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Kennung: 5688

München, 31. Dezember 1884 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie

Inhalt

München, December 84.


Liebe Mama,

Prost Neujahr! – Viel Glück und Segen und alles Gute des Himmels und der Erde, der Liebe und des Lebens, seelischen und leiblichen Wohles!! Die besten Glückwünsche unseren lieben Geschwistern; sie mögen groß und stark werden, innen und außen, und ihre fernen BrüderFrank und Armin Wedekind verbrachten die Weihnachtsferien an ihrem Studienort München. nicht vergessen! ––

Beiliegend senden wir Euch unser BildDie überlieferte Fotografie, die Frank Wedekind (stehend) mit seinem Bruder Armin und Walter Oschwald (beide sitzend) um ein Tischchen gruppiert zeigt, liegt dem Brief nicht mehr bei [abgedruckt in: Vinçon 2021, Bd. 2, S. 69].. Ich hab leider keine Beine darauf und sehe aus eher aus wie ein Tafelaufsatz, aber | die Pfeife ist dafür umso besser, ebenso der Nasenklemmer und mein stattlicher neugeborener Vollbart, der nun endlich doch auch einmal anfängt von der Cultur beleckt zu werden. –– Die Idee stammt von Tante Jahn und die Ausführung ist soweit ganz gut gelungen, indem jeder der drei Betheiligten sich selber für den am besten Getroffenen hält.

Am heiligen Abend waren wir bei Walter OschwaldWalter Oschwald, Jurastudent und späterer Schwager Wedekinds aus Lenzburg, wohnte in München in der Theresienstraße 38, 2. Stock rechts [vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals der Lehrer, Beamten und Studierenden an der königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. Winter-Semester 1884/85. München 1885, S. 63]. zu Thee und Christbaum gebeten. Er hatte alle möglichen eß- und trinkbaren Herrlichkeiten von zu Hause bekommen und regalirteversorgte. uns zum Schlusse noch mit einem delikaten Punsch. Um Mitternacht gingen wir vereint in die LudwigskircheDie 1844 geweihte katholische Pfarr- und Universitätskirche St. Ludwig in der Ludwigstraße, rund 700 Meter von Wedekinds Wohnung (Türkenstraße 30) entfernt. zur Messe, wo dann allmählig einer den andern verlor, so daß endlich ein jeder | in Nacht und Einsamkeit nach Hause schlich. –– Unseren besten Dank für die zwanzig Markvermutlich ein Weihnachtsgeschenk der Mutter; das Schreiben zu der Sendung ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank und Armin Wedekind, 23.12.1884.. Sie kamen wirklich sehr gelegen; denn wenn wir auch jetzt längst aller Noth enthoben sind, so waren wir doch damals gerade dort angekommen, wo es sich kaum mehr di der Mühe lohnt, am anderen Morgen aufzustehen. Da erschien glücklicher weise jener Deus ex machina oder vielmehr ex Lenzburg und bewerkstelligte den Übergang des einen Quartals ins andere ohne die geringste Pumperei. Da nun unsere Finanzen wieder besserdurch die Zuwendungen des Vaters; vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank und Armin Wedekind, 28.12.1884. bestellt sind, werden werd wir in nächster Zeit auch ein großes Bacchanal auf unserer Bude geben veranstalten, wobei es hoch hergehen soll. ––

Das beste Weihnachtsgeschenk war aber doch die Geschichte mit d dem Rector KellerJakob Keller war von 1876 bis 1886 Rektor des Töchterinstituts und Lehrerinnenseminars in Aarau, das Erika Wedekind seit April besuchte, zugleich dort Lehrer für Deutsch, Pädagogik und Religion [vgl. Adreß-Buch der Stadt Aarau 1884, S. 78]. und dem | Schluffinicht identifiziert.. Das freute uns beide unbändig und Walter O. ebenfalls, dem es Armin vorlas. Ich gratulire von ganzem Herzen zu dem herrlichen Siege der Wahrheit und Deiner trefflichen Energie über die miserable Niedertracht dieses Jesuiten. Und nun leb wohl liebe Mama. Ich muß mich leider wieder mit schreiben beeilen, sonst kommen die Briefeneben dem Neujahrsbrief an die Mutter weitere Briefe zu diesem Anlass, darunter einer an Bertha Jahn [vgl. Wedekind an Bertha Jahn, 31.12.1884] und der dort erwähnte Brief Armin Wedekinds nach Hause sowie der Walter Oschwalds an seine Mutter. zu spät. Walter und Armin sind auf dem Eis und wenn er/sie/ heimkommen so soll alles expedirtverschickt. sein. – Ich bleibe mit tausend herzlichen Grüßen Dein treuer Sohn Franklin.


Prost Neujahr!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 31.12.1884 ist als Ankerdatum gesetzt – das späteste mögliche Schreibdatum, damit der Brief zum Neujahrstag in Lenzburg eintraf, einen Tag für den Postweg von München nach Lenzburg gerechnet.

  • Schreibort

    München
    31. Dezember 1884 (Mittwoch)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort


  • Empfangsort


Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

(Band 1)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
80-82
Briefnummer:
22
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2021, Bd. 1, S. 68-70 (Nr. 26).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 191
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 31.12.1884. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (12.03.2025).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

10.02.2025 19:29
Kennung: 5688

München, 31. Dezember 1884 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Emilie
 
 

Inhalt

München, December 84.


