Kennung: 1941

Berlin, 4. September 1913 (Donnerstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Reinhardt, Max

Inhalt

[1. Druck im „Berliner Tageblatt“, 5.9.1913:]


Erlauben Sie mir, sehr geehrter Herr Reinhardt, Ihnen in kurzen Worten zu sagen, warum ich mich Ihnen für die Gastlichkeit, mit der Sie mich als InterpretenFrank Wedekind führte bei der Berliner „Franziska“-Premiere am 5.9.1913 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters „erstmals selbst die Regie. Das Ehepaar Wedekind trat wieder in den Hauptrollen auf“ [KSA 7/II, S. 1157]. des Mysteriums „Franziska“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters zu Worte kommen lassen, zu ganz besonderem Danke verpflichtet fühle.

In „Franziska“ versuchte ich, einen ganzen Komplex von Empfindungen in ein Menschenschicksal zu bannen, ohne die meiner Auffassung nach weder die antike Mythologie, noch die religiöse Askese entstanden wären, weder eine Amazone, noch ein Säulenheiliger, weder BeethovensFidelio“ noch GoethesMignon“.

Gänzlich fern lag mir die Verherrlichung des Mannweibes, während ich das „Mignon“-ThemaIn „Franziska. Ein modernes Mysterium in neun Bildern. Bühnenausgabe in gebundener Rede“ (1914) charakterisiert Wedekind Franziska in Anspielung auf Goethes rätselhafte Figur als „Mignon-Erscheinung“, die nichts „vom Mannweib“ [KSA 7/I, S. 391] habe. Im Stück ist aus Goethes „Mignon“-Gedicht aus dem „Wilhelm Meister“ zitiert [vgl. KSA 7/II, S. 1054]. zu erweitern suchte und deshalb das Motto wählte: „Wende die Füßchen zum Himmel“Wedekinds „Franziska. Ein modernes Mysterium in fünf Akten“ (1912) hat das Motto: „Wende die Füßchen zum Himmel nur ohne Sorge! / Wir strecken Arme betend empor; aber nicht schuldlos wie du.“ [KSA 7/I, S. 227] Das Motto zitierte Wedekind aus Goethes „Venetianischen Epigrammen“ [vgl. KSA 7/II, S. 1076]. – ‒ Empfindungen, die vielleicht das natürlichste nächstliegende Ergebnis lebendiger Phantasie darstellen, die aber von der heutigen Generation vielfach als der menschlichen Natur zuwiderlaufend, als der künstlerischen Behandlung unwürdig, mit Verachtung behandelt werden.

Was mir aber die Berliner Aufführung besonders wichtig und wertvoll erscheinen läßt, ist außer dem Vorzug, daß sich die erwählten Kräfte des Deutschen Theaters der Darstellung meiner Arbeit widmen, die Zuversicht, aus den kritischen BeurteilungenIn der Kritik wurde die Berliner Premiere von „Franziska“ recht verhalten beurteilt [vgl. KSA 7/II, S. 1223-1232]. zu erfahren, von welchem Gesichtspunkte aus sich dem Stoff, den ich zu behandeln suchte, mehr Geschlossenheit und eine größere Vertiefung abgewinnen ließen.

In unverbrüchlicher Verehrung Ihr ergebener
Frank Wedekind.


[2. Druck in „Vossische Zeitung“, 5.9.1913:]


Erlauben Sie mir, sehr geehrter Herr Reinhardt, Ihnen in kurzen Worten zu sagen, warum ich mich Ihnen für die Gastlichkeit, mit der Sie mich als Interpreten des Mysteriums „Franziska“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters zu Worte kommen lassen, zu ganz besonderem Danke verpflichtet fühle.

In „Franziska“ versuchte ich, einen ganzen Komplex von Empfindungen in ein Menschenschicksal zu bannen, ohne die meiner Auffassung nach weder die antike Mythologie noch die religiöse Askese entstanden wären, weder eine Amazone, noch ein Säulenheiliger, weder Beethovens „Fidelio“ noch Goethes „Mignon“.

