Kennung: 4498

Lenzburg, 28. Oktober 1885 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, William

Inhalt

Schloß Lenzburg, October 85.


Lieber Willy.

Dein lieber BriefWilliam Wedekinds Brief vom 24.10.1885 an den Vater (dem Briefinhalt zufolge der Adressat) ist nicht überliefert. vom 24Samstag, den 24.10.1885. hat große Beruhigung bei uns hervorgerufen. Anderseits aber war Papa wiederum enttäuscht, da er sich den Schülerbestand des EtablissementsWilliam Wedekind besuchte in Saronno die Schule von Prof. Giovanni Battista Torretta, der in der Presse regelmäßig annoncierte, so zum Beispiel in einer in Bern erschienenden Zeitung: „Institut Torretta in Saronno. Unterzeichneter und sein im Jahre 1872 verstorbener Bruder, Professor A. Torretta, haben im Jahre 1860 in Rho gemeinsam ein unter ihrer Leitung stehendes Kolleg gegründet. Im Oktober 1877 verlegte der Unterzeichnete dieses Institut nach der gewerbreichen Stadt Saronno, an der Bahn zwischen Mailand und Como. Dort steht dieß Institut zur Zeit in schönster Blüthe. In demselben wird jungen In- und Ausländern kaufmännischer und technischer Unterricht ertheilt. Nach gegenseitiger Uebereinkunft wird den jungen Leuten auch praktischer Unterricht in der italienischen, deutschen, französischen, russischen und englischen Sprache ertheilt. Außerdem steht das Institut im Rufe einer vorzüglichen Pension […] Prof. Dr. G. B. Torretta. Pensionspreis, Alles inbegriffen, monatlich Fr. 90.“ [Der Bund, Jg. 32, Nr. 227, 18.8.1881, S. (8)] Später firmierte die Schule als: „Internationales Unterrichts-Institut Torretta, Saronno bei Mailand (in der Nähe der Eisenbahnstation), für Ausländer, welche die italienische Sprache in wenigen Monaten lernen wollen. Pensionspreis: Fr. 90 monatlich, Unterricht, Kost, Wohnung, Beleuchtung, Reinigung und Plätten der Wäsche, sowie Nebenausgaben inbegriffen.“ [Der Bund, Jg. 39, Nr. 245, 4.9.1888, S. (6)] ein wenig größer vorgestellt hatte. Daß der Unterricht in den Classen dem hiesigen Gemeindeschulunterricht ungefähr gleichkomme, meint Papa, sei doch wol ein wenig übertrieben, da ja die Kinder der besseren Familien ihre Bildung | darin suchen. Du bittest Papa um einen DictionaireSchreibversehen, statt: Dictionnaire (frz.) = Wörterbuch., worauf Papa sich nach seinem früherenFrancesco Valentinis „Taschen-Wörterbuch der italienischen und deutschen Sprache. In zwei Theilen“ (10. Auflage, Leipzig 1878). Neben diesem zweibändigen Werk hat Francesco Valentini, Professor für Italienisch in Berlin, auch ein umfassendes vierbändiges Nachschlagewerk herausgegeben: „Vollständiges deutsch-italienisches und italienisch-deutsches grammatisch-praktisches Wörterbuch. Gran dizionario grammatico-pratico tedesco-italiano, italiano-tedesco“ (4 Bände, Leipzig 1831-1836). , dem Valentini erkundigte. Ich sagte ihm den hätt er mir gegeben und als ich kein Italiänisch mehr gehabt hätte, hätt’ ich ihn Dir gegeben und Du müßte hättest mir den E einen Band in LausanneWilliam Wedekind absolvierte seit November 1883 in Lausanne eine kaufmännische Lehre. Frank Wedekind studierte dort nach seinem Abitur im April 1884 ein Semester lang Literaturwissenschaft und „wohnte bis Juli 1884 mit seinem Bruder bei dem Tierarzt E. Gros in der Villa Mon-Caprice am Chemin de Montchoisy“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 28] (das war Emile Daniel Gros). wieder zurückgegeben. Diesen einen Band wirst du nun mit der Wäsche erhalten und sollst mir schreiben ober der andere Band noch in Deinem Besitze sei.

