Beersheba Springs,
28 Dezember 1888.
Mein
lieber Franklin!
BeßtenSchreibweise Olga Plümachers statt "besten".
Dank für Deinen Brief mit dem Berichte über Deines Vaters Tode. Das Geschick
war ihm günstig; er hat einen raschen, kampflosen Tod gehabt; das ist ein
großer Trost für die Hinterlaßenen, wenn der Preis, den wir alle endlich für
das „Glück“? gelebt zu haben zahlen müßen, in
nicht gar zu erschreckender Form eingefordert wird. –– Also Du hast mir nicht
geschrieben, weil Du mir keine „Geistesthat“ zu berichten hattest! O, wie
verkehrt! Ich hatte Dich lieb gewonnen als Du noch | ein recht fauler
Schulknabe warst, der zwar Knitelverse Schreibweise Olga Plümachers statt "Knittelverse". verfaßte,
der aber deßwegen noch durchaus keinen künftigen Schiller oder SchackespearSchreibweise Olga Plümachers. in Aussicht stellte. Und später, als aus dem Knaben ein Jüngling, und aus dem Jüngling ein
Mann wurde, da freute es mich, daß Einem, dem ich gewogen war um seines ganzen
Wesens willen eine auf‘s Ideale gerichteSchreibversehen Olga Plümachers statt "gerichtete".
Begabung eignete; nicht aber warst Du mir lieb und werth weil Du dichterisch
begabt warst und gesonnen warst als Schriftsteller Deinen Platz in der Gesellschaft
auszufüllen. Deine Briefe wären mir ganz gleich willkommen gewesen, wenn Du
schon nicht Leistungen zu melden hattest. MannSchreibweise Olga Plümachers statt "man". wird | eben nicht Schriftsteller,
wie man Schuster oder Schneider wird in zwei Jahren. Der Eine schießt den Vogel
runter mit 20 Frühlingen, der andere kommt in‘s Schwabenalter – die Geister
reifen nicht in so gleichmäßigen Tempo wie die Kirschen. Ich habe mir übrigens
gedacht es möchte so etwas hinter Deinem Stillschweigen stecken; an Deiner
Freundschaft habe ich nicht gezweifelt; und ebenso wenig an Deinem Talente,
trotzdem, daß Du einige Zeit im Nebel herum geirrt hast. Du bist nicht der
Erste und wirst nicht der Letzte sein, der zick zack wandert, bevor er auf den
richtigen Weg gelangt. Nun bist Du also die Juristerei los und da sie Dir gar
so widerwärtig war, so gratulire ich Dir dazu. |
Sonst findt ich sie, wie
überhaupt ein Brodstudium oder einen gewöhnlichen Beruf nicht als ein Hinderniß
für die höhere geistige Entwicklung. Im Gegentheil es gewährt Gemüthsruhe. Wenn
man sich sagt: „so, jetzt will ich ganz meinem Genius leben, nichts thun als
nur den Eingebungen meiner Muse folgen“ so knüpft sich hieran unmittelbar die
Erwartung, daß nun auch wirklich etwas geschaffen werde an dem man selbst und
auch die Freunde Freude haben. Ist die Muse nun spröde und will der Genius noch
vor dem völligen Erwachen ein bißchen „duseln“ – wie wir‘s ja auch gern thun am
Morgen vor dem Aufstehen – dann wird man leicht ärgerlich über, und irre an
sich selbst und der Menschheit gegenüber fühlt man sich in Schuld. Dieses
geistige Un- |
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behagen aber ist das allerschlimmste für den Geist; die
productive Stimmung verlangt Gemüthsruhe und Selbstzufriedenheit und
Selbstvertrauen, und besonders auch gänzliche Gleichgültigkeit gegen die
Dauer, welche eine Production in Anspruch nimmt. Hat nun der Mensch einen
Beruf, den er pflichttreu, wenn auch halbwegs unlustig erfüllt, so stört ihn erstens das Gefühl der Leistungsschuldigkeit nicht,
und zweitens, wenn sich sein Genius sehr Zeit läßt mit der Hervorbringung eines
Kunstwerkes, so hat er die Entschuldigung der so schmal zugemessenen Zeit. So
bleibt der Mensch zufrieden und der Herr | Gerichtsschreiber, oder AsseßorSchreibweise Olga Plümachers statt „Assessor“. , oder
Seidenhändler oder Consul überrascht eines Tages alle Welt mit einer
