Kennung: 1126

München, 5. September 1898 (Montag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Hirschfeld, Georg

Inhalt

Münchner Schauspielhaus
I. Georg Stollberg


Telefonruf 1274.
München, den 5. September 1898.
Neuturmstrasse 1.


Sehr geehrter Herr Hirschfeld,

wie Sie aus den Blätternnicht ermittelt. Gemeint sind wohl Ankündigungen in Münchner und vielleicht auch Berliner Zeitungen. gehört haben werden, eröffnet Herr Director Stollberg die neue Saison des „Münchner SchauspielhausesDas Münchner Schauspielhaus war im November 1897 eröffnet worden. Die Direktion übernahm nach der ersten Spielzeit der bisherige Oberregisseur Georg Stollberg, der Wedekind mit Wirkung vom 2.9.1898 als Sekretär, Dramaturg und Schauspieler verpflichtete. Das Engagement endete bereits am 29.10.1898 als Wedekind – unmittelbar nach der Premiere seines Stücks „Der Erdgeist“ am Schauspielhaus – in die Schweiz floh, um der ihm drohenden Strafverfolgung in der „Simplicissimus“-Affäre zu entgehen. mit einer Aufführung von „Die MütterGeorg Hirschfelds Schauspiel „Die Mütter“ war am 12.5.1895 durch den Verein „Freie Bühne“ am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt und seither mit großem Erfolg an zahlreichen deutschen und österreichischen Bühnen gespielt worden. Auch die relativ späte Münchner Erstaufführung, mit der Stolberg am 7.9.1898 die (im Vergleich zur ersten Spielzeit) erfolgreiche zweite Saison des Schauspielhauses eröffnete, wurde von der Kritik überwiegend positiv aufgenommen: „Die Feier der Auferstehung von den Todten, die das Schmerzenskind unter unsern hiesigen Bühnen gestern wieder einmal beging, ist nicht nur wider Erwarten glatt und schön verlaufen – sie trug sogar beinahe einen herzlichen Charakter. Das vollbesetzte Haus befand sich offensichtlich in bester Stimmung und begnügte sich nicht damit, nach den Aktschlüssen seinen Beifall andauernd energischen Ausdruck zu verleihen, sondern applaudierte selbst bei offener Bühne wiederholentlich so lebhaft, daß es im zweiten Akt beinahe zu einem Hoch auf die Darstellerin der Hauptrolle gekommen wäre. [...] Das Schauspiel ‚Die Mütter‘ von Georg Hirschfeld [...] ist die Arbeit eines starken dramatischen Talents und wußte auch gestern von Anfang an sehr zu fesseln, wenn auch der Schluß, der keine Lösung bringt [...] sichtlich befremdete und den unbestrittenen Erfolg, den die ersten Akte, zumal der zweite mit seiner feinen und lebenswahren, von köstlichem Humor erfüllten Milieuschilderung, errungen hatte, stark gefährdete. [...] Den Haupttheil des Erfolges kann Frl. Ida Müller [...] für sich in Anspruch nehmen. [...] Jedenfalls bewies sie in der Rolle der Marie Weil, daß sie ein großes ursprüngliches Talent besitzt. [...] Die Einstudirung macht dem künstlerischen Streben und dem Verständniß des neuen Direktors alle Ehre.“ [f. b.: Schauspielhaus. In: Allgemeine Zeitung, Jg. 101, Nr. 248, 8.9.1898, Abendblatt, S. 2] . Herr Stollberg hat der Inscenirung die denkbar größte Sorgfalt zugewand und arbeitet mit Kräften, die sich einer Erstaufführung des Dramas in München als durchaus würdig erweisen werden. Die Hauptrolle wurde einer Schauspielerin von hohem künstlerischen Ernst, einer Frl. Ida MüllerIda Müller (später: Bardou-Müller) war von Stollberg kurzfristig als Ersatz für die Schauspielerin Irene Triesch verpflichtet worden, die nach der ersten Saison des Münchner Schauspielhauses ein Engagement am Frankfurter Stadttheater angenommen hatte. Sie gehörte in den folgenden Jahren zu den ersten Kräften am Münchner Schauspielhaus. vom Göthe-Theater in BerlinGemeint ist das 1895 eröffnete Theater des Westens in Berlin-Charlottenburg, dessen Sprechbühne nur während der kurzen Direktion von Alois Prasch (1897/98) unter dem Namen Goethe-Theater firmierte [vgl. Neuer Theater-Almanach, Jg. 9 (1898), S. 286f.]. Ida Müllers Engagement an der Bühne ist in den zeitgenössischen Theater-Almanachen nicht dokumentiert. anvertraut. Herr Stollberg würde es als ein ungemein günstiges Omen für seine künstlerischen Bestrebungen betrachten, wenn Sie die/ihm/ Gelegenheit geben wollten, mit der Erstaufführung der „Mütter“ in Ihrer GegenwartDa Hirschfelds Anwesenheit in den ermittelten Rezensionen nicht erwähnt wird, dürfte er der Aufführung ferngeblieben sein. vor das Münchner Publicum zu treten und beauftragt, mich, keinen Dramaturgennicht durch einen Dramaturgen (als der Wedekind seit wenigen Tagen am Schauspielhaus aber tatsächlich tätig war), sondern einen befreundeten Dramatikerkollegen., Sie höflichst dazu einzuladen. Die Vorstellung findet übermorgen, Mittwoch, den 7. September Abends ½ 8 Uhr statt.

Ich nehme die Gelegenheit wahr, geehrter Herr Hirschfeld, Ihnen die Versicherung meiner größten Verehrung zu übermitteln.

Ihr ergebenster
Fr. Wedekind.


[Am linken Rand:]


Ich würde es mir als besondere Ehre anrechnen, Sie bei Ihrer Ankunft in München am Bahnhof erwarten zu dürfen.
d. O.


[Kuvert:]


Münchner Schauspielhaus
I. Georg Stollberg


Herrn Georg Hirschfeld
Berlin. W.
Passauerstrasse 8.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse auf dem Kuvert in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. 1 Seite beschrieben. 21 x 27 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Kuvert. 1 Seite beschrieben. 13,5 x 11 cm. Mit gedrucktem Briefkopf.
Schreibraum:
Brief im Hochformat, Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Das Kuvert ist mit zwei Briefmarken zu 5 Pfennig frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
313
Briefnummer:
143
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Burgerbibliothek Bern

Münstergasse 63
3000 Bern
Schweiz

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Fritz Strich
Signatur des Dokuments:
6 Korrespondenz Wedekind
Standort:
Burgerbibliothek Bern (Bern)

Danksagung

Wir danken der Burgerbibliothek Bern für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Georg Hirschfeld, 5.9.1898. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (19.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Mirko Nottscheid

Zuletzt aktualisiert

29.04.2024 14:25