Briefwechsel

von Tilly Wedekind und Frank Wedekind

Frank Wedekind schrieb am 4. Juni 1905 in München folgenden Brief
an Tilly Wedekind

Verehrte große KünstlerinTilly Newes, Wedekinds spätere Ehefrau; er hatte die junge Schauspielerin bei der von Karl Kraus veranstalteten Wiener Premiere seiner dreiaktigen Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (Regie: Albert Heine) kennengelernt, die am 29.5.1905 in geschlossener Vorstellung „auf der Bühne des Trianon-Theaters im Nestroyhof“ stattfand, „das Kraus für diesen Zweck gemietet hatte“ [Nottscheid 2008, S. 141]. Die 19jährige Schauspielerin Tilly Newes spielte die Hauptrolle der Lulu, der 40jährige Frank Wedekind die Rolle des Mörders Jack. Die Generalprobe fand Wedekinds Tagebuch zufolge am 28.5.1905 statt („Generalprobe“), nach der Vorstellung am 29.5.1905 saß Wedekind beim Premierenessen zwischen seiner Verlobten Berthe Marie Denk und Tilly Newes („Vorstellung. Büchse der Pandora. Ich spiele Jack. Souper im Hotel Continental. Zwischen Marie Denk und Ottilie Newes“).!

Entzückendes Menschenkind!

ich habe Dir so unendlich viel zu danken, daß ich vergebens nach den treffenden Worten suche. Aber ich muß Dir sagen, wie hoch ich mich beglückt fühle, daß ich dich sehen und Dich kennen lernen durfte. Daß das PublikumAuf dem Theaterzettel zur Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ im Trianon-Theater am 29.5.1905 ist vermerkt (Faksimile in der „Fackel“): „Die Vorstellung findet vor geladenem Publikum statt.“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 182; Original: KHM-Museumsverband, Theatermuseum in Wien; URL: https://www.theatermuseum.at/online-sammlung/detail/81328/] mein abscheuliches Stück ohne Dein kluges und zugleich | so madonnenhaftes Spiel nicht so geduldig hingenommen hätte, darüber besteht für mich nicht der geringste Zweifel. Aber davon hast Du ja nichts. Ich habe zu meinem Bedauern bis jetzt noch keinerlei BesprechungDie Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 wurde kaum besprochen, die „Wiener Theaterkritik schwieg sich weitgehend über dieses Theaterereignis aus“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 39]. Theodor Antropp hat die Inszenierung am 31.5.1905 im „Wiener Deutschen Tagblatt“ besprochen [vgl. KSA 3/II, S. 1258], eine weitere Besprechung in ähnlicher Tonart findet sich am Tag zuvor im „Deutschen Volksblatt“ [vgl. ‒r.: „Die Büchse der Pandora.“ (Erstaufführung in Wien am 29. Mai 1905.) In: Deutsches Volksblatt, Jg. 27, Nr. 5893, 30.5.1905, Morgen-Ausgabe, S. 1f.] – beide Wedekinds Tragödie ablehnend; nicht so im „Berliner Tageblatt“, dessen Wiener Korrespondent lobende Worte fand [vgl. Eine Aufführung von Wedekinds „Büchse der Pandora“ in Wien. In: Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 275, 31.5.1905, Morgenblatt, 1. Beiblatt, S. (2)]. Diese drei Besprechungen und eine weitere Rezension – am 4.6.1905 im „Neuen Pester Journal“ – hat Karl Kraus nachgewiesen und aus den Artikeln zitiert [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 17f.]. Karl Kraus meinte allerdings über die Presseresonanz der Premiere: „Die Wiener Groß-Presse hat ein Ereignis, das in literarischer, theatralischer und gesellschaftlicher Beziehung wohl die stärkste ‚Sensation‘ war, die sich seit langem auf einer deutschen Bühne abgespielt hat, glattweg unterschlagen.“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 45] über die Aufführung zu Gesicht bekommen. Und doch wünschte ich so sehr daß Dir Deine herrliche Leistung an jenem Abend zum Glück gereichen möchte. Ich kann mich auch gar nicht in den Gedanken finden, daß wir uns zum | ersten und letzten Mal gesehen haben sollten. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen die höchsten künstlerischen Erfolge und Triumphe, die einem Menschenkinde beschieden sein können.

Und nachdem ich Dir so tief verschuldet, wage ich nun sogar noch eine Bitte. Aber mißversteh mich darin nicht. Ich gehe nicht darauf aus, Kunst-Trophäen zu sammeln. Ich habe noch kaum eine Künstlerin um dieses Geschenk gebeten. Es thäte mir aber un|lichSchreibversehen, statt: unendlich. weh, Dein süßes Bild, wie Du im zweiten Akt erschienst, mit der Zeit aus dem Gedächtnis verlieren zu müssen. Hast Du nicht vielleicht eine AufnahmeEine Fotografie, auf der Tilly Newes das genannte Kleid im 2. Akt der „Büchse der Pandora“ trägt, ist überliefert; Bildunterschrift: „Tilly Newes als Lulu / Büchse der Pandora II. Wien 1905“ [Kutscher 2, vor S. 161]. von Dir in dem KleideLulu im 2. Akt der „Büchse der Pandora“ (1903) „trägt eine weiße Directoirerobe mit mächtigen Puffärmeln und einer vom oberen Taillensaum frei auf die Füße fallenden weißen Spitze; die Arme in weißen Glacés, das Haar hochfrisiert mit einem kleinen weißen Federbusch.“ [KSA 3/I, S. 497] das du im zweiten Akt trugst? Wenn Du eines hast, dann weißt Du, wenn wen Du sehr glücklich damit machen könntest. – – Ich bitte Dich, IhnAnspielung auf den Schriftsteller Paul Eger, den „damaligen Liebhaber“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 39] oder Verlobten von Tilly Newes. aufs beste von mir zu grüßen. Die Gefühle des Neides kommen nicht auf. Dazu habe ich Dich zu lieb. Dafür bleibe ich aber auf ewig
in Dankbarkeit ergeben
Dein Bewundrer und Verehrer
Frank Wedekind.


München, Franz Josefstraße 42.

4.VI 5.

Tilly Wedekind schrieb am 7. Juni 1905 - 12. Juni 1905 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mittwoch. 7./VI.


Lieber Herr Frank Wedekind! ich danke Ihnen sehr für Ihren lieben Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind [hier noch: Newes], 4.6.1905., auf den ich natürlich furchtbar stolz bin. Mir war auch sehr leid, dass niemandBesprechungen der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 waren zwar spärlich, aber Karl Kraus hat vier Rezensionen – am 30.5.1905 im „Deutschen Volksblatt“, am 31.5.1905 im „Wiener Deutschen Tagblatt“ und im „Berliner Tageblatt“, am 4.6.1905 im „Neuen Pester Journal“ – nachgewiesen [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 28]. über die Vorstellung geschrieben hat. Deshalb bleibt es mir aber doch ein unvergesslicher Abend. – | Um länger hier bleiben zu können, erzählte ich meinen Verwandten von einer 2ten VorstellungDie zweite (wiederum geschlossene) Vorstellung der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ fand am 15.6.1905 statt (ein Donnerstag), der genaue Termin wurde aber erst nach dem 11.6.1905 festgelegt, wie der „Fackel“ vom 9.6.1905 zu entnehmen ist, in der Karl Kraus den Vorverkauf annoncierte: „Eine Wiederholung der ‚Büchse der Pandora‘ vor geladenen Gästen wird zwischen 14. und 17. Juni stattfinden, wenn es gelingt, ihr die Mitwirkung aller jener Kräfte zu sichern, die an der ersten Vorstellung beteiligt waren und von denen manche sich zur Zeit außerhalb Wiens aufhalten. [...] Alle jene, die die Vorstellung, in der der Dichter wieder selbst auftreten wird, zu sehen wünschen, werden ersucht, bis zum 11. Juni dem Verlag der ‚Fackel‘ [...] bekanntzugeben, daß und zu welchem Preise sie (auf Namen lautende) Eintrittskarten zu beziehen wüschen [...]. Nach dem 11. Juni erfolgt dann eventuell die Einladung, bezw. die Billetausgabe.“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 28] Wedekind hat auf den vorliegenden Brief von Tilly Newes dieses Datum 11.6.1905 notiert. u. nun sagt mir Carl KrausTilly Newes in Wien wurde von Karl Kraus mündlich informiert; der Herausgeber der „Fackel“ hatte Wedekind bereits zu einer zweiten Vorstellung der von ihm veranstalteten Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ eingeladen, wie aus Wedekinds Reaktion auf die „Einladung“ hervorgeht: „Das ist ja ausgezeichnet“ [Wedekind an Karl Kraus, 5.6.1905]., dass tatsächlich eine stattfinden soll. den
12./VI.der 12.6.1905 (Montag), das zweite Schreibdatum [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 9].
Was mögen Sie wohl schon von mir denken? Ich war nämlich gräßlich erkältet u. lag im Bett. „ErPaul Eger, der Geliebte oder Verlobte von Tilly Newes.schickte mir seinen Freund der Doktor istnicht identifiziert. u. machte mir | täglich auch einen Besuch. Das war allerdings wunderhübsch, hat die Erholung aber nicht gerade beschleunigt. Nun also Donnerstag ist’sder 15.6.1905; der Termin der zweiten Vorstellung der „Büchse der Pandora“ in Wien, der nun feststand (siehe oben).! Ich freu’ mich sehr u. finde es sehr, sehr nett, dass ich Sie sobald wiedersehen kann. Ich werde mich auch für Sie in dem Kleid photographierenTilly Newes ließ sich dann, wie von Wedekind in seinem Brief an sie vom 4.6.1905 gewünscht (siehe oben), in dem Rollenkostüm fotografieren, das sie im 2. Akt der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ trug, allerdings erst einige Monate später. Das Foto ist überliefert; Bildunterschrift: „Tilly Newes als Lulu / Büchse der Pandora II. Wien 1905“ [Kutscher 2, vor S. 161]. | lassen, schon um Ihnen zu beweisen wie sehr symphatischSchreibversehen, statt: sympathisch. Sie mir sind.

Wie lang sind Sie da?Wedekinds Tagebuch zufolge reiste er am 13.6.1905 von München ab („Abends Abfahrt nach Wien“), kam am 14.6.1905 in Wien an, traf seine Verlobte Berthe Marie Denk, besuchte mit Karl Kraus den Maler Carl Leopold Hollitzer, der das Porträt von Tilly Newes als Lulu im Pierrot-Kostüm für die Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ gemalt hat, das Wedekind bei dem Besuch besichtigte, hatte dann die Generalprobe für die zweite Vorstellung seiner Tragödie und war anschließend mit Berthe Marie Denk zusammen („Ankunft in Wien. Ich wohne bei Karl Kraus. Spazierfahrt mit Bertha Denk nach Kloster Neuburg. Besuch mit Kraus bei Kunstmaler Holitzer. Tilly Newes [ihr Name in hebräischen Buchstaben geschrieben] im Pierrotkostüm. Generalprobe. Wir nachtmahlen mit Bertha Denk im Volksgarten“), hatte am 15.6.1905 die zweite „Büchse der Pandora“-Vorstellung mit anschließendem Bankett („Berthe Denk weckt mich. Adele Sandrock hat sich von gestern auf heute verlobt und will nicht spielen. Albert Heine, Kraus und ich dinieren im Volksgarten. [...] Vorstellung. Ich spiele zum zweiten Mal Jack. Banket im Hotel Continental“) und reiste am 16.6.1905 nach München zurück („Besuch bei Bertha Denk. Wir diniren im Volksgarten. Im Café Museum treffe ich Kraus und Gustav Meyrinck. Kraus begleitet mich zur Bahn. Rückfahrt nach München“). Hoffentlich kann man ein paar gemütliche Stunden zusammen verbringen. „Erdankt für die GrüßeWedekind hat Paul Eger in seinem Brief an Tilly Newes vom 4.6.1905 (siehe oben) Grüße bestellt. u. erwiedertSchreibversehen, statt: erwidert. sie auf’s Herzlichste. Nun adieu lieber Wedekind, auf frohes Wiedersehn!

Ihre Tilly Newes

Tilly Wedekind und Paul Eger schrieben am 14. August 1905 in München folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Postkarte


München
Franz-Josefstraße 42
Herrn Frank Wedekind |


GRUSS AUS DER KUNST- UND BIERSTADT MÜNCHEN


14./VIII. Die herzlichsten Grüße auf der DurchreiseTilly Newes war in München auf der Durchreise nach Frankfurt am Main, wo sie am Residenztheater (Direktion: Otto Ploecker-Eckardt), das am 2.9.1905 eröffnet werden sollte, eine Engagement als Schauspielerin anzutreten im Begriff war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 378]. Ihr Geliebter oder Verlobter Dr. phil. Paul Eger – in Wien gerade mit der Dissertation „Die Buchillustration im Zeitalter der deutschen Klassiker“ (1905) promoviert – blieb in München, wie sich Tilly Wedekind erinnerte: „Auf der Weiterreise vermißte ich Paul“ [Wedekind 1969, S. 50]; im Frühjahr ist Paul Egers Stück „Operette. Szenen aus dem Leben einer Schauspielerin“ (1905) erschienen und er arbeitete nun an „Mandragola. Eine Komödie in drei Akten. Nach dem Stoffe eines alten Lustspiels des Macchiavell“ (1906), eine Ehebruchskomödie, die am 31.10.1906 am Münchner Schauspielhaus uraufgeführt wurde. senden
Tilly u. Paul E.Paul Eger hat die Bildpostkarte nach Tilly Newes unterschrieben – das betonte Tilly Wedekind in ihren Erinnerungen: „Ich schrieb eine Ansichtskarte an Frank Wedekind, München, Franz-Joseph-Straße 42, und Paul unterschrieb, wohl mit einer gewissen Genugtuung“ [Wedekind 1969, S. 50].

Tilly Wedekind schrieb am 28. August 1905 in Frankfurt am Main folgende Kartenbrief
an Frank Wedekind

München
Franz-Josefstrasse 42
Herrn Frank Wedekind |


Abs: Tilly Newes (Niemann„Schauspielername Tillys“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 42]. Tilly Wedekind erinnerte sich, sie habe sich „eine Zeitlang ‚Niemann‘“ [Wedekind 1969, S. 32] genannt.)
Frankfurt a./M.
Scharnhorststrasse 14 III. |


Frankfurt a/M.

Montag. 28.der 28.8.1905.


Lieber Frank Wedekind!

Eben wurde ich durch den „Schweinebraten“ in der Zeitung„Schweinebraten“ in der Zeitung] Wedekind konstatierte am 3.8.1905: „Männerstolz vor Schweinebraten steht in der Zeitung“ [Tb] – das war „aprosdoketisch formuliert nach Friedrich Schillers ‚Männerstolz vor Königsthronen‘ in dessen Ode ‚An die Freude‘“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 41]. Die Pressemeldung lautete: „Einen etwas merkwürdigen Titel, so schreibt man uns aus München, führt Frank Wedekinds neueste dreiaktige Komödie, die in der Münchener Gesellschaft spielt. Das absonderliche Stück heißt: ‚Männerstolz vor Schweinebraten‘ und kommt womöglich noch in diesem Spieljahre auf die Bühne. Wohl wieder einmal ein urechter Wedekind!“ [Neues Wiener Abendblatt, Jg. 39, Nr. 211, 2.8.1905, S. 4; vgl. Eine neue Komödie von Frank Wedekind. In: Die Zeit, Jg. 4, Nr. 1024, 2.8.1905, Abendblatt, S. 3] Daraufhin wurde gemeldet: „Frank Wedekind hat eine neue dreiaktige Komödie, die in der Münchener Gesellschaft spielt, vollendet. Das Stück hat, wie dem ‚N. W. Tgbl.‘ geschrieben wird, den merkwürdigen Titel: ‚Männerstolz vor Schweinebraten‘!“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 58, Nr. 360, 4.8.1905, Vorabendblatt, S. 2; vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 393, 4.8.1905, Abend-Ausgabe, S. (2); Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 363, 5.8.1905, Morgen-Ausgabe, S. 6; Berliner Volks-Zeitung, Jg. 53, Nr. 363, 5.8.1905, Morgenblatt, S. (3); Leipziger Tageblatt, Jg. 99, Nr. 395, 5.8.1905, Abend-Ausgabe, S. 5; „Männerstolz vor Schweinebraten.“ In: Dresdner Neueste Nachrichten, Jg. 13, Nr. 210, 5.8.1905, S. 2; 6.8.1905, Altonaer Nachrichten, Jg. 56, Nr. 365, 6.8.1905, Morgen-Ausgabe, S. (2)] Dann hieß es: „Frank Wedekind teilt uns mit, daß die Nachricht, er habe ein neues Stück vollendet (‚Männerstolz vor Schweinebraten‘) sowie alle daran geknüpften Erörterungen in hiesigen und auswärtigen Blättern auf unkontrollierbaren Stammtisch-Klatsch zurückzuführen sind.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 58, Nr. 398, 27.8.1905, S. 2] Die Presse hatte offenbar eine Satire auf Max Halbe dahinter vermutet: „Frank Wedekinds neues Drama: ‚Männerstolz vor Schweinebraten‘ soll die Lebensverhältnisse eines bekannten, in München wohnenden Theaterschriftstellers mit beißender Ironie darstellen. Von anderer Seite wird freilich die Ansicht vertreten, daß es sich bei der über Wien lancierten Ankündigung des seltsam betitelten Dramas nur um einen Schreckschuß gegen jenen anderen Münchner Dramatiker handle.“ [Das Stück mit dem seltsamen Titel. In: Dresdner Nachrichten, Nr. 234, 24.8.1905, S. (4)] Tilly Wedekind erinnerte sich: „In der Zeitung hatte ich gelesen [...], Frank Wedekind schriebe ein neues Stück mit dem Titel ‚Männerstolz vor Schweinebraten‘. Erst später erfuhr ich, was es mit diesem seltsamen Titel auf sich hatte und daß die Notiz zur schon sprichwörtlich gewordenen streitbaren Freundschaft zwischen Wedekind und dem Dichter Max Halbe gehörte. Ich schrieb nun gleich einen Brief an Wedekind und nahm auf die Zeitungsnotiz Bezug“ [Wedekind 1969, S, 51]. lebhaft an Sie erinnert! Also in Berlin werden Sie wieder selbst spielenTilly Newes dürfte in der Presse gelesen haben, Wedekind werde demnächst in Berlin auftreten: „Das Kleine Theater unter der Direktion Viktor Barnowskys wird die Reihe seiner Novitäten [...] am 21. September mit dem Schauspiel ‚Hidalla‘ von Frank Wedekind eröffnen. Die Darstellung der Hauptrolle hat Wedekind selbst übernommen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 435, 27.8.1905, Sonntags-Ausgabe, S. (2)], | oh verflucht, dass man nicht in Berlin sein kann! Am Liebsten käm’ ich hin.

Was man von Ihnen alles hört, Sie sind verlobtAnspielung auf Berthe Marie Denk; ihr hatte Wedekind seinen in der „Fackel“ von Karl Kraus erstveröffentlichten Einakter „Totentanz“ zugeeignet: „Meiner Braut in innigster Liebe gewidmet.“ [Frank Wedekind: Totentanz. Drei Szenen. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 1] Wedekind hatte ihr außerdem in der Sammlung „Die vier Jahreszeiten“ (1905) ein Gedicht gewidmet: „An Berta Maria, Typus Gräfin Potocka“ [KSA 1/I, S. 639; vgl. KSA 1/I, S. 910-913]. Sehen Sie, aus Empörung, dass sich | so interessante Menschen verloben, gieng ich hin u. tat desgleichen. Ja, ja, dazu geht man nach Graz zu seinen Eltern.

Er ist ein Serbe„Fiktion Tillys“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 42]., weiß riesig viel, u. ist auch sonst sehr nett. | Ja, das hätte ich in Wien nicht gedacht. Sie denken wohl, wieso dann die glückselige Karte von Münchenvgl. Tilly Wedekind [hier noch: Newes] und Paul Eger an Frank Wedekind, 14.8.1905.?! (Sie haben doch die Karte erhalten von Paul u. mir aus München.) Paul liebt mich | eben u. der andre liebt u. heiratet mich. Ich sage Ihnen das Wiedersehen war wunderschön. Wir waren am Wolfgangsee in Salzburg u. München. In München hielt ich mich nur Sonntag u. Montagder 13. und 14.8.1905. auf u. war mir sehr leid | dass ich Sie nicht aufsuchen konnte. Was ist mit Ihrer Frankfurter ReiseWedekind war erst im Jahr darauf vom 19. bis 21.2.1906 auf einer Vortragsreise in Frankfurt am Main [vgl. Tb]., von der Sie mal in Wien sprachen? Hier lass’ ich mich sicher für Sie photographierenWedekind hat Tilly Newes um ein Foto von ihr im Rollenkostüm der Lulu aus der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ gebeten [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.6.1905] und sie hat ein solches Foto zugesagt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 7.6.1905 bis 12.6.1905]., u. wenn Sie anirrtümlich nicht gestrichen. die Zeit der „Büchse der Pandorain WienWedekind war zunächst zu der von Karl Kraus organisierten Wiener Premiere seiner Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (29.5.1905), in der Tilly Newes die Lulu und er die Rolle des Jack spielte, vom 27. bis 30.5.1905 in Wien gewesen, dann zur zweiten Vorstellung (15.6.1905) nochmals vom 14. bis 16.6.1905 [vgl. Tb]. noch nicht ganz vergessen haben, senden Sie mir auch bitte, das Ihre! Herzlichsten Gruß Tilly Newes

Tilly Wedekind schrieb am 16. September 1905 in Frankfurt am Main folgenden Brief
an Frank Wedekind

16./IX. Samstag.


Lieber Herr Wedekind!

Gar nicht nett find’ ich das von Ihnen, dass Sie sich gar nicht mehr um mich bekümmern! Ich sage mir wohl, dass Sie sicher mit der Aufführung von „Hidalla“ (?) viel zu tun haben, aber wenn Sie wollten, hätten Sie sicher Zeit mir einen Karten Gruß zu senden. Nun in vier Tagenam 20.9.1905; angekündigt war die Berliner Premiere von „Hidalla“ am Kleinen Theater allerdings für den 21.9.1905: „Das Kleine Theater unter der Direktion Viktor Barnowskys wird die Reihe seiner Novitäten [...] am 21. September mit dem Schauspiel ‚Hidalla‘ von Frank Wedekind eröffnen. Die Darstellung der Hauptrolle hat Wedekind selbst übernommen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 435, 27.8.1905, Sonntags-Ausgabe, S. (2)] ist’s ja. Ich bin sehr gespannt, will mir auch das Buchdie Erstausgabe von Wedekinds fünfaktigem Schauspiel „Hidalla oder Sein und Haben“ (1904), erschienen im Verlag Dr. J. Marchlewski und Co. in München [vgl. KSA 6, S. 386]. kaufen. Ich werde an Sie denken den Abend!! | Abgesehen davon, dass Sie mir sehr sympatischSchreibversehen, statt: sympathisch. sind, verfolge ich heut einen ganz bestimmten Zweck mit meinem Brief. Mein DirectorTilly Newes hatte als Schauspielerin ein Engagement am Residenztheater in Frankfurt am Main unter der Direktion von Otto Ploecker-Eckardt, der dieses Theater (das bisherige Orpheum-Theater) neu gegründet und am 2.9.1905 eröffnet hatte [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 378]., Plöcker-Eckardt, hat mir nämlich heut erzählt, dass er in Berlin mit Dir. BarnowskyVictor Barnowsky war Direktor und Oberregisseur am Kleinen Theater in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 277]; er hatte die Direktion des Kleinen Theaters zum 1.9.1905 von Max Reinhardt übernommen. gesprochen hat. Dieser wollte mich eventuell einige Zeit im Winter in Berlin haben, für eine Aufführung der „BüchseEine Aufführung von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903) am Kleinen Theater in Berlin kam nicht zustande.. Plöcker würde mich auch frei geben. Nun können Sie sich denken, wie sehr ich das wünsche, damit kann ich mich überhaupt machenim Sinn von: kann aus mir etwas werden.. Barnowsky selbst kann ich mich | aber wohl nicht direct antragen, u. so wende ich mich an Sie.

Den reizenden Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind [hier noch: Newes], 4.6.1905., den Sie mir damals schrieben, hab’ ich mir aufgehoben. Es tat Ihnen damals leid, dass mir die Aufführung nicht gleich ein gutes Engagement eintrug; nun wäre es vielleicht doch noch entscheidend für meine Carriere. In wie fern, u. wie weit Sie mir nützen können, werden Sie selbst am Besten wissen, u. überlasse ich Ihnen das vollständig. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, lieber Wedekind! |

Wie schön wäre es, in Berlin zu spielen, u. welch’ herrliche Gelegenheit Sie wiederzusehen!

Mein BildTilly Newes hat im vorangehenden Brief ein Foto von sich angekündigt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.8.1905], das lange versprochen war – Wedekind hat sie wenige Tage nach der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ um ein Foto von ihr im Rollenkostüm der Lulu gebeten [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.6.1905] und sie hat ein solches Foto zugesagt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 7.6.1905 bis 12.6.1905]. wird nächste Woche fertig, schicke es dann nach Berlin. Wenn man Ihnen an’s kleine TheaterAdresse des Kleinen Theaters in Berlin (Direktion: Victor Barnowsky): Unter den Linden 44. Wedekind war seit dem 8.9.1905 in Berlin, wie er im Tagebuch festhielt („fahre [...] nach Berlin. Gehe ins Kleine Theater“), um im Kleinen Theater an den Proben für „Hidalla“ teilzunehmen, so am 9.9.1905 („Um 10 Uhr Probe“), 12.9.1905 („Um 10 Uhr Probe“), 16.9.1905 („Probe von 11-3“) und am 19.9.1905 als nächstem Probentermin („Um 10 Uhr Probe“) – er spielte die Rolle des Karl Hetmann, Regie führte Victor Barnowsky. schreibt, genügt doch?!

Hier giebt es auch einige ganz nette Leute, es lässt sich auch in Frankfurt leben. Gestern machten wir einen herrlichen Spazierritt nach Isenburg.

Wollen Sie mir zum Zeichen, dass Sie an mich denken, eine Karte schreiben?

Ihre LuluTilly Newes hat in der von Karl Kraus organisierten Inszenierung von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ in Wien (gespielt in geschlossenen Vorstellungen am 29.5.1905 und 15.6.1905) die Hauptrolle der Lulu gespielt – hier haben sie und Wedekind sich kennengelernt.

Tilly Niemann (Newes) Residenztheater

Frank Wedekind schrieb am 18. September 1905 in Berlin folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Kartenbrief


An
Fräulein Tilly Niemann
in Frankfurt a/M.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Residenztheater |


Absender: Wedekind
Berlin, Schiffbauerdamm 6 III. |


Meine liebe Tilly, ich hatte schon sicher gehofft, Dich hier zu treffen, da ich Dich Barnowsky so eindringlich angepriesenVictor Barnowsky hatte von Wedekind ein Urteil über Tilly Newes erbeten [vgl. Victor Barnowsky an Wedekind, 1.8.1905]; Wedekind antwortete sofort [vgl. Wedekind an Victor Barnowsky, 2.8.1905] und der künftige Direktor des Kleinen Theaters in Berlin bedankte sich für die Auskunft [vgl. Victor Barnowsky an Wedekind, 5.8.1905]. Tilly Wedekind fasste die Briefäußerung im Rückblick so zusammen: „Er habe schon versucht, schrieb Wedekind, Barnowsky für mich zu interessieren, und er werde ihn aufs neue bearbeiten.“ [Wedekind 1969, S. 51] hatte wie man jemanden anpreisen kann. Er hatte aber Hidalla schon besetztDie Presse meldete zur Rollenbesetzung der Berliner „Hidalla“-Premiere: „Im Kleinen Theater gelangt am Donnerstag, den 21. d.M., als erste der vom Director Barnowsky erworbenen Novitäten das fünfactige Schauspiel ‚Hidalla‘ von Frank Wedekind zur Aufführung. Die Hauptrolle (Karl Hetmann) spielt Wedekind selbst. Neben ihm sind in hervorragenden Rollen Gertrud Arnold, Ilka Grüning, Rudolf Klein-Rohden, Julius Geisendörfer, Hans Kuhnert, Edgar Licho und Erich Walter an der Darstellung betheiligt. Das Stück wird von Victor Barnowsky in Scene gesetzt.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 439, 19.9.1905, Morgen-Ausgabe, S. 8] Tilly Newes hatte an der Rolle der Fanny Kettler Interesse, die mit Gertrud Arnold besetzt war.. Jetzt aber scheint alles in Ordnung zu sein. Wenige Tage nach der Premiere wird Barnowsky in Frankfurt sein um Dich zu sehen. Hoffentlich bringt er Dich gleich mit. |

Ich danke Dir herzlich für Deine beiden lieben Briefevgl. Tilly Wedekind [hier noch: Newes] an Frank Wedekind, 28.8.1905 und 16.9.1905. und gratuliere Dir zu Deiner Verlobung mit dem SerbenTilly Newes hat eine solche Verlobung (mit einer erfundenen Person) in ihrem vorletzten Brief behauptet [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.8.1905]., der Dich nicht nur liebt, sondern auch heiraten wird. Hat er denn auch Geld um dem schönen Kleinod die richtige Fassung zu geben? – Verzeih mir die Kürze meiner Antwort, aber zu HauseWedekind hat die Berliner Wohnung Schiffbauerdamm 6 (3. Stock) am 9.9.1905 bezogen: „Darauf miethe ich mich Schiffbauerdamm No 6 ein.“ [Tb] kann ich nicht schreiben und möchte Dich nicht noch länger warten lassen. Auf baldiges Wiedersehn! Ich küsse das Heiligthum.
Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 23. September 1905 in Frankfurt am Main folgenden Brief
an Frank Wedekind

Sonnabendder 23.9.1905 (Samstag)..


Lieber Wedekind,

hier bin ichTilly Newes dürfte das von Wedekind vor Monaten erbetene Foto [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.6.1905] ihrem Brief beigelegt haben, das sie im Rollenkostüm der Lulu aus dem 2. Akt der „Büchse der Pandora“ zeigt. Es ist überliefert; Bildunterschrift: „Tilly Newes als Lulu / Büchse der Pandora II. Wien 1905“ [Kutscher 2, vor S. 161]., wie versprochen. Hidalla ist verschoben? Die Berliner Premiere von „Hidalla“ im Kleinen Theater unter der Regie von Victor Barnowsky mit Wedekind in der Rolle des Karl Hetmann war für den 21.9.1905 (Donnerstag) angesetzt gewesen, wurde dann aber verschoben, wie Wedekind bereits am 19.9.1905 notierte: „Hidalla wird verschoben“ [Tb]. Die Presse meldete: „Die auf Donnerstag angesetzte Erstaufführung von ‚Hidalla‘ im Kleinen Theater mußte bis nächsten Dienstag, 26. ds., verschoben werden, da Frank Wedekind, der bekanntlich selbst die Hauptrolle in seinem Stücke spielt, in einer dringenden Proceßangelegenheit nach München abberufen wurde.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 441, 20.9.1905, Morgen-Ausgabe, S. 7] Wedekind ist nicht nach München gefahren. Die Berliner Premiere seines Schauspiels fand dann wie gemeldet am 26.9.1905 (Dienstag) statt und Wedekind hielt fest: „Hidalla Premiere in Berlin. Spiele zum 29. Mal Hetmann“ [Tb].Wie ich höre, soll es Dienstagder 26.9.1905; abends die „Hidalla“-Premiere im Kleinen Theater in Berlin (siehe oben). sein. Wollen Sie mich, bitte, mit einer Karte verständigen, wann Barnowsky sp kommt?! Ich soll dann nämlich Angele von Hartleben spielenTilly Newes sollte die Titelrolle in Otto Erich Hartlebens Komödie „Angele“ (1891) spielen, die seit dem Frühjahr (Premiere: 4.2.1905) auf dem Spielplan des Kleinen Theaters in Berlin stand und aktuell gespielt wurde. Tilly Wedekind erinnerte sich daran, die Rolle gespielt zu haben [vgl. Wedekind 1969, S. 55].. Am Besten wär’ es Sonntag 1./X.der 1.10.1905 (Sonntag). Victor Barnowsky hat Tilly Newes dann am 13.10.1905 in Frankfurt am Main aufgesucht [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 13.10.1905]. Nachmittag. | Schreiben Sie mir’s doch sicher, lieber Wedekind, weil ich sonst gar nichts GescheidtesSchreibversehen, statt: Gescheites. spiele. Und vergessen Sie auch nicht, mir Ihr BildTilly Newes hat Wedekind vor einigen Wochen um ein Foto von ihm gebeten [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.8.1905]. zu schenken.

Herzlichst
Ihre
Tilly N.


Ihr Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind [hier noch: Newes], 18.9.1905. hat mich unendlich gefreut. Vielen, vielen Dank!

Tilly Wedekind schrieb am 29. September 1905 in Frankfurt am Main
an Frank Wedekind

Freitagder 29.9.1905..


Lieber Wedekind!

In aller Eile meinen herzlichsten Glückwunsch zu „Hidalla’s“ Erfolg!Die Premiere von Wedekinds Schauspiel „Hidalla“ am 26.9.1905 im Kleinen Theater in Berlin unter der Regie von Victor Barnowsky mit Wedekind in der Rolle des Karl Hetmann wurde von der Theaterkritik sowie vor allem vom Publikum durchaus mit Beifall aufgenommen [vgl. KSA 6, S. 537, 551-562]. „Was in Berlin an Theaterkritikern Rang und Namen hatte, schrieb darüber.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 43]! Ich verschlang gestern schon die Berliner Blätter. Da ich jedoch | TILLY NIEMANN (Newes) umgezogenTilly Newes ist in Frankfurt am Main von der Scharnhorststraße 14 (3. Stock) [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.8.1905] in die Diesterwegstraße 14 (2. Stock) umgezogen [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 3.10.1905]. bin u. ausserdem drei neue Rollennicht ermittelt. Tilly Wedekind erinnerte sich, sie habe im Frankfurter Residenztheater „Rollen in französischen Lustspielen“ [Wedekind 1969, S. 51] gespielt. vor mir habe, kann ich mich nur zu dieser Karte aufschwingen. Sie wissen wie’s gemeint ist!

Herzlichst Ihre ./.‚gegen‘ ‒ dies bedeutet üblicherweise der Schrägstrich in Verbindung mit zwei Punkten, hier wohl im Sinne eines Gedankenstrichs oder als Signal für: bitte wenden.


[Kuvert:]


Berlin N.W.
Schiffbauerdamm 6 III.
Herrn Frank Wedekind |


Abs: T.N.
Frankfurt a./M.
Residenztheater

Frank Wedekind schrieb am 1. Oktober 1905 in Berlin folgenden Brief
an Tilly Wedekind

Liebe schöne Tilly!

ich danke vor allen Dingen für das schöne BildWedekind hat inzwischen das lange erwartete Foto erhalten, das Tilly Newes ihm vor einigen Tagen geschickt hat [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 23.9.1905]; es zeigt sie im Rollenkostüm der Lulu aus dem 2. Akt der „Büchse der Pandora“ und ist überliefert; Bildunterschrift: „Tilly Newes als Lulu / Büchse der Pandora II. Wien 1905“ [Kutscher 2, vor S. 161].. Gestern sagte mir Barnowsky, es sei an Dich telegraphiert worden. Ich möchte nun nicht gerne, daß jemand erfährt, daß wir in | CorespondenzSchreibversehen, statt: Correspondenz. stehen weil daß/s/ die baldige Erfüllung unserer Wünsche nur beeinträchtigen könnte. Ich rede Barnowsky jeden TagWedekind dürfte Victor Barnowsky, den Direktor des Kleinen Theaters in Berlin, fast täglich gesehen haben, da fast jeden Abend im Kleinen Theater „Hidalla“-Vorstellungen stattfanden (Premiere: 26.9.1905) und Wedekind als Karl Hetmann auf der Bühne stand [vgl. Tb]. zu, Dich zu engagieren und ich hoffe auch daß er bald Ernst macht. Vielleicht hängt seine Entscheidung von übermorgen, Dienstagder 3.10.1905; Zusammenhang nicht ermittelt., ab. | Ich selber kann mir nichts sehnlicher wünschen als Dich für Hidalla hier zu habenWunsch, Tilly Newes möge in „Hidalla“ die Rolle der Fanny Kettler spielen, die allerdings aktuell mit Gertrud Arnold besetzt war.. Das sage ich ihm auch jeden Tag und preise ihm Deine sonstige künstlerischen Ve/o/rwendbarkeit/züge/. Daß ich auch sonst noch von Dir entzückt bin darf er natürlich nicht ahnen, da das meine Fürsprache entwerthen würde. Dir selber | wird es ja auch wol ziemlich gleichgültig sein, da Dein Herz ohnehin so reich bevölkert ist. Übrigens ist es nicht Eifersucht, was aus diesen Worten spricht. Im Gegentheil! Ich werde mich unter allen Umständen immer Deines Glückes freuen.

Mit herzlichstem Gruße
Frank Wedekind.


Berlin 1.10.5.

Tilly Wedekind schrieb am 3. Oktober 1905 in Frankfurt am Main folgenden Brief
an Frank Wedekind

Dienstagder 3.10.1905..


Lieber Wedekind,

Ihren Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind [hier noch: Newes], 1.10.1905. erhielt ich heute schon offen. Er wurde aus Versehen im BureauxSchreibversehen, statt: Bureau. ‒ Mitarbeiter im Büro das Frankfurter Residenztheaters (Neue Zeil 80/82) [vgl. Adreßbuch für Frankfurt am Main 1906, Teil I, S. 284] waren der Bürochef Josef Darmer, der Sekretär Gustav Josephson und der Bürogehilfe Georg Spohr [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 379], der den Brief Wedekinds geöffnet haben dürfte. geöffnet. Man behauptet, ihn nicht gelesen zu haben. Hoffentlich stimmt das, es wäre sehr unangenehm sonst.

Wollen Sie mir lieber an meine privat Adresse schreiben, jetzt: Sachsenhausen, Diesterwegstrasse 14II. Erst heute abend erhielt ich Barnowsky’s | Telegrammnicht überliefert.. „Wann ich günstigten’sSchreibversehen, statt: günstigsten. Falles frei kommen könnte.“

Ich werde morgen telegraphieren. Plöcker sagt sicher vom 16. Jänner abab dem 16.1.1906. Otto Ploecker-Eckardt, Direktor des am 2.9.1905 eröffneten Residenztheaters in Frankfurt am Main, hatte Tilly Newes zum Beginn der Spielzeit am 1.9.1905 als Schauspielerin engagiert, die eigentlich bis zum 1.7.1906 lief [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 378]., aber ich bin sicher, wenn Barn. mich früher haben will, kann ich auch eher loskommen. Er müsste nur einen bestimmten Termin nennen. Wenn doch die Sache schon sicher wäre!! Glauben Sie, dass mir alles andere gleichgültig ist?

Herzlichst Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 13. Oktober 1905 in Frankfurt am Main folgenden Brief
an Frank Wedekind

Frankfurt, Freitagder 13.10.1905..


Lieber Wedekind,

heute war also Barnowsky hier. Er hat mich Nachmittag’s in meiner Wohnung aufgesucht. Er gefällt mir gut, hoffentlich gefalle ich ihm auch. Ich sprach ihm den ersten ActDer 1. Akt der „Büchse der Pandora“ (1903) spielt in der Villa des toten Dr. Schön, in dem sich Lulus Liebhaber vor ihrer Flucht nach Paris um sie versammeln [vgl. KSA 3/I, S. 479-496].Büchse“ vor, ich glaube das hat ihm sehr gefallen. Abends spielte ich eine ziemlich unbedeutende Rollenicht ermittelt; sie habe im Frankfurter Residenztheater, auf dessen Spielplan fast ausschließlich „Boulevardstücke und Lustspiele“ standen, wie Tilly Wedekind sich erinnerte, in einem „Stück von Oscar Wilde“ eine kleine Rolle gespielt, in der sie „hauptsächlich vom Wetter und von einer Verlobung zu reden hatte“, sowie „Rollen in französischen Lustspielen“ [Wedekind 1969, S. 50f.]., er wollte aber wohl hauptsächlich wissen, wie ich aussehe. |

Es wird ihm doch keinen unangenehmen Eindruck machen, weiln ich meine Mutter bei mir habeMathilde Newes hat ihre Tochter von Graz nach Frankfurt am Main begleitet, wie Tilly Wedekind sich erinnerte: „In das neue Engagement nach Frankfurt begleitete mich meine Mutter“ [Wedekind 1969, S. 49].?! Er wird sich wohl denken, dass ich „Muttern“ nicht überall hin mitnehme. Das gienge wohl auch nicht gut, meinen Sie nicht??

Er fürchtet, dass ich für die Fanny Kettlereine der Hauptfiguren in Wedekinds Schauspiel „Hidalla“ (1904), das am 26.9.1905 im Kleinen Theater in Berlin unter der Regie des Direktors Victor Barnowsky Premiere hatte, mit Gertrud Arnold in dieser Rolle. Tilly Newes trat erstmals am 27.10.1905 in der Rolle auf, wie Wedekind im Tagebuch notierte („Hidalla [...] Erstes Auftreten von Tilly Newes“), dann aber am 30.10.1905 nochmals Gertrud Arnold („Hidalla [...]. Letztes Auftreten von Gertrud Arnold“), die sich am 31.10.1905 vom Kleinen Theater verabschiedete („Abschiedsabend von Gertrud Arnold“). Tilly Wedekind erinnerte sich: „Wedekind hatte mich gleich am Anfang für die weibliche Hauptrolle haben wollen, war aber mit diesem Wunsch nicht durchgedrungen“; sie „übernahm“ dann aber doch „diese Rolle, die mir außerordentlich lag.“ [Wedekind 1969, S. 53f.] zu Mädchenhaft, zu wenig weiblich bin. Ach, bitte, beruhigen Sie ihn doch darüber! LuluHauptfigur in Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903), die Tilly Newes in der Wiener Inszenierung gespielt (in geschlossenen Vorstellungen am 29.5.1905 und 15.6.1905) und Wedekind dadurch kennengelernt hat. braucht doch auch starke Weiblichkeit, u. ich glaube, das bet/s/itze ich | in hohem Maße, wenn ich auch sehr jung u. sehr schlank bin. Machen Sie ihm das doch begreiflich.

Leider scheint er doch zu ahnen, dass ich Ihnen, wie soll ich sagen, – auch sonst „sympatischSchreibversehen, statt: sympathisch.“ bin, auch macht er sich von der Fanny scheinbar eine andre Vorstellung wie Sie. Aber dies alles wird ihn hoffentlich nicht hindern, mich zu engagieren. Er will morgen | in Berlin mit meinem Director telephonisch sprechen, der leider in StraßburgOtto Ploecker-Eckardt war Direktor des Frankfurter Residenztheaters und zugleich Direktor des Uniontheaters in Straßburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 378]. ist u. wird mir dann telegraphieren.

Ich brauche Sie wohl nicht aufmerksam zu machen, von meinem Briefe zu schweigen; er wird ja wohl gleich selbst von mir sprechen, u. dann lieber Wedekind, beweisen Sie ihm möglichst unauffällig, dass ich genügend Weib bin, um die Fanny zu spielen. Ich möchte so gern. Aber jetzt, Lebwohl, es ist schon 1 Uhr! Herzlichst
Ihre Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 16. Oktober 1905 in Frankfurt am Main folgende Kartenbrief
an Frank Wedekind

Berlin N.W.
Schiffbauerdamm 6 IIirrtümlich 2. Stock geschrieben; Wedekind wohnte im 3. Stock (Schiffbauerdamm 6)..
Herrn Frank Wedekind |


Lieber Wedekind,

Hurrah – nach Berlin!

Ich komme Mittwochder 18.10.1905. Wedekind notierte an diesem Tag: „Ankunft von Tilly Newes“ [Tb]. im Laufe des Tages, telegraphiereTilly Newes’ Telegramm an Victor Barnowsky, Direktor des Kleinen Theaters in Berlin, ist nicht überliefert. noch Barnowsky meine Ankunft. |

Ihre Tilly


Montagder 16.10.1905..

Tilly Wedekind schrieb am 23. Oktober 1905 in Berlin
an Frank Wedekind

Lieber Wedekind, bitte kommen Sie lieber zu mir, es ist Ihnen doch alles eins u. mir ist es bequemer. Wir werden in meinem | TILLY NIEMANN Zimmer sicher nicht gestört.

Also auf Wiedersehn, um welche Zeit Sie wollen. ./.‚gegen‘ ‒ dies bedeutet üblicherweise der Schrägstrich in Verbindung mit zwei Punkten, hier wohl im Sinne eines Gedankenstrichs oder als Signal für: bitte wenden.

Tilly Wedekind schrieb am 2. November 1905 in Berlin
an Frank Wedekind

Du, die BillettsTheaterkarten für die Doppelvorstellung von Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ (1899) und Björnstjerne Björnsons Zweiakter „Die Neuvermählten“ (1865) am 2.11.1905 am Deutschen Theater in Berlin. Die Presse berichtete: „Im Deutschen Theater wurden gestern Björnsons ‚Neuvermählte‘ und Wedekinds ‚Kammersänger‘ in den Spielplan aufgenommen. Die vorgenommenen Neubesetzungen erwiesen sich als sehr glücklich, und besonders der Kammersänger von Paul Biensfeldt und die Helene Marowa in der Darstellung von Tilla Durieux fanden die verdiente Anerkennung.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 562, 3.11.1905, Abend-Ausgabe, S. (2)] Weitere Vorstellungen fanden am 6. und 8.11.1905 statt. die man uns geschickt hat, sind ja für Donnerstagder 2.11.1905.! Ich lege sie bei! Wenn Du mir was sagen lassen willst, ich | TILLY NEWES
ich warte solange.

Herzlichst ./.‚gegen‘ ‒ dies bedeutet üblicherweise der Schrägstrich in Verbindung mit zwei Punkten, hier wohl im Sinne eines Gedankenstrichs oder als Signal für: bitte wenden.

Tilly Wedekind schrieb am 15. November 1905 in Berlin folgenden Zettel
an Frank Wedekind

IduschkaIda Orloff – sie „wurde allgemein ‚Iduschka‘ genannt“ und war eine ihrer „besten Freundinnen“ [Wedekind 1969, S. 40], erinnerte sich Tilly Wedekind – hatte am 29.5.1905 in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ die Rolle der Kadidja di Santa Croce gespielt [vgl. KSA 3/I, S. 548]; Frank Wedekind hat sie in diesem Zusammenhang kennengelernt. hatte leider schon ihrem BruderRudolf Weißbeck (Rudolf Siegler von Eberswald), k.k. Leutnant aus Wien, war zu Besuch bei seiner Schwester Ida Orloff in Berlin. versprochen in den WintergartenDer Wintergarten in Berlin (Dorotheenstraße 25-29) war ein 2.200 Personen fassendes Varietétheater [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Anhang: Wegweiser für die Reise, S. 51], Geschäftsführer: Max Winter und Eduard Elkan [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 2495], das gerade eine besondere Attraktion hatte, wie die Presse berichtete: „Im Wintergarten übt la belle Otéro, deren Name über die ganze Welt bekannt ist, einen fascinirenden Zauber aus. Mit echt südlichem Temperament und entzückender Grazie singt, tanzt und spielt die Spanierin.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 533, 12.11.1905, Morgen-Ausgabe, S. 6] Die als Ikone der europäischen Belle Époque berühmte spanische Tänzerin Agustina del Carmen Otero Iglesias – Künstlername: La Belle Otéro – stand auch am 15.11.1905 auf dem Programm. Während Tilly Newes im Kleinen Theater auf der Bühne stand (siehe unten), ging Wedekind allein in den Wintergarten, wie er am 15.11.1905 notierte: „Im Wintergarten treffe ich Albert Heine und Saufe mit ihm die ganze Nacht bei Habel Stallmann und im Lindenkasino.“ [Tb] Mit Tilly Newes besuchte er das Varietétheater dem Tagebuch zufolge dann am 23.11.1905 („Abends mit Tilli und Ihrer Mutter im Wintergarten“) und 15.12.1905 („Mit Tilly im Wintergarten“). zu gehen, also ist nichts für heute. Und ich habe ja ganz vergessen, dass heute GhettoTilly Newes spielte in dem Trauerspiel „Ghetto“ (1898, deutsch 1903) von Herman Heijermans, das am 11.11.1905 am Kleinen Theater in Berlin Premiere gehabt hatte, die Rolle der Rose, „das Christenmädchen, die weibliche Hauptrolle“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 46]; sie hatte ganz vergessen, dass am 15.11.1905 (Mittwoch) anstatt am 14.11.1905 (Dienstag) eine Vorstellung angesetzt war: „Im Kleinen Theater findet in Abänderung des Spielplanes die nächste Aufführung des Trauerspiels ‚Ghetto‘ von Heyermans am Mittwoch statt. Dienstag wird Wedekinds ‚Hidalla‘, mit dem Autor in der Hauptrolle, gegeben. Weitere Wiederholungen von ‚Ghetto‘ folgen am Donnerstag, Sonnabend, Sonntag Abend und nächsten Montag“ [Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 581, 14.11.1905, Morgen-Ausgabe, S. (3)]. Die Presse urteilte, „Tilli Niemann“ sei als Rose anfangs gut gewesen „im Offenbaren scheuer Befangenheit, verhaltener und gedämpfter Innigkeit des Gefühls. Später, als die Leidenschaft ihr Recht verlangte, wollten die Mittel der sympathischen Anfängerin noch nicht recht ausreichen“ [M.J. (= Monty Jacobs): Zum ersten Male: Ghetto, ein Trauerspiel in drei Aufzügen von Hermann Heyermans. In: Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 578, 12.11.1905, Sonntags-Ausgabe, S. (2)]. „Nur Tilli Niemann fand in der Rolle der armen gequälten christlichen Magd so schlichte Töne, die zum Herzen gingen.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 533, 12.11.1905, Morgen-Ausgabe, S. 7] „Tilli Niemann hob die undankbare Rolle des Dienstmädchens durch die schlicht sympathische Art ihrer Darstellung.“ [Unterhaltungsblatt des Vorwärts, Jg. 22, Nr. 222, 14.11.1905, S. 888] Wedekind hat die Premiere besucht und war anschließend mit Tilly Newes zusammen, wie er am 11.11.1905 notierte: „Abends Premiere von Ghetto. Nachher mit Tilly [...] bei Habel dann Stallmann. Tilli kommt zu mir, bleibt bis 7.“ [Tb] ist u. ich spiele! Hoffentlich findest Du diese Zeilen, damit Du nicht umsonst zu mir gehst.

