Kennung: 949

Hamburg, 12. Oktober 1899 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Heine, Beate

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Hamburg,
d. 12.10.99.


Liebster Freund ‒ gestern traf Ihr Brief an meinen Mannnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Carl Heine, 10.10.1898. ein, und versetzte mir den Stoß, dessen ich bedurfte, um Ihnen zu schreiben. Vielen herzlichen Dank noch für Ihren so besonders lieben letzten Briefeinen Tag nach dem Haftantritt auf der Festung Königstein geschrieben [vgl. Wedekind an Beate Heine, 22.9.1899]., den Sie unmittelbar nach Ihrer Uebersiedlung schrieben; er klang so frisch u. unternehmend, daß wir unsere Freude daran hatten. Inzwischen hab ich Ihnen Carl geschicktCarl Heine hat Wedekind gleich in den ersten Tagen seiner Haft auf der Festung Königstein besucht [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 5.10.1899]., und nun hatte ich so das Gefühl, daß mir der alles Erwähnenswerthe | wegerzählt hätte, u. deshalb wartete ich so lange. Ich sage Ihnen, ich wäre furchtbar gerne mitgekommen, Sie besuchen ‒ u. Carl hat mir sehr viel von Ihnen erzählen müssen. Ich habe die Zeit seiner Abwesenheit aber auch recht nutzbringend verwendet, mit Einmachen von Früchten für den Winter ‒ im FebruarBeate Heine war über den Termin von Wedekinds Haftentlassung am 3.2.1900 von der Festung Königstein informiert., hoff ich ‒ kosten Sie von Allem. In unserm Hause hat Sie wirklich jeder gern ‒ wie der Herre, so’s GescherreDie sprichwörtliche Wendung ‚wie der Herr, so’s Gescherr‘ meint die Prägung von Personen durch Personen, die ihnen sozial übergeordnet sind.: ‒ das ist LinaDie nicht identifizierte Frau dürfte Hausangestellte bei dem Ehepaar Beate und Carl Heine gewesen sein; dem Dialekt zufolge war sie eine Berlinerin., die es mir aufrichtig übel nimmt, wenn ich ihr nicht genug aus Ihren Briefen berichte; gestern sagte sie ganz wehmüthig: | Jott nee, die Jilkaflascheberlinernd intonierter Ausdruck für eine Flasche Kümmelbrandwein, der sich von der Berliner Firma J. A. Gilka herleitet (diese Firma stellte solche Getränke her)., wie die da steht, ohne Hrn. Wetegint!! ‒ Nun sagen Sie aber, lieber BenjaminWedekind hat einen Brief an die Freundin einmal mit diesem Namen unterzeichnet [vgl. Wedekind an Beate Heine, 7.1.1899]. ‒ Sie schrieben gestern tout est gagné(frz.) alles ist gewonnen. ‒ ja aber was?? Sie setzen voraus, daß mein Mann etwas weiß, was er in der That nicht weiß!? Welche Redaktion?? Und was springt für Sie dabei heraus? Carl hat auch nicht mit Heine irgend sowas gesprochen! Nun ‒ ich hoffe, Sie klären uns bald mal auf ‒ wir freuen uns aber, da es doch etwas Gutes zu sein scheint. Sagen Sie ‒ Sie sind doch noch Hase“ im SimplicissimusHinter dem Pseudonym „Hase“ steckt Korfiz Holm, Prokurist und leitender Redakteur des „Simplicissimus“, seit Albert Langen im Exil war. ‒ die beiden letzten SachenBeate Heine bezieht sich auf die mit „Hase“ gezeichneten Gedichte „Zu Heines Befreiung“ [Simplicissimus, Jg. 4, Nr. 27, S. 210] und „Revision“ [Simplicissimus, Jg. 4, Nr. 28, S. 219], die am 3. und 10.10.1899 erschienen sein dürften (der „Simplicissimus“ kam immer Dienstags heraus). waren | ja prachtvoll, über die letzte besonders haben wir uns gestern herrlich amüsirt. Nun aber, schreiben Sie, Langen kriegte keine Gegenleistung, für das, was er schickte!? Sehn Sie, das ist uns Alles ein Bischen dunkel! Indeß