Salzburg
25.1.1914.
Lieber Herr Wedekind!
Heute komme ich endlich wieder zum Schreiben und ich habe
sehr viel am Herzen.
Großmama schrieb mirDer Brief Marie Uhls an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert. vor einer Woche schon so ungefähr wegen
meinem Lernen, (und) da sie gar meinte in ihrer lieben Besorgnis, daß ich
infolge meiner ziehmlichen Freude nicht besonders gut lernen würde. Ich stellte
meiner guten Großmama gleich dies richtig und sie war recht erfreut, daß es
dessen nicht so ist! Nun aber teilte sie mir unglücklicherweise mit, daß sie
diese Meinung auch
Herrn Wedekind mitteiltevgl. Marie Uhl an Wedekind, 9.1.1914.. Nicht wahr Herr Wedekind werden bitte darüber nicht
ungehalten sein; ich kann nur sagen, daß ich, seitdem ich Herrn Wedekind kenne,
schon aus dem Grunde um Herrn Wedekinds Beifall zu erringen viel ehrgeiziger
lerne als vorher und ich | durch unsere Bekanntschaft angesport/n/t
werde. Dies teilte ich auch Großmama mit und sie freute sich recht über diese
Wendung! Nun weiß ich wirklich noch nicht wie es mit meiner Prüfungdie halbjährlich stattfindende Semestralprüfung. Neben der obligatorischen „Prüfung am Schlusse des Schuljahres“ sah der „Erlaß des Leiters des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 2. Jänner 1909, Z. 51190 ex 1908, an alle Landesschulbehörden, betreffend die Prüfungen der Privatisten an Mittelschulen“ vor, „auf Wunsch der Eltern oder Vormünder die Privatisten allenfalls auch am Schlusse des ersten Semesters zu einer Prüfung über den Lehrstoff dieses Semesters zuzulassen“ [Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht. Jg. 1909, Stück 2, Nr. 2, Wien 1909, S. 32], um so ein Zwischenzeugnis zu erhalten. in 3 Wochen
werden wird. Einerseits bin ich – da es herauskam, daß sie nicht unbedingt
nötig sei – der einzige von uns 20 der es macht aus freien Willen und
anderseits möchte ich meiner Großmama und auch besonders Herrn Wedekind mit einem guten Erfolg
erfreuen. Ich werde die Entscheidung meiner Großmama anvertrauen!
Donnerstag waren wirFriedrich Strindberg und zwei seiner Mitschüler. (d.h. nur 3.)
im Theater. Man gab „Egmont“ mit Höbling von Wiener
Burg. als Gast. Ich
sah Höbling zwar einmal im
Josephstädter Theater bei JarnoJosef Jarno war seit 1899 Direktor des Theaters in der Josefstadt in Wien. aber hier mißfiel er mir sehr. So viel von ihm
selbst; wenn er seufzte glaubte man ein
Orkan durchrase das Theater. Dann kam mir vor, daß er nicht weiß was er mit
seinen Händen anfangen solle. Doch er hatte eine schöne Gestalt und sehr angenehmes Organ. Die
Presse zerzauste„Im Kerne seines Wesens ließ der Gast kühl“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 44, Nr. 19, 24.1.1914, S. 4]; „eine stattliche Erscheinung, gutes Organ, ordentliches Sprechen, – das allein tut’s nicht“ [Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 19, 24.1.1914, S. 3]. ihn nach jeder Richtung, trotzdem er Gast war! – Schonungslos!
–
Nun wie ist „Simson“ in Berlin über die Bretter gegangenDie Uraufführung von „Simson“ am Berliner Lessingtheater am 24.1.1914 fand ohne Autor und Regisseur statt – Wedekind war wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Theaterdirektor Victor Barnowsky drei Tage zuvor nach München abgereist. Die Aufführung geriet zum Theaterskandal [vgl. KSA 7/II, S. 1338-1350].?
