Kennung: 2575

Salzburg, 18. Januar 1914 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Strindberg, Friedrich

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Salzburg 18.I.14.


Lieber Herr Wedekind!

Hoffentlich haben (mei) Herr Wedekind meinen Briefvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.1.1914. von letzten Sonntag, den ich an „Elite Hotel“ adressierteWedekind war am 11.1.1914 zu den Proben für die Uraufführung von „Simson“ am Lessingtheater nach Berlin gereist: „Abfahrt. Tilly begleitet mich auf den Bahnhof. […] Stille ruhige Fahrt Ankunft in Berlin.“ [Tb] Im Elite Hotel hatte Friedrich Strindberg sich am 14.9.1913 mit seinem Vater getroffen und ihn in den folgenden Tagen kennengelernt [vgl. Tb]., erhalten.

Nun schreibe ich zur größeren Sicherheit nach MünchenWedekind reiste am 21.1.1914 mit dem Nachtzug zurück nach München: „Abendessen im Hotel Abfahrt nach München“ [Tb], wo er am nächsten Morgen eintraf.. Dienstag hielt K. Kraus Vorlesungam 13.1.1914, wie angekündigt: „Vorlesung Karl Kraus. Dienstag abends um halb 8 Uhr liest Karl Kraus, der Herausgeber der ‚Fackel‘ im Saale des Hotel ‚Oesterreichischer Hof‘ aus eigenen Schriften.“ [Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 9, 13.1.1914, S. 2] Die Veranstaltung war in der Presse vielfach angekündigt. Karl Kraus las Glossen aus der „Fackel“ (zum Programm siehe unten). , die sehr gut besuchtDie Presse konstatierte widersprüchlich einerseits „eine zahlreiche Zuhörerschaft“ [Salzburger Wacht, Jg. 15, Nr. 10, 14.1.1914, S. 6], andererseits, dass „der Besuch verhältnismäßig schwach war“; Kraus „versammelte wenige um sich“ [Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 11, 15.1.1914, S. 2]. war. Ich konnte leider sie nicht besuchen, trotzdem sah ich Herrn Kraus einmal auf der Straße; mir kam es vor als ob er etwas gebückt gehe, doch erkannte ich ihn gleich beim ersten Blick. Seine Vorlesung soll wiederum aus den bekannten 3 Teilen bestanden H/h/aben: Presse, HardenMaximilian Harden war seit Karl Kraus’ Pamphlet „Maximilian Harden. Eine Erledigung“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 234/235, 31.10.1907, S. 1-36] fortwährend Gegenstand seines Spotts. Friedrich Strindbergs Urteil deckt sich nur teilweise mit dem der lokalen Presse: „Etwas zu kurz kam Maximilian Harden, die Verdeutschung seines Desperanto wäre ein königliches Vergnügen gewesen. Kraus gab uns nur ‚Die Sprache der Konzertagentur‘ und die Glosse ‚Wenn Herr Harden glaubt‘.“ [Salzburger Wacht, Jg. 15, Nr. 10, 14.1.1914, S. 6] An anderer Stelle hieß es hingegen über Kraus’ Lesung: „Max Harden, dem Könige der Pose und Sensation, errichtet ein entartetes Geschlecht flammende Opferaltäre“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 44, Nr. 11, 15.1.1914, S. 4]. und Eigenlob. |

Trotz alledem soll er sehr großen BeifallDie Presse schrieb: „Das gesunde Empfinden der Zuhörer konnte sich dem Zauber, der von diesem unscheinbaren Menschen ausströmte, nicht entziehen und löste sich in lebhaftesten Beifall aus“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 44, Nr. 11, 15.1.1914, S. 4]. errungen haben. Das Publikum soll sehr gefällig gewesen sein nur bei einem Bahr ArtikelIn seiner Glosse „Der liebe Gott“ [Die Fackel, Jg. 15, Nr. 374/375, 8.5.1913, S. 43f.] mokierte sich Karl Kraus über den Vergleich Hermann Bahrs mit dem lieben Gott durch den Journalisten und Gründer der Wiener Volksbühne Stefan Großmann. , der in (nicht) liebenswürdiger Weise Bahr mit dem lieben Gott vergleicht soll man etwas ungeduldig geworden sein. Ich kannte so ziehmlich die Vorlesung, bestand sie ja hauptsächlich aus älteren ArtikelnAls Programm wurde vorab in der Presse angekündigt, Kraus werde „folgende Satiren und Glossen lesen: ‚Der Traum ein Wiener Leben‘, ‚Die Welt der Plakate‘, ‚Pfleget den Fremdenverkehr‘, ‚Das Ehrenkreuz‘, ‚Der Neger‘, ‚Die Schuldigkeit‘.“ [Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 7, 10.1.1914, S. 2] Die genannten Artikel waren zwischen 1909 und 1913 in der „Fackel“ erschienen.!

