericht folgt.)“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 293, 25.6.1904, Morgenblatt, S. 4] In einer Kritik heißt es: „Das Berliner Ensemble schuldete uns ein Stück von Wedekind, es hat uns den ‚Erdgeist‘ gebracht. [...] Wedekind als Zeiterscheinung ist unschätzbar; er faßt, wie in einem Hohlspiegel, viel vom besten Haß und viel von der besten Sehnsucht unserer Zeit in sich zusammen. Ich habe nur Achtung vor dem sonderbaren Ernste, mit dem er seine Grotesken erfüllt. Er hat nie auch nur eine Zeile Kitsch geschrieben. Das ehrt ihn. Wenn er dem sentimentalen und süßlichen Ungeschmacke Zugeständnisse machen würde, könnte er ein reicher Mann sein.“ [Münchener Volkstheater. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 107, Nr. 284, 26.6.1904, S. 1-2] die Frau LotteDie Rezensionen dürfte die mit Wedekind befreundete Lotte Dreßler von München nach Lenzburg geschickt haben. mir geschickt hat und es muß doch eine große Genugtuung für Dich sein, daß das Publikum anfängt Dich zu kapieren.

Hidalla habe ich einmal gelesen, möchte | aber nichts darüber sagen, bevor ich es nicht ein zweites mal gelesen habe. Übrigens wird Dir wohl auch nicht sehr viel an meinem Urteil liegen. Meine AngelegenheitenEmilie (Mati) Wedekinds Tätigkeit als Schauspielerin; sie trat im Sommertheater in Baden auf [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 219f.], das war das Stadt- und Casinotheater in Baden im Kanton Aargau (Spielzeit: 15.5.1904 bis 30.9.1904) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266]. hier haben einen kleinen Unterbruch erlitten, d.h. nur das Auftreten. Die Direktion wechselteDirektor des Stadt- und Casinotheaters in Baden war nun Heinrich Hagin, zugleich Direktor des Stadttheaters in Würzburg und der Sommertheater in Baden-Baden und Karlsruhe [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266]; davor war Oscar Moor-Schletterer Direktor des Stadt- und Casinotheaters in Baden [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 221]. vor einigen Wochen. Es gab da Streitigkeiten unter den Leuten, mit denen ich Gott sei Dank nichts zu tun hatte. Nun mußte ich aber dem neuen Direktor meine Wünsche und Absichten auch wieder plausibel | machen. Erst wollte er nicht so recht drauf eingehen, aber schließlich versprach er mir doch, mich wenigstens alle 14 Tage auftreten zu lassen. Die Rollen kann ich mir da natürlich nicht auswählen. Aber das ist für den Anfang ja auch nicht wesentlich. Dazwischen habe ich nun die Marikkeweibliche Hauptfigur in Hermann Sudermanns Schauspiel „Johannisfeuer“ (1900). Johannisfeuer studiert und bin jetzt am ZapfenstreichEmilie (Mati) Wedekind lernte die Rolle des Klärchen Volkhardt aus Franz Adam Beyerleins Drama „Zapfenstreich“ (1903), eine der Neuheiten des Stadt- und Casinotheaters in Baden [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266]. Diese Rolle hatte bei der Inszenierung des Stücks im Münchner Schauspielhaus Lili Marberg gespielt, gleich nach der Premiere (9.1.1904) von der Kritik gelobt: „Fräulein Marberg veranschaulichte das verführte Wachtmeister-Klärchen so lebenswarm als möglich“ [Hanns v. Gumppenberg: Zapfenstreich. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 15, 12.1.1904, Vorabendblatt, S. 1]; „Lili Marberg gab das ‚Klärchen‘ mit gutem Gelingen und feinem künstlerischem Verständnis. Sie verkörperte diese an und für sich schwierige Rolle in der trefflichsten Weise.“ [Münchener Ratschkathl, Jg. 16, Nr. 4, 13.1.1904, S. (5)] Frank Wedekind notierte „Zapfenstreich“ [Tb] am 18.4.1904 – er sah Lili Marberg (und Emil Lind in der Rolle des Major Paschke) in der Vorstellung an diesem Abend [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 181, 18.4.1904, Generalanzeiger, S. 3], gemeinsam mit seiner Schwester Mati (sie war vom 29.3.1904 bis 9.5.1904 bei ihm in München)., wobei mir natürlich immer Lilli Marberg vorschweebt.

LindchenEmil Lind, in München Schauspieler am Theater am Gärtnerplatz und am Münchner Schauspielhaus [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 441], ist an das Deutsche Theater in Berlin gegangen; seine Adresse in Berlin war Marienstraße 16 [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 285]. schickte mir ein reizendes Album | von München; wenn ich wüßte wo er ist, würde ich mich dafür bedanken. Er wollte doch selbst auf einer Rundfahrt hier durchkommen, aber ich denke Du hast ihm gesagt, daß es jetzt gerade hier nicht ganz geheuer ist.

