Kennung: 1270

München, 17. Oktober 1908 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Mendelssohn, Robert von

Inhalt

[1. Erster Briefentwurf:]


Darf ich Ew. Hochwohlgeboren höflichst ersuchen von dem Inhalt beiliegender Zeilen Kenntnis zu nehmen.

Hochachtungsvoll ergebenst.
F.W.

Ew. Hochwohlgeboren.

Darf ich Ew. Hochwohlgeboren ersuchen von den hier beigelegten Tagebuch++++++ Kenntnis zu nehmen, aus denen Ew. Hochwohlgeboren gütigst ersehen dürften wollen weshalb ich mich gezwungen sehe war Sie mit dieser Streitsache Zusendung zu belästigen zur Last zu fallen.

In vorzüglicher Hochschätzung
ergebenst
F.W.

An die Herren Societäre des Deutschen Theaters in Berlin.


[2. Zweiter Briefentwurf:]


Da mir Herr Direktor Reinhart die Direktion des Deutschen Theaters das Recht streitig macht über meine eigene geistige Arbeit zu verfügen, ersuche ich Sie höflichst von beiliegenden Zeilen Kenntnis nehmen zu wollen.


[3. Abgesandter Brief:]


Ew. HochwohlgeborenDa diese Anrede eigentlich für adelige Personen bestimmt war und in dem siebenköpfigen Adressatenkreis des Reinhardt-Tagebuchs nur Robert von Mendelssohn geadelt war, dürfte er der Adressat dieses Briefes sein. Erhalten ist als abgesandter Brief in diese Runde ansonsten nur noch der an Maximilian Harden.!

Da mir die Direktion des Deutschen Theaters das Verfügungsrecht über meine geistige Arbeit streitig macht, ersuche ich Ew. Hochwohlgeboren höflichst von beiliegenden ZeilenDem abgesandten Brief liegt heute nichts mehr bei. Briefbeilage war ein von Wedekind verfasstes „Tagebuch“ [KSA 5/II, S. 278-281; vgl. 5/III, S. 695-702] über seine Auseinandersetzungen mit Max Reinhardt um die Auflösung seiner Verträge mit dem Deutschen Theater, das er seinem tatsächlichen Tagebuch zufolge am 11.9.1908 in Berlin schrieb (Entwurf der Beilage): „Ich stelle das Reinhardttagebuch zusammen bei Steinert und C. d. W.“ Am 14.9.1908 notierte er zur Herstellung des Typoskripts (Beilage): „Abschrift des Reinhardt-Tagebuches. Gebe Reinhardt Tagebuch zum Verfielfältigen.“ Eines der vervielfältigten Exemplare ging an Robert von Mendelssohn. Kenntnis nehmen zu wollen.

Hochachtungsvoll ergebenst
Frank Wedekind.

17.10.8.Im Tagebuch hält Wedekind am 17.10.1908 fest: „Tagebuch nach Berlin verschickt.“ Das ist die Beilage, die Wedekind mit Anschreiben am 17.10.1908 außer an Robert von Mendelssohn an Maximilian Harden, Emmy Loewenfeld, Fritz Andreae, Hermann Rosenberg, Walther Rathenau und Paul Cassirer sandte.


[4. Entwurf der Beilage:]


Tagebuch

Ich habe von Max Reinhardt das schmutzigste geschäftliche Vorgehen erfahren, das ich in meiner zwanzigjährigen Schriftstellerpraxis erlebt habe.

21.12.5.

Abschluß eines Schauspielervertrages zwischen der Direktion Max Reinhart und mir gültig vom 1.X.6 bis und mit 31.III 07 zu M. 1000 pro Monat. Direktor Reinhart hat das Recht, den Vertrag auf ein weiteres Jahr 1 X 1907 ‒ 31 III 1908 unter gleichen Bedingungen verlängert zu erklären.

