Kennung: 218

München, 17. November 1916 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Jessner, Leopold

Inhalt

Sehr geehrter Herr Jeßner!

Wenn Sie eines meiner Stücke anders aufführenWedekind hatte Jessners Inszenierung von „Karl Hetmann, der Zwergriese“ in Königsberg (Premiere: 14.10.1916) nicht gesehen. Der Königsberger Theaterkritiker und Feuilleton-Redakteur Ludwig Goldstein sandte ihm zwischen 16.10. und 5.11.1916 jedoch zwei differenzierte, wohlwollende Rezensionen sowohl des Stückes als auch der Inszenierung [vgl. Ludwig Goldstein: Wedekinds „Karl Hetmann“. Zur Aufführung im Neuen Schauspielhaus. In: Königsberger Hartungsche Zeitung, Nr. 480, 12.10.1916, Abendausgabe, S. 2-3; ders.: Neues Schauspielhaus. Wie Jeßner Wedekind inszeniert. Ebd., Nr. 486, 16.10.1916, Abendausgabe, S. 2-3]. Auf dieser Grundlage urteilte Wedekind, seine Bezugnahmen auf Goldsteins Formulierungen sind hier nachgewiesen. Vgl. auch Wedkinds Brief an Goldstein vom 6.11.1916., als wie ich es geschrieben habe, dann üben Sie dadurch öffentlich am Autor Kritik, indem Sie sein Verständnis für das Theater und seine Wirkungen in Frage stellen. Durch diese öffentlich ausgeübte Kritik entheben Sie den Autor jeden Solidaritätsgefühls mit der von Ihnen veranstalteten Aufführung. Nun handelt es sich zwischen uns aber um jene StückeSchon Jessners letzte Wedekind-Inszenierung am Thalia-Theater Hamburg, „Der Marquis von Keith“ (Premiere: 25.5.1914) wies, wie auch seine erste Wedekind-Aufführung am Neuen Schauspielhaus in Königsberg, „Karl Hetmann, der Zwergriese“ (Premiere: 14.10.1916), eine stark stilisierende, ausstattungstechnisch sehr reduzierte und deutlich auf das gesprochene Wort konzentrierte Form auf. Keith und Hetmann, von denen jedes über 100 Mal seine durchaus harmonische künstlerische Wirkung in der von mir vorgeschriebenen Form bewiesen hat. Wenn Sie Aenderungen an meinen Werken vornehmen, ohne mein Einverständnis dafür einzuholen, so steht es mir wol auch frei, mich ohne Ihr Einverständnis über diese Aenderungen privatim zu äußernWedekind hatte Ludwig Goldstein am 6.11.1916 für dessen Rezensionen des Stückes und der Aufführung gedankt und diesem seine Kritik an Jessners Inszenierung mitgeteilt. Offenbar berichtete Goldstein Jessner in Königsberg hiervon, woraufhin dieser Wedekind seinen nur auszugsweise überlieferten Brief vom 16.11.1916 sandte. Die Stelle lässt erkennen, dass Wedekind seine Kritik zwar Goldstein, nicht aber Jessner mitgeteilt hatte., nachdem ich der Aufführung wegen öffentlich verhöhntnicht ermittelt. worden bin. Wenn Sie in meinen Stücken die vorgeschriebenen Dekorationen weglassenIn seiner Rezension schrieb Goldstein, Jessner habe „auf jede umständliche Ausstattung verzichtet [...]. Kaum eine Spur unseres modernen Theaters mit seinen plastischen Dekorationen!“ [Ludwig Goldstein: Neues Schauspielhaus. Wie Jeßner Wedekind inszeniert. In: Königsberger Hartungsche Zeitung, Nr. 486, 16.10.1916, Abendausgabe, S. 2]. Wedekind nahm in seinem Brief an Goldstein vom 6.11.1916 hierauf Bezug. Jessner dürfte dies durch Goldstein erfahren haben, er verteidigte sich in seinem Brief vom 16.11.1916. oder durch andere ersetzen, dann nehmen Sie ihnen die Möglichkeit, ihre Aufgabe zu erfüllen, die im Keith darin besteht, wirkliches Leben zu gestalten, im Hetmann darin, wirkliches Leben vorzutäuschen. Mich stellen Sie dem Publikum als einen Autor dar, der darauf ausgeht, abstrakte TheorienIn seiner Rezension schrieb Goldstein: „dieses höhere Kasperltheater soll gar nicht ein Wirklichkeits-, sondern ein reines Ideenspiel sein“ [Ludwig Goldstein: Neues Schauspielhaus. Wie Jeßner Wedekind inszeniert. In: Königsberger Hartungsche Zeitung, Nr. 486, 16.10.1916, Abendausgabe, S. 2]. Schon in seinem Vorab-Artikel formulierte er: „Jeßner wird [...] dem Stück nicht verstandesmäßig, sondern rein künstlerisch beikommen und dementsprechend nur das Ideenspiel betonen.“ [Ludwig Goldstein: Wedekinds „Karl Hetmann“. Zur Aufführung im Neuen Schauspielhaus. In: Königsberger Hartungsche Zeitung, Nr. 480, 12.10.1916, Abendausgabe, S. 2]. auf die Bühne zu bringen, was meinen künstlerischen Absichten direkt widerspricht und meiner Ueberzeugung nach mit dramatischer Kunst nichts zu thun hat. Durch einen ausnahmsweise glücklichen Zufall hatte ich vor kurzemAm 26.10.1916 fand eine einmalige geschlossene Aufführung von „Tod und Teufel“ in der Bonbonniere in München statt, bei der Wedekind mitspielte. in München Gelegenheit, auch für meinen Einakter Tod und Teufel den Beweis zu erbringen, daß ich darin dramatisch, künstlerisch und absolut bühnenwirksam gestaltet habe. Umsoweniger kann ich mich darüber freuen, wenn Stücke wie Keith und Hetmann, für die ich diesen Beweis seit zwölf und mehr JahrenDie Uraufführung des „Marquis von Keith“ fand am 11.10.1901 am Berliner Residenztheater statt, die Uraufführung von „Hidalla“ am 18.2.1905 am Schauspielhaus München. an unzähligen Bühnen erbracht habe, wieder auf den „rein geistigen GehaltIn seinem lediglich auszugsweise überlieferten Brief vom 16.11.1916 schrieb Jessner vom „ideelle[n] Gehalt Ihres Werkes“.“ hin gespielt werden, den ich ihnen ja deshalb nicht abstreiten will.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

