Würden Sie mir gütigst gestatten Ihnen eine Bitte
auszusprechen. Darf ich Sie höflichst ersuchen, mir eineSchreibversehen (irrtümlich nicht korrigiert), statt: ein. Empfehlungsschreiben an die kgl. IntendanzGeneralintendant des Königlichen Hof- und Nationaltheaters in München, zu dem auch das Residenztheater und das Prinzregententheater gehörte, war inzwischen Clemens von Franckenstein [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1916, S. 500]. des Münchner Hof- und Nationaltheaters zu geben. Den
Mut diese Bitte an Sie zu richten schöpfe ich in allererster Linie aus Ihrer
Hochherzigkeit die die ganze Menschheit kennt und bewundert. In zweiter Linie
schöpfe ich ihn aus der Thatsache, daß sich die Münchner Hofbühne „Nationaltheater“
nennt wobei ich von der Voraussetzung ausgehe gehe daß unter Nation die Deutsche
Nation gemeint ist. Seit bald zwanzig Jahrenseit Frühjahr 1896, als Wedekind wieder nach München kam. danke ich dieser Bühne den Genuß
Ihrer Werke, den Sie mir durch die schönsten, mit größter Sorgfalt
vorbereiteten AufführungenWedekind hat Münchner Aufführungen von Stücken des in London lebenden irischen Dramatikers George Bernard Shaw besucht – er notierte am 1.2.1905 die Premiere von „‚Helden‘ von Schaw“ [Tb] im Münchner Schauspielhaus und am 5.6.1908 „Candida und ein anderes Stück von Shaw in Residenztheater“ [Tb] (den Einakter „Wie er ihren Mann belog“). übermittelt. Können Sie es mir verdenken wenn sich
in mir, der ich seit mehr als zwanzig Jahren für diese Bühne arbeite, ein | Funke
von Neid regt in dem Bewußtsein von diesem Nationaltheater geächtet boikottiertSchreibversehen, statt: boykottiert. auf Lebenszeit auf den Index gesetzt zu
sein. Die Kgl. Hoftheaterintendanz wird Ihnen entgegnen: Wir haben es mit W. versucht, es hat
nicht gefallen. Dieser Versuch vollzog sich folgendermaßen: Den
anspruchslosesten bescheidensten Schwank, demSchreibversehen, statt: den. ich geschrieben führte das Münchner Hoftheater
vor fünf Jahrenam 17.11.1910 die Premiere von Wedekinds Schwank „Der Liebestrank“ (1899) am Münchner Residenztheater, einer der Bühnen des Hoftheaters (siehe oben); Wedekind notierte: „Premiere von Liebestrank im Residenztheater“ [Tb]. Generalintendant des Königlichen Hof- und Nationaltheaters in München war seinerzeit Albert von Speidel [vgl. Neuer Theater-Almanach 1911, S. 567]. Der Schwank war „das erste Stück Wedekinds überhaupt, das die Münchner Hofbühne gab“ [KSA 2, S. 1075]. unter der ausdrücklichen Zusicherungvermutlich mündlich erfolgt; Wedekind hatte mit dem Hoftheaterintendanten Albert von Speidel, der bei der Inszenierung des Schwanks „Der Liebestrank“ seinen Wünschen zu entsprechen anbot [vgl. Albert von Speidel an Wedekind, 5.8.1910], vorbereitende Besprechungen – so am 23.6.1910: „Besuch bei Intendant Speidel der Liebestrank annimmt“ [Tb] und am 5.9.1910: „Besprechung mit Speidel über Liebestrank“ [Tb]. auf daß es sich darauf hin
auch meiner ernsten literarischen Arbeiten annehmen werde. Ich bestand darauf
den Schwank nur unter dieser Bedingung freizugeben. Ich hatte das Wort des Inte
