Kennung: 2744

Sexten, 27. Juli 1914 (Montag), Brief

Autor*in

  • Strindberg, Friedrich

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

27.VII.1914.


Mein lieber Frank!

So sehr peinlich es mir ist, bitte ich Dich vielmals um Entschuldigung, wenn ich Dich von allen Umständen gezwungen ersuchen muß, mir mitzuteilen, ob Du noch geneigt bist, für mich das letzte zu tun!

Die für mich – wie für Dich – so unangenehmen MißverständnisseIn seinem nicht überlieferten Stück „Menschenrecht“ schilderte Friedrich Strindberg unter anderem auch einen Familienvater, der eine Affäre mit einer Kellnerin hatte und porträtierte daneben Wedekinds Münchner Freundeskreis, wie er ihn während seines Aufenthalts Ende 1913 kennengelernt hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]. Als Wedekind einen Erpresserbrief wegen einer angeblichen Affäre mit einer Münchner Kellnerin erhielt, führte er dies auf Friedrich Strindbergs literarische Aktivitäten zurück [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914] und brach den Kontakt zu ihm ab., die aus dem Stück entsprossen, haben noch in ihren Schlußfolgerungen nicht aufgehört. Wie man nur das unreife Stückich mußte gestern vor bei der Lektüre nur lachenFriedrich Strindberg unterpunktete die Zeile („ich mußte […] nur lachen“) und unterstrich die letzten beiden Worte noch zusätzlich. – so mißverstehen kann und so übel deuten konnte, wie alle, alle; außer – mir. Ich habe innerlich damit abgeschlossen; vor 2 Wochen hielt ich noch daran fest und glaubte es druckreif. Heute würde ich es eine Komödie nennen! Dies als mein innerstes Geständnis. |

Weil wir uns entzweiten, wirft mir meine Großmutter als Sündenbock einen Einbruch in meiner Schwester Lade vor. Ich habe eine Uhr gestohlen, andere Dinge geraubt. So sagt sie. Ich schrieb ihrDer Brief Friedrich Strindbergs an Marie Uhl ist nicht überliefert. erst vor 8 Tagen von einer „schurkischen, von der Polizei nicht aufgeklärten Tat“, derenthalben wir uns entzweiten. Sie weiß aber nichts näheres von der Geschichte. Doch weil ich ihr nichts hievon schreib – habe ich also Dir anscheinende den Erpresserbrief geschrieben.

Ich machte Ihr keine Mitteilung von unserem gegenseitigen Verhältnis ober der Affaire, die ich selbst nicht mehr halten kann. MühsamFriedrich Strindberg hatte Erich Mühsam wiederholt Artikel für dessen Zeitschrift „Kain“ zugesandt. Die Korrespondenz ist nicht überliefert. Kurz vor seinem Brief hatte er Erich Mühsam anlässlich einer Theateraufführung von Studierenden von Artur Kutscher in Salzburg persönlich getroffen [vgl. Artur Kutscher an Wedekind, 11.7.1914]. hat mir den Gedanken eingeflößt, ich glaubte ihm nicht; doch er ist in Erfüllung gegangen. Aber ich wollte die alte Frau, die es voraussahMarie Uhl hielt Friedrich Strindbergs Drama „Menschenrecht“, das er ihr vorgelesen hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 9.5.1914], für kompromittierend für Wedekind und dessen Familie [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.5.1914]., nicht kränken. Meine KorrespondenzFriedrich Strindbergs Briefe an Marie Uhl sind nicht überliefert. blieb aufrecht mit ihr, deshalb schrieb ich: „Herr Wedekind spielt da, weilt dort“ u.s.w., was ich | aus den Tageblättern wußte. Daraus nach ein paar Deutungen meines Verhaltens der Schluß: „Mein Haus darfst, d/D/u nie mehr betreten“….

Der Brief liegt bei!

Und nun bitte ich Dich, wenn Du ein bischen für mich Zuneignung über hast, um eines: – Du wirst Dir auch vielleicht denken „wird ein Junge verrückt aufgezogen, wird er auch verrückt“. Und das mag ich nicht werden. 6 Jahre kämpfte ich dagegen, aber es hilft nichts. Ich muß deshalb fort!! Ich wollte es schon seinerzeit, da lernte ich Dich kennenFriedrich Strindberg hatte seinen Vater erst als 16-Jähriger im September 1913 kennengelernt. Er nahm am 14.9.1913 telefonisch in Berlin Kontakt auf und traf sich anschließend dort zwei Tage mit ihm [vgl. Tb].. In keine Stadt will ich, wo mich meine Großmutter gleich hat. Sondern nach Italien oder in die Schweiz. Oder nach Paris ohne Französisch…Weg von Deutschland. Nur fort!! |

Aber daß ich mich nicht hungernd, bettelnd bis zur nächsten Redaktion schleppen muß oder zu Fa/r/au CailleauxHenriette Caillaux, die Frau des französischen Finanzministers Joseph Caillaux, hatte am 5.3.1914 den Chefredakteur des „Figaro“, Gaston Calmette, in der Redaktion der Zeitung erschossen, nachdem dieser gedroht hatte, Liebesbriefe von ihr zu veröffentlichen. Die Presse meldete zum Prozessbeginn: „Paris, 19. Juli. Madame Caillaux wurde heute vormittag in die Conciergerie gebracht, wo sie während der Prozeßverhandlung verbleiben wird.“ [Arbeiter-Zeitung, Jg. 26, Nr. 198, 20. Juli 1914, S. 2] Zuvor war sie im Gefängnis Saint-Lazare inhaftiert. Der Prozess fand großes Interesse in der Presse. Madame Caillaux wurde am 28.7.1914, einen Tag nach Friedrich Strindbergs Brief, aufgrund vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen. (?), die ich besinge, bitte ich Dich, verzeihe mir bitte! um Geld. Ich belästige Dich nicht mehr; und wenn sie Dich fragen, so weißt Du nichts von mir. Du machst Dich mir nicht zum Mitschuldigen, sondern zum Befreier!

