Kennung: 2265

München, 4. Dezember 1914 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Vesper, Will

Inhalt

München, 4.12.14.

Prinzregentenstraße 50


Lieber verehrter Herr Will Vesper!

Ihre schönen Gedichte „Vom großen Krieg“ lese und liebe ich schon seit acht TagenWedekind hatte Will Vespers kriegsverherrlichenden Lyrikband „Vom großen Krieg 1914“ (die erste Folge mit 32 Seiten) also am 26.11.1914 bereits vorliegen, der kurz darauf als Neuerscheinung angezeigt war [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 81, Nr. 277, 30.11.1914, S. 8965] und vordatiert auf 1915 in der C. H. Beckschen Verlagsbuchhandlung (Oskar Beck) in München erschienen ist (dort war Will Vesper von 1906 bis 1913 als literarischer Beirat und Übersetzer tätig gewesen). Wedekind dürfte den Band vom Autor mit einem Begleitschreiben erhalten haben, das nicht überliefert ist; erschlossenes Korrespondenzstück: Will Wesper an Wedekind, 25.11.1914.. Sie sind mir weitaus das höchsten was ich seit vier Monatenseit Kriegsbeginn am 1.8.1914. an Lyrik kennen gelernt. Stückedie Gedichte „Deutsches Gebet“ und „Deutsche Musik“ aus dem Lyrikband [vgl. Will Wesper: Vom großen Krieg 1914. Gedichte. München 1915, S. 25, 30f.]. Das martialische Kriegsgedicht „Deutsche Musik“ war mit entsprechendem Nachweis auch in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ abgedruckt: „England führt Krieg / wider die deutsche Musik / und will von Haydnschen, Bachschen Chören, / und will von Beethovens Symphonien, / von Mozarts und Wagners Melodien / und all unsrer Meister Wunderwelt / keinen Ton mehr hören, / weil ein jeder ins Ohr ihm gellt: ‚Hört und seht / gegen welch ein Volk ihr steht / in schimpflichem Krieg!‘ // Da nun die göttlichen Meister schweigen, / wollen wir eine andre Musik, / auch deutschen Geistes, ihnen geigen. / Die sollen sie hören, ob sie wollen oder nicht, / bis ihnen das Trommelfell bricht! / Eine deutsche Musik! eine Teufelsmusik! / Kein Tirili und zart Gequick, / eineMusik, die ein jeder versteht, / die von Herzen und zu Herzen geht, / geschrieben mit blutigen roten / feuerflammenden Noten. / Deutsche Gewehre sollen die Flöten sein. / Deutsche Kanonen brummen den Baß darein. / Deutsche Schwerter sind die Geigenbogen, / breit über britische Nacken gezogen. / Unsere Kolben trommeln dumpf und hell / auf britischem Fell. // Als sie die Ouvertüre vernommen, / wurden die Hörer im Saal, / wurden Frankreich und Belgien fahl / und England erbebt. / Weh ihm! wenn sich der Vorhang hebt / und unsre Musikanten kommen / über den Kanal!“ [Will Vesper: Deutsche Musik. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 67, Nr. 592, 18.11.1914, Morgenblatt, S. 2] wie „Deutsches Gebet“ und „Deutsche Musik“ sind mir ans Herz gewachsen. Zwei Mal schon hatte ich Briefe an Sie begonnen, seit Ausbruch des Krieges, um Ihnen für die schönen Tage in FlorenzWedekind verbrachte die fünf Tage vom 27.6.1914 (Ankunft) bis 1.7.1914 (Abreise) in Florenz. Er war an drei Abenden mit Will Vesper zusammen, der seit 1913 in Florenz lebte; am letzten Abend war er bei ihm eingeladen und alle drei Abende mit ihm in der Birreria Mucke (Via Lamberti 5), dem Lokal von Bruno Mucke, in dem es böhmisches und bayrisches Bier gab (Pilsener Urquell und Pschorr Bräu) ‒ so am 28.6.1914 („mit Will Vesper [...] bei Mucke“), am 29.6.1914 („Mit Will Vesper und Frau [...] bei Mucke“) und am 30.6.1914 („Am Abend bei Will Vesper [...] mit ihm und seinen beiden Frauen. Nachher mit ihm bei Mucke“), wie Wedekind im Tagebuch festhielt., für die freundlichen | Grüße mit der Leda und der Venus zu danken. Aber da mich die Ereignisse hier zu einem gewissen Gradede lähmten, ließ ich die Briefe halbfertig liegen, mit dem Gedanken, was Sie wohl von solcher Undankbarkeit denken werden. Aber nun sind Sie hierWill Wesper dürfte Wedekind auf dem oben erschlossenen Korrespondenzstück vom 25.11.1914 mitgeteilt haben, dass er von Florenz zurück und nun wieder in München war. und ich freue mich herzlich darauf Sie wiederzusehen. Wollen Sie mir die Freundlichkeit erweisen zu mir zu kommen, mit Ihrer verehrten Frau GemahlinDie Grafikerin Käte Waentig war seit 1906 mit Will Vesper verheiratet; sie hat die Titelblätter und Buchumschläge einiger seiner Bücher illustriert. Wedekind hat sie im Sommer 1914 in Florenz persönlich kennengelernt., wenn sie hier ist. Dürfen wirFrank und Tilly Wedekind. Sie und Ihre Frau Gemahlin vielleicht | übermorgenWedekind war am 6.12.1914 (Sonntag) und die Tage darauf „krank“ [Tb]; infolge der noch nicht lange zurückliegenden Blindarmoperation hatte sich am 4.12.1914 die „Bauchmuskulatur entzündet“ [Tb], Bettruhe war angezeigt und er konnte keinen Besuch zum Essen empfangen., Sonntag um halb zwei zum Essen erwarten? Paßt es Ihnen, dann bitte ich um telephonischen BescheidWill Wesper hat Wedekind angerufen [vgl. Wedekind an Will Vesper, 7.12.1914]. No 20633.

Mit schönsten Grüßen
Ihr ergebener
Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 15 x 19 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    4. Dezember 1914 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Deutsches Literaturarchiv Marbach

Schillerhöhe 8-10
71672 Marbach am Neckar
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
A: Vesper, Will
Signatur des Dokuments:
A: Vesper, Will 76.2717/2
Standort:
Deutsches Literaturarchiv Marbach (Marbach am Neckar)

Danksagung

Wir danken dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Will Vesper, 4.12.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

14.11.2021 11:30