Donnerstag war PremiereDie Uraufführung von „Die liebe Not“ (1907) fand am Freitag den 16.1.1914 im Salzburger Stadttheater statt und war Teil einer zweitägigen Domanig-Gedenkfeier am 12. und 16.1.1914 [vgl. Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 14, 18.1.1914, S. 1-3]. Karl Domanig war am 9.12.1913 gestorben. von Karl Domanigs (der Dichter vor kurzem gestorben) „Die liebe Not“ ein Tiroler Stück, derb, indem man die Handlung schon im ersten Acs/t/ vollständig voraussagen konnte. Tendenz war die Religion als Zuflucht in der Not und treues Zusammenhalten von tiroler Volksmenschen, entgegengestellt dem Lug und Trug der Proletarier haßenden Gesellschaft. Aber ich glaube „alles schon dagewesen“Als Ausspruch des Rabbi Akiba zeitgenössisch verbreitete Redewendung nach Karl Gutzkows Drama „Uriel Acosta“, 4. Akt, 2. Szene: „Und alles ist schon einmal dagewesen.“ [Karl Gutzkow: Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 1912, S. 49 und öfter]! Es errang aber enormen BeifallSo auch in der Presse: „Das Haus war sehr gut besucht […]. Der Beifall war besonders nach dem 2., 4. und 5. Akt außerordentlich stark und einmütig“ [Salzburger Wacht, Jg. 15, Nr. 13, 17.1.1914, S. 6].. Ausgezeichnet besucht.

Ein andres StückDas Schauspiel „Frühlingsstürme“ (1907) von Viktor Otte hatte seine Uraufführung am Stadttheater Salzburg am 25.11.1913. „Frühlingsstürme“ von einem hiesigen ProfessorViktor Otte war Lehrer an der k. k. Oberrealschule für Knaben und am Mädchenlyzeum in Salzburg [vgl. Salzburgischer Geschäfts-, Volks- und Amts-Kalender für das Jahr 1913, Jg. 41, S. 116]. fiel (allerdings schon vor längerer Zeit) durchDie Presse urteilte einhellig abwertend über das Stück, das von dem vorwiegend jugendlichen Premierenpublikum allerdings positiv aufgenommen wurde. „Es ist die Aufgabe des Kritikers, den äußeren Erfolg von dem inneren Werte eines Stückes genau zu unterscheiden. Sowie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, so ist es noch lange kein wirklicher Erfolg, wenn einige hundert Schülerhände in freigibiger Weise Applaussalven niederprasseln lassen. Dem Schauspiel Ottes wurde gestern an unserer Bühne ein überaus freundlicher Erfolg bereitet.“ [Salzburger Wacht, Jg. 14, Nr. 271, 26.11.1913, S. 5]. Es war zu unmoralischEin Rezensent monierte angesichts der dargestellten Frauengestalten „den sittlichen Tiefstand des Schauspiels“ [Salzburger Chronik, Jg. 49, Nr. 271, 27.11.1913, S. 2] und hielt es wegen des vorwiegend aus Schülerinnen und Schülern bestehenden Publikums für einen „Skandal, daß Schulleitungen und Eltern diesen Kinderbesuch zuließen“ [ebd., S. 4]. sagte man. Es soll aber sehr originell und grotesk ein Problem gelöst haben, die Jugend.

Auf die PhotographieFriedrich Strindberg hatte Wedekind im November 1913 um die Zusendung einer Porträt-Photographie gebeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.11.1913]. freue ich mich schon sehr! Am 23Die Uraufführung von „Simson“ am Berliner Lessingtheater fand nicht am 23.1.1914, sondern am Samstag, den 24.1.1914 statt [vgl. KSA 7/II, S. 1331]. In der Presse wurde zunächst das falsche Datum angegeben: „Das neue Stück von Wedekind ‚Simson‘ geht am 23. Januar im Lessing-Theater in Szene.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 7, 5.1.1914, Abend-Ausgabe, S. (3)]. Wedekind, der Regie geführt hatte, war wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Theaterleiter Victor Barnowsky vorzeitig am 21.1.1913 nach München abgereist. hörte ich seir Premiere | von „Simson“ bei Barnowski. Hoffentlich findet es rechten Beifall!

Wir betreiben jetzt sehr fleißig am Abhange vom MönchsbergDer Mönchsberg (508 m) verläuft innerhalb Salzburgs am linken Salzachufer entlang; die Straße war im Winter eine beliebte Rodelstrecke. , dessen Straße eine Serpentine bildet. Wintersport. Großmama besorgte mir einen Rodel und ich fahre sehr fleißig. Trotz ziehmlich viel blauen Flecken auf Arm und Bein bin ich froh und gesund, von Kleinigkeiten abgesehen. Frohsinn und Lebenslust denke ich, ist der Haupttrieb vom ganzen Leben. 13. nächsten Monats gehts zur Prüfungdie halbjährlich stattfindende Semestralprüfung.. Ich kann kein Buch anschauen, derweil aber! –

Von morgen an gehts wieder los… ohne Rast. bis zur Woche vor 13. Da raste ich mich wieder aussich ausrasten – österreichisch für ‚sich ausruhen‘, ‚sich entspannen‘. und wenn man knapp vor der Prüfung nichts lernt gehts erfahrungsgemäß am besten! Wenn nur bald dies Monat vorbei wäre, dann gehts wieder gut! So heißts halt „büffeln“angestrengt lernen. und es ist zur Abwechslung auch nicht übel! Besonders in „Deutsch“ (Mittelhochdeutsch.) gehts recht gut.

Sonst muß es auch sein. Mathematik hat in seiner entsetzlichen Langweiligkeit auch seine | Reize aber diese z reizen zu anderm als zu lernen! Aber es muß sein.

Viele herzliche Grüße
in Liebe

Friedrich.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Lateinische Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Salzburg
    18. Januar 1914 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Salzburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 165a
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Friedrich Strindberg an Frank Wedekind, 18.1.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

08.04.2022 11:52