Intendanten. Der Schwank fand die Aufnahme die er verdienteDie Presse berichtete über die nur mäßig erfolgreiche „Liebestrank“-Premiere (siehe oben): „Im Residenztheater wurde heute abend Wedekinds dreiaktiger Schwank ‚Der Liebestrank‘, ein wild durcheinander wirbelndes Chaos von grotesken, auf einem russischen Gute spielenden Szenen, mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Ein Teil des ausverkauften Hauses klatschte, andere zischten. Im allgemeinen aber war man doch sehr belustigt“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 63, Nr. 540, 18.11.1910, Morgenblatt, S. 4]; bemerkt wurde auch: „Man hätte den Autor vorteilhafter an der Hofbühne einführen können.“ [Richard Elchinger: Der Liebestrank. Schwank in drei Akten von Frank Wedekind. Erste Aufführung im Residenztheater am 17. November. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 63, Nr. 541, 19.11.1910, Vorabendblatt, S. 2] Richard Braungard fragte (am 18.11.1910 in der „Münchener Zeitung“), „wie man überhaupt auf den Einfall kommen konnte, Wedekind ins Residenztheater zu zerren“ [KSA 2, S. 1097]; sonstige Münchner Presse verriss den in jungen Jahren geschriebenen Schwank [vgl. KSA 2, S. 1098f.]., und ich wurde
eines Hof- und Nationaltheaters unwürdig erklärt. Die Aufführung meiner ersten
Werke lehnte das Hoftheater | unter der Begründung ab: Sie haben die
öffentliche MeinungWedekind hat den von dem Münchner Polizeipräsidenten Julius von der Heydte stammenden Satz „Sie haben die öffentliche Meinung gegen sich“ bereits in seinem offenen Brief „Drei Fragen“ [vgl. KSA 5/II, S. 418] zitiert [vgl. Wedekind an General-Anzeiger der Stadt Mannheim, an Berliner Börsen-Zeitung, an Frankfurter Zeitung, an B.Z. am Mittag, an Münchner Neueste Nachrichten, an Berliner Tageblatt, 20.9.1911], den Wedekind schrieb, nachdem Albert von Speidel sich offenbar auf diesen Satz bezogen hat [vgl. KSA 5/III, S. 286]; er notierte am 20.9.1911: „Besuch bei Speidel. [...] Zeitungsnotiz geschrieben.“ [Tb] gegen sich. Ich war von der Intendanz übertölpelt worden.
Wie Sie verehrter Herr SchawSchreibversehen, statt: Shaw. schreibe ich meine
Stücke für die besten Schauspieler die Deutschland hervorbringt. Darstellungen
mit unzureichenden Kräften haben mir beim Publikum schon viel geschadet und
mich in den Ruf eines Kunstbarbaren gebracht. Meine Dramen, wenn sie
geschätzt werden sollen, erfordern ebenso wie die Ihren die besten Deutschen
Schauspieler. Wie erscheint Ihnen nun das Schicksal eines Deutschen
Dramatikers, der seine Werke schreibt um die öffentliche Achtung für seine
Überzeugungen zu gewinnen und derSchreibversehen, statt: der von dem. zu dieser Vermittlung bestellten Nationaltheater Zeit seines
Lebens unter dem Vorwand geächtet und totgeschwiegen wird, daß er die öffent|liche
Meinung gegen sich hat.
Ich weiß nicht, verehrter Herr SchawSchreibversehen, statt: Shaw., ob Sie
meine Dramen kennen. Sollte es der Fall sein, dann würde die Bestätigung dieser
Thatsache allein schon, wie ich die Verhältnisse zu kennen glaube allein
schon meine in so überraschenden/r/ Weise Eindruck auf die
bei uns in Deutschland maßgebenden Stellen wirken, daß ich kaum einer wärmeren
Empfehlung mehr bedarf.
Jedenfalls wollte ich meiner Generation den
Stolz nicht vorenthalten, daß ich in die stolze Genugtuung nicht
vorenthalten, daß ich in der Lage bin, Sie verehrter Herr Schaw, um eine
Empfehlung an das Münchner Hof und Nationaltheater zu bitten.
Im Gefühl unendlicher Dankbarkeit für größte
künstlerische Ein|drücke und stärkste geistige Anregungen die mir Deutsche
Hofschauspieler aus Ihrem Lebenswerke vermittelten.
Ihr ergebener
FrW.
[oben auf Seite 2:]
Ich weiß nicht ob Sie meine dramatischen Arbeiten kennen.