Kennung: 1774

Berlin, 14. Dezember 1906 (Freitag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Koautoren*in

  • Wedekind, Tilly

Adressat*in

  • Newes, Eduard

Inhalt

Lieber Papa!

Nachdem soweit nun alles glücklich vonstatten gegangen ist, muß ich Euch doch schreiben, wie sich unsere liebe Tilly befindet. Unberufenohne etwas berufen zu wollen, im Sinne von toi, toi, toi! sehr gut. Sie hat von dem was sie erwartete nur deshalb niemandem gegenüber etwas verlauten lassen weil sie Euch die Aufregung ersparen wollte, mit der unsere liebe Mama, Du und die Geschwister sicher diesem Ereignis entgegengesehen hättet. Sie ist mit großer Gefaßtheit, ich darf wohl sagen, Munterkeit dem Abenteuer entgegengegangen, | dann hat sie zwei Stunden fürchterlich geschrienFrank Wedekind notierte am 12.12.1906 zur Niederkunft seiner Frau mit ihrem ersten Kind im Tagebuch: „Um 6 Uhr weckt mich Tilly durch ihr geschrei, bald darauf kommt Dr. Bresin um 8 Uhr ist Anna Pamela geboren, dann kommt Flatau. Um Mittag tritt die Schwester an.“ Tilly Wedekind erinnerte sich: „Ab vier Uhr morgens wurde es arg. Ich schrie. Der Arzt wurde gerufen. [...] Ich brüllte. [...] Gegen Morgen steigerten sich die Schmerzen ins Unerträgliche, und um 8 Uhr war das Kind da: eine Tochter. [...] Dann schlief ich erschöpft ein.“ [Wedekind 1969, S. 98] und dann war sie gleich wieder ebenso munter wie vorher. Die Hebamme war glücklicher Weise die Nacht über hiergeblieben so daß sie am Morgen gleich zur Hand war. Dann traf ein SpezialistDr. med. Georg Bresin, praktischer Arzt und Geburtshelfer. ein und als alles glücklich vorüber war kam auch noch unser HausarztDr. med. Theodor Simon Flatau, Hals-, Ohren- und Nasenarzt, außerdem Dozent für Stimmphysiologie an der Berliner Hochschule für Musik. Seit einem Jahr war er Wedekinds Hausarzt (behandelt hat er Tilly), im Tagebuch erstmals namentlich genannt am 23.12.1905.. Im wesentlichen hat unsere liebe Tilly aber alles allein besorgt. Jetzt hat sie eine Schwester zur Pflegerin die jedenfalls noch acht Tage hierbleibt. Ich danke Euch a/A/llen herzlich für das freundliche Anerbieten Tilly zu pflegen, aber wir halten es jetzt im Augenblick nicht für nötig daß jemand herkommt und dann hat man doch viel mehr davon, | sich gesund und munther wiederzusehen als was hoffentlich bald geschieht als wenn wie jetzt Tilly bedauern müßte daß sie sich nicht rühren kann und sich möglichst schonen muß.

Tilly hat unserer lieben Tochter die Namen Anna Pamela gegeben. Der Arzt kommt einstweilen noch jeden Vormittag, hat Tilly aber heute schon gestattet zu essen und zu trinken als wäre sie vollkommen gesund. Die Kleine verhält sich tagsüber sehr ruhig, dagegen soll sie nachts einen großen Lärm verführen. BesucheWedekind notierte am 14.12.1906 im Tagebuch: „Adele Sandrock und Lou Andreas Salomé besuchen Tilly.“ Tilly Wedekind erinnerte sich nur an Lou Andreas-Salomé, die sich gleich wieder verabschiedet habe, als sie von der gerade erfolgten Geburt erfahren habe [vgl. Wedekind 1969, S. 99f.]. zu empfangen hat unser Hausarzt Tilly strengstens verboten, sie scheint sich aber trotzdem gar nicht zu langweilen. Wenn ich aus dem TheaterWedekind besuchte am 13. und 14.12.1906 Vorstellungen von „Frühlings Erwachen“ an den Kammerspielen des Deutschen Theaters (anschließend war er mit Bekannten und Freunden in verschiedenen Berliner Lokalen, so auch abends am 12.12.1906). nach Hause komme bittet sie mich, ihr die Kleine, auch wenn | sie ruhig schläft aus dem Bettchen herüber zu reichen. Offenbar scheint sie sie also gerne bei sich zu haben.

Ich bitte Dich lieber Papa, unserer lieben Mama und den lieben GeschwisternTilly Wedekinds Geschwister waren Dora, Paula, Rudolf, Dagobert, Karl und Martha Newes. herzlich für die schönen Briefe mit den Glückwünschenvgl. Mathilde und Dora Newes an Tilly und Frank Wedekind, 12.12.1906. Darüber hinaus ist außer einem Brief des Schwiegervaters [vgl. Eduard Newes an Frank und Tilly Wedekind, 12.12.1906] noch ein Glückwunschtelegramm überliefert [vgl. Mathilde und Eduard Newes, Dora, Paula, Rudolf, Dagobert, Karl und Martha Newes an Frank und Tilly Wedekind, 12.12.1906]. zu danken. Dir selber, lieber Papa, danke ich mehr als je innig und aufrichtig für das Glück meines Lebens und bin mit den herzlichsten Grüßen an alle unsere Lieben
Dein getreuer Sohn
Frank.


Berlin, 14 XII.6.


Innige Grüße u. Dank für die lieben Briefe. Den OnkelnDagobert Engländer (in Wien), Richard Engländer (in Wien) und Adolf Engländer (in Prag) waren die Brüder von Tilly Wedekinds Mutter. wird morgen geschrieben. Sobald ich kann, schreibe ich ausführlich.

Eure Tilly

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent (Frank Wedekind). Lateinische Schrift (Tilly Wedekind).
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte (Frank Wedekind). Bleistift (Tilly Wedekind).
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14,5 x 22,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Empfangsort ist der Wohnort des Adressaten.

  • Schreibort

    Berlin
    14. Dezember 1906 (Freitag)
    Sicher

  • Absendeort

    Berlin
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Graz
    Datum unbekannt

Erstdruck

Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 205
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind, Tilly Wedekind an Eduard Newes, 14.12.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

17.01.2021 12:10