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München
Verehrter
An eine baldige Abschaffung der
Der glühendste Anhänger der Todesstrafe ist natürlich derjenige, der den Mörder am meisten fürchtet, der Kleinbürger, der an seinen Ersparnissen hängt, und der ist politisch doch fast überall ausschlaggebend; ein Mensch, der über sämtliche Schätze moderner Bildung verfügt, ohne einen einzigen Gedanken selber zu Ende denken zu können.
Für mich ist die Frage der Todesstrafe ausschließlich eine
Frage für den Richtenden, niemals für den Gerichteten, denn sterben müssen wir
ja schließlich alle einmal. Und
Meiner Überzeugung nach ist jede mehrjährige
Freiheitsberaubung in unseren heutigen Gefängnissen grausamer als die Todesstrafe.
Außerdem werden in den Gefängnissen unter großem Kostenaufwand Existenzen
bewahrt und bewacht, die für sich selbst noch in weit höherem Grade als für die
Gesellschaft nur mehr einen Minuswert haben. Ihr einziger positiver Wert ist
ein rein ideeller, theoretischer, phantastischer, in der Art wie der Wert der
Die Vermenschlichung unserer Strafanstalten, wie sie in Amerika in vollem Gang ist, ihre immer intimere Annäherung an das Irrenhaus, das scheint mir ein unvergleichlich wichtigeres, dankbareres und leichter zu erreichendes Ziel zu sein, als die Beseitigung einer Strafe, mit der die zivilisierte Welt zu zwei Dritteilen noch auf unabsehbare Zeiten hinaus eines ihrer teuersten und kraftvollsten Schutzheiligtümer zu verlieren fürchtet.
Mit den besten Empfehlungen und herzlichen Grüßen
Ihr
ergebener Frank Wedekind.
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München
23. Oktober 1909 (Samstag)
Sicher
München
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Es gibt keine Informationen zum Standort.
Frank Wedekind an Adolf von Wilke, 23.10.1909. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (07.12.2025).
Ariane Martin