Herzlichst Tilly

Frank Wedekind schrieb am 29. November 1905 in Berlin folgenden Zettel
an Tilly Wedekind

Liebe Tilli, ich bitte dich zu mir herüberTilly Newes wohnte in Berlin Mitte (NW 6) in der Pension von Marie Hönike (Albrechtstraße 11) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 897], Wedekind um die Ecke in der Pension Nolte (Schiffbauerdamm 6) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 1598]. zu kommen. Aber gleich.

Frank

Frank Wedekind schrieb am 6. Dezember 1905 in Berlin folgenden Zettel
an Tilly Wedekind

Mein liebes Kind,

ich hole Dich um 7 Uhrum 19 Uhr. Wedekind notierte am 6.12.1905: „Nach dem Theater große Gesellschaft im Prinzen Wilhelm. Hermann Bahr, Martersteig, Holländer, Kahane, Siegfried Jakobson, Fritsch, Orlik, Tilly und ich. Sie bleibt die ganze Nacht bei mir“ [Tb]. Das Theater war das Kleine Theater, wo Otto Erich Hartlebens Komödie „Angele“ (1891) auf dem Programm stand, in der Tilly Newes die Titelrolle spielte [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 1.1.1906]; die Vorstellung begann um 20 Uhr [vgl. Berliner Morgenpost, Jg. 8, Nr. 286, 6.12.1905, 2. Beilage, S. (2)]. Danach war Wedekind mit ihr auf der Gesellschaft im Restaurant Prinz Wilhelm in Berlin (Dorotheenstraße 16, 1. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 908]. in Deiner WohnungTilly Newes wohnte in Berlin N.W. in der Albrechtstraße 11 [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 20.2.1906]; in dem Haus gab es drei Pensionen, Hotel und Pension von Elisa Herpich (vormals „Frau Dr. Elise Müller“) im 2. Stock, das Pensionat von Marie Hönike und das Pensionat von Bertha Schleth [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil III, S. 11], wobei Tilly Newes bei Marie Hönike (Albrechtstraße 11, Hochparterre) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 897] in Untermiete gewohnt haben dürfte, wie der weitere Kontakt mit der Pensionsbetreiberin nahelegt [vgl. Marie Hönike an Wedekind, 10.1.1907]. ab. Die HerrenDas waren Wedekinds Tagebucheintrag vom 6.12.1905 zufolge (siehe oben) außer ihm selbst Herren vom Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt), so die drei Dramaturgen Felix Hollaender, Arthur Kahane und Efraim Frisch (Leiter der Schauspielschule) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 271], oder im Umkreis des Deutschen Theaters, so Hermann Bahr (er war dann als Regisseur am Deutschen Theater tätig) und Emil Orlik (er war dann als Bühnenbildner für das Deutsche Theater tätig), außerdem der Theaterleiter Max Martersteig (erster Ehemann von Gertrud Eysoldt) und der Journalist Siegfried Jacobsohn (Herausgeber der Zeitschrift „Die Schaubühne“). erscheinen im Frack.

Besten Gruß
Frank

Frank Wedekind schrieb am 28. Dezember 1905 in Berlin folgenden Brief
an Tilly Wedekind

Liebe Tilly,

ich bin in einer so unbehaglichen StimmungWedekinds Gedanken waren dem Tagebuch zufolge seit dem 15.12.1905 („Bertha Marias Geburtstag“) bei Berthe Marie Denk, von der er am 17.12.1905 einen gemeinsam mit Karl Kraus Brief geschrieben Brief erhalten hat („Brief von Kraus und Bertha Maria“) [vgl. Karl Kraus, Berthe Marie Denk an Wedekind, 16.12.1905], der ihn beschäftigt haben dürfte, und am 28.12.1905 einen weiteren Brief („Am Morgen erhalte ich einen Eilbrief von B M.D. sie will auf Neujahr hier sein“), in dem sie in den nächsten Tagen eine Reise zu ihm nach Berlin ankündigt [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 27.12.1905], der ihn erst recht in eine unbehagliche Stimmung versetzt haben dürfte. daß ich den Abend gerne allein bleibeWedekind hat den Abend des 28.12.1905 nicht mit Tilly Newes verbracht.. Ich bitte Dich, mir deshalb nicht zu grollen.

Herzlichst Frank

Tilly Wedekind schrieb am 1. Januar 1906 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank, ich werde versuchen es niederzuschreiben, sagen kann ich es nicht, weil ich immer fürchte, Du lachst mich aus. Zuerst war es, wie es immer ist, ein Bischen Zuneigung, viel Sinnlichkeit u. viel Eitelkeit. Aber mit jedem Tag wurde es anders. Und ich habe mich auch schon sehr verändert. Sagst Du nicht selbst, ich sei jetzt anders wie in WienAnspielung auf die von Karl Kraus organisierte Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905, bei der Tilly Newes die Hauptrolle der Lulu und Wedekind die Rolle des Jack spielte und beide sich kennengelernt haben., energischer selbstbewuß/s/ster. Ich bin es nur durch Dich geworden. Ohne | Dich wäre es mir nicht gelungen, mich soweit von meiner Familie frei zu machen. Wenn ich jetzt heiter sein kann, über dies u. das reden, von meiner Familie, von so vielen, kleinen Erlebnissen, ich kann es nur durch Dich. Wenn Du mich gesehen hättest wie still ich in Paul’s GesellschaftPaul Eger, der ehemalige Geliebte oder Verlobte von Tilly Newes; unklar ist, seit wann er in Berlin war. war, es ist kein Wunder, dass er mich für nicht klug hielt, sagen wir dumm. Ich will Dir mit allem Freude machen, Dir gefallen, Dich unterhalten. Ich habe jede Sentimen|talität ängstlich vermieden, ich glaubte Du magst das nicht.

Das gieng so bis meine Mutter kamDas genaue Datum der Ankunft von Mathilde Newes in Berlin ist unklar; sie hat ihrer Tochter bereits in Frankfurt am Main Gesellschaft geleistet [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 13.10.1905]. Wedekind notierte im Tagebuch ihre Anwesenheit in Berlin im Beisammensein mit ihrer Tochter (fast immer nach „Hidalla“-Vorstellungen, in denen er auftrat) am 17.11.1905 („Hidalla [...] Nachher mit Tilly und ihrer Mutter bei Aschinger“), 21.11.1905 („Hidalla [...] nachher mit Tilly und ihrer Mutter Weinstube Aschinger“), 23.11.1905 („Abends mit Tilli und Ihrer Mutter im Wintergarten“) und 28.11.1905 („Hidalla [...] Nachher mit Tilly und ihrer Mutter bei Kempinsky und im Café de l’Opera“)., u. dann schicktest Du mich weg, ich glaube an den Tag werde ich immer denken! Du sagst, es hat mich ordentlich zusammen gerüttelt, u. Du glaubst, das kam nur von gekränktem Ehrgeiz, oder so etwas? Wie D ich von Dir gieng, war mir ganz eigen, schwindlig, unklar. Was jetzt? Es war so tot, so leer, nichts gar nichts. Ich habe nicht geweint, u. nichts geredet, ich lief in meinem Zimmer hin u. her – | Es ist nicht möglich, es ist nicht möglich. Ich lief immer hin u. her u. hatte Fieber. Ich will gar nichts mehr, er glaubt nicht an deine Fähigkeiten, wie hättest Du dann den Mut daran zu glauben. Wie hättest Du ohne diesen Glauben hier je spielen können, wie hättest du den Mut gehabt; u. alles andre ebenso, nur durch ihn. Und jetzt ist das nicht mehr, also was nun? Und du hast ihm nie gezeigt, dass du keinen Mut hast u. dass du nicht an dich glaubst, nur um ihm zu gefallen. Und jetzt meint er, du siehst | an allen andern Leuten Fehler nur an D/d/ir nicht. Und er glaubt nicht, dass D/d/u eine Künstlerin werden kannst. Ist das das Höchste was du für ihn sein könntest? Und wie gern will ich dann alles dran setzen, schon um ihm zu gefallen, um ihm etwas zu sein. Aber jetzt hab’ ich ja gar keinen Mut u. keine Kraft mehr. Also Schluss machen, irgend ein Ende, gleichviel wie. Und die Mutter gleich fort, sie soll es nicht miterleben, u. sie ist ja immer im Wege! Und abends kam IduschkaIda Orloff spielte am 29.5.1905 in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ die Rolle der Kadidja di Santa Croce [vgl. KSA 3/I, S. 548] – Wedekind hat sie in diesem Zusammenhang kennengelernt. Tilly Wedekind erinnerte sich: „Sie wurde allgemein ‚Iduschka‘ genannt“ und sei eine ihrer „besten Freundinnen“ [Wedekind 1969, S. 40] gewesen.. | „Du hast ja Fieber, was hast du für Augen, lach’ nicht so gräßlich, rede doch um Gottes Willen was ist denn geschehen?“

Es ist aus, er glaubt nicht an mich, nun kann ich nicht mehr. „Du bist verrückt, jetzt erst recht solltest du zeigen, ich kann etwas“ Ja, wer so sicher wäre wie du, wer so an sich glauben könnte, – „Nur so kannst Du ihn zurückgewinnen!“ Ach, wenn das gienge!! – Aber Mama muss so oder so weg, Mama, Du musst weg, es geht nicht anders. Du musst. „Gut, ich seh’ D/d/u bist nicht glücklich, vielleicht ist es gut, ich gehe.[“] |

Abends Ghettowohl die Vorstellung vom 29.11.1905. Tilly Newes spielte in dem Trauerspiel „Ghetto“ (1898, deutsch 1903) von Herman Heijermans, das am 11.11.1905 am Kleinen Theater in Berlin Premiere hatte, die weibliche Hauptrolle der Rose; weitere Vorstellungen gab es am 12.11.1905, am 15. und 16.11.1905, vom 18. bis 20.11.1905, am 25. und 26.11.1905, am 29.11.1905, 7.12.1905 und 11.12.1905 sowie zusätzlich ‒ „Im Kleinen Theater gelangt in Abänderung des Spielplans nächsten Sonnabend ‚Ghetto‘ zur Aufführung. An allen vorhergehenden Abenden wird Frank Wedekinds ‚Marquis von Keith‘ mit dem Dichter in der Titelrolle gegeben.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 595, 20.12.1905, Morgen-Ausgabe, S. 7] ‒ am 23.12.1905 (Samstag). Wedekind hat die Premiere besucht und war anschließend mit Tilly Newes zusammen, wie er am 11.11.1905 notierte: „Abends Premiere von Ghetto. Nachher mit Tilly Orlik Sulzberger Donald und Lanz bei Habel dann Stallmann. Tilli kommt zu mir, bleibt bis 7.“ [Tb]! Es gieng sehr gut. Im letzten Act packte es mich, ich schüttelte mich vor Schluchzen u. Weinen. Donnerstagder 30.11.1905 – Abreisevorbereitungen von Mathilde Newes. ein hin u. her laufen, Mama reisefertig machen. Freitagder 1.12.1905 – Abreise von Mathilde Newes von Berlin zurück nach Graz. Früh fährt sie weg. Gott sei Dank; ich atme auf. Als ich mit ihr im Wagen sitze, sehe ich ein Geschäft, Waffen. Beim zurück kommen, geh ich hinein u. kaufe einen RevolverDer Revolver ist ein symbolträchtiges Requisit in Wedekinds Schauspiel „Der Marquis von Keith“ – am Schluss des 5. Akts betrachtet der Marquis von Keith unschlüssig den Revolver, erschießt sich aber nicht, grinst und meint: „Das Leben ist eine Rutschbahn...“ [KSA 4, S. 228], das Schlusswort im Stück. für – den Marquis v. Keith.

Dann denke ich, ich muss es erst versuchen, will Barnowsky um | eine Rolle bitten, aber wenn ich seh’ es nützt nichts; oder ich habe zu wenig Mut, ist immer gut, wenn man das Ding hatte. Ich komm nach Hause; Angele soll ich spielenTilly Newes sollte die Titelrolle in Otto Erich Hartlebens Komödie „Angele“ (1891) spielen [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 23.9.1905], die seit dem Frühjahr (Premiere: 4.2.1905) auf dem Spielplan des Kleinen Theaters in Berlin stand und aktuell gespielt wurde; die nächsten Vorstellungen waren am 5. und 6.12.1905, 9.12.1905 sowie nachmittags am 17.12.1905. Tilly Wedekind erinnerte sich daran, die Rolle gespielt zu haben [vgl. Wedekind 1969, S. 55]., Gott sei Dank eine Gelegenheit, u. der Hermann CasimirFigur aus dem „Marquis von Keith“, in der Berliner Premiere am 13.12.1905 von Tilly Newes gespielt (siehe unten).! Wenn Du mich jetzt sehen würdest, Du würdest nicht sagen, ich habe keinen Ehrgeiz! Und heute Hidallawohl die „Hidalla“-Vorstellung am 8.12.1905 (die letzte in diesem Jahr). Wedekind notierte an diesem Tag dreimal Tilly Newes: „Nachmittags mit T.N. im Deutschen Theater wo uns Buck die Perücken anprobirt. [...] Hidalla [...]. Nachher mit T.N. und Felix Holländer bei Habel. T. kommt zu mir.“ [Tb]! Und ich arbeite den ganzen Tag. Und nun soll ich Dich wiedersehn, ich kann es nicht ertragen u. ich sehne | mich doch so sehr danach! Du trittst auf, ich muss mich in Acht nehmen, dass ich ruhig bleibe u. nicht aufschluchze. Im II. Act.Es folgt ein Zitat aus „Hidalla“, 2. Akt (Figurenrede Fanny Kettler): „Nein, nein! Lassen Sie mich das nicht hören! Gehe ich den Weg, den Sie in Ihrem Kopfe ausgedacht, dann bedarf das größerer Kraft, als wenn ein leichtherziges Geschöpf ihn geht! Fußtritte verdiene ich nicht, auch wenn es genügt, Weib zu sein, um in Ihrem Geiste zu leben!“ [KSA 6, S. 65] „Nein, nein lassen Sie mich das nicht hören, gehe ich den Weg so bedarf das größerer Kraft, Fußtritte verdiene ich nicht“

Mir ist, als könnte ich nicht mehr weiter spielen.

Im III. Act.Es folgt ein Zitat aus „Hidalla“, 3. Akt (Figurenrede Fanny Kettler): „Und mich haben Sie dazu ausersehn! Mich halten Sie für das grauenvolle Ungeheuer, das eine Ermordung kalten Blutes miterlebt?!“ [KSA 6, S. 81] „Und mich halten Sie für das grauenvolle Ungeheuer“ und in meiner Hand fühle ich den Revolver u. ziele, auf Dich oder mich | Und im V. Act. Da sind auf einmal keine Menschen da, u. ich bin nicht auf der Bühne, ich bin in Deinem Zimmer u. niemand ist da als Du u. ich. Und ich kann Dir alles, alles sagen, was ich neulich nicht aus der Kehle brachte, – „von Dir muss mein Leben kommen, von Dir muss es kommen, von Dir“ Ich ersticke fast vor Tränen.

Und ich gehe mit Dir u. SandrockWedekinds Tagebuch gibt keinen Hinweis auf einen gemeinsamen Heimweg mit Tilly Newes und Adele Sandrock nach einer „Hidalla“-Vorstellung im Kleinen Theater. nach Hause u. habe die Empfindung, er glaubt, | vielleicht ist doch noch was aus ihr zu machen. Aber er hat nicht gefühlt, dass ich heut abend mit jedem Wort schrie: ich habe Dich lieb, ich hab’ Dich so unendlich lieb. Und ich saß zu Hause u. dachte, jetzt kann noch alles gut werden, aber er liebt D/d/ich nicht, u. war traurig. Und ich wollte Dir nicht nachlaufen, nur weil ich fürchtete es könnte Dir missfallen u. Dich erst recht von | mir entfernen.

Und als Du kamst war ich schwach u. glücklich u. stiller. Du hast selbst gesagt ich sei stiller. Ich fürchtete sehr, Dir oberflächlich vorzukommen, u. es war mir ja auch lieber, wenn ich stiller sein durfte. Und dann kam „Marquis“Wedekinds Schauspiel „Der Marquis von Keith“ hatte am Kleinen Theater in Berlin am 13.12.1905 Premiere: „Durchfall des Marquis von Keith [...]. Nach der Vorstellung mit Kuhnert seiner Frau und Tilly bei Habel. Tilli kommt zu mir“ [Tb]; er spielte die Titelrolle, Tilly Newes die Rolle des Hermann Casimir, die eine weibliche Besetzung verlangte [vgl. KSA 4, S. 560]. u. jetzt war ich krankWedekind notierte im Tagebuch die Erkrankung von Tilly Newes – am 17.12.1905 („Tilli [...] hat starkes Fieber“), 18.12.1905 („Tilli leidet an Angina“), 20.12.1905 („Marquis v Keith [...]. Nachher mit Tilly bei Habel. Sie kommt zu mir. Morgens um 6 Uhr begleite ich sie nach Haus. Sie hat starkes Fieber“), 23.12.1905 („T hat eine Mittelohrentzündung, wird geschnitten. Abends fahr ich mit ihr zu Dr. Flatau“), 24.12.1905 („Fahre mit Tilly zu Dr. Flatau. Sie leidet fürchterlich auf dem Heimweg und zu Hause. Ich bleibe bis 9 Uhr bei ihr“), 25.12.1905 („mit Tilli zu Dr. Flatau“), 29.12.1905 („mit Tilly beim Arzt“) und 30.12.1905 („Ich begleite Tilli zum Arzt“).. Und weil Du so lieb u. gut warst mit mir, u. Dich so freutest als ich wohler wurde, dachte ich, er hat Dich doch lieb. Und wenn Du fort warst lag ich still, lächelte u. hatte Tränen im Auge. |

Und sah Dein BildTilly Newes hatte sich ein Foto von Wedekind gewünscht [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.8.1905 und 23.9.1905], das sie inzwischen erhalten haben dürfte. Sie und Wedekind haben sich seinem Tagebuch zufolge in Berlin außerdem von der Fotografin Aura Hertwig aufnehmen lassen – am 23.11.1905 („Tilli und ich fahren zu Frau Hertwich, die uns beide nackt photographiert“) und 29.11.1905 („Wir werden auf meinem Zimmer photographiert“); die Fotos hat Wedekind ihr am 2.12.1905 gebracht („Ich hole die Photographien bei Aura Hertwich und bringe sie Tilly Newes“). an, u. dachte: Du Lieber, Du Gutervgl. „Der Marquis von Keith“ (1901), 3. Akt (Molly Griesinger zum Marquis von Keith): „MOLLY (fällt ihm leidenschaftlich um den Hals und küßt ihn ab) – Du Lieber! – Du Großer! – Du Guter!“ [KSA 4, S. 200] Das wiederum war eine Anspielung an Gerhart Hauptmanns „Einsame Menschen“ (1891), 2. Akt, in dem Käthe Vockerat beim Abschiednehmen („An Johannes’ Halse“) sagt: „Du Lieber! Guter!“. Und heute hast Du mir das alles wieder fortgenommen, ich verstehe Dich nicht mehr, ich verstehe mich nicht mehr. Ist denn das alles Einbildung?

Ich quäle mich sehr u. kann nicht herausfinden.

Und die Tränen waren Freude, über meine IlusionSchreibversehen, statt: Illusion., dass wir uns lieb haben.

Und wenn ich Dich nicht mehr sehe, dass kann nicht aufhören. | Versuche es doch mal, u. stelle mich auf eine Probe.

Und wenn Du fort bist, wer soll denn dann der Nächste sein? Und wann denn schon? Wie werde ich wohl über Dich reden?

Müsste ich denn dann nicht denken, alles ist Komödie, u. ich selbst bin auch eine Komödiantin u. Du wohl auch?

Sag’ mir doch Frank, was ich tun soll!

Tilly Wedekind schrieb am 30. Januar 1906 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank,

Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mir seit heute morgenWedekind hat Tilly Newes am 30.1.1906 morgens gesehen und ging dann zu einer Probe von Hugo von Hofmannsthals Drama „Ödipus und die Sphinx“ (Uraufführung unter der Regie von Max Reinhardt war am 2.2.1906, die Musik hat Wedekinds alter Freund Oskar Fried komponiert, die Rolle der Antiope spielte Wedekinds Vertraute Adele Sandrock) in das Deutsche Theater (Wedekind hatte am 21.12.1905 einen Schauspielervertrag mit der Direktion des Deutschen Theaters abgeschlossen, gültig ab dem 1.10.1906), wie er im Tagebuch notierte („Tilly kommt. Probe von Ödipus“). Ob die Konfliktszene zwischen ihm und Tilly Newes sich bei dieser Probe ergab oder davor, ist unklar. Wedekind verbrachte den Abend jedenfalls ohne sie (er besuchte das Gastspiel der Tänzerin Isadora Duncan im Theater des Westens und war anschließend allein in einer Kneipe), wie er weiter notierte („Abends bei Isadora Dunkan Nachher allein im Weihenstephan“). Die Versöhnung zwischen ihm und Tilly Newes dürfte am 31.1.1906 stattgefunden haben, denn da verbrachte er den Abend wieder mit ihr. zu Mut ist! Ich habe Dir Unrecht getan, es war rücksichtslos von mir. Aber ich hoffe immer Du wirst es mir vergeben; deshalb bin ich doch noch immer Tilly Newes, deshalb hab’ ich Dich doch noch immer so lieb.

Mein Gott was soll ich Dir | denn sagen, ich glaub’ ich kann nicht leben ohne Dich. Aber es würde mir bei Dir nur schaden, wenn ich Dir nachlaufe. Wenn Du das Geringste für mich empfindest, so wirst Du mich eines Fehlers wegen, nicht von Dir stoßen.

Ich gebe Dir alles was ich zu geben habe, aber dafür will ich auch Dich, Dich Frank.

Lebwohl, Deine Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 13. Februar 1906 in Berlin folgenden Zettel
an Frank Wedekind

Lieber Frank,

mir war sehr leid, dass Du mich nicht getroffen hast. Willst Du zu mir zum Thee kommenWedekind notierte am 13.2.1906: „Bei Tilli zum Thee.“ [Tb]? Du könntest mir auch die Packet-AdresseWedekinds Geliebte Berthe Marie Denk, die am 14.1.1906 schwerkrank mit dem Nachtzug von Berlin zurück nach Wien gefahren ist (diese von ihr gewünschte Reise hatte Wedekind, bei dem sie in Berlin wohnte, organisiert), wo sie am 15.1.1906 vom Sanitätsdienst der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft [vgl. Wedekind an Wiener Freiwillige Rettungsgesellschaft, 14.1.1906] empfangen wurde, der sie zunächst in ihre Wohnung (Wien V, Kettenbrückengasse 21) transportierte, wurde von dort noch am selben Tag in das Wiener Sanatorium Dr. Anton Loew (Wien IX, Mariannengasse 20) gebracht, wo sie sich noch immer aufhielt – ihre aktuelle Adresse. für Berthe Maria mitbringen.

Deine Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 20. Februar 1906 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Dienstagder 20.2.1906..


Mein lieber, guter Frank,

ich muss Dir doch ein paar Zeilen schreiben. Ich war heute Mittags bei GreveJulius Greve war Regierungs- und Baurat im Polizeipräsidium Berlin und wohnte in Charlottenburg (Rankestraße 31/32) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 664]. „Herrn und Frau Regierungsrat Greve (Berlin) hatte Tilly Newes 1904 während eines Sommeraufenthalts in Seiß (Tirol) kennen gelernt. Als Tilly nach Berlin kam, wurde sie von Greves gastfreundlich aufgenommen“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 48]. Sie erinnerte sich an das befreundete Ehepaar, an den „Regierungsrat Grewe und seine hübsche Frau“, sie „schloß mich ins Herz. Wieviel Freude sollte mir diese Freundschaft noch bringen!“ [Wedekind 1969, S. 24f.] u. hab’ mich so über Dich gefreut! Dein Briefvgl. Wedekind an Julius Greve, 18.2.1906. – Dem Brief vorangegangen waren turbulente Ereignisse, die in Wedekinds Tagebuch skizziert sind. Tilly Newes wünschte eine Heirat mit Wedekind und unternahm am 16.2.1906 einen Selbstmordversuch („Tilly springt in die Spree“), erholte sich am 17.2.1906 („Bringe Tilli nach Hause und bleibe den ganzen Tag bei ihr“) und am 18.2.1906 wurde sich verlobt, wie Wedekind dem Regierungsrat, der dann einer der Trauzeugen war, mitteilte („Benachrichtige Regierungsrat Greve von unserer Verlobung“). ist zu lieb! Ich verdiene Dich ja gar nicht Frank! Greve’s war ich zu wenig glückstrahlende | Braut, nun, sie wissen ja auch nicht so genau Bescheid u. dann kann ich leider, oder Gott sei Dank meine Gefühle vor fremden Leuten nicht herumtragen. Adele hab’ ich leider nicht getroffenAdele Sandrock wohnte seinerzeit noch im Central-Hotel in Berlin (Friedrichstraße 143-149) – zusammen mit ihrer Mutter Johanna Simonetta Sandrock (geb. ten Hagen) und ihrer Schwester Wilhelmine Sandrock. Wedekind hatte Adele Sandrock nach dem Selbstmordversuch von Tilly Newes am 16.2.1906 aufgesucht, um sich „Unterstützung und Rat“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 14] bei ihr zu holen, außerdem am 18.2.1906: „Besuch bei Adele.“ [Tb], ihre Mutter hatt mich gebeten ja sicher morgen zu kommen, u. so gieng ich mit meinem | übervollem Herzen zu IduschkaIda Orloff, „allgemein ‚Iduschka‘ genannt“ und eine der „besten Freundinnen“ [Wedekind 1969, S. 40] von Tilly Newes, wohnte mit ihrer Mutter Ida Siegler von Eberswald in einer Hinterhauswohnung in Moabit (Thomasiusstraße 15, 2. Gartenhaus) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 2154; vgl. Wedekind an Ida Orloff, 22.12.1905].. Da kamen denn endlich die erlösenden Tränen, sie hat sich so aufrichtig u. herzlich gefreut u. mir ist jetzt viel wohler.

Das Nähere erzähle ich Dir übermorgenam 22.2.1906. Wedekind ist dem Tagebuch zufolge am 21.2.1906 um 22 Uhr von Frankfurt am Main abgereist („10 Uhr Rückfahrt nach Berlin“), war am 22.2.1906 morgens zurück in Berlin und suchte Tilly Newes gleich auf („Ankunft in Berlin. Besuch bei Tilly“).. Hast Du die Nachricht wegen Dir. Reusch in HannoverHubert Reusch war Direktor des Deutschen Theaters in Hannover und führte dort die Oberregie [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 417]. Wedekind hatte bei ihm dann am 12.5.1906 ein „Hidalla“-Gastspiel: „Wir fahren nach Hannover. [...] Hidalla [...] im Deutschen Theater.“ [Tb] erhalten? Siehst Du, es soll schon sein, dass Du bald nach Han|nover fährst.

Ich hab’ jetzt furchtbar viele gute Sachen gegessen und lege mich gleich in’s Bett.

Gestern Nacht träumte ich wieder von uns u. von Deiner Schwester aus der SchweizFrank Wedekinds jüngste Schwester Emilie (Mati) Wedekind wohnte seinerzeit bei ihrer Mutter in Lenzburg.. Die war übrigens im Traum nicht sehr vorteilhaft.

Ich möchte Dir noch so viele, viele liebe Sachen sagen, will Dich aber nicht verwöhnen.

Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 20. Februar 1906 in Frankfurt am Main folgende Bildpostkarte
an Tilly Wedekind

Fräulein
Tilly Newes-Niemann
Berlin N.W.
Albrechtstrasse 11.


Postkarte
Nur für Mitteilungen


Mein Augapfel! Geliebte Tilly! Ich denke Deiner jeden Augenblick. KlaarWedekind hat Emil Claar, den Intendanten des Schauspielhauses in Frankfurt am Main [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 375], außerdem Schauspieler und Schriftsteller, am 20.2.1906 besucht, wie er im Tagebuch festhielt („Besuch bei Intendant Klaar“). läßt Dich herzlich grüßen.

Herzinnigst
Frank |


Frankfurt a. M.Wedekind war vom 19. bis 21.2.1906 wohl auf Einladung der Gesellschaft für ästhetische Kultur [vgl. Wedekind an Gesellschaft für ästhetische Kultur, 18.6.1904] zu einem Vortrag in Frankfurt am Main. Er notierte am 20.2.1906: „Wohne Frankfurter Hof. Besuch bei Intendant Klaar Dinire im Hotel Vortrag in der Frankfurter Loge. Mit der Gesellschaft für ästätische Kultur im Rathskeller. Eingenommen M. 300“ [Tb]. Alemannia

Frank Wedekind schrieb am 11. April 1906 in Berlin folgenden Zettel
an Tilly Wedekind

Meiner geliebten Tilly die herzlichsten Glückwünsche zu | ihrem zwanzigsten Geburtstag!

Tilly Wedekind schrieb am 18. April 1906 in Berlin
an Frank Wedekind

Lieber FrankTilly Newes hat Wedekind ein weiteres fast gleichlautendes Billet geschrieben [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.4.1906]., Adele schreibt mir da, dass sie krank ist, u. ich um 6 Uhrum 18 Uhr. kommen möchte. Willst Du mich also von da holenvon Adele Sandrock, die in Berlin nicht mehr im Central-Hotel (Friedrichstraße 143-149) wohnte, sondern gerade in ihre dann langjährige Wohnung in Charlottenburg (Leibnizstraße 60) gezogen oder im Umzug begriffen war. Wedekind kam dem Wunsch von Tilly Newes nach, wie er am 18.4.1906 im Tagebuch notierte: „Hole Tilly bei Adele ab.“? Möglichst bald!! | TILLY NEWES

Deine Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 18. April 1906 in Berlin
an Frank Wedekind

Lieber FrankTilly Newes hat Wedekind ein weiteres fast gleichlautendes Billet geschrieben [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.4.1906]., Adele ist krank u. hat mich gebeten um 6 Uhrum 18 Uhr. zu kommen. Willst Du so lieb sein mich von da abzuholenvon Adele Sandrock, die in Berlin nicht mehr im Central-Hotel (Friedrichstraße 143-149) wohnte, sondern gerade in ihre dann langjährige Wohnung in Charlottenburg (Leibnizstraße 60) gezogen oder im Umzug begriffen war. Wedekind kam dem Wunsch von Tilly Newes nach, wie er am 18.4.1906 im Tagebuch notierte: „Hole Tilly bei Adele ab.“? Möglichst bald! Deine Tilly |

TILLY NEWES

Frank Wedekind schrieb am 30. April 1906 in Berlin folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Kartenbrief


An
Fräulein Tilly Newes
in kleines Theater
Wohnung (Straße und Hausnummer) |


Geliebte Tilly!

Ich habe noch immer nicht in Erfahrung gebracht, wann und wo genau die Sache morgendie Heirat von Frank Wedekind und Tilly Newes ‒ die Ehe wurde am 1.5.1906 in Berlin auf dem Standesamt Moabit geschlossen [vgl. EWK/PMB Wedekind]. Wedekinds Tagebuch zufolge kam der Trauzeuge Emil Gerhäuser um 10 Uhr vormittags, dann wohl Dagobert Engländer aus Wien, der Lieblingsonkel von Tilly Newes; ob der zweite Trauzeuge Julius Greve direkt zum Standesamt kam, ist unklar, ebenso, zu welcher Uhrzeit die Trauung stattfand; anschließend war man im Zoologischen Garten und abends mit weiteren Hochzeitsgästen – die befreundeten Schauspielerinnen Ida Orloff und Adele Sandrock sowie Curt von Glasenapp, der Leiter der Abteilung für Theaterzensur im Berliner Polizeipräsidium – im Savoy-Hotel (Friedrichstraße 103); spät reiste das junge Ehepaar dann mit dem Nachtzug ab zu einem Gastspiel nach Nürnberg („Um 10 kommt Gerhäuser. Onkel Dagobert. Trauung. Greve. Zoologischer Garten. Diner im Savoyhotel. Glasenapp. Iduschka Adele. Fahrt nach Nürnberg Wand an Wand mit Max Halbe und Frau“). stattfindet | und bitte Dich daher mich um 6 Uhrum 18 Uhr. Ob Wedekind und Tilly Newes, die vom Kleinen Theater kam, am frühen Abend des 30.4.1906 zum Standesamt Moabit gefahren sind, um zu erfahren, zu welcher Uhrzeit und in welchem Raum ihre Heirat am 1.5.1906 angesetzt war, ist nicht zu klären (an diesem Tag kein Eintrag im Tagebuch). bei mir zu hause abzuholen. Wir fahren dann zusammen hin.

Ich empfehle mich Deiner Gnade
Frank

Tilly Wedekind schrieb am 20. August 1906 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

abends, ½ 10

Montagder 20.8.1906..


Mein lieber Frank,

ich war heute noch in unsrer Wohnung u. bin ganz entzückt! Sie ist wunderhübsch geworden. Die hellen Türen machen sich riesig freundlich. Leider werden die Arbeiter aber doch noch die Woche | zu tun haben, wird also mit dem UmziehenDer Umzug von der alten Wohnung (Marienstraße 23, 2. Stock links) in die neue Wohnung (Kurfürstenstraße 125, 3. Stock) fand erst zum Monatsende statt, wie Wedekind im Tagebuch notierte – am 29.8.1906 („Ich engagiere den Spediteur Scholz Blumenthalstraße 5“), 30.8.1906 („Es wird gepackt“) und schließlich am 31.8.1906 („Umzug“). nichts werden. Schade, ich hätte Dir’s gern erspart.

Ich werde von Dir morgen wohl noch nichts hören, aber Du bist ja auch bis 10 Uhr in der EisenbahnWedekind ist am 20.8.1906 um 16.39 Uhr von Berlin mit dem Zug nach Breslau abgereist, wie er im Tagebuch festhielt („Abfahrt nach Breslau 4.39. Ankunft in Breslau. Wohne Riegners Hotel“), und kam dem vorliegenden Brief zufolge um 22 Uhr in Breslau an, zu einem „Hidalla“-Gastspiel des Kleinen Theaters am Breslauer Sommertheater (Premiere: 23.8.1906, Regie: Ernst Krampff) [vgl. KSA 6, S. 569f.] – nach Berlin zurückgereist ist er am 26.8.1906.. Ich habe ganz vereinsamt gegessen u. schreibe jetzt in Deinem Zimmer. | Bei IduschkaIda Orloff, „allgemein ‚Iduschka‘ genannt“ und eine der „besten Freundinnen“ [Wedekind 1969, S. 40] von Tilly Wedekind, wohnte mit ihrer Mutter Ida Siegler von Eberswald in einer Hinterhauswohnung in Moabit (Thomasiusstraße 15, 2. Gartenhaus) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 2154]. war ich auch. Aber sie hatte Besuchvon Rudolph Schildkraut, Schauspieler am Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 272] und zuletzt bewundert für seine Darstellung des Shylock in Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ (Premiere: 9.11.1905), die Wedekind besucht hat [vgl. Tb]. ‒ Der Charakterdarsteller, der 1907 den vermummten Herrn in „Frühlings Erwachen“ und 1908 den Maler Schwarz in „Erdgeist“ spielte [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50], war mit Ida Orloff am 8.9.1906 bei Frank und Tilly Wedekind zum Abendessen eingeladen: „Abends kommen Schildkraut und Iduschka zum Abend essen.“ [Tb]. Schildkraut und Nichtenicht identifiziert. waren da. Sie haben sich auf RügenIda Orloff hatte den Sommer vom 13.6.1906 bis 12.8.1906 auf Rügen verbracht (überwiegend in Göhren) und die Rückfahrt von dort nach Berlin „mit Schildkrauts“ [Hauptmann/Orloff 1969, S. 159] angetreten, die nach Gerhart Hauptmanns Abreise (siehe unten) wohl nach Mitte Juli in Göhren eintrafen, wie Ida Orloff ihm etwa am 27.7.1906 schrieb; sie sei „von da an immer mit Schildkrauts [...] zusammen. Schildkraut gefällt mir übrigens [...] sehr gut, und wir unterhalten uns glänzend“ [Hauptmann/Orloff 1969, S. 156]. kennen gelernt. Mit Hauptmann scheint nichts vorgefallenkein Heiratsversprechen, auch wenn immer wieder auch „von Heirat“ [Leppmann 1989, S. 249] die Rede war (das dokumentieren Gerhart Hauptmanns Tagebücher und seine Korrespondenz mit Ida Orloff). Ida Orloff und der in zweiter Ehe verheiratete Gerhart Hauptmann, der unentschieden zwischen seiner Ehefrau und der Geliebten schwankte, hatten seit Ende 1905 eine leidenschaftliche Liebesaffäre; er besucht sie vom 25. bis 30.6.1906 auf Rügen [vgl. Hauptmann/Orloff 1969, S. 73-78], sie „feiern ein stürmisches Wiedersehen [...]. Ein letztes Mal brandet die Liebe empor“, aber „der Bann“ ist „gebrochen.“ [Leppmann 1989, S. 254] Gebrochen war der ‚Liebesbann‘: Gerhart Hauptmann notierte am 25.6.1906 in Göhren: „Ich bin geistig tot in ihrer Nähe“ [Tb Hauptmann] oder am 26.6.1906: „heut erst sehe ich sie altklug, als Verstand [...] obgleich mir W[edekind] sie schon so darstellte vor Monaten“ [Tb Hauptmann]; am 28.6.1906 hielt er fest: „Soeben von ihr Abschied genommen.“ [Tb Hauptmann] zu sein. Sie wollte sich sogar mit einem Andernnicht sicher identifiziert; vielleicht Emil Mamelok [vgl. Hauptmann/Orloff 1969, S. 81f., 86]. ‒ Ida Orloff heiratete am 23.7.1907 ihren Jugendfreund Karl Satter. verheiraten, doch ist natürlich nichts daraus geworden. Sie lässt Dich grüßen. | Morgen werde ich mir Frl. Römervermutlich Else Römer, Schauspielerin im Adolf Behle-Ensemble der Vereinigten Berliner Vorort-Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 249; Neuer Theater-Almanach 1907, S. 311]. einladen, übermorgenam 22.8.1906. Adele Sandrock wohnte in Charlottenburg (Leibnizstraße 60). besuche ich Adele, so wird die Zeit schon vergehen.

Du fühlst Dich wohl sauwohl, dass Du endlich mal wieder alleinenicht lange – Tilly Wedekind reiste den Tag darauf ebenfalls nach Breslau, von Frank Wedekind telegrafisch darum gebeten [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.8.1906]. bist? Nun, ich wünsche mir nur, dass Du an mich eben soviel denkst, wie ich an Dich, Frank. Deine TochterAnspielung auf ihre Schwangerschaft, „Tilly ist schwanger“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50]; die Tochter Pamela Wedekind wird am 12.12.1906 geboren. ist wohl u. schickt Dir viele Küsse!

Gute Nacht, schreib’ mir bald!

Deine Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 21. August 1906 in Berlin folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

wedekind breslau riegners hotelWedekind hat am 20.8.1906 seine Unterkunft in Riegner’s Hotel (Königstraße 4) notiert: „Ankunft in Breslau. Wohne Riegners Hotel.“ [Tb] =


Telegraphie des Deutschen Reiches.
Amt Breslau, Graben 36.


Telegramm aus [...] berlin [...]


hollaenderFelix Hollaender, Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin (Direktion: Max Reinhardt). will dir 25 tenden 25.8.1906. Wedekind reiste erst am 26.8.1906 von Breslau zurück nach Berlin und nahm am 27.8.1906 erstmals an einer „Pandoraprobe“ [Tb] zu der am Deutschen Theater geplanten Inszenierung (siehe unten) teil. regiebuchDas Regiebuch zu „Die Büchse der Pandora“ für die geplante Inszenierung am Deutschen Theater in Berlin, deren Aufführung „die Berliner Zensurbehörde schließlich untersagte“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50], ist nicht überliefert; erhalten ist lediglich eine Besetzungsliste [vgl. KSA 3/II, S. 1324]. vorlegen = piltztelegrafischer Übertragungsfehler, statt: eilt [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50] oder statt: Tilly..

Frank Wedekind schrieb am 21. August 1906 in Breslau folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Tilly Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 21.8.1906 in Breslau:]


Hidallaprobe. TelegrammFrank Wedekind, der am Vorabend zu einem „Hidalla“-Gastspiel des Berliner Kleinen Theaters am Breslauer Sommertheater in Breslau eingetroffen war, dürfte Tilly Wedekind am 21.8.1906 wohl unmittelbar nach der ersten Probe gebeten haben, sofort nach Breslau zu kommen, um bei der Inszenierung die ihr vertraute Rolle der Fanny Kettler zu spielen (er selbst spielte die Rolle des Karl Hetmann), da sie dem Tagebuch zufolge noch abends in Breslau eintraf („Hole Tilly Abends ab“) und bei der Premiere von „Hidalla“ am 23.8.1906 auf der Bühne stand [vgl. KSA 6, S. 569]; eigentlich hatte sie sich darauf eingerichtet, in Berlin zu bleiben [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 20.8.1906]. an Tilly.

Frank Wedekind schrieb am 1. Januar 1907 in Berlin
an Tilly Wedekind

Frau Tilly Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 12. Februar 1907 in Leipzig folgende Bildpostkarte
an Tilly Wedekind

POSTKARTE.
CARTE POSTALE ‒ CARTOLINA POSTALE.
POST CARD.


Frau Tilly Wedekind
Berlin W
Kurfürstenstraße 125.


HÔTEL HAUFFEWedekind reiste am 11.2.1907 von Berlin ab nach Leipzig und logierte dort im Hotel Hauffe (Roßstraße 2 und 4), wie er im Tagebuch notierte („Fahrt nach Leipzig. Logiere Hotel Hauffe“); am 12.2.1907 aß er dort zu Mittag („Dinire im Hotel Hauffe“) und schrieb wohl die vorliegende Bildpostkarte, bevor er nach Dresden weiterreiste und sie dort in die Post gab.
LEIPZIG
|


HÔTEL HAUFFE LEIPZIG.

NEUES RATHAUS.


[am rechten Rand um 90 Grad gedreht, im Hochformat:]

Geliebteste Tilly, bis jetzt ist alles gut gegangenWedekinds Gastspiel als vermummter Herr in „Frühlings Erwachen“ am 11.2.1907 am Schauspielhaus in Leipzig, das die Presse mehrfach angekündigt hatte: „Gastspiel Max Reinhardt und Frank Wedekind. Für die einmalige Aufführung von Frank Wedekinds Kindertragödie ‚Frühlings Erwachen‘ in der Berliner Inszenierung von Max Reinhardt und dargestellt von den Künstlern des Deutschen Theaters zu Berlin, zeigt sich ein ungewöhnliches Interesse. Die am kommenden Montag im Schauspielhause stattfindende Vorstellung beginnt um 8 Uhr.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 101, Nr. 38, 7.2.1907, Morgen-Ausgabe, 1. Beilage, S. (4)] „Am Montag gastiert das Deutsche Theater von Berlin mit Frank Wedekinds ‚Frühlings Erwachen‘, in welcher Vorstellung der Autor selbst mitwirkt.“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 101, Nr. 41, 10.2.1907, Morgen-Ausgabe, 6. Beilage, S. (2)] Die Vorstellung wurde gelobt, der „Erfolg des Stückes“ sei aber vor allem Alexander Moissi als Moritz Stiefel geschuldet, aber auch „Ella Barth, der Wendla Bergmann“ [Leipziger Tageblatt, Jg. 101, Nr. 43, 12.2.1907, Morgen-Ausgabe, 1. Beilage, S. (2)]. – Wedekind trat dann am 13.2.1907 auch in Dresden als vermummter Herr in „Frühlings Erwachen“ auf [vgl. Tb].. HetzelWedekind war nach der Vorstellung von „Frühlings Erwachen“ (siehe oben) am 11.2.1907 mit dem befreundeten Rechtsanwalt Kurt Hezel im Leipziger Ratskeller: „Frl. Erw. [...] Nachher Rathskeller mit Hetzel.“ [Tb] trägt mir die herzlichsten Grüße an Dich auf.

[am oberen Rand im Querformat:]

Im Juni sollen wir gastierenEin Gastspiel von Frank und Tilly Wedekind in Leipzig im Juni 1907 kam nicht zustande.

[am unteren Rand im Querformat:]

Dir und A. Pamela Gruß und Kuß Fr

Tilly Wedekind schrieb am 1. April 1907 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Mein innigst Geliebter,

ich lese die Notizen über DichPressenotizen über Wedekind., ich höre von Deinem ErfolgDer Erfolg von „Frühlings Erwachen“ in der Inszenierung von Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin (Uraufführung: 20.11.1906) brachte Wedekind den Durchbruch auf der Bühne und war in aller Munde. Wedekind trat darin als vermummter Herr auf, zuletzt am 1.4.1907, wie er im Tagebuch notierte: „Ich spiele zum letzten Mal den vermummten Herrn.“ u. ich komme mir wieder einmal so lächerlich klein neben Dir vor. Frank, Du darfst nicht denken, dass das am Ende Eifersucht oder was weiß ich, ist. | Im Gegenteil. Ich fürchte Du denkst, ich nehme keinen Anteil, ich unterschätze D Dich. Nimmt nicht jeder Schauspieler an Deinem Erfolg mehr teil? Habe ich Dir nicht besser gefallen, als ich auch arbeitete, wenn auch mit schwachen Kräften, | aber doch mehr wie jetzt? Jetzt sitzteSchreibversehen, statt: sitze. ich den ganzen Tag zu Hause, spiele mit dem Kind, werde immer bequemer u. phlegmatischer. Ist es nicht besser, wenn man nun schon talentlos ist, daran zu Grunde zu gehen, als seinen Leib zu füttern, sich an dem Ruhme seinens | Mannes zu sonnen, u. dabei ein Schatten-Dasein zu führen. Ich beklage mich nicht etwa über Langeweile, ich bin Dir ja für alles dankbar!

Aber ich bin nichts mehr für Dich, nichts, u. auch für mich nichts mehr.


(Dieser Brief war eigentlich für mein „Tagebuchein fragmentarisches „‚Tagebuch‘-Manuskript“ Tilly Wedekinds, das mit dem „Brief thematisch verwandt ist“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 51]; es ist mit den Schreibdaten 21. bis 24.3.1907 und 30.3.1907 handschriftlich überliefert [Mü, L 3477/1] und liegt gedruckt vor [vgl. Vinçon 2014, S. 200-202; Vinçon 2018, Bd. 2, S. 51-53].“ bestimmt.)

Tilly Wedekind schrieb am 16. April 1907 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank, es tut mir furchtbar leid, aber die ProbeFrank Wedekind notierte am 16. und 17.4.1907: „Tilli hat Probe“ [Tb]. Tilly Wedekind probte die weibliche Hauptrolle im Trauerspiel „Ghetto“ von Herman Heijermans, die sie früher schon am Kleinen Theater gespielt hatte [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 15.11.1905 und 1.1.1906], für die Aufführung des Stücks am Wiener Bürgertheater, mit dem das Ensemblegastspiel des Kleinen Theaters eröffnet wurde, wie die Presse ankündigte: „Im Wiener Bürgertheater eröffnen morgen (Samstag) abend die Künstler des Kleinen Theaters zu Berlin ihr auf 14 Tage berechnetes Gastspiel mit Heyermans ‚Ghetto‘. Unter den Mitwirkenden befinden sich Emanuel Reicher und Frau Tilly Niemann-Wedekind.“ [Wiener Zeitung, Nr. 91, 20.4.1907, S. 3] Premiere war am 20.4.1907 (Samstag), weitere Vorstellungen von „Ghetto“ fanden am 21., 22. und 25.4.1907 statt (die Presse lobte Inszenierung und Darstellung); im Rahmen des Wiener Gastspiels wurde auch „Hidalla“ gespielt (Premiere am 27.4.1907). wird voraussichtlich etwas länger dauern. Bitte wartet mit dem Essen nicht auf mich, ich kann ja nachher essen. Ich werde mich natürlich möglichst beeilen.

Herzlichst
Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 28. April 1907 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank,

es hat mir so herzlich leid getan, dass ich Dir durch mein KrankseinWedekind notierte am 27.4.1907 die „Hidalla“-Premiere im Rahmen des Ensemblegastspiels des Berliner Kleinen Theaters am Wiener Bürgertheater und die Erkältung seiner Frau: „Hidallapremiere im Bürgertheater in Wien. [...] Tilly ist erkältet“ [Tb]. Er spielte die Rolle des Karl Hetmann, sie die Rolle der Fanny Kettler [vgl. Neues Wiener Journal, Jg. 15, Nr. 4853, 27.4.1907, S. 14]., die Freude an Deinem ErfolgeDie „Hidalla“-Premiere am Bürgertheater (siehe oben) war am Morgen danach in der Wiener Presse als das „bedeutungsvollste Theaterereignis der Saison“ bezeichnet worden und Wedekind fand großes Lob, seine Frau weniger: „Wedekind [...] warf seine klaren Sätze ins Parkett, scharf und schneidend, und über seinem starren Gesicht leuchteten die schönen, eindrucksvollen Augen. [...] Frau Newes-Wedekind war zu schwach für ihre schwere Aufgabe. Das Publikum bereitete dem Schauspiel eine stürmische Aufnahme und rief den Dichter oft vor den Vorhang.“ [Neues Wiener Journal, Jg. 15, Nr. 4854, 28.4.1907, S. 12] Felix Salten hat sie in seiner großen Besprechung nicht einmal erwähnt, Wedekind dagegen besonders gewürdigt; er sei „ein Dichter von einer bezwingenden, neuartigen Kraft. [...] Noch niemals hat Wedekind bei uns so viel Verständnis gefunden und so lauten Erfolg gehabt wie gestern.“ [Felix Salten: Frank Wedekind und „Hidalla“. In: Die Zeit, Jg. 6, Nr. 1649, 28.4.1907, Morgenblatt, S. 1-3] verdorben habe. Aber sieh mal, ich habe mir ja selbst auch alles verdorben. Ich habe mich so darauf gefreut nach so langer ZeitTilly Wedekind stand nach der Geburt ihrer Tochter Pamela Wedekind (12.12.1906) bei dem Wiener Gastspiel des Kleinen Theaters (siehe oben) zunächst (noch nicht erkältet) am 21.4.1907 in der Premiere von „Ghetto“ (das Stück von Herman Heijermans stand vor dem Wedekinds auf dem Programm), dann bei der Premiere von „Hidalla“ am 27.4.1907 (nun erkältet) erstmals wieder als Schauspielerin auf der Bühne. wieder eine Rolle zu spielen. Und dann kann ich kein Wort sprechen ohne dass es mir weh tut.