Mama sagte heute m/M/orgen, sie werde Dir auch gratulieren und jetzt, da ich sie darauf/an/ erinnere sagt sie, sie tut es innerlich. Im übrigen hat sie sich über mein Schicksal so ziemlich beruhigt. Zum Überfluß | hat sie die alte LinaHausangestellte bei Emilie Wedekind im Steinbrüchli. nun so gemaßgeregelt, daß sie gekündigt hat und ich vom 9. August an Mädchen für alles sein werde. Ich hoffe aber auch nächste Saison Engagement nach Würzburg oder Heidelberg zu bekommen und so der Langeweile zu enttrinnen.

Otti Bertschinger läßt Dich grüßen. Er bedauert sehr, daß Du nicht hier bist. Du willst wohl zu Miezes Gastspiel in München sein. Sie war auf der Durchreise nach Flims einige | Tage auf dem neuen Dolder in ZürichIn der Presse war wenige Wochen zuvor erwähnt, dass Erika Wedekind „zur Zeit im Dolder Grand Hotel in den Ferien weilt“ [Zürcherische Freitagszeitung, Nr. 28, 8.7.1904, Beilage, S. (1)]., wohin sie auch Mama beschied. So hatten sie und Armin Gelegenheit sich auszusprechen. Mieze scheint nach allen Seiten Ordnung geschafft zu haben. Auch Emmi Emma Wedekind (geb. Frey), Gattin Armin Wedekinds.hat offenbar ihr Teil abgekriegt, weil sie 6 Wochen lang an einem kranken Bein im Bett gelegen war und nachher besser aussah denn je, was umso unerhörter war, da Hammi nach allen Seiten Jammerbriefe über ihren | elenden Zustand geschrieben hatte. ‒‒‒

Ich danke Dir auch noch für Deine lieben aufmunternden Kartennicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 11.6.1904; Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 21.7.1904.. Jedes Wort tut einem in solcher Zeit gut.

Und nun leb’ wohl lieber Frank und sei aufs herzlichste begrüßt von deiner tr. Schwester
Mati.

Frank Wedekind schrieb am 3. August 1904 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 3.8.1904 in München:]


Brief an Mati [...]

Emilie (Mati) Wedekind und Emilie Wedekind schrieben am 24. Februar 1905 in Lenzburg folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

CARTE POSTALE
La correspondance au recto n’est pas acceptée par tous les pays étrangers (ce renseigner à la Poste)
CORRESPONDANCE ADRESSE


M
Herrn
Frank Wedekind
Franz Josefstrasse 42II
München |


Schloss Lenzburg

Lieber Frank! Wir gratulieren von Herzen zum großen Erfolg von HidallaDie äußerst erfolgreiche Uraufführung von Wedekinds Schauspiel „Hidalla oder Sein und Haben“ (1904) am 18.2.1905 im Münchner Schauspielhaus (Regie: Georg Stollberg) hatte ein entsprechendes Presseecho [vgl. KSA 6, S. 536, 544-548].!

Mama und Mati.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 1. April 1905 in Lenzburg folgenden Zettel
an Frank Wedekind

Als ich das Kindchen liegen sah
Bei unserm süßen Heinrich
Da sagte ich zu der Mama
Sieh’ das sieht aus wie Bäberich
Da konnten wir nicht wiederstehn
Und hießen das Kindchen mit uns gehen.
Nun schicken wir’s nach München Dir
S’ schmeckt besser als Dein Münchnerbier.


Von Deinem lieben Mati! ‒

Frank Wedekind, Fritz Holl und Josef Kainz schrieben am 28. Juli 1905 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[1. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 30.7.1905 aus München:]


Vor zwei Tagen traf ich Abends mit einem Herrn Holl zusammen [...]. Wir schrieben dann zusammen mit dem Hofschauspieler Kainz eine Karte an Mati die derweil hoffentlich angekommen.


[2. Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 30.7.1905 aus Lenzburg:]


Heute bekam ich auch Deine Karte mit Holl darauf.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 30. Juli 1905 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg 30. Juli 1905


