Kennung: 2313

München, 22. November 1914 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Pariser, Erna

Inhalt

München, 22.XI.1914.


Sehr verehrte gnädige Frau!

Erlauben Sie mir, Ihnen von ganzem Herzen für den großen Genuß zu danken, den mir Ihr schönes WerkErna Parisers Manuskript „Leda“, ein Künstlerdrama aus der Zeit der Renaissance, hatte Wedekind neun Monate zuvor näher zur Kenntnis genommen, wie er am 21.2.1914 im Tagebuch notierte: „Tilly liest mir Leda von Erna Pariser vor.“ Die Schriftstellerin (und ihr Mann Ludwig Pariser) war mit dem Ehepaar Frank und Tilly Wedekind befreundet. Tilly Wedekind hat ihr Manuskript bereits im Vorjahr gelesen [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 18.6.1913] und Frank Wedekind ihre Lektüreeindrücke mitgeteilt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 20.6.1913, 23.6.1913 und 25.6.1913]. bereitete. Der Genuß ist uneingeschränkt; ich wüßte keine Stelle in dem Drama, die mir nicht durch Schönheit des Gedankens und der Sprache Eindruck gemacht hätte. Ich glaube Ihnen versprechen zu können, daß Sie an dem Werke noch viel Freude erleben werden, wenn Sie es nicht verschmähen, die Wege zu gehen, die jeder von uns gehen mußte. Vor allem denke ich dabei an den Neuen VereinDer Ende 1903 in München in Nachfolge des Akademisch-Dramatischen Vereins gegründete Neue Verein e.V. (Vereinslokal: Türkenstraße 28), der immer wieder geschlossene Vorstellungen von verbotenen Stücken Wedekinds ermöglichte, hat Erna Parisers Schauspiel „Leda“ nicht aufgeführt; weder eine Aufführung, noch eine Lesung sind nachweisbar., der ein Drittel meiner ganzen Produktion aus der Taufe gehoben hat. Wenn Sie das Drama dem Neuen Verein einreichen, ergibt sich sofort der Vortheil, daß ein halbes Dutzend verständiger Leute Ihr Werk unter sich bespricht und daß diese Herren Ihr Werk kennen gelernt haben. Ich bin gern bereit, das Exemplar, das wir gelesen, gleich an Herrn Dr. K.Artur Kutscher (seinerzeit allerdings gerade als Soldat an der Westfront), der am 13.7.1914 bei der „Generalversammlung des Neuen Vereins“ wieder in den Beirat gewählt worden ist (darin auch Wedekind selbst); es heißt allerdings: „Die ‚Intimen Vortragsabende‘, von deren Leitung Dr. Kutscher zurücktritt, will man auf den Bedarfsfall reduzieren“ [Vom Neuen Verein. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 357, 15.7.1914, Vorabendblatt, S. 3]. Da keine andere Person dafür benannt wurde, dürfte Artur Kutscher dieses Veranstaltungsformat nach wie vor betreut haben. Es gab im neu gewählten Vorstand nur noch eine weitere Person, deren Nachname mit dem Buchstaben K beginnt, das Mitglied des Beirats „Dr. Kühn“ [ebd.], das war Dr. phil. Walter Kühn [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil I, S. 371], der aber nicht in Frage kommt, da Wedekind mit ihm keinen näheren Kontakt hatte. weiter zu geben, wenn Sie damit einverstanden sind. Es wird dann die Frage einer Aufführung gründlich besprochen werden und die Widerstände, die sich wie immer erheben, zeigen sich Ihnen in klaren Formulirungen. Etwas, was meiner Ansicht nach sofort willkommen geheißen würde, wäre eine Vorlesung an einem der intimen AbendeFormat im Veranstaltungsangebot des Neues Vereins: „Intime Abende wurden veranstaltet und haben sich ausgebildet zu einer Institution [...]. Die Abende stehen im Dienste junger oder weniger bekannter Schriftsteller, Rezitatoren, Musiker, denen der Verein zum Vortrage Gelegenheit und Raum gibt. Das Niveau dieser Abende erwirbt die größere Aufmerksamkeit der Presse und erzeugt einen Andrang von Zuhörern, der fast die Intimität der Veranstaltung bedroht.“ [Artur Kutscher: Der „Neue Verein“ und das Münchener Theaterleben. In: Bühne und Welt, Jg. 14 (1911/12), 2. Halbjahr, Heft 19, S. 286-291, hier S. 289] des Vereins. Gleichzeitig müßten allerdings Bruchstücke aus dem Drama in Zeitschriften veröffentlichtZeitschriftenvorabdrucke sind nicht nachgewiesen. ,,Leda. Ein Schauspiel in drei Bildern“ erschien 1915 unter dem Pseudonym Erna Ludwig als Buchausgabe im Münchner Delphin-Verlag. werden. Dafür käme der Neue Merkur und das Forum in Betracht. Ich mache mir gern die Freude, diese Frage mit Herrn Frisch und Herrn Herzog zu besprechenWedekind hatte dem Tagebuch zufolge seine nächste Begegnung mit Efraim Frisch, dem Herausgeber des „Neuen Merkur“, am 6.2.1915 („Unterredung mit Frisch über Waffenruhe“) und die nächste Begegnung mit Wilhelm Herzog, dem Herausgeber der Zeitschrift „Das Forum“, am 26.2.1915 („Mit [...] Herzog im HTR“); ob Wedekind den beiden Publizisten das Schauspiel Erna Parisers bei diesen Gelegenheiten zum Vorabdruck empfohlen hat, darf bezweifelt werden.. Nur, verehrte gnädige Frau, dürften Sie nicht ungeduldig werden, wenn die Aufführung nicht fix und fertig vom Himmel fällt. So leicht wird es keinem Autor, der noch nicht gespielt wurde. Aber zu dem schönen Werk bitte ich Sie jetzt schon meine Glückwünsche entgegen zu nehmen. Darf ich Sie bitten, Herrn Doktor herzlich von mir zu grüßen. Mit besten Empfehlungen von meiner Frau und mir Ihr ergebener
Frank Wedekind.

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Materialität des Dokuments

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Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    22. November 1914 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
309-310
Briefnummer:
431
Kommentar:
Im Erstdruck bei Fritz Strich ist die Adressatin mit ihrem Pseudonym benannt: „An Erna Ludwig.“
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Erna Pariser, 22.11.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

10.12.2021 17:55