Und die Erkältung an u. | für sich ist ja schließlich auch kein so ausserordentliches Vergnügen. Ich hätte kein Wort darüber verloren, u. habe Dich ja auch so wenig wie möglich damit belästigt. Aber Unliebenswürdigkeit kannst Du mir nicht vorwerfen, wo ich mich ja so wie so immer entschuldige, dass ich auf der Welt bin.

Lieber Frank, ich will Dir nicht weiter das Leben | verbittern, alles scheitert an mir, immer bin ich die Spielverderberin. Ich kann u. will nicht weiter denken, u. bitte Dich auch nicht mit mir darüber zu sprechen.

Ich hab’ Dich zu lieb, um Dich unglücklich zu machen, u. kann’s auch nicht ertragen in Deinen Augen immer mehr u. mehr zu verlieren.

Tilly |

Ich habe immer mein Bestes für Dich gegeben, Du sagst selbst, ein Lump tut mehr als er kannZitat eines Aperçus von Wedekind, das in einem anderen Brief direkt von ihm belegt ist: „Ein Lump thut mehr als er kann.“ [Wedekind an Arthur Holitscher, 2.4.1907] Er hat es in der „Vorrede“ zu „Óaha“ (1909) wieder aufgegriffen: „Ein Lump thut mehr als er kann.“ [KSA 5/II, S. 313].

Tilly Wedekind schrieb am 1. Mai 1907 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank, ich fahre auf keinen Fall nach BudapestTilly Wedekind reiste dann doch mit nach Budapest, wo ihr Mann zu einem Ensemblegastspiel des Berliner Deutschen Theaters verpflichtet war (siehe unten). Frank Wedekind notierte am 9.5.1907: „Wir bringen das Gepäck aufs Schiff. [...] Fahrt zum Schiff. Wir legen uns in der Kajüte nieder zu Bett.“ [Tb] Und am 10.5.1907: „Donaufahrt nach Budahpest. Wir diniren mit Kapitän und Maschinenmeister. Einfahrt in Budapest.“ [Tb] Die Reise von Wien nach Budapest fand im Rahmen der Gastspielreise des Berliner Deutschen Theaters statt, das auch die Reisekosten trug, wie Wedekind am 15.5.1907 notierte (Felix Hollaender war Dramaturg am Deutschen Theater): „Abrechnung mit Holländer. Er bezahlt mir Kr. 780.‒ (4 Spielhonorare. Reise e.ct.)“ [Tb]. Frank und Tilly Wedekind reisten dann am 15.5.1907 von Budapest nach Graz, um Tilly Wedekinds Familie zu besuchen, traten die Rückreise von dort am 19.5.1907 zunächst nach Wien an und reisten von Wien am 21.5.1907 zurück nach Berlin [vgl. Tb]. mit. Ich will Dir nicht wieder alles verderbenHinweis auf Spannungen zwischen Tilly Wedekind und ihrem Mann. Frank Wedekind hatte in Budapest im Lustspieltheater im Rahmen des Ensemblegastspiels des Berliner Deutschen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) am 11. und 12.5.1907 den vermummten Herrn in „Frühlings Erwachen“ zu spielen [vgl. Tb] sowie am 14.5.1907 in einer Matinee wohl auch im „Kammersänger“ oder jedenfalls bei dieser Matinee aufzutreten: „Klägliche Kammersängervorstellung. Ich lese Totentanz, singe zur Guitarre.“ [Tb]. Ich kann ja solange in Prag bleiben. – Falls ich je nochmals schwanger werden sollte, bleibt mir nichts übrig, als entweder mir das Kind abzutreiben, oder mich von Dir zu trennen. Denn ich habe keine Lust mir fortwährend vorhalten zu lassen, ich sei immer krank. Und meine Krankheit hat nur daraus bestanden. Das Bischen ErkältungWedekind notierte am 27.4.1907 in Wien (seit dem 20.4.1907 waren er und seine Frau im Rahmen eines Ensemblegastspiels des Berliner Kleinen Theaters am Wiener Bürgertheater in der Stadt, wobei er in „Hidalla“ die Rolle des Karl Hetmann spielte, sie die Rolle der Fanny Kettler, sie außerdem in „Ghetto“ von Herman Heijermans auf der Bühne zu stehen hatte): „Hidallapremiere im Bürgertheater in Wien. [...] Tilly ist erkältet“ [Tb]. Seine Frau ist schon einmal auf ihre Erkältung ausgerechnet bei der „Hidalla“-Premiere zu sprechen gekommen [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.4.1907]. kann jedem passieren, es ist Dir auch diesen Winter passiert, u. hattest Du vorigen | Sommer öfter Erbrechen usw. Aber entschuldige, ich liebe es nicht, alte Geschichten immer u. immer aufzuwärmen. Ich bin überzeugt, dass ich oft hässlich u. ungerecht war; ich war zuweilen eben auch nicht Herr meiner selbst, wie Du’s jetzt bist. Sonst würdest Du einsehen, dass es ungerecht ist mir immer die UnannemlichkeitenSchreibversehen, statt: Unannehmlichkeiten. vorzuwerfen, die ich Dir ja gemacht habe. Denn ich habe diesen Winter auch mehr durchgemacht, als mein ganzes, vorhereiges Leben, u. ich glaube, | andere Frauen machen noch viel mehr Geschichten dabei.

Was meine Hüte u. Kleider anbelangt, so glaube ich auch das Recht zu haben, als Frau Frank Wedekind etwas auf mein Äusseres zu halten. Und wenn man jung u. hübsch ist, putzt man sich eben gern, ich halte dies für kein Verbrechen. Die Damen im kl. Theater haben mindestens ebensoviel Kleider u. Hüte. Um immer Vorwürfe darüber zu hören, dazu hätte ich Dich nicht heiraten brauchen, dassSchreibversehen, statt: das. hatte ich schon früher von meinen Verwandten zur Genüge. |

Es ist gewiss sehr viel zusammen gekommen, u. werde ich nicht mehr soviel für mich ausgeben, das verspreche ich Dir.

Sei bitte nicht böse, dass ich Dir das alles sage. Es hat mich sehr gekränkt. Aber ich weiß ja, Du bist so überarbeitet, Dir ist es nie so schlecht gegangen, wie jetzt. Ich bitte Dich daher, jetzt ganz Dir selbst u. Deiner Erholung zu leben. Ich bin zu allem bereit, u. will mich bemühen, Dir’s recht zu machen.

Aber bitte, sprechen wir nicht mehr von all’ den Dingen, sonst hab’ ich nicht den Mut zu glauben, dass es je besser wird.

Herzlichst Deine Tilly

Tilly Wedekind und Adele Sandrock schrieben am 28. Juni 1907 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Freitagder 28.6.1907. abends.


Geliebter Frank,

als ich von der Bahn kamTilly Wedekind hat Frank Wedekind zum Aufbruch zu seiner Gastspielreise nach Prag morgens am 28.6.1907 in München an den Bahnhof gebracht: „Tilly begleitet mich zum Bahnhof. Fahrt nach Prag. Adeles verflossener Bräutigam.“ [Tb] Ob der als ehemaliger Bräutigam Adele Sandrocks bezeichnete nicht identifizierte Mann, der offenbar mit Frank Wedekind im Zug saß, der Grund war für Tilly Wedekinds Besuch bei Adele Sandrock (und später sie bei ihr), kann nur vermutet werden., war Anna Pamela eben im Begriff auszugehenmit Agnes, „Amme und Kindermädchen bei Wedekinds.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 58] Pamela Wedekind, geboren am 12.12.1906, war gerade ein halbes Jahr alt.. Ich gieng mit u. wir blieben bis Mittag. Um 1 hab’ ich gegessen; als die ärgste Hitze vorbei war, giengen wir zu Adele. Du wirst eine sehr heiße Fahrt gehabt haben? Nicht? Deine Tochter lässt | für den Gruß danken u. schickt Grüße u. Küsse. Jetzt schläft sie.

Auf dem Balcon sitzt Adele, trinkt Rotwein u. raucht Cigaretten. Übrigens hat sie heute herrlich gesungenZusammenhang nicht ermittelt.! Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Wann kommst Du wieder | zu mir?

Innigen Kuss, geliebter Frank!

Deine Tilly |


Lieber genialer Freund.

Adele saß mit Tilly auf deines Daches Zinnenleicht modifiziertes Zitat des Auftaktes von Friedrich Schillers populärer Ballade „Der Ring des Polykrates“ (1798): „Er stand auf seines Daches Zinnen“ (scherzhaft selbstironisch verwendet, auf die Wechselfälle von Glück und Unglück anspielend)., ich trank dir, aus wüster Verzweiflung über den bösen Sonnenvogelein Sperlingsvogel, auch Chinanachtigall genannt; hier: Pseudonym für eine nicht identifizierte Person, mit der Adele Sandrock in Beziehung stand, möglicherweise angeregt durch die Operette „Der Sonnenvogel“ (1904) von Victor Hollaender (Textbuch von Georg Okonkowsky und Rudolf Schanzer nach einer Novelle von Franz Herczeg), die zeitgenössisch zum Repertoire verschiedener Bühnen gehörte. Adele Sandrock hat gegenüber Wedekind bei den Proben zur Aufführung der „Büchse der Pandora“ (sie fand zensurbedingt nicht statt) am Deutschen Theater am 18.9.1906 über diese Person gesprochen, wie Wedekind notierte: „Pandoraprobe. Adele hat sich mit dem Sonnenvogel verzankt.“ [Tb] Es hat sich wohl um eine Sängerin gehandelt, wie Hermann Bahrs Notiz vom 7.10.1907 über die „Sandrock“ vermuten lässt, „die jetzt richtig ein rasendes Verhältnis mit einer sehr schwarzen, sehr burschikosen, sehr merkwürdigen (ich kenn sie übrigens nicht, sondern urteile nur nach dem Aussehen) Altistin von der Komischen Oper hat“ [Tb Bahr, Bd. 5, S. 299]. Die Sängerinnen an der Komischen Oper in Berlin waren seinerzeit (die jeweilige Stimmlage war nur teilweise zu ermitteln, wobei zu bedenken ist, dass Alt-Rollen auch von Sängerinnen mit Mezzosopran gesungen wurden): Lola Artôt de Padilla (Sopran), Margarete Bruntsch (Alt), Bertha Deetjen, Emmy Delmar, Lotte Gaßner (Sopran), Erna Gressin, Marietta Horak (Sopran), Isabella L’Huillier (Sopran), Maria Labia (Sopran), Ilse Lorenz, Drusilla Mantler, Adelheid Pickert (Sopran), Rosa Sachse-Friedel, Ery Urban (Sopran), Aenne Wiegrebe, Anna Willner, Bertha Wohlgemut [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 263f.]. eine Flasche Rothwein aus! – Tilly hat mich so herzensgütig getröstet, sie ist bei Gott ein Engel! Ich bin das größte Rindviech das auf der Welt lebt, sage Nichts, denn es ist so! – Auf frohes Wiederseh’n; dein Kind ist geradezu süß, so wie die Mutter. In inniger Freundschaft
deine Adele.

Frank Wedekind schrieb am 28. Juni 1907 in Prag folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Absender:


Korrespondenz-Karte.


An Frau Tilly Wedekind
in Berlin W
Kurfürstenstrasse 125. |


Geliebte Tilly, es ist vorüberWedekinds Auftritt als vermummter Herr in der Gastspielpremiere von „Frühlings Erwachen“ am 28.6.1907 am Deutschen Volkstheater (Direktion: Wilhelm Hopp) in Prag (Beginn: 19 Uhr, Ende nach 21.30 Uhr): „Gastdarstellung von Frank Wedekind und Rudolf Schildkraut mit Mitgliedern des Deutschen Theaters in Berlin.“ [Prager Tagblatt, Jg. 31, Nr. 176, 28.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. 15]. ich sitze hundemüdeWedekind ist am 28.6.1907 von Berlin nach Prag gereist, stand dort dann abends auf der Bühne (siehe oben) und saß nun mit zwei Mitarbeitern der deutschsprachigen Prager Tageszeitung „Bohemia“ (siehe unten) erschöpft in einem Weinlokal. mit Felix Adler und einem seiner CollegenRichard Rosenheim, seinerzeit Redakteur der „Bohemia“, Kollege von Felix Adler, der seit 1906 Musikkritiker der „Bohemia“ war. und denke Deiner im Stillen. Ich werde Morgen und übermorgenAm 29. und 30.6.1907 fanden weitere Vorstellungen des Ensemble-Gastspiels des Berliner Deutschen Theaters mit „Frühlings Erwachen“ am Deutschen Volkstheater in Prag statt. noch spielen. komme also voraussichtlich Montagder 1.7.1907, an dem Wedekind notierte: „Rückfahrt nach Berlin im Speisewagen bei prachtvollem Wetter. Tilly holt mich ab.“ [Tb] Abend. Dir und Pamela sende ich herzlichste Grüße. Morgender 29.6.1907, an dem Frank Wedekind Tilly Wedekinds Onkel Adolf Engländer, „Direktor der Filiale der Österreichischen Kreditanstalt in Prag“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 54], zwar aufsuchte, ihn allerdings nicht antraf [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.6.1907], sondern erst an seinem Abreisetag, am 1.7.1907: „Diniere mit Direktor Engländer.“ [Tb], wenn ich aufgestanden, gehe ich zu Deinem Onkel. Jetzt werden wir noch ein Glas Wein trinken. Von Herz und Seele
Dein Frank.

Blauer SternWedekind logierte in Prag im Hotel Blauer Stern (Am Graben 34), nicht im Hotel Erzherzog Stephan (Wenzelsplatz)., nicht Erzherzog Stephan.

Tilly Wedekind schrieb am 28. Juni 1907 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Freitagder 28.6.1907, vermutlich abends zwischen 23.30 und 24 Uhr (nachdem Adele Sandrock sich auf den Heimweg gemacht hat) zu Papier gebracht – im Anschluss an den zuvor abends am 28.6.1907 geschriebenen Brief (als Adele Sandrock noch auf dem Balkon saß). abends.


Innigst geliebter Frank,

es ist nichts Neues vorgefallen. Es geht uns sehr gut, u. hoffen wir von Herzen, dass Du Dich auch wohl fühlst. Anna Pamela liegt in meinem Bett, wir werden zusammen schlafen. Die Durieux hat auf mich gewartetZusammenhang nicht ermittelt., u. | fuhren wir in einer Droschke nach Hause.

Von ganzem Herzen
Deine Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 29. Juni 1907 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Samstag abends.


Mein einzig, geliebter Frank,

ich konnte gestern nur flüchtig schreibenvgl. Tilly Wedekind, Adele Sandrock an Frank Wedekind, 28.6.1907., da ich Adele doch nicht solange allein lassen konnte. Sie war bis ½ 12 Uhr23.30 Uhr. bei mirAdele Sandrock war am 28.6.1907 zu Besuch bei Tilly Wedekind, zu deren Brief an Frank Wedekind sie einen eigenen an ihn beilegte (siehe oben).. Sie ist wirklich ein armes Geschöpf, u. hat mir von Herzen leid getan. Morgen, oder übermorgen will sie schon wegfahrenAdele Sandrock reiste demnach entweder am 30.6.1907 oder am 1.7.1907 nach Heringsdorf, das Ostseebad auf der Insel Usedom., nach Heringsdorf. So wird aus unserem Abend leider nichts. |

Ich habe heute nichts erlebt. Vormittag war ich zu Hause, u. wie ich gestehen muss, sehr fleißig. Nachmittags war ich im Kaufhaus, (es hat nicht viel gekostet) u. dann bei Frau Langenicht identifiziert.. Ich hab’ ihr 30 M. gegeben.

Du gehst mir sehr ab, Frank. Dein Zimmer, in dem ich schreibe, sieht vollständig unbewohnt aus. Ich sehne mich sehr danach, Dich morgenden 30.6.1907; Wedekind reiste erst am 1.7.1907 von Prag zurück nach Berlin, wo seine Frau ihn am Bahnhof empfing: „Rückfahrt nach Berlin im Speisewagen bei prachtvollem Wetter. Tilly holt mich ab.“ [Tb] um die Zeit | vom Bahnhof abholen zu können. Ich will Dir keine Liebeserklärung machen u. nicht sentimental werden, aber ich habe Dich von Herzen lieb, u. könnte keine lange Trennung ertragen.

Anna Pamela schläft leider wieder, u. lässt Dich innig küssen.

Leb’ wohl, Frank.

Deine Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 30. Juni 1907 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Bildpostkarte an Tilly Wedekind vom 30.6.1907 aus Prag:]


[...] eben bekomme ich Dein Telegramm.

Frank Wedekind schrieb am 30. Juni 1907 in Prag folgende Bildpostkarte
an Tilly Wedekind

CORRESPONDENZ-KARTE


Frau Tilly Wedekind
Berlin W.
Kurfürstenstraße 125


Geliebte Tilly, eben bekomme ich Dein Telegrammnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 30.6.1907.. Gestern war ich bei Deinem OnkelTilly Wedekinds Onkel Adolf Engländer, „Direktor der Filiale der Österreichischen Kreditanstalt in Prag“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 54], den Frank Wedekind zu besuchen angekündigt hatte [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 28.6.1907] und am 1.7.1907 traf: „Diniere mit Direktor Engländer.“ [Tb] der aber aufs Land gereist war um seine Damen zu besuchen. Ich werde heute noch einmal vorsprechen. Hier ist großes Nationalfest„Das Turnfest des tschechisch-slowakischen Sokolverbandes (gegr. 1862), der nach dem Vorbild der deutschen Turnbewegung eine national geprägte Turnbewegung initiierte, die zu einem bedeutsamen Impulsgeber nicht nur der tschechisch-slowakischen Nationalbewegung wurde, sondern bald auch in anderen slawischen Ländern Fuß fasste.“ [Vinçon 2018, S. 55] Wedekind notierte am 30.6.1907: „Von 11-1 Uhr Vorbeimarsch der Sokolvereine.“ [Tb]. Gestern Abend war ich ganz allein aber zu müde um zu schreiben. Also Morgen Abend 10 Uhr 2222.22 Uhr. Wedekind notierte am 1.7.1907: „Rückfahrt nach Berlin im Speisewagen bei prachtvollem Wetter. Tilly holt mich ab.“ [Tb] Anhalter Bahnhof.

Herzliche Grüße an Dich und A. P. Dein Frank. |


Gruss aus Prag!
Der altstädter Brückenturm. ‒ 26

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 30. Juni 1907 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Postkarte


Böhmen
Prag
Hotel „Blauer Stern“
Herrn
Frank Wedekind


Sonntagder 30.6.1907..

Herzliche Grüße
senden
Anna Pamela
u. Tilly |


Gruss aus Berlin
Reichspostamt

Frank Wedekind schrieb am 8. Juli 1907 in Leipzig folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind berlin
kurfuerstenstrasze 125=


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin, Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus leipzig [...]


ich erwarte dichWedekind reagierte auf ein Telegramm seiner Frau [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 8.7.1907], die dem Tagebuch zufolge am 8.7.1907 um 19 Uhr in Leipzig eintraf („Um 7 Uhr kommt Tilly“) und am 9.7.1907 wieder nach Berlin abreiste („Ich begleite Tilly zur Bahn“). herzlichst = frank

Tilly Wedekind schrieb am 8. Juli 1907 in Berlin folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

[1. Entwurf:]


Geliebter Frank, Ich danke Gott, dass Dir nichts geschehen ist u. bitte Dich von ganzem Herzen um Verzeihung. Erlaubst Du mir Dir heute Nachmittag Dein Gebäckmöglicherweise Schreibversehen, statt: Gepäck [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.7.1907]. zu bringen? Ich fahre gleich wieder zurück u. morgen abend nach Wien. Ich möchte nicht so von Dir gehen.

Innigst Dir ergeben Deine Tilly


[2. Abgesandtes Telegramm:]


frank wedekind leipzig
hauptpostlagerndvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 8.7.1907 (das erste Telegramm unter diesem Datum). =


Telegraphie des Deutschen Reiches.
Amt Leipzig.


Telegramm v berlin [...]


= geliebter frankWedekind hat den Empfang des Telegramms am 8.7.1907 notiert: „Telegramm von Tilly.“ [Tb], ich danke gott, dass dir nichts geschehen ist u bitte dich von ganzem herzen um verzeihungEs hatte Spannungen in der Ehe gegeben; wohl „auf Drängen Wedekinds, der sich in seiner schriftstellerischen Arbeit eingeschränkt fühlte“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 56], beschlossen Frank und Tilly Wedekind, einige Tage getrennt zu verreisen (er nach Leipzig, sie nach Graz), wie das Tagebuch teilweise dokumentiert – so am 6.7.1907 („Wir beschließen daß Tilly auf einige Tage nach Graz geht. Ich kaufe die Schlafwagenplätze. Tilly bekommt einen Anfall“) und am 7.7.1907 („Tilly packt meinen Koffer. Spaziergang. Abendessen bei Treppchen. Heimfahrt Anfall“). Frank Wedekind ist in der Nacht vom 7. auf den 8.7.1907 „kurz nach Mitternacht nach Leipzig“ abgereist, nach dem letzten ‚Anfall‘ Tilly Wedekinds, der wohl ausgelöst war durch die „geplante Trennung“, wofür sie sich hier entschuldigte – und sie „reiste ihm hinterher.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 56].. erlaubst du mir heute nachmittag dein gebaeck zu bringen? ich fahre gleich wieder zurueck u. morgen abend nach wien. ich moechte nicht so von dir gehen. = innigst dir ergeben – deine tilly.

Frank Wedekind schrieb am 8. Juli 1907 in Leipzig folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

frau tilly wedekind berlin
kurfuerstenstr. 125 =


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin, Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus [...] Leipzig [...]


liebe tilly wenn du etwas brauchst dann schreibe oder telegraphire bitte leipzigWedekind hat am 8.7.1907 notiert: „Ich fahre nach Leipzig“ [Tb], seine frühe nächtliche Abfahrt von Berlin um 0.30 Uhr und seine Ankunft in Leipzig morgens um 6 Uhr früh: „6 Uhr Ankunft in Leipzig ½1 Uhr Abfahrt v. Berlin“ [Tb] sowie in Leipzig „Frühstück im Café Bauer“ [Tb]. hauptpostlagernd ich habe noch hauptpostlagernd habe noch kein logis wohne aber wahrscheinlich hotel hauffe beste gruesze = frank.

Tilly Wedekind schrieb am 10. Juli 1907 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

frank wedekind leipzig hotel hauffe =


Telegraphie des Deutschen Reiches.
Amt Leipzig.


Telegramm aus [...] graz [...]


geliebter trankÜbertragungsfehler, statt: frank. inigstÜbertragungsfehler, statt: innigst. erfreut durch dein telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 10.7.1907. sende ich dir tausend gruesze. alles ging gut vomÜbertragungsfehler, statt: von. herzen = deine tilli.

Frank Wedekind schrieb am 10. Juli 1907 in Leipzig folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

= frau wedekind bei newes
brandhofgasse 1 graz =


Telegramm
aus
[...] leipzig [...]


geliebte tilly hoffentlich seid ihr gut angekommenTilly Wedekind ist mit ihrer Tochter Pamela am 9.7.1907 von Berlin über Wien nach Graz zu ihrer Familie gereist und schilderte ihrem Mann die Einzelheiten brieflich [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.7.1907]. gruesze eltern schwestern und brueder. gruss an annapamela. auf recht baldiges wiedersehn = frank.

Frank Wedekind schrieb am 11. Juli 1907 in Leipzig folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Postkarte


An
Frau Tilly Wedekind
p.a. Herrn Eduard Newes.
in Graz (Steyermark)
Wohnung (Straße und Hausnummer) Brandhofgasse 1. |


Liebe Tilly, Ich sitze hier wieder an dem gleichen Tischwie am 8.7.1907 in Leipzig mit Tilly Wedekind: „Um 7 Uhr kommt Tilly. [...] Ratskeller.“ [Tb] im RatskellerWedekind notierte am 11.7.1907: „Abends allein im Ratskeller.“ [Tb] aber allein. Gesternam 10.7.1907. Wedekind notierte an diesem Tag sein Treffen mit dem befreundeten Rechtsanwalt Kurt Hezel sowie seine Begegnungen mit dem Literarhistoriker Georg Witkowski, der sich 1905 im Prozess um „Die Büchse der Pandora“ als hinzugezogener Sachverständiger „vorbehaltlos zu Gunsten des Stücks“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 57] ausgesprochen hatte [vgl. KSA 3/II, S. 1102, 1150], dem Juristen Johannes Mittelstaedt, der 1899 im Leipziger Majestätsbeleidigungsprozess um den „Simplicissimus“ Untersuchungsrichter war [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 57], dem Rechtsanwalt Walter Dralle und dem Mathematiker und Schriftsteller Felix Hausdorff: „Besuch bei Hetzel [...] Abends mit Hetzel Witkowsky Mittelstedt und Dr. Dralle im Römer. Hausdorf Café Bauer.“ [Tb] hatten ich einen sehr interessanten Abend mit Kurt Hetzel, Witkowsky, Mittelstedt und Hausdorf. Ich erfuhr dabei Dinge über meinen Verleger LangenWedekind erfuhr am 10.7.1907 in Leipzig, sein Verleger habe 150.000 Mark zur Weiterführung seines Verlags aufgenommen, dem er daraufhin schrieb [vgl. Wedekind an Albert Langen, 11.7.1907]., die mich veranlassen möglichst bald in MünchenWedekind, der am 15.7.1907 von Leipzig zunächst nach Frankfurt am Main und nach Stuttgart reiste, fuhr von dort am 19.7.1907 nach München, wo er Albert Langen am 22.7.1907 aufsuchte: „Besuch [...] bei Langen“ [Tb]. zu sein. In München werde ich möglichst rasch die Kostüm-ArbeitArbeit an den Kostümen zu „König Nicolo oder So ist das Leben“ – möglicherweise im Zusammenhang damit, „daß der Autor schon im Jahr 1907 eine Bearbeitung des Dramas erwogen hat“ [KSA 4, S. 564]. Wedekind nahm in München mit „dem Münchner Theaterschneider Johannes Mück [...] die Arbeit an seinen Kostümentwürfen auf“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 57], das ist Johann Nepomuk Mück (Hackenstraße 3), „Schneidermeister“ und „Theaterkostümeur“ [Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 359] – ab dem 22.7.1907: „Besuch bei Schneider Mück“ [Tb]. für So ist das Leben aufnehmen. Dazu wirst Du dort sein müssen. Du wirst diese Carte voraussichtlich nicht lesen können, da ich mit einem sehr weichen Bleistift schreibe. Ich habe drei DampfbäderWedekind notierte in Leipzig an den drei aufeinander folgenden Tagen vom 9. bis 11.7.1907 jeweils „Dampfbad“ [Tb]. genommen. Ich bin sehr dick geworden. Grüße Alle aufs Herzlichste. Schreibe mir bitte. Auf baldiges Wiedersehn in München. Morgender 12.7.1907. Wedekind notierte allerdings erst am 15.7.1907: „Abfahrt von Leipzig nach Frankfurt.“ [Tb fahre ich nach Frankfurt Frankfurter Hof Herzlichsten Gruß Frank

Tilly Wedekind und Mathilde Newes schrieben am 12. Juli 1907 in Graz folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Rosenberg, Kirscheng. 2


Freitag, 12./VII.07.


Geliebter Frank,

endlich kann man einiger maßen von Ruhe sprechen. Du bist mir nicht böse, dass ich solange nicht geschrieben habe?!

Ich fuhr also Dienstagder 9.7.1907. Tilly Wedekind, die soeben erst von einem Kurzbesuch bei ihren Mann aus Leipzig zurück in Berlin war (siehe die vorangehende Korrespondenz), reiste mit ihrer kleinen Tochter Pamela und dem Kindermädchen im Nachtzug zu ihren Eltern nach Graz. mit Anna Pamela u. Zubehör von Berlin ab, Anna Pamela in tiefem Schlaf. Sie war sehr verwundert über die ihr fremde Umgebung. Die Nacht über hat sie sich leidlich anständig aufgeführt, nur bewies sie sich als Männerfeindin; bei Erscheinen | des Schlafwaagen-ConducteursSchlafwagenvorsteher. fiengSchreibversehen, statt: fing. sie fürchterlich zu brüllen an. In Wien hatten wir gerade soviel Zeit um von der Nordwest zur SüdbahnEisenbahnlinien; die Nordwestbahn führte (von der Ostsee kommend) von Berlin nach Wien zum Nordwestbahnhof, die Südbahn ab Südbahnhof von Wien über Graz nach Triest. zu übersiedlelnSchreibversehen, statt: übersiedeln.; dann giengs auch schon los. Ich war bei dem allem von einem Eifer, dass ich vor Aufregung glühte. Als ich nun etwas müde in Graz mit meinen 10 GebäckstückenSchreibversehen, statt: Gepäckstücken., Anna Pamela u. Agnes„Amme und Kindermädchen bei Wedekinds.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 58] dazugerechnet, ankam, gieng die Aufregung eigentlich erst los. KarlKarl Newes, Tilly Wedekinds jüngster Bruder. ist verreist, Bertl war auf ÜbungDagobert Newes, Tilly Wedekinds zweitältester Bruder, „war zum Militärdienst eingezogen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 58], so blieb ich zu Hause wohnen. Nachdem ich nach | Tisch geruht, sah ich mich gleich nach einer Wohnung um; u. fand gleich dieses hier. Aber die von zu Hause wollten Verschiedenes ansehen u. so liefen wir Mittwoch abends u. Donnerstag Vormittag noch herum. Zu Mittag wurde mir die Geschichte zu dick, ich nahm die Wohnung, ließ einem/n/ Wagen holen, unsere GeschäftsburschenMitarbeiter in der Weinhandlung von Tilly Wedekinds Vater Eduard Newes. packten die Sachen auf u. so kamen wir in strömendenSchreibversehen, statt: strömendem. Regen am RosenbergAnhöhe am Stadtrand von Graz. an.

Gestern u. heute machte ich mit Mama’s Hilfe Ordnung u. sitze jetzt, bei wunderschönem | Wetter auf der Veranda um Dir dies alles zu berichten.

Wir bewohnen ein schönes, großes Zimmer, mit hübschen, hellen Bauernmöbeln; da 2 Betten sind, kann immer eines von zu Hause bei mir sein, ganz wie ich es gewünscht habe. Dann haben wir noch eine Küche, sehr klein aber sehr nett, die Amme schläft auch da. Der Garten ist schön u. groß u. von der Veranda herrliche Aussicht auf die ganzen Waldungen des Hilmteichsder Hilmteich – ein im 19. Jahrhundert angelegtes künstliches Stehgewässer in Graz und Naherholungsgebiet der Stadt. u. einige Berge. Ich glaube es lässt sich hier leben.

Zu meiner großen Freude ist | heute Bertl zurück gekommen. Er wird dann heraufkommen. Ich habe bis jetzt nur von mir gesprochen u. Dinge erzählt die Dich wahrscheinlich gar nicht interessieren werden. Bist Du noch immer in Leipzig? Ich werde den Brief dahin schicken, bitte gieb’ mir bald Deine neue Adresse. Dein Telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 10.7.1907. hat mich so sehr gefreut, mein geliebtester Frank u. habe ich viel an den schönen, letzten Abend im Ratskellerder Abend von Tilly Wedekinds Kurzbesuch in Leipzig am 8.7.1907 bei Frank Wedekind, der ihre Ankunft um 19 Uhr und den gemeinsamen Besuch im Leipziger Ratskeller notierte: „Um 7 Uhr kommt Tilly. Fahrt durch das Rosenthal. Ratskeller.“ [Tb] gedacht!

Gewiss hast Du in vielem recht. Wenn ich mich so sehr | in meinen kleinlichen Sorgen vertiefe, geht mir vieles von dem schönsten, besten meines Lebens, von Dir u. Deiner Tätigkeit verloren. Das muss anders werden, u. wird sicher auch. Habe nur etwas Geduld mit mir, ich bin jetzt wirklich gesundlichSchreibversehen, statt: gesundheitlich. unfähig. Ich merke es erst jetzt, wo so die ganze Ermüdung über mich kommt. Ich werde nun nichts machen, als im Freien sitzen, lesen, essen, u. schlafen, dann bin ich sicher bald wieder frisch u. | munter. Mit dieser Ermüdung kann man sich des schönsten Lebens nicht erfreuen.

Dann will ich nur der Freude leben, Dir Freude zu machen, u. Du sollst alles Hässliche vergessen.

Schreib’ mir bitte, wenn es Dir Freude macht, u. zw. recht viel von Dir. Wie geht es Dir jetzt; atmest Du auf in Deiner freiwilligen Einsamkeit?

„Gott sei Dank, endlich allein?!“Teilzitat und Anspielung „auf Wedekinds Zeichnungen von Särgen in seinem Notizbuch“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 58], die mit der Beschriftung versehen sind [vgl. KSA 6, S. 855]: „Endlich allein.“ [Nb 41, Blatt 11v]

Hierher zu kommen hättest Du gar keine Lust? | Ich kann jederzeit ein zweites großes Zimmer mit einem Bett neben dem meinen haben.

Nun kommt leider noch eine Bitte. Ich habe dummer Weise, von Wien nach Graz tour u. retour(frz.) tour (= Reise), (frz.) retour (= Rückreise); hier: hin und zurück. genommen. (Die einzige Dummheit auf der ganzen Reise!) Das machte 61 Kr. Hier bezahle ich für die Wohnung 30 Kr. pro Woche, werde also nicht auskommen. Habe für GebäckSchreibversehen, statt: Gepäck., Wagen etz.Schreibversehen, statt: etc. auch ausgegeben, schreibe Dir alles auf. Willst Du mir für die Reise auch gleich schicken? Retour-KartenRückfahrkarten. gebe ich zurück, fahre doch sicher über Salzburg oder Tirol. Aber nicht mehr als ich notwendig brauche. Im Voraus herzlichen Dank.

Nun leb’ wohl, Geliebter,. Von ganzem Herzen umarmt Dich Deine Tilly


[auf Seite 5, um 90 Grad gedreht am linken Rand, Mathilde Newes:]

Herzlichste Grüsse, lieber Frank Deine alte
Mama.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 14. Juli 1907 in Graz folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Korrespondenz-Karte.


Absender:

Tilly Wedekind
Rosenberg,
Kirscheng. 2


An Herrn
Frank Wedekind
in Frankfurt a./M.
Frankfurterhof |


Sonntagder 14.7.1907.. Liebster Frank, leider ist schlechtes Wetter. Ich sehne mich nach Sonne u. Wärme. Heute habe ich zu Hause zu Mittag gegessen, bei meinen Eltern, die mich jetzt gegen Abend wieder heraufgebracht haben. Nun hast Du wieder soviel Geschäftliches zu tun, dass Du wohl schwer zu Deiner Lieblingsbeschäftigungwohl die Dampfbäder, die Wedekind in Leipzig zu nehmen begonnen hatte [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907] und in Frankfurt am Main fortsetzte – so notierte er dort am 15.7.1907 „Dampfbad“ [Tb], am 16.7.1907 „Kohlensaures Bad“ [Tb], am 17.7.1907 wieder „Dampfbad“ [Tb]. kommen wirst. Bitte schreibe mir darüber. Herzlichst Deine Tilly


Lieber Papa, innigen Kuss, Anna Pamela

Frank Wedekind schrieb am 15. Juli 1907 in Frankfurt am Main folgenden Brief
an Tilly Wedekind

FRANKFURTER-HOF
FRANKFURT A. MAIN


Liebe schöne Tilly,

ich freue mich sehr daß das alles so vorzüglich von statten ging und daß Du gut untergebracht bist. In Leipzig hat es drei volle Tage von früh bis spät ununterbrochen gegossen. Ich fand daher nicht den moralischen Mut um 7 Uhr aufzustehn um hierher zu fahren. Heute Morgen im Augenblick der AbreiseWedekind notierte am 15.7.1907: „Abfahrt von Leipzig nach Frankfurt.“ [Tb] erhielt ich noch | (Ich habe eben eine Preisliste für ein Löschblatt gehalten, in Folge dessen die Schmiererei, die ich zu verzeihen bitte.) Deinen lieben Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.7.1907.. Ich käme allerdings ganz gerne nach Graz und komme vielleicht auch, um Dich abzuholen. Aber vorher muß ich in München erledigen wovon ich Dir sprachnur andeutungsweise von Finanzaktionen des Verlegers Albert Langen [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907]., sonst verliert Alberwohl Schreibversehen, statt: Albert. Langen jede Achtung und betrügt mich nach allen Richtungen. Dann kommt eine zweite sehr ernste Angelegenheit. Ich habe sehr an Gewicht zugenommen. und das bekämpfe ich jetzt durch Dampfbädervgl. dazu die vorangehende Korrespondenz mit Tilly Wedekind seit dem 11.7.1907., vieles Spazieren-Rennen und Fasten. In | München werde ich mit dem Theatermaler BuschbeckHermann Buschbeck, Maler, Kunsthandwerker und Schauspieler, war am Münchner Hoftheater „Vorstand des Kostümwesens“ [Neuer Theater-Almanach 1907, S. 510]. Frank Wedekind, der im Vorjahr mit Tilly Wedekind zu einem Gastspiel in München war, hat am 29.6.1906 ein Beisammensein bei dem Hofschauspieler und Regisseur Fritz Basil mit den Hofschauspielern Gustav Waldau, August Weigert und Alois Wohlmuth, dem Schauspieler Hans Lackner (vom Münchner Schauspielhaus und Theater am Gärtnerplatz) sowie Hermann Buschbeck notiert (dabei war wohl auch Tilly Wedekind): „Abends bei Basil mit Waldau Lackner Weigert Wohlmuth Buschbeck e.ct.“ [Tb], dessen Du Dich vielleicht vom verfloßnen Jahr erinnerst sofort die KostümfrageWedekind hatte die anstehende Arbeit an den Kostümen zu „König Nicolo oder So ist das Leben“ bereits thematisiert [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907]. Notizen und Skizzen „zu den Kostümen Nicolos als König, Schneidergeselle, Schauspieler und Hofnarr enthalten vor allem Wedekinds Notizbücher“ aus dem Jahr „1907“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 58], das sind zwei Notizbücher [vgl. KSA 4, S. 648] mit Notizen zu den verschiedene Kostümen Nicolos [vgl. Nb 41, Blatt 21v-22r] und flüchtige Kostümskizzen mit vereinzelten Bemerkungen [vgl. Nb 43, Blatt 38v-42v, 43v-44r, 45v-46v]. für „S. ist d. Leben“ wieder aufnehmen.

Ich kann Dir heute noch nicht mit Bestimmtheit voraussagen wann wir uns wiedersehn. Du wirst es aber leicht aus dem Gang meiner Geschäfte entnehmen können. Außerdem hast Du wirklich dringend Ruhe nötig. Was hilft es uns beiden wenn mich der Schlag trifft oder Du die Schwindsucht bekommst.

In Leipzig war ich nur zwei | Abende mit Bekannten zusammen, den ersten AbendWedekind hat seiner Frau von dem Abend des 10.7.1907 in Leipzig geschrieben [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907], von seinem Beisammensein mit Johannes Mittelstaedt (am 3.8.1899 im Leipziger Majestätsbeleidigungsprozess um den „Simplicissimus“ der Untersuchungsrichter) und dem befreundeten Rechtsanwalt Kurt Hezel (im Majestätsbeleidigungsprozess Wedekinds Verteidiger), außerdem mit Georg Witkowski (in den Prozessen um die „Büchse der Pandora“ am Landgericht I Berlin am 12.3.1905 und Landgericht II Berlin am 10.1.1906 als Sachverständiger herangezogen). von dem ich Dir schrieb, mit dem Untersuchungsrichter und dem Vertheidiger aus dem Simplizissimusprozeß und mit dem Sachverständigen aus dem Prozeß der B. d. Pandora, das zwei MalSchreibversehen, statt: zweite Mal. – Wedekind hat am 12.7.1907 in Leipzig ein Beisammensein mit Kurt Hezel notiert (dabei war auch der Rechtsanwalt Dr. Gerhard Hübler): „Abends mit Hetzel und Dr. Hubler.“ [Tb] war ich mit Hetzel allein. Die übrigen AbendeWedekinds Tagebuch zufolge war er am 11.7.1907 („Abends allein im Ratskeller“), 13.7.1907 („Abends allein im Ratskeller“) und 14.7.1907 („Allein im Ratskeller“) ohne Gesellschaft im Leipziger Ratskeller, um zu arbeiten – er konzipierte dort ein Drama „Das Kostüm“ (siehe unten). schrieb ich„Wedekind beginnt um diese Zeit mit den Vorarbeiten zu dem Einakter ‚Die Zensur‘“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 58], der den Arbeitstitel „Das Kostüm“ hatte [vgl. KSA 6, S. 827, 833]. im Ratskeller.

Da ich hier selbst auf Geld warte, schicke ich Dir morgen 100 M. und am Mittwoch oder Donnerstag noch 200.

Grüße Anna Pamela von mir

Ich küsse Dich in Gedanken, geliebte Tilly
Dein Frank


Montagder 15.7.1907. Abend.

Frank Wedekind schrieb am 16. Juli 1907 in Frankfurt am Main
an Tilly Wedekind

Abschnitt.
Coupon.
Kann vom Empfänger abgetrennt werden.
Peut être détaché par le destinataire.


Betrag der Postanweisung in Ziffern.
Montant du mandat en chiffres.

120 Kronen


Name, Wohnort und Wohnung (Straße und Nr.) des Absenders
Désignation de l’envoyeur
Wedekind Frankfurter Hof Frankfurt


Den 16. Juli 1907
Le |


Herzliche Grüße an Alle

Frank.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 16. Juli 1907 in Graz folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Rosenberg, Dienstagder 16.7.1907..


Geliebter Frank,

Du wunderst Dich vielleicht, dass ich wenig schreibe. Aber ich weiß ja keine bestimmte Adresse von Dir; bis meine Briefe ankommen, bist Du schon wo anders. Ich habe Freitag einen Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.7.1907. nach Leipzig, u. Sonntag eine Kartevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 14.7.1907. nach Frankfurt geschickt. Wenn Du bei Deinem Vorsatz geblieben bist, dann bist Du vielleicht schon in München. Wo wolltest Du dort wohnen? |

Mein Bruder Karl ist heute auch nach Graz zurückgekommen. Ich laßSchreibversehen, statt: las. Bertl die beiden ActeTilly Wedekind las ihrem Bruder Dagobert Newes die beiden ersten Bilder von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern von Frank Wedekind“ vor, die bereits gedruckt in der Literaturzeitschrift „Morgen“ vorlagen [vgl. KSA 6, S. 723], bezeichnet als „Erstes Bild“ [Morgen, Jg. 1, Nr. 3, 26.6.1907, S. 75] und „Zweites Bild“ [Morgen, Jg. 1, Nr. 4, 5.7.1907, S. 107].Musik“ vor. Über die sieben WorteWedekinds in sieben nummerierte Abschnitte gegliedertes, 60 Zeilen umfassendes und stilistisch als „Referenzfolie“ den „Dekalog“ [KSA 1/II, S. 1364] adaptierendes Gedicht „Die sechzig Zeilen oder Die Sieben Worte“ [KSA 1/I, S. 562-564] ist von Karl Kraus veröffentlicht worden [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 227-228, 10.6.1907, S. 1-3]; es hatte in handschriftlichen Fassungen noch den Titel „Die sieben Worte“ [vgl. KSA 1/II, S. 1356-1358]. Erich Mühsam schrieb Karl Kraus am 22.6.1907 über das Gedicht: „Diese 7 Worte gehören zum Großartigsten, was überhaupt geschrieben ist. Sie stellen nicht nur das Extrakt aus allen Wedekindschen Arbeiten dar, sondern erweitern sie zu einer Bejahung, in der er weit über Nietzsche hinausgreift, und die Sprache dieser 60 Zeilen erhöht sie zu einem Katechismus modernen Menschentums.“ [Jungblut 1984, S. 102] müssen wir noch zusammen sprechen, ich verstehe nicht in allem, was Du meinst.

Was machen alle unsere Freunde in München?

Eine Schulfreundin besuchte mich gestern, man wunderte sich dass man so rasch denselben vertrauten Ton wiederfindet. Martha war jetzt 2 Tage bei mir, wir unterhielten uns sehr gut. | Ich schreibe auf der Veranda; von hier aus, ist reizende Aussicht. Es würde Dir sicher sehr gefallen. Mir fiel erst jetzt auf, dass das Mädchen in MusikIm Erstdruck von „Musik“ (nicht mehr in der Buchausgabe) ist im Verzeichnis der Personen angegeben: „Hildegard, Mädchen bei Reißners“ [Morgen, Jg. 1, Nr. 3, 26.6.1907, S. 75]. ja Hildegard heißtAnspielung auf Hildegarde Zellner, von 1900 bis 1903 Wedekinds Haushälterin – aus „der intimen Beziehung“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 59] mit ihr stammt Wedekinds am 22.5.1902 geborener unehelicher Sohn Franklin Zellner [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 216f.].. Du musst, weil ich die Bemerkung mache, nicht denken, es sei mir unangenehm.

Herzlichen Kuss
Deine Tilly


Lieber Papa,

Du musst mir bitte auch mal schreiben.

Gruß u. Kuss
Anna Pamela


[auf Seite 3, um 90 Grad gedreht am linken Rand, Tilly Wedekind:]

Siedie Tochter Pamela. freut sich ungeheuer zu schreiben!

Frank Wedekind schrieb am 18. Juli 1907 in Frankfurt am Main folgende Bildpostkarte
an Tilly Wedekind

Postkarte.


Nur für die Adresse


Frau Tilly Wedekind
Rosenberg
KirschgasseSchreibversehen, statt: Kirschengasse. 2.
Graz
Steyermark.


Schriftliche Mitteilungen


Geliebte Tilly, Kartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907., Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.7.1907. und Geld120 Kronen [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 16.7.1907]. wirst du erhalten haben. Ich danke herzlich für Deinen lieben Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 16.7.1907.. Heuteder 18.7.1907 – Wedekind notierte an diesem Tag um 17 Uhr seine Abreise von Frankfurt am Main: „Um fünf Abfahrt nach Stuttgart.“ [Tb] Donnerstag fahre ich nach Stuttgart, Briefe hauptpostlagernd, bleibe dort drei Tage, dann nach München. Ich schreibe Dir noch ausführlicher. Grüße Anna Pamela herzlich, auch Deine Geschwister. Baldiges Wiedersehen
Dich küßt Dein
Frank |


Frankfurt a. M. im Jahre 1849

Nächstes Jahr reisen wir hoffentlich zusammen.

Dein Frank

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 18. Juli 1907 in Graz folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Rosenberg, Donnerstagder 18.7.1907..


Mein lieber, guter Frank,

ich danke Dir für Deinen Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.7.1907. u. die 120 Kr.vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 16.7.1907. die ich heute erhielt. Ich habe noch 60 Kr. u. käme ich wohl damit aus. Allerdings richtet sich das alles nach der Zeit, die ich hier zubringen werde. – Heute ist der erste schöne Tag, aber der ist auch prachtvoll! Zu meiner vollkommenen Zufriedenheit fehlst nur Du. Trotzdem würde ich Dir abraten, die weite Reise nur zu machen, um mich abzuholen. Aber erstens hat dies Zeit, u. zweitens hast Du’s wohl nur pro Formapro forma (lat.) = der Form halber. gesagt. |

Gesternder 17.7.1907, eine Woche zurückgerechnet der 10.7.1907, an dem Tilly Wedekind in Graz eintraf. war es eine Woche, dass ich herkam, u. vorgesternder 16.7.1907, eine Woche zurückgerechnet der 9.7.1907, an dem Wedekind in Leipzig notierte: „Ich begleite Tilly zur Bahn“ [Tb]., dass ich mich von Dir getrennt habe. Glaube ja nicht, dass ich Dich drängen will, ich bin mit allem zufrieden. Gewiss wird es uns auch Beiden gut tun. Darum will ich Dich nicht mehr quälen; es fehlte mir bis jetzt nur die richtige Sanftmut.

Anna Pamela schläft neben mir in ihrem Wagen. Sie wird jeden Tag reizender u. wird von allen Onkeln und Tanten zärtlich geliebt. Ausserdem hat sie einen glühenden Verehrer in dem 3jährigen Söhnchen einer jungen Fraunicht identifiziert. aus Wien, genannt Franz.

Ich wünschte es wäre Frank aus LandshutAnspielung auf Wedekinds am 22.5.1902 geborenen unehelichen Sohn Franklin Zellner, dessen Mutter Hildegarde Zellner, bis 1903 Wedekinds Haushälterin, aus Landshut stammte [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 216f.]. Das Kind wuchs in Landshut bei seiner Großmutter Anna Zellner auf.. |

Ich habe mir die folgenden HefteTilly Wedekind hatte die beiden ersten Bilder von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern von Frank Wedekind“ in den Heften vom 26.6.1907 (Nr. 3) und 5.7.1907 (Nr. 4) der Literaturzeitschrift „Morgen“ vorliegen [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 16.7.1907], bestellt hat sie sich die Fortsetzungen, das dritte Bild [vgl. Morgen, Jg. 1, Nr. 5, 12.7.1907, S. 143-150] und das vierte Bild [vgl. Morgen, Jg. 1, Nr. 6, 19.7.1907, S. 175-181].Morgen“ in einer Grazer Buchhandlung bestellt. Ich habe viel über das nachgedacht, was Du mir an dem letzten Abend in Leipzigam 8.7.1907 [vgl. Tb]. gesagt hast. Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass ich mich stets für das rein menschliche in der Dichtung interressiertSchreibversehen, statt: interessiert. habe, u. ich glaube dass das, gerade bei Dir, immer dem Stoff, der Idee zug/G/runde liegt.