Mein lieber Frank

vor 8 TagenFrank Wedekind hielt am 21.7.1905 in Berlin im Tagebuch fest: „Abschied von Donald [...]. Donald reist in die Schweiz.“ Ein bis zwei Tage darauf dürfte Donald Wedekind in Lenzburg eingetroffen sein, wo er seine Mutter und seine Schwester Mati besuchte [vgl. Donald Wedekind, Emilie Wedekind, Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 24.7.1905], um von dort aus zunächst nach Franzensbad zu reisen [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 227]. war Doda hier und erfreute uns durch sein verhältnismäßig gutes Aussehn und frisches Wesen. Er erzählte mir manches von München, so auch, daß von Dir Gedichte erschienenWedekind hat am 22.4.1905 mit Albert Langen einen Verlagsvertrag für eine Neuauflage seiner Gedichte „Die Jahreszeiten“ (1897 im Sammelband „Die Fürstin Russalka“) geschlossen, die als selbständiger Sammelband unter dem neuen Titel „Die vier Jahreszeiten“ (1905) erschienen sind [vgl. KSA 1/I, S. 810-815]. sind und das ist es | auch, weshalb ich Dir heute schreibe. Du weißt, daß ich mich auch richtig für Deine Sachen interessiere, wenn es dir auch oft nicht so scheinen mochte.

Es fällt mir eben immer schwer ein gewisses ängstliches Gefühl im Verkehr mit Dir zu überwinden. Nun aber möchte ich dich herzlich bitten, ob du mir deine Gedichte zuschicken würdest und zwar | da hinauf ins FreiamtRegion im Kanton Aargau, Schweiz. nach BesenbürenEmilie (Mati) Wedekind vertrat im Sommer 1905 „vorübergehend eine vakante Lehrerstelle im 20 km von Lenzburg entfernten Dorf Besenbüren.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 220]., wo ich sie angesichts der herrlichsten Natur genießen werde.

Bis nächsten Montag sind noch Ernteferien dann bleibe ich noch 6 Wochen da oben als intellektuelle Alleinherrscherin über 42 Kinder in 8 Klassen aus denen man Regierungsräte macht. |
Die Mutter Deines einstigen Schulkameraden ist eine interessante FrauEmilie (Mati) Wedekind wohnte in Besenbüren bei Maria Katharina Sophie Huber (geb. Pfenninger), die Mutter des aus Besenbüren stammenden Hermann Huber, der, inzwischen seit Jahren als freisinniger Politiker im Freiamt tätig, wie Wedekind das Gymnasium in Aarau besucht hat., mit der ich alles reden kann. Mit ihr leben ihre Schwiegertochter und deren drei reizende Kinder, ein Junge von 18 und zwei Töchter von 16 und 15 Jahren unter denen sich das Gespräch meist um das Kilten„schweiz. der nächtliche besuch des burschen bei seinem mädchen“ [DWB 5 (11), Sp. 704]; nächtliche Stelldichein. dreht. Briefe werden von der eifersüchtigen Mutter unter den | Matrazen gefunden und in endlosen Auseinandersetzungen erörtert, bis dann die Großmutter mit einem einzigen ruhigen Machtwort alles wieder ins Geleise bringt. Sie läßt im Kleinen alles gewähren und hat im großen in aller Stille doch alle Fäden in der Hand.

Mich selbst wollte das Leben auch wieder | beim Wickel nehmen und mit in diese krause Unbefangenheit aus Natürlichkeit hineinziehn, aber die Ernteferien sollen nicht umsonst gewesen sein und mein Weg am Samstag da hinauf wird der reinste Weg zur Hölle werden. Ich werde wieder mal das Vergnügen haben zu verzichten, aber es ist immerhin ein | angenehmes Gefühl, daß man Weib sein könnte, wenn man die Courage dazu hätte. Ich sehe mit Entsetzen daß ich Dir, wie einem guten Freunde schreibe, und nicht bedenke, daß Du in Deinem nächsten Brief an Mama wieder Dinge schreiben kannst die für das nächste halbe Jahr mir das Leben an ihrer Seite, wo | ich mir nun mal den Platz angewiesen habe, zur Hölle machen. Nun geh es wie es wolle es ist mir ganz gleich. Nur schick mir Deine Gedichte nach Besenbüren, das wird mich freuen. Heute bekam ich auch Deine Karte mit Holl daraufnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind, Fritz Holl, Josef Kainz an Emilie (Mati) Wedekind, 28.7.1905. ‒ Fritz Holl, Schauspieler am Stadt- und Casinotheater Baden (Direktion: Heinrich Hagin) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266], war 1904 mit Emilie (Mati) Wedekind am Sommertheater in Baden engagiert gewesen. Vermutlich handelte es sich um eine Künstlerpostkarte mit einem Foto von Fritz Holl.. Er ist mir als ein äußerst liebenswürdiger junger Mann in g/b/ester Erinnerung u ich lasse ihn grüßen. Mit herzlichsten Grüßen an alle, die mich noch nicht | vergessenab hier Fortsetzung des Textes („vergessen haben und dich selbst“) auf Seite 1 (um 90 Grad nach links gedreht) geschrieben. haben und dich selbst
Deinab hier Fortsetzung des Textes („Dein altes Mati.“) auf Seite 2 (um 90 Grad nach rechts gedreht) geschrieben. altes Mati.