Gänzlich fern lag mir die Verherrlichung des Mannweibes, während ich das „Mignon“-Thema zu  erweitern suchte und deshalb das Motto wählte: „Wende die Füßchen zum Himmel“ – Empfindungen, die vielleicht das natürlichste, nächstliegende Ergebnis lebendiger Phantasie darstellen, die aber von der heutigen Generation vielfach als der menschlichen Natur zuwiderlaufend, als der künstlerischen Behandlung unwürdig mit Verachtung behandelt werden.

Was mir aber die Berliner Aufführung besonders wichtig und wertvoll erscheinen läßt, ist außer dem Vorzug, daß sich die erwählten Kräfte des Deutschen Theaters der Darstellung meiner Arbeit widmen, die Zuversicht, aus den kritischen Beurteilungen zu erfahren, von welchem Gesichtspunkt aus sich dem Stoff, den ich zu behandeln suchte, mehr Geschlossenheit und eine größere Vertiefung abgewinnen ließen.

In unverbrüchlicher Verehrung
Ihr ergebener
Frank Wedekind.


[3. Druck im „Berliner Börsen-Courier“, 5.9.1913:]


Erlauben Sie mir, sehr geehrter Herr Reinhardt, Ihnen in kurzen Worten zu sagen, warum ich mich Ihnen für die Gastlichkeit, mit der Sie mich als Interpreten des Mysteriums „Franziska“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters zu Worte kommen lassen, zu ganz besonderem Danke verpflichtet fühle.

In „Franziska“ versuchte ich, einen ganzen Komplex von Empfindungen in ein Menschenschicksal zu bannen, ohne die meiner Auffassung nach weder die antike Mythologie, noch die religiöse Askese entstanden wären, weder eine Amazone, noch ein Säulenheiliger, weder Beethovens „Fidelio“, noch Goethes „Mignon“.

Gänzlich fern lag mir die Verherrlichung des Mannweibs, während ich das „Mignon“-Thema zu erweitern suchte und deshalb das Motto wählte: „Wende die Füßchen zum Himmel“ – Empfindungen, die vielleicht das natürlichste, nächstliegende Ergebnis lebendiger Phantasie darstellen, die aber von der heutigen Generation vielfach als der menschlichen Natur zuwiderlaufend, als der künstlerischen Behandlung unwürdig, mit Verachtung behandelt werden.

Was mir aber die Berliner Aufführung besonders wichtig und wertvoll erscheinen läßt, ist außer dem Vorzug, daß sich die erwählten Kräfte des Deutschen Theaters der Darstellung meiner Arbeit widmen, die Zuversicht, aus den kritischen Beurteilungen zu erfahren, von welchem Gesichtspunkte aus sich dem Stoff, den ich zu behandeln suchte, mehr Geschlossenheit und eine größere Vertiefung abgewinnen ließen.

In unverbrüchlicher Verehrung
Ihr ergebener
(gez.) Frank Wedekind.


[4. Druck in „Der Tag“, 5.9.1913:]


Erlauben Sie mir, sehr geehrter Herr Reinhardt, Ihnen in kurzen Worten zu sagen, warum ich mich Ihnen für die Gastlichkeit, mit der Sie mich als Interpreten des Mysteriums „Franziska“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters zu Worte kommen lassen, zu ganz besonderem Danke verpflichtet fühle. In „Franziska“ versuchte ich, einen ganzen Komplex von Empfindungen in ein Menschenschicksal zu bannen, ohne die meiner Auffassung nach weder die antike Mythologie noch die religiöse Askese entstanden wären, weder eine Amazone noch ein Säulenheiliger, weder Beethovens „Fidelio“ noch Goethes „Mignon“. Gänzlich fern lag mir die Verherrlichung des Mannweibes, während ich das „Mignon“-Thema zu erweitern suchte und deshalb das Motto wählte: „Wende die Füßchen zum Himmel“ –Empfindungen, die vielleicht das natürlichste nächstliegende Ergebnis lebendiger Phantasie darstellen, die aber von der heutigen Generation vielfach, als der menschlichen Natur zuwiderlaufend, als der künstlerischen Behandlung unwürdig, mit Verachtung behandelt werden. Was mir aber die Berliner Aufführung besonders wichtig und wertvoll erscheinen läßt, ist außer dem Vorzug, daß sich die erwählten Kräfte des Deutschen Theaters der Darstellung meiner Arbeit widmen, die Zuversicht, aus den kritischen Beurteilungen zu erfahren, von welchem Gesichtspunkt aus sich dem Stoff, den ich zu behandeln suchte, mehr Geschlossenheit und eine größere Vertiefung abgewinnen ließen. In unverbrüchlicher Verehrung Ihr ergebener Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 0 Blatt, davon 0 Seiten beschrieben