Aber ich fürchte, dass ich Dich mit dem allen, u. überhaupt mit langen Briefen zum Sterben langweile. Öffnest Du sie überhaupt gleich? Andere Frauen haben Dir sicher weit zärtlichere u. weit geistreichere Briefe geschrieben. |

Ich möchte Dich nicht gern in Deinen Gedanken stören.

Wie gern möchte man dem geliebten Menschen alle Herzlichkeit u. Innigkeit die man für ihn fühlt ausdrücken! Man fürchtet lächerlich zu werden, u. kennt auch nicht die Stimmung, in welcher der Brief gelesen wird. Ist das nicht erbärmlich klein?

Von ganzem Herzen küsst Dich
Deine Tilly


Liebster Papa,

Innigen Kuss
Deine Anna Pamela

Frank Wedekind schrieb am 19. Juli 1907 in München folgenden Brief
an Tilly Wedekind

GRAND HOTEL
LEINFELDER
MÜNCHEN
Lift . Electrisches Licht . Centralheizung


Meine geliebte Tilly!

ich bin also heute Morgen hier angekommenWedekind hatte seiner Frau morgens gleich nach seiner Ankunft in München bereits ein Telegramm geschickt [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 19.7.1907]., nachdem ich mich drei Tage in Frankfurt mit Dampfbädern, Spazierenrennen und Entfettungskur beschäftigt hatte. In Folge dessen bin ich etwas abgespannt und bitte Dich, es zu entschuldigen wenn aus diesen Zeilen noch nicht der richtige Humor spricht. | Ich denke sehr viel an Dich, meine liebe Tilly und hin und wieder auch an Anna Pamela. Ich weiß nun noch nicht ob Du das Geld120 Kronen [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 16.7.1907], das sind die versprochenen 100 Mark [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.7.1907]. meinen Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.7.1907. und die Kartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 18.7.1907. bekommen hast. Ich sende Dir heute die weiteren M. 200200 Mark waren zusätzlich zu den 100 Mark versprochen [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.7.1907].. Außer mit Dr. CurtiWedekind hat den aus der Schweiz stammenden Journalisten Theodor Curti, „Direktor der Frankfurter Societätsdruckerei“ [Adreßbuch für Frankfurt am Main 1907, Teil I, S. 55], dem Verlag der „Frankfurter Zeitung“ [vgl. Adreßbuch für Frankfurt am Main 1907, Teil IV, S. 68] und somit auch deren Direktor (seit 1902), am 15.7.1907 in der Redaktion der „Frankfurter Zeitung“ (Große Eschenheimer Straße 35 und 37) [vgl. Adreßbuch für Frankfurt am Main 1907, Teil I, S. 95] aufgesucht: „Dr. Curti treffe ich auf der Frftr Ztg.“ [Tb], dem Direktor der Frankfurter Zeitung habe ich seit Leipzig thatsächlich mit keinem Menschen mehr gesprochen. Hier in Mü Ich bin auch noch nicht sehr dazu aufgelegt. Hier wird es ja nun wohl anders werden. Ich werde mich hier in München | sofort nach Logis für uns umsehen, da ich meiner Arbeiten und Geschäfte wegen wohl längere Zeit hier bleiben muß. Jetzt wird ja wol auch bei Euch wieder schönes Wetter sein. Deshalb würde ich an Deiner Stelle die gesunde Luft und die Ruhe noch etwas genießen. Was mich betrifft, so wäre ich jetzt wahrscheinlich sehr vergnügt wenn ich nicht so entsetzlich schwer geworden wäre und deshalb die anstrengende Kur nicht machen müßte.

In Stuttgart war ich nur | von 10 – 3 Uhrvon 22 Uhr bis 3 Uhr morgens. Wedekind ist dem Tagebuch zufolge am 18.7.1907 um 17 Uhr von Frankfurt am Main nach Stuttgart abgereist („Um fünf Abfahrt nach Stuttgart“) und dürfte dort um 22 Uhr eingetroffen sein; er fuhr am 19.7.1907 frühmorgens um 3.22 Uhr schon wieder von Stuttgart ab („Ich fahre 3.22. Nachts nach München“).. Ich kam in zwei RestaurantsWedekind ist am 18.7.1907 in Stuttgart wieder im Hotel Marquardt (Königstraße 22, Schloßstraße 4 und 6) abgestiegen (dort hatte er 1905 Berthe Marie Denk kennengelernt), besuchte zuerst das Restaurant des Hotels Royal (Schloßstraße 5) und anschließend das Restaurant im Königin Olgabau (Königstraße 9), wo er Berthe Marie Denk (notiert sind in hebräischen Schriftzeichen die Initialen ihrer Vornamen) in Herrenbegleitung sah und daraufhin die Abreise von Stuttgart in die Wege leitete: „Abfahrt nach Stuttgart. Nehme Zimmer im Hotel Marquart, gehe ins Restaurant Royal dann Olgabau. Dort sitzt B M im Automobilkostüm mit einem Herrn, mit dem sie sich bald entfernt. Ich gehe auf den Bahnhof um mich nach den Zügen zu erkundigen.“ [Tb] von denen eines schlechter war als das andere, beide menschenleer; so reiste ich um 3 Uhr weiter.

Liebe Tilly, ich glaube ich werde hier für kommendes Jahr schon Wohnung miethen, d. h. wenn ich etwas finde.

Schreibe mir bitte ausführlich wie es Dir geht. Ich küsse Dich innigst, Geliebte. Gieb Anna Pamela einen Kuß von mir.

Dein getreuer
Frank


19.7.7.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 19. Juli 1907 in Graz folgende Kartenbrief
an Frank Wedekind

11 h


Herrn
Frank Wedekind
München
Hauptpostlagernd |


Abs: Tilly Wedekind
Graz, Rosenberg
Kirscheng. 2 |


Freitagder 19.7.1907.. Innigst geliebter Frank,

I/i/ch danke Dir vielmals für Deine Kartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 18.7.1907. aus Frankfurt u. Dein Telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 19.7.1907 (Telegramm). aus München. Du hast doch noch nicht auf uns vergessen! (Sagt man nicht auf?) Heute früh bekam ich einen Brief aus Berlinnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Zinaida Vengerova an Wedekind, 17.7.1907. von einer DameZinaida Vengerova, Literaturkritikerin und Übersetzerin, hat 1905 in St. Petersburg bereits einen größeren russischsprachigen Beitrag über Wedekind veröffentlicht [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 60].. Sie will mit Dir wegen Übersetzung verhandeln von Manuscripten, | in’s Russische. Ihre Adresse ist: Frl. Zinaida Vengerowa, Berlin W. Lutherstr. 47 b. Hr. FlachsDer Schriftsteller Adolf Flachs in Berlin (Lutherstraße 47, 3. Hinterhaus) [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 532] pflegte „enge Kontakte zu russ. Autorinnen und Autoren“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 60].. Sie wollte telegraphisch Deine Adresse, um mit Dir zu sprechen. Ich habe nicht telegraphiert, ich fürchtete, es sei Dir vielleicht nicht angenehm. Ich habe beide Briefe, den an Dich u. den an mich, die beide in einem Couvert waren, nach Frankfurt geschickt. Von dort werden sie Dir wohl nachgeschickt. Hab’ ich’s recht gemacht?

Im Geiste sitzt auf Deinen Knieen u. küsst Dich
Deine Tilly


[Seite 3 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Anna Pamela

Frank Wedekind schrieb am 19. Juli 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

Frau Tilly Wed WedekinkSchreibversehen, statt: Wedekind.
rosenberg bei Graz
Kirschengasse 2


Telegramm
aus
München [...]


bin eben in München angekommenWedekind ist am 19.7.1907 frühmorgens um 3.22 Uhr von Stuttgart nach München gereist – „Ich fahre 3.22. Nachts nach München. Nehme Wohnung im Hotel Leinfelder“ [Tb] – und gab das vorliegende Telegramm gleich nach seiner Ankunft auf. adresse hauptpostlagernd münchen wohne voraussichtlich hotel Leinfelder nachmittags ausführlicher Brief herzliche grüsse an Dich und anna pamelafrank

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 20. Juli 1907 in Graz folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Samstagder 20.7.1907..


Mein innigst geliebter, einziger Frank, von ganzem Herzen danke ich Dir für Deinen Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 19.7.1907. u. Deine Kartevgl. Frank Wedekind an Pamela Wedekind, 19.7.1907. aus München! Nur liebe ich Dich viel zu sehr um nicht zu fühlen, in was für einer Stimmung Du Dich befindest. Und ich muss mir mit Schmerz sagen, dass ich sehr viel Schuld daran trage. Wenn ich auch für Berlin u. die äusseren Verhältnisse nichts kann, so hätte ich Dich/r/ doch viele Aufregungen u. Unannehmlich|keiten ersparen können. Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich selbst viel durchgemacht, u. dadurch die körperliche Kraft u. Selbstbeherrschung verloren habe.

Du hast mir erzählt, dass die Zeit in München, in der Du so dick geworden, für Dich die unglücklichste war. Sollte ich aus Deinen jetztigenSchreibversehen, statt: jetzigen. Klagen, etwas Ähnliches schließen? Bin ich etwa die Ursache davon, dass Du Dich nicht aufraffen konntest, dass Du verstimmt bist?

Ja, ich habe Dich gehemmt, ange/st/att Dich zu aufzumuntern. | Und wie kann ich es gut machen?

Indem ich hier bleibe? Dich diesen Sommer Dir selbst überlasse? Wenn ich Dir dadurch helfen kann, so will ich es tun, obwohl mir dies das Schwerste wäre. Ich habe Dich zum Schlusse nur deshalb so gequält, weil es mir so schwer war, mich von Dir zu trennen. Weil ich Angst habe, Du könntest mir entfremdet werden durch längere Trennung. Aber dies alles ist Egoismus u. nicht Liebe. Ich habe an mich gedacht, anstatt an Dich.

Aber ich bin gründlich geheilt, durch die 2 wöchentliche Trennung | von Dir. Ich wünsche nur das Eine, Dich wieder im Vollbesitz Deiner Kräfte zu wissen. Bei guter Laune u. neuer Tatkraft. Du musst wieder zu Dir selbst kommen.

Kannst Du es besser, wenn Du alleine bist, so sage es mir offen. Wenn Du wirklich so schwer geworden bist, so reite doch in München täglich, ich werde dem Portier die Schlüssel schicken u. Dir Deine Reithose nach München nachsenden. Schlaf’ nicht so viel, wenn’s geht. Im Übrigen finde ich, Du brauchst das nicht so schwer nehmen; Du | warst doch schon dicker? Fühlst Du Dich sonst wohl? Wenn Du uns aber in 1 – 2 Wochen nach München nachkommen lassen willst, so wirst Du sehen, wie heilsam es mir war, dass Du mich weggeschickt hast. Deine Zeit abends soll ganz Dir gehören, nur soll es meine Sorge sein, dass Du sonst genug Bewegung machst. Oder wäre es Dir lieber, ich ließe das Kind hier? Überlege Dir’s, wie es für Dich am Besten ist, ich will von ganzem Herzen alles tun, was Du verlangst! Ich denke den ganzen Tag an Dich, | u. spreche den ganzen Tag von Dir. Ich fange an viel besser auszusehen u. mich sehr wohl zu fühlen. Ich bin ja viel zu gesund um die Ermüdung nicht leicht zu überwinden. Heute Nachmittag lag ich mit Anna Pamela in der Hängematte. Es sind jetzt prachtvolle Tage. Ich bin jung u. mein ganzes Herz, jeder meiner Gedanken gehört Dir, geliebter Frank! Und Dein Kind ist prächtig, strahlend in Frische u. Gesundheit! Und doch sind wir nicht im | Stande, Dir etwas Glück zu geben, der Du es in so vollem Maaße verdienst!

Du wirst nun wohl auch meine Bestätigungvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.7.1907 (Eingangsbestätigung von Brief und Geld) und 19.7.1907 (Eingangsbestätigung der Bildpostkarte). erhalten haben, über Brief, Karte u. das Geld. Ich danke Dir im Voraus für folgende 200 M., die ich wohl morgen erhalten werde. Ich habe bis jetzt 2 Telegrammevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 10.7.1907 und 19.7.1907., 2 Briefevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.7.1907 und 19.7.1907., 3 Kartenvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907 (Postkarte) und 18.7.1907 (Bildpostkarte); Frank Wedekind an Pamela Wedekind, 19.7.1907 (Bildpostkarte)., u. 120 Kr.vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 16.7.1907. erhalten. Du hast doch Deine Adresse überall angegeben? Ich schickte Dir, Mittwoch ein Telegrammvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 10.7.1907., Freitag einen Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.7.1907., Sonntag eine Kartevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 14.7.1907 (Postkarte)., Dienstag einen Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 16.7.1907., Donnerstag einen Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.7.1907., gestern einen Kartenbriefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 19.7.1907. u. einen Brief nachgeschicktvgl. Zinaida Vengerova an Wedekind, 17.7.1907.. Hoffentlich hast Du alles! |

Findest Du ich brauche viel? Die Wohnung ist ja nicht so teuer, aber das Essen kostet ziemlich viel.

Ich danke Dir herzlichst für Deine Sendungen. Dafür sollst Du Deine Freude an unsern roten Wangen haben.

Hab’ ich Dich gequält mit dem langen Brief? Ich hoffe, dass Du alles so verstehst, wie ich es gemeint habe, u. überzeugt bist von der Treue u. Liebe
Deiner Dir von ganzem Herzen
ergebenen Tilly


Liebster Papa, vielen Dank für Deine lieben Wortevgl. Frank Wedekind an Pamela Wedekind, 19.7.1907., werde alles befolgen. Meine Mutter ist sehr glücklich mit mir. Von Herzen
Deine Anna Pamela


[Seite 8 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Viele Grüße von meinen Eltern u. Geschwistern, ausser denen ich niemanden sehe.

Frank Wedekind schrieb am 20. Juli 1907 in München
an Tilly Wedekind

Abschnitt.
Coupon.
Kann vom Empfänger abgetrennt werden.
Peut être détaché par le destinataire.


Betrag der Postanweisung in Ziffern.
Montant du mandat en chiffres.


Name, Wohnort u. Wohnung (Straße u. Nr.) des Absenders:
Désignation de l’envoyeur:
Fr. Wedekind
z.z. München
Hotel Leinfelder


Den 20.7 1907Wedekind notierte am 20.7.1907: „Tilly. M. 200“ [Tb], die in München nach Graz überwiesenen 200 Mark.
Le

Frank Wedekind schrieb am 21. Juli 1907 in München folgenden Brief
an Tilly Wedekind

GRAND HOTEL
LEINFELDER
MÜNCHEN
Lift . Electrisches Licht . Centralheizung


Geliebte Tilly,

ich war heute Sonntag auf der Post in Erwartung etwas von Dir zu finden, kam aber zu spät, das Postamt war um 12 Uhr geschlossen„Postlagernde Sendungen“ waren im Postamt München 1 (Residenzstraße 2) abzuholen: „Geöffnet an [...] Sonn- und Feiertagen von [...] 10‒12 Uhr Vorm.“ [Adreßbuch für München 1907, Teil III, S. 103] worden. Es ist hier in München geradezu feenhaft schön, ich bitte Dich, das nicht als Beleidigung aufzunehmen. Ich bin die drei Tage die ich hier bin ununterbrochen spazieren gegangen und habe schon zwei Mal im WürmbadWedekind besuchte Ungerer’s Würmbad (Am Kanal 1), eine auch Ungererbad genannte private Badeanstalt (Inhaber: August Ungerer) [vgl. Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 581], wie er im Tagebuch am 20.7.1907 („Kurt Martens treffe ich im Ungererbad“) und 21.7.1907 („Ungererbad“) notierte. gebadet. Den ersten AbendWedekind war am 19.7.1907 mit seinem alten Freund Max Langheinrich zusammen, mit dem er die Schriftstellerin Margarete Beutler besuchte und dort offenbar den Schriftsteller und Verleger Waldemar Bonsels traf, und war dann mit ihm im Hofbräuhaus und in der American Bar des Hotels Vier Jahreszeiten: „Mit Langheinrich bei Margarete Beutler. Ich treffe Bonsels. Mit Langheinrich im Hofbräuhaus und der A. Bar.“ [Tb] verbrachte ich mit Langheinrich. GesternWedekind notierte zu dem am 20.7.1907 mit Max Langheinrich, dessen Frau Anna Langheinrich und Anton Dreßler verbrachten Abend: „Mit Dreßler und Langheinrichs in Hofbräuhaus.“ [Tb] Mit Anton Dreßler war Wedekind seit 1896 befreundet [vgl. Martin 2018, S. 135-137]. Max Langheinrich und Anna von Seidlitz ‒ mit ihr hatte Wedekind 1904/05 eine Liebesbeziehung [vgl. Vinçon 2014, S. 169-172] ‒ hatten am 11.9.1905 geheiratet. war ich | mit Langheinrich, seiner Frau und Dreßler zusammen. Die Begegnung mit Dreßler war sehr schwierig und heikel, da es Dreßler in jeder Beziehung sehr schlecht geht. Er hat seine Stellung an der Akademie verlorenDer in München lebende Tonkünstler, Konzertsänger und Gesangspädagoge Anton Dreßler (Thierschstraße 22) [vgl. Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 93], im Vorjahr noch als „Lehrer“ an der „Akademie der Tonkunst“ [Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil I, S. 92] verzeichnet, war am 1.10.1906 „seiner Stellung als Gesangslehrer an der Akademie für Tonkunst“ [KSA 6, S. 746] enthoben worden. Die Presse hatte zunächst gemeldet: „Anton Dreßler hat wegen Arbeitsüberhäufung bei der Direktion der Akademie der Tonkunst ein Gesuch um Entlassung von seiner Lehrtätigkeit an dieser Anstalt eingereicht.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 59, Nr. 434, 17.9.1906, S. 3] Dann hieß es: „Der Lehrer für Sologesang an der Akademie der Tonkunst in München Anton Dreßler wurde, seinem Ansuchen entsprechend, von seiner Lehrstelle enthoben.“ [Akademie der Tonkunst. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 59, Nr. 451, 27.9.1906, Vorabendblatt, S. 2] Hintergrund war folgende Affäre: „Eine Schülerin des mit Wedekind befreundeten Gesangspädagogen Anton Dreßler war nach § 218 Reichstrafgesetzbuch verurteilt worden. Dreßler, der Vater ihres Kindes, verlor daraufhin seine Stelle an der Münchner Akademie für Tonkunst“ [Nottscheid 2008, S. 184]. Wedekind hat in seinem Stück „Musik“ (siehe unten) diesen „authentischen Fall verarbeitet“ [Martin 2018, S. 136]. und hatte das Stück noch nicht gelesenAnton Dreßler hatte Wedekinds „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ (in vier Folgen vom 26.6.1907 bis 19.7.1907 in der Zeitschrift „Morgen“ erschienen) noch nicht gelesen. „Vorlage für die Figur“ des Gesangspädagogen Josef Reißner (die männliche Hauptfigur in „Musik“) „war der Opernsänger und Gesangslehrer an der Münchner Akademie für Tonkunst Anton Dreßler“ [KSA 6, S. 746], der „getreulich im Stück porträtiert“ [Wedekind 1969, S. 213] sei.. Frau Langheinrich wiederholte mir das Anerbieten, daß wir bei ihnen wohnen könnten. Ich sagte bedingungsweise zu, gegen Bezahlung von Miethe. Ich glaube aber nicht daß es möglich wäre; erstens wohnen sie am äußersten Ende MünchensAnna Langheinrich (Inhaberin des in ihrer Wohnung betriebenen Münchner Lese-Instituts) und ihr Mann, der Architekt Max Langheinrich, wohnten in München in der Maxvorstadt (Theresienstraße 31) [vgl. Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 295]., wo Du von den Schönheiten Münchens wenig Genuß hättest und zweitens meinte sie auf meinen Vorschlag, Miethe zu bezahlen, selber, daß die Räume dazu zu schlecht und dürftig seien.

Ich werde mich nun erkundigen, wie | man hier im Hotel auf Kinder vorbereitet ist, und mich eventuell morgen nach möblierten Wohnungen umsehen. Heute Nachmittag bekomme ich die Langheinrichsche Wohnung zu sehen.

Wie geht es Dir, geliebte Tilly? Wenn Du irgendwelche Sorgen hast, dann glaube nicht mich nicht damit beunruhigen zu sollen. MorgenWedekind suchte am 22.7.1907 in München, wie er sich vorgenommen hatte [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 11.7.1907], um neue Kostüme für „König Nicolo oder So ist das Leben“ zu beraten, zunächst einen Münchner Kostümschneider auf, allerdings nicht den Leiter der Kostümabteilung am Münchner Hoftheater Hermann Buschbeck [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.7.1907], sondern Johann Nepomuk Mück (Hackenstraße 3), „Schneidermeister“ und „Theaterkostümeur“ [Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 359], dann seinen Verleger Albert Langen: „Besuch bei Schneider Mück und bei Langen.“ [Tb] werde ich meine Unterhandlungen mit Langen aufnehmen und auch den Kostümschneider besuchen. Der Vom Theater ist niemand in München.

Ich denke also daß Du im Lauf der nächsten Woche hierher kannst. Hältst du es für nötig daß ich Dich in Graz abhole? Oder bist Du tapfer genug, | auch diese Reise allein zu machen, wie du die Reise nach GrazTilly Wedekind ist am 9.7.1907 mit ihrer Tochter Pamela und der Amme von Berlin über Wien nach Graz gereist, eine mühsame Reise, die sie Frank Wedekind geschildert hat [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.7.1907]. so tapfer allein ausgeführt hatSchreibversehen, statt: hast.? Von Deinem lieben Papa erhielt ich einen sehr freundlichen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Eduard Newes an Wedekind, 18.7.1907. über Berlin hierher nachgeschickt.

Also auf baldiges Wiedersehn, geliebte Tilly. Grüße Deine lieben Eltern, Schwestern und Brüder. Grüße und küsse unsere geliebte Anna Pamela von mir.

Herzlichst umarmt und küßt Dich
Dein
Frank.


21.7.7.Wedekind hat am 21.7.1907 in München im Tagebuch notiert: „Brief an Tilly.“


Ich habe den letzten Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 19.7.1907 (ohne Kuvert und folglich ohne Briefmarke überliefert). faschSchreibversehen, statt: falsch. frankiert, bitte das nicht als persönliche Beleidigung aufzufassen.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 22. Juli 1907 in Graz folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Montag. 22./VII.07.


Innigst geliebter Frank,

Anna Pamela u. ich wünschen Dir zu Deinem GeburtstagWedekinds 43. Geburtstag am 24.7.1907. alles Liebe u. Gute! Wir bedauern sehr, dass wir gerade diesen Tag nicht bei Dir sein können, liebster Frank. Wenn wir sicher gewusst hätten Dir eine Freude zu machen, hätten wir Dich vielleicht besucht. So tun wir dies nur in Gedanken, u. schicken Dir unser Bildein Foto, vielleicht auch eine Zeichnung; dem Brief liegt nichts mehr bei.. Hoffentlich kommt es noch zu|recht, in Graz geht es leider nicht schneller.

Wir waren beide sehr vergnügt dabei, schon bei dem Gedanken, Dich damit zu erfreuen. Nun wünschen wir auch von ganzem Herzen, dass Du den Tag u. auch alle folgenden, recht vergnügt zubringst!

Ich denke an voriges JahrFrank und Tilly Wedekind haben an seinem 42. Geburtstag am 24.7.1906 bei ihrem Gastspiel in München abends in „Hidalla“ auf der Bühne gestanden.. Da hatten wir beide darauf vergessen.

Heute erhielt ich noch 298 Kr.umgerechnet die nach Graz überwiesenen 200 Mark [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 20.7.1907]. u. danke Dir herzlichst dafür, mein lieber Frank! Mehr kann werde ich auf keinen Fall brauchen; mit den Billetsdie Fahrkarten für die Reise am 29./30.7.1907 von Graz über Salzburg nach München.. |

Die Karte an Anna Pamelavgl. Frank Wedekind an Pamela Wedekind, 19.7.1907 (Bildpostkarte). muss ich immer wieder ansehen u. lesen, sie ist in jeder Beziehung sehr hübsch.

Heute werden wir unten bei meinen Eltern essen, Papa hat heute GeburtstagEduard Newes feierte am 22.7.1907 seinen 65. Geburtstag. u. werden wir Dich u. ihn feiern.

Eltern u. Geschwister lassen Dich natürlich vielmals grüßen, u. gratulieren Dir herzlich. Nun lebe/’/ wohl geliebter Frank, in Gedanken küsst Dich innig
Deine Tilly |


P. S. Wenn Du eine Wohnung für nächstes Jahr nehmen willst, ich bin sehr zufrieden damit. Wenn in Berlin was los ist, kannst Du ja immer hin fahren. Unsre Wohnung hast Du doch nur bis OctoberWedekind hat die Berliner Wohnung im 3. Stock in der Kurfürstenstraße 125 dem Tagebuch zufolge am 25.10.1907 gekündigt. genommen, dass wir nicht 2 Wohnungen zahlen müssen?!

Nochmals herzlichst
Tilly


Mein liebster Vater, ich stimme allem bei, was meine liebe Mama gesagt hat, Prosit Papa!

Deine Anna Pamela


[Seite 4 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Leider sind wir sehr schlechtdie Qualität des erwähnten Bildes betreffend (sehr schlecht getroffen), das dem Brief beilag (siehe oben)., in Wirklichkeit sind wir viel, viel hübscher!
Deine Tilly

Tilly Wedekind, Karl Newes, Dagobert Newes, Eduard Newes, Mathilde Newes, Pamela Wedekind, Rudolf Newes, Martha Newes und Dora Newes schrieben am 23. Juli 1907 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]


frank wedekind muenchen
hotel leinfelder = |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Graz [...]


vom ganzen herzen wuenschenGlückwünsche zu Wedekinds 43. Geburtstag am 24.7.1907. alles liebe u gute = lylliÜbertragungsfehler, statt: tilly. anna pamela und familie newes

Frank Wedekind schrieb am 23. Juli 1907 in München folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Postkarte


An Frau Tilly Wedekind.
in Graz (Steyermark)
Wohnung (Straße und Hausnummer) Rosenberg.
Kirschengasse 2. |


Geliebte Tilly, gestern war ich auf der Post und erhielt all Deine Briefe, für die ich Dir von ganzem Herzen danke. Mit dem Wohnen bei LangheinrichsAnna Langheinrich hatte Wedekind wiederholt Räumlichkeiten in dem Haus angeboten, in dem sie und Max Langheinrich wohnten (Theresienstraße 31) [vgl. Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 295]; sie wohnten im 3. Stock des Hinterhauses (im Parterre waren ein Baugeschäft und ein Monteur gemeldet, im 2. Stock ein Geometer und ein Sekretär Dr. phil. an der Hof- und Staatsbibliothek, der 1. Stock war nicht belegt) [vgl. Adreßbuch für München 1907, Teil II, S. 489]. Wedekind hatte vorgehabt, die Räumlichkeiten (wohl im 1. Stock des Hinterhauses) am 21.7.1907 nachmittags zu besichtigen, was abends wurde: „Abends bei Langheinrich.“ [Tb] ist es nichts; das ganze Haus ist eine Rumpelkammer. Dagegen ist man im Hotel auf alles eingerichtet. Ich will morgen mirSchreibversehen, statt: mich. noch nach möblierten Wohnungen umsehen. Der Schneider hat meine Kostüme schon in Angriff genommen, übermorgenam 25.7.1907; die erste Anprobe seiner neuen Kostüme für „König Nicolo oder So ist das Leben“ bei Johann Nepomuk Mück (Hackenstraße 3), „Schneidermeister“ und „Theaterkostümeur“ [Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 359], verzeichnete Wedekind allerdings bereits am 24.7.1907: „Anprobe bei Mück“ [Tb], die zweite Anprobe am 27.7.1907: „Anprobe bei Mück“ [Tb]. Wedekind hatte den Kostümschneider zuerst am 22.7.1907 aufgesucht: „Besuch bei Schneider Mück“ [Tb]. habe ich die erste Anprobe. Ich habe auch Deine Kostüme schon mit ihm durchgesprochen. Heute erhielt ich Eure Glückwünschedas Glückwunschtelegramm aus Graz zu Wedekinds 43. Geburtstag am 24.7.1907 von seiner Gattin und ihrer Familie [vgl. Tilly Wedekind, Pamela Wedekind, Dagobert Newes, Dora Newes, Eduard Newes, Karl Newes, Martha Newes, Mathilde Newes, Rudolf Newes an Frank Wedekind, 23.7.1907]. zum Geburtstag. Sage bitte Allen meinen Dank. Meinen Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.7.1907. wirst du derweil erhalten haben. Auf baldiges Wiedersehn, geliebte Tilly, freut sich
Dein Frank.

Tilly Wedekind, Mathilde Newes, Eduard Newes, Dora Newes, Lene Newes, Martha Newes und Dagobert Newes schrieben am 23. Juli 1907 in Graz folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Postkarte
Carte postale ‒ Cartolina postale


Nur für die Adresse


Herrn
Frank Wedekind
München
Hotel Leinfelder


Schreibraum


28.23./7.07.


Liebster Frank, damit Du eine Vorstellung von unserm Aufenthalt bekommst, sende ich Dir diese Ansicht. Nur wohnen wir auf der andern Seite des Berges. Herzlichst Tilly


herzl. Gruß Bertl.


Herzliche Grüsse
Mama.


Graz.
Blick vom Schlossberg auf den Rosenberg.

Papa |


Herzlichste Grüße
Dora


Lenerl


Martha.

Frank Wedekind schrieb am 24. Juli 1907 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Tilly Wedekind

[Hinweis in Tilly Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 25.7.1907 aus Graz:]


[...] die beiden Karteneine Postkarte [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 23.7.1907] und das hier erschlossene Korrespondenzstück, wahrscheinlich eine Bildpostkarte. habe ich erhalten. [...]

Die Karte ist reizendEinschätzung, die auf eine Bildpostkarte schließen lässt, die einen direkten Bezug zu Pamela Wedekind gehabt haben dürfte (in Tilly Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 25.7.1907 folgt die Bemerkung auf Ausführungen zur gemeinsamen Tochter).!

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 25. Juli 1907 in Graz folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Donnerstagder 25.7.1907..


Mein lieber Frank,

Deinen lieben Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.7.1907. u. die beiden Kartenvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 23.7.1907 – und eine nicht überlieferte Postkarte oder Bildpostkarte; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 24.7.1907. habe ich erhalten. Ich freue mich si/eh/t/r/, dass meine Verbannung nun bald ihrem Ende entgegen geht. Ich sehe auch tatsächlich schon viel besser aus, ich glaube Du wirst zufrieden sein.

Natürlich komme ich alleinohne Begleitung ihres Mannes, der sie nicht in Graz abzuholen braucht., ich sagte ja gleich, eine Reise hierher würde sich nur lohnen, wenn Du einige | Zeit hier bleiben willst. Ich freu’ mich sehr auf München, u. natürlich auf Dich besonders! Seitdem ich weiß, dass ich nicht länger wie eine Woche noch hier bin, finde ich’s noch viel schöner u. bin sehr vergnügt.

Damit Du nicht die Mühe des Wohnungs-suchen hast, könnten wir ja einige Tage im Hotel wohnen, u. ich besorge dann das alles. Ist dir das recht? |

Wenn Du mir einen Tag vorher schreiben willst, wann wir reisen sollen, wäre ich Dir sehr dankbar. In einem Tag kann ich uns schon reisefertig machen.

Die beiden HefteTilly Wedekind hat die in einer Buchhandlung in Graz bestellten Hefte der Literaturzeitschrift „Morgen“ [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.7.1907] mit dem dritten Bild [vgl. Morgen, Jg. 1, Nr. 5, 12.7.1907, S. 143-150] und vierten Bild [vgl. Morgen, Jg. 1, Nr. 6, 19.7.1907, S. 175-181] von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern von Frank Wedekind“ inzwischen erhalten und wie die beiden ersten Bilder des Stücks [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 16.7.1907] zusammen mit ihrem Bruder Dagobert Newes gelesen.Morgen“ hab’ ich hier bekommen; ich laßSchreibversehen, statt: las. mit BertlMusik“. Wie stellt DreßlerDer mit Wedekind befreundete Musiker Anton Dreßler war die „Vorlage“ für die Figur des Gesangspädagogen Josef Reißner in Wedekinds „Musik“, die sich durch „heuchlerische Doppelbödigkeit und Zwiespältigkeit“ [KSA 6, S. 746] auszeichnet. Er hatte inzwischen seine Stellung als Gesangslehrer an der Akademie der Tonkunst in München verloren und war in einer schwierigen Situation. Wedekind hat ihn dem Tagebuch zufolge am 20.7.1907 getroffen („Mit Dreßler und Langheinrichs in Hofbräuhaus“), sich am 24.7.1907 mit dessen Frau beraten („Zusammenkunft mit Lotte Dreßler bei Langheinrichs“) und am 26.7.1907 nochmals mit ihr und mit Anna Langheinrich („Unterredung im Hotel mit Lotte Dreßler und Anna Langheinrich“) und traf sich mit ihm am 27.7.1907 („Besuch bei Dreßler“) vermutlich zu einer Aussprache. sich dazu? Die kurze Geschichte von Holitzereine Ich-Erzählung, die in der Zeitschrift „Morgen“ erschienen ist [vgl. Arthur Holitscher: Straßenecken-Legende. In: Morgen, Jg. 1, Nr. 5, 12.7.1907, S. 153-157]. Sie „skizziert ein Erlebnis einer Großstadt-Prostituierten“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 62]. finde ich ganz nett. Wenn man vieles über Berlin ließt, dann ist man immer stolz, mit dabeigewesen zu sein. |

Was macht unser EinacterFrank Wedekinds Einakter „Die Zensur“, den er am 29.5.1907 unter dem Titel „Das Kostüm“ konzipiert hat, mit der Ausarbeitung aber erst im Herbst begann [vgl. KSA 6, S. 827]. Die ersten Konzepte enthalten „viele autobiographische Details“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 63], die Tilly Wedekind betreffen; der Buchausgabe „Die Zensur. Theodizee in einem Akt“ (1908) ist dann ein offener Brief an sie vorangestellt: „Meine liebe Tilly! Besorgte Gemüter lasen aus diesen Szenen, du hättest je einmal zwischen meiner Arbeit und mir gestanden, und beschwerten dir durch ihre Besorgnisse das Herz. Wem die Szenen gefallen, dem liegt der Argwohn fern, aber den besorgten Lesern schulde ich eine Beruhigung. In den langen Jahren, die ich allein verlebte, war es mir jedes dritte Jahr einmal vergönnt, eine Arbeit erscheinen zu lassen; die zwei Jahre unseres Zusammenseins trugen mir drei fertige Stücke ‚Musik‘, ‚Zensur‘ und ‚Oaha‘ ein, an die ich vorher nie mit einem Gedanken gedacht hatte. Ich bin natürlich gewärtig, diese Aufzählung als Marktgeschrei gedeutet zu sehen. Aber dich bitte ich jedenfalls, zu verzeihen, daß ich an deiner Seite so viel Zeit zu selbständiger Betätigung fand. Frank.“ [KSA 6, S. 206]?

Grüße Langheinrich’s von mir. Wie sieht Frank Antonder am 11.3.1907 geborene Sohn von Anna und Max Langheinrich. aus? Anna Pamela wird alle Deine Wünsche befolgen, u. freut sich auch sehr auf München. Jetzt schläft sie, der Liebling. Die Karte ist reizenddie nicht überlieferte Postkarte (siehe oben), wahrscheinlich eine Bildpostkarte, die einen direkten Bezug zu Pamela Wedekind gehabt haben dürfte.!

Leb’ wohl, liebster Frank, Dein letzter Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.7.1907., war mir bis jetzt der Liebste!

Innigst
Deine Tilly


[Seite 4 am rechten Rand um 90 Grad gedreht:]

Eben aufgewacht: Ich kann’s fast so gut wie Du, Papa,
Deine Anna-Pamela.

Tilly Wedekind schrieb am 25. Juli 1907 in Graz folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Postkarte
Carte postale ‒ Cartolina postale


Nur für die Adresse


Herrn
Frank Wedekind
München
Hotel Leinfelder


Schreibraum


Donnerstagder 25.7.1907. abend.


Liebster Frank, herzl. Dank für Dein Telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 25.7.1907.! Wohnst Du denn Hotel Leinfelder? Ich dachte, der Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1907. Tilly Wedekind hat den Brief offenbar an das Grand Hotel Leinfelder adressiert (das Kuvert ist nicht überliefert) und angenommen, er habe Frank Wedekind dort am 23.7.1907 (Dienstag) noch rechtzeitig vor seinem Geburtstag am 24.7.1907 erreicht, erfuhr aber nun durch sein Telegramm, dass er verspätet in München angekommen ist. sei noch Dienstag hingekommen. Sehr erfreut über Deine Aufmerksamkeit grüßt Dich
herzlichst
Deine Tilly


Graz. Hilmteichein im 19. Jahrhundert angelegtes künstliches Stehgewässer in Graz und Naherholungsgebiet der Stadt..

Frank Wedekind schrieb am 25. Juli 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind rosenberg bei graz kirschengasse 2=


Telegramm
aus
[...] muenchen [...]


herzlichsten dank fuer die wunderschoenen bilderWedekind dürfte sich einerseits auf die Beilage zu einem nun erhaltenen Brief beziehen, in dem die Rede ist von einem „Bild“ [Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 22.7.1907], andererseits auf die wohl gleichzeitig erhaltene Bildpostkarte mit der Ansicht von Graz [vgl. Tilly Wedekind, Dagobert Newes, Mathilde Newes, Eduard Newes, Dora Newes, Lene Newes, Martha Newes an Frank Wedekind, 23.7.1907]., ueber wohnung entschejdung in drei tagen ausfuehrliche nachricht folgt – herzlichste gruesse = dein frank.

Frank Wedekind schrieb am 26. Juli 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

Tilly Wedekind
Rosenberg bei Graz
Kirschengasse 2


Telegramm
aus
München [...]


Liebe Tilly ich habe eben wohnung gemietetdie Münchner Wohnung in der Amalienstraße 86 (2. Stock). Wedekind notierte am 26.7.1907 im Tagebuch: „Umzug aus Hotel Leinfelder nach Amalienstraße 86 II.“ wo amalienstrasse 86 2 bitte briefe dorthin die wohnung wird montagder 29.7.1907. frei bitte also dienstag zu kommen herzlichste Grüsse = Frank.

Frank Wedekind schrieb am 27. Juli 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

= tilly wedekind graz
rosenberg kirschenstrasze 2=


Telegramm
aus
[...] muenchen [...]


geliebte tilly herzlichen dank fuer lieben briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 25.7.1907. und telegrammeÜbertragungsfehler, statt: telegramm. Wedekind bezieht sich auf das an diesem Tag erhaltene Telegramm [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 27.7.1907]; „ein zweites Telegramm [...] ist nicht überliefert“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 64]., wenn du etwas brauchst dann telegraphiere oder lass dir von hause geben. ich freue mich sehr. herzliche gruessenÜbertragungsfehler, statt: gruesse. an dich und anna pamilaÜbertragungsfehler, statt: pamela. = frank.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 27. Juli 1907 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]


frank wedekind muenchen amalienstr 86 zweiter stock |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Graz [...]


= mit grossen jubel dein telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 26.7.1907. erhalten ich telegrafire noch die genaue ankunft dienstagder 30.7.1907. frohes wiedersehen tilly anna pamela

Frank Wedekind schrieb am 28. Juli 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

Tilly Wedekind
Rosenberg Kirschengasse 2 Graz


Telegramm
aus
München [...]


erhalte eben deine Kartevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 25.7.1907 (Bildpostkarte). erwarte hocherfreut dein telegrammvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.7.1907. herzlichste grüsse frank

Tilly Wedekind schrieb am 28. Juli 1907 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]


frank wedekind muenchen
amaliastrÜbertragungsfehler, statt: amalienstr. 86 roemFernschreiberkürzel zur Markierung römischer Zahlen (hier „2“ für „II“ = 2. Stock). 2= |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Graz [...]


geliebter frank, herzl. dank fuer telegrammevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 27.7.1907 und 28.7.1907.. sind montagder 29.7.1907. 5.40um 17.40 Uhr. salzburg uebernachten oesterreichischen hof dienstagder 30.7.1907, an dem Wedekind in München notierte: „Kaufe Tilly eine Uhr. Hole sie an der Bahn ab.“ [Tb] 12.10 bei dir. anders mit anna pamela nicht moeglich. innigst deine tilly

Frank Wedekind schrieb am 29. Juli 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

frau tilly wedekind salzburg
oesterreichischer hof.=


Telegramm
aus
[...] muenchen [...]


geliebte tilly konnte leider nicht hinkommennach Salzburg, um Tilly Wedekind dort abzuholen. habe wirklich zu viel zu thun erwarte dich sehnsuchtsvoll = frank.

Tilly Wedekind, Paula von Greisky und Tini Schrenz schrieben am 30. Juli 1907 in Salzburg folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Correspondenzkarte


Herrn
Frank Wedekind
München
Amalienstr. 86 II |


Paula v. Greisky„vermutlich mitreisende Bekannte aus Graz.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 65]


Gruß aus Salzburg.


Gut hier angekommen, grüßt Dich herzlichst
Deine Tilly


Tini Schrenz„vermutlich mitreisende Bekannte aus Graz.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 65]

Frank Wedekind schrieb am 31. Juli 1907 in München
an Tilly Wedekind

Frau Tilly Wedekind
Amalienstraße 86 II

Tilly Wedekind schrieb am 12. September 1907 in Lenzburg folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]

wedekind muenchen amalienstr 86= |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Lenzburg [...]


= sehr gut angekommenim Steinbrüchli, im Haus ihrer Schwiegermutter in Lenzburg. herrliches wetter herzlichst = deine tilly.

Frank Wedekind schrieb am 12. September 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

Telegramm [...]
von München

[...]


Frau Tilly Wedekind
im Steinbrüchli
Lenzburg.


Wie seid Ihr angekommen?Frank Wedekind hat am 11.9.1907 die Abreise Tilly Wedekinds (mit Tochter, Amme und Franken) um 23.15 Uhr von München festgehalten: „Tilli packt. [...] Tilli in Schweizergeld M. 100 Tilly fährt Abends 11 Uhr 15 mit Anna Pamela und der Amme nach Lenzburg.“ [Tb] Sie wohnte bei ihrer Schwiegermutter im Steinbrüchli.Frank Wedekind hat am 11.9.1907 im Tagebuch die Abreise Tilly Wedekinds (mit Tochter, Amme und Franken) um 23.15 Uhr von München festgehalten: „Tilli packt. [...] Tilli in Schweizergeld M. 100 Tilly fährt Abends 11 Uhr 15 mit Anna Pamela und der Amme nach Lenzburg.“ Sie wohnte bei ihrer Schwiegermutter im Steinbrüchli.

Herzlichste Grüsse an Alle.
Dein Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 13. September 1907 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Lenzburg, Freitagder 13.9.1907..


Mein lieber Frank,

wir sind also ausgezeichnet untergebracht. Wir bewohnen Mati’s Zimmer, Anna Pamela hat einen Liege-wagen zum Schlafen von Mati’s Freundinnicht identifiziert..

Das alles interessiert Dich aber gar nicht.

Mama u. Mati sind sehr lieb zu mir. Ich habe natürlich gleich ausgepackt, bis zu Tisch war Ordnung. Nach Tisch habe ich bis 6 Uhr geschlafen. |

Ich habe gedacht, ich werde halbtot todt hier ankommen, es ist aber gar nicht der Fall. Das Wetter ist wunderschön u. warm, morgens starker Nebel, bis Mittag aber immer Sonnenschein, schöner wie im Sommer. Natürlich kann man auch kalt baden. Mati erzählte mir viel von den Aufführungen in VindonissaIm restaurierten Amphitheater von Vindonissa, den Ruinen einer antiken Römerstadt in der Nähe von Brugg im Aargau, haben unter der Regie von Rudolf Lorenz mit Bühnenkünstlern des Meininger Hoftheaters und Laiendarstellern sechs Vorstellungen von Friedrich Schillers Drama „Die Braut von Messina“ unter freiem Himmel stattgefunden, regulär am 18.8.1907, 25. und 28.8.1907, 1. und 8.9.1907 sowie als zusätzlichem Spieltag am 4.9.1907 – beworben als „Aufführungen mit Sprechchören von 400 Personen“ [Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 394, 6.8.1907, Morgen-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. (4)]. Die Presse berichtete: „Die Macht der Chöre, das heißt das gemeinsam gesprochene Wort von gegen 400 Personen war einfach überwältigend, großartig, und Tausende von Zuhörern wurden bis in die innerste Seele ergriffen von diesem Herz und Sinn gefangen nehmenden Werke unseres größten und liebsten Dichters. Nicht nur die Jugend wurde hingerissen: in manches Mannes Auge glänzte eine Träne über dem Walten des schaurigen Schicksals, dem das unheilvolle Haus des Fürsten von Messina anheimfällt. Neben den Chören, zu denen das Städtchen Brugg die große Mehrzahl gestellt hat, wirkten in wahrhaft meisterhafter Weise Berufsschauspieler aus Meiningen“ [Zürcher Wochen-Chronik, Nr. 36, 7.9.1907, S. 286].. Stand eigentlich nichts davon in den Zeitungen?

Ich glaube, ich werde mich hier wohl fühlen. |

Wie geht es Dir, mein lieber Frank? Ich hoffe, Du kommst nun zu der ersehnten Ruhe, u. Stimmung. Ich kann Dir ja leider durch nichts anderes nützen, als wenn ich Dir fern bleibe. Ich bin zufrieden, wenn ich Dir damit nützen kann.

Lebwohl, denk’ nicht mit Groll an mich.

Deine Tilly |


Viele Grüße von Mama u. Mati.

Frank Wedekind schrieb am 15. September 1907 in München folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Postkarte


An
Frau Tilly Wedekind
im Steinbrüchli
in Lenzburg
Wohnung (Straße und Hausnummer) Ct. Aargau Schweiz |


Geliebte Tilly, ich habe drei Tage gearbeitetWedekind hat an seinem Einakter „Die Zensur“ gearbeitet, der zunächst noch den Titel „Das Kostüm“ trug [vgl. KSA 6, S. 827], wie er im Tagebuch am 12.9.1907 („Beginne an Kostüm zu arbeiten“), 13.9.1907 („Arbeite im Hofbräuhaus an Kostüm“), 14.9.1907 („Arbeite im Hofbräuhaus an Kostüm“) und 15.9.1907 („An Kostüm gearbeitet“) notierte.. Dein BalletkostümTilly Wedekind hat bei dem Schneidermeister Johann Nepomuk Mück (Hackenstraße 3), der „Theaterkostümeur“ [Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 359] war, dem Tagebuch zufolge am 9.9.1907 Kostümprobe gehabt („Tilly probiert bei Mück zwei Kostüme an“); ein Ballettkostüm war fertig und kam am 14.9.1907 bei Frank Wedekind an („Mück schickt das Balletkostüm“). Sie hatte nicht nur als Lulu in „Erdgeist“-Aufführungen (3. Akt) ein Ballettkostüm getragen, sondern trug dann später in Inszenierungen des Einakters „Die Zensur“ (2. und 3. Szene) ein Ballettkostüm [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 66]. ist von Mück gekommen in großem Karton, den ich möglichst bald nach Berlin gesch schicke. MaliotLudwig Malyoth war Intendanz-Oberinspektor am Münchner Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 482] und bekannt mit dem theaterinteressierten Franziskanermönch Pater Expeditus (= Dr. phil. Carl Hermann Schmidt), der wiederum „in engem Kontakt mit dem Münchner Hoftheater“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 66] stand. Wedekind suchte den Kontakt mit dem Bibliothekar und Franziskanermönch, um sich für sein neues Stück mit ihm zu beraten [vgl. Wedekind an Carl Hermann Schmidt, 11.9.1907]. hat schon an den Pater Expeditus geschrieben. Wenn ich hier nur 1. Scene fertig schreibe, dann wird das übrige sehr leicht in Berlin fertig zu machen sein. Thalia Theater in Hamburg wird Büchse d. P. aufführen. Wir fahren zur PremiereEine Aufführung von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am Hamburger Thalia-Theater kam erst am 23.4.1911 zustande [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 66]. hin. HolländerWedekind wartete auf Nachricht von Felix Hollaender, Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin, über die geplante Neuinszenierung des „Marquis von Keith“ (Premiere: 9.11.1907). hat noch nichts von sich hören lassen. Leider werdet Ihr jetzt sehr schlechtes WetterWedekind dürfte den Wetterbericht gelesen haben: „Aussichten für die Witterung in der Nordostschweiz: Wechselnde Bewölkung und Aussicht auf zunächst noch einzelne Niederschläge; Temperatur eher mäßig kühl“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 128, Nr. 256, 15.9.1907, 1. Blatt, S. (2)]. haben. Von Vindonissa stand einiges im Berliner TagblattIm „Berliner Tageblatt“ waren die Freilichtaufführungen von Schillers „Braut von Messina“ vom 18.8.1907 bis 8.9.1907 im Amphitheater von Vindonissa im Aargau mehrfach annonciert; es gab auch einen ausführlicheren Bericht, in dem es heißt: „Wie unser Korrespondent in Zürich schreibt, besitzt die Schweiz im Kanton Aargau ein großartiges Baudenkmal in Form eines römischen Amphitheaters, das im Jahre 1881 bloßgelegt worden ist: in Vindonissa (Windisch), einer der bedeutendsten Handelsstädte [...] der alten Römer. Die wichtigen Mauern des Amphitheaters [...] sind heute noch vorhanden und dank der Gesellschaft ‚Pro Vindonissa‘ gut restauriert. Mit Hilfe des Bundes hat diese Gesellschaft das antike Theater im Laufe der Jahre ganz bloßlegen lassen, so daß es heute in seiner ganzen erstaunlichen Größe und Anlage bewundert werden kann. An dieser klassischen Stätte, die nunmehr Eigentum der Eidgenossenschaft ist, finden vom 18. August bis zum 8. September dieses Jahres [...] Aufführungen der ‚Braut von Messina‘ statt. Ein gewaltiger neuer Bühnenbau [...] ermöglicht eine Aufführung dieses Dramas im Freien. Das Theater ist in zehn Minuten vom Bahnhof Brugg aus zu erreichen. Die Aufführungen finden nachmittags von 4 bis 6 Uhr statt. Der Zuschauerraum faßt mehr als viertausend Sitzplätze und etwa zweitausend Stehplätze. Die Sonne haben die Zuschauer im Rücken. Die Chöre werden von einigen hundert Mitwirkenden gesprochen; die bisherigen Proben haben die Wirkung dieser Massensprechchöre bereits dargetan. Die Hauptrollen liegen in den Händen von Darstellern, die fast alle der Meininger Hofbühne angehören.“ [Schiller-Aufführungen in einem altrömischen Amphitheater. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 383, 31.7.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)] . Ich glaubte, es Dir gesagt zu haben. Grüße Mama und Mati und sei du selber herzlichst gegrüßt und geküßt sammt Deiner lieben Anna Pamela von Deinem Frank

Frank Wedekind schrieb am 17. September 1907 in München folgenden Brief
an Tilly Wedekind

Liebe Tilli!

