Kennung: 3856

Aarau, 17. September 1881 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Schibler, Oskar

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

17.9.81. Aarau.


Mein lieber Franklin!

Vielen Dank für deinen poetischen Grussdie unter dem Titel „An Oskar“ zusammengefassten Gedichte „Ha, wie durchbebt es meine Glieder“ und „Die Bärin wohnt im tiefen Walde“, die Wedekind Oskar Schibler zu dessen Geburtstag zugeschickt hatte [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 16.9.1881].; er enthält sehr viele gefühlvolle, zarte, ansprechende Stellen so dass es einem kalt über die Haut rieselt & dann wider siedend heiss ins Gehirn steigt. Deine Muse ist reizend nur zu reizend, in einem duftigen, leichten Gewande, hebt sie eher ihre Schönheiten als dass sie dieselben verschleiert. Dies das Urtheil über die erste Abtheilung.

Hier ist das Gewand gefallen & damit der Reiz verschwunden. Ein Weib ohne Reiz was ists – Fleisch, & dieses Fleisch reizt auch nicht.

Wende dich wider(schweiz.) wieder; wider. einmal einem lyrischen Gedicht zu, du wirsdSchreibversehen, statt: wirst gewiss etwas brillantes zu Stande bringen. |

Nun bitte ich dich um einen Rath. Der MaturitätswixAm 30.9.1881 feierten die Kantonsschüler mit einem Kommers die Verabschiedung der Abiturienten der Gewerbeschule. steht unmittelbar vor der Thür & ich hab, nicht durch meine Schuld fast gar nichts zum AufführenAls Freimütiger des Kantonsschülerturnvereins (KTV Aarau) hatte Oskar Schibler die Aufgabe, die Ideen für Präsentationen zu entwickeln, mit Füxen und Burschen einzustudieren und in Konkurrenz zu den anderen Schülerverbindungen zur bestmöglichen Aufführung zu bringen.. Es bleibt mir somit in den 14 Tagen, die noch übrig sind nichts anders als ein WachsfigurencabinetSammlung von „Wachsfiguren“: „die meist lebensgroßen, plastischen Darstellungen von merkwürdigen Persönlichkeiten und Gruppen, an denen das Nackte von Wachs, die Gewandung aber wirklich, der Körper darunter ausgestopft ist.“ [Brockhaus’ Konversationslexikon 14. Auflage, Bd. 16, 1903, S. 426] Berühmt waren die Tussaudsche Sammlung (1780 in Paris eröffnet, seit 1802 in London) sowie das Panoptikum der Brüder Castan in Berlin (1869). (zur andern dramat. Aufführung) zu arrangiren. Du wirst begreifen, dass die Wahl der vorzustellenden Persönlichkeiten nicht gleichgültig ist, sondern quasi die Hauptsache ist. So bitte ich dich wenn du vielleicht einen glücklichen Gedanken hast mir ihn bis nächsten Mittwochden 22.9.1881. Zu Wedekinds Ratschlag in der Angelegenheit vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 18.9.1881. mittheilen zu wollen). Ich habe bis jetzt nur 2.

Auffindung MosesDie Tochter des Pharaos, die mit ihren Dienerinnen zum Baden an den Nil geht, findet im Wasser das Kleinkind Moses (den späteren jüdischen Propheten), der, um ihn vor der Ermordung zu retten, zuvor von seiner Mutter in einer Schachtel ausgesetzt wurde [vgl. Exodus 2, 1-10]. – Das Motiv begegnet verschiedentlich in der bildenden Kunst, unter anderem in den Gemälden „Die Auffindung des Moses“ von Peter Paul Rubens und „Auffindung Moses durch die ägyptische Königstochter“ des zeitgenössischen Historien- und Porträtmalers Bernhard Plockhorst, einem Vertreter der Spätnazarener. durch die egyptische Königstochter.

Es sollten noch einzelne classische Gestalten zugezogen werden welche recht profanirt werden können. Wenn du Zeit & Lust hast kannst du ja gerade einige | Worte dazu machen, welche zur Erklärung dienen. Ich bin nämlich bis Montagden 20.9.1881 verflucht mit Arbeit überlastet, so dass mir keine freie Zeit übrig bleibt. Drum bitt ich dich mit Herzen, Mund & Händen mir hiebei etwas an die Hand zu gehen.

Du wirst bald einmal denken ich sei ein unverschämter Mensch. Bitten nichts als Bitten schreibt er hieher. Doch entschuldige mich ich baue auf deine Freundschaft wie auf die Felsen des Lebanon.

In 14 Tagen haben wir nun FerienDie Herbstferien, die das Ende des ersten Schulhalbjahres einläuteten, dauerten drei Wochen, vom 1.10.1881 bis zum 22.10.1881. In welchen wir hoffentlich nun öfters Gelegenheit haben werden uns zu treffen. & dann


Weit werf ichOskar Schibler zitiert die vier Schlussverse aus Heinrich Leutholds Gedicht „Entsagung“ (1857). weg das klagende Erinnern
An eine Welt, die mir nur Wunden schlug‘.
Trag ich nicht selber eine Welt im Innern?

Verlangend Herz, sei du dir selbst genug! |


Noch einmal meinen Dank für das Zeichen deiner Freundschaft, herzlich sei gegrüsst von deinem
O.


Schreib mir also bald.


Gruss an deine werthen Eltern & Armin. Wenns dir möglich ist so komm nächste Woche einmal. Schick aber vorher eine Carte.

in aeternum(lat.) in Ewigkeit. Dein

F.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Rautiertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß: 13,5 x 21 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Auf Seite 1 am linken Rand vor dem zweiten Absatz hat – vermutlich Wedekind – die Bleistiftnotiz „II“ ergänzt.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Aarau
    17. September 1881 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Aarau
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Lenzburg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 156
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Oskar Schibler an Frank Wedekind, 17.9.1881. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Anke Lindemann

Zuletzt aktualisiert

18.01.2023 22:32