[Seite 1 um 90 Grad nach rechts gedreht:]

Dann möchte ich auch gern das Bild von Dir mit Lullu (Eysoldt) im Prolog zum Erdgeist. Ich sah es im UniversumDas Foto von Wedekind als Tierbändiger und Gertrud Eysoldt als Lulu (im Pierrotkostüm) im Prolog zum „Erdgeist“ (1902) ist wohl in der illustrierten Wochenschrift „Reclams Universum“ (Leipzig) abgebildet (Heft noch nicht identifiziert), die auf Vermittlung deutscher Kultur im Ausland spezialisiert war. und finde es vorzüglich.

Frank Wedekind und Donald (Doda) Wedekind schrieben am 8. Oktober 1905 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Donald Wedekinds Brief an Emilie (Mati) Wedekind vom 13.10.1905 in Berlin (Aa, Wedekind-Archiv A, b Autographen):]


Hier in Berlin hatte ich dann die Überraschung, Frank auch schon beinahe als halben Berliner anzutreffen, und, wie du richtig vermutest, sind wir fast jeden zweiten Abend fröhlich zusammen. Unsere Karte aus dem Kaiserkeller, von letztem SonntagFrank Wedekind hat am 8.10.1905 (Sonntag) notiert: „Mit Donald dinirt“ [Tb]; das war Donald Wedekind zufolge im Kaiser-Keller (Friedrichstraße 178) [vgl. Adreßbuch für Berlin und seine Vororte 1905, Teil IV, S. 382]. datirt, wirst du erhalten haben.

Frank Wedekind und Adele Sandrock schrieben am 1. Dezember 1905 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 8.12.1905 aus Lenzburg:]


[...] letzthin bekam ich Eure liebe Karte aus der KünstlerkneipeWedekind hat nach der „Hidalla“-Vorstellung im Kleinen Theater am 1.12.1905 in Berlin im Tagebuch notiert: „Nachher mit Adele Sandrock bei Habel.“ Das war die Weinstube Gebrüder Habel (Unter den Linden 30). [...]

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 8. Dezember 1905 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg 8. Dez. 1905


Mein lieber Frank,

letzthin bekam ich Eure liebe Karte aus der Künstlerkneipenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind, Adele Sandrock an Emilie (Mati) Wedekind, 1.12.1905. Wedekind hat nach der „Hidalla“-Vorstellung im Kleinen Theater am 1.12.1905 im Tagebuch notiert: „Nachher mit Adele Sandrock bei Habel.“ Das war die Berliner Weinstube Gebrüder Habel (Unter den Linden 30)., gerade als ich von Miezes GastspielErika Wedekind gab am Stadttheater Zürich ein Gastspiel, bei dem sie am 19.11.1905 (Mittwoch), am 1.12.1905 (Freitag) und am 3.12.1905 (Sonntag) in drei Opern sang: „Mittwoch 8 Uhr: Gastspiel der königlichen Kammersängerin Erika Wedekind, ‚Der Barbier von Sevilla‘, Oper. [...] Freitag 7 ½ Uhr: Gastspiel von Erika Wedekind, ‚Hoffmanns Erzählungen‘, Oper. [...] Sonntag Nachmittag 3 Uhr: Letztes Gastspiel von Erika Wedekind: ‚Der schwarze Domino‘, Oper.“ [Neue Zürcher Nachrichten, Nr. 325, 25.11.1905, 2. Blatt, S. (2)] Emilie (Mati) Wedekind dürfte frühestens nach der Sonntagnachmittagsvorstellung von Zürich zurück nach Lenzburg gefahren sein. aus Zürich zurückkam. Es war dort sehr unterhaltend gewesen besonders wie sich Hammi um Mieze bemühte, was sie ihm sehr übel nahm. Auch die Oper war sehr hübsch. Es gab außerordentlich viele Bouquets und andere Herrlichkeiten und Mieze hatte an ihr prachtvolles Zimmer anschließend eine heizbare | Veranda auf den See hinaus von der man zu Nacht aß – und sie an Walther schrieb. Ich hatte 3 Tage zu tun bis ich mich von diesen Abweichungen von meinen Gewohnheiten erholt hatte. Nun ist wieder alles in Ordnung, denn Mama hat nun ihre Magenstörung die sie von dorten mit hierherbrachte auch glücklich hinter sich. –