15.III 06

Tartuffeprobe. Herr Max Reinhart führt Regie. Nachdem Herr Reinhart die h zwei Stunden hindurch die Rolle des Tartuffe | sehr anstrengend mit mir probiert hat stürzt Felix Holländer in der Pause mit einem fertig aufgesetzten Kontrakt auf mich zu, von dem vorher nie mit einer Sylbe die Rede war. Er bittet mich ins Bureau zu kommen und sagt versichert mir der gleiche Contrakt sei von allen übrigen Autoren des Deutschen Theaters unterzeichnet worden, ich werde daher nicht zögern ihn auch ebenfalls zu unterschreiben. Der Kontrakt verpflichtet den Unterzeichner ohne jeder Gegenleistung, ohne daß auch nur ein Aufführungstermin ++ für die einzelnen Stücke fixirt ist auf fünf Jahre alle seine dramatischen Werke zum Zweck der Aufführung zuerst dem Deutschen Theater einzureichen. Irgendwelche Gegenleistung | die dieser Verpflichtung entspräche ist in dem Kontrakt nicht fixiert. Es ist nicht einmal ein Aufführungstermin für die einzureichenden Stücke festgesetzt.

Ich unterschreibe Angespannt und verwirrt wie ich bin unterzeichne ich den Kontrakt/Vertrag/.

Nachdem dann die Probe noch etwa eine Stunde gedauert hat lädt mich Felix Holländer zum Mittagessen bei Borchart ein, an dem auch außer uns Reinhart theilnimmt Else Frl. Heims und Herr Lewin theilnehmen.

19.6.07.

Reinhardt fragt mich im Deutschen Theater ob ich dazu bereit bin meinen Schauspielervertrag mit ihm auf ein weiteres Jahr zu verlängern. Ich erkläre mich damit einverstanden.

1.X.07

Vom Seit dem 19.6.07 warte | ich vergeblich auf eine schriftliche Erledigung der von uns besprochenen Kontraktverlängerung Abmachungen, treffe aber heute trotzdem pünktlich am 1.X. in Berlin ein nachdem ich die vorhergehenden drei Wochen anstrengend an den Vorbereitungen für die Aufführung gearbeitet habe, die als erste der Saison festgesetzt ist.

8.X.07 Ich gehe Nachdem ich 8 Tage auf Benachrichtigung gewartet ich ins die Kammerspielhaus, betheilige mich an den Proben und frage Felix Holländer, da schriftlichen/es/ nichts darüber abgeschlossen ist, ob mein Schauspielervertrag als verlängert zu betrachten ist oder nicht. Felix Holländer giebt die feste Zusicherung, daß der Vertrag durch die mündliche Vereinbarung thatsächlich verlängert worden ist. |

10.X.07 Felix Holländer erklärt auf der Probe sämmtlichen Beteiligten, daß vorderhand keine weiteren Proben des festgesetzten Stückes stattfinden.

11.X.07 Ich erhalte einen Brief von Herrn Edmund Reinhart, daß die Proben des festgesetzten Stückes bis auf weiteres verschoben eingestellt sind.

29.X.07 Die Proben werden unter meiner Mitwirkung wieder aufgenommen und finden bis 8.XI täglich statt.

4 XI 07 Ich gehe in die Kanzlei um meine Gage zu erheben. Der Rendant theilt mir mit, daß er keine Anweisung hat mir etwas zu bezahlen. Ich mache Herrn Max Reinhart davon Mitteilung. Herr | Max Reinhart sagt mir: „Ich werde die Sache sofort in Ordnung bringen“.

5.XI 07 Ich gehe in die Kanzlei um meine Gage zu erheben. Der Rendant theilt mir mit, daß er immer noch keine Anweisung hat mir etwas zu bezahlen. Daraufhin mache ich keine weiteren Versuche mehr meine Gage zu erheben und habe sie auch thatsächlich nicht erhalten.

8 XI 8 XI 07 Herr Reinhardt bietet mir auch eine Verlängerung des Kontraktes unter anderen veränderten Daten an, eine Verlängerung des Kontraktes unter abgeänderten Daten an, auf die ich mich aber nicht mehr einlasse.

14 XI 07 Ich mache Herrn Dramaturg Holländer Kahane Holländer Mittheilung daß ich auf mein Engagement für den laufenden Winter (M. 6000) verzichte, wenn ich dafür den am 15 III 06 unterzeichneten Autorenvertrag zurückerhalte. Herr Holländer Kahane Holländer sagt entgegnet mir daß nicht er, sondern Herr Reinhart darüber zu entscheiden habe. |

15.II 08 Herr Reinhart sagt mir, daß nicht er, sondern Herr Holländer den Autorenvertrag vom 15.III.06 mit mir vereinbart habe. und giebt mir aber in Gegenwart des Herrn Direktor André die Versicherung daß er mir für die in dem Vertrag noch vorgesehenen drei Jahre eine entsprechende Entschädigung für meine Verpflichtungen auszahlen werde.