Ich denke an den besten Erfolg! | Es muß ja wirken! Die LiedchenIn die Anthologie „Deutsche Chansons (Brettl-Lieder)“ waren von Wedekind die aus der Sammlung „Die Jahreszeiten“ (1897) nachgedruckten Gedichte „Pennal“ [vgl. KSA 1/II, S. 1957], „Ilse“ [vgl. KSA 1/II, S. 1699], „Brigitte B.“ [vgl. KSA 1/I, S. 1102], „Sieben Rappen“ [vgl. KSA 1/II, S. 1370], „Der Tantenmörder“ [vgl. KSA 1/II, S. 1287], „Der Taler“ [vgl. KSA 1/II, S. 1283], „Galathea“ [vgl. KSA 1/II, S. 1622], „Christine“ [vgl. KSA 1/I, S. 1109] und „Das arme Mädchen“ [vgl. KSA 1/II, S. 1133] in dieser Reihenfolge aufgenommen. Die 1900 erstmals bei Schuster und Loeffler in Berlin und Leipzig erschienene Anthologie war zuletzt 1912 im Insel-Verlag Leipzig neu aufgelegt worden (63.–65. Tsd.), allerdings ohne die ursprüngliche Einleitung von Otto Julius Bierbaum und die Bilder der Autoren [vgl. Insel-Verlag an Wedekind, 18.4.1911]. von Herrn
Wedekind in den „Chansons“ kann ich beinahe schon vollständig. Am schönsten
finde ich „Ile“ „Ilse“. Auch am innigsten! Es erinnert mich so oft ich
lese, an den Ne SilvesterabendFriedrich Strindberg hatte den Jahreswechsel bei seinem Vater in München. verbracht. Zum Abend des 31.12.1913 notierte Wedekind: „Friedenthal Marion Frau v. Satkowska kommen zum Abendessen. Silvesterfeier. Friedenthal und Marion tanzen Walzer nach der Neuen Kommunion. T.St. um 2 Uhr fahren Fritz und ich nach Haus“ [Tb]., an „Lieschen“Der Tagebucheintrag Wedekinds vom 31.12.1913 legt nahe, dass hier das Lied „Die neue Communion“ (1891/1902) [KSA 1/III, S. 121f.; vgl. KSA 1/II, S. 2123 und KSA 1/IV, S. 1017] und nicht „Mein Lieschen“ (1905) [KSA 1/III, S. 94f.; vgl. KSA 1/IV, S. 988f.] gemeint ist. „Die neue Communion“ (gekürzt und verändert unter dem Titel „Unterm Apfelbaum“ in „Die vier Jahreszeiten“, 1912) beginnt mit dem Vers: „Lieschen kletterte flink hinauf“.. Doch bringe ich, so viel ich brumme und summe, nimmer die Melodie
heraus! Die „Zensur“ hoffe ich bis zu unserem nächsten Zusammenzukommen
zu können. Natürlich nur den Buridanmännliche Hauptfigur in „Die Zensur“, Literat.! – Aber mit Zungen RFriedrich Strindberg folgt hier den Aufführungsvorstellungen Wedekinds, der das rollende Zungen-R in seiner Bühnendiktion benutzte. In dem Glossarium „Schauspielkunst“ (1910) schrieb er: „Als ich kürzlich in Düsseldorf auftrat, erregte ich bei den Schauspielern allgemeines Kopfschütteln und Achselzucken, weil ich Zungen-R sprach“ [KSA 5/II, S. 374]. Wedekind sprach das Zungen-R nicht nur bei seinen Auftritten als Schauspieler und Liedersänger, sondern kultivierte es auch in der Alltagsunterhaltung: Zeitgenossen berichten, Wedekind habe sich „in gewählter Redeweise, die einem keinen Buchstaben unterschlug, aber dem R – einem theaterhaft hervorgerollten Zungen-R – noch eine ganz besondere Sorgfalt widmete“ [Holm 1932, S. 58f.], ausgedrückt und „entgegen dem Stil seiner Zeit ein hochdramatisches, einstudiert rollendes Zungen-R“ gesprochen [Martin Kessel: Romantische Liebhabereien. Sieben Essays nebst einem aphoristischen Anhang. Braunschweig 1938, S. 75]. Heinz Rühmann brachte das Zungen-R Wedekinds mit dem Schauspielunterricht bei dem Hoftheaterschauspieler Fritz Basil in Zusammenhang: Basil „verkörperte noch den Hoftheaterstil mit rollendem Zungen-R. Bei ihm nahm auch der Schriftsteller Frank Wedekind Schauspielunterricht“ [Heinz Rühmann: Das war’s – Erinnerungen. Berlin, Frankfurt am Main, Wien 1982, S. 28].. Dieses macht rüstige
Fortschritte!! Schon trage ich die Gedichte bei uns meistens mit diesem R vor.
Aber lesen kann ich, ohne mich des öfteren zu versprechen, noch nicht damit.
Aber mit der Zeit wird auch dieses gehen!!
Auf die PhotographieFriedrich Strindberg hatte Wedekind im November 1913 um die Zusendung einer Porträt-Photographie gebeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.11.1913]. freue ich mich schon riesig! Gnädige Frau
sandte mirTilly Wedekinds Schreiben an Friedrich Strindberg ist ebenso wie die Photographie von Wedekinds Tochter Pamela nicht überliefert. o eine Ansichtskartenphotographie von meiner lieben Anna Pamela, die ich auch schon
beantwortete.
Herzliche Grüße
in Liebe
Friedrich Strindberg.