Kennung: 531

Berlin, 21. April 1910 (Donnerstag), Briefkarte

Autor*in

  • Hiller, Kurt

Koautoren*in

  • Der Neue Club, (Verein)

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Dr. Kurt Hiller

BERLIN W. 30,
Nollendorfstrasse 34.


21/IV 1910.


Hochverehrter Herr Wedekind!

Der Neue ClubDer Neue Club bestand von März 1909 bis Frühjahr 1914 als Vereinigung junger Berliner Intellektueller und Literaten, deren gemeinsame Basis das Interesse an einer ästhetisch-vitalistischen Erneuerung der Dichtung bildete. Initiativ bei der Gründung der Gruppe, die als eine der Keimzellen des literarischen Expressionismus gilt, waren die Schriftsteller Kurt Hiller – der zunächst die Leitung übernahm –, Erwin Loewenson und Jakob van Hoddis; später stießen u. a. Georg Heym und Ernst Blass hinzu. An die Öffentlichkeit trat der Club ab Frühjahr 1910 durch Veranstaltung von Diskussionsabenden und Vorträgen. Größere Aufmerksamkeit erregten ab Juni 1910 die als Neopathetisches Cabaret angekündigten Vortrags- und Rezitationsabende des Klubs, an denen sich auch bekannte Gäste wie der Schriftsteller Max Brod, die Dichterin Else Lasker-Schüler und die Schauspielerin Tilla Durieux beteiligten. Diese Reihe wurde im April 1912 mit einem Gedenkabend für den früh verstorbenen Georg Heym beschlossen. Bereits im Januar/Februar hatten interne Konflikte zu einer Spaltung des Klubs geführt, in deren Folge Kurt Hiller die Gruppe verließ und im Herbst 1911 mit Ernst Blass und dem Schauspieler Armin Wassermann das literarische Cabaret GNU gründete [vgl. Wülfing/Bruns/Parr 1997, S. 350-358]. ist eine Vereinigung, zu deren vornehmsten Aufgaben es gehört, auf Denker und Künstler, die trotz hoher kultureller Bedeutung nicht hinreichende Beachtung und angemessene Beurteilung in der Presse und beim Publikum finden, durch öffentliche Veranstaltungen mit Ernst hinzuweisen. Der Neue Club nun plant nun für Mitte Mai einen Wedekind-AbendDie Mitglieder des Neuen Club hatten während eines Treffens am 4.4.1910 beschlossen, „Ehrenhalber einen Demonstrations-Wedekind-Abend [zu] machen u[nd] zwar wahrscheinlich die Zeit (8–10 Mai sowas), wo er gerade in Berlin ist, (zur Aufführung zwei seiner Stücke von der Akademischen Bühne, wo er mitspielt). | 1 bis 2 Vorträge (wahrscheinlich aber nur einer) und einiges von ihm selbst, vorzulesen – etwa von Tilla Durieux, Gertrud Eysoldt, Albert Bassermann, Albert Heine, zur Auswahl. Tilla Durieux ist bereits leidenschaftlich dafür [...] Die Namen brauchen wir [...], weil sie 1) das Publicum anlocken sollen u[nd] weil es 2) eine Ehrung sein soll (dem Publicum unter die Nase zu reiben).“ [Erwin Loewenson an Erich Unger, Brief vom 5.5.1910. Zit. n. Sheppard 1, S. 299]. Da Wedekind in seiner Antwort auf Erwin Loewensons diesbezüglichen Brief an ihn vom 22.4.1910 das Unternehmen zwar nachdrücklich begrüßte, zugleich aber aufgrund seiner andauernden Konflikte mit Bruno Cassirer um den Verlag seiner Bücher darum bat, „mit dem Vortragsabend warten zu wollen, bis die Verhandlungen einen Abschluß gefunden haben“ [Wedekind an Loewenson, Brief vom 2.5.1910], wurde der Plan verschoben und modifiziert: Zunächst las die Schauspielerin Tilla Durieux während des zweiten Neopathetischen Kabarett-Abends am 6.7.1910 eine Szene aus Wedekinds Einakter „In allen Wassern gewaschen“ vor, der im April 1910 erschienen war. Nachdem ein erneuter Versuch von Loewenson, den Dichter selbst für die Mitwirkung an einem Wedekind-Abend zu gewinnen, der im Laufe des Oktober 1910 stattfinden sollte, im Sande verlaufen war, kam es schließlich am 16.11.1910 noch zu einem internen Abend des Neuen Club, bei der Loewenson einen Vortrag über Wedekinds Einakter „Die Zensur“ hielt [vgl. Loewensons um den 6.10.1910 geschriebenen Brief an Wedekind sowie die Hinweise bei Sheppard 1, S. 448, Anm. 21 und S. 451, Anm. 44; zu Tilla Durieux‘ Wedekind-Lesung vgl. auch KSA 7/II, S. 878f.]. (eventuell auch Matinée); ein unserer Gesellschaft angehörender junger LitteratGemeint ist Erwin Loewenson, der seinem Freund Erich Unger am 5.4.1910 im Zusammenhang mit dem geplanten Wedekind-Abend schrieb: „Vortrag werde ich halten über Wedekind und Tragik.“ [zit. n. Sheppard 1, S. 300]. Aus dem Plan wurde schließlich der Vortrag „Das Thema von Wedekinds Theodizee“, in dessen Zentrum der Einakter „Die Zensur“ stand, den Loewenson unter seinem Pseudonym Golo Gangi bei einem internen Abend des Neuen Club am 16.11.1910 hielt [vgl. den Abdruck des Programms sowie der Reinschrift von Loewensons Manuskript bei Sheppard 1, S. 411-423]. soll den einleitenden Vortrag halten, und für die Rezitation aus Ihren Werken ist bisher Frau Tilla Durieux gewonnen worden. Wir möchten jedoch nicht eher an die | Verwirklichung des Planes herangehen, als bis wir, sehr verehrter Herr Wedekind, im Besitze Ihrer Zustimmung sind; auch würden wir uns, was die Hinzuziehung weiterer rezitatorischer Kräfte anlangt, durchaus nach Ihren Wünschen richten und bitten Sie insbesondere um Ihren liebenswürdigen Rat betreffs der Auswahl der zu lesenden Stücke.

