Kennung: 5169

Festung Königstein, 28. Dezember 1899 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie

Inhalt

Mein liebe süßenSchreibversehen, statt: Meine liebe süße Mama,

Ohne noch zu wissen von wem sie kamen zog ich die eine der Unterhosen die mich glücklicher Weise noch zu Bett antrafen, sofort an. und nachdem ich mich herzlich darüber gefreut, erfuhr ich zu meiner noch größeren Freude aus deinen lieben ZeilenDas Begleitschreiben zu der Sendung ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 23.12.1899., daß sie von Dir kommen. Ich habe leider auch dies Jahr wieder nur | leere Hände aber das wird ja nun bald anders werden. Mit meinem herzlichen Dank schicke ich dir meine aufrichtigen besten Wünsche für das kommende Jahr. Wie ich in Kleinigkeiten immer Pech habe geht mir gerade jetzt am Jahreswechsel das Papier aus, so daß ich auf die elendesten Fetzen schreiben muß.

Ich bin hier oben wieder ebenso dick geworden wie | ich in Leipzigwährend der Haftzeit im Leipziger Gefängnis seit dem 2.6.1899. Wedekinds Haftstrafe wurde infolge eines Begnadigungsgesuchs vom 23.8.1899 in Festungshaft umgewandelt, die er am 21.9.1899 antrat. Zu den Haftbedingungen dort vgl. Wedekind an Beate Heine, 22.9.1899 und Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 2.11.1899. zu Taille gekommen war. Aber es dauert ja jetzt nur noch einen MonatWedekind wurde am 3.2.1900 aus der Haft entlassen. dann kann ich wieder Bantingkur„Methode zur Heilung übertriebener Wohlbeleibtheit und Fettsucht, führt ihren Namen von William Banting, Kaufmann in Kensington (gest. 1878), der die Kurmethode zuerst an sich selbst angewendet hat und sie 1863 in seinem berühmt gewordenen offenen Brief (‚Letter on corpulence‘, zuletzt 1885) beschrieb. Er genoß zum Frühstück 120–150 g mageres Fleisch, 30 g Zwieback oder geröstetes Brot und eine Tasse Tee ohne Milch und Zucker. Sein Mittagessen bestand aus 150–180 g Fisch (mit Ausnahme von Lachs), magerm Fleisch, Gemüse (mit Ausnahme von Kartoffeln), Geflügel oder Wildbret, etwas Kompott und geröstetem Brot. Dabei trank er 2–3 Gläser guten Rotwein, Sherry oder Madeira. Nachmittags genoß er 60–90 g Obst, 1–2 große Zwiebacke und eine große Tasse Tee ohne Milch und Zucker. Sein Abendessen bestand aus 90–120 g Fleisch oder Fisch und 1–2 Glas Rotwein. Bei dieser Diät verlor Banting innerhalb eines Jahres 23 kg Körpergewicht, wobei sein körperliches Wohlbefinden sich fortwährend steigerte.“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd. 2. Leipzig, Wien 1903, S. 355] machen.

In Berlin wollen Hartleben und Wohlzogen ein künstlerisches literarisches VarietéeErnst von Wolzogens Buntes Theater (Überbrettl) wurde am 18.1.1901 im Berliner Alexanderplatz-Theater (Alexanderstraße 40), Spielstätte der Secessionsbühne, offiziell eröffnet und gilt als das erste deutsche Kabarett. Wedekind lehnte kurz vor Eröffnung eine Mitarbeit an dem Projekt ab [vgl. Wedekind an Ernst von Wolzogen, 23.12.1900]. unter meiner Mitwirkung begründen. Ich bin aber noch sehr im ZweifelAusführlicher erörterte Wedekind seine Bedenken in einem anderen Brief vom gleichen Tag [vgl. Wedekind an Beate Heine, 28.12.1899]. ob ich daran theilnehme indem ich befürchte die Sache wirSchreibversehen, statt: wird. ein KladeradatschKladderadatsch, „in Norddeutschland gebräuchlicher Ausruf, um einen mit klirrendem oder krachendem Zerbrechen verbundenen Fall zu bezeichnen“ [Meyers Konversations-Lexikon. 5. Aufl. Bd. 10. Leipzig, Wien 1895, S. 189]; im übertragenen Sinne für Chaos, Aufregung, Skandal.. Meine neuste ErrungschaftSchreibversehen, statt: Errungenschaft. ist | meine MitarbeiterschaftWedekind war es gelungen, noch vor Fertigstellung des „Marquis von Keith“, die Abdruckrechte seines Dramas an die von Otto Julius Bierbaum, Alfred Walter Heymel und Rudolf Alexander Schröder herausgegebenen und aufwendig gestaltete Monatsschrift „Die Insel“ zu verkaufen [vgl. Wedekind an Beate Heine, 28.12.1899]. Der 1. und 2. Akt des Stücks erschienen dort unter dem Titel „Münchner Scenen. Nach dem Leben aufgezeichnet“ im April 1900 [Jg. 1, 3. Quartal, Nr. 7, S. 3-76], im Mai und Juni folgten die übrigen Teile des Dramas [vgl. KSA 4, S. 413]. an der „Insel“ bei der fünf Millionen in Druckerschwärze verpulvert werden müssen.

An Dich, liebe Mama, an Mieze und Walther meine herzlichsten Wünsche zum neuen Jahr.

Dein treuer Sohn
Frank.


Festung Königstein
28. Dec. 99.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 10,5 x 16,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 ist unten rechts von fremder Hand mit Bleistift „19“ notiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Festung Königstein
    28. Dezember 1899 (Donnerstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Festung Königstein
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Dresden
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

(Band 2)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
33-34
Briefnummer:
169
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2021, Bd. 1, S. 316 (Nr. 156).
Status:
Ermittelt (sicher)

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 191
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 28.12.1899. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

20.03.2024 11:05