Kennung: 1918

München, 10. Dezember 1905 (Sonntag), Brief

Autor*in

  • Scharf, Ludwig

Adressat*in

  • Wedekind, Frank

Inhalt

München, Schellingstr. 38 MB II l


10.XII.05


Lieber Wedekind,

ich höre, dass Du nächst dem HetmannWedekind spielte in „Hidalla“ am Kleinen Theater (Direktion: Victor Barnowsky) in Berlin die Hauptrolle des Karl Hetmann (Premiere: 26.9.1905). Die Inszenierung, die allein bis zum Jahresende 40 Vorstellungen erlebte, hatte einen starken Publikumserfolg. auch den MarquisWedekind hatte am 13.12.1905 ein „Marquis von Keith“-Gastspiel im Kleinen Theater (Direktion: Victor Barnowsky) in Berlin, sein zehnter Auftritt in der Titelrolle, wie er im Tagebuch notierte („Ich spiele zum 10 Mal den Marquis“). in Berlin noch spielen wirst. Dadurch verzögert sich Deine Ankunft in München wohl noch um WochenWedekinds Rückkehr nach München verzögerte sich um Monate; er blieb in Berlin und reiste erst wieder am 25.6.1906 zu einem längeren Aufenthalt nach München.. Man hat aber, um gewisse Solidaritätsgefühle nicht in die Brüche gehen zu lassen, das unabweisliche Bedürfnis ‒, von Zeit zu Zeit sich zu sehen und zu sprechen.

Ich möchte Dir nun folgenden, auch von Langheinrich unterstützten Vorschlag machen: Du hast in Berlin mit Lilienkron u. Dehmel literarische AbendeWedekind hatte am 5.3.1905 im Beethovensaal in Berlin (Köthener Straße 28) um 12 Uhr eine gemeinsame Matinee zusammen mit Gertrud Eysoldt, Detlev von Liliencron und Marcell Salzer [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 116, 4.3.1905, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (12)], die er im Tagebuch festhielt („Vortrag im Bethovensaal mit Gertrud Eysold Lilienkron und Marzel Salzer“), um danach abzureisen („Abfahrt nach München“). Ein gemeinsamer Vortragsabend von Detlev von Liliencron und Frank Wedekind fand am 22.10.1905 um 20 Uhr wieder im Beethovensaal in Berlin statt [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 529, 12.10.1905, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (3)], von Wedekind im Tagebuch notiert („Abends mit Detlev von Lilienkron Vortrag im Bethovensaal“), außerdem ein gemeinsamer Vortragsabend von Frank Wedekind und Richard Dehmel am 3.12.1905 wiederum um 20 Uhr im Beethovensaal [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 34, Nr. 613, 2.12.1905, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (3)], von Wedekind ebenfalls im Tagebuch notiert („Vortrag mit Richard Dehmel im Bethoven Saal der Philharmonie“). veranstaltet: wie wäre es, wenn Du mit mir zusammen | einen dritten Abend arrangieren würdest? Es dürfte Dir oder Deinem Agenten keineswegs schwerfallen und wird nur von Deinem guten Willen abhängen. ‒

Ich will Dir kein Klagelied vorsingen von den elenden Verhältnissen, in denen ich immerzu lebe, und die dadurch wieder etwas gebessert würden. Ich will Dich nur daran erinnern, dass Du durch einen solchen VortragsabendEin gemeinsamer Vortragsabend von Wedekind und Ludwig Scharf, die seinerzeit in München beide bei den Elf Scharfrichtern waren, in Berlin fand offenbar nicht statt. eine event. grössere Hilfsaction, wie ich sie mit Dir schon einmal besprochen habe (Harden, Zukunft), am leichtesten in die Wege geleitet werden könnte.

Ueberleg’ Dir’s einmal und schreib mir dann eine Zeile darüber! Es spränge für meinen Teil bestimmt soviel heraus, dass ich Reise und Berliner Aufenthalt damit bestreiten könnte. Vielleicht noch | etwas darüber. ‒

Es würde mich freuen, wenn wir uns auf diese Weise wieder mal in Berlin sehen würden, was, glaube ich, seit 97Ludwig Scharf wohnte 1897 in Berlin, wo er viel mit Wedekind zu tun und seine damalige letzte Adresse (Magdeburgerstraße 13) als Deckadresse für Wedekinds Korrespondenz mit seiner Geliebten Julia Rickelt zur Verfügung gestellt hatte. nicht mehr der Fall war.

Mit herzlichem Gruss ‒
Dein alter
Ludwig Scharf.


Es geht das Gerücht, dass Du nach Berlin übersiedeln wollest. Diese Befürchtung, Du könnest München verloren gehen, dürfte Dir bei Deinem Wieder-Erscheinen sehr zu gute kommen. ‒

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Mischschrift (Kurrent und lateinische Schrift).
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 11,5 x 18 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
In der Mappe mit der Signatur FW B 155 liegt außer dem Brief Ludwig Scharfs auch sein bekanntes Gedicht „Proleta sum“ (1899) in seiner Handschrift, das wohl kaum eine Beilage zu dem vorliegenden Brief gewesen sein dürfte, der darauf auch keinen Hinweis gibt.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    10. Dezember 1905 (Sonntag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Gesammelte Lyrik und Prosa. Mit einer Auswahl aus dem Briefwechsel und einer Rezension von Eduard v. Keyserling

Autor:
Ludwig Scharf
Herausgeber:
Walter Hettche
Verlag:
Bielefeld: Aisthesis
Jahrgang:
2011
Seitenangabe:
347
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 155
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Ludwig Scharf an Frank Wedekind, 10.12.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

12.08.2021 09:59