AbschiedsklängeAnlass für den Abschieds-'Brief' war, dass Minna von Greyerz im September 1884 am Konservatorium in Dresden ein Gesangs- und Klavierstudium aufnahm. Nachträglich wurde das Poem mit szenischen Anweisungen versehen. Der Vortrag, in Rollen aufgeteilt und pantomimisch durch Mimik und Gestik unterstützt, lehnt sich an das Genre der "Lebenden Bilder" an. Siehe STA 1/I, S. 150ff. u. STA 1/II, S. 878ff.. an meine liebe Cousine M i n n a. Im August 1884.————————————————————————
Und wieder lenkte
PhöbusPhöbus-Apollo, der Beschützer der Künste, wird auch mit dem Sonnengott Helios gleichgesetzt, der am Himmel im Sonnenwagen seine Rosse lenkt. sein Gespann
Dem Westen zu. Die Menschenkinder schliefen.
Und wieder setzt' ich meine Feder an,
Um mich in alte Zeiten zu vertiefen.
Und auch die Gegenwart, so licht und helle,
Der Augenblick, der feierlich gedieh,
Er führet uns gewaltig von der Stelle
Und hebt uns mächtig empor ins Reich der Phantasie.
Da fällt der Schleier vom Aug'. Ein wärmendes Licht
Umwebt den ganzen Kreis mit ungewohnter Schöne.
Gedanken werden schleunigst zum Gedicht,
Und hell erklingen des Liedes harmonische Töne. |
Ein warmer Dankesruf erschallt dem Augenblick,
Dem dieser Stunde Preis gebühret,
Und dreifaches Heil dem gütigen Geschick,
Das uns so fröhlich hier zusammengeführet.
Aus aller Herren Ländern hierher verschlagen,
Aus jeder Himmelsgegend und jedem Reich –
Es blies ein Sturm, dem Wirbelwinde gleich,
Und hat uns sämmtliche hier zusammengetragen;
Vom
LemanLac Leman, der Genfer See. Dort hatte Wedekind im Sommer 1884 Kollegien an der Lausanner Akademie besucht. Franklin und vom Nordseestrand,
Lenchen Wedekind Gemeint ist Helene Wedekind (1862-1919), die Tochter von Franklin Wedekinds Onkel Erich Christian Vollrath (1825-1897) aus Hannover. Sie war im August 1884 zusammen mit ihrem Vater Gast auf Schlossburg.Von Aarau
Frieda Frieda ErikaWedekinds Schwester Erika (1868-1944), die seit Mai 1884, siehe ihren Brief an Franklin vom 16.7.1884, das Lehrerinnenseminar in Aarau besuchte. und vom Schwabenland,
Adolf SpilkerAdolf Spilker (1863-1954), Chemiker und Unternehmer aus Vilsen, der vor seinem Studium der Chemie 1885 in Berlin u.a. als Pharmazeut in der „Löwenapotheke" der Familie Jahn in Lenzburg beschäftigt war. Er stammte aus Wilsen bei Bremen, hatte sich aber, nach dem Kontext zu schließen, offenbar vor seiner Ankunft in Lenzburg sich im Schwäbischen aufgehalten.Von überallher erschienen die frohen Gäste
Zu diesem
Hherzerhebenden Jubelfeste: ———
Lenchen Wedekind Es wuchs ein Blümelein von selt'ner Art
In einer großen Stadt im hohen Norden;
Und wie der Lenz nunmehr zum Sommer ward
Und wie es warm und sonnig ist geworden,
Da hört' es von dem wundervollen Reiz
Der Alpenwelt, von Bergen, Thälern und Auen —
Die Koffer werden gepackt, und eh drei Morgen grauen,
Da gehts schon im Triumphzug in die schöne Schweiz. —
Adolf Spilker}
Im Schwabenlande blüht seit manchem Jahr
Ein kleines Nest mit kreuzfidelen Leuten. |
Aus Norden kam dorthin und lebte vor langen Zeiten
Ein Jüngling mit blauem Aug' und blond von Haar.
Auch er kam her zu uns und seufzte viel.
Man fragte sich umsonst, warum sein Herz so trübe,
Bis endlich jemand auf den Gedanken verfiel.
Der Unglückselige leide gewiß an Liebe. —
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Spilker geht kopfhängerisch aus dem Zimmer— — — — — — — — — — —
O Himmel, welchen Bock hab' ich geschossen!
Bleib hier, mein Freund und zürne nicht so sehr! –
Kehr um! – Hör' auf die Bitten der Genossen! ———
Umsonst! Da geht er hin und singt nicht mehr. –
Wohl war es hart, so schnöde zu verhöhnen,
Was ihm als Theuerstes sein Herz bewahrt.