Liebe Mama,

Prost Neujahr! – Viel Glück und Segen und alles Gute des Himmels und der Erde, der Liebe und des Lebens, seelischen und leiblichen Wohles!! Die besten Glückwünsche unseren lieben Geschwistern; sie mögen groß und stark werden, innen und außen, und ihre fernen BrüderFrank und Armin Wedekind verbrachten die Weihnachtsferien an ihrem Studienort München. nicht vergessen! ––

Beiliegend senden wir Euch unser BildDie überlieferte Fotografie, die Frank Wedekind (stehend) mit seinem Bruder Armin und Walter Oschwald (beide sitzend) um ein Tischchen gruppiert zeigt, liegt dem Brief nicht mehr bei [abgedruckt in: Vinçon 2021, Bd. 2, S. 69].. Ich hab leider keine Beine darauf und sehe aus eher aus wie ein Tafelaufsatz, aber | die Pfeife ist dafür umso besser, ebenso der Nasenklemmer und mein stattlicher neugeborener Vollbart, der nun endlich doch auch einmal anfängt von der Cultur beleckt zu werden. –– Die Idee stammt von Tante Jahn und die Ausführung ist soweit ganz gut gelungen, indem jeder der drei Betheiligten sich selber für den am besten Getroffenen hält.

Am heiligen Abend waren wir bei Walter OschwaldWalter Oschwald, Jurastudent und späterer Schwager Wedekinds aus Lenzburg, wohnte in München in der Theresienstraße 38, 2. Stock rechts [vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals der Lehrer, Beamten und Studierenden an der königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. Winter-Semester 1884/85. München 1885, S. 63]. zu Thee und Christbaum gebeten. Er hatte alle möglichen eß- und trinkbaren Herrlichkeiten von zu Hause bekommen und regalirteversorgte. uns zum Schlusse noch mit einem delikaten Punsch. Um Mitternacht gingen wir vereint in die LudwigskircheDie 1844 geweihte katholische Pfarr- und Universitätskirche St. Ludwig in der Ludwigstraße, rund 700 Meter von Wedekinds Wohnung (Türkenstraße 30) entfernt. zur Messe, wo dann allmählig einer den andern verlor, so daß endlich ein jeder | in Nacht und Einsamkeit nach Hause schlich. –– Unseren besten Dank für die zwanzig Markvermutlich ein Weihnachtsgeschenk der Mutter; das Schreiben zu der Sendung ist nicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank und Armin Wedekind, 23.12.1884.. Sie kamen wirklich sehr gelegen; denn wenn wir auch jetzt längst aller Noth enthoben sind, so waren wir doch damals gerade dort angekommen, wo es sich kaum mehr di der Mühe lohnt, am anderen Morgen aufzustehen. Da erschien glücklicher weise jener Deus ex machina oder vielmehr ex Lenzburg und bewerkstelligte den Übergang des einen Quartals ins andere ohne die geringste Pumperei. Da nun unsere Finanzen wieder besserdurch die Zuwendungen des Vaters; vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank und Armin Wedekind, 28.12.1884. bestellt sind, werden werd wir in nächster Zeit auch ein großes Bacchanal auf unserer Bude geben veranstalten, wobei es hoch hergehen soll. ––

Das beste Weihnachtsgeschenk war aber doch die Geschichte mit d dem Rector KellerJakob Keller war von 1876 bis 1886 Rektor des Töchterinstituts und Lehrerinnenseminars in Aarau, das Erika Wedekind seit April besuchte, zugleich dort Lehrer für Deutsch, Pädagogik und Religion [vgl. Adreß-Buch der Stadt Aarau 1884, S. 78]. und dem | Schluffinicht identifiziert.. Das freute uns beide unbändig und Walter O. ebenfalls, dem es Armin vorlas. Ich gratulire von ganzem Herzen zu dem herrlichen Siege der Wahrheit und Deiner trefflichen Energie über die miserable Niedertracht dieses Jesuiten. Und nun leb wohl liebe Mama. Ich muß mich leider wieder mit schreiben beeilen, sonst kommen die Briefeneben dem Neujahrsbrief an die Mutter weitere Briefe zu diesem Anlass, darunter einer an Bertha Jahn [vgl. Wedekind an Bertha Jahn, 31.12.1884] und der dort erwähnte Brief Armin Wedekinds nach Hause sowie der Walter Oschwalds an seine Mutter. zu spät. Walter und Armin sind auf dem Eis und wenn er/sie/ heimkommen so soll alles expedirtverschickt. sein. – Ich bleibe mit tausend herzlichen Grüßen Dein treuer Sohn Franklin.


Prost Neujahr!

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22,5 cm. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der 31.12.1884 ist als Ankerdatum gesetzt – das späteste mögliche Schreibdatum, damit der Brief zum Neujahrstag in Lenzburg eintraf, einen Tag für den Postweg von München nach Lenzburg gerechnet.

  • Schreibort

    München
    31. Dezember 1884 (Mittwoch)
    Ermittelt (unsicher)

  • Absendeort


  • Empfangsort


Erstdruck

Gesammelte Briefe. Erster Band

(Band 1)

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
80-82
Briefnummer:
22
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2021, Bd. 1, S. 68-70 (Nr. 26).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 191
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 31.12.1884. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (12.03.2025).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Tilman Fischer

Zuletzt aktualisiert

10.02.2025 19:29