Nun habe ich noch eine ernste Sache an Dich. Ich bekam gestern einen BriefDer Brief von Max Engelhardt an Emilie (Mati) Wedekind ist nicht überliefert. von Max Engelhardt, in dem meinem Direktor in BadenDirektor des Stadt- und Casinotheaters in Baden (im Kanton Aargau), einem Sommertheater, war Heinrich Hagin, zugleich Direktor des Stadttheaters in Würzburg und der Sommertheater in Baden-Baden und Karlsruhe [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266], dann, in der letzten Spielzeit (1.6.1905 bis 20.9.1905) Friedrich Krüger [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 252]. Max Engelhardt ist nicht am Sommertheater in Baden verzeichnet, er war dort aber Heinrich Hagins „Stellvertreter“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 219] sowie als Regisseur und Schauspieler am Stadttheater Würzburg (Direktion: Heinrich Hagin) tätig [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 620]. in dem er mir unter anderem schreibt, daß er, der die letzten Jahre in Würzburg Regisseur und | Charakterdarsteller war, nun außer Engagement steht. Er wohnt momentan in Leipzig, Sophienplatz 8. Sein Compagnon Hagin hat ihn damals in Baden elend betrogen, das weiß ich auch von Fürsprech(schweiz.) Rechtsanwalt. Der Jurist Heinrich Lehner war Stadtschreiber von Baden (Kanton Aargau), engagierte sich kulturell für die Stadt und war im Komitee des Stadt- und Casinotheaters in Baden, verzeichnet als „H. Lehner“ [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 266] oder „Fürsprech Lehner“ [Neuer Theater-Almanach 1906, S. 262]. Lehner aus Baden mit dem ich diesen Sommer in BesenbürenEmilie (Mati) Wedekind vertrat im Sommer 1905 „vorübergehend eine vakante Lehrerstelle im 20 km von Lenzburg entfernten Dorf Besenbüren.“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 220] darüber sprach. Ich selbst habe Engelhardt als einen durchaus anständigen Menschen kennen gelernt (und ich hatte Gelegenheit ihn kennen zu lernen.) dem ich zu großem Dank verpflichtet bin, denn er war es, der mich trotz den bösen MinenSchreibversehen, statt: Mienen. der andre/Mitgl/ieder gleich die Marie spielenEmilie (Mati) Wedekind spielte in Hermann Sudermanns Schauspiel „Heimat“ (1893) im Sommertheater in Baden die Rolle der Marie [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 219]. ließ und mir mit | wenigen ernsten Worten manches Nützliche zu meinem Spiel sagte. Drum möchte ich nichts unversucht lassen, von dem ich dächte, daß es ihm helfen könnte. Er schreibt er hätte gelesen, daß Du eine Tournee ins Ausland unternehmest und hätte sich schon hingesetzt um Dir zu schreiben, Du möchtest ihn als Darsteller engagieren dann hätte er es aber wieder sein lassen, da er daran gezweifelt hätte engagiert zu werden. So hat er an mich geschrieben. Weiter nichts. Und ich wende mich nun an Dich und möchte ihn Dir, falls Du so etwas wirklich vorhast, empfehlen. So viel | ich beurteilen konnte, ist er ein guter Charakterspieler. Ich sah ihn ja nur als Keller in der HeimatMax Engelhardt spielte in Hermann Sudermanns Schauspiel „Heimat“ (1893) im Sommertheater in Baden die Rolle des Regierungsrats Dr. von Keller. und dann ist er als Mensch wohl wert, daß man sich für ihn interessiert. Sehr gerieben ist er wohl nicht, als Geschäftsführer würde ich ihn nicht gerade anstellen. So wäre ich Dir denn sehr dankbar lieber Frank, wenn Du, falls Dir so was unter die Hände kommt, dran diesen Mann denken wolltest und Dich dann gleich mit ihm selbst in Unterhandlung setzen würdest. ‒‒‒

Im Übrigen leben wir hier unser stilles Stein|brüchlileben, das Du ja wohl kennst. Es würde mich aber auch freuen, wenn Du Engelhardt kennen lerntest. Er erinnerte mich in seinem Wesen und besonders in der Stimme viel an Sadi. ‒ Zieh nicht Deine Mundwinkel so ekelhaft herunter!

Du siehst ich muß aufhören sonst wird’s häßlich.

Thu mir nur den einen Gefallen und wenn Du mir darüber antworten willst, so thuh’ es in einem Brief an mich und nicht an Mama.

Mit herzlichsten Gruß an Doda und Dich bin ich Dein altes
Mati.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 15. Februar 1906 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 24.2.1906 aus Berlin:]


Von Mati erhielt ich einige KartenHinweis auf die nicht überlieferte, hier erschlossene Postkarte oder Bildpostkarte sowie mindestens zwei weitere Karten. […]

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 26. Februar 1906 in Lenzburg folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

wedekind schiffbauerdamm 6.3
berlin.