Gestatten Sie, verehrter Meister, dass ich Sie dringend bitte, mir – wenn irgend möglich – umgehend zu antworten, und empfangen Sie unsern ehrfurchtsvollen Gruss.

Im Namen des Neuen Club:
Ganz ergebenst:
Kurt Hiller.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 13,5 x 9 cm. Mit gedrucktem Briefkopf.
Schreibraum:
Im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Briefentwurf. Der Text wurde vermutlich von Hiller selbst beidseitig mit Bleistift diagonal durchgestrichen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Die Briefkarte wurde nicht abgesandt, worauf neben der nachträglichen Streichung des Textes auch ihre Überlieferung im Nachlass von Erwin Loewenson sowie die Tatsache verweisen, dass sich Loewenson einen Tag später in derselben Angelegenheit an Wedekind wandte [vgl. Loewensons Brief an Wedekind vom 22.4.1910]. Es ist anzunehmen, dass Hiller Loewenson seinen Entwurf des Schreibens zur Aufbewahrung überließ.

  • Schreibort

    Berlin
    21. April 1910 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort


    Datum unbekannt

  • Empfangsort


    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Deutsches Literaturarchiv Marbach

Schillerhöhe 8-10
71672 Marbach am Neckar
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
A: Loewenson, Erwin
Signatur des Dokuments:
A: Loewenson 68.1201
Standort:
Deutsches Literaturarchiv Marbach (Marbach am Neckar)

Danksagung

Wir danken dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Kurt Hiller, (Verein) Der Neue Club an Frank Wedekind, 21.4.1910. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Zuletzt aktualisiert

05.12.2023 17:12