[Einweisungszeichen am linken Seitenrand]

22.4.8 Herr Max Reinhardt unterbreitet mir einen Vertrag in dem im Gegensatz zu unserer Unterredung vom [Lücke] keine Bezahlung für meine Verpflichtungen festgesetzt ist sondern von denen statt einer Garantie der Forderungen meines Verlegers | unter der Bedingung, daß ich in/an/ den Kammerspielen zu Spielhonoraren auftrete, die dreimal niedriger sind, als wie sie mir von irgend einem andern Theaterdirektor bezahlt werden. Theaterdirektor bezahlt werden.

[Einweisungszeichen am linken Seitenrand]

Ich bitte Herrn Max Reinhart inständig mir den Autorenvertrag vom 15 III 06 zurückzugeben. Meine Zugehörigkeit zum Deutschen Theater werde dadurch keinerlei Schaden erleiden, dagegen werde eine Quelle fortlaufenden Mißtrauens dadurch befestigt.

Ich erkläre Herrn Reinhart, daß ich nicht zwanzig Jahre um meine persönliche Freiheit gekämpft habe, um | schließlich ein unbezahlter Angestellter des Deutschen Theaters zu sein.

8.4.8. Herr Direktor Reinhart weigert sich mir irgendwelche Bezahlung für den Autorenvertrag zuzugestehen. Ich bitte Herrn Reinhart inständig mir den Vertrag zurückzugeben. Meine Zugehörigkeit zum Deutschen Theater werde dadurch keinerlei Schaden erleiden, dagegen werde mein Gefühl persönlicher Erniedrigung und Entwürdigung dadurch die Zurückgabe beseitigt. Ich suche Herrn Reinhardt begreiflich zu machen daß ich nicht zwanzig Jahre um meine persönliche Freiheit gekämpft habe, um | schließlich unbezahlter Angestellter des Deutschen Theaters zu sein, um schließlich weniger Rechte (in Berlin) zu haben, als jeder erste beste beliebige hergelaufene andere Schriftsteller der nach Berlin kommtzu haben. Ich suche Herrn Reinhardt ganz vergeblich davon zu überzeugen, daß der zwischen uns bestehende Vertrag zwischen anständigen Menschen unmöglich ist. und daß ein anständiger Mensch niemals auf der Erfüllung eines so unbilligen Vertrages bestehen würde.

Herr Reinhart entgegnet mir, daß den Vertrag ohne Einwilligung seiner Sozietäre nicht lösen dürfe/arf/. Auf diese handgreifliche Unwahrheit hin erkläre ich ihm daß ich mich | mit meinen Beschwerden dann eben dann eben notwendigerweise an seine Sozietäre wenden (müsse.) muß werde

Aus den mir vorgelegten Verträgen ersehe ich daß nicht ein einziger Autor des Deutschen Theaters den gleichen Vertrag wie ich unter den gleichen Bedingungen unterzeichnet hat, daß ich also durch die mir von Herrn Felix Holländer am 15.III 06 gegebene Versicherung schlechtweg betrogen worden bin. [Darunter durchgezogener Trennstrich, darunter Text in anderem Zusammenhang] |

Sollten sich die Herren Sozietäre das Deutsche Theater nicht zur Lösung des Kontraktes dazu entschließen können
Sollte der in Rede stehende Vertrag nicht gelöst werden, dann würde ich andere Maßnahmen vorbehalten mich eben gezwungen sehen für die nächsten drei Jahre meine dramatische Produktion einzustellen. In diesem Falle wäre es aber ziemlich ausgeschlossen, daß das Deutsche Theater nach Ablauf dieser Frist noch jemals eine Bühnenarbeit von mir zur Aufführung erhielte. |

Ich sage mir ganz bescheiden, daß sich der Mensch nicht zum Künstler emporringt, um durch die Thatsache daß er sich zum Künstler emporgerungen hat eine solche Ansammlung von Ekelhaftigkeiten erleben zu müssen.

