Kennung: 2739

Salzburg, 7. Juni 1914 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Strindberg, Friedrich

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Lieber Frank!

Da Dich mein Geschick in den letzten Tagen doch interessieren dürfte, teile ich es Dir mit!

Vor knapp einer Woche fiel es meiner Großmama ein mich – Offizier werden zu lassen und mich wegen meiner „Unfähigkeit zu beinahe jedem andern Beruf“ in die Kadettenschuleweiterführende Schule, die zugleich auf eine Offizierslaufbahn vorbereitet. zustecken, wo der Mensch, wie Sie schriebDer Brief Marie Uhls an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert., moralisches Rückenmark erhält. Und das täte mir vor allem not! Ich weigerte mich, so gut ich konnte, doch es half mir | (mir) weder meine Vorliebe für einen anderen, unschwer zu erratenden Berufder des Schriftstellers. Wegen Friedrich Strindbergs nicht überliefertem Stück „Menschenrecht“ kam es zum Zerwürfnis mit seinem Vater, der einen an ihn gerichteten Erpresserbrief auf die schriftstellerische Tätigkeit seines Sohnes zurückführte [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]., noch mein momentaner Haß gegen diesen. Freitagsvermutlich am 5.6.1914. kam ich zur Stellung, wobei ich dem MilitärarzteIdentität nicht ermittelt., der mehr gutes Mitgefühl hatte, als meine Großmama, die mir erst kürzlich schriebDer Brief Marie Uhls an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert.: – „was Du eben nicht willst, will immer ich“ – meine diversen Neigungen diskret mitteilte; er erklärte mich, gottseidank, infolge kurzsichtigkeit des linken Auges als „untauglich“!

Was nun mit mir geschieht weiß ich nicht – meine Absicht ist MaturaReifeprüfung nach einer höheren Schulausbildung, die zum Studium berechtigt. (noch 3 Jahre!!!) und Universitätsstudium; – weder Jus(lat.): Recht, Sitte Gewohnheit; hier für Jurastudium. (noch) | noch irgendeine Germanistik, sondern „psychologische Medizin“Für die Etablierung des Fachs „medizinische Psychologie“ oder „psychologische Medizin“ setzte sich vor allem der Züricher Psychiater Eugen Bleuler ein. Über seinen Vortrag auf der Jahresversammlung des Internationalen Vereins für medizinische Psychologie und Psychotherapie in Wien (19. und 20.9.1913) hatte die Presse kurz zuvor berichtet: Demnach muss diese Disziplin „die direkten und indirekten psychischen Krankheitsursachen kennen lehren: sie muß zeigen, was in einem Krankheitsbilde psychisch ist und was nicht […]. Sie muß die Indikationen und die Methoden der Psychotherapie lehren und hat den Arzt dahin zu erziehen, daß er genügende Rücksicht nimmt auf den psychischen Zustand des Patienten […]. Außerdem muß gezeigt werden, was für psychische Zusammenhänge im Zusammenleben der Einzelnen wie in der Gesellschaft, in der Politik, in der Dichtung und Literatur, in Geschichte und Religion und Mythologie und Gesetzgebung existieren.“ [Wiener Medizinische Wochenschrift, Jg. 64, Nr. 21, 23. Mai 1914, S. 1154] zieht mich an; vielleicht im Gedenken dessen, daß man in der Medizin doch der Natur – dem „Stein d. Weisenhier im Sinne einer universellen Erkenntnis von Zusammenhängen, einer Lösung aller Rätsel.“ am nächsten kommt.

Ich las von der gut gelungenen „Oaha“-AufführungAuf Wedekinds Gastspiel-Premiere von „Oaha“ an den Kammerspielen des Deutschen Theaters am 4.6.1914 folgte tags darauf ein Verriss in der genannten Zeitung: „Man soll rasch darüber hinweggleiten, und man soll den anderen Wedekind, den aus der Tiefe holenden, tapfer in Schutz nehmen gegen den Autor einer Szenenfolge, die mehr ein Gezänk als eine Satire ist. […]. Das ganze Durcheinander löst sich fast nie aus dem Zustand der Detailbeobachtung und nie aus der Sphäre des persönlichen Grolles, und wenn es endlich am Schluß phantastisch werden möchte, dann fehlt der Humor. […] Auch des Dichters Regie ist dürftig. […] Wedekind gibt den Verleger Sterner, den schwächsten und geistig unbedeutendsten aus dem Album grotesker Hochstapler und Egoisten, das er uns angelegt hat. Er fängt ihn mit einem lustigen Fistelton ganz hübsch an, hört aber dann auf, sinkt ins Dilettantische und wird ganz unsicher.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 279, 5.6.1914, Morgen-Ausgabe, S. (3)] im Berliner Tageblatt, (?), auch von der Berliner Plakette„Aus Berlin meldet man: Zu Wedekinds 50. Geburtstag wird ein Wedekind-Preis errichtet in Gestalt einer Wedekind-Plakette, die jährlich am 24. Juli Schriftstellern, die ein eigener Ausschuß bestimmt, zuerkannt wird. Also eine Art Wedekind-‚Orden‘ für Dichter, die seines Geistes sind.“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 44, Nr. 117, 26.5.1914, S. 8] Das Projekt wurde nicht realisiert..

Mit herzlichen Wünschen
auf Beifall allerseits grüßt
Dich
Dein Friedrich Strindberg.


Salzburg am 7. Juni 1914.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift. Einzelne Buchstaben in Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11 x 17,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Salzburg
    7. Juni 1914 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Salzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 165a
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Friedrich Strindberg an Frank Wedekind, 7.6.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

31.05.2022 16:06