Kennung: 2324

Berlin, 22. April 1906 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Schmidt-Bürkly, Mina

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

Matthäikirchstrasse 14Mina Schmidt-Bürkly, in Zürich geborene Witwe eines Berliner Unternehmers, wohnte seit vielen Jahre in Berlin in der Matthäikirchstraße 14 (1. Stock) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 1998], wo Wedekind am 29.12.1905 zu Gast war, wie er im Tagebuch notierte: „Abend in großer Gesellschaft bei Frau Schmidt Bürklin.“ Er war auch sonst gelegentlich in ihrer Gesellschaft oder notierte die Begegnung, so am 24.4.1905 („Mit Donald Max Möller und Frau Schmidt-Bürklin aus Zürich soupiert“), am 28.1.1906 („Nachher mit Frau Schmidt Bürkly, Tilly, Ritter von Liszt im Palasthotel“), am 22.3.1906 („Begegne Frau Schmidt-Bürkly“), am 9.3.1907 („Nachher in der Italienischen Weinstube mit Frau Schmidtbürklin“), am 5.3.1908 („Abends bei Tante Schmidt Bürklin“) und am 3.4.1910 („Frau Schmidt Bürklin“)..


Am 22.4.06


Sehr geehrter Herr Wedekind,

GratulireMina Schmidt-Bürkly bezieht sich auf die Beilage zu ihrem Brief, ein Zeitungsausschnitt, der die Verheiratung Wedekinds meldet. Frank Wedekind und Tilly Newes haben allerdings erst am 1.5.1906 geheiratet, in Berlin, einen Tag vor Ihrem Gastspiel in Nürnberg, bei dem „Totentanz“ uraufgeführt wurde. herzlich und freue mich Ihre liebenswerte Frau Gemalin bereits zu kennen. Herr Professor KlaarAlfred Klaar, Literarhistoriker aus Prag, war seit 1901 Theaterkritiker und Feuilletonredakteur bei der „Vossischen Zeitung“; er hat die „Tartüffe“-Premiere (siehe unten) besprochen [vgl. A.K.: Deutsches Theater. „Die Mitschuldigen“ von Goethe und „Der Tartüff“ von Molière. In: Vossische Zeitung, Nr. 192, 26.4.1906, Morgen-Ausgabe, 1. Beilage, S. (2-3)]. sagte mir, manchmal wird eine Vorstellung im Deutschen Theater verschoben. Er hat mir nun auch abgesagt wegen der PremiereDie Premiere von Molières „Tartüffe“ mit Frank Wedekind in der Titelrolle fand am 25.4.1906 (Mittwoch) um 19.30 Uhr am Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin statt. Wedekind notierte: „Tartuffe. Durchgefallen“ [Tb].. Ich hatte schon in meinem Briefe den Wunsch ausgesprochen ob Herr Direktor | Reinhardt zum ClubessenDiese Diners fanden jeweils an einem Mittwoch im Lyceum-Club (siehe unten) statt. Über das von Mina Schmidt-Bürkly organisierte Clubessen am 25.4.1906 berichtete die Presse: „Die Reihe der offiziellen Diners wurde im Berliner Lyzeumklub am Mittwoch Abend mit einem heiteren Mahl geschlossen, bei dem Frau Schmidt-Bürkly präsidierte. Die in weiten Kreisen durch ihre Förderung der Tierschutzbestrebungen bekannte Dame hatte einen Kreis wissenschaftlich und literarisch bedeutender Menschen zu vereinigen gewußt, die ihrem Feste einen besonderen Reiz verliehen. Unter den Geladenen waren unter anderen Wilhelm Bölsche, Dr. Bruno Wille, Heinrich Driesmanns, Professor v. Halle, Professor Schleich, Professor Orlik, Legationsrat Denker, Afrikareisender v. François. Den Klub repräsentierten unter anderen Gräfin Harrach, Exzellenz Freitag, Ossip Schubin, Marie Kirschner, Frau Begas-Parmentier, Emil Roland, Frau Richard Voß. Die zündenden Reden, die die genannten Herren nach Tisch zum Preise der Frauen und des Lyzeumklubs hielten, bewiesen, daß die Männer der Wissenschaft sich unter diesen Frauen wohl fühlten, die nicht nur ihre gesellschaftliche Stellung und persönlichen Vorzüge, sondern auch ihre wissenschaftlichen Verdienste zu würdigen wußten. Und dieser tiefere geistige Kontakt zog sich auch durch die angeregte Plauderstunde, die die Festteilnehmer noch nach Aufhebung der Tafel zusammenhielt.“ [Männer der Wissenschaft als Ehrengäste im Lyceumklub. In: Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 214, 28.4.1906, Frauen-Rundschau, S. (1)] gekommen wäre, blieb aber leider ohne Bescheid. Es ist schade, denn es wäre für Sie vielleicht vorteilhaft gewesen, einige der Haupt Kritiker gemütlich vor Ihnen auftreten zu sehen.

Im Mai arrangire ich einen Ausflug mit schöner Kapelle im Wald wo viele Presseherren einladen.

