Kennung: 4940

München, 23. April 1904 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Literarische Gesellschaft Dresden, (Verein)

Inhalt

[1. Briefentwurf]


Sehr geehrter Herr!

Auf Ihre geehrten Zeilen vom 18 dsZu diesem Brief der Literarischen Gesellschaft Dresden ist nur ein Briefentwurf vom 11.4.1904 überliefert [vgl. Literarische Gesellschaft Dresden an Wedekind, 18.4.1904]. habe ich Ihnen folgendes zu erwie/d/ern:

Sie schreiben mir: „Es dürfte Ihnen wol nicht unbekannt sein, daß keine Bühne Dresdens Ihren Kammersänger zur Aufführung gebracht haben würde.“ Das ist mir allerdings derart unbekannt daß ich Ihnen das Gegentheil beweisen kann. Das Dresdener Residenztheater hatte das Aufführungsrecht für Kammer


[2. Abgesandter Brief:]


Sehr geehrter Herr!

Sie gehen in der Beantwortung meines Schreibens von der eigenthümlichen Voraussetzung aus, daß mein „Kammersänger“ ohne die literarische Gesellschaft von keiner Bühne Dresdens zur Aufführung gebracht worden wäre. Diese Voraussetzung ist falsch, obschon Sie dabei den Ausdruck brauchen: „Es dürfte Ihnen doch wol nicht unbekannt sein.das Zitat so auch im Briefentwurf vom 11.4.1904 [vgl. Literarische Gesellschaft Dresden an Wedekind, 18.4.1904].“ Das Dresdener Residenztheater hatte das RechtAm 8.9.1900 schrieb Wedekind seinem Schwager Walther Oschwald, dass der „Kammersänger“ im Winter am Dresdner Residenztheater aufgeführt würde [vgl. Wedekind an Walther Oschwald, 7.9.1900. , das Stück aufzuführen, erworben und die Aufführung nur deshalb verzögert, weil es sich für die Hauptrolle, wie Herr Direktor KarlDas Residenztheater Dresden wurde seit dem Tod seines Direktors Engelbert Karl am 11.10.1891 von dessen Witwe Madelaine Karl geleitet [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 322]. mir schriebnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Madelaine Karl an Wedekind, 1.12.1900., noch kein geeigneter Darsteller gefunden hatte. Daß ich durch die Aufführung der Literarischen Gesellschaft, a/i/n deren Vorzüglichkeit ich übrigens nicht den geringsten Zweifel setze, also pekuniärdas Geld betreffend. geschädigt worden bin, ist keine eigenthümliche Begründungim überlieferten Entwurf nicht genannt [vgl. Literarische Gesellschaft Dresden an Wedekind, 18.4.1904]., wie Sie sich ausdrückenDie Passage findet sich im Briefentwurf vom 11.4.1904 nicht [vgl. Literarische Gesellschaft Dresden an Wedekind, 18.4.1904]., sondern eine Thatsache. Wenn ich den Schaden danach | berechne, was mir das Stück in anderen Städten eingetragen hat, dann beläuft er sich auf einige hundert Mark. Nun nehmen Sie aber für sich das Verdienst in Anspruch, durch die Aufführung das Interesse für mich erheblich gesteigert zu haben. Ich würde Ihnen dies Verdienst zugestehen wenn Sie ein anderes meiner Stücke auf die Bühne gebracht hätten und nicht gerade das, welches seit vier Jahren über mindestens hundert deutsche Bühnen gegangen ist. Ich zähle hier die Städte aus nur zwei Abrechnungen auf, die mir gerade zur Hand sind: Köln, Metz, Berlin, Nürnberg, Hannover, Klagenfurt, Villach, Breslau, Leipzig, Karlsruhe, Stuttgart, Salzburg, Graz, Elberfeld, Zwickau, Wien, Hamburg. Erlauben Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit noch auf folgende Thatsache zu lenken:

Ich habe Aufführungen des Kammersänger schon zu verschiedenen Malen freigegeben und zwar wenn die Aufführung zu einem wohlthätigen Zweck oder wenn Sie vor einem unbemittelten Publicum stattfand. Von beiden Eventualitäten kann wol bei der Dresdener Aufführung nicht die Rede sein. Ein Stück | das gut genug ist, um in Wien zum Beispiel zu einem wohlthätigen Zweck gespielt zu werden, bedarf aber doch wol nicht der Dienste einer Literarischen Gesellschaft um sich, wie die Zeitungen schriebenVor allem die Schlussszene der „vortrefflich gespielten satirischen Szenen ‚Der Kammersänger‘ von Frank Wedekind […] fiel den Zuschauern auf die Nerven und weckte zischende und pfeifende Opposition.“ [Dresdner Journal, Nr. 95, 27.4.1903, S. (1)] schrieb die Presse. „Diesen brutalen Schluss nahm ein Teil des Publikums gestern mittag mit so unverhohlenem Mißfallen auf, daß neben starkem Zischen sogar Pfiffe hörbar wurden.“ [Dresdner Nachrichten, Nr. 116, 27.4.1903, S. (2)], auspfeifen zu lassen.

