Kennung: 4963

München, 17. September 1912 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Schillings, Max von

Inhalt

Sehr geehrter Herr DoctorWedekind war mit Dr. phil. h.c. Max Schillings in Stuttgart (Am Hohengeren 2) [vgl. Adreß- und Geschäfts-Handbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Stuttgart für das Jahr 1913, Teil I, S. 706], Generalmusikdirektor am Stuttgarter Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 634], schon in München bekannt gewesen. „Wedekinds Kontakt zu Max von Schillings blieb auch nach dessen Weggang von München nach Stuttgart (1908) weiter bestehen.“ [Becker 1989, S. 171f.] Der Komponist war im Zuge der Einweihung der neuen Stuttgarter Hoftheater (siehe unten) gerade geadelt worden: „Bei der Einweihung der beiden Stuttgarter Hoftheater ist dem Leiter der dortigen Oper Herrn Professor Max Schillings der Adel verliehen worden.“ [Max von Schillings. In: Dürener Zeitung, Jg. 40, Nr. 221, 25.9.1912, S. (3)] Wedekind notierte am 16.9.1912 in Stuttgart: „Frühstück im Hotel. Besuch bei Schillings der geadelt wurde.“ [Tb]

Am Schluß des wundervollen Festesam 14. und 15.9.1912 zur Einweihung des neuen Stuttgarter Hoftheaters (Großes und Kleines Haus), das nach dem Brand in der Nacht vom 19. auf den 20.1.1902 wieder aufgebaut worden ist [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 633]. Wedekind reiste am 13.9.1912 mit „Tilly nach Stuttgart“ [Tb] und notierte am 14.9.1912 um 18 Uhr: „Um 6 Uhr Eröffnungsvorstellung Diner im Königsbau. Ich habe den Cercle versäumt und werde deshalb dem König nicht vorgestellt“ [Tb]; das war die „Eröffnungs-Festvorstellung“ im Großen Haus mit „Musik von Max Schillings“ [Schwäbischer Merkur, Nr. 428, 13.9.1912, Mittagsblatt, S. 4], die ein umfangreiches Programm bot (siehe unten) und an der zahlreiche auswärtige Gäste teilnahmen, darunter außer Frank und Tilly Wedekind aus München etwa „Ludwig Thoma [...]. Gleich ihm muß als Gast unseres Königs auch Wedekind besonders beachtet werden, der mit seiner hier ebenfalls wohl bekannten Frau Tilly gekommen ist. Mit strengen, starren Zügen schaut er vornübergebeugt durch seine Brillengläser unverwandt nach der Bühne. Daß er und Thoma keine Orden angelegt haben, braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden.“ [Die Einweihung der neuen Hoftheater in Stuttgart. In: Württemberger Zeitung, Jg. 6, Nr. 217, 16.9.1912, 2. Blatt, S. 4] Wedekind notierte am 15.9.1912 vormittags: „Um 10 Uhr Eröffnung des kleinen Hauses“ [Tb], abends: „Diner beim König“ [Tb]. Frank und Tilly Wedekind reisten am 17.9.1912 zurück nach München: „Abfahrt von Stuttgart. [...] Ankunft in München.“ [Tb] kam ich leider nicht mehr dazu, Ihrer gütigen Erwägung einen Einfall zu unterbreiten, den ich Ihrer herrlichen Muse Komposition Musik„Schillings Musik“ (so ein Zwischentitel im hier zitierten Bericht) stand bei der Eröffnungs-Festvorstellung am 14.9.1912 im Stuttgarter Hoftheater (siehe oben), die ein umfangreiches Bühnenprogramm bot (nach der einleitenden Musik Max von Schillings jeweils mit musikalischen Zwischenspielen das Vorspiel auf dem Theater aus Goethes „Faust“, eine Szene aus der Oper „Il Vologeso“ von Niccolò Jommelli, eine szenische Darbietung von Friedrich Schillers Ballade „Die Glocke“, der Schluss des 3. Aktes aus Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ und eine Szene aus Schillers Dramenfragment „Demetrius“), im Zentrum: „Zuerst ein musikalisches Vorspiel von Generalmusikdirektor Dr. Max v. Schillings. Dieses hat den Charakter einer kurzen würdevollen Einleitung, festlich und pathetisch zugleich, glanzvoll instrumentiert, ohne jede Neigung zum Uebertreiben. [...] In dem ‚Festspiel‘ kommt der Musik keine geringe Rolle zu. Die Schwierigkeit für den Komponisten bestand darin, die Verbindung von Szene zu Szene herzustellen und den raschen Wechsel der Bilder auf der Bühne auszugleichen. Stilistisch stärkere Gegensätze, wie sie hierbei zutage traten, ließen sich kaum denken. [...] Schillings hat, um dem Ganzen die Einheit zu wahren, durch ein Leitmotiv das innere Band geschaffen. Dadurch war die Brücke geschlagen, die Musik allein konnte es ermöglichen, daß das Festspiel als Zusammengehöriges [...] erschien und nicht vollständig in seine einzelnen Teile zerfiel. Das Wiedereinsetzenlassen der Musik nach dem gesprochenen Wort geschah mit klugem Maßhalten. Nicht plötzlich, sondern ganz langsam werden wir in die Welt der Töne hineingeführt. In allen diesen Dingen zeigt sich nicht nur der schöpferisch begabte Tonsetzer, sondern auch der fein berechnende Künstler.“ [Die Einweihung der neuen Hoftheater in Stuttgart. In: Württemberger Zeitung, Jg. 6, Nr. 217, 16.9.1912, 2. Blatt, S. 4] verdankte und in dem ich Sie bitte keine Zudringlichkeit erblicken zu wollen. Herr Doctor BlömDr. phil. Walter Bloem, seinerzeit Bibliotheksleiter, Dramaturg und Regisseur am Stuttgarter Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 634], hatte bei der „Marquis von Keith“-Inszenierung am 9.5.1912 im Rahmen von Wedekinds Stuttgarter Gastspiel (siehe unten) die Regie geführt [vgl. Württemberger Zeitung, Jg. 6, Nr. 108, 9.5.1912, S. 8; Nr. 110, 11.5.1912, S. 8]; er schrieb später über seine Zusammenarbeit mit Wedekind einen Beitrag im „Wedekindbuch“ [vgl. Friedenthal 1914, S. 248-252]. hielt ein nochmaliges GastspielFrank und Tilly Wedekind hatten vom 6. bis 11.5.1912 ein Gastspiel am Königlichen Hoftheater in Stuttgart (Intendant: Joachim Gans Edler zu Putlitz) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 633] gegeben, bei dem „Erdgeist“ und „Der Marquis von Keith“ gespielt wurde, ein weiteres Gastspiel fand vom 18. bis 21.4.1914 mit denselben beiden Stücken statt (siehe Wedekinds Korrespondenz mit dem Königlichen Hoftheater Stuttgart, Joachim Gans zu Putlitz und Victor Stephany). von meiner Frau und mir am Stuttgarter Hoftheater nicht für ausgeschlossen. Ich weiß von wie viel Bedingungen das Zusta die Verwirklichung einer solchen Förderung abhängtig/t/ ist und würde Sie ersuchen, meine Idee erst in Erwägung zieheSchreibversehen, statt: ziehen. zu wollen wenn ein solches Gastspiel schon beschlossene Sache wäre. Als aufzuführendes Stück käme dabei aller Voraussicht nach | mein Königsdrama „König Nicolo oder So ist das Leben“ in Betracht, das ich mir erlaube Ihnen gleichzeitig zu übersenden. Meine Idee war die, ob eine, vom Stück vollständig unabhängige Wiederaufführung Ihrer KompositionMax von Schillings hat keine Musik zu „König Nicolo“ komponiert. in einem solchen Anlaß nicht die vollste Rechtfertigung finden sollte. Daß der Vortheil dabei nur mir zufiele ist selbstverständlich. Erlauben Sie mir nur die Bemerkung daß das düsterste Bild des Stückes, die Gefängnisscenein „König Nicolo oder So ist das Leben“, 2. Akt, 5. Bild „Gefängnis“ [KSA 4, S. 261-266]., als ein künstlerisch überflüssiges und nachtheiliges Schwergewicht bei der Aufführung wegfallen würde.