Sonstiges:
Das Korrespondenzstück ist nur im Druck als offener Brief überliefert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 4.9.1913 ist als Ankerdatum gesetzt ‒ der Tag vor der Berliner Premiere von „Franziska“ am 5.9.1913 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters und vor den Erstdrucken in den Morgenausgaben verschiedener Berliner Zeitungen vom 5.9.1913 („Berliner Tageblatt“, „Vossische Zeitung“, „Berliner Börsen-Courier“ sowie in „Der Tag“). Der Schreibort ist durch das Tagebuch belegt.

  • Schreibort

    Berlin
    4. September 1913 (Donnerstag)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Berliner Tageblatt

Ort der Herausgabe:
Berlin
Verlag:
Berlin: Mosse
Kommentar:
Detaillierte Angabe: Wedekind an Reinhardt. In: Berliner Tageblatt, Jg. 42, Nr. 450, 5.9.1913, Morgen-Ausgabe, S. (3); redaktionelle Einleitung: „Frank Wedekind hat an Max Reinhardt einen Brief gesandt, in dem er sich über sein Mysterium ‚Franziska‘ in bemerkenswerten Sätzen ausspricht. Die Absichten des Dichters werden heute, am Tage der Berliner Aufführung in den ‚Kammerspielen‘, besonders interessieren. Wedekinds Brief lautet:“ ‒ Der offene Brief erschien zugleich ohne Titel vollständig in der „Vossischen Zeitung“ [Nr. 450, 5.9.1913, Morgen-Ausgabe, S. (3)]; redaktionell eingeleitet: „Frank Wedekind hat anläßlich der heutigen Premiere seines Mysteriums ‚Franziska‘ an Max Reinhardt den nachstehenden Brief gerichtet:“ ‒ Der offene Brief erschien außerdem zugleich ohne Titel vollständig im Rahmen von Emil Linds Artikel „Ein Schauspieler über Wedekind“ im „Berliner Börsen-Courier“ [Jg. 45, Nr. 415, 5.9.1913, Morgen-Ausgabe, S. 7]; redaktionell eingeleitet: „Daß Wedekind übrigens nach Kräften versucht, zu solcher gerechten Würdigung zu gelangen, geht aus einer Stelle des nachfolgenden Briefes hervor, den er als eine Art Einführung und Geleitwort – anläßlich der heutigen Premiere von ‚Franziska‘ an Max Reinhardt richtete:“ ‒ Der offene Brief wurde ferner am selben Tag unter dem Titel „Frank Wedekind über sein Mysterium ‚Franziska‘“ in der Berliner Zeitung „Der Tag“ [Nr. 450, 5.9.1913, Morgenausgabe, S. (2)] vollständig publiziert; redaktionelle Einleitung: „Anläßlich der heutigen Premiere von ‚Franziska‘ hat Frank Wedekind nachstehenden Brief, um dessen Wiedergabe wir ersucht werden, an Max Reinhardt gerichtet:“ ‒ Der offene Brief wurde einen Tag nach den Berliner Erstdrucken in der „Münchener Zeitung“ [Jg. 22, Nr. 207, 6.9.1913, S. 2] unter dem Titel „Wedekind an Reinhardt“ um den ersten Absatz und die Grußformel am Schluss mit dem Verfassernamen gekürzt publiziert; redaktionelle Einleitung: „Frank Wedekind hat aus Anlaß der Premiere seiner ‚Franziska‘ in den Berliner Kammerspielen an Max Reinhardt einen Brief gerichtet, der einige Aufschlüsse über das Werk gibt; er sagt darin:“ ‒ Nachdruck aus dem „Berliner Börsen-Courier“ unter dem Titel „Frank Wedekind über sein Mysterium ‚Franziska‘“: KSA 5/II, S. 499.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Es gibt keine Informationen zum Standort..

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Max Reinhardt, 4.9.1913. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

04.03.2022 10:00