Also einen verschoben und dann darf ich Sie erwarten mit Ihrer reizenden Gemalin zum Clubessen 7 ½ Uhr am Mittwoch nächstens! | Freue mich wenn S/s/ie mich besuchtTilly Wedekind besuchte Mina Schmidt-Bürkly am 27.10.1906 (einem Samstag), wie Frank Wedekind notierte: „Tilly besucht Frau Schmidtbürklin“ [Tb]. allein wenn Sie keine Zeit haben. FreunschaftlichenSchreibversehen, statt: Freundschaftlichen. Gruß für Beide in steter Verehrung
Ihre ergebene
M. Schmidt-Bürkly.


Wenn die première nicht sehr spät beendet ist, bitte kommen SieFrank und Tilly Wedekind kamen am 25.4.1906 nach der „Tartüffe“-Premiere nicht mehr in den Lyceum-Club. mit Ihrer Frau Gemalin nach dem Clubessen in den LyceumclubDer am 4.11.1905 in Berlin gegründete Lyceum-Club (Potsdamer Straße 118b) organisierte Ausstellungen, Vorträge und Gesprächsrunden, welche bei den Clubessen stattfanden. Mitglieder waren wohlhabende Damen, darunter Mina Schmidt-Bürkly. Ein Foto der Eröffnung zeigt die „Aufnahme einiger Vorstandsdamen“ (elf Frauen), darunter die Vorsitzende Hedwig Heyl sowie Helene Lange und Marie von Bunsen [vgl. Berliner Leben, Jg. 8 (1905), Heft 11, S. 13]; berichtet wurde: „In den eleganten Räumen des Hauses Potsdamerstrasse 118b wurde der nach dem Londoner Lyceums-Klub begründete Berliner Lyceum-Klub eröffnet. Dieser Klub hat den Zweck, durch eine umfangreiche Organisation und internationale Vereinigung den oft unter grossen Schwierigkeiten geistig und künstlerisch schaffenden Frauen zu helfen.“ [Berliner Leben, Jg. 8 (1905), Heft 11, S. (5)]. Wir sind dort bis 1 Uhr anwesend. Potsdamerstraße 118.b. Fragen Sie bitte nach mir. | Soeben besuchte mich Herr Professor OrlikEmil Orlik, der am 25.4.1906 an dem Essen im Lyceum-Club teilnahm (siehe oben), war als Bühnenbildner für das Deutsche Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin tätig, für das er auch Kostüme entwarf; er war offenbar am 21.4.1906 bei der Probe für die Premiere des „Tartüffe“ anwesend (Wedekind spiele die Titelrolle, Tilla Durieux die Rolle der Elmire), die Wedekind notierte: „Probe mit Tilla Durieux bei Reinhart“ [Tb].! Er war sehr entzückt von der Probe! Damit Sie keine Umstände haben mit Antwort bitte ich Ihre reizende Frau mir eventuell zu telephoniren Amt 9. ‒92.82Mina Schmidt-Bürklys Telefonnummer war auch nachzuschlagen: „Tel. IX. 9282“ [Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 1998].. Der Sekretär vom Fürsten Bülow Geheimrath ScheeferMax Scheefer war der Privatsekretär des Reichskanzlers Bernhard von Bülow. kommt am Mittwoch auch und hätte ich Sie so gerne mit ihm bekannt gemacht. Herr SchillingsDer Musiker Max von Schillings, den Wedekind dem Tagebuch zufolge zuletzt am 4.2.1905 in München gesehen hat („Zu Mittag mit Gerhäuser bei Schillings. Er spielt uns aus der Oper Moloch vor“), war in Berlin, da am Opernhaus der Königlichen Schauspiele eine seiner Opern gegeben wurde: „Der Pfeifertag. Heitere Oper in drei Aufzügen von Max Schillings.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 180, 19.4.1906, Morgen-Ausgabe, S. 14] „der Riechende mit dem Blitzlicht“Zitat nicht ermittelt (vermutlich mündliche Überlieferung); gemeint sein dürfte, dass Max von Schillings gerne fotografiert wurde, Fotografen ‚riechen‘ konnte. wird auch anwesend sein.


[Beilage:]


Von der Verheiratung Frank Wedekinds erfahren wir durch eine eben eintreffende Einladung des Intimen Theaters zu Nürnberg (Direktion Emil Meßthaler). Diese Einladung lautet:

Die Direktion beehrt sich, Sie zu der Mittwoch, den 2. Mai, stattfindenden Uraufführung von Totentanz, 3 Szenen von Frank Wedekind,
Casti Piani Herr Wedekind, als Gast,
LisiskiDruckfehler; die Figur in „Totentanz“, die Tilly Wedekind bei der Uraufführung am 2.5.1906 am Intimen Theater (Direktion: Emil Meßthaler) in Nürnberg spielte, heißt Lisiska.          Frau Wedekind, als Gast,
ganz ergebenst einzuladen.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte
Schriftträger:
Papier. 1. Brief. 2 Blatt, 4 Seiten beschrieben. Doppelblatt. Seitenmaß 15 x 19 cm. Gelocht. 2. Beilage. 1 Blatt, 1 Seite. Zeitungsausschnitt. 11 x 5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Beilage im Querformat bedruckt.
Sonstiges:
Wedekind hat die Beilage, einen Zeitungsausschnitt, am linken Rand mit blauem Buntstift angestrichen.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Berlin
    22. April 1906 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 158
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Mina Schmidt-Bürkly an Frank Wedekind, 22.4.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

14.12.2021 12:55