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Seiner
Frau
Bertha Jahn
in kindlicher Ergebenheit der dankbare Neffe
Ein
Lied, ein Lied! – Mein Herz will überfließen;
S/D/ie Seele schwingt sich jauchzend himmelan. –
Nicht,
wie die Kunstpoeten aller Zeiten,
In strengem R
Mit Wortabwägen und mit Kleinigkeiten,
Besteig, o Göttin, heute den
Verlaß den Pfad der leeren Reimerei!
Frisch, froh und frei
In lieben, leichten, zügellosen
Laß jetzt die Geister Deiner Muse tanzen! – |
Was
soll dem Jüngling all’ der Flitterkram,
Worein Philister ihre
Verse ketten? –
Ein freies Wort, das aus der Seele kam,
Verschmäht den Zwang von zierlichen
Ein himmelstürmender Gedanke bricht
Die engen Schranken jeder Form zusammen,
Und auf dem freien Götterangesicht
Sprühe feuerathmend der Begeistrung Flammen. –
Was ist
es, das den Menschen glücklich macht?
Für welche Gunst soll ich den Schöpfer preisen?
Ist’s Geld und Gut, ists
hohe Königspracht?
Ist’s Tugend, ists
der kluge Sinn des Weisen? –
Beim Himmel, nein! Mein Glück muß tiefer sein!
Es ist des Lebens gold’ner Sonnenschein,
Es ist – o selig alle, die es fanden! –
Ein großes Herz, das unser Herz verstanden. –
Am
grünen Bergeshang stand eine Wiege,
Drin lag ein frohes, unschulds
volles Kind; |
Blau war sein Aug’ und herrlich seine Züge,
Wie sie bei überird’schen Wesen sind.
Und rings im Kreise standen schöne Frauen,
Wie Sterne um der Sonne Glanz geschaart,
Das Kind zu segnen und es anzuschauen
Und zu beschenken für die Pilgerfahrt.
Und in
den Kreis trat eine schöne Frau,
War eine Göttin aus dem Heidenthume;
Blond war ihr wallend Haar, ihr Auge blau,
Am Herzen trug sie eine weiße Blume;
Und sprach: „Ich bin die große Göttin
Dich hab’ ich mir zum Pathchen auserwählt.
Und daß Dich stets mein starker Geist beseelt,
Geb’ ich Dir meinen zweiten Namen Bertha die Glänzende; in der germanischen Mythologie auch Berchta (Perchta), Hulda, Frau Holle (Mutter Erde), Hertha genannt: „Hulda, Frau Holle, der Name einer thüringhessischen Gottheit [...]. Es soll auch ein Beiname der Hertha sein, und es ist nicht unmöglich, daß diese germanische Göttin in gewissen Provinzen so genannt wurde. [...] In einigen Gegenden heißt sie auch die wilde Prechta, die wilde Bertha, [...] und denen, die ihr Wohlergefallen erregen, erscheint sie als weiße Frau“ [Damen Conversations Lexikon, Bd. 5, 1835, S. 348f.]..“
Ein
ernstes Weib tritt in des Kreises Mitte
Und ihres Segens Zauber sich bewußt
Naht sie der Wiege sich mit leichtem Schritte
Und küßt das Kind auf seine junge Brust: |
„Dir sei ein großes, edles Herz besche hrt,
Ein
edles Herz, das Menschen lieben kann,
Sie zu begreifen weiß, selbst wenn sie fehlen –
Ein edles Herz, das mit sich himmelan
Uns trägt zum höchsten Fluge schöner Seelen –
Ein edles Herze ist ein tückisch Gut,
Ihm ist gar manche s/r/ schwere Kampf beschieden.
Jetzt
naht ein w/W/eib in seiner Schönheit Blüthe,
Drauf
küßte sie das Mädchen lang und viel
Und blickt’ es an und segnet’ es und lachte:
„Ich schenke Dir ein griechisches Profil
Und alles, was mich selbst zur Göttin machte!“ –
Und wie sie noch so zärtlich kosen thät,
Zog Amor heimlich schmunzelnd und in Eile
Aus seinem Gurt den schärfsten seiner Pfeile
Und practizirt ihn meuchlings unter’s Bett.
Frau
Venus trat zurück und ahnte nichts
Von allem, was ihr kleiner Schelm
Sieh da, erschien im Glanze höhern Lichts
Voll Würdigkeit und stolzen Angesichts
Als Diamant, der eine Krone zieret
Die Göttin Poesie von
Sie schwebt daher und alle andern neigen
Sich ehrfurchtsvoll und halten tiefes Schweigen.
Umflossen
von dem hellsten Glorienschein,
So
Und überreicht dem lieben, zarten Kinde
Vom eignen Haupt das schönste Angebinde.
Es war, umstrahlt von nieerloschnem Glanz,
Ein frischer immergrünern Lorbeerkranz;
Und Phöbus, der von Milde niederschaute,
Legt auf das Lager seine gold’ne Laute. –––
So
wurdest Du zur Priesterin geweiht
Der edeln Kunst, die alle Menschen loben;
So hast Du immer schon und hast uns heut
Durch Deinen Sang zu Dir emporgehoben;
So hast Du milde Streiche ausgetheilt,
Wie einst dem Pfaffenthume
Hast manchen wunden Fleck in uns geheilt,
Großmüthig doch gestreng
Ich
aber stehe hier in dieser Stube
Ganz einsam unter
Wie einst uns
So sind auch mir die Löwen alle gut. |
Der Löwenmutter bring’ ich meinen Gruß
Und lebe ganz nach ihrem Wunsch und Willen;
Denn wie man
Will ich auch gerne
Allein
vor wem ich sonst noch
Mit ++/ehrfurchtsvollem, kindlichem Gebahren,
Bestehend aus 6 Blatt, davon 8 Seiten beschrieben
Als Schreibort kann der Aufenthaltsort Wedekinds in den Semesterferien (Herbst 1884) angenommen werden.
Lenzburg
18. Oktober 1884 (Samstag)
Sicher
Lenzburg
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Aargauer Kantonsbibliothek
Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz
Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Frank Wedekind an Bertha Jahn, 18.10.1884. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (04.12.2025).
Anke Lindemann