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In der Welt u ihrem rauhen Treiben,
Ihren Sorgen, ihrem Jagen nur nach
Glück u Ehre, nach dem Schönen, Reinen.
Mancher fraget nichts, gar nichts mehr dem nach;
Diese Welt hat ihm das
Seiner Seele, nach dem Idealen,
Schönen, Göttlichen geraubt, in schwü hlen
O, wie glücklich, selig, der durchdrungen,
In der Seele ist, für dieses Hohe;
Freudig u begeistert u errungen
Frei den Schatz, und dessen Geist ihn frohe,
Leicht geschwinde trägt auf gold’nem Flügel
In das ewig grüne, schöne Land, sie
Alle Meere überwindend Hügel
Lieblich kränzte Göttin Poesie. |
Glücklich! der aus ihrem schönen Füllhorn
Knospe, Blümlein nur erhält, er darf’s nun
Pflegen, Göttin sah ihn an, ihr Füllhorn
Bringt ihm mehr nah Blumen u ihr fragt nun
Freudetrunken, liebeglühend singet
Er als Dichter ihr zu Füßen Lieder;
Ewig durch den großen Tempel klinget
Jeder Ton, dem Lauschenden dann wieder.
Dort, im schönen Thal wo ewig blühet,
Ueppige Natur u Wind leicht fächelt,
Goldne Frucht durchs dunkle Laub erglühet,
Wo der Himmel ewig blau ist, lächelt,
Hier, Du Göttin thronst mit gold’ner Leier,
Lorbeerkranze in dem Haar u alle
Sänger, die um Dich geschaart zur Feier
Freudig singen sie in kräft’gem Schalle. |
Ja sie dichten, singen ihrer hohen
Herrin u doch singen sie nur Eines,
Alle nur der Einen, Schönen, Frohen
Göttin, ihr nur Kranz sie winden, keines
Dieser Blümchen geht verloren, dienen
Alle Dichter, singen nur der Liebe
Göttliche u reine Harmonien
In dem tiefsten, liebesglühnsten Triebe.
O; daß ich doch hätte Flügel, Schwingen,
In das wunderbare Land zu kommen
Und der Göttin zu den Füßen singen;
O! daß ich der reinen, warmen Sonnen
Strahlend Licht, auffassen könnt’ im Herzen,
Einen schwachen Strahl, ein matter Glanz nur;
Doch mir ist’s noch nicht vergönnt, mit Schmerzen
Tief anbetend, suche ich des Scheines Spur! |
Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben
Der 10.4.1884 ist recht spekulativ als Ankerdatum gesetzt – das späteste mögliche Schreibdatum während der gemeinsamen Aarauer Schulzeit von Lina Renold und Wedekind, der an diesem Tag sein Maturazeugnis erhielt und Anfang Mai ein Studium in Lausanne begann. Für einen späten Brief innerhalb der Korrespondenz spricht die sehr persönlich gehaltene Grußformel („Meinen herzlichen Gruss“), insbesondere im Vergleich zu den anderen 3 Briefen („Grüsst Sie freundschaftlich“ [16.12.1883); „Unterdessen meinen freundlichen Gruss“ [21.2.1884]; „Meinen freundschaftlichsten Grusse“ [16.3.1884]). Als Schreibort kann der Wohnort Lina Renolds angenommen werden.
Aarau
10. April 1884 (Donnerstag)
Ermittelt (unsicher)
Aarau
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Aargauer Kantonsbibliothek
Aargauerplatz
5001 Aarau
Schweiz
Wir danken der Aargauer Kantonsbibliothek für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Lina Renold an Frank Wedekind, 10.4.1884. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (16.11.2025).
Anke Lindemann