Auch bitte ich Dich, mir soviel zu vertrauen, daß niemand es erfährt, woher ich die Mittel habe. EnttschiedenSchreibversehen, statt: Entschieden. komme ich ebenso hier eher um, als dort, wo ich meine Kräfte anspanne, wo ich frei bin. Sonst muß ich eben ohne Deine Hilfe davongehen; denn ich gehe sicher innerhalb der nächsten 8 Tage. Bitte sende mir auch das Geld eventuell mit Namensnennung, postlagernd: Sexten, Pustertal, Tirol.

(In einem Kouvert vielleicht, rekommandierteingeschrieben., oder wie Du glaubst.)

Mit dieser dringenden Bitte grüßt Dich
Dein Friedrich.


[Beilage: Brief von Marie Uhl an Friedrich Strindberg:]


Mondsee 25. Juli 1914


Die noch nicht aufgeklärte „schurkische Tat“ ist“ so haarsträubend gräulich, wie der Einbruch in Kerstinens Kiste u. der Raub ihrer schönen Stehuhr u. weiterer Dinge……diese beiden „Taten“ sind nicht mit einem „ist schon wieder verziehn“ abgetan, sie verdienen exemplarische Strafe – dein Vater muß erfahrenMarie Uhls Ankündigung, Wedekind zu informieren, ist nicht durch weitere Korrespondenzstücke belegt. Sie mag jedoch Friedrich Strindberg bewogen haben, den Brief der Großmutter an ihn zu seiner Entlastung dem Schreiben an Wedekind beizulegen. wer sein Sohn ist – nicht allein minderwertig, nein, ein Verbrecher! Ein Nichtswürdiger! Ein andrer Räuber schont die Seinigen u. seine Woltäter, während bei diesem Schurken es sein | seinaufgrund des Seitenwechsels versehentlich wiederholtes Wort. nächstes Ziel ist das zu vollbringen. Beim geliebten Vater, bei der lieben GroßiKosename für: Großmutter.!!! der Großi, die alles für ihn getan, dem Vater, der Alles für ihn tun wird! der ihn mit so liebevollen Armen aufgenommen, der ihm sein ganzes Herz geschenkt, der vor Liebe u. Freude halbtoll geworden ist. So! Und warum, für was? Du hattest mir Alles mögliche verrechnet….nur den Hauptzweck nicht….also dafür. O du elender Wicht! Für’s Laster verkaufst Du Alle u. Alles. | Der Beweis, daß ich Dir nicht unrecht tue, ist: Du hast mir nie gesagt, daß es sich um eine schurkische Tat handle, u. hast mich immer glauben machen wollen, Du stündest in Beziehungen mit H. W. Nichts als Lug u. Trug – wofür? Damit ich nicht erfahre, daß Du ein Dieb bist, u. im trüben fischen kannst. Du wagtest nicht mir das zu sagen, weil Du weißt, daß ich sofort die Wahrheit gewußt hätte – – – aber nun – – – mein Haus darfst du nie mehr betreten, wagst Du es dennoch, so liegst Du auch schon im Zuchthaus, denn ich habe leider! aus dem Hause Jemanden des Einbruchs falsch beschuldigt. Wie konnt ich denken, daß mein eigener Enkel der Räuber ist. Ich kann u. darf’s deinem Vater nicht verschweigen, das hieße Dein Verbrechen unterstützen u. Dir freien LaufpassEntlassungsschein beim Militär; „freien Laufpass geben“ hier für: ermöglichen. geben zu weiteren „Taten“. 10 Kronen für Fischerei bekommst Du nicht. Meinst Du, ich werde zugeben, daß Du dieselben NiederträchtigkeitenZusammenhang nicht geklärt. machst wie voriges Jahr mit den armen Fischen? Ich verbiete] Schreibversehen, statt: verbitte. mir, daß Du mir nochmals schreibst. Ich habe nichts mehr mit Dir zu schaffen.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 8 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift. Einzelne Buchstaben in Kurrent. Beilage: Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13 x 17,5 cm. Gelocht. Beilage: Papier. 2 Blatt [= 1 Doppelblatt]. 4 Seiten beschrieben. Seitenmaß 11 x 15 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Versehentliche Zusammenschreibungen hat Friedrich Strindberg durch einen senkrechten Strich in Sofortkorrektur aufgehoben. Bei der Beilage handelt es sich um einen Brief Marie Uhls an Friedrich Strindberg vom 25.7.1914 aus Mondsee.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Die am gleichen Tag versandte Postkarte trägt den Stempel „Sexten“; vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.7.1914.

  • Schreibort

    Sexten
    27. Juli 1914 (Montag)
    Sicher

  • Absendeort

    Sexten
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 165a
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Friedrich Strindberg an Frank Wedekind, 27.7.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

07.06.2022 18:45