Was ist mit Dir, daß Du nichts hören läßt? Hast du Dich bei dem plötzlichen Witterungswechsel erkältet oder geht es Anna Pamela nicht gut? Schreib mir bitte einen Gruß zur Beruhigung. Aber schreibe mir auch offen, wenn Du irgend welche Unannehmlichkeiten hast.

Es sind morgen schon acht | Tage daß ihr fort seid. Fünf Abende habe ich bis jetzt gearbeitet. Heute ist der sechste und ich kann mich nicht über den ErtragWedekind hat am 12.9.1907 ‒ noch unter dem Arbeitstitel „Das Kostüm“ ‒ mit der Ausarbeitung seines Einakters „Die Zensur“ begonnen [vgl. KSA 6, S. 827]. beklagen. Wenn ich die Arbeit zu Ende bringe wird es dir jedenfalls die liebste Rolledie Rolle der Kadidja im Einakter „Die Zensur“ (1908). sein. Du schreibst liebe Tilly, daß Du mir nur dadurch nützen kannst, wenn Du mir fern bist. Das ist Unsinn. Du hast überhaupt mir s in erster Linie dir selber zu nützen. Mehr kannst Du gar nicht für mich | thun, als wenn Du Dir selber nützt. Aber wenn Du mich nicht einmal 14 Tage die ich durchaus nötig habe, allein lassen kannst, dadurch kannst Du mir allerdings sehr empfindlich schaden.

Die Neuigkeiten habe ich Dir alle auf der Postkartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.9.1907. geschrieben. Vor drei Tagen wurden Leitern an unserem Haus aufgerichtet. Das Dach wird abgedeckt; unten im Hof hausen die Maurer.

Neulich traf ich BasilWedekind hat Fritz Basil, den Münchner Hofschauspieler, bei dem er seit 1904 Schauspielunterricht nahm, dem Tagebuch zufolge am 13.9.1907 getroffen („Mit Basil in der Amerikan Bar“), dann wieder (zusammen mit dem Redakteur Fritz Schwartz) am 17.9.1907 („In der Odeonsbar treffe ich Basil und Nero“)., der sich auf|richtig drauf zu freuen scheint, übers Jahr wieder schauspielerisch mit mir zu arbeiten. Er hat mir auch schon einige Winke gegeben wie man sich vor zu grt großer Ermüdung schützt. Wenn ich nicht zu schreibselig bin, geliebte Tilly, darfst Du es mir wirklich nicht verdenken, weil ich die Zeit auszunutzen suche. Aber Du hast doch wohl Muße genug, vorausgesetzt, daß nicht irgend etwas passiert ist. Grüße Mama und Mieze herzlichst und sag ihnen meinen Dank für ihre Gastlichkeit. Du und Anna Pamela seid aufs herzlichste gegrüßt und geküßt von Eurem
Frank.


17.9.7.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 17. September 1907 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Lenzburg, Dienstagder 17.9.1907..


Mein lieber Frank,

ich freu’ mich sehr, dass Du arbeiten kannst. Schreib’ mir bitte, wenn Du den PaterPater Expeditus (Carl Hermann Schmidt) [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.9.1907]. getroffen hast, ich bin sehr gespannt auf diese Unterredung. Wirst Du eigentlich Deine Idee mit der Notiz über den Flegel„Die Bemerkung bezieht sich vermutlich auf einen Konflikt Franks mit dem steinreichen amerikanischen Unternehmersohn August Edward Jessup [...], der Schloss Lenzburg 1893 von der Familie Wedekind für rund 120.000 Franken erworben hatte“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 67]. auf Schloss Lenzburg ausführen?

Morgen Nachmittags werden wir von Otto Bertschinger j. in’s | Schloss geführt. Ich freu’ mich schon sehr. Heute ist ein prachtvoll schöner Tag, ich hoffe nur, dass Du in München auch so schönes Wetter hast. Auch wenn es nicht schön ist laufen wir viel spazieren. Die Zeit vergeht mir sehr schnell.

Von SandlKäthi Sandel war Schauspielerin am Münchner Lustspielhaus [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 516] und ist an das Stadttheater in Bamberg gegangen [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 235]. hast Du nichts mehr gehört?

Wann soll denn die Büchse d. P. aufgeführtgeplant am Hamburger Thalia-Theater [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.9.1907]. werden? Öffentlich? Sollst Du auch spielen? |

Es tut mir leid, dass Du nun die Mühe mit dem CartonFrank Wedekind wollte den Karton mit dem von Johann Nepomuk Mück für Tilly Wedekind geschneiderten Ballettkostüm nach Berlin schicken [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.9.1907]. hast. Wieviel hat das Costüm gekostet?

Ich habe mit Mama gesprochen, ob sie uns das zweite Haus vermieten würde. Ich glaube aber, wir sind ihr zu unsicher.

Nun, es steht einem ja die ganze Welt offen!

Nun leb’ wohl, u. sei innigst umarmt u. geküsst
von Deiner Tilly |


Liebster Papa, meine Mama erwiedertSchreibversehen, statt: erwidert. den Kuss herzlichst u. ich gestatte mir mich anzuschließen.

Deine
Anna Pamela


Mama und Mati grüßen herzlichst.

Tilly Wedekind schrieb am 18. September 1907 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Lenzburg, Mittwochder 18.9.1907..


Mein einzig geliebter Frank,

es muss schon sehr schlimm mit uns stehen, wenn Du nur „liebe Tilli“ Zitat der Anrede aus dem letzten Brief [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 17.9.1907].u. dann mit i zum Schluss schreibst. Nein Frank, ich hoffe von ganzem Herzen, dass dies nichts Schlimmes zu bedeuten hat.

Geschrieben hab’ ich Dir doch Freitagvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 13.9.1907. u. dann gestern Dienstagvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 17.9.1907.. Also in 1 Woche 2 Briefe. Heute hab’ ich Dir ein Telegramm nachgeschicktnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Anna (siehe unten) an Wedekind, 18.9.1907.. |

Freilich hab’ ich nicht sehr ausführlich geschrieben, aber sieh’ mal, ich hatte nicht das Gefühl, dass Dir meine Epistelnlängere Briefe. Tilly Wedekind hat während ihres Aufenthalts in Graz vom 10. bis 29.7.1907 mehrere längere Briefe an Frank Wedekind geschrieben. aus Graz eine solche Wonne waren. Und sieh’ mal, um mich aufzudrängen bin ich zu stolz! Wenn ich mich jetzt mit einem Herzen voll Liebe hinsetzte, um Dir alles Liebe u. Gute zu sagen, dann fällt mir das ein, u. ich fürchte zu viel zu tun. |

Wenn Du von mir hören willst, geliebter Frank, so freut mich das von Herzen.

Wir sind alle wohl u. munter, sei nur ganz ausser Sorge! Heute hast Du ja auch meinen Brief, sonst hätte ich telegraphiert.

Ich freu’ mich so, dass Du Dich wohl fühlst u. arbeiten kannst. Bitte richte es ganz ein wie Du willst! Hier ist’s kalt aber schön, u. können wir gut bis Anfang October bleiben. Dann fahr’ ich wohl nach Berlin, Du kannst vor oder | nach mir kommen, ganz wie Du willst! Ich begreife ja so sehr, dass Du allein sein musst, dassSchreibversehen, statt: das. habe ich Dir auch schon das erste Maldie frühere Trennung, Tilly Wedekinds Aufenthalt vom 10. bis 29.7.1907 bei ihren Eltern in Graz. gesagt. Wenn es mir schwer fällt, wenigstens der Abschied, so ist das begreiflich u. auch keine Beleidigung für Dich. Dass ich Schwierigkeiten machte, war ein großer Fehler von mir, dafür habe ich aber wieder viele Vorzüge, u. habe mich in alles andere sehr gut hineingefunden. |

Oder findest Du, dass ich so absolut nicht zu Dir passe? In Lenzburg wurde erzählt Du seist auf dem Alpenzeiger„eine Falschmeldung“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 67]. Der Alpenzeiger „ist der höchste Aussichtspunkt am Hungerberg in 420 m Höhe über Aarau, von wo aus, jenseits der Aare am Waldrand gelegen, sich eine prächtige Aussicht über die historische Altstadt auf die Alpen eröffnet“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 68].. Mich ergriff ein freudiger Schreck! Aber Dein Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 17.9.1907. ist aus München. Hoffentlich wirst Du durch die Arbeiten im Hause nicht gestört. Wird Dir denn immer ordentlich auf|geräumt? Hast Du alles was Du brauchst? Oder besser noch, als wenn ich Dir einen schlechten Kaffée mache?

Ich hoffe dies bis October noch alles viel besser zu können.

Willst Du mit Basil wieder z studierenhier: Schauspielunterricht nehmen.?

Grüße alle Bekannten die Du siehst! |

Nun lebwohl, geliebter, einziger Frank!

Du musst ein Bischen Nachsicht mit mir haben.

Von ganzem Herzen
Deine ergebene Tilly


Grüße von allen! |


Geliebter Frank,

Anna„die Zugeherin des Berliner Wedekind-Haushalts“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 68]. schickte die Depeschedas oben erwähnte Telegramm von Anna an Wedekind (nicht überliefert), das sie nach Lenzburg geschickt hat. an mich. Bitte schreib’ mir, wenn Du eine neue Adresse hast.

Innigst
Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 21. September 1907 in München folgenden Brief
an Tilly Wedekind

Innigstgeliebte Tilly,

herzlichen Dank für Deinen lieben ausführlichen Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.9.1907.. Wie kannst Du denken, daß mich das was Du schreibst nicht von ganzem Herzen in Anspruch nimmt. Du hast mir das von Graz aus schon einmal geschrieben. Ich bitte Dich, mir von Deinem Empfinden das beste zu geben und nicht das beste für Dich zu behalten.

Sollte ich wirklich Tilly mit | mitSchreibversehen, statt: mit. einem i geschrieben haben? Nun, ich werde es nicht mehr thun.

Es freut mich, daß Du Dich in Lenzburg nicht langweilst und daß sich alles wohlbefindet. Mit mir steht es so. Die erste Scene habe ich gestern fertig geschriebenWedekind, der an seinem Einakter „Die Zensur“ noch unter dem vorläufigen Titel „Das Kostüm“ arbeitete [vgl. KSA 6, S. 827], hielt am 20.9.1907 im Tagebuch fest: „Ich beende die erste Scene von Kostüm auf dem Hofbräuhauskeller.“. Ich werde jetzt hier noch den nötigen Stoff für die zweite Scene sammeln. Übermorgenam 23.9.1907; an diesem Tag suchte Wedekind den Pater Expeditus (Carl Hermann Schmidt) im Franziskanerkloster St. Anna auf und sah ihn anschließend bei der Probe zu der Inszenierung von Johann Wolfgang Goethes „Iphigenie auf Tauris“ im Münchner Schauspielhaus, wie er im Tagebuch notierte: „Besuch bei Pater Expeditus. Probe von Iphigenie.“ treffe ich Pater Expeditus auf der Probe von Iphigenie im Schauspielhaus, vielleicht auch schon vorher im St. Annakloster, wenn ich früh genug aufstehe. | Er hat mir eben geschriebenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Carl Hermann Schmidt an Wedekind, 20.9.1907.. Ich werde dann die folgende Woche noch hier bleiben. Auf dem Rückweg muß ich wieder über FrankfurtWedekinds Schneider Johann Christoph Jureit hatte sein Geschäft in Frankfurt am Main – das Schneideratelier Johann C. Jureit (Roßmarkt 12) [vgl. Adreßbuch für Frankfurt am Main 1907, Teil I, S. 174]., da ich Jureit hier versäumt habe. Er war schon Anfang September hier, während ich geglaubt hatte er käme später. Wir könnten uns dann vielleicht in Frankfurt treffen, da die Reise in einer Tour sowohl für Dich wie Anna Pamela wol zu anstrengend wäre. Ich käme vielleicht einen Tag vorher hin und würde im Frankfurter Hof für Unterkunft sorgen. Ich würde auch gerne mit | Dr. Heine sprechenCarl Heine – ehemals Leiter des Ibsen-Theaters, das 1898 in Leipzig im Auftrag der Literarischen Gesellschaft den „Erdgeist“ uraufgeführt hatte und mit dem Wedekind seinerzeit auf Tournee war – war Wedekind seit dieser Zeit freundschaftlich verbunden; er war seit Ende 1906 Oberregisseur und Dramaturg am Frankfurter Schauspielhaus., mit dem wir dann zusammensein könnten.

Nun schreib noch/mir/ auch wie es mit Deinen Finanzen steht und was du voraussichtlich bis Berlin noch brauchst. Wieviel die Fahrkarten Basel – Berlin kosten werde ich hier erfahren. Schreib mir, ob du lieber bei Tag oder bei Nacht fährst.

Hast Du mit Mati gesprochen und was habt ihr ausgemacht?

Ich bitte Dich Mama und Mati für alle Liebe meinen herzlichsten Dank zu sagen. | Wenn wir hier in München wohnen, dann besuchen sie uns hoffentlich auch. Es wäre wirklich eine Sünde in Berlin wohnen zu bleiben.

Und sei herzlichst gegrüßt und geküßt, meine geliebte Tilly! Schone Dich, in acht Tagen geht die Anstrengung mit dem Proben und Reisen wieder an. Küsse Anna Pamela von mir, ich werde ihr noch eine Karte schreibenvgl. Frank Wedekind an Pamela Wedekind, 21.9.1907.

Auf baldiges Wiedersehn
Dein
Frank


21.9.7.

Frank Wedekind schrieb am 23. September 1907 in München folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind
in Lenzburg
Wohnung (Straße und Hausnummer) Ct. Aargau Schweiz |


Adresse des Absenders: |


Geliebte TilIy! So unglaublich es klingen mag, war ich heuteWedekind notierte am 23.9.1907: „Besuch bei Pater Expeditus. Probe von Iphigenie.“ [Tb] früh um 9 Uhr im Franziskanerkloster. Ich hatte eine halbstunde UnterredungWedekind suchte den Kontakt mit dem Franziskanermönch, um sich im Zusammenhang mit seinem entstehenden Einakter „Die Zensur“ (um diese Zeit noch unter dem Arbeitstitel „Das Kostüm“) Rat zu holen. „Inhalt dieser Gespräche waren vermutlich sowohl religiöse Fragestellungen als auch das Thema Zensur.“ [KSA 6, S. 827] mit dem Pater und ging dann ins Schauspielhaus zur Iphigenie-Probe. Gleichdrauf kam der Pater ebenfalls. Wir beide waren das einzige Publicum. MorgenWedekind notierte am 24.9.1907: „Generalprobe von Iphigenie. Pater Expeditus“ [Tb]. werde ich ihn noch einmal in | der GeneralprobeDie Generalprobe der Inszenierung von Johann Wolfgang Goethes „Iphigenie auf Tauris“ am Münchner Schauspielhaus fand am 24.9.1907 statt, die Premiere, die Wedekind dem Tagebuch zufolge ebenfalls besuchte („Premiere von Iphigenie“), am 25.9.1907. sehen. Er kommt im Winter nach Berlin um in der Reinhardtschen Theaterschuledie am 2.10.1905 eröffnete Schauspielschule des Deutschen Theater zu Berlin (In den Zelten 21). einen VortragDer Vortrag von Pater Dr. Expeditus Schmidt – er sprach über Theater – wurde nicht von der Schauspielschule des Deutschen Theater zu Berlin veranstaltet, sondern von der Wochenschrift „Morgen“ und fand am 12.12.1907 im Choralionsaal in Berlin statt [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 630, 12.12.1907, Morgen-Ausgabe, 4. Beiblatt, S. (3)]. Wedekind hat den Vortrag am 12.12.1907 besucht: „Vortrag des Pater Expeditus im Choralionsaal“ [Tb]. zu halten. Wir sprachen auch von Dir und Anna Pamela. Meinen Brief wirst Du erhalten haben.

Herzlichste Grüße an Alle. Auf baldiges Wiedersehn
Dein Frank


23.9.7.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 23. September 1907 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Montagder 23.9.1907..


Geliebtester,

innigen Kuss für Deinen lieben Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.9.1907.! Ich bekam ihn erst heute, Sonntag wird nicht ausgetragen. Hier ist es schon ziemlich kalt, doch lieb ich es sehr in dieser frischen Luft spazieren zu laufen.

Ich freu’ mich so, dass Du schon so weit bist u. bin fast stolz, als ob ich etwas dazu getan hätte. Hoffentlich hält die Stimmung auch in Berlin an. |

Wir müssen uns in Berlin entschieden eine neue Einteilung machen, dass wir nicht so von einander abhängig sind. Ich meine, dass Du nicht mehr das Gefühl hast, wir sind zuviel zusammen. Übrigens können wir noch darüber sprechen.

Nun, mein lieber Frank, muss ich Dir sagen, dass ich nicht gern in Frankfurt die Reise unterbrechen will. Du kannst mir glauben, dass ich mich sehr danach sehne Dich wieder zu haben. Aber mit dem Kind ist es am Besten ich fahre | Nachmittags weg über Basel, Frankfurt, Leipzig die Nacht durch u. bin im Laufe des Vormittags in Berlin. Das Aussteigen in Frankfurt, in’s Hotel fahren u. da für paar Tage alles mögliche auspacken ist viel umständlicher. Wenn Du mich aus irgend einem Grund da haben willst, ich tu’ es ja sehr gern, einfacher wäre es direct zu fahren. Auch würde ich gern 1 – 2 Tage vor Dir in Berlin sein, damit dann alles in Ordnung ist. | Bitte schreib’ mir, wie Du es willst. Geld hab’ ich noch über 90 Franc u. brauchst Du mir nur das Fehlende für die Karten zu senden. Mama u. Mati verrechnen erst dann, wieviel sie diesen Monat mehr gebraucht haben u. senden Dir’s nach Berlin. Ist’s Dir so recht, geliebter Frank? Sonst brauche ich ja nichts. Ich würde Anfang nächster Woche fahren, voraussichtlich Montag. Bist Du da schon in Frankfurt? Da könnten wir uns ja am Bahnhof sehen. |

Mitten in der Nacht wache ich oft auf u. denke dann lange an Dich. Ich hab’ auch viel von Dir geträumt. Merkwürdig, als ich hierher kam, fühlte ich mich so zerschlagen von den letzten Aufregungen, dass mir alles vollkommen gleichgültig war. Und jetzt hab’ ich das Gefühl, dassSchreibversehen, statt: das. ich immer zu Hause hatte, hinaus in’s Leben. Und ich sehne mich danach Dir zeigen zu können, dass du doch einen guten Ka|maradenSchreibversehen, statt: Kameraden. in mir hast. Nur Frank, darfst Du es mir nicht zu schwer machen.

Hier war „große Wäsche“Waschtage (die arbeitsintensiv waren). u. hab’ ich die Zeit zum Lesen benützt. Die Reventlow hätte ich gerne kennen gelerntFranziska zu Reventlow, die mit Wedekind seit den 1890er Jahren befreundete Schriftstellerin, Übersetzerin und Zentralfigur der Schwabinger Boheme, lebte in München, wo Tilly Wedekind ihr bisher noch nicht begegnet ist.. Aber das ist wohl immer noch mal möglich.

Ich hätte so gern das Lied dans les fêtes des amoureux(frz.) an den Valentinstagen, ‚auf den Festen der Liebenden‘ (ein Liedtitel). Lied nicht eindeutig identifiziert. „An welches Lied sich Tilly von ungefähr erinnert, bleibt offen.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 69] Es dürfte sich aber um das Lied „La Fête des amoureux“ (1886) von Paul Fauchey (Text: Georges Laure-Marguery) gehandelt haben. oder wie’s heißt gelernt, habe aber in Deinem Buchnicht identifizierte französischsprachige Liedersammlung aus Wedekinds Besitz; vielleicht hat es sich um dieses Buch gehandelt, in dem das Lied „Marion“ (siehe unten) mit Noten enthalten ist: Les plus jolies chansons du pays de France. Chansons tendres. Choisies par Catulle Mendès. Notées par Emmanuel Chabrier et Armand Gouzien. Illustrées par Lucien Métivet. Paris 1888. nur die Mariondas französische „Volkslied ‚Marion s’en va-t-a l’ou‘; vertont von dem frz. Komponisten Emmanuel Chabrier“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 69]. gefunden. Willst Du mir’s aufschreiben? | Hast Du niemand von unsern Bekannten gesehen?

Nun lebwohl für heute. Im Geiste sitze ich auf Deinem Bett, oder deinen Knien, umarme u. küsse Dich innig.

Deine Tilly |


Liebster Papa,

vielen Dank für Deine liebe Kartevgl. Frank Wedekind an Pamela Wedekind, 21.9.1907.. Großmama, Tante Mati grüßen herzlich. Einen schönen Kuss von Deiner Anna Pamela Wedekind


[Seite 8 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Sie lacht u. freut sich riesig u. will noch schreiben.

Tilly Wedekind schrieb am 24. September 1907 in Lenzburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Carte postale. ‒
Union postale universelle. ‒ Weltpostverein. ‒ Unione postale universale.
SUISSE. SCHWEIZ. SVIZZERA.
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Herrn
Frank Wedekind
München
Amalienstr. 86 II.


Adresse des Absenders – Angabe freigestellt.
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Indirizzo del mittente – Indicatione facoltativa. |


Mein lieber Frank,

ich freu’ mich ungeheuer, dass ich so Antheil nehmen kann. Ich danke Dir für Deine Mitteilungvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 23.9.1907.. Wenn Du den Pater nochmals siehst richte ihm Grüße von mir aus. Ich freu’ mich ihn in Berlin kennen zu lernen. Ich bin sehr gespannt von Dir zu hören, was Ihr alles gesprochen habt. Hast Du die 2te SceneWedekind begann frühestens am 25.9.1907 mit der 2. Szene seines Einakters „Die Zensur“ (hier noch unter dem vorläufigen Titel „Das Kostüm“), da er, „bevor er an die Ausarbeitung der 2. Szene ging“, die Gespräche mit „dem Franziskanermönch Dr. Pater Expeditus Schmidt“ [KSA 6, S. 827] führen wollte, um jene zu gestalten (das letzte Gespräch fand am 26.9.1907 statt). angefangen?

Frohes Wiedersehn!

Innigst Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 26. September 1907 in München folgenden Brief
an Tilly Wedekind

Geliebte Tilly!

inliegend sende ich Dir M. 300Wedekind hielt am 26.9.1907 im Tagebuch fest: „Schicke an Tilly nach Lenzburg M. 300.“ Die 300 Mark waren für ihre Fahrkarten nach Berlin bestimmt.. Das BilletFahrkarte. BaselBerlin kostet einschließlich Schlafwagen zweiter Klasse 56 M. Das wäre für zwei Personen 112 M. Übrigens kommt mir die Summe etwas klein vor. Es ist möglich daß man sich auf dem Reisebureau geirrt hat und daß dies der Preis für 3. Klasse ist. Auf jeden Fall wirst du genug haben. | Vergiß nicht dem Mädchen zu Hause ein anständiges Trinkgeld zu geben. Man ist in dieser Beziehung von Mieze her sehr verwöhnt. Ich habe deine Gründevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 23.9.1907. eingesehen und halte es auch für praktischer wenn Du direkt fährst. Ich selber kann den Tag meines Dortseins nicht genau bestimmen, deshalb wollen wir uns nicht von einander abhängig machen.

Eben war ich wieder beim PaterWedekind notierte am 26.9.1907 seinen letzten Besuch bei Pater Dr. Expeditus Schmidt (Carl Hermann Schmidt) im Franziskanerkloster St. Anna, um sich bei ihm für die Ausgestaltung der 2. Szene seines Einakters „Die Zensur“ (Arbeitstitel: „Das Kostüm“) zu beraten: „Besuch bei Pater Expeditus in seiner Zelle.“ [Tb] Der Pater „diente Wedekind als Gesprächspartner bei der Arbeit an der 2. Szene des Einakters“ und zugleich „als Modell für die Figur des Dr. Prantl im selben Einakter“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 70]. in seiner Zelle. Er läßt deine Grüße F/f/reundlichst erwidern. Selbstverständlich hat er mir ein Dramanicht ermittelt; Pater Dr. Expeditus Schmidt hatte mit der Dissertation „Die Bühnenverhältnisse des deutschen Schuldramas und seiner volkstümlichen Ableger im sechzehnten Jahrhundert“ (1903) in München promoviert, Theaterstücke von ihm sind aber nicht bekannt [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 69f.]. Im Herbst 1907 hat er die zweibändige Auswahlausgabe „Lustiges Komödienbüchlein“ (Komödien von Franz von Pocci) im Insel-Verlag mitherausgegeben [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 74, Nr. 267, 15.11.1907, S. 12241]. mitgegeben, das Reinhart | aufführen soll. Religiös steht er natürlich auf demselben Standpunkt wie ich, d. h. er glaubt an nichts. Umso eingehender kann man daher über Religion sprechen.

Ich danke Dir herzlich für deinen lieben Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 23.9.1907. und für die Kartevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 24.9.1907 (Postkarte). die ich gestern erhielt. Hoffentlich geht es Euch gut. Gestern Abend war PremiereWedekind notierte am 25.9.1907: „Premiere von Iphigenie.“ [Tb] Die Premierenvorstellung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“ am Münchner Schauspielhaus unter der Regie von Georg Stollberg begann um 19.30 Uhr, Ende war 22 Uhr, in der Titelrolle: „Klara Rabitow als Gast.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 60, Nr. 449, 25.9.1907, Generalanzeiger, S. 2] Clara Rabitow (siehe unten) war verheiratet mit Albert Heine (siehe unten). von Iphigenie. Auf der GeneralprobeWedekind notierte am 24.9.1907: „Generalprobe von Iphigenie.“ [Tb] hatte Max Halbe einen Krach mit Frau StollbergGrete Stollberg, Schriftstellerin und Gattin von Georg Stollberg, Direktor des Münchner Schauspielhauses. bekommen. Die Aufführung war ein starker ErfolgHanns von Gumppenberg meinte: „Im Schauspielhause hatte die von Direktor Stollberg inszenierte erste Aufführung von Goethes Iphigenie auf Tauris mit Klara Rabitow in der Titelrolle starken und wohlverdienten Erfolg“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 60, Nr. 451, 26.9.1907, Morgenblatt, S. 2]; er würdigte die Premiere dann ausführlich: „Das scheinbar so kühne Experiment, die klassische Bühnendichtung großen Stils ins hochmoderne Schauspielhaus zu verpflanzen, und zwar gleich mit einem allerklassischsten Werke, mit Goethes Iphigenie, ist gestern über jedes Erwarten geglückt [...]. In der richtigen Erkenntnis, daß sich kein derzeitiges Mitglied des Schauspielhaus-Ensembles ganz für die Hauptrolle eignen würde, hat die Direktion Klara Rabitow, das hervorragend begabte frühere Mitglied unseres Hofschauspiels und des Wiener Burgtheaters, für diese Aufgabe gewonnen [...]. Die Leistung der Frau Rabitow verdient [...] vollste und freudigste Anerkennung: das war endlich einmal eine nicht bloß deklamierende, sondern ihre Konflikte wirklich durchlebende Iphigenie; warmblütig und menschlich unmittelbar in allen Momenten der seelischen Entwicklung, brachte sie das Ideale der Gestalt dadurch nur umso eindringlicher zur Geltung: ihr gebührt die Hauptehre des Abends. [...] Das Haus war nicht eben glänzend besucht, der Beifall aber nach allen Akten von überzeugter Stärke; zuletzt wurden Frau Rabitow, die auch eine schöne Blumenspende erhielt, und den übrigen Darstellern lebhafte Ovationen bereitet.“ [H.v.G.: Iphigenie im Schauspielhaus. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 60, Nr. 452, 27.9.1907, Vorabendblatt, S. 2] für die Rabitow. Nach der Aufführung arbeitete ich bis ein Uhr und | traf dann in später StundeWedekind notierte am 25.9.1907: „Premiere von Iphigenie. Dann im Hofbräuhaus gearbeitet. Mit Heine und Fridel in der Bar.“ [Tb] Er hat nach der Premiere von Goethes Schauspiel also bis 1 Uhr nachts an seinem Einakter gearbeitet und wechselte dann das Lokal; er ging in die American Bar (Maximilianstraße 4), wo er Albert Heine traf, den Ehemann der Schauspielerin Clara Rabitow (siehe oben) und Regisseur am Münchner Hoftheater [vgl. Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 199], der bei der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 die Regie geführt und die Rolle des Schigolch gespielt hat, sowie Egon Friedell, der bei der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ den Polizeikommissär spielte [vgl. KSA 3/I, S. 548]. Albert Heine mit Egon Fridell allein in der Amerikan Bar sitzenwohl Schreibversehen, statt: sitzend.. Sonst bin ich, das darf ich wohl sagen nicht mit viel Menschen zusammen gewesen. Einmal mit Fritz Schwarz und BasilWedekind notierte am 17.9.1907 sein Treffen mit Fritz Schwartz (genannt: Nero) und Fritz Basil in der Odeon Bar (Briennerstraße 4): „In der Odeonsbar treffe ich Basil und Nero.“ [Tb] und einmal mit Rung und dem Dr. KleinWedekind notierte am 21.9.1907: „Nachts in der Odeonsbar mit Runge und Dr. Klein.“ [Tb] Er traf in der Odeon Bar (Briennerstraße 4) also Woldemar Runge, Regisseur am Münchner Hoftheater [vgl. Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 455], und möglicherweise Tim Klein [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 70], was aber unsicher ist; Dr. phil. Tim Klein wurde zwar 1902 in München promoviert, war dann aber seit 1903 in Straßburg als Lehrer tätig, unklar, wie lange (er hielt nachweislich erst ab 1909 in München Vorträge und war erst ab 1918 als Theaterkritiker der „Münchner Neuesten Nachrichten“ tätig) – eine Verwandtschaft mit Emmy Loewenfeld (geb. Wolff) in Berlin darf bezweifelt werden., Neffen der Frau Löwenfeld in der Odeonsbar. Mit der ArbeitWedekind arbeitete an der 2. Szene seines Einakters „Die Zensur“ – nun wohl schon unter diesem Titel, den er erstmals am 27.9.1907 notierte: „An Censur gearbeitet“ [Tb]. geht es jetzt langsamer. Aber ich komme immerhin vorwärts. Imm Das Schwierigste liegt hinter mir, und ich weiß dasSchreibversehen, statt: daß. ich nichts geschrieben habe, woran Du nicht Deine Freude haben wirst. In Hamburg bewerben sich Berger und | ThaliatheaterAlfred von Berger war Direktor des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 397] und hatte an einer von Karl Kraus angeregten Neuinszenierung der „Büchse der Pandora“ unter seiner Regie Interesse [vgl. Nottscheid 2008, S. 275-280], ebenso das Thalia-Theater (Direktion: Max Bachur) in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 400], von dessen Interesse an seiner Tragödie Wedekind seiner Frau berichtet hatte [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.9.1907]. um Pandora. Davon daß ich mitspielen sollte ist nicht die Rede. Wozu auch. Wir haben andere Dinge, die wichtiger sind zu spielen. Ich habe mir bei Mück noch den ZaubertalarFritz Schwigerling in Wedekinds Schwank „Der Liebestrank“ (1899) trägt bei der Zubereitung des Zaubertranks für den Fürsten Rogoschin (2. Aufzug, 4. Auftritt) einen „Talar“ [KSA 2, S. 403], ein Requisit, das der Münchner Kostümschneider Johann Nepomuk Mück im Auftrag Wedekinds neu hergestellt hat. für Liebestrank machen lassen.

Geliebte Tilly, es lassen Dich eine Unmenge Menschen grüßen, jeder dem ich begegne. Neulich sagte mir Herr Bardou-MüllerMax Bardou, „Privatier“ [Adreßbuch für München 1907, Teil I, S. 21], vormals Kaufmann, seit dem 11.8.1892 mit der Schauspielerin Ida Bardou-Müller (geb. Müller, geschiedene Samst) verheiratet, die seit Jahren am Münchner Schauspielhaus tätig war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 491] und bei der Uraufführung von „Hidalla“ am 18.2.1905 die Rolle der Berta gespielt hat [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 71]., daß er eifersüchtig auf Dich sei, weil seine Frau Dich so tief in ihr Herz geschlossen habe. Aber | das wird Dich nicht so sehr interessieren. Über Marquis Keith in Berlin hörte ich nichts mehr seit meiner Weigerung vor acht Tagenam 18.9.1907, genau gerechnet (es geht um die geplante Neuinszenierung des „Marquis von Keith“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters zu Berlin, über die Wedekind mit dem Dramaturgen Felix Hollaender verhandelte und deren Premiere am 9.11.1907 stattfand) – Hinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Felix Hollaender, 18.9.1907. „Ein schriftlicher Bescheid Wedekinds an die Berliner Kammerspiele [...] ist nicht nachweisbar.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 71] zur Probe zu kommen. Ich denke sie werden die Proben aufgeschoben haben.

Hoffentlich ist bei Euch alles wohl. Grüße Anna Pamela der ich für ihre Zeilenvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 23.9.1907 (mit Grußzeilen von Pamela Wedekind). danken lasse, sowie Mama und Mati und sei selber herzlich gegrüßt und geküßt
von Deinem getreuen
Frank


26.9.7.

Tilly Wedekind schrieb am 27. September 1907 in Lenzburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Carte postale. ‒
Union postale universelle. ‒ Weltpostverein. ‒ Unione
postale universale.
SUISSE. SCHWEIZ. SVIZZERA.

Nur für die Adresse.
Côté réservé à l’adresse.
Lato riservato all’ indirizzo.


Herrn
Frank Wedekind
München
Amalienstr. 86 II.


Adresse des Absenders – Angabe freigestellt.
Adresse de l’expéditeur – Indication facultative.
Indirizzo del mittente – Indicatione facoltativa. |


Mein lieber Frank, heute erhielt ich Deinen Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 26.9.1907. u. danke Dir vielmals für die 300 M. Wir fahren also Montagder 30.9.1907.. Mama, Mati und Anna Pamela lassen dich vielmals grüßen.

Herzlichst
Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 28. September 1907 in München folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind
Im Steinbrüchli
in Lenzburg.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Ct. Aargau Schweizdreimal unterstrichen. |


Adresse des Absenders: |


Geliebteste Tilly! Ich sehne mich sehr nach Dir. Ich habe hier jetzt noch das Packen vor mir. Dann fahre ich nach Frankfurt, bleibe dort zwei Tage weil ich anprobieren mußim Atelier des Schneidermeisters Johann Christoph Jureit in Frankfurt am Main (Roßmarkt 12) [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.9.1907]. und dann komme ich möglichst rasch nach Berlin. Ich beneide Dich nicht um die Anstrengungen der Reise, die Du vor Dir hast und würde Dir gerne helfen, wenn meine Gegenwart dabei etwas | helfen könnte. Aber ich freue mich sehr darauf, daß wir endlich wieder zusammen sind. Ich habe hier viel mehr gearbeitet, als ich gehofft hatte. Geliebteste Tilly, süßes Geschöpf! Wir nehmen alles vielleicht zu schwer, aber wir thun es doch nur für uns! Telegraphiere mir wenn irgend etwas fehlt. Diese Zeilen treffen Dich ja wahrscheinlich erst Montagder 30.9.1907; dem Posteingangsstempel zufolge traf der Kartenbrief schon am Samstag in Lenzburg ein, was die Empfängerin bestätigt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.9.1907].. Richte Dir alles so bequem wie möglich ein.

Dein Frank.


Grüße Alle herzlich.

Tilly Wedekind schrieb am 28. September 1907 in Lenzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Lenzburg, Samstagder 28.9.1907..


Mein lieber Frank,

ich konnte Dir nicht ausführlicher antworten, weil wir bei Henkell’sbei dem Lenzburger Konservenfabrikanten Gustav Henckell (Bruder des Schriftstellers Karl Henckell) und dessen Frau. zu Besuch waren. Sie lassen Dich auch vielmals grüßen.

Nun ist die schöne Zeit hier auch wieder bald zu Ende. Ich hätte meine Abreise vielleicht noch etwas hinausgeschoben, denn Du scheinst | auch noch nicht große Lust zu haben nach Berlin zu kommen. Aber am 1ten schickt Mama ihr Mädchen fort u. sind sie dann allein. Auch haben sie die Absicht nach Baden zu gehen.

Wenn ich im Berliner Tageblatt lese was alles gespielt wird, hab’ ich ja auch große Lust wieder dabei zu sein. Ich meine als Publicum. Dann wird wohl auch Adele wieder da sein u. vor allem | Iduschka. Darauf bin ich sehr neugierig! Hier hab’ ich entschieden an Gewicht zugenommen u. sehe gut aus. Ich hab’ mich schon lange nicht so wohl gefühlt wie hier. Das beleidigt Dich hoffentlich nicht, es ist eben das Landleben. Ich glaube tatsächlich, ich habe meinen Humor wiedergefunden. Aber ich will nicht zuviel sagen, hoffentlich findest Du es selbst, wenn wir wieder zusammen sind. | Morgen packe ich u. Montag um 1.45/0/ glaub’ ich geht der Zug. Ich freu’ mich sehr Frank, Dich wieder zu sehen?/!/ Sag’ mir offen, ob Du Dich auch freust oder nicht.

Ich kann es kaum erwarten das neue StückWedekinds Einakter „Die Zensur“ – die „Rolle der Kadidja war Tilly sozusagen auf den Leib geschrieben“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 72]. zu hören u. wie Du mich gezeichnet hast. Ich werde in Berlin gleich mit „So ist das Leben“ anfangen. |

Eben jetzt erhielt ich Deinen Kartenbriefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 28.9.1907. u. breite die Arme nach Dir aus um Dich in sehnsüchtigem Jubel zu umfangen! Mein Frank, ich liebe Dich mehr, wie ich es je für möglich gehalten.

Komm’ so bald wie möglich.

Von ganzem Herzen
Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 29. September 1907 in München folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind
im Steinbrüchli
in Lenzburg.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Ct. Aargau Schweiz |


Adresse des Absenders: |


Geliebteste Tilly, ich kann erst Dienstagden 1.10.1907. hier fort, da ich gestern Abend bei Langen kein Geld bekamvon seinem Verleger Albert Langen in München, den Wedekind am 28.9.1907 abends aufgesucht hat., wäre also Donnerstag oder Freitag in Berlin, wohne in Frankfurt Frankfurter Hof. Ich brauche nur noch drei oder vier Tage, dann bin ich mit der zweiten SceneWedekind hat die 2. Szene seines Einakters „Die Zensur“ erst am 12.10.1907 abgeschlossen [vgl. KSA 6, S. 827]. fertig. Ich glaube daher kaum daß ich Heines in FrankfurtBeate und Carl Heine, das befreundete Ehepaar in Frankfurt am Main (Fichardstraße 21). aufsuchen werde. |

Gieb nur acht, geliebte Tilly, daß Du dir auf der Reise nicht schadest. Morgen früh telegraphiere ichvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.9.1907. noch. Grüße und küß Anna Pamela. Grüße Mama und Mati. Auf baldiges frohes Wiedersehn!

In Liebe
Dein Frank.


29.9.7.

Frank Wedekind schrieb am 30. September 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

rp = tages„für ‚von 10 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens nicht zu bestellen‘“ [Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, Nr. 38, 20.9.1901, S. 439]. = tilly wedekind.
berlin kurfuerstenstrasse 125:=


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin W. Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus [...] muenchen [...]


geliebte tilly, wie seid ihr angekommen? herzlichste gruesse:=
frank amalienstrasse 86.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 30. September 1907 in Karlsruhe folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte


An
Herrn
Frank Wedekind
in München
Wohnung (Straße und Hausnummer) Amalienstr. 86 II. |


Mein lieber Frank, ich schreibe Dir in der Bahn. Mati hat uns nach Basel gebracht u. sitzen wir glücklich im Schlafwagen nach Berlin. Anna„die Zugeherin des Berliner Wedekind-Haushalts“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 68], die Tilly und Pamela Wedekind am Anhalter Bahnhof in Berlin abholte. holt uns vom Bahnhof ab. Herzl. Dank für Deinen Kartenbriefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 29.9.1907.! Wolltest Du mit Heine nicht wegen Gastspiel sprechenCarl Heine war Oberregisseur und Dramaturg am Frankfurter Schauspielhaus – ein mögliches Gastspiel als Gesprächsinteresse hat Wedekind nicht erwähnt [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 21.9.1907].? Innigst
Deine Tilly


[Seite 2 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Anna Pamela

Tilly Wedekind schrieb am 1. Oktober 1907 in Berlin folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]


= frank wedekind muenchen amalienstr 86/II |


[Papierverlust]

= geliebter frank hoffentlich hast du mein erstes telegrammebenfalls am 1.10.1907 aufgegeben.. es geht mir u. anna pamehrÜbertragungsfehler, statt: pamela. ausgezeichnet. erwarte sehnsuechtig dein telegram, wann du ankommst herzlichst = deine tilly.

Tilly Wedekind schrieb am 1. Oktober 1907 in Berlin folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]


= frank wedekind muenchen
amalienstr 86 2= |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Berlin [...]


geliebter frank, sehr gut angekommen, umarmt dich innig, = deine tilly.

Frank Wedekind schrieb am 1. Oktober 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

rp = tilly wedekind berlin
kurfuerstenstrasze 125.=


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin W. Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus [...] muenchen [...]


geliebte tilly. ich warte sehnsuechtig auf nachricht ueber ankunft und wie es dir geht. voraussichtlich gehe ich nicht nach frankfurt sondern komme direkt nach berlin. Herzliche gruesse.= frank

Frank Wedekind schrieb am 2. Oktober 1907 in München folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind
in Berlin W
Wohnung (Straße und Hausnummer) Kurfürstenstrasse 125. |


Adresse des Absenders: |


Geliebteste Tilly, also übermorgen, Freitagder 4.10.1907. früh bin ich bei Dir. Ich fahre hier um 10 Uhr zehn ab, wann der Zug ankommt weiß ich nicht. Ich bitte Dich, mich nicht abzuholenWedekind notierte am 4.10.1907 in Berlin: „Tilly holt mich ab.“ [Tb], wenn Du nicht gerade ohnehin aufbist. Ich freue mich innig Dich wiederzuhaben. Deine beiden Telegrammebeide am 1.10.1907 aufgegeben. habe ich erhalten. Morgen | AbendWedekind notierte am 3.10.1907: „Abends um 6 Uhr Souper mit Langheinrich und Martens in der Torggelstube. Sie begleiten mich zur Bahn. Fahre nach Berlin.“ [Tb] vor der Abreise werde ich voraussichtlich mit Langheinrich und Bacholswohl Schreibversehen (unklar, an wen Wedekind hier dachte), statt: Martens. Wedekind hat den Abend des 3.10.1907 mit Kurt Martens verbracht (siehe oben), den er am 2.10.1907 besucht hat: „Besuch bei Kurt Martens“ [Tb]. – Gemutmaßt wurde Fritz Basil: „verschrieben statt Basils?“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 74] in der Torggelstube sitzen. Behalt mich bitte bis übermorgen lieb. Sei herzlichst gegrüßt und geküßt von Deinem
getreuen
Frank


2.10.7.

Tilly Wedekind schrieb am 2. Oktober 1907 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Berlin, 2./10.07.


Mein geliebter Frank,

ich danke Dir herzlich für den Kartenbriefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 29.9.1907. u. die Telegrammevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.9.1907 und 1.10.1907.. Entschuldige, wenn ich Dich auf das 1. Telegrammvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 1.10.1907. warten ließ. Wir hatten Verspätung u. dann machte Anna„die Zugeherin des Berliner Wedekind-Haushalts“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 68], die Tilly und Pamela Wedekind bei ihrer Rückkehr aus der Schweiz am 1.10.1907 am Anhalter Bahnhof in Berlin abgeholt hat. erst Frühstück, so wurde es 10 bis sie wegging. Heute wie Dein Telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 2.10.1907. kam, wollte ich eben auch telegraphieren. Doch dachte ich, Du willst | wohl die 2te SceneDie 2. Szene von Wedekinds Einakter „Die Zensur“ war am 12.10.1907 abgeschlossen [vgl. KSA 6, S. 827]. auch noch in München fertig machen, u. wollte ich Dich nicht drängen.

Ich bin sehr glücklich, dass ich Dich am Freitagden 4.10.1907. wiederhabe! Hoffentlich fühlst Du Dich zu Hause auch ein klein Bischen wohl. Es ist wirklich so wunderhübsch bei uns, die erste Stunde ging ich nur immer wieder durch alle Zimmer u. freute mich. Wenn wir das alles erst in München haben, | dann müsste es doch eigentlich das Paradies auf Erden sein. Berlin ist wirklich schrecklich laut u. unangenehm. Es fällt mir jetzt besonders auf, nach der ländlichen Ruhe in Lenzburg. Aber ich will Dir nicht mißSchreibversehen, statt: mies. machen.

Über Anna Pamela wirst Du Dich wundern, sie hat sich kolossal entwickelt.

Nun auf recht frohes Wiedersehn!

Von ganzem Herzen
Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 2. Oktober 1907 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind berlin
kurfuerstenstrasse 125:=


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin W. Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus [...] muenchen [...]


geliebte tilly, ich fahre donnerstagden 3.10.1907. abend und bin freitagden 4.10.1907. frueh in berlin. naeheres brieflich. herzlichste gruesse:= frank.

Frank Wedekind schrieb am 18. Oktober 1907 in Frankfurt am Main folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind
in Berlin W.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Kurfürstenstraße 125. |


Adresse des Absenders: |


Geliebteste Tilly! Eben war ich bei JureitWedekind, der am 17.10.1907 nach Frankfurt am Main gereist ist: „Abends fahre ich nach Frankfurt“ [Tb], notierte am 18.10.1907 sein Hotel und die Anprobe im Schneideratelier von Johann Christoph Jureit (Roßmarkt 12) [vgl. Adreßbuch für Frankfurt am Main 1908, Teil I, S. 185]: „Frankfurter Hof. Besuch bei Jureit.“ [Tb]. Er hatte alles schon zugeschnitten, bittet mich aber dringend am MontagWedekind notierte am 21.10.1907: „Zu Jureit zur Anprobe.“ [Tb] Nachmittag 5 Uhr noch einmal anzuprobieren. Ich bitte Dich dringend, geliebte Tilly, gut zu essen und zu | trinken, damit Du Dich recht erholst. Ich hoffe jetzt nach Tisch schlafen zu können, damit ich heute AbendWedekind notierte am 18.10.1907 in Frankfurt am Main: „Abends im Rathskeller an Zensur gearbeitet.“ [Tb] Er arbeitete an der 3. Szene seines Einakters „Die Zensur“ [vgl. KSA 6, S. 827]. etwas vorwärts bringe. Die Nacht habe ich fast nichts geschlafen. Auf baldiges Wiedersehn, geliebteste Tilly! Behalt mich lieb und grüße Anna Pamela. Es küßt Dich, Geliebte, Dein Frank


Frankfurter Hof

Tilly Wedekind schrieb am 18. Oktober 1907 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Freitagder 18.10.1907..


Geliebtester Frank,

Iduschka kam wie wir verabredet hatten zu Mittag, brachte aber unverhoffter Weise auch ihren MannIda Orloff hatte am 23.7.1907 ihren Jugendfreund Karl Satter geheiratet. Frank und Tilly Wedekind haben den neuen Ehemann der Freundin wenige Tage zuvor in Berlin bereits kennengelernt, wie das Tagebuch vom 13.10.1907 („Besuch von Herrn Sater und Ida Orloff“) und 13.10.1907 („Mit Sater Ida Orlow sind wir bei Treppchen“) dokumentiert. mit, zu so dass wir kaum satt wurden. Sie blieben bis Iduschka in’s TheaterIda Orloff war als Schauspielerin am Lessingtheater (Direktion: Otto Brahm) engagiert [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 266] und stand dort am 18.10.1907 um 20 Uhr in Henrik Ibsens Lustspiel „Der Bund der Jugend“ auf der Bühne [vgl. Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 489, 18.10.1907, Morgen-Ausgabe, S. 14]; als „Selma, Eriks Frau – Ida Orloff“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 441, 20.9.1907, Morgen-Ausgabe, S. 8]. Tilly Wedekind hat ihre Freundin am 14.10.1907 in dieser Rolle gesehen: „Tilly in Bund der Jugend.“ [Tb] musste. Es war sehr nett, Satter las Deine Gedichte vor, wir nähten.

Hoffentlich ist es Dir recht. Morgen geh’ ich mit der | Durieux in die Komische Oper, es ist aber Carmen nicht Tieflanddie Oper „Carmen“ (uraufgeführt am 3.3.1875 in Paris) von Georges Bizet (Libretto nach Prosper Mérimées Novelle „Carmen“ von Henri Meilhac und Ludovic Halévy), die am 19.10.1907 (Samstag) in der Komischen Oper in Berlin gespielt wurde [vgl. Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 481, 13.10.1907, Morgen-Ausgabe, S. 18], mit der italienischen Opernsängerin Maria Labia als Carmen [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 446, 3.9.1907, Morgen-Ausgabe, S. (2)], nicht Eugen d’Alberts Musikdrama „Tiefland“ (Libretto von Rudolf Lothar, uraufgeführt am 15.11.1903 in Prag), das nach der Premiere am 9.10.1907 an der Berliner Komischen Oper „ein sensationeller Erfolg“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 75] war und am 18.10.1907 (Freitag) auf dem Programm stand [vgl. Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 481, 13.10.1907, Morgen-Ausgabe, S. 18].. Unser Speisezimmer ist jetzt sehr hübsch, es macht mir riesige Freude.