Die literarische Gesellschaft in LeipzigDen Vorsitz der Literarischen Gesellschaft Leipzig hatte Kurt Martens (Haydnstr. 1), Schatzmeister und artistischer Direktor war Carl Heine (Lampestr. 3) [vgl. Leipziger Adreß-Buch 1898, Teil II, S. 220]. führte vor sechs JahrenDie Uraufführung von „Der Erdgeist“ fand am 25.2.1898 durch das Ibsen-Theater, dem Theater der Literarischen Gesellschaft Leipzig, im Krystall-Palast unter der Regie von Carl Heine statt. meinen „Erdgeist“ auf, als von mir überhaupt noch kein Werk auf die Bühne gelangt war, und ließ es sich darum doch nicht nehmen, mir ein entsprechendes Honorar auszuzahlen.

Die dramatische Gesellschaft in München1. Vorsitzender der Münchener dramatischen Gesellschaft war Michael Georg Conrad [vgl. Adressbuch für München 1905, Teil III, S. 90]. führte vor einigen WochenNach der Uraufführung der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am Intimen Theater Nürnberg (Regie: Emil Meßthaler) in einer geschlossenen Veranstaltung am 1.2.1904 trat das Nürnberger Ensemble am 29.3.1904 am Münchner Schauspielhaus einmalig mit einem ebenfalls nicht-öffentlichen Gastspiel auf [vgl. KSA 3/II, S. 1205]. Die Presse berichtete: „Im Schauspielhause fand gestern Frank Wedekinds dreiaktige Tragödie ‚Die Büchse der Pandora‘ in der durch die Münchner Dramatische Gesellschaft veranstalteten Subskriptionsvorstellung des Nürnberger Intimen Theaters eine scharf geteilte Aufnahme. Der Kampf der Parteien artete zuletzt in einen Theaterskandal erster Güte aus, doch dankte Wedekind mehrmals mit den Darstellern für den durch ein wahres Pfeifkonzert bestrittenen Applaus.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 151, 30.3.1904, Morgenblatt, S. 4]Nach der Uraufführung der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am Intimen Theater Nürnberg (Regie: Emil Meßthaler) in einer geschlossenen Veranstaltung am 1.2.1904 trat das Nürnberger Ensemble am 29.3.1904 am Münchner Schauspielhaus einmalig mit einem ebenfalls nicht-öffentlichen Gastspiel auf [vgl. KSA 3/II, S. 1205]. Die Presse berichtete: „Im Schauspielhause fand gestern Frank Wedekinds dreiaktige Tragödie ‚Die Büchse der Pandora‘ in der durch die Münchner Dramatische Gesellschaft veranstalteten Subskriptionsvorstellung des Nürnberger Intimen Theaters eine scharf geteilte Aufnahme. Der Kampf der Parteien artete zuletzt in einen Theaterskandal erster Güte aus, doch dankte Wedekind mehrmals mit den Darstellern für den durch ein wahres Pfeifkonzert bestrittenen Applaus.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 151, 30.3.1904, Morgenblatt, S. 4] meinSchreibversehen, statt: meine (oder: mein Stück).Büchse der Pandora“ auf, ein Stück von dem noch keine öffentliche Vorstellung sattgefunden hat, und ließ es sich darum doch nicht nehmen mir ein entsprechendes Honorar auszuzahlen.

In diesen beiden Fällen fand eine ganz andere Förderung der ideellen Interessen des Autors statt. Mit der Aufführung des Kammersängers e/k/ann sich die Literarische Gesellschaft in Dresden dieses Vorzuges gewiß nicht rühmen. Wenn sie sich daher den Vorwurf ersparen will, die einen von ihr | aufgeführten Autor thatsächlich geschädigt zu haben, so wird sie sich wol bereit finden mir das Honorar in der bezeichneten HöheWedekind verlangte 100 Mark [vgl. Wedekind an die Literarische Gesellschaft Dresden, 7.4.1904]. zukommen zu lassen.

Hochachtungsvoll
Frank Wedekind.


München Franz Josefstraße 42.
23. April 1904.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. 21 x 27,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Briefentwurf in Wedekinds Münchner Nachlass [Mü FW B 201] findet sich quer durchgestrichen innerhalb eines anderen Briefentwurfs Wedekinds [vgl. Wedekind an den Albert Langen Verlag, 27.4.1904]. Auf dem abgesandten Brief ist auf Seite 1 oben rechts mit rotem Buntstift von fremder Hand „Frank Wedekind“ notiert. Das Wort „Recht“ auf Seite 1 ist mit Bleistift unterstrichen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    23. April 1904 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Dresden
    Datum unbekannt

Informationen zum Standort

Stadtarchiv Dresden

Elisabeth-Boer-Straße 1
01099 Dresden
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
13.21 Literarische Gesellschaft
Signatur des Dokuments:
4f (W-Z), Bl. 14-15
Standort:
Stadtarchiv Dresden (Dresden)

Danksagung

Wir danken dem Stadtarchiv Dresden für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an (Verein) Literarische Gesellschaft Dresden, 23.4.1904. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

05.12.2023 15:55