Kennung: 4623

Schaffhausen, 31. Januar 1882 (Dienstag), Brief

Autor*in

  • Plümacher, Hermann

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Schaffhausen den 31 Jan.


Lieber guter Franklin!

So eben erhalte ich deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Hermann Plümacher, 30.1.1882., der mich in Kenntniß setzt von der Parteilichkeit der Lenzburger Behörden. Daß für den UnsinnHintergrund der Aufregung war ein Jugendstreich von Frank Wedekinds 2 Jahre jüngerem Bruder Willi, der am 10.1.1882 zusammen mit Albert Calame „auf das Abtrittfenster im 1. Stock des Gasthauses ‚Krone‘ geschossen“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 18] hatte und daraufhin von der Bezirksschule Lenzburg verwiesen worden war. Vater Friedrich Wilhelm Wedekind wurde scharf verwarnt, da er seine Aufsichtspflicht hinsichtlich des Gewehrs (eines Flobert-Stutzers) schwer verletzt hatte [vgl. ebd.]. ihnen 2 oder 3 Stunden nich ArestSchreibversehen, statt: Arrest. nichts schaden, das wirst du auch zugeben, aber solch eine unnm unmenschliche Strafe ist ist nichts, und noch dazu den 1ten 9 dennSchreibversehen, statt: den (bzw. dem). andern aber 72 StundenDie Lehrerkonferenz, die am 17.1.1882 in der Angelegenheit getagt hatte, beantragte bei der Schulpflege die „Ausweisung“ der beiden Schüler von der Schule sowie 9 Stunden Arrest im Rathaus („von 8 bis 5 ohne Beköstigung“) für Willi Wedekind. Der Empfehlung, „gegen diesen Schüler“ den Richter anzurufen, „weil die öffentl.[iche] Sicherheit auf schreckl.[iche] Weise gefährdet“ worden und er 16 Jahre alt sei, folgten die Behörden und verurteilten ihn zu drei Tagen (72 Stunden) Haft. Für Albert Calame wurde der Schulverweis durch einen 9-stündigen Arrest ersetzt [vgl. Stadtarchiv Lenzburg III LD.3 Protokolle der Lehrerkonferenz der Bezirksschule, 1870-1886 (nicht paginiert), 17.1.1882].. Aber warum hat dann den VaterSchreibversehen, statt: dein (oder: der) Vater – Friedrich Wilhelm Wedekind. nicht rekours ergriffenschweiz. Rechtssprache: Einspruch erhoben. gegen einen solchen Urtheilsspruch? | Das ist gegen den Fremden ugerechtSchreibversehen, statt: ungerecht. - Frank Wedekind, dessen Familie 1872 zugezogen war, zählte nicht zu den Einheimischen. und mit 2erlei Maaß gemessen. Da aber GalamSchreibversehen, statt: Calame. Albert Calame aus Basel war 1877 – nach dem Tod der Eltern – mit seinen beiden Geschwistern zur Verwandtschaft nach Lenzburg gekommen, besuchte im Schuljahr 1881/82 die II. Klasse der Bezirksschule in Lenzburg und war ein Schulfreund von Willi Wedekind. ein VerwanterSchreibversehen, statt: Verwandter. zu Ringier et Comp nicht identifiziert – nahe verwandtschaftliche Beziehungen bestanden zwischen den Familien Calame, Ringier, Oschwald, Hünerwadel und Bertschinger. Albert Calames verstorbene Mutter Albertine war eine geborene Hünerwadel. Ihre älteste Schwester, Sophie Hünerwadel, hatte den Handelsmann Salomon Alfred Oschwald aus Schaffhausen geheiratet und war über ihn mit der Lenzburger Schriftstellerin Fanny Oschwald-Ringier verschwägert, die wiederum neben den eigenen Kindern noch die 3 verwaisten Kinder ihres Bruders Rudolf Ringier großzog. Direkt verwandt waren die Lenzburger Ringiers nicht mit Albert Calame, der bei dem Kaufmann Otto Bertschinger und seiner Frau Emma, einer ebenfalls älteren Schwester seiner Mutter, lebte. Sein Vetter Heinrich Hünderwadel, Sohn der jüngsten Hünerwadel-Schwester Karoline und des Friedrich Adolf Hünerwadel, war zusammen mit Willi Wedekind und Hermann Plümacher am 4.5.1878 in die I. Klasse der Bezirksschule Lenzburg aufgenommen worden [vgl. Die Nachkommen des Hans Martin Hünerwadel in Lenzburg 1609 1937, Töchter No. 89, 91, 97, 101 (Stadtarchiv Lenzburg III X4, V Nr. 1 b); Auskunft des Lenzburger Stadtarchivars Christoph Moser].ist, so kanSchreibversehen, statt: kann. man sich über so was nicht wundern. Den VaterSchreibversehen, statt: Dein (oder: Der) Vater., sollte aber da eingreifen b denn das ist ja unter dem HundRedensart, für: sehr schlecht..

