Kennung: 663

München, 24. April 1915 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Harden, Maximilian

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Grand Hotel Continental
München 24.4.15

Telegramme
Continentyp


Verehrter, lieber Herr Wedekind,

wie tief bedaure ich, daß Sie leidenvgl. Wedekind an Maximilian Harden, 23.4.1915.! Und danach, daß ich um die Freude komme, Sie zu sehen. Ich hatte gehofft, diesmal das Viertelstündchen nachzuholen, auf das ich voriges Malunklar; als Maximilian Harden zuletzt am 12.2.1915 zu einem Vortrag in München war, hat er Wedekind gesehen, wie Wedekind notierte: „Harden Vortrag mit Tilly [...]. Mit Harden bis 3½ Uhr bei Bruckmanns“ [Tb]. verzichten mußte; nun verwehrt mirs Ihr BriefWedekind hat eine Postkarte geschrieben [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 23.4.1915].. Ich bin 4.15 früh von Nürnberg abgefahren u muß abends ins gräuliche Berlin zurück. Nur Sie wollte, könnte ich aufsuchen; Frau Hedwig P. kommtHedwig Pringsheim notierte dagegen für den Vormittag des 24.4.1915: „von Harden abgeholt 2 ½ St. mit ihm spaziert“ [Tb Pringsheim]. wohl auf einen Augenblick zu mir.

Ueber FriedenMaximilian Harden diskutierte in einem „Zukunft“-Artikel „Gerüchte über deutsche Friedensneigungen“ und plädierte dafür, Deutschland müsse deutlich machen, „daß wir rasche Rückkehr der Friedenszeit wünschen.“ [Psalter und Harfe. In: Die Zukunft, Jg. 23, Nr. 31, 1.5.1915, S. 127-133, hier S. 128f.] Im nächsten Heft zitierte er die Äußerung einer ausländischen Zeitung zu seiner Friedensvorstellung: „mag Harden sagen, der Friede müsse Deutschland die geistige und politische Hegemonie sichern“, dann sei das „abstrahirte Hoffnungseligkeit“ [Deutscher Frühling. In: Die Zukunft, Jg. 23, Nr. 32, 8.5.1915, S. 161-192, hier S. 176]. wird nicht verhandelt. Möglich, daß er dennoch bald kommt. Nicht wahrscheinlich. Die superi(lat.) die ‚Oberen‘. völlig rathlos; fürchten eigene Nation fast so wie Feind u wissen |
Postkarte
Carte Postale