Datum 1 VIII 08

1 VIII 08 Für die Gefahr Möglichkeit daß mir Herr Max Reinhart am 8. April die Wahrheit gesagt haben sollte, stelle ich aus meinen Tagebuchaufzeichnungen die auf obigen diesen Blättern enthaltenen Daten zusammen für die Sotietäre des Deutschen Theaters und richte an die Herren Sozietäre die erg des Deutschen Theaters die ergebene Bitte Herrn Direktor Reinhart zur Rückgabe Lösung des unbilligen und für mich unwürdigen Kontraktes zu bevollmächtigen, damit ich nicht nach dreijähriger künstlerischer Thätigkeit in Berlin diese Stadt mit dem Gefühl persönlicher Demütigung und Erniedrigung verlassen muß. Ich sage mir ganz bescheiden, daß sich der Mensch nicht zum Künstler emporringt um durch die Thatsache daß er Künstler geworden ist, eine solche Ansammlung von Ekelhaftigkeiten zu erleben.

Frank Wedekind


[5. Beilage:]


Tagebuch.

21. Dezember 1905In Wedekinds Tagebuch ist unter diesem Datum der Abschluss des Schauspielervertrags nicht vermerkt..

Abschluss eines Schauspielervertrages zwischen der Direktion Max Reinhardt vom Deutschen Theater in Berlin und mir, gültig vom 1. Oktober 1906 bis 31. März 1907 zu M. 1000 pro Monat. Direktor Reinhardt hat das Recht, den Vertrag auf ein weiteres Jahr unter gleichen Bedingungen für verlängert zu erklären.

15. März 1906Im Tagebuch ist unter diesem Datum notiert: „Tartuffeprobe. Diner mit Lewin Reinhart Holländer und Else Heims bei Borchart. Kontract auf 5 Jahre unterschrieben“. Molieres Lustspiel „Tartüff“ hatte unter der Regie von Max Reinhardt mit Frank Wedekind in der Rolle des Tartüff am 25.4.1906 am Deutschen Theater Premiere und erlebte 7 Aufführungen..

Probe von „Tartüffe“. Herr Max Reinhardt führt Regie. Nachdem Herr Reinhardt die Rolle des Tartüffe zwei Stunden hindurch sehr anstrengend mit mir probiert hat, kommt Herr Felix Holländer in der Pause mit einem fertig aufgesetzten Kontrakt auf mich zu, von dem vorher nie mit einer Silbe die Rede war. Er bittet mich ins Bureau zu kommen und versichert mir dort, der gleiche Kontrakt sei von allen übrigen Autoren des Deutschen Theaters unterzeichnet worden, ich werde daher nicht zögern ihn ebenfalls zu unterschreiben. Der Kontrakt verpflichtet den Unterzeichner, auf fünf Jahre alle seine dramatischen Werke zum Zweck der Aufführung zuerst dem Deutschen Theater einzureichen. Irgendwelche Gegenleistung, die dieser Verpflichtung entspräche, ist in dem Kontrakt nicht stipuliertvertraglich vereinbart.. Es ist nicht einmal ein Aufführungstermin für die einzelnen Stücke festgesetzt. |

2.

Abgespannt und verwirrt, wie ich infolge der vorangegangenen Anstrengungen bin, unterzeichne ich den Vertrag.

Nachdem dann die Probe noch etwa eine Stunde gedauert, lädt mich Herr Holländer zum Mittagessen bei Borchardt ein, an dem auch Herr Direktor Reinhardt und Herr Lewin teilnehmen.

19. Juni 1907Im Tagebuch ist unter diesem Datum notiert: „Besprechung mit Reinhardt.“.

Herr Reinhardt fragt mich im Deutschen Theater, ob ich dazu bereit bin, meinen Schauspielervertrag auf ein weiteres Jahr mit ihm zu verlängern. Ich erkläre mich damit einverstanden.

1. Oktober 1907Im Tagebuch hat Wedekind unter diesem Datum lediglich notiert, er habe „an Censur gearbeitet.“.

Seit dem 19. Juni warte ich vergeblich auf eine schriftliche Erledigung der zwischen uns besprochenen Kontraktverlängerung, treffe aber heute trotzdem pünktlich in Berlin ein, nachdem ich seit drei Wochen an den Vorbereitungen für die als erste der bevorstehenden Saison festgesetzte Aufführung gearbeitet habe.

8. Oktober 1907Im Tagebuch ist unter diesem Datum notiert: „Ich gehe auf die Probe M. v. K. Gespräch mit Holländer“. Die Premiere des „Marquis von Keith“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters unter der Regie von Frank Wedekind, der zugleich die Rolle des Konsul Kasimir spielte, fand am 9.11.1907 statt..