gezeitigten Meisterleistung, die ihn mit einemmal in die Reihen der Ersten ranschirtSchreibweise Olga Plümachers statt "rangirt". . Scheffel, Keller, Reuter und so viele
andere waren Juristen, Con. Ferd. Meier, Ritterhaus, Freitag, Schmid-„Dranmor“
waren Kaufleute auch die Reihen der Lieutenants haben manchen vorzüglichen
Schriftsteller gestellt, vom „Schumach - er und Poet dazu“ und von der „Aurora,
das yst die hymmlische Morgenröthe“, die auch in der Schusterwerkstätte aufging ganz zu schweigen. Dieser Weg aus
dem „Duster“ bürgerlicher Wackerheit auf die Höhen wo der Lorbeer und die
anständigen Honorare blühen ist der leichteste und sanfteste; | aber die sanften,
glatten Wege sind ja nicht Jedermanns Sache; mancher will absolut „‘s Leiterli“
herauf statt mit der Eisenbahn auf den „Uetli“ zu fahren. Also, mein lieber
Franklin, klettere über Stock und Stein; an
„Stöcken“ wird‘s Dir nicht fehlen, das sind die Philister, die gleich sagen „aus
dem wird nichts,“ wenn Einer ein wenig nebulirt; und die „Steine“ werden Dir
die Kritiker auch in den Weg legen. Verliere aber deßwegen den Muth nicht und eile
Dich nicht und laß dich nicht eilen durch die gänzlich falsche Idee:
Du seiest Deinen Freunden eine Geistesthat schuldig. Sag‘ aber um Gotteswillen
keinem der Schweizer-Philister Du gehest nach Berlin um ein Stück auf die Bühne
zu bringen und Deiner | Muse zu leben. Sag ihnen eher Du gingest um die
Runkelrübenkultur zu studiren, weil Du später auf dem Schloß Landwirthschaft
treiben wollest; oder, wenn Dir das zu prosaisch ist, sag‘ lieber Du gehest um
zu – lumpen, um das freie Leben frei zu genießen. Die Ehrbaren machen dann‘s
Kreuz hinter Dir, aber Du bist dann doch den Druck los, daß in aller Eile etwas
von Dir erwartet wird. Deine Mutter ist so klug und gut, daß sie Dir nicht
unbequem wird, e die Andern laß es Dir nicht werden. –
Wenn Du nach Berlin gehst mußt Du zu Hartmann‘s; ich geb Dir einen
Brief mit und Du wirst Dir dort gefallen; sie üben eine sehr angenehme, „heimelige“
Gastfreundschaft, und sehen gerne junge Leute bei sich. |
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Gleich nach Neujahr schreibe
ich an Deine Mutter. Gieb ihr heute meine aller herzlichsten Grüße. Ebenso
grüße Deine Schwestern und Bruder Doctor wenn Du ihn siehst. –
Ich bat seiner Zeit Frau Dr. Gemter mir Deine
Feuilletons, die sie mir rühmte, zu senden; es geschah nicht. Wenn Du
entbehrliche Ex. hast, würden mich solche recht freuen. Solltest Du aufgelegt
sein mit Deiner alten, jetzt leider ja so einsamen und an Herzensfreude
verarmten Freundin zu plaudern, so sollte es mich sehr freuen und bitte Dich
doch nicht abhalten zu lassen, weil Du noch keinSchreibweise Olga Plümachers statt "keinen".
Anspruch auf einen Paragraphen in der Literaturgeschichte für höhere Töchter
hast. | Meine „Geistesthat“ ist auch immer noch nicht abgeschloßen. Meine „Geschichte
des Begriffes des unbewußten Geistes“, wo ich beim Thales anfing um beim
Hartmann zu enden ist auch noch immer Embrio; sie wird wohl kaum zur Reife
kommen, mir fehlt der Glaube an der Nützlichkeit meiner Arbeit und der Frohmuth
der Seele, der erste Bedingung zu geistiger Arbeit ist. Ich bin nicht mehr die
ich war seidSchreibweise Olga Plümachers statt "seit". mein Junge mir entrißen ist. – Adieu
nun lieber Franklin; laß‘ also in jedem Fall von Dir hören bevor Du nach Berlin
gehst. Wie stellst Du Dich zum neuen Realismus? Ich habe manches in dieser
Richtung gelesen in neuester Zeit; könntest mal Deine Meinung hierüber von StappelSchreibweise Olga Plümachers statt "Stapel". laßen. Deine alte
Tante O. Plümacher. /
Erinnerst Du Dich des Arnold Hünerwadel‘s? Er hat diese Woche hier in Beersheba
eine schöne Farm geheirathet und eine Frau dazu übernommen, die 4 Jahre
älter ist als er. Das ist auch Realismus.