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin, Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus [...] lenzburg [...]


tausend herzliche glueckwuenschezu Frank Wedekinds Verlobung mit Tilly Newes.. matti.=

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 10. Juni 1906 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lenzburg 10. Juni 1906


Mein lieber Frank,

ich sitze hier im Salon im gestickten Lehnstuhl und vor mir steht das hübsche Bild Deiner lieben Tilly. Ich freue mich unendlich bis Ihr beide herkommtFrank und Tilly Wedekind trafen dem Tagebuch zufolge am 31.7.1906 um 18 Uhr in Lenzburg ein („6 Uhr Ankunft in Lenzburg. Mati und Eva holen uns ab“) und reisten am 11.8.1906 wieder ab („Abfahrt von Lenzburg. Mati und Eva [...] begleiten uns auf den Bahnhof“)., nur darf es nicht vor dem 1. Juli sein, denn bis dahin bin ich in WaldhäusernEmilie (Mati) Wedekind gab im Sommer 1906 als Lehrerin Unterricht „im 15 km von Lenzburg entfernten Dorf Waldhäusern“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 324], dem vorliegenden Brief zufolge bis zum 1.7.1906. und ich will unbedingt zu Eurem Empfang hier sein. Wenn Du glaubst, Tilly wird vorlieb nehmen mit unsern | beschränkten Verhältnissen, Du weißt ja wie es ist bei uns, so freut es mich außerordentlich, wenn Ihr in meinem Zimmer schlafen und den Salon nebenan als Euer Wohnzimmer betrachten wollt.

Am 13. Juli ist das Jugendfest, das mußt Du Tilly doch unbedingt zeigen. Bitte vergiß nicht, wenn Du kannst auch Ellen Ollestjerne mitzubringen, ich möchte es wieder mal lesen. Ich habe, seit wir uns sahen mehr erlebt als die ganzen 27 Jahre | Jahre vorher. Aber man kann es nicht so gut erzählen, denn ich kann ihm, wie oft ich auch schon versucht habe, keine komische Seite abgewinnen.

Nun, ich freue mich umso mehr, auf alles das, was Ihr uns zu erzählen haben werdet.

Also auf recht fröhliches Wiedersehn hier im Steinbrüchli.

Euer altes

Mati.

Emilie (Mati) Wedekind und Emilie Wedekind schrieben am 24. Juli 1906 in Lenzburg folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]

FRANK WEDEKIND SCHAUSPIELHAUS MUENCHEN. |


Königlich-Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Lenzburg [...]


= HERZLICHSTEN GLUECKWUNSCHzu Wedekinds 42. Geburtstag am 24.7.1906..= MAMA MATI.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 21. Oktober 1907 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank,

eben lese ich Dr. Trogs Kritik von ErdgeistHans Trog hat in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (Rubrik: Feuilleton) die Premiere der „Erdgeist“-Inszenierung am 18.10.1907 im Pfauentheater in Zürich (Regie: Alfred Reucker) mit Johanna Terwin in der Hauptrolle der Lulu besprochen [vgl. KSA 3/II, S. 1231]. Der Feuilletonredakteur schrieb über Wedekinds Tragödie, darin sei „das Weib der Erdgeist, d.h. das Weib in seiner geschlechtlichen Funktion, das unersättliche, das dirnenhafte Weib, das die Männer nur als begehrlich, als Sklaven der Sinnlichkeit kennt und ausbeutet, das jenseits von Gut und Böse nur Geschlecht [...] ist.“ Wedekind habe „diesen unsaubern Geist unter den deutschen Dichtern besser als irgend ein anderer begriffen“; in der Zusammenfassung der Handlung ist bemerkt: „In vier Bildern zeigt uns Wedekind seine Lulu. Im [...] zweiten endet der neue Liebhaber, der Maler, in Selbstmord, weil er, der bisher Arglose, hinter die Unreinheit der Frau gekommen ist; im dritten sehen wir den Redakteur Dr. Schön, der sich endlich den Schlingen der Circe entreißen möchte durch die Heirat mit einem reinen Mädchen, unrettbar Lulu wieder verfallen“ [T.: Theater. In: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 128, Nr. 292, 21.10.1907, 2. Abendblatt, S. (1)]. in der N.Z.Z. Es scheint mir, daß er gut schreibt, nur was er da immer von rein und unrein faselt kann ich nicht ganz begreifen. Als Weib ist doch die Lullu das Reinste, was man finden kann, es sind ihr doch gar keine andern Stoffe beigemischt. Sie ist meinetwegen eine unreine Gattin und Hausfrau aber als Weib an sich | scheint sie mir so rein wie irgend ein Element. Dr. Trogs Kritik interessierte mich, weil ich ihn letzten Winter als geistreichen IbseninterpretorHans Trog, Feuilletonredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“, interpretierte bei seiner Lesung am 10.11.1906 im literarischen Klub des Lesezirkels Hottingen in Zürich Werke Henrik Ibsens, wie angekündigt war: „Die zweite Wintersitzung des Literarischen Klubs ist dem Gedächtnis Henrik Ibsens gewidmet. Herr Dr. Hans Trog wird den Menschen und Dichter Ibsen an Hand seiner Briefe beleuchten.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 127, Nr. 313, 9.11.1906, 1. Blatt, S. (2)] Bei dieser Lesung, „die dem Gedächtnis Henrik Ibsens gewidmet war, zeigte sich eine zahlreiche Zuhörerschaft mit reichem Beifall dankbar für den sehr anregenden Abend. Hr. Dr. Hans Trog zeichnete durch die Vorlesung von geschickt ausgewählten Stellen aus Ibsens Briefen ein überaus anschauliches Bild des Lebens Ibsens und seines Charakters als Mensch und als Dichter.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 127, Nr. 319, 17.11.1906, 1. Morgenblatt, S. (2)] Der Feuilletonredakteur besprach außerdem aus Anlass der Ibsen-Inszenierungen am Stadttheater Zürich in der Saison 1906/07 unter seinem Verfasserkürzel T. Werke Henrik Ibsens in der „Neuen Zürcher Zeitung“ in seiner Feuilleton-Reihe „Zum Ibsen-Zyklus“ (so etwa am 31.10.1906 und 11.1.1907) sowie unter der Rubrik „Theater“ (so etwa am 2.11.1906 und 13.1.1907). kennen lernte und er mir überhaupt ein bedeutender Mann scheint. ‒‒