Nachdem ich acht Tage auf Benachrichtigung gewartet, gehe ich ins Kammerspielhaus, wo ich mich an den Proben beteilige, und frage Herrn Holländer, ob mein Schauspielervertrag, da schriftlich |
3.
nichts darüber abgeschlossen ist, als verlängert zu betrachten ist oder nicht. Herr Holländer gibt mir die feste Versicherung, dass der Vertrag durch die mündliche Vereinbarung vom 19. Juni tatsächlich verlängert worden ist.

4. November 1907Im Tagebuch ist unter diesem Datum notiert: „Keithprobe. Ich suche vergeblich Gage zu erheben.“.

Nachdem ich seit dem 8. Oktober an sämtlichen stattgehabten Proben teilgenommen, gehe ich in die Kanzlei, um meine Gage zu erheben. Der RendantBuchhalter. teilt mir mit, dass er keine Anweisung hat, mir etwas auszubezahlen. Ich mache Herrn Max Reinhardt davon Mitteilung. Herr Reinhardt sagt mir: „Ich werde die Sache sofort in Ordnung bringen.“

5. November 1907Im Tagebuch ist unter diesem Datum wie am Vortag notiert: „Keithprobe [...] Ich suche vergeblich Gage zu erheben.“.

Ich gehe in die Kanzlei, um meine Gage zu erheben. Der Rendant teilt mir mit, dass er immer noch keine Anweisung hat, mir etwas zu bezahlen. Daraufhin mache ich keine weiteren Versuche mehr zu meiner Gage zu kommen und habe sie auch tatsächlich nicht erhalten.

8. November 1907Im Tagebuch ist unter diesem Datum in diesem Zusammenhang lediglich notiert: „Generalprobe.“.

Herr Reinhardt bietet mir schriftlich eine Verlängerung des Kontraktes unter abgeänderten Daten an, worauf ich mich aber nicht mehr einlasse. |

4.

14. November 1907Im Tagebuch ist unter diesem Datum in diesem Zusammenhang lediglich notiert: „Keith 4.“.

Ich mache Herrn Holländer Mitteilung, dass ich auf mein Engagement für den laufenden Winter (Mark 6000) verzichte, wenn ich dafür den am 15. März 1906 während der Tartüffe-Probe unterzeichneten Autoren-Vertrag zurückerhalte. Herr Holländer entgegnet mir, dass nicht er, sondern Herr Max Reinhardt darüber zu entscheiden habe.

15. Februar 1908Im Tagebuch ist unter diesem Datum notiert: „Große Abendgesellschaft bei Reinhart“..

Auf meine Vorstellung, dass der zwischen uns bestehende Vertrag vom 15.III.06 unbillig sei, lehnt Herr Max Reinhardt die Verantwortung ab, da nicht er, sondern Herr Holländer ihn mit mir vereinbart habe. Herr Reinhardt gibt mir aber in Gegenwart des Herrn Direktor André wiederholt die feste Versicherung, dass er mir für die in dem Vertrag noch vorgesehenen drei Jahre eine entsprechende Entschädigung für meine Verpflichtung auszahlen werde.

8. April 1908Im Tagebuch ist unter diesem Datum notiert: „Abends Unterredung mit Reinhardt und Holländer im Deutschen Theater. Nachher allein bei Steinert.“.

Herr Reinhardt weigert sich auf das entschiedenste, irgendwelche Bezahlung für die durch den Autoren-Kontrakt vom 15.III.06 mir auferlegten Verpflichtungen kontraktlich mit mir zu vereinbaren, erbietet sich aber mündlich, die Forderungen meines Verlegers an das |
5.
Deutsche Theater für die drei Jahre in bestimmter Höhe zu garantieren. Ich ersuche Herrn Reinhardt inständig, mir den strittigen Kontrakt, für den er nicht einen Pfennig bezahlt hat, zurückzugeben. Meine Zugehörigkeit zum Deutschen Theater werde dadurch in keiner Weise beeinträchtigt werden, dagegen werde mein Gefühl persönlicher Entwürdigung durch die Zurückgabe beseitigt. Ich suche Herrn Reinhardt begreiflich zu machen, dass ich nicht zwanzig Jahre um meine persönliche Freiheit gekämpft habe, um schliesslich unbezahlter Angestellter der Direktion Max Reinhardt zu sein; um schliesslich weniger Rechte in Berlin zu haben als jeder erste beste beliebige andere Schriftsteller. Ich suche Herrn Reinhardt ganz vergeblich davon zu überzeugen, dass der zwischen uns bestehende Vertrag zwischen Menschen, die gesellschaftlich miteinander verkehren, unmöglich ist und dass ein anständiger Mensch dem anderen gegenüber nie auf der Erfüllung eines so unbilligen Vertrages bestehen würde.