Daß Euch im Tag nur eine reguläre Unterrichtsstunde gegeben werde, sei auch sehr wenig. Daher mögest du in den Stunden der Schule doch zuhören, so viel dir immer möglich sei und mögest dich besonders des Italiänisch-Sprechens | befleißigen. –

Ich bleibe jetzt noch bis nächsten Montagbis zum 2.11.1885, wie sich aus einem Brief Frank Wedekinds von Ende November ergibt: „seit fast einem Monate bin ich nun wieder in München“ [Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind, 27.11.1885]. hier, dann gehe ich wieder nach MünchenWedekind studierte seit dem Wintersemester 1884/85 auf Wunsch seines Vaters Jura in München.. Gestern Abend traf Armin für einige Tage ein. Den Ami Piffardder Roman „Mon Ami Piffard et Chipolata“ (1844) des französischen Erfolgsschriftstellers Paul de Kock. Die deutschen Übersetzungen (seit 1845) übersetzten auch den Titel, so dass Wedekinds Nennung des Originaltitels nahelegt, dass er den Roman auf Französisch gelesen hat. Paul de Kock „wurde bei seiner pikanten, oft leichtfertigen und schlüpfrigen Darstellung der Sitten und Gebrechen der Pariser Gesellschaft bald der Liebling des französischen Leihbibliothekenpublikums.“ [Meyers Konversations-Lexikon. Band 9. Vierte Auflage. Leipzig 1887, S. 910] hab ich mit vielem Vergnügen gelesen. Jetzt werd’ ich dann die Nana„Nana“ (1880), der neunte Band des naturalistischen Romanzyklus „Les Rougon-Macquart“ (1871-1893) von Emile Zola, später eine der Quellen von Wedekinds „Lulu“-Tragödie [vgl. KSA 3/II, S. 967]. in die Hand nehmen. In München werd ich mich jedenfalls nach Lectüre für Dich umsehen. – Tante JahnZu der Apothekerwitwe Bertha Jahn – Frank Wedekind bezeichnete sie als seine ‚erotische Tante‘ [vgl. Kutscher 1, S. 106] – pflegte er seit Mitte August 1884 ein „Liebesverhältnis“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 120], das er zu beenden dachte (siehe unten). ist richtig dahinter gekommenwohl Anspielung auf einen Versuch, das Liebesverhältnis (siehe oben) zu beenden, vergleichbar jenem „fingierten Distanzierungs- und Täuschungsversuch[ ] Bertha Jahn gegenüber, er habe sich in eine Angelika verliebt“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 120], dokumentiert in einem Brief an sie [vgl. Wedekind an Bertha Jahn, 9.11.1885].. Es gab einen großen Krach mit schlaflosen Nächten, langen Moralpredigten und vielen rührenden GedichtenGedichte Wedekinds an Bertha Jahn und gemeinsame Gedichte sind überliefert [vgl. KSA 1/I, S. 153-172, 383; vgl. dazu KSA 1/I, S. 781].. Ich hab aber alles wieder ins beste Geleis gebracht. – Und nun leb’ wohl b/a/uf baldiges w/W/iedersehn bleib ich mit besten Grüßen Dein treuer Bruder
Franklin.


[Kuvert:]


Signore W. Wedekind
p. a. Signore B. G. Torretta
die/r/ectore del institutione comerzial
Sarronna/ofehlerhafte Sofortkorrektur, statt: Saronno./
presso(ital.) bei. di Milano.

fr.Der Hinweis ‚franco‘ (frei) verweist darauf, dass Frank Wedekind das Briefporto bezahlt hat.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist entsprechend dem Hinweis (franco) nicht frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 28.10.1885 ist als Ankerdatum gesetzt. Der Brief wurde zwischen dem Eintreffen von William Wedekinds erwähntem Brief (frühestens 25.10.1885) und Frank Wedekinds Abreise am kommenden Montag (2.11.1885) geschrieben.

  • Schreibort

    Lenzburg
    28. Oktober 1885 (Mittwoch)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Saronno
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 214
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an William Wedekind, 28.10.1885. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

23.05.2023 17:05