weder, was, noch wie. KarpathenIn der Winterschlacht in den Karpathen 1914/15 hatte die geschwächte russische Armee vergeblich den Durchbruch nach Ungarn versucht, den Maximilian Harden für unvermeidlich hielt, wie aus seinem Briefwechsel mit dem kriegsbegeisterten Baron Eberhard von Bodenhausen hervorgeht [vgl. Martin 1996, S. 116]. abstreiten, durch Deutsche, gut. DardanellenIm Februar 1915 hatte sich die Entente zum Angriff auf die Dardanellen entschlossen, deren Verlust für die Mittelmächte eine entscheidende Verbesserung der russischen Versorgungslage und das Ende aller deutschen Bestrebungen im Nahen Osten bedeutete. Den Türken gelang es mit deutscher Hilfe die britisch-französischen Angriffe abzuschlagen. Die Dardanellen blieben in türkischer Hand.: Munitionfrage; die RumänenMaximilian Harden deutete in einem „Zukunft“-Artikel an, die Grenzen des neutralen Rumänien seien zum Vorteil der Mittelmächte durchlässig: „Sonst dürften wir ja auch nicht wünschen, daß Rumänien Waffen und Munition durchlasse.“ [Deutscher Frühling. In: Die Zukunft, Jg. 23, Nr. 32, 8.5.1915, S. 161-192, hier S. 170] Rumänien gehörte wie Bulgarien, Griechenland und – zu diesem Zeitpunkt noch – Italien zu den neutralen Mächten. lassen offiziell nichts durch (dürfen ja auch nicht); haben vor 8 Tagen aber, nach umfangreicher Bestechung, ohne Wissen d. Minister, 8 Wagons mit schweren Geschossen (entre nous(frz.) unter uns.) durchgelassen. Das sind fast 6000 Schuß. Ist aber bei uns oben kaum bekannt. Engländer vortrefflich gerüstet ca. 700000 Mann der FrontSchreibversehen, statt: an der Front; gemeint ist die englische Offensive in der Schlacht von Neuve-Chapelle (10. bis 12.3.1915) an der Westfront.. Italien fordert von Oesterreich Enormes, findet TrentoMaximilian Harden hatte am 10.4.1915 an Eberhard von Bodenhausen geschrieben: „Italien ist mit dem Trento nicht zufrieden. Das ist nur ein Zipfelchen.“ [Martin 1996, S. 116]. Damit Italien nicht in das Lager der Entente eintrete, hatte Österreich-Ungarn umfangreiche Angebote gemacht. allein „lächerlich“ u ist im Aufmarsch (wie ich genau weiß) Das aber beweist auch noch nichts. Gesammtsituation der sogen. Neutralen ganz dunkel, da Niemand weiß, was Venizelos plantIn einem „Zukunft“-Artikel zitierte Maximilian Harden ausführlich zwei in einer griechischen Zeitung abgedruckte Briefe des griechischen Politikers Eleftherios Venizelos, der bis März 1915 Ministerpräsident war und sich für den Anschluss Griechenlands an die Entente einsetzte, die die neutralen Länder, darunter Bulgarien, betreffen. Venizelos forderte den griechischen (mit Wilhelm II. verwandten und daher mit den Mittelmächten sympathisierenden) König Konstantin zur Unterstützung Serbiens und zum Kriegseintritt gegen Osterreich auf, um die Balkanstaaten zu einen: „Wir müssen die Mitwirkung Rumäniens und sogar Bulgariens erstreben. [...] Damit der Plan gelingt, müssen wir den Bulgaren Wichtiges gewähren. [...] Mir scheint, daß Rumänien nur schlagen will, wenn Bulgarien mitschlägt.“ [Deutscher Frühling. In: Die Zukunft, Jg. 23, Nr. 32, 8.5.1915, S. 161-192, hier S. 181, 183] u wie schließlich die bauernschlauen Bulgaren handeln werden, die sofort Alles ins Rollen | bringen können. Sicher ist, daß augenblicklich zum ersten Mal sehr starke anglo-russische Bemühungen bei Italien; ich halte nicht für ausgeschlossen, daß England ihm ein sehr großes Opfer schließlich brächte: Malta sogar; was es kann, weil es Lemnos hat, das Helgoland der Dardanellen mit vortreffl. Hafen (von dessen Besetzg. bei uns nicht geredet werden soll; ein sehr großer engl. Erfolg). Außerdem würde es sich in Sudabai„Meeresbucht an der Nordseite der Insel Kreta, zwischen der Halbinsel Akrotiri [...] und dem Kap Drepano“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. Bd. 19. Leipzig 1909, S. 167]; in der Bucht von Souda auf Kreta lag ein strategisch wichtiger Hafen. (Kreta) u bei Byzantionarchaisierend (von: Byzanz): Konstantinopel (Istanbul). starke Flottenbasis sichern