Herr Reinhardt entgegnet mir, dass er den Vertrag ohne Einwilligung der Sozietäre des Deutschen Theaters nicht lösen darf. Auf diese handgreifliche Unwahrheit hin erkläre ich ihm, dass ich mich dann eben an die Sozietäre des Deutschen Theaters wenden werde.

Aus den mir vorgelegten mit anderen Autoren abgeschlossenen Verträgen ersehe ich, dass kaum ein einziger mit dem von mir unterzeichneten übereinstimmt, dass ich also durch die mir am 15. März 1906 von Herrn Felix Holländer gegebene Versicherung schlechtweg betrogen worden bin. |

6.

22. April 1908Im Tagebuch findet sich unter diesem Datum kein Hinweis auf den vorliegenden Zusammenhang..

Herr Max Reinhardt unterbreitet mir schriftlich einen Vertrag, in dem auf drei Jahre eine Garantie der Forderungen meines Verlegers festgesetzt ist unter der Bedingung, dass ich in den Kammerspielen und am Deutschen Theater zu Spielhonoraren auftrete, die dreimal niedriger sind, als wie sie mir zur Zeit von anderen Theaterdirektoren bezahlt werden.

1. Juli 1908Im Tagebuch findet sich unter diesem Datum kein Hinweis auf den vorliegenden Zusammenhang. Wedekind stellte das „Reinhardttagebuch“ erst am 11.9.1908 zusammen..

Für die Möglichkeit, dass mir Herr Max Reinhardt am 8. April die Wahrheit gesagt haben sollte, stelle ich aus meinen Tagebuchaufzeichnungen die auf diesen Blättern enthaltenen Daten für die Herren Sozietäre des Deutschen Theatershier Unterstreichung und mit Einweisungszeichen versehen unten auf der Seite notierte Ergänzung zu dieser Stelle von fremder Hand: „zu denen Dr. R. gehörte, / Gaitner / Sekr.“ zusammen und richte an die Herren Sozietäre das Gesuch, Herrn Direktor Reinhardt zur Lösung des unbilligen und für mich unwürdigen Kontraktes zu bevollmächtigen, damit ich nicht nach dreijähriger künstlerischer Tätigkeit in Berlin diese Stadt mit dem Gefühl persönlicher Demütigung verlassen muss. Ich sage mir ganz bescheiden, dass sich der Mensch nicht zum Künstler emporringt, um durch die Tatsache, dass er Künstler geworden ist, eine solche Ansammlung von Ekelhaftigkeiten zu erleben. Sollte sich das Deutsche Theater nicht zur Lösung des Kontraktes entscheiden können, dann würde ich, ‒ andere Massnahmen vorbehalten ‒ mich eben gezwungen sehen, für die nächsten drei Jahre meine dramatische Produktion einzustellen. In diesem Falle wäre es aber ziemlich ausgeschlossen, dass das Deutsche Theater nach Ablauf dieser Frist noch jemals eine Bühnenarbeit von mir zur Aufführung erhielte.

