FRANK WEDEKIND
MÜNCHEN, den 7.
April 1904
Franz Josefstr. 42/II.
An den geehrten VorstandDie drei Vorsitzenden der Literarischen Gesellschaft waren der Major a. D. und Schriftsteller Karl Elias Nicolai, der Chefredakteur Dr. Leonhard Lier und der Schriftsteller Dr. Alfred Stößel [vgl. Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1904, Teil III, S. 169]. der
Literarischen Gesellschaft
Dresden.
Sehr geehrter Herr,
vor etwa einem JahrDie Aufführung von Wedekinds Einakter „Der Kammersänger“ fand zusammen mit Oscar Wildes „Salome“ am 26.4.1903 in einer Matinee der Literarischen Gesellschaft Dresden am Königlichen Hoftheater (Direktion: Nikolaus Graf von Seebach) durch das Kleine Theater Berlin statt. ließ die Literarische Gesellschaft in
Dresden mein Stück „Der
Kammersänger“ im
Königl.Schauspielhaus aufführen und bereitete der Darbietung eine sehr ungünstige
AufnahmePaul Alexander Wolff, der Feuilletonredakteur der „Dresdner Nachrichten“, lobte zwar die Aufführung: „Gespielt wurden die beiden Stücke sehr annehmbar, der ‚Kammersänger‘ sogar recht gut. […] Bei weitem besser, stilechter gab sich die Darstellung des ‚Kammersängers‘, an der sich […] vor allem das treffsichere, fein abgerundete Zusammenspiel freudigst anerkennen ließ.“ Er beklagte jedoch die fehlende Bühnenwirksamkeit von Wildes und Wedekinds Stücken: „beide […] gehören nicht auf die Bühne, sie sind Charakterstudien in Dialogform, keine Dramen im schulmäßigen Sinne des Wortes. Wilde und Wedekind bieten lediglich bloße aneinandergereihte Szenen […] In der difficilen Natur und der prickelnden Eigenart des Sujets liegt es, daß sowohl Wedekind wie Wilde seine Aufgabe nicht restlos zu lösen vermocht, daß das psychologische Exempel bei beiden nicht ganz stimmen will, daß der eine wie der andere seine Tragödie in einen brutalen äußerlichen Effekt ausklingen läßt, der beim Lesen viel weniger stört als beim Sehen. […] Diesen brutalen Schluss nahm ein Teil des Publikums gestern mittag mit so unverhohlenem Mißfallen auf, daß neben starkem Zischen sogar Pfiffe hörbar wurden.“ Wolff berichtete ferner von „der Ablehnung der Wedekindschen Szenen“ durch das Publikum, „nur schüchtern wagte sich der Beifall für die Darstellung hervor.“ [Dresdner Nachrichten, Nr. 116, 27.4.1903, S. (2)]. Durch dieses Vorgehen ist der Kammersänger für die Bühne Dresdens
entwertet worden. Nach dem Ertrag des Stückes in andern Städten zu urteilen,
sehe ich mich dadurch in ganz erheblicher Weise geschädigt und ersuche | Sie
daher, trotzdem ich rechtlich keine Ansprüche an Sie habe, mir durch Gewährung
einer Tantiemenzahlung von 100 Mark den Schaden ersetzen zu wollen.
Hochachtungsvoll ergebenst
Frank Wedekind.