Darf ich Sie, verehrter Herr Doctor, noch einmal bitten meine Idee für nichts anderes als einen künstlerischen Einfall nehmen zu wollen. Gelänge der Versuch, dann könnte Ihre herrliche | Musik dadurch einen neuen Scenischen Boden unter die Füße bekommen haben Fällt mein Drama durch, dann räumt es einfach einer besseren dramatischen Unterlage für Ihre Musik den Platz.

Mit den besten Grüßen und Empfehlungen an Sie und Ihre verehrte Frau GemahlinCaroline Josefa von Schillings (geb. Peill), eine Cousine von Max von Schillings, mit dem sie seit dem 1.10.1892 verheiratet war (Scheidung 1923). von meiner Frau und mir
Ihr ergebener

Fr.W.


Herrn Dr. Max von Schillings
in Verehrung
Fr.W.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Ringbuchblätter. 9 x 14,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Briefentwurf dürfte die Grundlage eines dann abgesandten Briefs gewesen sein.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 17.9.1912 ist als Ankerdatum gesetzt. Der Brief dürfte bald nach Wedekinds Abreise von Stuttgart zurück in München geschrieben worden sein, möglicherweise noch am 17.9.1912: „Abfahrt von Stuttgart. Kaltes Mittagsessen im Zug. Ankunft in München. [...] Abend zu Haus“ [Tb].

  • Schreibort

    München
    17. September 1912 (Dienstag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Stuttgart
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Aargauer Kantonsbibliothek

Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Wedekind-Archiv
Signatur des Dokuments:
Wedekind-Archiv B, Nr. 171
Standort:
Aargauer Kantonsbibliothek (Aarau)

Danksagung

Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Max von Schillings, 17.9.1912. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

09.12.2023 13:00