sage ich Ihnen ‒ wir sind jetzt wirklich sattsam an Unsicherheit u. Dunkelheit gewöhnt ‒ leider ‒ und wir haben jetzt wirklich Beide genug davon. Ich hätte Ihnen so gern etwas Greifbares über unsere Zukunft mitgetheilt ‒ nun wissen wir aber selber nichts u. ich will Ihnen nur erzählen, daß wir vorigen Freitag einen Brief von | dem Agenten Lednerder Theateragent und Impresario Emil Ledner, der in Berlin eine Musik- und Theateragentur (Mittelstraße 34) [vgl. Adreßbuch für Berlin 1900, Teil I, S. 885] betrieb [vgl. Neuer Theater-Almanach 1900, S. 220]. bekommen ‒ d.h. Carl bekam ihn natürlich. Darin stand, daß C. nach einer sehr ernsten u. ausführlichen Unterhaltung mit Hrn. v. BergerDer Dramaturg Alfred von Berger ‒ zu diesem Zeitpunkt noch als Professor für Ästhetik an der Universität Wien tätig ‒ wurde dann der erste Direktor des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1901, S. 366]. ‒ sie überein gekommen seien, mit Carl wegen des Regiepostens am Hamburger neuen SchauspielhauseHamburger neuen Schauspielhause, mit in nähere Verhandlungen zu treten. Er sollte seine genauen Bedingungen nach Wien telegraphiren, damit sich alles schnell erledigte u. B. die günstigsten Conjunkturen erzielen könne. Wir waren natürlich sehr glücklich ‒ mein Mann hat so ehrlich gestrebt und gearbeitet, daß er wahrlich endlich | eines solchen Lohnes werth wäre! Nun konnte sich Carl nicht recht mit sich einig werden, was er fordern sollte ‒ er wollte nicht zu viel u. nicht zu wenig sagen ‒ und, nach einem Gespräch mit SchwartzBernhard Schwartz war Direktionsvertreter, Bürochef und Dramaturg am Carl Schulze-Theater (Direktion: Max Monti) in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1900, S. 377]. hat er (ich find’s nicht gut) depeschirt: Acceptire, was Sie für mich ausmachen. Seitdem ist jede Nachricht ausgeblieben ‒ trotzdem Carl am Dienstag telegraphirte: Erbitte Nachricht, wie die Verhandlungen stehn! ‒ Wir sind nun in Sorge, ob irgend etwas dazwischen gekommen ist. Ob die noch Je|mand auf der Liste haben?? Ich kann es mir nicht denken, der Brief klang so sicher! ‒ Es wäre sehr hart, wenn es sich wieder zerschlüge! Aber ‒ ich will vorläufig noch nicht so muthlos sein ‒ u. hoffen, daß sich Alles zum guten Ende findet. Ich lasse Sie nun an unseren momentanen Sorgen theilnehmen ‒ statt Ihnen heitere Dinge zu erzählen ‒ aber ‒ ich weiß keine. Wir waren einige Mal im Theater, wo Grenzenlos schlecht gespielt wurde ‒ sodaß Carl ganz | nervös wurde u. erklärte, nicht mehr hingehn zu wollen. Sie wissen, Menschen haben wir hier auch fast garnicht, die einem ein Bischen über diese Zeit hinweghelfen könnten ‒ u. so ist es augenblicklich recht mies mit uns. Das schwindet aber mit dem Moment der glücklichen Entscheidung ‒ die wir Ihnen sofort mittheilen werden! Carl will selbst noch ein Mal an Sie schreiben ‒ ich schließe mit herzlichsten Grüßen, u. bin in treuster Gesinnung
Ihre
Beate Heine.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 8 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Hamburg
    12. Oktober 1899 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Hamburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Festung Königstein
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 65
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Beate Heine an Frank Wedekind, 12.10.1899. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

13.03.2024 13:09