Frank Wedekind.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 17 Blatt, davon 23 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Beilage: Maschinenschrift. Unterschrift: Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
1. und 2. Briefentwurf: Bleistift. 3. Abgesandter Brief: Feder. Tinte. Entwurf der Beilage: Bleistift. Korrekturschicht: Feder. Tinte. Beilage: Schreibmaschine. Unterschrift: Feder. Tinte.
Schriftträger:
1. Briefentwurf: Liniertes Papier. 1 Notizbuchblatt. 1 Seite beschrieben. 10 x 16,5 cm. 2. Briefentwurf: Liniertes Papier. 1 Notizbuchblatt. 1 Seite beschrieben. 10 x 16,5 cm. 3. Abgesandter Brief: Papier. 1 Blatt. 1 Seite beschrieben. 14 x 22 cm. Entwurf der Beilage: Liniertes Papier. 8 Notizbuchblätter. 14 Seiten beschrieben. 10 x 16,5 cm. Beilage: Papier. 6 Blatt. 6 Seiten beschrieben. 21 x 30 cm.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Briefentwürfe, Entwurf der Beilage und Beilage befinden sich im Nachlass Frank Wedekind [L 3501/54 und L 3504] der Stadtbibliothek München / Monacensia (wir danken für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe dieser Dokumente), der abgesandte Brief in der Autographen-Sammlung des Boleslaw-Barlog-Archiv der Akademie der Künste in Berlin. Zu dem ersten Briefentwurf im Notizbuch 54 [Blatt 52v] finden sich weitere Einträge [Blatt 50v], unter der Überschrift „Sozietäre“ die Namen ‒ in dieser Reihenfolge ‒ von Robert von Mendelssohn, Hermann Rosenberg, Emmy Loewenfeld, Fritz Andreae und Paul Cassirer mit Notizen zu den Adressen und dem Vermerk: „Auf die Adresse schreiben: Sozietär des Deutschen Theaters.“ Unmittelbar unter dem zweiten Briefentwurf im Notizbuch 54 [Blatt 42r] findet sich folgende Notiz zu den Personen, die den dann abgesandten Brief mit Beilage erhielten (Maximilian Harden, Emmy Loewenfeld, Fritz Andreae, Hermann Rosenberg, Robert von Mendelssohn, Walther Rathenau, Paul Cassirer): „Tagebuch abgeschickt an Harden Lowenfeldt André Rosenberg Mendelssohn Ratenau Cassirer“ ‒ darunter eine durchgezogene Linie mit Bleistift. Der mit Bleistift geschriebene Entwurf der Beilage befindet sich überwiegend seitenrückläufig notiert ebenfalls im Notizbuch 54 [Blatt 58r-53r, 52r, 51r-51v]. Seite 6 [Blatt 55v] enthält mit Einfügungszeichen Text von Seite 13 [Blatt 51v], nach Seite 11 [Blatt 53r] war ohne Einfügungszeichen ebenfalls Text von Seite 13 [Blatt 51v] einzuordnen. Eine Korrekturschicht wurde mit Tinte ausgeführt. Die Überschrift „Tagebuch“ ist in lateinischer Schrift notiert und mit blauem Buntstift unterstrichen. Darüber hinaus finden sich im Notizbuch Entwurfsnotizen zum Entwurf der Beilage, die hier nicht wiedergegeben sind. Bei der Beilage ‒ dem sogenannten Reinhardt-Tagebuch [vgl. dazu KSA 5/III, S. 695-703] ‒ handelt es sich um ein von Wedekind unterschriebenes Typoskript, das vervielfältigt wurde und in einem Exemplar außer an Robert von Mendelssohn an Maximilian Harden, Emmy Loewenfeld, Fritz Andreae, Hermann Rosenberg, Walther Rathenau und Paul Cassirer versandt worden ist. Es ist ab Seite 2 paginiert und enthält auf Seite 6 eine Unterstreichung („Sozietäre des Deutschen Theaters“) und Ergänzung („zu denen Dr. R. gehörte, / Gaitner / Sekr.“) von fremder Hand in lateinischer Schrift.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    München
    17. Oktober 1908 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    München
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    Berlin
    Datum unbekannt

Erstdruck

Kommentar:
Erstdruck der Beilage: Frank Wedekind: Die Tagebücher. Ein erotisches Leben. Hg. von Gerhard Hay. Frankfurt am Main: Athenäum 1986, S. 317-325. In diesem Erstdruck wurde die Beilage unter dem Titel „Berlin 21. Dezember 1905 ‒ 1. Juli 1908“ und ohne Hinweis darauf veröffentlicht, dass es sich um ein synthetisches Schriftstück, also um kein authentisches Tagebuch handelt. Weiterer Druck der Beilage unter dem Titel „Reinhardt Tagebuch“ ohne die Unterschrift: KSA 5/II, S. 278-281.
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Akademie der Künste

Pariser Platz 4
10117 Berlin
Deutschland

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Boleslaw-Barlog-Archiv, Autographen-Sammlung
Signatur des Dokuments:
Barlog 1717
Standort:
Akademie der Künste (Berlin)

Danksagung

Wir danken der Akademie der Künste (Berlin) für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Robert von Mendelssohn, 17.10.1908. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

30.03.2024 11:03