Jedoch er ist ein Mann von guter Art;
Und wer ihn kennt, der weiß ihn zu versöhnen. ——
Armin WedekindWedekinds älterer Bruder (1863-1934). Er studierte seit Wintersemester 1883/1884 in Göttingen Medizin. Nun aber kommt der
GöttiSchweizerisch für "Pate". Hier aber möglicherweise auch als Abkürzung im Sinn von Götti = der Göttinger von Göttingen zu verstehen. von Göttingen:
Auch er ist hier, der lustige Geselle.
Um seinen Wissensdurst zu sättigen,
Zog er hinaus in die Welt, just hin zur richtigen Quelle.
Viel Schätze bracht' er zurück aus fernem Land,
Daß er der kranken Menschheit damit diene;
Allein das Schönste, was er dort draußen fand, |
Das ist gewiß doch unsere liebe Cousine. ————
Jetzt, Göttin, leih' mir deinen höchsten Schwung!
Spann jede Sehne an, o Musenschimmel!
Erfaß mich, schöpferische Begeisterung!
Und trag' mich mächtig empor in der Dichtung Himmel.
Doch meine Stimme ist viel zu schwach und leer.
Wie wollt' ich können, was nur Meister wagen?
O, wenn ich jetzt nur Schiller oder Göthe wär',
Wie wollt' ich selbstbewußt in meine Laute schlagen!
Zwei Jahre nur, ihr Lieben, denket zurück!
Damals geschah der große Augenblick:
Da fand ich sie auf jener steinigen Straße
Als Führerin auf dem
Wege Pfade zum Parnasse.
Sie las mir vor: Ich wurde angeweht
Von hohem Geist, von dichterischem Sinn da,
Denn auf der ersten Sprosse der Himmelsleiter steht
Mit siegesbewußten Blicken Cousine
Minna Und jetzt, ihr Geigen und Schalmein,
Ihr Cymbeln, Pauken und Trompeten,
Ihr Trommeln und Pfeifen alle, seid gebeten
Stimmt laut in unser Jubelorchester ein! ————
Sie stieg empor, die Höhen sind erklommen; |
Aus ihrem Mund erschallen die schönsten Lieder.
Und sie, die glücklich oben angekommen
Schaut gnädig nun auf uns und auf die liebliche Landschaft hernieder.
Gelt, liebe, gute Minna, Du zürnst mir nicht,
Weil ich so frei und offen zu Dir geredet,
Weil die Begeisterung meine Wange geröthet
Und ungezügelt aus meinen Worten spricht?!
Du bist nicht böse, weil ich getrost geschildert,
Wie Deine Muse groß zu werden begann ——
Und wenn mein Versmaß dabei auch ein wenig verwildert,
So ist ja eben das das Schönste daran.
Wie oft aus schwerer Sorgen Last und Drängen
Erlöstest du mich mit deiner Stimme Klängen.
Du sangst: „
Das Meer erbrauste weit hinausFrei zitiert nach Heinrich Heines Gedicht "Das Meer erglänzte weit hinaus" aus dem Zyklus "Die Heimkehr" (XIV) im "Buch der Lieder" (1827), s. DHA, Bd. 1/1, S. 225.“
Und mich durchrieselte ein süßer Wonne–Graus.
Mein Aug' wird hell, und eine stille Thräne,
Drängt sich hervor, die
d nur Dein Auge sieht.
Und immer, wenn ich nach Musik mich sehne,
So denk' ich an dies Heinische Liebeslied. ———
Und wieder ertönt ein lauter Jubelruf
Und hallt zurück von allen Felsenwänden,
Der Dichterin, die uns schöne Gedichte schuf, |
Gebührenden Dank und Ehrerbietung zu spenden.
Das ganze Gemach erfüllt ein lichter Schein,
Von neuem rauschen jubelnd die Posaunen,
Ein Himmelsbote
tritt schwebt zur Thür herein,
Und alle Welt ergreift das höchste Erstaunen
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Spilker erscheint wieder verschleiert mit einem kl. Lorbeerkranz— — — — — — — — — — —
Mit leisen Schritten tritt er vor Dich hin,
Er naht sich dir mit ehrfurchtsvollem Neigen,
Und auf die Stirn' der schönen Dichterin
Drückt er den Kranz aus frischen Lorbeerzweigen.
Ein Hosianna erfüllt die weite Luft,
Die Himmel jauchzen in niegeahntem Glücke ——
Der Engel geht und läßt uns nichts zurücke,
Als eine Nebelwolke von Blumenduft.
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Er verschwindet— — — — — — — — — — —
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Und nun, ihr Lieben, nehmt die Gläser in die Hand,
Erhebet euch alle stracks von euern Plätzen!
Beweiset, das, was uns der Himmel gesandt,
Zu würdigen ihr wisset und zu schätzen. |
Stoßt wacker an und lasset die Gläser erklingen!
Blüht ja die goldne Zeit der Jugend noch.
Gepriesen sei das Dichten und das Singen!
Und unsere Cousine Minna lebe dreimal hoch!!
Hoch! Hoch! Hoch!
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Dein treuer Vetter
Franklin.