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Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Kutscher ging davon aus, dass es sich hier um das Schreiben Wedekinds handelt, auf das Jessner am 16.11.1916 antwortete [vgl. Kutscher 3, S. 275f.; so auch Matthias Heilmann: Leopold Jessner – Intendant der Republik. Der Weg eines deutsch-jüdischen Regisseurs aus Ostpreußen. Tübingen 2005, S. 86f.]. Er kompilierte diesen Entwurf zudem unzulässigerweise mit Wedekinds Brief an den Königsberger Theaterkritiker und Feuilleton-Redakteur Ludwig Goldstein vom 6.11. des Jahres. Hahn datierte den vorliegenden Brief, offenbar hierauf basierend, auf den 6.11.1916 [vgl. Hahn 1969, Bd. 3, S. 635f.]. Mit Strich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass dieser Entwurf die Antwort Wedekinds auf Jessners Brief vom 16.11. darstellt [vgl. GB 2, S. 374, Fn. 313]. Zu Beginn der Korrespondenz stehen zwei umfängliche Besprechungen Goldsteins von Wedekinds „Karl Hetmann, der Zwergriese“ („Hidalla“) und von Jessners Inszenierung des Stückes in Königsberg, die am 12.10. und 16.10. im Umfeld der Premiere (14.10.1916) erschienen. Goldstein sandte beide an Wedekind, der sich am 6.11. dafür bedankte und gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen die Inszenierung erhob. Offenbar teilte Goldstein Jessner diese Kritik mit, der daraufhin am 16.11. an Wedekind schrieb. Es wird davon ausgegangen, dass der nur auszugsweise überlieferte Brief Jessners am 17.11. in München ankam. Am selben Abend reiste Wedekind nach Berlin und kehrte erst am Abend des 21.11. zurück nach München. In Anbetracht des impulsiven Stils des vorliegenden Entwurfs und von Strichs Festlegung auf München als Schreibort wird hier der 17.11.1916 als Ankerdatum gesetzt.

  • Schreibort

    München
    17. November 1916 (Freitag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Königsberg
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

(Band 2)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
344-345
Briefnummer:
467
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort..

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Leopold Jessner, 17.11.1916. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (08.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Cordula Greinert

Zuletzt aktualisiert

08.03.2020 09:55