Was du da sagst von Durchprügeln billige ich, u es reut mich daß ich nicht dabei sein kann., denSchreibversehen, statt: denn. das würde mich freuen meine steifen Glieder ein wenig in Bewegung zu setzen, auf dennSchreibversehen, statt: den. Rücken eines der Herren Ringier Oschwald HunerwadelWelche männlichen Mitglieder Hermann Plümacher konkret meinte, ist nicht ermittelt. et cetera. |

Trotz deinem Verbote, hab ich es der Mamma gesagt, doch du weißt auf sie kannst du dich verlassen und wird sie dir einige Zeilenvgl. Olga Plümacher an Wedekind, 31.1.1882. in meinen Brief beilegen. Dann habe ich Grüße von P. Schenkvermutlich Schreibversehen, statt: B. Schenk; Bernhard Schenk, gelernter Gärtner, der als Autodidakt zu Mineralien, Pflanzen, Tieren der Umgebung forschte und in Stein am Rhein eine Naturalien- und Lehrmittelhandlung betrieb. an euch auszure/i/chten.

Doch noch einmal von der Geschichte: was fehlt dem Willi, daß er so „dumm[“] handelt?

Über das erklärenSchreibversehen, statt: das Erklären; die Interpretation von Stellen aus Goethes Faust und Schillers Werk, um die Hermann Plümacher gebeten hatte [vgl. Hermann Plümacher an Wedekind, 27.1.1882]. bin ich dir dankbar, u freue mich daß es nur das bedeutet, doch hast du viel zu fein durch die „Blume“ geredt, denn ich Kaffer(jiddisch) Bauer, Dörfler; dummer Kerl. hab’ es nicht verstanden. Rede ein ander mal nur frisch von der Leber weg, ich hab einen starken Magen | und nehme dir nicht gleich etwas übel. Die Geigedie einige Tage zuvor angekündigte Geige [vgl. Hermann Plümacher an Wedekind, 27.1.1882], das später auch als Indianergeige oder Gitarre bezeichnete Instrument. geht mit der =Post. Möge Sie dir viel Vergnügen bereihtenSchreibversehen, statt: bereiten.. Wie geht es dir in AarauNachdem er für ein halbes Jahr von der Schule abgemeldet war, besuchte Wedekind seit November 1881 wieder die II. Klasse des Gymnasiums der Kantonsschule Aarau. Er wurde aus gesundheitlichen Gründen vom Turnen und Singen befreit [vgl. StAAG, DE02/0167/03 (Aufnahmen, Entlassungen Dispensationen)] und hatte ein Pensionszimmer bei Regula Huber am Zollrain 88 in Aarau [vgl. Kutscher 1, S. 33].? in welcher Klasse bist Du? wo kommst du noch g/j/eden Abend heim? Sieh das sind so f/F/ragen, die ich na an dich re/i/chte u dich bitte sie mir bald zu beantworten.

Ich war Unwohl, hatte eine Halsentzündung, bin aber wieder auf den Beinen. Also viele Grüße an die Deinen u den armen Willi, sag ich verzeihe ihm seine Sünden, er wird schon wissen was.

Bleibe gesund u wohl, erfreue u erlabe dich an deiner Gitarre und sei gegrüßt u geküßt von d. dich lieb
H. P.


[um 90 Grad gedreht:]

Natürlich schreibst du mir bald, so daß ich dich nicht auch ermahnen muß’

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Jahr des Schreibdatums, von dem Tag („31“) und Monat („Jan.“) gegeben sind, ist durch inhaltliche Implikate sicher erschlossen: Hermann Plümacher kündigt im vorliegenden Brief (31.1.) den postalischen Versand der Geige an, die er dem Freund im vorangegangenen Schreiben (27.1.1882) auf Abruf angeboten hatte.

  • Schreibort

    Schaffhausen
    31. Januar 1882 (Dienstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Schaffhausen
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Pharus I. Frank Wedekind. Texte, Interviews, Studien

Titel des Aufsatzes:
Frank Wedekind und Hermann Plümacher. Unveröffentlichte Briefe.
Autor:
Manfred Luchsinger
Herausgeber:
Elke Austermühl, Alfred Kessler, Hartmut Vinçon. Editions- und Forschungsstelle Frank Wedekind
Ort der Herausgabe:
Darmstadt
Verlag:
Verlag der Georg Büchner Buchhandlung
Seitenangabe:
428
Briefnummer:
4
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 129
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Hermann Plümacher an Frank Wedekind, 31.1.1882. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

19.02.2024 13:19