Dies war aber nicht der eigentliche Grund, weshalb ich Dir schreiben wollte.

Ich wollte Dir schon längst danken für das Vergnügen, das Du mir mit dem BesuchTilly Wedekind war mit ihrer Tochter Pamela vom 11. bis 30.9.1907 zu Besuch bei der Schwiegermutter in Lenzburg. von Deiner lieben Tilly und Anna Pamela bereitet hast. Tillys liebens|würdige und interessante Unterhaltung war mir ein großer Genuß – die Erinnerung daran hat mir schon manche frohe Stunde bereitet. Was nun Mama betrifft, so läßt sie Dir sagen, sie schenkt Dir Tilly’s Erholung hier zu Deinem letzten GeburtstagWedekinds 43. Geburtstag am 24.7.1907.. Für sie war nun natürlich Anna Pamela die größte Herzensfreude. Tilly’s Gesellschaft konnte sie nicht so ausgiebig genießen, da sie zu viel mit dem Haushalt beschäftigt war.

Seit 1. Okt nun sind wir | ganz allein. Die Hausarbeit teilen wir unter uns womit der Vormittag so ziemlich ausgefüllt ist und im Übrigen lebt jedes seiner mehr inneren oder äußeren Beschäftigung.

Von Tilly hören wir, daß bei Euch immer viel los ist, wenn ich mehr das Zeug dazu hätte, wollte ich wohl gern mit dabei sein; ich sehe aber immer mehr ein, daß ich zur Beschaulichkeit geschaffen bin, in der sich das bunte Spiel da draußen mit viel Interesse betrachten läßt. |

Ist Deine Musik schon im BuchDie Buchausgabe von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ im Verlag Albert Langen ist vordatiert auf 1908 „bereits im Herbst 1907 erschienen.“ [KSA 6, S. 724] erschienen? Wirst Du sie mir schicken? Du weißt welch regen Anteil ich an Deinem Schaffen nehme. Auch möchte ich Dich noch um Todtentanz„Totentanz. Drei Szenen von Frank Wedekind“ ist zuerst am 4.7.1905 in der Zeitschrift „Die Fackel“ erschienen; die Buchausgabe im Verlag Albert Langen ist vordatiert auf 1906, wobei das „1. und das 2. Tausend der Buchauflage [...] bereits 1905 ausgeliefert“ [KSA 6, S. 623] wurden. bitten, den ich leider auch noch nicht gelesen habe. Und dann möchte mir Tilly doch die Melodie zum blinden KnabenWedekind hat die Melodie zu seinem Gedicht „Der blinde Knabe“ („O Ihr Tage meiner Kindheit...“) 1902 komponiert und diese Komposition 1903 überarbeitet, wobei diverse Kompositionsfragmente und eine vollständige handschriftliche Fassung der Noten überliefert sind [vgl. KSA 1/III, S. 70f., S. 586-596]. schicken. ‒ Hat sie wohl meiner Freundin Klaradie „Freundin Clara Marti“ [Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 3.1.1895]. eine Karte geschickt? Die würde sich wohl außerordentlich darüber freuen.

Und dann noch für mich | den Kopf im Rabbi Esra costümwohl ein Foto von Wedekind in der Titelrolle seiner Szene „Rabbi Esra“; zu seinem Kostüm in dieser Rolle gehörte ein „spitzer Hut“ [Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 1.4.1908]..

