Kennung: 2103

München, 24. August 1900 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Erika (Mieze)

Inhalt

Meine liebe Mieze,

mein hiesiger RechtsanwaltDer Münchner Rechtsanwalt Hugo Wolff hatte seine Kanzlei in der Pfandhausstraße 3 [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Teil I, S. 645]., Dr Hugo Wolff giebt mir die Versicherung, daß Du, wenn Du die Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit haben würdest, Dir meinen Antheil an der ErbschaftEine Tante (Friedrich Wilhelm Wedekinds jüngste Schwester Auguste Bansen) „hinterließ ein reiches Erbe, das an ihre Nichten und Neffen fiel, pro Erbe und Erbin eine Summe von 5000 bis 6000 Mark“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 199]. Es kam aber zu keiner raschen Auszahlung, da die Erbangelegenheit, in der Wedekind von seinem Schwager vertreten wurde (siehe seine Korrespondenz mit Walther Oschwald), kompliziert war und sich über viele Monate hinzog [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 199f.]. urkundlich cedieren „einem etwas abtreten, ein Forderungsrecht überlassen“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd. 20. Leipzig, Wien 1909, S. 861].zu lassen, um mir dafür eine Summe zu meiner Installation vorzustrecken, mit dieser Gefälligkeit nicht das geringste pekuniäre Risico laufen würdest.

Ich bitte Dich nun, die Sachlage nicht so verstehen zu wollen, daß es mir | an Geld fehlt; meine monatlichen Einnahmen reichen zur Bestreitung meiner Bedürfnisse vollkommen aus. Aber da ich seit fünf Monaten nicht in einer menschlichen Wohnung sondern in einer Wüstenei lebe, gleiten mir die glänzendsten Geschäfte durch die Finger und da meine Nerven in der fürchterlichsten Weise angegriffen sind, gelingt es mir nicht, auch nur durch briefliche Beantwortung die günstigen Anerbietungen, die ich jetzt täglich erhalte, auszunützen. Es würde sich um eine Summe von 3000 M. handeln, wofür mein Erbschaftsantheil dann nicht an mich sondern an dich ausbezahlt würde. Diese Summe würde mir | erstens die Gründung einer Häuslichkeit ermöglichen und zweitens die Wiederaufnahme meiner dramatischen Studien. Es handelt sich dabei nur um einen CursusSchauspielunterricht bei Fritz Basil, den Wedekind dann bis 1905 bei dem Schauspieler und Regisseur des Münchner Hoftheaters auch aufnahm. von wenigen Stunden, durch den ich schon die Möglichkeit erhielte in dem kommenden Winter in verschiedenen Städten darunter eventuelSchreibversehen, statt: eventuell. auch Berlin in meinen eigenen Rollen aufzutreten. Diese und andere vortheilhafte Constellationen sehe ich mir, da ich in des Wortes entsetzlichster Bedeutung „nicht eingerichtet“ bin und deshalb de nicht die geringste Bewegungsfreiheit habe, jetzt in der Zeit wo die Engagements getroffen werden, mit jedem Tage ungenützt vorübergehen. Die Filiale der Dresdener Bank in Hannover hat Donald auf seinen Antheil 5000 M. | vorgeschossen aber wie sie sagt nur aus Lieben Gefälligkeit für seinen Bevollmächtigten, den alten HeiligerJustizrat Ernst Heiliger, Rechtsanwalt und Notar in Hannover [vgl. Adreßbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover 1900, Teil I, S. 752]. Der Rechtsanwalt Hans Heiliger, zur Unterscheidung als „II“ [ebd.] bezeichnet, war „sein Sozius“ und beide „vertraten die Erben in der Erbschaftsangelegenheit“ [Vinçon 2021, Bd. 2, S. 201], die Wedekind stark belastete.. Donald bezahlt dafür 6 oder 7 %, die ich dir selbstverständlich ebenfalls biete.

Wenn Du mir eine zusagende Antwort schickst, dann würde dir mein Rechtsanwalt sofort die den Contract zugehen lassen, mit dem Ersuchen, ihn von Deinem Anwalt in Dresden darauf hin prüfen zu lassen, daß du bei der Abmachung keinerlei finanzielle Gefahr läufst.

Du fragst mich zum Schlußin einem nicht überlieferten Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Erika Wedekind an Frank Wedekind, 23.8.1900. warum ich mich nicht an jemand anders wende. Es kämen für mich Langen und Heymel, der Herausgeber der InselWedekinds „Marquis von Keith“ war unter dem Titel „Münchner Scenen. Nach dem Leben aufgezeichnet“ von April bis Juni 1900 in der Monatsschrift „Die Insel“ erschienen, die Alfred Walter Heymel zusammen mit Otto Julius Bierbaum und Rudolf Alexander Schröder herausgab. in Betracht. Aber Langen ist nicht hier und ich habe ihn, seit wir unseren StreitWedekinds Streitigkeiten mit seinem Verleger Albert Langen infolge der Majestätsbeleidigungsaffäre um den „Simplicissimus“, die Ende 1898 begonnen haben. miteinander ausgege/fo/chten, noch | nicht wieder persönlich gesprochen. Obschon ich geschäftlich jetzt sehr gut mit ihm stehe und meine Einnahmen hauptsächlich von ihm beziehe, erschwert das doch ein derartiges Abkommen. Was Heymel betrifft, von dem ich große Summen verdient habe, so habe ich ihn gerade weil ich in meiner Wüstenei nicht representas/t/ionsfähigSchreibversehen, statt: repräsentationsfähig. bin und immer die demnächstige Erledigung der Erbschaft erhoffte, in letzter Zeit ganz vernachlässigt. So zerreißen mir in dieser Situation eben sämmtliche Fäden die ich angeknüpft habe und das bringt mich moralisch so gänzlich auf den Hund.

Grüße Mama und Walther herzlich. Deiner baldigen Antwort entgegensehend bin ich dein treuer dankbarer Bruder
Frank.


München, Franz Josephstraße 42.II.


[Kuvert:]


Frau Erica Wedekind
kgl. s/S/ächs. KammersängerinErika Wedekind ist als „Kgl. Hofopernsängerin, Großherzogl. Hess. Kammersängerin“ [Adreßbuch für Dresden und seine Vororte 1900, Teil I, S. 679] verzeichnet; sie wohnte inzwischen mit ihrem Gatten Walther Oschwald in der Julius Otto-Straße 9 (Parterre) in der Dresdner Vorstadt Strehlen, ihre Mutter Emilie Wedekind weiterhin in der Struvestraße 34 (3. Stock) in der Seevorstadt.
Dresden-Strehlen.
Julius Otto Strasse 9.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 4 Blatt, davon 6 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 1 Doppelblatt. 4 Seiten beschrieben. Seitenmaß 13,5 x 21 cm. 1 Einzelblatt. 1 Seite beschrieben. 13,5 x 21 cm. Kuvert. 1 Seite beschrieben. 11,5 x 14,5 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit einer aufgeklebten Briefmarke von 10 Pfennig frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Das Datum des Postausgangsstempels ‒ 24.8.1900 ‒ darf als Schreibdatum angenommen werden. Wedekind hat den Brief irrtümlich als am 25.8.1900 geschrieben erinnert [vgl. Wedekind an Walther Oschwald, 30.8.1900].

Uhrzeit im Postausgangsstempel München unleserlich. Uhrzeit im Posteingangsstempel Dresden: „1 – 2 N“ (= 13 bis 14 Uhr).

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
Konvolut Franziska Burkhardt, Nidderau
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Erika (Mieze) Wedekind, 24.8.1900. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

23.11.2023 22:54