[1. Briefentwurf:]
Hochgeehrter Herr KainzWedekind hatte erfahren, dass Josef Kainz, Hofschauspieler am Wiener Burgtheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 607], München besuchte (der Brief dürfte nach München adressiert worden sein) und im Hotel Continental abstieg, wie die Presse meldete: „Hofschauspieler Joseph Kainz, Wien (Hotel Continental).“ [Angekommene Fremde. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 110, Nr. 396, 28.8.1907, Vorabendblatt, S. 5] Josef Kainz, der am 27.8.1907 in München eingetroffen sein dürfte, antwortete Wedekind aus dem Hotel Continental [vgl. Josef Kainz an Wedekind, 27.8.1907].,
Herr Dr. BraumüllerDr. jur. Friedrich Braumüller, der in München (Adelgundenstraße 34) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1905, Teil I, S. 55] als Dramaturg an den Vereinigten Theatern (Theater am Gärtnerplatz und Münchner Schauspielhaus) tätig gewesen ist [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 441], war inzwischen als Dramaturg und Regisseur an den Königlichen Schauspielen in Wiesbaden verpflichtet [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 631]. Wedekind könnte mit ihm während seines Aufenthalts vom 15. bis 17.7.1907 im nahe Wiesbaden gelegenen Frankfurt am Main [vgl. Tb] gesprochen haben, auch wenn er die Begegnung nicht notierte, oder aber in München. vom Hoftheater in Wiesbaden erzählt mir,
daß Sie sich einem Referentennicht identifiziert; das am 16.7.1907 im „Neuen Wiener Journal“ abgedruckte Interview mit Josef Kainz (siehe unten) führte ein Mitarbeiter der „Berliner Morgenpost“ (so den redaktionellen Bemerkungen zufolge). des Neuen Wiener Journals gegenüber in ungemein
liebenswürdiger und wohlwollender Weise über meine Bethätigung als Darsteller
in meinem Stücken geäußert haben. Es gelang mir noch nicht das Referatam Schluss eines Interviews: „Dann sprachen wir von den jüngeren Dramatikern, und kamen auf Frank Wedekind zu sprechen, den Kainz auch als eigenartigen Darsteller schätzt. Er sei unzweifelhaft der befähigteste unter den jetzt lebenden Dramatikern, ein Mann, dessen Phantasie mit einer verblüffenden Treffsicherheit Dinge ergründe, die er nie im Leben selbst kennen gelernt habe. Wedekind ähnle Bernhard Shaw; nur sei der Engländer unendlich geistreicher. Wedekind gebärde sich meist wie ein wild gewordener Spießer, der in dem Kammersänger sein ganzes Glaubensbekenntnis, in der einen Gegenüberstellung des darbenden, ringenden Künstlers und des keine Minute ungenutzt lassenden smarten Geschäftsmannes niedergelegt habe. Au fond aber sei er doch ein Spießbürger aus der Schweiz. Ein Fehler Wedekinds sei die Plötzlichkeit, mit der er die Stimmungen wechsle, oft nur, um einen Effekt zu erhaschen. So sei er auch im privaten Verkehr. In Gesellschaft brüte er manchmal vor sich hin; man glaube, er kümmere sich nicht um die Unterhaltung; plötzlich locke ihn aber ein Wort, das er aufgreife, und gegen das er dann mit allen dialektischen Mitteln ankämpfe, lediglich um einen rhetorischen Erfolg zu erzielen. Von ihm sei noch vieles zu erwarten. Sicher aber würde ihm eines Tages der große Wurf gelingen. Vielleicht sei er dazu berufen, die große politische Satire zu schreiben, die dem jungen Deutschland mit seiner jungen Kultur fast notwendig geworden sei.“ [Ein Interview mit Kainz. In: Neues Wiener Journal, Jg. 15, Nr. 4931, 16.7.1907, S. 8-9, hier S. 9] zu
finden, aber es drängt mich, ohne daß ich Ihre Äußerung Worte gelesen, aus voller
Seele Ihnen meinen Dank auszusprechen. Dabei kann ich gewiß darauf rechnen von
Ihnen Herr
Kainz
nicht mißverstanden zu werden. Ich fühle mich ganz als Schriftsteller auch auf
der Bühne, und mich nötigten |
nur die Hindernisse, auf die meine Arbeiten fünfzehn Jahre hindurch der
Bühne gegenüber stießen, die Bühne zu betreten selber
aufzutreten.