Anna Pamela dankt für Deine Grüße u. erwiedertSchreibversehen, statt: erwidert. sie vielmals; jetzt schläft sie.

Ich hoffe Du bist gut gereist u. fühlst Dich wohl, geliebter Frank. |

Ich freu’ mich sehr auf das fertige StückWedekinds Einakter „Die Zensur“ war fast fertig [vgl. KSA 6, S. 827].! Wenn Du Heine’sBeate und Carl Heine, das mit Wedekind befreundete Ehepaar in Frankfurt Main (Fichardstraße 21) [vgl. Adreßbuch für Frankfurt am Main 1908, Teil I, S. 148]. siehst, grüß’ sie bestens von mir.

Nun leb’ wohl mein Lieber, Guter, ich küsse Dich innigst, denke immer an Dich u. bin von ganzem Herzen
Deine Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 19. Oktober 1907 in Berlin folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte


An
Herrn
Frank Wedekind
in Frankfurt a./M.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Frankfurterhof |


Geliebtester Frank, innigsten Dank für Deinen lieben Kartenbriefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 18.10.1907.. Ich esse den ganzen Tag. Jetzt hole ich Fr. Durieux von den/r/ Singstunde ab. Du kommst also Dienstagden 22.10.1907.? Schreib’ mir bitte um welche Zeit!

Innigst Deine Tilly u. Anna Pamela

Frank Wedekind schrieb am 19. Oktober 1907 in Frankfurt am Main folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Postkarte

An

Frau Tilly Wedekind
in Berlin W.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Kurfürstenstraße 125. |


Geliebteste Tilly, ich habe das Stück eben fertig geschriebenden Einakter „Die Zensur“, wie Wedekind am 19.10.1907 in Frankfurt am Main notierte: „Abends im Rathskeller Zensur fertig geschrieben.“ [Tb], ich werde also morgen, Sonntagder 20.10.1907, an dem Wedekind einen Besuch bei Carl Heine im Frankfurter Schauspielhaus, eine Unternehmung mit Beate Heine und ein gemeinsames Essen mit dem befreundeten Ehepaar notierte: „Suche Dr. Heine im Theater auf. Spazierfahrt mit Beate Heine Abendessen mit Heines im Frankfurter Hof.“ [Tb], Heines, besuchen. Ich danke Dir herzlich für Deine lieben Zeilenvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.10.1907.. Montagder 20.10.1907, an dem Wedekind ein nochmaliges Beisammensein mit Beate und Carl Heine (und eine Begegnung mit Mary Irber), seine angekündigte Anprobe [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 18.10.1907] um 17 Uhr im Atelier des Schneidermeisters Johann Christoph Jureit (Roßmarkt 12) und seine Abreise von Frankfurt am Main zurück nach Berlin um 22.23 Uhr notierte: „Treffe Heine mit Frl. Irmer. Esse bei Heines zu Mittag. Zu Jureit zur Anprobe. Um 8 Uhr mit Heines auf dem Bahnhof. 10 Uhr 23 Abfahrt nach Berlin.“ [Tb] Nachmittag um 5 Uhr habe ich Probe bei Jureit und komme dann in der Nacht nach Berlin zurück. Ich sende Dir die herzlichsten Grüße.

Dein
Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 20. Oktober 1907 in Berlin folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte


An
Herrn
Frank Wedekind
in Frankfurt a./M.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Frankfurterhof |


Geliebtester Frank, ich denke immer an Dich. Iduschka u. SatterIda Orloff und ihr Ehemann Karl Satter, den Wedekind dem Tagebuch zufolge schon kennengelernt hatte, wie er am 13.10.1907 („Besuch von Herrn Sater und Ida Orloff“) und 14.10.1907 („Mit Sater Ida Orlow sind wir bei Treppchen“) in Berlin notierte. waren heuteam 20.10.1907 (Sonntag). bei mir u. ich schätze mich glücklich, dass ich Vernunft genug habe um zu begreifen, was ich an Dir habe! Schreib’ mir bitte genau wann Du ankommst, ich hole Dich ab, wenn es Dir recht ist. Innigst
Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 21. Oktober 1907 in Frankfurt am Main folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind berlin
kurfuerstenstrasse 125 =


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin W. Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus [...] frankfurtm [...]


geliebte tilly komme morgen dienstagden 22.10.1907, an dem Wedekind notierte: „Ankunft in Berlin.“ [Tb] frueh gegen neun uhr bitte nicht abzuholen = hocherfreut frank

Frank Wedekind schrieb am 27. Oktober 1907 in Berlin folgenden Brief
an Tilly Wedekind

Geliebte Tilly,

Eben kommt Dr. WeltiWedekind notierte am 27.10.1907, er habe bei Max Reinhardt (wohl im Deutschen Theater) seinen alten Freund aus Schulzeiten, den mit der Opernsängerin Emilie Herzog verheirateten Musikschriftsteller Dr. phil. Heinrich Welti (sowie Arthur Holitscher) getroffen: „Besuch bei Reinhart. Welti und Holitscher kommen.“ [Tb] Heinrich Welti dürfte ihm bei dieser Gelegenheit die Opernkarte für das Caruso-Gastspiel noch am selben Abend (siehe unten) angeboten haben. und hat die große Liebenswürdigkeit, dir einen Platz für CarusoLucia von Lammermoor[“] zu bringen für heute AbendDer berühmte Tenor Enrico Caruso war zu einem Gastspiel am Königlichen Opernhaus in Berlin (am 23.10.1907 sang er in „Rigoletto“, am 25. und 29.10.1907 in „Aida“), wie die Presse meldete: „Caruso ist wieder da, der König der Tenöre, er, der Teuerste von Allen, dem allein es vergönnt ist, stets nur bei dreifach erhöhten Preisen zu singen. Trotzdem war gestern im Kgl. Opernhause anscheinend kein einziger Parquet-Platz (à 25 Mk.) unbesetzt geblieben.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 499, 24.10.1907, Morgen-Ausgabe, S. 7] Er hatte am 27.10.1907 in Gaetano Donizettis Oper „Lucia di Lammermoor“ seinen dritten Auftritt (in der Rolle des Sir Edgardo di Ravenswood, dem Geliebten der Lucia): „Königliche Schauspiele. Opernhaus. Sonntag. 3. Gastspiel des Herrn Enrico Caruso. Lucia von Lammermoor. Oper in drei Akten von Gaëtano Donizetti. [...] (Hohe Preise.) Anfang 7½ Uhr. Ende gegen 10 Uhr.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 505, 27.10.1907, Morgen-Ausgabe, S. 17] Tilly Wedekind hat die Vorstellung besucht (19.30 bis gegen 22 Uhr), wie Frank Wedekind am 27.10.1907 notierte: „Tilly hört Caruso in Lucia.“ [Tb]. Das Theater beginnt um ½ 8 Uhr Opernhaus. | Solltest du hineingehen wollen dann hole das Billet bitte hier um 7 Uhr. Ich würde Dich dann nachher vom/n/ der Theater Oper abholen. Wenn du bis 7 Uhr nicht kommst oder keinen Gebrauch davon machen möchtest dann würde ich das Billet Welti um 7 Uhr zurück bringen. Bitte unserer Theurn Freundinnicht eindeutig identifiziert; gemutmaßt wurde: „Vermutlich ist damit Adele Sandrock gemeint“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 76]. mein Herz zu Füßen zu legen.

Mit bestem Gruß
Dein
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 23. November 1907 in Amsterdam folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

BRIEFKAART
CARTE POSTALE
ALGEMEENE POSTVEREENIGING – UNION POSTALE UNIVERSELLE


Frau Tilly Wedekind
Berlin
Kurfürstenstrasse 125


NAAM EN ADRES DES AFZENDERS – NOM ET ADRESSE DE L’EXPÉDITEUR
(Desverkiezende in te vullen – Indications facultatives)

Fr.W. American Hotel
AmsterdamWedekind hat am 19.11.1907 einen „Kontrakt für Holland unterzeichnet“ [Tb] und begab sich am 21.11.1907 auf eine Gastspielreise, um am 22.11.1907 im Stadttheater in Amsterdam und am 23.11.1907 im Großen Schauspielhaus in Rotterdam den vermummten Herrn in „Frühlings Erwachen“ zu spielen (siehe unten). Er notierte am 21.11.1907: „Kaufe Schlafwagenbillet nach Amsterdam. [...] Tilly [...] begleitet mich zum Bahnhof.“ [Tb] Wedekind fuhr vom Bahnhof Zoologischer Garten um 22 Uhr ab und traf am 22.11.1907 um 8.53 Uhr in Amsterdam ein [vgl. Nb 46], wo er von Hans Kuhnert, der das Ensemblegastspiel Berliner Bühnenkünstler leitete, empfangen wurde, an der Probe – „mittags 1 Uhr Probe“ [Nb 46] – jedoch nicht teilnahm, abends aber auftrat und anschließend mit den Ensemblemitgliedern im American Hotel (Wedekinds Unterkunft in Amsterdam, wie das Stadttheater am Leidseplein gelegen) zusammen war: „Ankunft in Amsterdam. Kuhnert holt mich am Bahnhof ab. Während der Probe besuche ich das Reichsmuseum. Abends Frühlingserwachen. Dann mit den Mitgliedern im American Hotel.“ [Tb] |


Geliebte Tilly, gesternden 22.11.1907 (Freitag), an dem Wedekind in Amsterdam notierte: „Abends Frühlingserwachen“ [Tb]; um 20 Uhr fand als Auftakt des Berliner Gastspiels in Holland die Premiere von „Frühlings Erwachen“ am Stadttheater (Stadsschouwburg) Amsterdam statt, wie angekündigt war: „Vrijdag 22. Nov. (8 u.) Ensemble Gastspiel Berliner Bühnenkünstler. Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie für Erwachsene in 3 Akten von FRANK WEDEKIND. Künstlerische Leitung HANS KUHNERT“ [Nieuwe Amsterdamsche Courant, Jg. 80, Nr. 25351, 21.11.1907, Abendblatt, 1. Blatt, S. 3]; in einer Notiz der Hinweis, Wedekind werde in seinem eigenen Stück die Rolle des vermummten Herrn spielen [vgl. Frühlings Erwachen. In: Nieuwe Amsterdamsche Courant, Jg. 80, Nr. 25351, 21.11.1907, Abendblatt, 2. Blatt, S. 6]. Das „Berliner Tageblatt“ schrieb über die Premiere: „Aus Amsterdam berichtet unser Korrespondent“, das Gastspiel des „Berliner Ensembles unter Leitung Hans Kuhnerts, der weitere Aufführungen von Wedekinds ‚Frühlings Erwachen‘ beabsichtigt, nahm einen guten Anfang im Amsterdamer Stadttheater. Der Autor, der selbst den ‚vermummten Herrn‘ spielte, wurde mehrmals gerufen. Die Leistungen der Mitwirkenden, besonders Elfriede Geister als Wendla und Marie Olly als Ilse fanden in der Presse Anerkennung. Über das Stück selbst ist man offenbar hier noch zu keinem abschließenden Urteil gelangt.“ [Wedekinds „Frühlings Erwachen“ in Holland. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 603, 27.11.1907, Abend-Ausgabe, S. (2-3)] ging es ohne Skandal ab. Die Vorstellung war ganz gut. Jetzt, Samstag Mittag, bin ich eben im Begriff nach RotterdamWedekind notierte am 23.11.1907 (Samstag) den weiteren Ablauf des Tages: „Ich fahre allein nach Rotterdam. Mit Kuhnert im Südholländischen Café. Ich diniere im Cafe und gehe im Schnee zum Theater Frühlings Erwachen. Fahre allein nach Amsterdam zurück Café Neuf. Amerikan Hotel“ [Tb]; demnach ist er unabhängig von den Berliner Ensemblemitgliedern von Amsterdam nach Rotterdam und zurück gefahren, hat sich aber mit Hans Kuhnert in Rotterdam zum Essen getroffen und abends die zweite Gastspielvorstellung als vermummter Herr in „Frühlings Erwachen“ im Rotterdamer Großen Schauspielhaus absolviert, die angezeigt war: „Groote Schouwburg, Rotterdam. Ensemble Gastspiel Berliner Bühnenkünstler ZATERDAG 23 November 1907, FRÜHLINGS ERWACHEN. Eine Kindertragödie in 3 Akten, 16 Bildern von Frank Wedekind. Kunstlerische Leitung. Dir. Hans Kühnert.“ [Rotterdamsch Nieuwsblad, Jg. 30, Nr. 9105, 23.11.1907, 2. Blatt, S. (4)] zu fahren und komme die Nacht noch hierher zurück. Morgen bin ich bei einem hiesigen Impresarionicht identifiziert. zu Mittag. Läßt sich mit dem etwas arrangieren, dann bleibe ich vielleicht noch Montag hier und bin Dienstag früh in Berlin. Er will mir die Sehenswürdigkeiten von Amsterdam zeigen. Andernfalls fahre ich Sonntagder 24.11.1907, an dem Wedekind um 14.43 Uhr von Amsterdam abreiste [vgl. Nb 46]. Wedekind, der am 19.11.1907 bei Vertragsabschluss ein Honorar von 250 Mark für sein Gastspiel vereinbart hatte – „Kontrakt für Holland unterzeichnet. Honorar für Holland à Conto M. 250“ [Tb], erhielt es am Abreisetag mit 70 Mark Reisekostenerstattung von Hans Kuhnert ausgezahlt, wie er am 24.11.1907 notierte: „Kuhner zahlt mir Honorar M. 250,‒ für Reise M. 70,‒ Spaziergang durch die Stadt. Abreise nach Berlin ohne Handgepäck.“ [Tb] – Das Ensemble Berliner Bühnenkünstler unter der Leitung von Hans Kuhnert gab nach Wedekinds Abreise noch zwei Vorstellungen von „Frühlings Erwachen“ – am 27.11.1907 in Rotterdam und am 30.11.1907 in Arnheim. Abend und bin Montagden 25.11.1907, an dem Wedekind notierte: „Ankunft in Berlin. Ich lasse mich rasieren und die Haare schneiden.“ [Tb] früh in Berlin. Ich sende Dir, geliebte Tilly und Anna Pamela die herzlichsten Grüße. Auf baldiges Wiedersehen

Dein
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 9. Januar 1908 in Nürnberg folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Postkarte


An
Frau Tilly Wedekind
in Berlin W.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Kurfürstenstraße 125. |


Geliebte Tilly, ich bin wohlbehalten angekommenWedekind ist am 9.1.1908 von Berlin zur Uraufführung von „Musik“ (am 11.1.1908) am Intimen Theater (Direktion: Emil Meßthaler) nach Nürnberg gereist, wie er im Tagebuch notierte: „Nach Tisch begleitet mich Tilly zur Bahn. Fahrt nach Nürnberg. Wohne Grand Hotel. Mit Meßthaler und Gusti Holl bei Föttinger. Nachher in der American Bar.“ – Dort dürfte er zu später Stunde die vorliegende Postkarte geschrieben haben.. und sitze allein, nachdem Meßthaler sich schlafen gelegt hat. Tausend Grüße an Dich und A. P.

Dein
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 10. Januar 1908 in Nürnberg folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Postkarte


An
Frau Tilly Wedekind
in Berlin W
Wohnung (Straße und Hausnummer) Kurfürstenstraße 125. |


Geliebte Tilly! Heute früh war GeneralprobeWedekind notierte am 10.1.1908: „Generalprobe in Gegenwart Stollbergs“ [Tb] – die Generalprobe für die Uraufführung von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ am 11.1.1908 am Intimen Theater (Direktion: Emil Meßthaler) in Nürnberg unter der Regie von Emil Meßthaler mit Wedekind in der Rolle des Franz Lindekuh, zu der Georg Stollberg, Direktor des Münchner Schauspielhauses, nach Nürnberg gekommen war., ich möchte darüber noch nichts näheres schreiben. Stollberg aus München war hier dabei, ist aber um 6 Uhrum 18 Uhr. wieder abgereist. Er bat mich, dir einen Handkuß zu bestellen. Nach TischWedekind notierte am 10.1.1908 weiter: „Speise mit Meßthaler und Stollberg bei Föttinger. Besuch beim Fränkischen Kurier Besichtigung des tiefen Brunnens. Rundgang um die Stadtmauer.“ [Tb] machten E/er/, Meßthaler und ich sehr/einen/ sehr schönen Spaziergang um die Stadtmauern. Eben war ich in den GespensternWedekind besuchte am 10.1.1908 im Nürnberger Intimen Theater die Vorstellung von Ibsens Familiendrama „Gespenster“ und war anschließend mit Emil Meßthaler – auf den er nach der Vorstellung wartete und in dieser Zeit die vorliegende Postkarte schrieb – und dessen Freundin zusammen: „Abends Gespenster. Dann bei Föttinger mit Meßthaler und seiner Freundin.“ [Tb] und warte jetzt auf Meßthaler. Hoffentlich geht es Dir und A. Pamela gut.

Herzlichste Grüße
Dein Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 10. Januar 1908 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Tilly Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 12.1.1908 aus Berlin:]


[...] ich habe Dir Freitag Deine Gummischuhe geschickt u. auf die Packetadresse ein paar Worte draufgeschrieben.


[2. Hinweis in Frank Wedekinds Kartenbrief an Tilly Wedekind vom 14.1.1908 aus Nürnberg:]


[...] ich danke dir [...] für die Sendung der Gummischuhe.

Tilly Wedekind schrieb am 11. Januar 1908 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Tilly Wedekinds Telegramm an Frank Wedekind vom 12.1.1908 aus Berlin:]


[...] brief [...] unterwegs [...]


[2. Hinweis in Tilly Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 12.1.1908 aus Berlin:]


Gesternder 11.1.1908 (Samstag). schrieb ich Dir einen Brief.


[3. Hinweis in Frank Wedekinds Kartenbrief an Tilly Wedekind vom 14.1.1908 aus Nürnberg:]


[...] danke [...] für deine beiden lieben Briefeder vorliegende erschlossene Brief und ein weiterer Brief [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.1.1908]. [...]

Tilly Wedekind schrieb am 11. Januar 1908 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Samstagder 11.1.1908..


Geliebter Frank,

Gesternam 10.1.1908. war ich Nachmittag’s bei Weltibei Wedekinds altem Freund, dem Schriftsteller Dr. phil. Heinrich Welti in Berlin (Lützowstraße 20) [vgl. Berliner Adreßbuch 1908, Teil I, S. 2784], der mit der Opernsängerin Emilie Herzog verheiratet war.. Frau Herzog gab gerade eine Stunde, kam aber doch u. war sehr liebenswürdig. Ich glaub’ ich habe mich nicht so ungeschickt benommen, wie wenn Du dabei bist. Vor Dir habe ich eben den meisten Respect.

Adele hat natürlich abgeschrie|benabgesagt. da sie Stunde hatte. Ich gieng mit Frau Schwarz. Vorher aß ich bei ihrvermutlich bei Clara Auguste Schwarz (geb. Hartmann), der ersten Ehefrau des Berliner Porträt- und Genremalers Alfred Schwarz (Viktoria Luise-Platz 11) [vgl. Berliner Adreßbuch 1908, Teil I, S. 2413], mit dem Wedekind bekannt war [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.2.1910].; dann fuhren wir zusammen nach Hause. Es war wirklich sehr schön! Ich werde der Herzog noch ein paar Zeilen schreiben.

Heute war ich Nachmittags wegen der Gasrechnung u. einen Augenblick bei Fr. Durieux. Sie schrieb mir, | dass sie zu Bett liegt.

Anna Pamela ruft immerzu nach Dir, sucht in Deinem Wohnzimmer nach Dir u. wenn sie es leer findet, geht sie zur Tür u. will in Dein Schlafzimmer. Sie kann es nicht begreifen, wenn ich ihr sage, dass Du weggefahren bist, u. lacht wenn ich den Zug nachmache. | Du spielst jetzt ebendie Rolle des Franz Lindekuh bei der Uraufführung von „Musik“ am 11.1.1908 am Intimen Theater (Direktion: Emil Meßthaler) in Nürnberg.. – Wenn Du Kritikender Uraufführung von „Musik“ am 11.1.1908 in Nürnberg. hast sende sie mir bitte.

Der Herrnicht identifiziert. war hier u. wird in 8 Tagen wieder kommen.

Nun kann ich Dir nur noch sagen, dass ich Dich sehr lieb habe, wenn es Dich nicht langweilt.

Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 12. Januar 1908 in Nürnberg folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind berlin
kurfuerstenstrasse 125=


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin W. Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus [...] nuernberg [...]


geliebte tilly warum hoere ich nichts von dir. die wirkungder Uraufführung von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ am Intimen Theater (Direktion: Emil Meßthaler) in Nürnberg unter der Regie von Emil Meßthaler mit Wedekind in der Rolle des Franz Lindekuh [vgl. KSA 6, S. 793f., 798f.]. war stark aber das gegentheil meiner absicht. herzlichste gruesse an dich und anna pamela = frank.

Frank Wedekind schrieb am 12. Januar 1908 in Nürnberg folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Postkarte


An
Frau Tilly Wedekind
in Berlin W
Wohnung (Straße und Hausnummer) Kurfürstenstraße 125. |


Geliebteste Tilly, ich sitze heute Abendam 12.1.1908, an dem Wedekind nach der zweiten Vorstellung von „Musik“ die vorliegende Postkarte schrieb und im Notizbuch [vgl. Nb 49] unter dem vorläufigen Titel „Till Eulenspiegel“ an „Oaha“ arbeitete [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 79], wie er notierte: „Musik. 2“ sowie „Zweite Vorstellung. Nachher arbeite ich an Till Eulenspiegel bei Föttinger und Café Imperial.“ [Tb] wieder allein mit meinem Notizbuch, bin aber noch etwas nervös vom gestrigen Lampenfieberangesichts der Uraufführung von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ am 11.1.1908 im Nürnberger Intimen Theater unter der Regie von Emil Meßthaler, bei der Wedekind die Rolle des Franz Lindekuh spielte [vgl. KSA 6, S. 793f.].. Dein Telegrammvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind. Berlin, 12.1.1908 (Telegramm). habe ich erhalten. Heute Mittag schrieb ich an GrewesHinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Julius Greve (wohl mit Gruß an dessen Frau), 12.1.1908. Den Brief hat Wedekind am 12.1.1908 notiert: „Brief an Greve“ [Tb].. Meßthaler will möglichst bald Zensur geben. Klara Hühnerwadel, so wie sie hier gespielt wurdeFritzi Schaffer, Schauspielerin im Ensemble von Emil Meßthalers Intimen Theater in Nürnberg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 504], spielte in der am 11.1.1908 uraufgeführten Nürnberger Inszenierung von „Musik“ die Rolle der Musikschülerin Klara Hühnerwadel., wäre eine Rolle für Dich. Aber interessiert Dich das Alles? Ich schreibe in’s Blaue hinein. Wenn Dir etwas fehlen sollte, dann schreib mir bitte.

Mit ganzem Herzen Dein Frank

Tilly Wedekind schrieb am 12. Januar 1908 in Berlin folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]


wedekind nuernberg
grande hotel = |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt Nürnberg.

Aufgegeben in Berlin [...]


= geliebter frank, sehr erfreut, gratuliere dir herzlichst briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 11.1.1908. u. packet unterwegs innigst = deine tilly.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 12. Januar 1908 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

T W


Sonntagder 12.1.1908..


Geliebter Frank,

ich habe Dir Freitag Deine Gummischuhe geschickt u. auf die Packetadresse ein paar Worte draufgeschriebenHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zu der genannten Sendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 10.1.1908.. Gestern schrieb ich Dir einen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 11.1.1908..

Was soll ich Dir schreiben, geliebter Frank? Ich bin nicht so eingebildet meine Briefe | für sehr interressantSchreibversehen, statt: interessant. zu halten, u. verschone Dich daher lieber mit dem Geschreibsel.

Anna Pamela spielt unterdess unter meinem Rock Verstecken.

Sie ist allerliebst!

Heute, Sonntag Nachmittag war ich beim Tee bei Greve’sbei dem Regierungsrat Julius Greve und seiner Frau in Berlin (Kurfürstendamm 215, 3. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1908, Teil I, S. 763]., die mich einge|laden hatten. Ich habe mündlich schon für uns Beide zugesagtvermutlich für den 21.1.1908, an dem Wedekind notierte: „Abends bei Grewes“ [Tb].; Du schreibst aber noch paar Zeilen nicht wahr?!

Hoffentlich findest Du nicht, dass ich zu viel auf der Gaudiauf Vergnügungstour. bin. Die Trommel„Die Lauftrommel hatte Wedekind selbst gefertigt. In ‚Die Zensur‘ (2. Szene) balanciert auf ihr Kadidja“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 79]. Kadidja in „Die Zensur“ nennt unter den von Buridan erfundenen Kinderspielzeugen „die Lauftrommel“ [KSA 6, S. 214]. Wedekind hat ihre Herstellung im Tagebuch am 6.1.1908 („Stütze für die Lauftrommel fertiggestellt“) und 7.1.1908 („Ich stelle die Lauftrommel fertig“) vermerkt, zwei Tage vor seiner Abreise nach Nürnberg. wird’s nicht mehr lang machen, sie stöhnt u. ächzt immer jämmerlicher.


[Seite 2 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Greve lasenSchreibversehen, statt: Greve las (oder: Greve’s lasen). mir eine sehr lobende Notiz aus der Zeitungnicht ermittelt; die Zeitungsnotiz dürfte die erfolgreiche Uraufführung von „Musik“ am Nürnberger Intimen Theater am 11.1.1908 kommentiert haben – konstatiert wurde in der Berliner Presse „ein rauschender Theatererfolg“ [vgl. Martin Boelitz: Uraufführung von Wedekinds „Musik“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 22, 13.1.1908, Abend-Ausgabe, S. (3)]. vor.


[Seite 2 am rechten Rand im Übergang zu Seite 3 am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Es küsst Dich innigst
Deine Tilly |


Liebster Papa,

ich bin wohl u munter, u. rufe den ganzen Tag „Papa“.

Ich habe Dich, u. meine Mama sehr lieb. Deine
Anna Pamela

Tilly Wedekind und Adele Sandrock schrieben am 13. Januar 1908 in Charlottenburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte


An Herrn
Frank Wedekind
in Nürnberg
Wohnung (Straße und Hausnummer) Grande Hotel |


Montagder 13.1.1908.. Geliebtester Frank, heute bin ich bei AdeleAdele Sandrock wohnte in Charlottenburg (Leibnizstraße 60) [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 2042] ‒ zusammen mit ihrer Schwester Wilhelmine Sandrock., deren liebe Schwester bei mir war u. mich eingeladen hat. Sei bitte nicht böse, dass ich mich fortwährend unterhalte. Alle lesen in der ZeitungDer Presse war zu entnehmen, dass Wedekind sich in Nürnberg aufhielt; so in einem Korrespondentenbericht aus Nürnberg [vgl. Martin Boelitz: Uraufführung von Wedekinds „Musik“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 22, 13.1.1908, Abend-Ausgabe, S. (3)]., dass Du weg bist, u. laden mich dann ein. Bitte, schreib’ mir doch ausführlich über die AufführungDie Uraufführung von „Musik“ fand am 11.1.1908 am Intimen Theater in Nürnberg unter der Regie von Emil Meßthaler mit Wedekind in der Rolle des Franz Lindekuh statt (die zweite Vorstellung am 12.1.1908).! Innigst Deine treue Tilly


Gratulire zum großen ErfolgDie Uraufführung von „Musik“ am 11.1.1908 am Nürnberger Intimen Theater ging „mit sensationellem Erfolg über die Bühne. Die Kritiker überschlagen sich“ [KSA 6, S. 793; vgl. KSA 6, S. 798f.]; festgestellt wurde „ein rauschender Theatererfolg“ [vgl. Martin Boelitz: Uraufführung von Wedekinds „Musik“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 22, 13.1.1908, Abend-Ausgabe, S. (3)].!!!

DillyAdele Sandrocks Kosename..

Frank Wedekind schrieb am 14. Januar 1908 in Nürnberg folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind
in Berlin W.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Kurfürstenstrasse 125. |


Adresse des Absenders: |


Innigst geliebte Tilly, ich danke dir herzlichst für deine beiden lieben Briefevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 12.1.1908 – und ein nicht überlieferter Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 11.1.1908. und für die Sendung der Gummischuhe. Heute spiele ichdie Rolle des Franz Lindekuh in „Musik“ – uraufgeführt am 11.1.1908 im Nürnberger Intimen Theater unter der Regie von Emil Meßthaler. zum vorletzten Mal. Donnerstag werde ich noch in der Nacht nach Berlin fahren. Freitag früh bin ich dann zwischen 9 und 10 Uhr in Berlin, bitte dich aber, mich nicht abzuholen, wenn Du nicht sowieso aufgestanden bist. Wenn Du das Geld noch nicht abgeschickt hast dann behalt es bis zu meiner Rückkunft. HeuteWedekind notierte am 14.1.1908 den Besuch von Anna und Max Langheinrich aus München, die nach Nürnberg gekommen sind, um die dritte Vorstellung von „Musik“ zu sehen, und das anschließende Beisammensein: „Speise mit Langheinrichs im Hotel Spaziergang. Arbeite bei Föttinger Musik 3. Mit Langheinrichs im Grand Hotel.“ [Tb] sind Langheinrichs aus München hier. Nach der Vorstellung werden wir zusammen sein, D/d/ann fahren sie noch in | der Nacht nach München zurück. Die wichtigste Kritikvermutlich „die begeisterte Kritik im Nürnberger ‚Fränkischen Kurier‘“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 80] vom 13.1.1907 über die Nürnberger Inszenierung von „Musik“ [vgl. KSA 6, S. 799]. die hier erschienen ist, schicke ich Dir mit gleicher Postvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.1.1908 (die genannte Kritik der Nürnberger Inszenierung von „Musik“ war dem Brief beigelegt).. Die anderen Kritiken habe ich nicht gelesen.

Nun leb wohl, geliebte Tilly. Bleib gesund und küsse Anna Pamela von mir. Mit herzlichem Gruß und Kuß auf baldiges Wiedersehn
Dein Frank


14.I.8.

Frank Wedekind, Anna von Seidlitz und Max Langheinrich schrieben am 14. Januar 1908 in Nürnberg folgende Bildpostkarte
an Tilly Wedekind

Frau Tilly Wedekind
Berlin W.
Kurfürstenstraße 125


Geliebte Tilly, wir sitzen hier zusammenWedekind mit Anna und Max Langheinrich im Grand Hotel in Nürnberg – er notierte am 14.1.1908: „Speise mit Langheinrichs im Hotel Spaziergang. [...] Musik 3. Mit Langheinrichs im Grand Hotel.“ [Tb] und trinken auf Dein Wohl: Anna Langheinrich

Besten Gruß. Max Langheinrich.

Dein Frank |


Nürnberg,
Partie an der Museumsbrücke.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 14. Januar 1908 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

T. W.


Dienstagder 14.1.1908..


Geliebter Frank,

beiliegenden Briefdie Beilage zum vorliegenden Brief; vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 11.1.1908. schrieb ich Samstagder 11.1.1908. abend, nachdem ich einen andernBrief nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 11.1.1908. eben an Dich weggeschickt hatte. Und nun schreibst Du mir ja heuteEs folgt ein Zitat aus Wedekinds letzter Postkarte [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 12.1.1908]. „Interressiert Dich das Alles? Ich schreibe ins’ Blaue hinein.“

Frank ich möchte Dir nicht die Stimmung verderben, Du hast heute u. übermorgendie dritte Vorstellung am 14.1.1908 und die vierte und letzte Vorstellung am 16.1.1908 [vgl. Tb] der am 11.1.1908 im Nürnberger Intimen Theater uraufgeführten Inszenierung von „Musik“, in der Wedekind die Rolle des Franz Lindekuh spielte. | zu spielen. Wir können ja auch mündlich darüber verhandeln. Aber wenn du findest, dass ich keinen Anteil nehme an Dir u. Deiner Arbeit, wenn Du nicht ganz sicher bist, dass ich mich dafür interessiere, dann bitte ich Dich Dir jemanden zu suchen, der mehr Verständniss für Dich hat. Dann bin ich Deiner nicht würdig.

O, Geliebter, guter Frank, versteh’ mich bitte nicht falsch – | Aber es empört sich etwas in mir, wenn ich denke dass Du mich neben Dir herschleppst, ohne das zu finden bei mir, was Du brauchst.

Fritzi Schaffer war soviel ich weiß in Wien am Volkstheater u. ist noch sehr jungFritzi Schaffer, Schauspielerin im Ensemble von Emil Meßthalers Intimen Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 504], die in der Nürnberger „Musik“-Inszenierung die Rolle der Musikschülerin Klara Hühnerwadel spielte, war davor am Neuen Schauspielhaus in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 295], davor am Deutschen Volkstheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 581]; sie war erst 18 Jahre alt (geboren am 30.4.1889) und drei Jahre jünger als Tilly Wedekind (geboren am 11.4.1886)..

Wie war denn Hedwig LangeHedwig Lange, Schauspielerin im Ensemble von Emil Meßthalers Intimen Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 504], spielte in der Nürnberger „Musik“-Inszenierung die Rolle der Else Reißner. Wedekind war mit ihr seit einigen Jahren bekannt, er hat am 30.6.1905 ihren Namen notiert: „Hedwig Lange.“ [Tb]? Das Stück wurde wohl zu ernst aufgefasst? |

Ich glaube ich komme mit dem Geld aus, Du brauchst mir nichts zu schicken. Ich danke Dir herzlich.

Anna Pamela hat ein neues Kunststück gelernt. Sie kann Flöte blasen.

Wann kommst Du denn, mein lieber Frank? Freitag Früh oder abends? Wenn es Dir recht ist, hole ich Dich ab. Von ganzem Herzen umarmt u. küsst Dich
Deine Tilly


Viele Küsse Deine Anna Pamela


[Beilage:]


Samstag.


Geliebter Frank,

Gesternam 10.1.1908. war ich Nachmittag’s bei Weltibei Wedekinds altem Freund, dem Schriftsteller Dr. phil. Heinrich Welti in Berlin (Lützowstraße 20) [vgl. Berliner Adreßbuch 1908, Teil I, S. 2784], der mit der Opernsängerin Emilie Herzog verheiratet war.. Frau Herzog gab gerade eine Stunde, kam aber doch u. war sehr liebenswürdig. Ich glaub’ ich habe mich nicht so ungeschickt benommen, wie wenn Du dabei bist. Vor Dir habe ich eben den meisten Respect.

Adele hat natürlich abgeschrie|benabgesagt. da sie Stunde hatte. Ich gieng mit Frau Schwarz. Vorher aß ich bei ihrvermutlich bei Clara Auguste Schwarz (geb. Hartmann), der ersten Ehefrau des Berliner Porträt- und Genremalers Alfred Schwarz (Viktoria Luise-Platz 11) [vgl. Berliner Adreßbuch 1908, Teil I, S. 2413], mit dem Wedekind bekannt war [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.2.1910].; dann fuhren wir zusammen nach Hause. Es war wirklich sehr schön! Ich werde der Herzog noch ein paar Zeilen schreiben.

Heute war ich Nachmittags wegen der Gasrechnung u. einen Augenblick bei Fr. Durieux. Sie schrieb mir, | dass sie zu Bett liegt.

Anna Pamela ruft immerzu nach Dir, sucht in Deinem Wohnzimmer nach Dir u. wenn sie es leer findet, geht sie zur Tür u. will in Dein Schlafzimmer. Sie kann es nicht begreifen, wenn ich ihr sage, dass Du weggefahren bist, u. lacht wenn ich den Zug nachmache. | Du spielst jetzt ebendie Rolle des Franz Lindekuh bei der Uraufführung von „Musik“ am 11.1.1908 am Intimen Theater (Direktion: Emil Meßthaler) in Nürnberg.. – Wenn Du Kritikender Uraufführung von „Musik“ am 11.1.1908 in Nürnberg. hast sende sie mir bitte.

Der Herrnicht identifiziert. war hier u. wird in 8 Tagen wieder kommen.

Nun kann ich Dir nur noch sagen, dass ich Dich sehr lieb habe, wenn es Dich nicht langweilt.

Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 15. Januar 1908 in Nürnberg folgenden Brief
an Tilly Wedekind

Hotel Föttinger
Inhaber: Ferdinand Messerschmitt und Bapt. Ultsch
Weinrestaurant und Weinhandlung
Telephon No. 389 Ecke Königsstraße und Klaragasse Telephon No. 389
Weingroßhandlung J. B. Messerschmitt, Bamberg-Nürnberg.


Nürnberg, den   190


Innigst geliebte Tilly,

Wie soll ich Dir auf Deine beiden lieben Briefevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 14.1.1908 – mit Beilage, ein am 11.1.1908 geschriebener Brief. antworten. Ich müßte ja ein ganzes Buch voll schreiben. Nur das eine brauchst Du nicht zu fürchten, daß Du an meiner Seite nichts zu thun haben wirst. Für April sind wir schon für eine ganze Woche hierher engagiertDas Gastspiel in Nürnberg kam nicht zustande.. Ich habe nur deshalb noch nicht definitiv zugesagt, weil ich LeipzigWedekind war vom 30.3.1908 bis 4.4.1908 in Leipzig [vgl. Tb]. abwarten will. Aber die Tage sind schon festgelegt. Ich lege Dir hier die wichtigste KritikWedekind hatte in seinem Kartenbrief vom Vortag bereits angekündigt, er werde die „wichtigste Kritik“ [Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 14.1.1908] über die Nürnberger Inszenierung von „Musik“ nach Berlin schicken (die Beilage zum vorliegenden Brief), vermutlich die Besprechung in der Nürnberger Zeitung „Fränkischer Kurier“ [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 80] (Nr. 23 vom 13.1.1907), in der es heißt: „Der Beifall wuchs von Akt zu Akt: nach dem 3. Akt wurde der Dichter, der selber eine der Nebenrollen spielte, stürmisch gerufen, doch erst nach dem Schlußakt leistete er den Hervorrufen Folge und wurde nun mit Beifall überschüttet. [...] Auch die meisterhafte Darstellung trug mit zu dem durchschlagenden Erfolge des Stückes das ihrige bei, Frl. Schaffer spielte die weibliche Hauptrolle wahrhaft ergreifend.“ [KSA 6, S. 799] über Musik bei. Näheres über die Vorstellung zu schreiben bitte ich Dir mir zu erlassen, da ich jede freie Stunde an meinem Stück schreibeWedekind schrieb an seinem neuen Stück „Oaha“ [vgl. KSA 8, S. 396f.].. Gestern standen ausführliche BesprechungenDie „Münchner Neuesten Nachrichten“ eröffneten ihre Besprechung mit dem Hinweis: „Wedekinds ‚Musik‘ hatte am Samstag im Intimen Theater in Nürnberg seine Uraufführung und, wie schon telegraphisch gemeldet, einen unbestrittenen Erfolg.“ [Wedekinds „Musik“. In: Münchner Neuesten Nachrichten, Jg. 61, Nr. 19, 14.1.1908, Vorabendblatt, S. 2] Die „Frankfurter Zeitung“ (Nr. 4 vom 14.1.1908) meinte: „Die Aufführung des Intimen Theaters, an der Herr Wedekind sich als Franz Lindekuh selbst beteiligte, war vorzüglich.“ [KSA 6, S. 798] Im „Berliner Tageblatt“ hieß es: „Frank Wedekind kann mit der Aufnahme, die sein jüngstes Werk ‚Musik‘ bei der Uraufführung in Meßthalers Intimem Theater in Nürnberg gefunden hat, sehr zufrieden sein, denn es war ein rauschender Theatererfolg, von keiner Seite bestritten. Das lag weniger an der Dichtung selbst [...]; der Beifall galt in viel höherem Maße der hervorragend guten Darstellung und der Persönlichkeit des Dichters, der durch seine Mitwirkung dem Abend einen besonderen Reiz verlieh.“ [Martin Boelitz: Uraufführung von Wedekinds „Musik“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 37, Nr. 22, 13.1.1908, Abend-Ausgabe, S. (3)] in Münchner Neuesten, Frankfurter Zeitung und Berliner Tageblatt. Die SchafferFritzi Schaffer, Schauspielerin im Ensemble von Emil Meßthalers Intimen Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 504], die in der Nürnberger „Musik“-Inszenierung die Rolle der Musikschülerin Klara Hühnerwadel spielte, war davor am Neuen Schauspielhaus in Berlin engagiert gewesen [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 295], davor am Deutschen Volkstheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 581] und davor an den Vereinigten Theatern in Graz [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 413]. war in Wien und Graz. Näheres weiß ich nicht von ihr, da ich mit den Schauspielern noch nicht gesellschaftlich zusammen gewesen bin. – Ich | fahre morgen Nacht 1 UhrWedekind notierte am 16.1.1908 seine nächtliche Abreise von Nürnberg (nach der vierten Vorstellung von „Musik“ und einem anschließenden Beisammensein mit Emil Meßthaler und der jungen Schauspielerin Gussy Holl im Hotel): „Musik. 4 Darauf mit Meßthaler und Frl. Holl im Grand Hotel. Fahre 12 Uhr 55. nach Berlin.“ [Tb] hier weg und bin Freitagder 17.1.1908, an dem Wedekind notierte: „Ankunft in Berlin.“ [Tb] Morgens zwischen 8 und 9 Uhr in Berlin. Daß Du mich abholst hat wol nicht viel Zweck, da ich vom Bahnhof sofort nach Hause zu fahren. Ich freue mich innig, Dich wiederzuhaben. Küsse Anna Pamela
Dein Frank.


15.1.8.


Langheinrichs sind heute früh um acht Uhr zurückgereist. Wir hatten Dir eine Karte geschriebeneine Bildpostkarte gemeinsam mit Anna und Max Langheinrich [vgl. Frank Wedekind, Anna von Seidlitz, Max Langheinrich an Tilly Wedekind, 14.1.1908]., die ich aber aufzugeben vergaß, da wir uns schon ein Uhr trennten.

Frank Wedekind schrieb am 29. März 1908 in Berlin folgenden Brief
an Tilly Wedekind

[1. Entwurf:]


Meine liebe Tilly!

Besorgte Gemüter glaubten lasen aus den folgenden Scenen (entnehmen zu können,) du hättest je zwischen meinem Beruf und mir gestanden, und beschwerten dir mit ihrer durch ihrer Besorgnis dein/das/ Herz. Wem die Scenen gefallen, dem liegt/en/ solche Gedanken fern. Aber den besorgten Gemütern schulde ich eine handgreifliche Beruhigung. In den langen Zeiten, die ich allein verbrachte, war es mir jedes dritte Jahr einmal möglich vergönnt, eine abgeschlossene Arbeit zu veröffentlichen. In den/Die/ zwei Jahren unseres Zusammenseins habe ich trugen mir drei abgeschlossenen Arbeiten Theaterstücke | Musik, Zensur und Oaha ein, an die ich vorher nie mit einem Gedanken gedacht hatte. Solche Die Solche Pralereien klingen/t/ nach Marktgeschrei. Aber dich bitte ich zu verzeihen daß ich an deiner Seite so viel Anregung zu künstlerischem Wirken fand.

Frank.


[2. Entwurf:]


Meine liebe Tilly!

Besorgte Gemüter lasen aus den folgenden Scenen, du hättest je einmal zwischen meinem/r/ Beruf Arbeit und mir gestanden, und beschwerten (dir) durch ihre Besorgnis dein das Herz. Wem die Scenen gefallen, dem liegt der Argwohn fern. Aber den besorgten Gemütern Lesern schulde ich eine handgreifliche b/B/eruhigung. In den langen Zeiten, die ich allein verbrachtezuerst „e“ gestrichen (zu „verbracht“), dann wieder hergestellt. habe, war es mir jedes dritte Jahr einmal möglich vergönnt, eine Arbeit zu veröffentlichen erscheinen zu lassen. Die zwei Jahre unseres Zusammenseins trugen mir drei Theaterstücke | „Musikunterstrichen, Unterstreichung getilgt.“, „Zensurunterstrichen, Unterstreichung getilgt.“ und „Oahaunterstrichen, Unterstreichung getilgt.“ ein, an die ich vorher nie mit einem Gedanken gedacht hatte. Solche Prahlerei gilt als Marktgeschrei. Aber dich bitte ich zu verzeihen daß ich an deiner Seite all die Anregung zu künstlerischem Wirken fand.irrtümlich nicht gestrichen. soviel Zeit zu selbständiger Arbeit Bethätigung fand.
Ich muß bin gewärtig sein, diese Aufzählung als Marktgeschrei gedeutet zu sehen. Aber dich bitte ich jedenfalls, zu verzeihen,

Frank.


[3. Druck:]


Meine liebe Tilly!

Besorgte Gemüter lasen aus diesen Szenen, du hättest je einmal zwischen meiner Arbeit und mir gestanden, und beschwerten dir durch ihre Besorgnisse das Herz. Wem die Szenen gefallen, dem liegt der Argwohn fern, aber den besorgten Lesern schulde ich eine Beruhigung. In den langen Jahren, die ich allein verlebte, war es mir jedes dritte Jahr einmal vergönnt, eine Arbeit erscheinen zu lassen; die zwei Jahreseit 1906 (eigentlich seit Ende 1905). unseres Zusammenseins trugen mir drei fertige Stücke „Musik“, „Zensur“ und „Oaha“ ein, an die ich vorher nie mit einem Gedanken gedacht hatte. Ich bin natürlich gewärtig, diese Aufzählung als Marktgeschrei gedeutet zu sehen. Aber dich bitte ich jedenfalls, zu verzeihen, daß ich an deiner Seite so viel Zeit zu selbständiger Betätigung fand.

Frank.

Frank Wedekind schrieb am 30. März 1908 in Leipzig folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Postkarte


Frau Tilly Wedekind
Berlin W.
Kurfürstenstrasse 125. |


Innigst geliebte Tilly, ich bitte Dich, mir Dein Rabbi-Esra-Bildwohl ein Foto, das Tilly Wedekind als Moses in „Rabbi Esra“ zeigt. Es handelt sich nicht um das Foto, auf dem sie als Moses und Frank Wedekind als Rabbi Esra zu sehen sind [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 389] und das aus dem Münchner Fotoatelier Franz Grainer stammt [Mü, FW VIII/8], da dieses Foto erst am 17.2.1909 aufgenommen wurde: „Wir lassen uns bei Greiner photographieren. Erdgeist Rabbi Esra.“ [Tb] zu schicken. Du kannst es aus dem RamenSchreibversehen, statt: Rahmen. nehmen und brauchst es nur in ein Kuvert zu legen. Ich wohne Hotel Hauffe. Bis jetzt bin ich noch alleinWedekind fuhr am 30.3.1908 um 17 Uhr von Berlin nach Leipzig und saß dort abends allein im Ratskeller, wo er die dann stets von ihm selbst gespielte Rolle des Walter Buridan aus seinem Einakter „Die Zensur“ einstudierte und die vorliegende Postkarte schrieb (später wechselte er das Lokal) – er notierte: „Nachmittag 5 Uhr Abfahrt nach Leipzig. Abends allein im Ratskeller studiere ich Zensur. Später besuche ich noch die Kneipe in der Grete Baldauf Kellnerin war.“ [Tb]. Ich sitze über der Rolle Buridan im Ratskeller. Von Berlin aus telegrafierte ichHinweis auf ein nicht überliefertes Telegramm; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Kurt Hezel, 30.3.1908. an Kurt Hetzel aber er scheint nicht zu kommen. Einen Brief erwarte ich nicht, wenn nicht außerordentliches vorliegt. Pfleg Dich gut!!

In innigster Liebe
Dein Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 31. März 1908 in Berlin
an Frank Wedekind

T. W.


Dienstagder 31.3.1908..


Mein lieber Frank,

ich danke Dir für Deine Kartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.3.1908., über die ich mich sehr gefreut habe. Anna Pamela und ich sind ausnahmsweise, wenn ich mich so ausdrücken darf | fast, beinahe gesund. Wir fühlen uns auch sonst ziemlich wohl und zufrieden. Bitte, schreib’ mir genau auf einen Zettel, was Du an Schminken brauchst, und die Costüme„Da die Wedekinds planten, auf Gastspieltournee nach Graz und Wien zu gehen, wurde der hauseigene Kostümfundus einer Revision unterzogen und für die anstehende Reise verpackt. ‚So ist das Leben‘ (‚König Nicolo‘) kam jedoch während der Gastspielreise nicht zur Aufführung.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 82] Die Szene „Rabbi Esra“ wurde am 24.4.1908 in Graz zusammen mit dem Einakter „Der Kammersänger“ aufgeführt (während des Gastspiels in Graz vom 23. bis 25.4.1908 kamen auch „Frühlings Erwachen“ und „Erdgeist“ zur Aufführung). für „So ist das Leben“ u. „Rabbi Esra“. Ich will den Theaterkram gleich einpacken. Herzlichsten Kuss
Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 1. April 1908 in Leipzig folgenden Brief
an Tilly Wedekind

(Leipzig), 1.IV.1908.


Meine innigstgeliebte Tilly!

Ich bitte Dich herzlich und inständig, sei doch nicht so muthlos, wie ich es aus Deinen lieben Zeilenvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 31.3.1908. herauslesen muß. Du hast doch wirklich allen Grund, stolz auf Dich zu sein. Du weißt aus tausend Dingen, wie glücklich ich durch Dich bin. Und was Dir zu Deinem Wohlbefinden fehlt, ist doch nur Zeit und Ruhe. Ich meine nicht, daß Du stolz darauf sein sollst, daß ich glücklich bin, sondern darauf, was Du selber bist und was Du in Deinen Jahren schon alles zustande gebracht hast. Hab doch nur etwas mehr Geduld mit Dir selber. Wir haben gar nichts vor uns, was eilt, was unbedingt dann und dann geschehen muß. Das wichtigste ist jetzt Dein Wohlbefinden, Deine Gesundheit. Bis Du Dich wieder frisch und munter fühlst, muß alles andere Nebensache bleiben.