Kluck u Bülow (Schlaganfall) werden als ArmeeführerGeneraloberst Alexander von Kluck (Kommandeur der 1. Armee) und Generalfeldmarschall Karl von Bülow (Kommandeur der 2. Armee) waren maßgeblich am verhängnisvollen Ausgang der Schlacht an der Marne (6. bis 9.9.1914) beteiligt. wohl ausscheiden. Falkenhayn verhaßter als jeMaximilian Harden hatte am 10.4.1915 lavierend an Eberhard von Bodenhausen über den in konservativen Kreisen inzwischen missliebigen Erich von Falkenhayn geschrieben: „Die Lage kann besser werden (besonders, wenn das heutige Gerücht Falkenhayn sei endlich gestürzt, richtig sein sollte); sie kann aber sehr viel schlechter werden.“ [Martin 1996, S. 117] u in stetem KonfliktErich von Falkenhayn stand in einem Dauerkonflikt mit dem Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, Oberbefehlshaber, und Erich Ludendorff, Generalstabschef der 8. Armee, die in der Schlacht bei Tannenberg (26. bis 30.8.1914) einen triumphalen militärischen Sieg errungen hatten; sie setzten den Generalstabchef des Heeres mit ihren Forderungen, ihre Erfolge unter anderen Bedingungen wiederholen zu wollen, unter Druck. mit Hindenbg-Ludendorff (über die auch die gesammte regirende Familie wüthend ist)

Die Chance der Gegner liegt im Hinziehen; denn wir sind (wenn nicht direkt „am Ende“, so doch) unfähig, das Maximum der ersten 8 Monate zu wiederholen. Ein Staatsmann hätte längst Frieden (einen vortrefflichen) gemacht. Noch | jetzt glaube ich, ihn in 14 Tagen machen zu können. Aber SieSchreibversehen (Großschreibung und damit eine Anrede), statt: sie. Maximilian Harden wird Wedekind kaum dazu aufgefordert haben, ihm eine Unterredung mit Wilhelm II. zu verschaffen. müßten mir dazu eine 2 ‒ 3 stündige Unterredg.Maximilian Hardens Wunsch nach einer Unterredung mit Wilhelm II. registrierte am 10.4.1915 auch Theodor Wolff: „Harden jetzt ganz für die Einigung mit England. Möchte, daß der Frieden auf Kosten der Türkei geschlossen werde ‒ sein altes Steckenpferd: los von der Türkei! Wünscht sich, drei Stunden mit dem Kaiser sprechen zu dürfen, den er dann für diese Idee gewinnen würde.“ [Tb Wolff] mit W II verschaffen...

Totmüde. Abends wirds grotesk öde u dumm. Aber das Wichtige ist mir jetzt, zu wissen, daß Sie schnell der Schmerzen ledig u frisch werden. Lassen Sie michs, bitte, recht bald nach Berlin wissen!

Grand Hotel Continental
München
Telegramme

Continentyp
Meine Ehrerbietung der verehrten holden Gattin
Ihnen von Herzen gute Erholungwünsche.

Ihr Harden


Wenn Sie noch irgendetwas „erfahren“ wollen, schreiben Sie 2 Zeilen an mich.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 14 x 9 cm. 1 Blatt, 2 Seiten beschrieben. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht. 12,5 x 16 cm. 1 Blatt, 2 Seiten beschrieben. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hoch- und Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Brief ist auf zwei unterschiedlichen Schriftträgern – einem Postkartenformular (Seite 1 und 2) und einem Kartenbriefformular (Seite 3 und 4) – geschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    24. April 1915 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Pharus V. Frank Wedekind, Thomas Mann, Heinrich Mann – Briefwechsel mit Maximilian Harden

Herausgeber:
Ariane Martin
Ort der Herausgabe:
Darmstadt
Verlag:
Verlag Jürgen Häusser
Jahrgang:
1996
Seitenangabe:
114-115
Briefnummer:
81
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Bundesarchiv Koblenz

Potsdamer Straße 1
56075 Koblenz
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Maximilian Harden
Signatur des Dokuments:
Nr. 147.
Standort:
Bundesarchiv Koblenz (Koblenz)

Danksagung

Wir danken dem Bundesarchiv Koblenz für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Maximilian Harden an Frank Wedekind, 24.4.1915. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

28.10.2023 23:35