Ich werde nie so anmaßend sein auf einem andren Gebiet als dem meiner eigenen
Produktion mit dem geborenen Künstler wetteifern zu wollen. Als ich (in Berlin)
einmal als TartüffeWedekind spielte unter der Regie von Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin die Titelrolle von Molières „Tartuffe“ (in der Übersetzung von Ludwig Fulda). Premiere war am 25.5.1906 (zusammen mit Goethes Lustspiel „Die Mitschuldigen“); danach gab es noch sieben weitere Vorstellungen (am 27. und 29.4.1906, am 2., 4., 7. und 10.5.1906); erhalten ist ein Rollenfoto „Wedekind als Tartüffe“ [Kutscher 2, neben S. 192]. versucht wurde, war mir der glatte MißerfolgWedekinds Darstellung der Rolle des Tartuffe (siehe oben) bekam schlechte Kritiken. „Frank Wedekinds künstlerischer Rang in Ehren, aber zum Darsteller in der vordersten Gefechtslinie taugt er nun einmal nicht. […] Ohne Nüance verharren sein Mienenspiel, seine Sprache von Anfang bis zu Ende in erstarrter Monotonie.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 209, 26.4.1906, Morgen-Ausgabe, S. (2)] „Die Wirkung aber war verdorben, als im dritten Akt Tartuffe selbst auftrat. Man hatte nämlich den seltsamen Einfall gehabt, den Tartuffe von Frank Wedekind spielen zu lassen, der sich als gänzlich unfähig zur Darstellung dieser Figur erwies.“ [Neue Freie Presse, Nr. 14970, 27.4.1906, Morgenblatt, S. 12] eine große ungetrübte Genugthuung, da die
stilisierte und die heroische Schauspielkunst in der Zeit, wo realistische
Kleinkrämerei in alle Himmel erhoben wurde, keinen begeisterteren unbeugsameren
Parteigänger hatte als mich. Auf dem Gebiet meiner eigenen Produktion habe ich
die Bühne bis
jetzt immer
nur in Aufführungen betreten, die ohne |
meine Mitwirkung einfach nicht stattgefunden hätten. Ich nehme mir die Ehre, dem unserem größten Schauspieler der
Gegenwart zu erklären, daß ich diesen Unfug liebend gern unterlassen werde
wenn es meinen dramatischen Arbeiten gelingt, vom Schauspieler höher gewürdigt
zu werden. Ich Als Autor kann ich
aber natürlich (selbst) nicht beurtheilen ob meinen Arbeiten die dazu
erforderliche dramatische Tragfähigkeit haben innewohnt
Ich wollte meinem Dank Ausdruck geben und bitte darum, die
Herausforderung, zu der ich mich habe hinreißen laßen, durch
diezuerst gestrichen, dann durch Unterpunktung wieder hergestellt. bei der unbeschränkten
Verehrung, die ich Ihnen entgegenbringe, begreiflich verständlich zu finden (zu wollen.)
Ihr ergebenster
Fr.W.
[2. Abgesandter Brief:]
Hochverehrter Herr Kainz!
Herr Dr. Braumüller vom Hoftheater in Wiesbaden erzählte mir,
daß Sie sich vor einiger Zeit einem Referenten des Neuen Wiener Journals
gegenüber in ungemein liebenswürdiger und wohlwollender Weise | über meine
Bethätigung als Darsteller in meinem Stücken geäußert haben. Es drängt mich von
ganzer Seele, Ihnen meinen Dank dafür auszusprechen. Aber gerade von Ihnen, Herr
Kainz, möchte ich nicht mißverstanden werden, während es mir ziemlich
gleichgültig ist, von der Kritik immer wieder als ein spielwüthiger Geck hingestellt
zu werden. Ich fühle mich durch|aus als Schriftsteller, ich habe noch nie eine Rolle
für mich selber geschrieben und ich verfolge mit meinem Auftreten keinen
anderen Zweck als daß sich die Schauspielkunst meiner Rollen bemächtigt. Ihnen
gegenüber möchte ich nicht als der urteilslose Knotegrober, ungebildeter Mensch. erscheinen, der die eigene
Darstellung für mehr als traurigen Notbehelf hält.
Indem ich mich in tiefster Ehrfurcht verbeuge
Ihr ergebener
Frank Wedekind.
München
26.8.7.