Du fragst mich nach den Schminken und Kostümen. Das Kostüm zu Rabbi Esra steht auf beiliegender Kartenicht überliefert.. Die Kostüme zu So ist das Leben aufzuzählen hätte keinen Zweck, da ich sicher etwas vergessen würde. Ebenso ist es mit den Schminksachen, die voraussichtlich alle in der Blechbüchse sind. Pack also bitte die Blechbüchse ein. Ich werde sie dann revidirenprüfen, durchsehen.. Außer Rabbi Esra und So ist das Leben habe ich nur noch 3 Kostümsachen, Talar, spitzer Hut und Schnallenschuhe. Ich würde Dich bitten, wenn Du Dich durchaus damit befassen willst, alles, was ich an Kostümen habe, in einen Korb zu packen und die Blechbüchse dazu. Ebenso die Kammersängerperrückeeine Perücke – (frz.) perruque – als Requisit für den Einakter „Der Kammersänger“ (1899)., die Perrücke(frz.) perruque; veraltet für: Perücke. zu M. v. Keith und alles, was ich an Stiefeln und Schuhen für die Bühne habe. Aber warum willst Du Dich mit alle dem plagen? Das Einpacken ist ein Vergnügen, wenn man es gemeinschaftlich besorgt. Für Dich allein ist es doch nur Plage und Hetzerei. Du sollst Dich doch schonen, essen, trinken, schlafen und spazirengehen.

Am ersten Abendam 30.3.1908 in Leipzig; Wedekind verbrachte den Abend dort allein im Ratskeller [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.3.1908]. war ich, wie ich voraussah, allein. Gesternam 31.3.1908, an dem Wedekind seinen Besuch bei dem befreundeten Rechtsanwalt Kurt Hezel und das abendliche Beisammensein mit ihm, dem Rechtsanwalt Martin Drucker und dem Mathematiker und Schriftsteller Felix Hausdorff (und dessen Frau Charlotte Goldschmidt) im Leipziger Ratskeller notierte: „Besuch bei Hetzel [...]. Abends Ratskeller mit Drucker, Hausdorf und Frau und Hetzel. Nachher im Kaffeebaum. Hetzel fährt uns im Automobil nach Haus.“ [Tb] war ich mit Hezel und Professor Hausdorf zusammen. Heuteam 1.4.1908, an dem Wedekind notierte: „Abends allein im Ratskeller Zensur studiert.“ [Tb] Er lernte die Rolle des Walter Buridan aus „Die Zensur“ (die Rolle spielte er dann stets selbst). werde ich wieder allein sein und Buridan lernen. Die Rolle lernt sich so leicht, wie mir das Lernen noch nie geworden ist. Küsse Anna Pamela herzlich von mir. Wenn Du mir nicht schreibst, so nehme ich das als ein Zeichen, daß Du Dich schonst und pflegst.

In innigster Liebe küßt Dich Dein
Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 2. April 1908 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

T. W.


Donnerstag. 2./IV.08.


Mein geliebter Frank,

es liegt absolut nichts ausserordentliches vor, ich habe Dir aber doch einiges zu schreiben. Vor allem bin ich (2) absolut nicht mutlos, und bilde mir ein, dass meine Zeilenvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 31.3.1908. sogar einen gewissen Humor hatten oder wenigstens haben sollten.

Das Gastspiel in Graz ist mir nun aber nicht Nebensache, u. möchte ich ganz bestimmt am 23.am 23.4.1908; an diesem Tag stand Tilly Wedekind allerdings bei dem Gastspiel am Theater am Franzensplatz in Graz (23. bis 25.4.1908) nicht auf der Bühne („Frühlings Erwachen“ wurde ohne sie gespielt). Sie spielte dann aber am 24.4.1908 in „Rabbi Esra“ den Moses und in „Der Kammersänger“ dann gleich zwei Rollen – Frau Helene Marowa und Miss Isabel Coeurne [vgl. Grazer Tagblatt, Jg. 18, Nr. 113, 24.4.1908, Morgen-Ausgabe, S. 11] – und am 25.4.1908 in „Erdgeist“ die Lulu. dort | spielen. Du findest das vielleicht überflüssig, aber wenn daraus nun auch nichts würde, dann wäre ich allerdings mutlos. Du sagtest Sonntag oder Montagam 29. oder 30.3.1908 in Berlin., es hätte mich wahrscheinlich verstimmt dasSchreibversehen, statt: dass. aus Budapest nichts wirdaus einem Gastspiel in Budapest.; wahrscheinlich hast Du recht. Ich freue mich das ganze Jahr auf Gastspiele, die dann zu Wasser werden. Ich kann mir eben die Schauspielerei auch nicht ganz abgewöhnen, und das | verlangst Du ja auch gar nicht. Du darfst das alles nicht falsch auffassen, lieber Frank; ich glaube dass ich damit nichts Unmögliches verlange. Also nicht wahr, es bleibt dabei!? Was schrieb Dir das Hebbel-Theater?Hinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Hebbel-Theater an Wedekind, 28.3.1908. Wer geschrieben hat – der Direktor Eugen Robert oder der administrative Leiter des Berliner Hebbel-Theaters Adolf Edgar Licho [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 262] – ist unklar. Wedekinds Tagebuch zufolge hat er am 22.2.1908 mit dem administrativen Leiter über ein Gastspiel verhandelt („Licho kommt wegen Hebbeltheater“) und am 17.3.1908 mit dem Direktor einen provisorischen Vertrag geschlossen („Mit Dr. Robert vom Hebbeltheater schließe ich provisorischen Contrakt“); das Gastspiel fand nicht statt. Bitte, schreib’ es mir bald. Wenn es doch was würde, kannst Du mir eine große Freude damit machen!

Das Packen lasse ich vielleicht noch bis Du kommst, es genügt ja, dass ich alles vorrichte und das kann ich in aller Ruhe u. Behaglichkeit. |

Felix Bloch Erbender für den Bühnenvertrieb der Stücke „Marquis von Keith“ und „So ist das Leben“ zuständige Verlag, mit dem Wedekind den Vertrag zwar am 1.6.1907 gekündigt hat, die Kündigung aber erst am 1.6.1908 rechtskräftig wurde [vgl. Wedekind an Felix Bloch Erben, 20.9.1909]. hat 239.13 M. geschickt. Ich habe es quittiert. Ist es recht? Darf ich 100 M. davon nehmen u. dann verrechnen? Ich hätte Dich sonst heute um Geld bitten müssen. 5/4/8 Mä. MädchenlohnLohn für das Kindermädchen., einige Rechnungen, so ist mir nicht sehr viel geblieben. Ich möchte mir gern für Miss Coeurnefür die Rolle der jungen Engländerin Miss Isabel Coeurne in „Der Kammersänger“, die Tilly Wedekind dann in Graz spielte (siehe oben). Jahre zuvor ist Tilly Newes in dieser Rolle „erstmals in einem Stück Wedekinds aufgetreten“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 83], als „Der Kammersänger“ schon einmal am Theater am Franzensplatz in Graz gespielt wurde (Premiere: 6.2.1903) [vgl. Grazer Volksblatt, Jg. 36, Nr. 58, 6.2.1903, Morgen-Ausgabe, S. 10]. das Costüm kaufen, wenn es Dir recht ist.

Wenn ich Dir Wäsche nachschicken soll, schreib’ mir bitte.

Anna Pamela ist gottlob recht munter, und meine ganze Freude!

Innigen Kuss
Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 3. April 1908 in Leipzig folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind berlin
kurfuerstenstrasze 125 =


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin W. Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus [...] lejpzig [...]


liebe tilly, herzlichen dank fuer lieben briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 2.4.1908.. ich komme morgenden 4.4.1908, an dem Wedekind notierte: „Rückfahrt nach Berlin.“ [Tb] samstag abend gegen zehn uhr. bitte mich nicht abzuholen. vom hebbeltheatervgl. Hebbel-Theater an Wedekind, 28.3.1908 (erschlossen). leider nichts erfreuliches. also auf morgen abend. herzlichst = frank.

Frank Wedekind schrieb am 11. April 1908 in Berlin folgende Visitenkarte
an Tilly Wedekind

Geliebteste Tilly!

Die herzlichsten Glückwünsche zu Deinem Geburtstag. In | Innigster Liebe
Dein
Frank Wedekind
Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 19. April 1908 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]


frank wedekind muenchen ohmstrasse 1
pension sernsamerÜbertragungsfehler, statt: fernsemer. Wedekind ist dem Tagebuch zufolge am 13.4.1908 mit Frau und Kind nach München gereist („Abfahrt von Berlin nach München“), wo er in der Pension Fernsemer (Ohmstraße 1, Hinterhaus, Parterre) logierte – bei Konstantine Fernsemer, „Pensionsinhaberin“ [Adreßbuch für München 1908, Teil II, S. 362; vgl. Teil I, S. 125]. Wedekind mietete einige Tage später die Wohnung, in der er bis zu seinem Tod lebte; er notierte am 18.4.1908: „Wohnung gemietet Prinzregentenstraße 50.“ [Tb] = |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Graz [...]


= gluecklich angekommenin Graz, wo nicht nur Tilly Wedekinds Eltern lebten, sondern vom 23. bis 25.4.1908 ein gemeinsames Gastspiel am Theater am Franzensplatz stattfinden sollte, zu dem einige Tage später auch ihr Mann aufbrach. Frank Wedekind hat die Abreise von Tilly und Pamela Wedekind von München am 18.4.1908 notiert: „Tilly und Anna Pamela fahren nach Graz.“ [Tb] innigste gruesse = tilly.

Frank Wedekind schrieb am 19. April 1908 in München folgende Bildpostkarte
an Tilly Wedekind

Nur für die Adresse


Frau Tilly Wedekind
geb. Newes
Graz (Steyermark)
Hotel Goldene Birn


Geliebteste Tilly! Für meinen Koffer hast du bei der Zollrevision keinen Schlüssel gehabt. Ich werde mich also jedenfalls in Wien (Westbahnhof) erkundigen. – Hoffentlich bist Du gut angekommenin Graz, wo nicht nur Tilly Wedekinds Eltern lebten, sondern vom 23. bis 25.4.1908 ein gemeinsames Gastspiel am Theater am Franzensplatz stattfinden sollte, zu dem einige Tage später auch ihr Mann aufbrach und sie offenbar sein Gepäck schon mitgenommen hat, aber der Kofferschlüssel vergessen worden ist. Frank Wedekind hat die Abreise von Tilly und Pamela Wedekind von München am 18.4.1908 notiert: „Tilly und Anna Pamela fahren nach Graz.“ [Tb] Die Reise führte über Wien Westbahnhof.. Ich sende Dir die herzlichsten Grüße!

Grüße Deine Lieben.

Dein Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 20. April 1908 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]

frank wedekind muenchen
ohmstr 1 pension fernsemer |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Graz [...]


= kofferTilly Wedekind hatte am 18.4.1908 bei ihrer Abreise von München über Wien nach Graz Kofferschlüssel vergessen und am Wiener Westbahnhof Probleme beim Zoll [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 19.4.1908], die nun behoben waren. alle ausgeloest, – frohes wiedersehn! tilly =

Frank Wedekind schrieb am 21. April 1908 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

Frau Wedekind
goldene Birn
Graz


Telegramm
aus
München [...]


Liebste Tilly! Ich bin morgenden 22.4.1908. Wedekind reiste dem Tagebuch zufolge am 21.4.1908 von München ab („Abreise nach Graz“) und traf am 22.4.1908 um die Mittagszeit in Graz ein („Ankunft in Graz Mit Tilly dinirt. Abendessen in der Familie Newes“), der Heimatstadt seiner Frau, wo er mit ihr ein Gastspiel am Theater am Franzensplatz hatte – „Frühlings Erwachen“ (Wedekind als vermummter Herr) wurde am 23.4.1908 gespielt, „Rabbi Esra“ (Wedekind in der Titelrolle, seine Frau als Moses) und „Der Kammersänger“ (Wedekind in der Titelrolle des Gerardo, seine Frau als Helene Marowa und als Isabel Coeurne) am 24.4.1908, „Erdgeist“ am 25.4.1908 (Wedekind als Dr. Schön und im Prolog als Tierbändiger, seine Frau als Lulu). Mittwoch Mittag mit verabredetem Zug in Graz auf frohes Wiedersehen = FranzÜbertragungsfehler, statt: Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 27. April 1908 in Graz
an Frank Wedekind

Graz, 27./IV.08.


Geliebtester Frank,

ich bin gesternden 26.4.1908, einen Tag nach Abschluss des Gastspiels von Frank und Tilly Wedekind am Theater am Franzensplatz in Graz (23. bis 25.4.1906); das Paar hatte im Hotel Zur goldenen Birne gewohnt, das Tilly Wedekind verlassen hat und zu ihren Eltern gegangen ist, die in Graz wohnten (Brandhofgasse 1). Frank Wedekind war zuvor um 16 Uhr nach Wien abgereist (dort stand für ihn am Deutschen Volkstheater vom 9. bis 22.5.1908 in „Frühlings Erwachen“ das nächste Gastspiel an), wie er am 26.4.1908 notierte: „Mit Tilly im Café Union gefrühstückt. Mittagessen bei Mama Newes. Vier Uhr fahr ich nach Wien.“ [Tb] noch vom Hotel weg u. nach Hause. Es ist halt doch kein Platz hier, u. fühle ich mich bis jetzt nicht sehr behaglich. Ich möchte Dich ja gern | möglichst lang allein lassen u. ich kann ja schließlich auch wo anders hin. An Frl. Hamannan eine Tochter oder eine andere unverheiratete Verwandte von Wilhelm Hamann, Wedekinds Vermieter in Berlin; es dürfte sich in Tilly Wedekinds nicht überliefertem Brief an sie um Wohnungsangelegenheiten gehandelt haben. habe ich geschrieben, auch an die Pension FernsemerWedekind hat vor seinem Gastspiel in Graz vom 14. bis 21.4.1908 in der Münchner Pension Fernsemer (Ohmstraße 1, Hinterhaus, Parterre) logiert – bei Konstantine Fernsemer, „Pensionsinhaberin“ [Adreßbuch für München 1908, Teil II, S. 362; vgl. Teil I, S. 125], bis zu ihrer Abreise am 18.4.1908 nach Graz auch seine Frau, die nun wohl wegen nachzusendender Post an die Pension schrieb.. Hast Du schon Deine BriefeWedekind erwartete Post – ihm aus München nach Wien nachgesandt von der Münchner Pension Fernsemer.? Wie ist es in Wien? Anna Pamela u. ich küssen Dich innigst! Deine Tilly

Frank Wedekind schrieb am 27. April 1908 in Wien folgenden Brief
an Tilly Wedekind

HOTEL TEGETTHOFF, I., JOHANNESGASSE 23, WIEN.
TELEGRAMME:
TEGETTHOFFHOTEL, WIEN.


Geliebte Tilly!

ich war gestern Abendam 26.4.1908, an dem Wedekind seine Abreise von Graz um 17 Uhr, sein Hotel in Wien (Briefkopf des vorliegenden Briefs) und seinen Besuch im Deutschen Volkstheater (Direktion: Adolf Weisse), wo er vom 9. bis 22.5.1908 ein Gastspiel als vermummter Herr in „Frühlings Erwachen“ zu absolvieren hatte und gemeinsam mit Wolfgang Quincke die Regie führte [vgl. KSA 2, S. 964], notierte: „Vier Uhr fahr ich nach Wien. Hotel Tegethoff Theater“ [Tb]. noch im Theater und erfuhr dort daß heuteam 27.4.1908, an dem Wedekind seinen Besuch der Dekorationsprobe für die Inszenierung von „Frühlings Erwachen“ im Deutschen Volkstheater notierte: „Im Theater.“ [Tb] nur Dekorationsprobe sei, saß dann allein bei in der Tabakspfeifedas Restaurant Zur großen Tabakspfeife (Wien I, Graben 29, Ecke Goldschmidtgasse 7a), Besitzer: Alois Lackner; „gegründet 1616. Rendezvous aller Fremden. Ältestes Restaurant Wiens von historischer Bedeutung.“ [Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1908, Bd. 1, Teil IV, S. 1397]. Wedekind notierte am 26.4.1908: „Tabakspfeife“ [Tb]. und Cafe Fortelnydas Kaffeehaus Fortelny (Wien I, Kolowratring 2, Ecke Johannesgasse 18), Inhaberin: Emilie Fortelny [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1908, Bd. 1, Teil IV, S. 861]. Wedekind notierte am 26.4.1908: „Cafe Fortenly“ [Tb]. beim Hotel. Die Dekorationsprobe fand heute statt. Direktor Weiße kommt erst übermorgen. Jetzt bin ich eben in Begriff in einen VortragWedekind notierte am 27.4.1908: „Abends Kürenberger-Vortrag von Hermann Bahr.“ [Tb] Hermann Bahr hielt um 19.30 Uhr im Saal des Ingenieur- und Architektenvereins (Wien I, Eschenbachgasse 9) auf einem vom Wiener Verein für Kunst und Kultur veranstalteten „Kürnberger-Abend“ [Wiener Zeitung, Nr. 97, 26.4.1908, S. 8], an dem Otto Erich Deutsch und Olga Bauer mitwirkten, einen Vortrag „Geglaubt und vergessen“ [vgl. Neues Wiener Journal, Jg. 16, Nr. 5215, 28.4.1908. S. 4] über den österreichischen Dichter Ferdinand Kürnberger, jenes „meisterhaft gelesenen Feuilletons ‚Geglaubt und vergessen‘“ [Neue Freie Presse, Nr. 15693, 29.4.1908, Morgenblatt, S. 10], das vor einiger Zeit bereits in der „Neuen Freien Presse“ erschienen sein soll. von Hermann Bahr zu gehen und | werde voraussichtlich nachher mit ihm zusammensein. Wegen der Post habe ich nach München geschriebenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Pension Fernsemer, 27.4.1908. Wedekind hat vor seiner Abreise zu den Gastspielen in Graz und Wien vom 14. bis 21.4.1908 in der Münchner Pension Fernsemer (Ohmstraße 1) logiert, geleitet von Konstantine Fernsemer, „Pensionsinhaberin“ [Adreßbuch für München 1908, Teil II, S. 362], und dürfte die Pension um Nachsendung seiner Post nach Wien gebeten haben.. Ich werde hier Zensur lernenWedekind lernte die Rolle des Walter Buridan aus „Die Zensur“. und möchte gerne unsere beiden Scenen in 3 und 4 Aktdie Szenen III/10 und IV/3 aus „Erdgeist“ mit Dr. Schön und Lulu [vgl. KSA 3/I, S. 456-461, 463f.].Erdgeist“ neu inscenieren damit wir auf jeden Fall darin etwas besonderes zu geben haben.

Pfleg Dich gut, geliebte Tilly! Sag Deinen Lieben meinen aufrichtigen Dank für die Herzlichkeit mit der Sie uns auf|genommen haben.

Willst Du nicht vielleicht ein Paar Zeilen an Frau DeutschFrank Wedekind kannte Lili Deutsch, Gattin des Mitbegründers und Direktors der AEG in Berlin Felix Deutsch und Freundin Walther Rathenaus und Maximilian Hardens, seit Herbst 1905. Er war dem Tagebuch zufolge am 27.2.1907 mit Tilly Wedekind in Berlin bei ihr eingeladen („Abends mit Tilli bei Lili Deutsch in großer Gesellschaft“), dann am 26.6.1907 („Kammersänger Rabbi Esra. Nachher bei Lili Deutsch“), am 7.12.1907 („Abend bei Deutsch in Gesellschaft mit Tilly“), am 19.2.1908 („Große Gesellschaft bei Deutsch“) und am 4.3.1908 („Abends bei Lili Deutsch“). Der genaue Anlass für einen an Lili Deutsch zu schreibenden Brief ist unklar. Es könnte das 25jährige Jubiläum der AEG gewesen sein, zu dem Maximilian Harden am 17.4.1908 Walther Rathenau gratulierte und dabei auch die gemeinsame Freundin erwähnte: „Frau Lili, die Arme, leidet noch immer. [...] Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum der A.E.G.“ [Hellige 1983, S. 548] schreiben? Sie schreibt sich mit einem L: Lili, Rauchstraße 16.

Ich hoffe, daß wir uns bald wiedersehn aber Du mußt die Zeit aus nützenSchreibversehen, statt: ausnützen. um Dich zu erholen.

In inniger Liebe
Dein
Frank


27.4.8.

Tilly Wedekind schrieb am 28. April 1908 in Graz folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Tilly Wedekind vom 29.4.1908 aus Wien:]


Herzlichen Dank für [...] Deine Karte.

Frank Wedekind schrieb am 29. April 1908 in Wien folgenden Brief
an Tilly Wedekind

HOTEL TEGETTHOFF, I., JOHANNESGASSE 23, WIEN.
TELEGRAMME:
TEGETTHOFFHOTEL, WIEN.


Geliebteste Tilly,

Herzlichen Dank für Deinen lieben Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 27.4.1908. und Deine Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.4.1908.. Heute Morgen bekam ich die erste Post von Münchenihm von der Münchner Pension Fernsemer (Ohmstraße 1) nach Wien nachgesandte Post; Wedekind hat in einem nicht überlieferten Schreiben um die Nachsendung gebeten [vgl. Wedekind an Pension Fernsemer, 27.4.1908]. und hatte die erste richtige Probevon „Frühlings Erwachen“ (siehe unten) – Wedekind notierte am 29.4.1908: „Arrangierprobe von Frl. Erw.“ [Tb] auf der alle ich alle drei Akte arrangierteWedekind führte bei der Inszenierung von „Frühlings Erwachen“ am Deutschen Volkstheater (Direktion: Adolf Weisse) in Wien, bei der er vom 9. bis 22.5.1908 ein Gastspiel als vermummter Herr hatte, gemeinsam mit Wolfgang Quincke die Regie [vgl. KSA 2, S. 963-965].. Reinhart schickt mirHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Max Reinhardt an Wedekind, 22.4.1908. ‒ Wedekind stand seit Ende 1907 „in neuen Verhandlungen mit Max Reinhardt über seinen am 15.3.1906 mit dem Deutschen Theater Berlin geschlossenen Autorenvertrag“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 85]. einen so lumpichten Vertrag, daß ich ihm gar nicht darauf antworten werde. Direktor Weiße habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Ich würde mich nun sehr freuen, wenn Du hierher kämst. Ich habe nur noch nicht wegen der Zimmer gesprochen, werde | das aber sofort thun. Mit Herrmann Bahr habe ich nur einige Worte nach seinem VortragHermann Bahr hielt am 27.4.1908 einen vom Wiener Verein für Kunst und Kultur veranstalteten Vortrag über Ferdinand Kürnberger, den Wedekind besuchte und anschließend mit Wolfgang Quincke im Restaurant Zur großen Tabakspfeife war: „Abends Kürenberger-Vortrag von Hermann Bahr. Nachher mit Regisseur Quinke in der Tabakspfeife.“ [Tb] gesprochen. Er hatte die Gicht und mußte gleich wieder nach Hause fahren. Wenn Du kannst dann könnten wir sofort mit Studium von ZensurStudium der Rollen des Walter Buridan (Frank Wedekind) und der Kadidja (Tilly Wedekind) aus dem Einakter „Die Zensur“ (uraufgeführt in dieser Besetzung am 27.7.1909 am Münchner Schauspielhaus unter Wedekinds Regie). beginnen. Abends würden wir ins Theater gehen. Grüße Anna Pamela und Deine Lieben. In der Hoffnung auf baldiges Wiedersehn sendet Dir innigste Küsse
Dein
Frank.


29.4.8 |


Liebe Tilly, ich wollte wegen des Zimmers fragen, es war aber niemand im Bureau, der Auskunft geben konnte. Ich werde es heute Nacht oder jedenfalls morgen früh erfahren und dir dann sofort telegraphieren, bevor ich auf die ProbeWedekind notierte am 1.5.1908 „Probe“ [Tb], so auch am 2.5.1908, am 4. bis 7.5.1908, am 8.5.1908 „Generalprobe“ [Tb], am 9.5.1908 nochmals „Probe“ sowie „Premiere Frl. Erw.“ [Tb] gehe. Vielleicht kannst Du dann morgen 4 Uhr 25 noch abreisen, jedenfalls aber übermorgen, Freitagder 1.5.1908, an dem Tilly Wedekind mit dem genannten Zug von Graz nach Wien reiste.. Ich erwarte natürlich ein Telegramm, damit ich dich abholen kann.

Dein Onkel RichardRichard Engländer, ein Bruder von Tilly Wedekinds Mutter Mathilde Newes, k. k. Professor für Maschinenbau an der Technischen Hochschule Wien. „Studenten der Wiener Technischen Hochschule“ hatten am 27.4.1908 „gegen den wegen seiner strengen Bewertungen unbeliebten Prof. Dr. Richard Engländer und dessen Assistenten demonstriert. Der Rektor der Hochschule versprach den Studenten, ihre Beschwerden zu überprüfen“; er ließ ihnen am 28.4.1908 „mitteilen, dass die Forderungen der Studentenschaft Berücksichtigung finden werden“ und „neue Prüfungstermine angesetzt“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 85f.] würden. hat hier ja einen großen Kampf siegreich bestandenwohl ironisch gemeint, wie spätere Bemerkungen in der Korrespondenz zwischen Frank und Tilly Wedekind über diesen Onkel von ihr nahelegen.. Alle Zeitungen nehmen Partei für ihnEs „traf nicht zu“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 85f.], dass alle Zeitungen Partei für Richard Engländer genommen haben. Zwischen dem 27. und 29.4.1908 in Wien erschienene Presseberichte (in der liberalen bis konservativen Presse, der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ war die Sache kein Bericht wert) vermieden vielmehr jede Wertung des Verhaltens des Hochschullehrers; sie schilderten die Ereignisse fast gleichlautend unter den Überschriften „Demonstrationen an der Technik“ [Die Zeit, Jg. 7, Nr. 2009, 27.4.1908, Abendblatt, S. 4; Neues Wiener Tagblatt, Jg. 42, Nr. 116, 27.4.1908, S. 8; Die Neue Zeitung, Nr. 117, 28.4.1908, S. 5] oder „Die Demonstrationen an der Technik“ [Neues Wiener Tagblatt, Jg. 42, Nr. 117, 28.4.1908, S. 8; Die Zeit, Jg. 7, Nr. 2010, 28.4.1908, Abendblatt, S. 2; Neues Wiener Abendblatt, Jg. 42, Nr. 117, 28.4.1908, S. 3; Das Vaterland, Jg. 49, Nr. 197, 29.4.1908, Morgenblatt, S. 8], „Demonstration an der Technik“ [Deutsches Volksblatt, Jg. 20, Nr. 6941, 28.4.1908, Morgen-Ausgabe, S. 8] oder „Die Demonstration an der Technik“ [Neue Freie Presse, Nr. 15692, 28.4.1908, Morgenblatt, S. 10], „Demonstrationen an der technischen Hochschule“ [Neues Wiener Journal, Jg. 16, Nr. 5215, 28.4.1908, S. 5; Das Vaterland, Jg. 49, Nr. 195, 28.4.1908, Morgenblatt, S. 5-6], „Studentenunruhen an der Wiener Technik. Kundgebungen gegen Prof. Engländer“ [Reichspost, Jg. 15, Nr. 117, 28.4.1908, Morgenblatt, S. 6-7] oder „Studentenunruhen an der Wiener Technik. Die Demonstrationen gegen Prof. Engländer“ [Reichspost, Jg. 15, Nr. 118, 29.4.1908, Morgenblatt, S. 10], „Eine Demonstrationsversammlung an der Technik“ [Neues Wiener Journal, Jg. 16, Nr. 5216, 29.4.1908, S. 7]..

Frank Wedekind schrieb am 30. April 1908 in Wien folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind newes graz
brandhofgasze 1=


Telegramm aus [...]
wien [...]


liebe tilly, erwarte dich morgn frejtag mitag oder abend, kan aber mitag nicht zum bahnhof komen. bite telegram wann ankunft tausent gruesze = frank

Tilly Wedekind schrieb am 30. April 1908 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

frank wedekind win hotel tegethoff =


Telegramm
aus

[...] graz


kome frejtag mit dem zug der hier 4.25 wegfaehrt kuesze = tilly

Tilly Wedekind schrieb am 18. Mai 1908 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

frank wedekind
wien hotel tegethoff =


Telegramm
aus
[...] graz [...]


gut angekommenFrank Wedekind notierte am 18.5.1908: „Tilly reist nach Graz.“ [Tb] Tilly Wedekind war seit dem 1.5.1908 bei ihm in Wien gewesen. herzliche gruesse = tilly =

Frank Wedekind schrieb am 19. Mai 1908 in Wien folgenden Brief
an Tilly Wedekind

HOTEL TEGETTHOFF, I., JOHANNESGASSE 23, WIEN.
TELEGRAMME:
TEGETTHOFFHOTEL, WIEN.


Geliebteste Tilly!

ich bin gestern wirklich den ganzen Nachmittag herumgelaufen nachdem ich vorher noch gepackt hatte und in ein kleines Zimmer übergesiedelt war. Am AbendWedekind notierte am 16.5.1908 nach der fünften Vorstellung von „Frühlings Erwachen“ im Rahmen seines Gastspiels am Deutschen Volkstheater seinen Besuch bei Hartmann (Kärntnerring 10), einem Restaurant (Inhaber: Franz Hartmann), und anschließend seinen Besuch im Kaffeehaus Fortelny (Kolowratring 2): „Frl. Erw. 5. Hartmann Dann Café Fortelny.“ [Tb] bei Hartmann waren nur diejenigen Herren die mich nicht sonderlich interessieren. Damen waren keine da. Nachher saß ich noch eine Stunde allein im Kaff/Caf/é. Eben habe ich schriftlichHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Emil Gutmann, 19.5.1908. – Emil Gutmann hat die im Brief genannten Vorträge organisiert (siehe unten). | auf zwei Vorträgedie Lesungen von „Totentanz“ und „Die Zensur“, die zuerst am 25.11.1908 im Konzertsaal des Bayrischen Hofes in München stattfanden [vgl. KSA 6, S. 676f.], organisiert vom Konzertbüro Emil Gutmann in München (Theatinerstraße 38), mit dem Wedekind sich später über die Ausgestaltung verständigte [vgl. Wedekind an Emil Gutmann, 21.11.1908]. für nächsten Winter zugesagt. Einen dritten Antragnicht ermittelt; im Tagebuch hat Wedekind für den Nachmittag des 19.5.1908 nichts eingetragen. werde ich mündlich hier heute Nachmittag erledigen. Ich bitte Dich, Dich für die 14 Tage behaglich einzurichten. Heute ist sehr schönes Wetter und ich hoffe daß Ihr Euch dessen auch erfreuen könnt. Küsse Anna Pamela von mir und grüße alle unsere Lieben. Ich werde Samstagam 23.5.1908. Abend abreisen. Der Zug geht Abends 9 Uhr und ist in der Frühe in München.

Mit den herzlichsten Wünschen für | Dein und Anna Pamelas Glück und Wohlergehen
in innigster Liebe
Dein
Frank.


19.5.8.

Tilly Wedekind schrieb am 19. Mai 1908 in Graz folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Dienstagder 19.5.1908. abends. Geliebter Frank, ich danke Dir für Dein Telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 19.5.1908.. Anna Pamela ist ein zu süßes Kind. Ich war gestern noch u. heute den ganzen Tag mit ihr spazieren. Ich bin sehr glücklich mit ihr! Sie hat mich noch erkanntWährend Tilly Wedekinds Aufenthalt in Wien vom 1. bis 18.5.1908 war die knapp anderthalb Jahre alte Tochter Pamela bei den Großeltern in Graz geblieben. u. sagte auch gleich Papa; sie dachte Du bist auch | mitgekommen. Hier ist es wunderschön, wie in einem Garten, liegt die Stadt. Ich bewohne wieder das kleine Zimmer. Alle lassen Dich grüßen.

Innigen Kuss
Deine Tilly


Absender:

Wedekind, Newes. Graz.


Korrespondenz-Karte
mit bezahlter Antwort


Herrn
Frank Wedekind
Wien I.
Hotel Tegetthoff

Frank Wedekind schrieb am 19. Mai 1908 in Wien folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind neuesÜbertragungsfehler, statt: newes.Übertragungsfehler, statt: newes.
graz brandhofgasze 1=


Telegramm
aus
[...]
wien [...]


geliebte tilly, herzlichen dank fuer dein telegrammvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.5.1908. kuesze anna pamela. gruesze unsere lieben. = innigst dein frank.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 20. Mai 1908 in Graz folgende Kartenbrief
an Frank Wedekind

Herrn
Frank Wedekind
Wien I.
Hotel Tegetthoff |


Innigst geliebter Frank, ich danke Dir herzlich für Deinen Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 19.5.1908.. Ich freue mich, dass Du die Vorträge angenommen hast, u. ich mir nicht sagen muss, dass ich Dich davon abhalte. Hier vergeht die Zeit mit Windeseile. Anna Pamela ist zu lieb u. | sehr zärtlich mit mir. Jetzt gehe ich mit Bertl in „JugendMax Halbes „Jugend“ wurde am 20.5.1908 im Theater am Franzensplatz in Graz gespielt, Beginn: 19.30 Uhr, Regie führte Alfred Schreiber [vgl. Grazer Tagblatt, Jg. 18, Nr. 139, 20.5.1908, Morgen-Ausgabe, S. 10]. Die von Tilly Wedekind und ihrem Bruder Dagobert Newes besuchte Vorstellung war ausgewiesen als „Gastspiel des Fräulein Ella Staerk vom Stadttheater in Danzig.“ [Grazer Volksblatt, Jg. 41, Nr. 231, 20.5.1908, Morgen-Ausgabe, S. 12] Sie stammte aus Graz, worauf die Ankündigungen hinwiesen: „Im Theater am Franzensplatz wird heute Frau Ella Stärk, ein Kind unserer Stadt, als Annchen in Halbes Liebesdrama ‚Jugend‘ ein Gastspiel absolvieren“ [ebd., S. 4]; sie werde „zum ersten Male die Bühne ihrer Heimatstadt betreten, und zwar als Annchen in ‚Jugend‘“ [Grazer Tagblatt, Jg. 18, Nr. 137, 18.5.1908, Abend-Ausgabe, S. 3]., eine Bekannte von mir spielt das Annchendie weibliche Hauptrolle in Max Halbes „Jugend“, gespielt von Ella Staerk (siehe oben).. Heute Vormittag im Park laßSchreibversehen, statt: las. ich Gedichte von Schiller, Bertl überhört mich die RollenTilly Wedekind „bezieht sich auf die Rolle Kadidja in ‚Die Zensur‘ und die Rolle Klara in ‚Musik‘.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 87]. Alle grüßen Dich. Innigst umarmt u. küsst Dich
Deine Tilly


20.V.08.


Viele Küsse Deine Anna Pamela

Frank Wedekind schrieb am 21. Mai 1908 in Wien folgende Bildpostkarte
an Tilly Wedekind

Nur für die Adresse


Frau Tilly Wedekind-Newes
Graz (Steiermark)
Brandhofgasse 1.


Geliebteste Tilly, herzlichen Dank für Deine liebe Kartevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 19.5.1908.. Gestern und vorgestern AbendWedekind notierte im Tagebuch am 19.5.1908 („Mit Quinge und Hirschfeld bei Perschill“) und nach seinem sechsten Auftritt als vermummter Herr im Rahmen seiner Wiener Gastspiels in „Frühlings Erwachen“ am 20.5.1908 („Vermummter Herr 6 Mit Quinke und Hirschfeld bei Perschill“) sein Beisammensein mit Wolfgang Quincke, der mit ihm bei der Wiener Inszenierung von „Frühlings Erwachen“ am Deutschen Volkstheater die Regie geführt hat, und mit dem Musikkritiker und Theaterreferenten Robert Hirschfeld im Perschill (Wien I, Naglergasse 1), Restaurant und Pilsener Bierhaus „zum Kühfuß“ (Inhaber: Eduard Perschill). war ich mit Quinke und Hirschfeld zusammen bei Perschill, beide lassen sich Dir empfehlen. Heute Donnerstag ist UmbesetzungsprobeWedekind notierte am 21.5.1908 zwei Umbesetzungen für die Wiener Inszenierung von „Frühlings Erwachen“ (Premiere: 9.5.1908) am Deutschen Volkstheater (Direktion: Adolf Weisse), bei der er gemeinsam mit Wolfgang Quincke die Regie führte: „Umbesetzungsprobe. Edthofer spielt Melchior. Klitsch vermummten Herrn.“ [Tb] Die Rolle des Melchior, die bis dahin Jacob Feldhammer, Bruder der Schauspielerin Anna Feldhammer [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 88] und Schauspieler am Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 259], gespielt hatte, übernahm Anton Edthofer, vor kurzem noch in den USA an den Vereinigten Deutschen Theatern in Milwaukee (Wisconsin) und Chicago (Illinois) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 477], nun Ensemblemitglied des Deutschen Volkstheaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 650]. Die Rolle des vermummten Herrn, bis dahin von Wedekind gespielt, übernahm Wilhelm Klitsch vom Deutschen Volkstheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 595]. MelchiorEdthofer, da Feldhammer zu Reinhardt zurückkehrt. Küsse Anna Pamela.

HerlichsteSchreibversehen, statt: Herzlichste.n
Grüße
Dein Frank

Tilly Wedekind schrieb am 21. Mai 1908 in Graz folgenden Brief
an Frank Wedekind

Donnerstag. 21.V.08.


Mein lieber Frank,

hoffentlich nimmst Du’s mir nicht übel, dass ich Dir bis jetzt keinen richtig gehenden Brief geschrieben habe. Ich habe Dir schließlich alles geschrieben, was ich wusste; in Graz giebt es nicht viel Neues.

GesternTilly Wedekind hat am 20.5.1908 in Graz die Vorstellung von Max Halbes „Jugend“ im Theater am Franzensplatz besucht, wie sie ihrem Mann angekündigt hat [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 20.5.1908]. kam ich in’s Theater, da stand der DoctorGustav Ritter von Purgay, Hilfskassierer des Theaters am Franzensplatz [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 387], ehrenamtlich tätig; er war nicht nur Mitglied des Vereins der Landesbeamten der Steiermark, ein „Landesrechnungsrevident“ [Grazer Volksblatt, Jg. 41, Nr. 581, 18.12.1908, Morgen-Ausgabe, S. 5] kurz vor dem Ruhestand, sondern auch Vorstandsmitglied (neben dem Grazer Bürgermeister und einem Stadtrat) des 1891 gegründeten Grazer Theater-Versorgungs- und Unterstützungs-Vereins [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 428]. mit dem langen Bart an der Kasse. | Er gab mir gleich eine Loge. (Wie er heißt, weiß ich nicht mehr.) Es wurde recht gut gespielt.

Heute waren wir den ganzen Tag bei einer Freundinnicht identifiziert. von mir, die mit ihren Eltern eine Villa in der Umgebung bewohnt. Es war sehr schön; ich glaube die Luft hier wird mir sehr gut tun. Ich bleibe zu Hause wohnen, wir sind ja doch den ganzen Tag im Freien. |

Zu meinem Bedauern hörte ich, von Onkel Dagobert, dass Du bei Professor Engländer heute abendWedekind hat den Besuch bei Richard Engländer, dem Bruder von Dagobert Engländer und Onkel seiner Frau (beides Brüder ihrer Mutter Mathilde Newes), am 21.5.1908 im Tagebuch nicht notiert; die Begegnung fand aber statt, wie sein nächster Brief [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 22.5.1908] und eine kollektiv geschriebene Bildpostkarte von diesem Abend [vgl. Frank Wedekind, Mathilde Engländer, Dagobert Engländer, Karl Lillin, Laura Engländer, Richard Engländer, Stephanie Engländer an Tilly Wedekind, 21.5.1908] belegt, allerdings nicht in der Wohnung von Richard Engländer (Wien VI, Kopernikusgasse 7), sondern bei Dagobert Engländer. eingeladen bist. Hoffentlich hast Du eine passende Ausrede gefunden, denn dass es Dir nicht angenehmWedekind hatte offenbar Vorbehalte gegen Richard Engländer, k. k. Professor für Maschinenbau an der Technischen Hochschule Wien, gegen den seine Studenten revoltiert hatten, wie die Presse unlängst berichtete, wie eine ironische Stellungnahme von ihm nahelegt [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 29.4.1908]. sein wird, kann ich mir denken.

Nun bist Du noch zwei Tage in Wien. Wenn Du in München mit einem Arzt gesprochen hast, bitte schreibe mir gleich was er meint. Ich wünsche | von Herzen, dass Dir der Aufenthalt in München recht gut bekommt. Du musst dann eben auch in Berlin möglichst viel gehen. Ich habe dann MarthaMartha Newes „unterstützte als ‚Kindermädchen‘ in jungen Jahren gelegentlich in München ihre ältere Schwester.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 88], u. Du brauchst Dich durch mich nicht gehindert fühlen. Ich habe jetzt „Werther’s Leiden“ angefangen. Wie dumm, dass man sich das Leben so schwer macht, wenn es so angenehm sein könnte. Ich tu’s nicht wieder, geliebter Frank.

In innigster Liebe
Deine Tilly


[Seite 1, am rechten Rand um 90 Grad gedreht:]

Anna Pamela, mein Stolz, schickt Dir viele Küsse.

Frank Wedekind, Mathilde Engländer, Dagobert Engländer, Karl Lillin, Laura Engländer, Richard Engländer und Stephanie Engländer schrieben am 21. Mai 1908 in Wien folgende Bildpostkarte
an Tilly Wedekind

Postkarte – Carte postale
Weltpostverein – Union postale universelle
[...]


Frau Tilly Wedekind-Newes
Graz (Steiermark)
Brandhofgasse 1.


Geliebte Tilly, wir alle bedauern sehr, daß Du nicht theilnimmst an diesem schönen FestFeier des gemeinsamen Hochzeitstags der Brüder Dagobert und Richard Engländer (Onkels von Tilly Wedekind, Brüder ihrer Mutter Mathilde Newes) am 21.5.1908 bei Dagobert Engländer (Wien III, Dampfschiffstraße 4) [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 22.5.1908] und deren Frauen, der mit Dagobert Engländer verheirateten Mathilde Engländer (geb. Lillin) und der mit Richard Engländer verheirateten Laura Engländer (geb. Leistler).. Wir senden Dir, Anna Pamela, den lieben Eltern und Martha, Rudolf, Bertl und KarlGeschwister Tilly Wedekinds. die herzlichsten Grüße
Dein Frank.


Tante Mathilde


Onkel Dagobert


Onkel KarlKarl Lillin in Wien (Dampfschiffstraße 4) war der Bruder von Mathilde Engländer (geb. Lillin), Gattin von Tilly Wedekinds Onkel Dagobert Engländer. Fetzersnicht identifiziert. haben seit gestern 8h Abs einen süßen Jungen |


Wien Raimund-Denkmal


Herzlichst Tante Laura und Richard.


SteffiStephanie Engländer, „Cousine Tillys.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 89].

Frank Wedekind schrieb am 22. Mai 1908 in Wien folgenden Brief
an Tilly Wedekind

HOTEL TEGETTHOFF, I., JOHANNESGASSE 23, WIEN.
TELEGRAMME:
TEGETTHOFFHOTEL, WIEN.


Geliebteste Tilly!

Herzlichsten Dank für Deine beiden lieben Briefevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 20.5.1908 (Kartenbrief) und 21.5.1908 (Brief).. Es freut mich ungemein, daß Du Dich soweit wohl fühlst. Ich glaube auch daß die freie Luft und das herrliche Wetter Dir in Graz besser zustatten kommen als hier. Ich selber freue mich, morgen Abend endlich fortzukommen. Ich bewohne ein kleines Zimmer nach der Straße, so daß sich des Lärms wegen die/das/ Fenster nicht gut öffnen läßt während ein immer geheizter Kamin der an der Wand hinauf läuft, eine entsetzliche Hitze hervorläuftSchreibversehen, statt: hervorruft (vermutlich).. Ich schreibe das nicht weil ich mich nicht darüber hinwegsetzen könnte, | aber Du denkst sonst vielleicht wieder daß ich wie im Schlaraffenland lebe.

Gestern war ich also richtig bei Onkel DagobertWedekind war am 21.5.1908 bei Dagobert Engländer (Wien III, Dampfschiffstraße 4), dem Inspektor der Donau-Dampfschiffs-Gesellschaft und einer seiner Trauzeugen, mit dem er sich gut verstand, auf einer Feier, an der ansonsten ihm mehr oder weniger fremde Verwandte seiner Frau zugegen waren., es war sein und seines Bruders Hochzeitstag. Ich war darauf gespannt gewesen, Professor EngländerRichard Engländer, k. k. Professor für Maschinenbau an der Technischen Hochschule Wien, wie Dagobert Engländer ein Bruder von Tilly Wedekinds Mutter Mathilde Newes. näher kennen zu lernen. Ich glaube aber, er ist ein großer Mies-Macher, wir kamen uns nicht einen Schritt nah. Ich bitte dich aber, dieses/n/ Eindruck nicht weiterzuerzählen. Während des ganzen Abends hatte ich das unbehagliche Gefühl, daß es nicht richtig sei, daß Du nicht dabei wä/a/rst. Deshalb gab ich auch die Karteeine kollektiv auf der Familienfeier verfasste Bildpostkarte [vgl. Frank Wedekind, Mathilde Engländer, Dagobert Engländer, Karl Lillin, Laura Engländer, Richard Engländer, Stephanie Engländer an Tilly Wedekind, 21.5.1908]., die an Dich geschrieben wurde gestern Abend nicht mehr auf. Jetzt werde ich sie mit diesem Brief in den Kasten werfen. Den Schluß des AbendsWedekind hat am 21.5.1908 nicht notiert, was er abends unternahm. Er traf sich dem vorliegenden Brief zufolge zu späterer Stunde mit dem Musikkritiker und Theaterreferenten Robert Hirschfeld im Perschill (Wien I, Naglergasse 1), Restaurant und Pilsener Bierhaus „zum Kühfuß“ (Inhaber: Eduard Perschill), wo auch Josef Jarno zugegen war, Direktor des Theaters in der Josefstadt und des Lustspieltheaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 652, 656]. | verbrachte ich mit Dr. Hirschfeld bei Perschill, wo einem jetzt das gute Bier nach der Hitze des Tages vorzüglich schmeckt.

Ich gehe jetzt gleich auf in das Reisebüreau um mir für morgen Abend ein Bett zu bestellenim Nachtzug nach München vom 23. auf den 24.5.1908.. In München will ich versuchen in dem neuen Hotel am Maximiliansplatz (gegenüber Parkhotel) zu wohnen, da die andern Hotels jedenfallSchreibversehen, statt: jedenfalls. überfüllt sind. Ich weiß augenblicklich den Namen nicht werde Dir aber sofort telegraphieren. Heute AbendWedekind notierte am 22.5.1908 lediglich, nach der siebenten Vorstellung von „Frühlings Erwachen“ am Deutschen Volkstheater, seinem letzten Auftritt als vermummter Herr im Rahmen seines Wiener Gastspiels, sei er mit Wolfgang Quincke, der mit ihm gemeinsam die Regie bei der Inszenierung der Kindertragödie geführt hat, bei Perschill gewesen: „Frl. Erw. 7. Nachher mit Quinke bei Perschill.“ [Tb] Ob er sich zusätzlich noch bei Hartmann (Kärntnerring 10), einem anderen gern besuchten Wiener Restaurant, mit Anton Geiringer traf, Sekretär am Deutschen Volkstheater und für die Kassenverwaltung zuständig [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 650], ist unklar. werde ich noch mit Jarno zusammentreffen, der gestern auch bei Perschill war. Nach der Vorstellung bin ich voraussichtlich | mit Geiringer bei Hartmann.

Nun lebwohl, geliebte Tilly und thu alles was Du für Deine Gesundheit thun kannst. Ich freue mich sehr, daß wir uns bald wieder in Berlin zusammen sind, aber wie herrlich wäre es, wenn wir jetzt gleich nach München in unsere Wohnung ziehenWedekind hat diese Wohnung dem Tagebuch zufolge zwar am 18.4.1908 bereits gemietet („Wohnung gemietet Prinzregentenstraße 50“), sie war aber noch nicht frei. könnten. Grüße und küsse Anna Pamela von mir und sei innigst geküßt von Deinem
Frank.


HerlicheSchreibversehen, statt: Herzliche. Grüße an Papa und Mama und unsere Lieben.


22.8/5/.8.

Tilly Wedekind, Karl Newes und Pamela Wedekind schrieben am 22. Mai 1908 in Graz folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Post-Karte.


Herrn
Frank Wedekind
Wien I.
Hotel Tegetthoff. |


Gruss aus St. Gotthardt bei Graz. Café-Restaurant Türkenschanze.


Herzlichen Gruss
KarlWedekinds Schwager Karl Newes.


Küsse
Anna Pamela


Deine Tilly

Sende Dir die letzten Grüße nach Wien. Schreib’ mir bei Gelegenheit Deine Adresse. Herzl. Dank für die Kartedie kollektiv geschriebene Bildpostkarte [vgl. Frank Wedekind, Mathilde Engländer, Dagobert Engländer, Karl Lillin, Laura Engländer, Richard Engländer, Stephanie Engländer an Tilly Wedekind, 21.5.1908]..

Frank Wedekind schrieb am 24. Mai 1908 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

Tilly wedekind
Newes
Graz Brandhofgasse 1


Telegramm
aus
München [...]


Geliebte Tilly ich wohne regina palast hotel und schreibe dir ausführlich morgen Montag abend. Dir und Anna Pamela herzlichste grüsse =
Frank.

Frank Wedekind schrieb am 24. Mai 1908 in München folgenden Brief
an Tilly Wedekind

REGINA-PALAST-HOTEL
MÜNCHEN
MAXIMILIANSPLATZ


Meine geliebteste Tilly!