So das ist nun wohl alles, was ich sagen wollte.

Seid alle drei herzlichst gegrüßt von Eurem
Mati.


Mama läßt auch grüßen und Tilly für ihren lieben BriefTilly Wedekinds Brief an ihre Schwiegermutter Emilie Wedekind ist nicht überliefert. danken.

Frank Wedekind schrieb am 25. Januar 1908 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 25.1.1908 in Berlin:]


Brief an Mati [...]

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 11. Oktober 1908 in Cannstatt folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind , Tilly Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Postkarte an Emilie Wedekind vom 13.10.1908 aus München:]


Von Mati erhielten wir gestern eine Carte aus Cannstadt.

Frank Wedekind schrieb am 24. Oktober 1908 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Emilie (Mati) Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 26.10.1908 aus Lenzburg (AfM Zürich, PN 169.5:163):]


Heute kam dieser Brief von Frank. Wie Du weißt, haben wir keinerlei Erklärung über das Eigentumsrecht von Donalds GrabDonald Wedekind hat sich am 5.6.1908 in Wien das Leben genommen und wurde am 9.6.1908 auf dem Döblinger Friedhof beerdigt.. Ist nicht unter Deinen Papieren so etwas? Vielleicht antwortest Du Frank diesbezüglich.

Emilie (Mati) Wedekind und Emilie Wedekind schrieben am 1. Januar 1910 in Lenzburg
an Frank Wedekind

Herzlichen Glückwunsch
zum neuen Jahre.

von Mati u Mama.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 5. April 1910 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind , Tilly Wedekind

[Hinweis und Referat in Tilly und Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 13.3. und 7.4.1910 aus München:]


Inzwischen haben wir einen Brief von Mati bekommen, in dem sie uns ihre Verlobung mitteilt.

Frank Wedekind schrieb am 7. April 1910 in München folgenden Brief
an Emilie (Mati) Wedekind

als vorherals vor der Verlobung von Emilie (Mati) Wedekind mit Eugène Perré, „Champagner-, Wein- und Spirituosenfabrikant aus Neuilly-sur-Seine bei Paris“ [KSA 7/II, S. 807], die sie ihrem Bruder Armin am 5.4.1910 in einem Brief aus Paris mitgeteilt hatte [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 243] und zugleich ihrem Bruder Frank [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank und Tilly Wedekind, 5.4.1910]; der hat sich, wie er seiner Mutter schrieb, über „Matis Verlobung [...] ungeheuer gefreut“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 7.4.1910]. Die Heirat fand am 9.7.1910 statt., nicht nur ein Bruder sondern dein euer treuster Freund zu sein zu können. An meiner lieben Tilly hast du ohnehin deine beste Freundin obschon du in den letzten zwei Jahren nicht viel davon von ihr wissen wolltest.

Bitte Eugène, Herrn und Frau PerretSchreibversehen, statt: Perré (gemeint sind die Eltern von Eugène Perré). meine ergebensten Empfehlungen auszusprechen.

Mit herzlichsten Grüßen
euer dein Frank.


Und jetzt, liebe Mati, möchte ich mehr als dein Bruder sein. Ich möchte euer bester Freund sein. Frag Eugène ob er damit einverstanden ist.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 29. Januar 1913 in Neuilly-sur-Seine folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

POST CARD Carte Postale   POSTKARTE

[...]


Allemagne

Herrn
Frank Wedekind
Prinzregentenstr. 50
München.


Neuilly s/Seine 29. Jan 1913

Mein lieber Frank,

heute, da Armin 50 Jahre altArnim Wedekind, Arzt in Zürich und das älteste der Geschwister, wurde am 29.1.1863 in Oakland (Kalifornien) geboren. geworden ist, führen die Gedanken unwillkürlich zusammen. Ich möchte gerne Dein neues Stück Franziska lesenWedekind hat seiner Schwester später sein Stück vorgelesen. Er notierte am 10.10.1914 in Lenzburg: „Ich lese Mati Franziska vor [Tb].. ‒ Grüß mir Tilly und die lieben Kinder und sei selbst herzlichst
gegrüßt von Deiner
Mati.

Emilie (Mati) Wedekind schrieb am 23. Juli 1914 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Armin Wedekind vom 3.8.1914 aus München:]


Ueber Mamas Befinden erhielt ich derweil auch Nachrichten […] von Mati.

Frank Wedekind und Erika (Mieze) Wedekind schrieben am 28. März 1916 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Emilie (Mati) Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 28.3.1916 in Lenzburg:]


Schreibe [...] BriefDer Briefinhalt dürfte mit dem Tod der Mutter am 25.3.1916 in Lenzburg und deren Begräbnis am 27.3.1916 in Aarau zu tun gehabt haben. an Mati mit Mieze.