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Lieber
Frank, in einem Büchel Büchlein – der Band „Launenhafte, zärtliche und moralische Gedichte“ (1782) von Johann Traugott Plant, erschienen bei Johann Sigismund Kaffke; darin befindet sich das Gedicht „Lied einer alten verliebten Jungfer“ [vgl. J.T.P.: Launenhafte, zärtliche und moralische Gedichte. Stettin 1782, S. 23-25], das Franz Blei um drei Strophen gekürzt und mit Varianten unter dem gekürzten Titel „Lied einer alten Jungfer“ in seine Anthologie „Fleurettens Purpurschnecke. Erotische Lieder und Gedichte aus dem achtzehnten Jahrhundert“ (1905) aufgenommen hatte [S. 55-57], unter fingiertem Verlagsort („Paphos“) und Jahr („im Jahr der Cythere 5091“) unter Pseudonym („gesammelt und herausgegeben von Franciscus Amadeus, M. A. Er.“) mit Zeichnungen von Franz von Bayros im Privatdruck bei C. W. Stern in Wien herausgegeben. Franz Blei, der in Wedekinds Gedicht „Ave Melitta!“ [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 23; vgl. KSA 1/I, S. 534f.] „offenbar ein Plagiat vermutete“ [KSA 1/I, S. 1060], hat ihm das im Brief zitierte Gedicht daher abgeschrieben (siehe die Hinweise zur Datierung). Schon vorher hatte es Streit gegeben, wie Wedekind am 9.5.1905 notierte: „Nach Krakel mit Blei in der Torggelstube.“ [Tb]: Launenhafte, zärtliche und moralische Gedichte,
von J. T. P. Stettin 1782 finde ich folgendes
in
ähnlichem Zustande seufzenden Seelen
Schon
viele Jahre quäl ich mich im StillenUm
einen Mann!Und
hört mich an!
–
Wie
lange soll ich armes Ding Variante 1905: Kind. noch weinen
–
Wenn
Jünglinge mit andern Mädchen spielenIm
Frühlingshain,Und
ihre Lust auf Rosenlippen kühlenBin ich
allein.
–
Dann
schmachte ich voll Sehnsucht nach dem GlückeGeliebt
zu sein;Doch
niemand sieht auf meine LiebesblickeUnd
hört mein Schrein.
–
Wie
gräm ich mich des Nachts in meinem BetteVon
Liebe toll Variante 1782, 1905: voll.
–
Ich
putze mich, ich thürme meine HaareHoch in
die LuftIch
balsamiere meines Busens WaareMit
süssem Duft.
– ∙/∙ |
Mit
Flor und Bänder Schreibversehen, statt: Bändern. schmück ich mein Gesichte
–
Welch
eine Glut durchwühlt mein armes HerzeUnd zehrt
es ab.Ich
diene nur den Jünglingen zum ScherzeBis in
mein Grab
–
Komm
Charon in der griechischen Sage Fährmann in der Unterwelt., komm, und fahre mich von hinnen
–
Dein
Blei
Bestehend aus 1 Blatt, davon 2 Seiten beschrieben
Der 11.6.1905 ist als Ankerdatum gesetzt – ein mögliches Schreibdatum, bald nach Erscheinen von Wedekinds Gedicht „Ave Melitta!“ [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 23], das Franz Blei zur Abschrift des Gedichts „Lied einer alten verliebten Jungfer“ von Johann Traugott Plant aus dem Band „Launenhafte, zärtliche und moralische Gedichte“ (1782) in seinem Brief veranlasste, das er wiederum als „Lied einer alten Jungfer“ in seine Anthologie „Fleurettens Purpurschnecke“ (1905) aufgenommen hatte. Wedekinds Gedicht hat vielfache Quellen. „Die Verse stellen eine Parodie auf das christliche ‚Ave Maria‘ [...] dar. Die Wendung des christlichen Ideals weiblicher Keuschheit in die drängende Bitte nach einem Sexualpartner entspricht einem beliebten Topos der erotischen Volksliteratur, der vielfach nachzuweisen [...] ist. Nicht ausschließen läßt sich [...] der Einfluß eines Liedes von J.[ohann] T.[raugott] P[lant], auf das Franz Blei Wedekind – sehr wahrscheinlich unmittelbar nach Erscheinen des Erstdrucks – aufmerksam machte. Blei, der offenbar ein Plagiat vermutete, sandte Wedekind eine Abschrift des Textes zu [...]. Weitere, inhaltlich ähnliche Bearbeitungen des Topos belegen jedoch, daß sich eine Zurückführung des Wedekindschen Gedichts auf die von Blei unterstellte Textvorlage nicht eindeutig vornehmen läßt.“ [KSA 1/I, S. 1060-1062]
München
11. Juni 1905 (Sonntag)
Ermittelt (unsicher)
München
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia
Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13
Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Franz Blei an Frank Wedekind, 11.6.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (24.10.2025).
Cordula Greinert
Ariane Martin