Ich danke Dir herzlich für Deinen ausführlichen Brief vom Donnerstagvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 21.5.1908.. Du schreibst mir aber nicht einmal, was Du im Theater gesehen hast. Ich kam heute morgen hier anWedekind notierte am 24.5.1908: „Ankunft in München. Palasthotel.“ [Tb] und fand München naßkalt und unfreundlich. Sollte in Graz das Wetter ebenso umgeschlagen haben, dann kann dir der Aufenthalt kein großer Genuß mehr sein und Anna Pamela könnte sich | erkälten. Ich kann heute Sonntag leider die Zeit zu nichts verwenden. Wenn ich morgen beim Wiegen merke daß ich noch zugenommen habe und der Arzt auch nicht viel zu sagen hat, dann kann ich wann Du willst nach Berlin. Sobald das Wetter schlecht ist muß es in Graz doch sehr unbequem für dich werden. Ich möchte hier nur noch auch mit Stollberg sprechenWedekind notierte am 27.5.1908 das Gespräch mit dem Direktor des Münchner Schauspielhauses Georg Stollberg: „Unterredung mit Stollberg.“ [Tb] um zu erfahren, wann und in was die Berliner gastieren. Ich sprach in Wien auch am vorletzten Abendam 21.5.1908, an dem Wedekind sich in Wien mit Josef Jarno getroffen hat, Direktor des Theaters in der Josefstadt und des Lustspieltheaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 652, 656]. noch mit Jarno. Er möchte daß Du im HerbstTilly Wedekind sollte die Rolle des jungen Hermann Casimir im „Marquis von Keith“ spielen; eine Inszenierung des Stücks kam im Herbst 1908 bei Josef Jarno, Direktor des Theaters in der Josefstadt und des Lustspieltheaters in Wien, nicht zustande. Hermann Casimir bei ihm spielst. | Du fragst nun freilich warum wir jetzt, Anfang Sommers, durchaus wieder nach Berlin sollen. Wenn Du etwas besseres weißt, dann mache mir bitte Deine Vorschläge. Für mich kommt der Aufenthalt geschäftlich in Betracht, vielleicht auch für Gastspiele. Ich denke natürlich nicht im Traum daran, daß wir den ganzen Sommer dort bleiben sollen. Morgen erfahre ich hier vielleicht auch, wann das argentinische KonsulatIn der großen Wohnung im 3. Stock der Prinzregentenstraße 50, die Wedekind dem Tagebuch zufolge am 18.4.1908 gemietet hat („Wohnung gemietet Prinzregentenstraße 50“), war das „Konsulat v. Argentinien (Kanzl.)“ [Adreßbuch für München 1908, Teil II, S. 394] ansässig (Sitz des argentinischen Vizekonsuls Apollo Geiger): „Kanzlei: Prinz-Regentenstraße 50 3. An Werktagen geöffnet v. 11-12 Uhr.“ [Adreßbuch für München 1908, Teil III, S. 8] unsere Wohnung räumt. Das wird für unsere Beschlüsse sehr wichtig sein. |

Nun leb wohl, liebe Tilly; ich bleibe hier gewiß nicht länger als nötig, denn ich freue mich sehr, endlich wieder mit Dir zusammen zu sein.

Küsse Anna Pamela von mir. Grüß Deine l Lieben.

Es küßt Dich in Liebe.
Dein Frank


Sonntagder 24.5.1908. 5.8.

Frank Wedekind schrieb am 25. Mai 1908 in München folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind Newes
in Graz (Steiermark)
Wohnung (Straße und Hausnummer) Brandhofgasse 1. |


Adresse des Absenders: Wedekind
Palast Hotel, Maximiliansplatz |


Geliebteste Tilly, ich lese in den Zeitungen, daß es überall, sehr kalt geworden sei, jedenfalls also auch bei euch. Du wirst daher wenig Behagen haben. Wenn Du früher nach Berlin willst als wir verabredet hatten, dann schreib es mir bitte. Ich habe mich heute im BadWedekind notierte am 25.5.1908: „Dampfbad“ [Tb]. gewogen, ich habe sehr stark zugenommen; ich könnte die nötige Kur aber auch in Berlin durchführen. Zum Arzt gehe ich morgen, heute hatte er keine SprechstundeDie Sprechzeiten von Dr. Heinrich Bock, Spezialarzt für Atmungs- und Kreislaufstörungen (Richard Wagnerstraße 1, Parterre) waren werktags von 14.30 bis 17 Uhr [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil I, 51]. Wedekind hat am 26.5.1908 den „Besuch bei Dr. [...] Bock“ [Tb] notiert.. Schreib mir bitte, wie es dir und Anna Pamela geht. Wenn das Wetter sehr schön ist und Du | Dich wohl fühlst, dann wäre es für Deine Gesundheit wohl gut, wenn Du noch einige Tage in Graz bliebst. Morgen werde ich auch nachfragen, wann unsere Wohnung freiDie Münchner Wohnung im 3. Stock der Prinzregenstraße 50 war noch durch das Argentinische Konsulat belegt [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 24.5.1908]. wird. Ich schreibe Dir dann sofort. Doch würde ich mich sehr freuen, auch ein Lebenszeichen von Dir zu erhalten. Aus Deinem Karten Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 20.5.1908. sah ich daß Du in Halbes Jugend warst. Ich hatte das übersehen als ich Dir gestern schriebvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 24.5.1908.. Gestern AbendDas Beisammensein mit Waldemar Bonsels und Karl Peppler, Regisseur und Schauspieler am Münchner Schauspielhaus [vgl. Neuer Theater-Almanach 1909, S. 539], am 24.5.1908 in der Torggelstube (Platzl 8) ist im Tagebuch nicht notiert. war ich mit Bonsels und dem Schauspieler Pepler, einem Freund Heines, in der Torggelstube zusammen. Ich küsse Dich innigst, meine geliebte Tilly
Dein Frank


Montag Abend.


Grüße Anna Pamela

Tilly Wedekind schrieb am 25. Mai 1908 in Graz folgende Kartenbrief
an Frank Wedekind

Herrn
Frank Wedekind
München.
Regina Palt/a/st Hotel |


Montagder 25.5.1908.. Innigst geliebter Frank, ich danke Dir für Dein Telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 24.5.1908 (Telegramm).. Jetzt wirst Du Dich hoffentlich wohler fühlen, wie in Wien; dassSchreibversehen, statt: das. kann mich doch nur freuen u. nicht das Gegentheil. Das HotelDie „Münchner Neuesten Nachrichten“ brachten einen ausführlichen Artikel (datiert auf den 22.5.1908) über das neue Regina-Palast-Hotel (Maximiliansplatz 5), in dem es heißt, es sei „so groß und so modern für die verwöhnteste Vornehmheit angelegt, wie es hier nur ganz wenige gibt. Wir wollen es uns nicht verdrießen lassen, daß es seine äußere und innere Architektur einer vergangenen Zeit entlehnt, da die alten Stilarten den neuen Bedürfnissen gut angepaßt sind, vornehm und monumental wirken und, konsequent durchgeführt, einheitliche Wirkung erzeugen. [...] intimer [...] sind die Zimmer und Appartements für die Gäste, durch vier Stockwerke hinauf, gehalten. [...] 250 Zimmer sind es [...]. Von einem um den ganzen Bau laufenden Korridor sind sie zugänglich. [...] Nach Besichtigung durch geladene Gäste wird das Prunkhotel morgen dem allgemeinen Verkehr übergeben.“ [Das neue Regina Palast-Hotel. In: Münchner Neuesten Nachrichten, Jg. 61, Nr. 242, 23.5.1908, Vorabendblatt, S. 5] Demnach ist das Hotel am 23.5.1908 eröffnet worden und Wedekind, der es am 24.5.1908 bezogen hat, war einer der ersten Gäste. muss ja sehr schön sein. Ich las die „Münchner | N. N.“ Ich hatte ja gar nicht daran gedacht, in München ist ja Ausstellungdie Architektur- und Kunstgewerbe-Ausstellung vom 16.5.1908 bis 31.10.1908 in München. Die „Münchner Neuesten Nachrichten“ brachten zur Eröffnung einen umfangreichen Berichtsteil „Ausstellung München 1908“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 61, Nr. 232, 17.5.1908, Vorabendblatt, S. 4-5] und berichteten kontinuierlich über die kulturelle Großveranstaltung.. Schade; wenn wir uns doch miteinander so frei u. fröhlich fühlen könnten, wie jeder für sich allein, wie schön könnte unser Leben sein. Dahin müssen wir unbedingt gelangen, sonst nimmt doch noch die ganze Herrlichkeit ein böses Ende. Ich bin wieder voll guter Vorsätze, wie lieb ich künftig zu Dir sein will.


[am rechten Rand, um 90 Grad gedreht:]

Morgen ausführlicher. Innigste Küsse von mir u. A.P. Deine Tilly

Tilly Wedekind schrieb am 25. Mai 1908 in Graz folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Tilly Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 26.5.1908 aus Graz:]


Gestern abend hab’ ich noch einen langen Brief an Dich geschrieben, [...] ich schicke ihn Dir nicht, werde ihn Dir aber geben, wenn wir wieder zusammen sind. [...]


[2. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Tilly Wedekind vom 28.5.1908 aus München:]


[...] warum hast Du mir nicht den anderen Brief auch geschickt. Ich bitte Dich, schick ihn mir.


[3. Hinweis in Tilly Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 30.5.1908 aus Graz:]


Den andern Brief kann ich Dir jetzt nicht schicken. [...] Ich werde ihn Dir geben [...] wenn ich bei Dir bin [...]

Tilly Wedekind schrieb am 26. Mai 1908 in Graz folgenden Brief
an Frank Wedekind

Dienstagder 26.5.1908..


Mein lieber, guter Frank,

Sonntag war allerdings ein schlechter Tag u. hat München wohl deshalb keinen angenehmen Eindruck auf Dich gemacht. Hier ist’s auch trüb, wir gehen aber trotzdem aus, auch bin ich öfter eingeladen u. nehme dann das Kind mit. Im Theater sah ich Halbe’s „Jugend“. Ich schrieb es Dir am selben Tag in einem Kartenbriefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 20.5.1908.. Du hast ihn wohl nicht so genau gelesen. |

Gestern war ich wieder im TheaterIm Theater am Franzensplatz in Graz fand am 25.5.1908 ein „Gastspiel der japanischen Tragödin Hanako“ – das war der Künstlername der japanischen Schauspielerin und Tänzerin Ota Hisa – „mit ihrer Gesellschaft“ statt, die in zwei Einaktern auftrat; im Anschluss wurde ein Einakter von Felix Dörmann gespielt: „Zur Aufführung gelangen: Otake. Drama in einem Akte von Loi-Fu. Im Teehause. Drama in einem Akt von Loi-Fu. Hierauf: Der Mäcen. Aus dem Einakter-Zyklus ‚Das stärkere Geschlecht‘ von Felix Dörmann. Spielleiter: Karl Staub.“ [Grazer Tagblatt, Jg. 18, Nr. 144, 25.5.1908, Abend-Ausgabe, S. 12] Der „sehr lebhafte Vorverkauf“ [Grazer Volksblatt, Jg. 41, Nr. 239, 24.5.1908, Morgen-Ausgabe, S. 7] der Veranstaltung wurde von der Presse konstatiert, die auf die Veranstaltung am ersten Abend gleichwohl nochmals hinwies: „Die japanische Tragödin Hanako beginnt heute mit ihrer Gesellschaft im Theater am Franzensplatz ihr interessantes Gastspiel. Zu den zwei japanischen Dramen wird sich der von einheimischen Kräften gespielte Dörmann’sche Einakter ‚Der Mäzen‘ gesellen.“ [Grazer Tagblatt, Jg. 18, Nr. 144, 25.5.1908, Abend-Ausgabe, S. 3] u. zw. bei der „Hanako“. Du wirst denken, ich unterhalte mich nur immerzu. Ich war von einer bekannten Dame u. ihrer Tochternicht identifiziert. eingeladen. Die Japaner waren recht interressantSchreibversehen, statt: interessant.; dann wurde noch ein sehr netter Einacter von Dörrmann dazu gegeben.

Wenn Du nun beim Arzt warst, dann schreibe mir aufrichtig was er gesagt hat. Wenn wir uns nicht wohl fühlen, werden wir uns gegenseitig das Leben schwer machen, das wäre ganz natürlich. Und dazu sind wir | uns doch zu lieb. Wenn es Dir aber gut geht, vielleicht lässt sich in München selbst etwas machen. Ich denke bei der AustellungSchreibversehen, statt: Ausstellung; die Architektur- und Kunstgewerbe-Ausstellung vom 16.5.1908 bis 31.10.1908 in München („Ausstellung München 1908“). könnte Stollberg doch froh sein, noch einige interressanteSchreibversehen, statt: interessante. Gäste zu haben. Und vielleicht wird doch die Wohnung früher leer. Du wirst ja gestern u. heute über das alles, vielleicht genaueres erfahren haben u. bist so lieb mir darüber zu schreiben. Ich gehe nicht ungern nach Berlin zurück, ich möchte nur nicht gern, dass ich mit Kind u. Kegel | die weite u. teure Reise dahin mache, um dann vielleicht in ein paar Wochen wieder wandern zu müssen. Wenn sich für diesen Sommer noch Gastspiele machen lassen, gienge das nicht auch schriftlich von München aus?

Du brauchst Dich meinethalben in Deinen Beschlüssen nicht zu überstürzen, eine Weile lässt es sich hier noch aushalten. – Gestern abend hab’ ich noch einen langen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 25.5.1908. an Dich geschrieben, Geliebter, ich schicke ihn Dir nicht, werde ihn Dir aber geben, wenn wir wieder zusammen sind.

In innigster Liebe Deine Tilly


Anna Pamela schickt viele Küsse. Allen grüßen Dich.

Frank Wedekind schrieb am 26. Mai 1908 in München folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind-Newes
in Graz (Steiermark)
Wohnung (Straße und Hausnummer) Brandhofgasse 1. |


Adresse des Absenders: |


Geliebteste Tilly. Herzlichen Dank für Deine lieben Zeilenvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 25.5.1908 (Brief).. Ich war heute beim ArztWedekind hat am 26.5.1908 den „Besuch bei Dr. [...] Bock“ [Tb] notiert. Das war Dr. med. Heinrich Bock, Spezialarzt für Atmungs- und Kreislaufstörungen (Richard Wagnerstraße 1, Parterre) [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil I, S. 51].. Sehr ernst scheint meine Herzensangelegenheit nicht zu sein. Er hat mir aber auf das allerdringendste Bewegung, möglichst viel Bewegung anempfohlen. Eben war ich d bei unsern Vermiethernder Münchner Wohnung im 3. Stock der Prinzregenstraße 50, die Wedekind gemietet hat. Eigentümer war der Fabrikant Wilhelm Schröder [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil II, S. 394], der eine Bau- und Möbeltischlerei betrieb; Fabrik und Kontor: Theresienstraße 47, Privatwohnung: Prinzregenstraße 50 (Parterre) [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil I, S. 515]; der Schreinermeister Wilhelm Schröder und seine Gattin Amalie Schröder (geb. Jandebeur) waren Wedekinds Vermieter. und werde morgen die Tapeten auswählen. Die früheren Mieterdas Argentinische Konsulat [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 24.5.1908]. ziehen wohl einige Tage vor 1.X. aus aber viel wird es nicht ausmachen. Immerhin kann darin | noch eine Änderung eintreten. Heute AbendWedekind notierte am 26.5.1908: „Wildente.“ [Tb] Die Vorstellung von Henrik Ibsens Drama „Die Wildente“ (Premiere: 16.5.1908) im Münchner Schauspielhaus an diesem Abend begann um 19.30 Uhr [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 61, Nr. 247, 26.5.1908, Generalanzeiger, S. 2]. gehe ich in Wildente. Wenn ich morgen Zeit habe werde ich auch zu Stollberg gehenzu dem Direktor des Münchner Schauspielhauses. Wedekind notierte am 27.5.1908: „Unterredung mit Stollberg.“ [Tb]. Grüße und küsse Anna Pamela von mir.

Mit herzlichstem Kuß
Dein
Frank


Grüße Deine Lieben.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 27. Mai 1908 in Graz folgende Kartenbrief
an Frank Wedekind

Herrn
Frank Wedekind
München.
Regina Palast Hotel. |


Mittwochder 27.5.1908..

Geliebtester Frank, Anna Pamela sagt „Papa Brief heibenKindersprache für: schreiben.“. Inzwischen hast Du auch meinen Kartenbrief von Montagvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 25.5.1908. Früh u. meinen Brief von gesternvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 26.5.1908.. Nun fühlst Du Dich ja offenbar schon behaglicher in München. Bitte geh’ nun aber auch möglichst viel spazieren u. nimm’ Bäder, das wird Dir sicher sehr gut tun! Was hat der Arzt gesagt? In Berlin würdest Du eben doch nicht | gehen. Könntest Du in München nicht auch reiten? Reithose bekommst Du auch ausgeliehen in der Reitschule.

Anfang Juni ist Martha mit der Schule fertig. Solang könnte ich ja bleiben, meinethalben auch länger. Wenn die Wohnung früher leer werden sollte, sich auch eventuell ein Gastspiel findet, u. Du ausserdem unbezähmbare Sehnsucht nach mir bekommen solltest, dann würde ich | ja mit Freuden zu Dir kommen. Du kannst Dir meinen Vorschlag bez. einer Sommerwohnung in der Umgebung München’s ja noch überlegen. Du kannst ja in der Stadt bleiben, u. mich mal ab u. zu besuchen. Irgendwo an’s Meer zu gehen macht Dir keinen Spaß, gesund wäre es uns allen; ich würde aufblühen, sagt Mama. Aber ich will Dich absolut zu nichts bestimmen, wozu Du keine Lust hast. Auch will ich nicht, dass wir zuviel Geld brauchen. Wenn in München nichts zu machen ist, so lassen wir’s bei unserer Verabredung. Du machst Deine Kur in München | u. schreibst mir, wann Du nach Berlin willst. Lass’ Dir nur Zeit dazu, nicht dass Du denkst ich halte es nicht mehr aus u. will weg. Solang ich Dich nur störe, ist’s so besser, ich bin nicht bei Dir. Frank Du darfst nicht glauben, dass ich gar keine Sehnsucht nach Dir habe; aber wozu soll ich kommen, wenn Du noch keine rechte Freude an mir haben kannst. Wie schrecklich müssen Dir alle diese Vorschläge sein, wo Du so ungern Pläne machst.

Sei mir nicht böse, ich wollte Dir mit dem allen nichts Unangenehmes sagen, ich hab’ Dich ja so lieb!

Innigst Deine Tilly


[Seite 5, am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Viele Küsse Deine Anna Pamela

Frank Wedekind schrieb am 28. Mai 1908 in München folgenden Brief
an Tilly Wedekind

REGINA-PALAST-HOTEL
MÜNCHEN
MAXIMILIANSPLATZ


Innigst geliebte Tilly!

meinen herzlichsten Dank für Deine lieben freundlichen Zeilenvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 26.5.1908.. Aber warum hast Du mir nicht den anderen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 25.5.1908. auch geschickt. Ich bitte Dich, schick ihn mir. Ich muß doch wissen, was in Deinem Inneren vorgeht. Und jetzt weiß ich ja, daß bittere Dinge darin vorkommen und werde nicht unangenehm ÜberraschtSchreibversehen, statt: überrascht. sein. Also bitte, schick ihn mir.

Die Dinge liegen nun folgender | Maßen. Hier bei StollbergWedekind hat dem Tagebuch zufolge am 26.5.1908 („Unterredung mit Stollberg“) und 27.5.1908 („Unterredung mit Stollberg“) mit Georg Stollberg gesprochen, dem Direktor des Münchner Schauspielhauses. diesen Sommer zu gastieren hat wenig Aussicht. Stollberg hat ganz andere Dinge im Kopf. Frl. Erw. ist frei gewordenNachdem Wedekind und Georg Stollberg am 21.4.1908 persönlich bei der Münchner Polizeidirektion wegen einer öffentlichen Aufführung von „Frühlings Erwachen“ in München vorgesprochen hatten und der Münchner Polizeipräsident Julius von der Heidte noch am 21.4.1908 den Mitgliedern des Münchner Zensurbeirats Franz Muncker, Max von Gruber, Max Halbe, Anton Stadler, Johann Nicklas und Ernst von Possart ein Textbuch zur Begutachtung zugeschickt hatte und die Gutachten in den Tagen darauf eingegangen waren (für Freigabe votierten Gruber, Halbe, Stadler, Nicklas und Possart, dagegen Muncker), wurde die öffentliche Aufführung der Kindertragödie dem Münchner Schauspielhaus am 11.5.1908 von Julius von der Heidte genehmigt [vgl. KSA 2, S. 967-972]; Premiere war am 14.11.1908 unter der Regie Wedekinds. und zwar hauptsächlich durch Halbes Befürwortung bei der ZensurIn Max Halbe Gutachten vom 24.4.1908 über die Freigabe von „Frühlings Erwachen“, die Antwort auf das Schreiben des Münchner Polizeipräsidenten Julius von der Heidte vom 21.4.1908, heißt es: „Ein durch und durch genialisches Werk! Ganz einseitig, aber darum auch ganz einheitlich in Tendenz, Stimmung, Beleuchtung, Details. Ein Wurf, wie er selten gelingt und wie er auch Wedekind nicht entfernt mehr gelungen ist, schwerlich auch je wieder gelingen wird. Aufrechterhaltung des Verbots würde nach meiner Ansicht eine schwere Bloßstellung vor der Nachwelt bedeuten. Ich bin unbedingt für Freigabe.“ [KSA 2, S. 969]. Außerdem hat Stollberg mehrere sehr gutgehende Stücke auf dem Repertoir. Nun legt er es mir dringend ans Herz, doch mit hinaus aufs Land bei Tegernseein der Nähe des etwa 50 Kilometer von München entfernt liegenden Tegernsees. zu ziehen. Er bot sich an selber dieser Tage mit mir hinauszufahren, um Wohnung für den Sommer zu mieten. Ich entgegnete ihm, ich müsse zuerst wissen was Du dazu sagst. Aus seinem | Diensteifer schließe ich daß sich seine Frau und Schwesternicht ermittelt. mit ihren Kindern da draußen entsetzlich langweilen und dich gerne zur Gesellschaft haben möchten. Aber ich trage dir die Sache hiemit pflichtgemäß vor. Nur glaube ich, daß wenn man einmal da draußen sitzt von Gastieren während des Sommers nicht mehr die Rede sein wird, und daß sich auch das Rollenstudieren da draußen nicht sehr behaglich gestalten würde. Dabei hätte Stollberg den Vortheil daß er mich für alle Vorarbeiten für Frl Erw in Anspruch nehmen könnte ohne natürlich etwas dafür zu bezahlen. | Heute früh habe ich die Tapeten ausgesucht, alle so wie wir es besprochen haben, bis auf die Rote meines ArbeitszimmersTilly Wedekind erinnerte sich, das Arbeitszimmer ihres Mannes in der Wohnung im 3. Stock der Prinzregentenstraße 50 war eingerichtet „mit rotem Teppich und roter Tapete, roten Vorhängen […] und rot gestrichenen Bücherregalen und Sesseln, auch möglichst rot“ [Wedekind 1969, S. 117f.]., wegen der ich morgen noch einmal zum Tapezierer muß. Dann habe ich hier eigentlich weiter nichts mehr zu tun als eine Unterredung mit LangeWedekind notierte am 31.5.1908: „Unterredung mit Langen.“ [Tb]n, Ich muß auch noch einmal zurSchreibversehen, statt: zum. ArztWedekind war bei Dr. med. Heinrich Bock, Spezialarzt für Atmungs- und Kreislaufstörungen (Richard Wagnerstraße 1, Parterre) [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil I, 51] in Behandlung, den er zuerst am 26.5.1908 konsultiert hat: „Besuch bei Dr. [...] Bock“ [Tb]. denn Dampf- und Lichtbäder würde ich dann in Berlin weiternehmen, vorausgesetzt, daß wir nach Berlin gehen. Ich möchte nun nicht, liebe Tilly, daß jetzt wo gar keine Nötigung vorhanden ist, Du Dich beklagst, daß ich über alles bestimme ohne daß Dein Wille in Betracht käme. Du schreibst | mir, Du giengest jetzt sehr gern wieder nach Berlin, vorausgesetzt daß Du nicht sofort wieder packen müßtest. Dazu sähe ich gar keinen Grund. Und zum Studieren ist es in Berlin doch am bequemsten. Ich weiß nun nicht wann Martha frei wird. u/U/nd ob Du bei diesem Wetter die Donaufahrt machen willst. Ist das der Fall dann wäre es wohl am besten ich käme euch nach Wien entgegen. Aber dann fragt es sich wieder, ob für so viele Menschen Platz in der Kajüte ist. Willst Du mir über diese Dinge schreiben, dann würde ich den Tag der Reise von Dir zu bestimmen überlassen. |

Unsere Wohnung hier wird nicht vor 15 September frei und die zweite Hälfte September will der Hausherr zum Herrichten der Wohnung benutzen. Er selber zieht aus der ParterrewohnungWedekinds Vermieter Wilhelm Schröder wohnte in der Prinzregentenstraße 50 zunächst Parterre [vgl. Adreßbuch für München 1908, Teil I, S. 515], dann im 2. Stock [vgl. Adreßbuch für München 1909, Teil I, S. 530]. Den Mietvertrag mit ihm für die Wohnung im 3. Stock hat Wedekind am 18.4.1908 geschlossen, Einzug war am 1.10.1908. in den dritt zweiten Stock und wohnt dann also unter uns. Er ließ heute Mittag so etwas fallen, daß, wenn wir vorher nach München kommen wollten, wir ja dann derweil in der leeren Parterrewohnung wohnen könnten. Ich weiß aber gar nicht wann er umziehen will. Ich werde morgen noch einmal in sein Bureau gehen und ihn fragen. |

Geliebteste Tilly, heute, den 28der 28.5.1908. sind es wohl drei Jahre, seit wir uns zum ersten Mal sahenWedekind und Tilly Newes haben sich erstmals am 27.5.1905 bei der ersten Probe zur Wiener „Büchse der Pandora“-Inszenierung (Generalprobe war am 28.5.1905, Premiere am 29.5.1905) gesehen: „Kraus holt mich am Bahnhof ab. Wir [...] fahren zur Probe.“ [Tb]. Ich danke Dir, geliebte Tilly, für diese Zeit. Du hast Dich manchmal nicht sonderlich glücklich gefühlt. Aber das ist ja das einzige womit ich nicht zufrieden bin, damit daß Du zu wenig Freude hast. Aber bis jetzt ist doch auch das bis mit jedem Tag besser geworden. Deshalb bitte ich Dich, geliebte Tilly, die Geduld noch nicht zu verlieren.

Küsse Anna Pamela von mir.

Mit herzlichstem Kuß
Dein
Frank.

Tilly Wedekind und Pamela Wedekind schrieben am 29. Mai 1908 in Graz folgende Kartenbrief
an Frank Wedekind

Herrn
Frank Wedekind
München.
Regina Palast Hotel. |


Freitagder 29.5.1908..


Mein lieber Papa, Mama behauptet, ich sei ein süßes Engelsgeschöpf.


Lenerl kommt mit einem Stück Kuchen, u. Anna Pamela hat genug vom Brief schreiben. Sie plaudert jetzt schon sehr drollig. Ich bin sehr neugierig, ob Du mit Stollberg gesprochen hast u. was Du zu unternehmen gedenkst. Soll bei JarnoJosef Jarno, Direktor des Theaters in der Josefstadt und des Lustspieltheaters in Wien, hatte für den Herbst 1908 eine Inszenierung des „Marquis von Keith“ erwogen, die nicht zustande kam. nur „Marquis v. Keith“ gespielt werden? Spielst Du den Marquis? Jarno kommt nächste WocheAm Stadttheater in Graz fand vom 1. bis 9.6.1908 ein „Gesamt-Gastspiel des Josefstädter und Lustspiel-Theaters in Wien unter der Leitung von Josef Jarno“ [Grazer Volksblatt, Jg. 41, Nr. 250, 1.6.1908, Abend-Ausgabe, S. 8] statt. nach Graz; vielleicht geh’ ich mal in’s Theater. Ich freue mich, dass Du keine ernste HerzensangelegenheitZitat; Wedekind hat seiner Frau nach einem Arztbesuch erklärt, „ernst“ scheine seine „Herzensangelegenheit“ [Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 26.5.1908] nicht zu sein. hast; hast Du schon Bischen abgenommen? Weißt Du übrigens, dass Du nicht ein E/e/inziges Bild von mir mithast? Oder ist’s Dir gar nicht abgegangen? Zensur kann ich schondie Rolle der Kadidja im Einakter „Die Zensur“.. Wie wird denn unsre Wohnung?

In innigster Liebe küsst Dich Deine Tilly.

Frank Wedekind schrieb am 30. Mai 1908 in München folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind-Newes
in Graz Steiermark
Wohnung (Straße und Hausnummer) Brandhofgasse 1. |


Adresse des Absenders: |


Geliebteste Tilly! Ich danke Dir herzlich für Deinen lieben Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 27.5.1908.. Meinenvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 28.5.1908. hast Du derweil auch bekommen. Wenn es Dir recht ist, fahren wir also Mitte nächster Woche, wenn MarthaMartha Newes ging am 9.6.1908 mit nach Berlin und blieb dort als Gast bis zum 10.9.1908 [vgl. Tb]. bis dahin frei ist nach Berlin. Ich kann Dir nicht gut auf all Deine Vorschläge antworten, so sehr sie mich interessierten. Aber ans Meer gehen, ich glaube gerne daß Du aufgehen würdest wie eine Dampfnudel obschon Du mir gar nicht zu schlank bist. Aber wenn es mir dann ebenso geht? Ich habe in den fünf Tagen die ich hier badeWedekind hat seine Badekur in München am 25. und 26.5.1908 („Dampfbad“), am 27.5.1908 („Heißes Bad“) sowie am 29. und 30.5.1908 („Elektrisches Bad“) im Tagebuch vermerkt. 5 Pfund verloren und habe jetzt nur noch 12 Pfund zu viel. Ich glaube aber daß ich die auch in Berlin loswerden kann. Ich sprach gestern noch einmal mit SchröderWilhelm Schröder, der Vermieter von Wedekinds Wohnung im 3. Stock der Prinzregentenstraße 50, der innerhalb seines Hauses umzog [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 28.5.1908]. wegen der leeren Parterrewohnung. Er sagt, es sei allerdings möglich daß wir dort eine Zeit lang wohnten da er jetzt gleich in den zweiten Stock zieht, aber nur wenn er die Wohnung bis zum Herbst nicht vermietet. Die Aussicht ist also sehr ungewiß. Im übrigen muß ich jetzt zu meinen Geschäften in Berlin zurück, und außerdem oder in erster Linie habe ich auch große Sehnsucht nach Dir. Nur möchte ich nicht gerne wieder durch Platzmangel und Mangel an Bequemlichkeit in n/N/ervosität verfallen die Du dann auf Dich beziehst. | Deshalb bin ich nicht sehr dafür, daß wir uns jetzt wieder im Hotel oder auf dem Lande mit zu wenig Raum behelfen. Wir wohnen eben nun doch einmal in Berlin. und sind bald 7 Wochen auf Reisen.

Langen habe ich heute und gestern verfehlt, da er nachmittags keine Büreaustunden mehr hat, was ich nicht wußte. Ich werde also Montagder 1.6.1908; Wedekind hat dann allerdings bereits am 31.5.1908 mit seinem Verleger Albert Langen gesprochen: „Unterredung mit Langen.“ [Tb] zu ihm gehen. Dann bleibt noch der Arzt.

Vielleicht, liebe Tilly sc kannst du mir im nächsten Brief schon schreiben wann du von Graz abreisen kannst. Daß wir sobald wieder auf Reisen gehen hast du nicht zu fürchten.

Küsse Anna Pamela von mir.

Mit innigsten Kuß und Gruß
Dein Frank.


Grüße an all Deine Lieben. |


In der Ausstellungdie Architektur- und Kunstgewerbe-Ausstellung vom 16.5.1908 bis 31.10.1908 in München („Ausstellung München 1908“). bin ich noch nicht gewesen. Das Theaterdas Münchner Künstlertheater; es war „Bestandteil“ der „großen kunstgewerblichen Ausstellung“ [Wilhelm Michel: Das Münchner Künstlertheater. II. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 61, Nr. 151, 30.3.1908, S. 13], ein 1908 auf dem Ausstellungsgelände zur 750-Jahr-Feier der Stadt München auf der Theresienwiese fertiggestellter sezessionistischer Theaterbau, der ohne städtische Subventionierung vom Verein Ausstellungspark (dem Eigentümer) betrieben wurde [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 555]. Das Künstlertheater wurde am 29.5.1908 mit „total ausverkauftem Hause“ [Ausstellung München 1908. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 61, Nr. 252, 30.5.1908, Vorabendblatt, S. 4] eröffnet mit Goethes „Faust“ (der Tragödie erster Teil). soll sehr gut sein aber das bleibt bestehen. Das übrige soll G’eschnas(öster.) Gschnas (G’schnas) = wertloses Ding; „hier im Sinn von billige Unterhaltung.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 94] sein. Gestern begegnete ich Therese Rosenthalmit Wedekind befreundete „Witwe des Münchner Justizrats Friedrich Rosenthal“ – verstorben am 9.8.1906, mit dem sie 30 Jahre verheiratet war – „und Cousine des Rechtsanwalts Wilhelm Rosenthal.“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 94], die mich sehr bat, sie in die Ausstellung zu führen. Sie erbot sich dafür zu allen Diensten an, wenn wir von Berlin aus etwas in der Wohnung auszurichten hätten. Ich hoffe nun nur daß Du nicht eifersüchtig wirst denn dann würde ich natürlich verzichten.

Tilly Wedekind schrieb am 30. Mai 1908 in Gösting folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Correspondenz-Karte.


An Wohlgeboren
Herrn Frank Wedekind
in München
Regina Palast-Hotel


Nur für die Adresse. |


Innigst Tilly


Hotel Tivoli. Gösting bei Graz.


Anna Pamela, Omama und Lenerl senden vergnügte herzlichste Grüsse

Tilly Wedekind, Lene Newes und Pamela Wedekind schrieben am 30. Mai 1908 - 31. Mai 1908 in Graz folgenden Brief
an Frank Wedekind

Samstag der 30.5.1908.abends.

Mein Frank, ich danke Dir, Innigstgeliebter. Du hast mir eine große Freude mit Deinem Briefvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 28.5.1908. gemacht. Den andern Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 25.4.1908. kann ich Dir jetzt nicht schicken. Bitte mach’ Dir aber gar keine Sorgen deshalb. Wenn bittere Dinge darin vorgekommen sind, so liegt der Grund einzig u. allein darin, dass ich das Bestreben habe Dir immer näher u. näher zu kommen, Dich ganz zu verstehen u. glücklich | zu machen, u. dass ich nur zu oft fühle wie wenig mir das alles gelingt, trotz meines guten Willens. Ich werde ihn Dir geben, aber nur, wenn ich bei Dir bin, Dein Gesicht sehen kann u. Du mir gleich darauf antworten kannst.


Sonntagder 31.5.1908..

Gestern war ich schon sehr müde u. gieng zu Bett. Ich habe natürlich auch nicht viel Lust am Tegernsee hinaus zu ziehen, wenn du denkst, dass man sich langweilt. Ausserdem möchte ich nicht, dass Stollberg Dich | ausnützt, u. die Gelegenheit wäre ihm damit allerdings gegeben. Also Schluss mit München u. Umgebung. Zum Az/r/zt u. zu Langen zu gehen hast Du noch dieser Tage Zeit. Willst Du aber nicht zu „Frl. Erw.„Frühlings Erwachen“ hatte am 14.11.1908 am Münchner Schauspielhaus (Direktion: Georg Stollberg) Premiere. hinfahren? Wann wird das sein? Ich freu’ mich sehr, dass es freigegebenDer Münchner Polizeipräsident Julius von der Heidte hat die öffentliche Aufführung von „Frühlings Erwachen“ am 11.5.1908 für das Münchner Schauspielhaus freigegeben [vgl. KSA 2, S. 971f.]. ist, es stand auch hier in der Zeitungnicht eindeutig ermittelt; das „Grazer Volksblatt“ hat in anderem Zusammenhang bemerkt, man lasse „den berüchtigten Schriftsteller und Schauspieler Frank Wedekind mit seiner Kindertragödie ‚Frühlings Erwachen‘ Erfolge einheimsen.“ [J. N‒r: Wiener Theater. In: Grazer Volksblatt, Jg. 41, Nr. 248, 30.5.1908, Abend-Ausgabe, S. 2]. Bist Du nun mit Halbe schon versöhnt?Wedekind notierte am 3.6.1908: „Ich versöhne mich mit Max Halbe.“ [Tb] Ich denke also es ist am Besten wir gehen nach Berlin zurück, | vorausgesetzt dass auch Du Lust dazu hast. Martha wird am 4. Juni frei, das ist Donnerstag. Einige Tage hat sie aber dann noch zu tun, bis sie reisefertig ist. Dann ist Pfingsten. Ich dachte also nach Pfingsten, am Dienstag den 9. Juni zu reisen. Übrigens Frank, hast Du auch sicher nichts dagegen, dass Martha mitkommtTilly Wedekinds jüngere Schwester Martha Newes ging am 9.6.1908 mit nach Berlin und blieb dort als Gast bis zum 10.9.1908 [vgl. Tb].? Viel mehr kosten wird es nicht, als wenn ich wieder ein 2tes Mädchen nehme, u. so haben alle Theile mehr Annehmlichkeit. Aber wenn Du Bedenken hast, sag’ sie bitte. | Wenn Du willst, dass wir früher kommen, könnten wir auch schon Freitag oder Samstag reisen. Die Donaufahrt werde ich nicht machen. Onkel Dagobert schrieb mir, dass ich um Anschluss zu haben, in Regensburg auch noch 1 Nacht übernachten müsste, so käme die Reise, trotz Ermäßigung auf der Donau teurer, wie nur mit der Bahn. Ausserdem ist das Wetter immer unsicher. Wir fahren lieber mal herunter. Besser ist es, wenn Du erst 1 – 2 Tage später nach Berlin kommst, als wir, damit schon wieder alles | in Ordnung ist. Ich gehe dieser Tage in ein ReisebureauxSchreibunsicherheit: statt: Reisebureau (nach der frz. Schreibung von Büro). (?), um zu sehen, wie ich am Besten fahre, ob bei Tag oder Nacht.

Nun, geliebter Frank, ist es Dir so recht? Nur eine Woche noch, u. Du wirst wieder mit allen häuslichen KalamitätenMissständen, Schwierigkeiten. geplagt. Drei Jahre kennen wir uns jetzt. Mich wundert’s, dass Du es noch aushältst. Oh Frank, ich habe Dir viel mehr zu danken, ich fühle jeden Tag, wieviel ich durch Dich geworden bin. |

Gestern, bei einem AusflugTilly Wedekind hat von dem Ausflug nach Gösting mit Grüßen von ihrer Mutter Mathilde Newes, ihrer Tochter Pamela Wedekind und der kleinen Lene Newes (genannt Lenerl) eine Bildpostkarte verschickt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind. Graz, 30.5.1908]. nach Gösting, fand Mama im Extrablatt Dein Bild mit einer Rezensionim „Illustrirten Wiener Extrablatt“ vom 10.5.1908 (Nr. 129) über die Aufführung von „Frühlings Erwachen“ am 9.5.1908 im Deutschen Volkstheater in Wien [vgl. KSA 2, S. 964]. über Frühlings-Erwachen. Sie zeigte Anna Pamela das Bild, u. fragte: wer ist das. Anna Pamela sah es lange an, u. sagte dann: Papa.

Ich denke sie wird Dich sicher erkennen.

Neulich abends mi bin ich mit meinem Bruder Carl Rad gefahren, es geht noch ganz gut.

Zensur habe ich jetzt fertig gelerntdie Rolle der Kadidja im Einakter „Die Zensur“.. Bertl muss mich jeden Tag | paarmal überhören; ich hoffe bis Berlin sicher zu sein.

Nun lebwohl, geliebter Frank u. schreibe mir bald, ob es Dir so recht ist.

Innigen Kuss
Deine Tilly


Viele Küsse meinem lieben Papa, Anna Pamela


Busserln Leni

Frank Wedekind schrieb am 1. Juni 1908 in München folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind Newes
in Graz Steiermark
Wohnung (Straße und Hausnummer) Brandhofgasse 1. |


Adresse des Absenders: |


Geliebteste Tilly, ich halte es für das BestenSchreibversehen, statt: Beste. wenn wir uns möglich bald wieder vereinigen, aber unter behaglichen Verhältnissen, d. h. in Berlin. Hier ist es ja jetzt allerdings wunderschön, ebenso wird es auch in Graz sein, aber für uns beide ist es doch in unserer Wohnung am schönsten, sonst brauchten wir sie ja nicht, und leider Gottes wohnen wir eben noch nicht in München. Ein Bild h von Dir habe ich allerdings jetzt nicht bei mir aber ich möchte schon | lieber Dich selber haben obschon ich mich dann jedenfalls auch über ein schönes Bild freuen werde. Jarno will im November Marquis v. KeithJosef Jarno, Direktor des Theaters in der Josefstadt und des Lustspieltheaters in Wien sowie Schauspieler, hatte für den Herbst 1908 eine Inszenierung des „Marquis von Keith“ erwogen, die nicht zustande kam. mit IhmSchreibversehen, statt: ihm. als Keith, mir als Scholz und dir als Hermann geben.

Schreib mir wieviel Geld ich dir schicken soll. Ich hatte hier sehr wichtige geschäftliche BesprechungenDie Besprechung mit seinem Verleger Albert Langen hat Wedekind am 31.5.1908 im Tagebuch notiert („Unterredung mit Langen“), nicht aber die Besprechung mit dem befreundete Redakteur und Verlagsbuchhändler Fritz Schwartz (genannt: Nero), der in München lebte (Richard Wagnerstraße 3), wo auch sein Büro war (Nymphenburgerstraße 86) [vgl. Adreßbuch für München 1909, Teil I, S. 538] – im Verlag F. Bruckmann, wo er seit 1892 zusammen mit Hugo Bruckmann Direktor war. mit Nero Schwarz und Albert Langen und muß die Geschäfte in Berlin sofort wieder aufnehmen.

Küsse Anna Pamela von mir. Herzlichst küßt Dich Dein Frank.

Grüße Großmama, Großpapa und deine lieben Geschwister. Herzl. Dank für die Kartedie Bildpostkarte aus Gösting [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 30.5.1908].

Frank Wedekind schrieb am 2. Juni 1908 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

Tilly Wedekind
graz
brandhofgasse 1=


Telegramm
aus
München [...]


Liebe tilly herzlichen dank einverstandenmit der vorgeschlagenen Reiseplanung nach Berlin [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 31.5.1908]. brief folgt frank

Frank Wedekind, Therese Rosenthal, Emil Gerhäuser und Ottilie Gerhäuser schrieben am 2. Juni 1908 in München folgende Postkarte
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Postkarte


Frau Tilly Wedekind
Graz i. Steiermark
Brandhofgasse 1 |


Liebe Frau Tilly! Wir sitzen im Viktoriagärtleinim Biergarten des Cafés und Restaurants Victoria (Maximilianstraße 17) [vgl. Adreßbuch für München 1909, Teil I, S. 613], Inhaberin: Victoria Obermeier [vgl. Adreßbuch für München 1909, Teil II, S. 338]. Wedekind hat am 2.6.1908 das Beisammensein dort notiert: „Mit Therese Rosenthal Gerhäuser und Frau im Victoriagarten.“ [Tb] u. bedauern sehr, dass Sie nicht mit hier sind. Morgen ist Molochpremieredie Münchner Premiere der Oper „Der Moloch“ von Max von Schillings, zu der Emil Gerhäuser das Libretto nach dem gleichnamigen Dramenfragment von Friedrich Hebbel geschrieben hat, am 3.6.1908 um 18 Uhr im „Prinz-Regenten-Theater“, wie angezeigt war: „Mittwoch, den 3. Juni. Zu Ehren des Tonkünstlerfestes des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in München. Zum ersten Male: Moloch. Musikalische Tragödie in 3 Aufzügen von Max Schillings.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 61, Nr. 259, 3.6.1908, Vorabendblatt, S. 2] im Prinzregententheater. Mit herzlichsten Grüssen an Sie u. das Kleinedie knapp anderthalbjährige Pamela Wedekind.
Ihr herzlich ergebener Emil Gerhäuser


Auch von mir die allerherzlichsten Grüße u. auf baldiges Wiedersehen! Ihre
Tilly Gerhäuser


Herzlichst grüßt und küßt Dich Dein
Frank.


Herzlichst Grüße u. hoffentlich baldiges Wiedersehen in München Therese Rosenthal

Frank Wedekind schrieb am 3. Juni 1908 in München folgende Kartenbrief
an Tilly Wedekind

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Frau Tilly Wedekind-Newes
in Graz (Steiermark)
Wohnung (Straße und Hausnummer) Brandhofgasse 1. |


Adresse des Absenders: |


Geliebteste Tilly! Ich lese eben Deinen lieben Briefvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 30./31.5.1908. noch einmal durch um dir auf die Einzelheiten zu antworten. Du fragst ob ich nicht zu Fr. Erw nach München gehen wollte. Die Aufführung findet jedenfalls erst September oder Oktober„Frühlings Erwachen“ hatte am 14.11.1908 am Münchner Schauspielhaus (Direktion: Georg Stollberg) Premiere. statt, was Stollberg aber nicht hindert jetzt schon mit den Vorbereitungen zu beginnen. Mit Max Halbe habe ich noch nicht gesprochenWedekind notierte am 3.6.1908: „Ich versöhne mich mit Max Halbe.“ [Tb]. Darüber daß Deine SchwesterTilly Wedekinds jüngere Schwester Martha Newes ging am 9.6.1908 von Graz mit nach Berlin und blieb dort als Gast bis zum 10.9.1908 [vgl. Tb]. nach Berlin kommt, werde ich mich sehr freuen, sobald es dir zur Freude gereicht. Vielleicht kannst Du im Reisebüreau in Graz für die Strecke Wien – Berlin 3 Betten in einem Koupé(frz.) Coupé; hier: Einzelabteil im Zug. bestellen. Das vierte Bett würde dann voraussichtlich nicht mehr vergeben. Jedenfalls kannst du in Graz erfahren, wieviel die ganze Fahrt kostet. Ich denke es wird am besten sein, du fährst am Tage von Graz nach Wien und in der Nacht Wien Berlin. Ich freue mich sehr darauf, geliebte Tilly, daß wir bald wieder beisammen sind. Küsse Anna Pamela. Grüße Deine lieben Eltern und Geschwister. Herzinnig grüßt und küßt Dich
Dein
Frank.


3.6.8.

Frank Wedekind schrieb am 4. Juni 1908 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind graz
brandhofgasze 1=


Telegramm
aus
münchen [...]


wenn du geld genug hast u es bequem getÜbertragungsfehler, anstatt: geht. dann freitagden 5.6.1908. ich fahre dann sonntagden 7.6.1908, an dem Frank Wedekind aber nicht von München nach Berlin reiste, sondern nach Wien, wo sein Bruder Donald Wedekind sich am 5.6.1908 das Leben genommen hat, wie er spät am 6.6.1908 erfuhr. abend herzinnigst = frank.

Frank Wedekind schrieb am 4. Juni 1908 in München folgendes Telegramm
an Tilly Wedekind

tilly wedekind graz
brandhofgasze 1=


Telegramm
aus
münchen [...]


kann auch schon samstagder 6.6.1908, an dem Frank Wedekind aber nicht von München nach Berlin reiste, sondern am nächsten Tag (Sonntag) nach Wien, wo sein Bruder Donald Wedekind sich am 5.6.1908 das Leben genommen hat, wie Wedekind an diesem Samstag spät abends erfuhr: „Nachher im Hoftheaterrestaurant arbeite ich an Oaha, erfahre von Halbe von Donalds Tod.“ [Tb] reisen dasz ich sontagÜbertragungsfehler, anstatt: sonntag. in berlin bin wenn es dir nicht zu frueh ist grusz = frank.

Tilly Wedekind schrieb am 4. Juni 1908 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]


frank wedekind muenchen
regina palasthotel = |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Graz [...]


soll ich morgen freitag oder dienstag den 9. reisen kuesse = tily.

Frank Wedekind schrieb am 5. Juni 1908 in München
an Tilly Wedekind

Abschnitt.
Coupon.
Kann vom Empfänger abgetrennt werden.
Peut être détaché par le destinataire.


Betrag der Postanweisung in Ziffern.
Montant du mandat en chiffres.


Name, Wohnort und Wohnung (Straße und Nr.) des Absenders
Désignation de l’envoyeur
Wedekind
München


Den 5.6 1908
Le
|


Liebe Tilly, ich bin also Donnerstagder 11.6.1908 – der gewünschte Ankunftstag in Berlin [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 5.6.1908]. Frank Wedekind reiste dann allerdings nicht von München, sondern am 10.6.1908 um 22 Uhr von Wien Nordwestbahnhof mit dem Nachtzug „nach Berlin“ [Tb]. in Berlin. Meine herzlichen Wünsche zu glücklicher FahrtWedekind hat seiner Frau für ihre Fahrt nach Berlin 150 Kronen überwiesen (per Postanweisung, wie der vorliegende Coupon dokumentiert); er notierte am 5.6.1908: „Tilly 150 Kr.“ [Tb]. Grüße an Alle
Vor allem an Dich Geliebte und Anna Pamela
Dein Frank.

Tilly Wedekind schrieb am 5. Juni 1908 in Graz folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[...]


FRANK WEDEKIND MUENCHN
REGINA PALAST HOTEL = |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

Aufgegeben in Graz [...]


TELEGRAM ETWAS SPAET ERHALTENTilly Wedekind hat beide Telegramme Frank Wedekinds vom 4.6.1908 nach 22.20 Uhr erhalten. MUESZTE MICH ABHETZEN FAHRE DOCH BESZER DINSTAGder 9.6.1908. BIN MITWOCH FRUEH BERLIN KANST DU AM DONERSTAGder 11.6.1908; Wedekind sagte seine Ankunft in Berlin an diesem Tag zu [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 5.6.1908]. FRUEH DORT SEIN WENN DU MIR NOCH 150– KRONEN SCHIKSTWedekind schickte noch nachmittags per Postüberweisung die 150 Kronen nach Graz [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 5.6.1908], die er am 5.6.1908 auch notierte: „Tilly 150 Kr.“ [Tb] HABE ICH VOLLAUF GENUG BIST DU EINVERSTANDEN? INIGST DEINE TILLE.

Tilly Wedekind schrieb am 5. Juni 1908 in Graz folgende Kartenbrief
an Frank Wedekind

Herrn
Frank Wedekind
München.
Regina Palat/s/t-Hotel. |


Freitagder 5.6.1908.. Geliebtester Frank,

hoffentlich bist Du nicht ärgerlich über mich. Du hast mir Dienstag telegraphiert „einverstanden“