Bitte wählen Sie je ein Dokument für die linke und rechte Seite über die Eingabefelder aus.
Mein lieber Frank, ich werde versuchen es niederzuschreiben,
sagen kann ich es nicht, weil ich immer fürchte, Du
lachst mich aus. Zuerst war es, wie es immer ist, ein Bischen Zuneigung, viel Sinnlichkeit
u. viel Eitelkeit. Aber mit jedem Tag wurde es anders. Und ich habe mich auch
schon sehr verändert. Sagst Du nicht selbst, ich sei jetzt
anders wie
Das gieng so bis meine Mutter kam Das genaue Datum der Ankunft von Mathilde Newes in Berlin ist unklar; sie hat ihrer Tochter bereits in Frankfurt am Main Gesellschaft geleistet [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 13.10.1905]. Wedekind notierte im Tagebuch ihre Anwesenheit in Berlin im Beisammensein mit ihrer Tochter (fast immer nach „Hidalla“-Vorstellungen, in denen er auftrat) am 17.11.1905 („Hidalla [...] Nachher mit Tilly und ihrer Mutter bei Aschinger“), 21.11.1905 („Hidalla [...] nachher mit Tilly und ihrer Mutter Weinstube Aschinger“), 23.11.1905 („Abends mit Tilli und Ihrer Mutter im Wintergarten“) und 28.11.1905 („Hidalla [...] Nachher mit Tilly und ihrer Mutter bei Kempinsky und im Café de l’Opera“)., u. dann schicktest Du mich weg, ich glaube an den Tag werde ich
immer denken! Du sagst, es hat mich ordentlich zusammen gerüttelt, u. Du glaubst,
das kam nur von gekränktem Ehrgeiz, oder so etwas? Wie
Es ist aus, er glaubt nicht an mich, nun kann ich nicht
mehr. „Du bist verrückt, jetzt erst recht solltest du zeigen, ich kann etwas“
Ja, wer so sicher wäre wie du, wer so an sich glauben könnte, – „Nur so kannst
Du ihn zurückgewinnen!“ Ach, wenn das gienge!! – Aber Mama muss so oder so weg,
Mama, Du musst weg, es geht nicht anders. Du musst. „Gut, ich seh’
Dann denke ich, ich muss es erst versuchen, will Barnowsky um
| eine Rolle bitten, aber wenn ich seh’ es nützt nichts; oder ich habe zu wenig
Mut, ist immer gut, wenn man das Ding hat
Mir ist, als könnte ich nicht mehr weiter spielen.
Und ich gehe mit Dir u.
Und als Du kamst war ich schwach u. glücklich u. stiller. Du
hast selbst gesagt ich sei stiller. Ich fürchtete sehr, Dir oberflächlich vorzukommen,
u. es war mir ja auch lieber, wenn ich stiller sein durfte. Und dann kam „Marquis“ Wedekinds Schauspiel „Der Marquis von Keith“ hatte am Kleinen Theater in Berlin am 13.12.1905 Premiere: „Durchfall des Marquis von Keith [...]. Nach der Vorstellung mit Kuhnert seiner Frau und Tilly bei Habel. Tilli kommt zu mir“ [Tb]; er spielte die Titelrolle, Tilly Newes die Rolle des Hermann Casimir, die eine weibliche Besetzung verlangte [vgl. KSA 4, S. 560].
u. jetzt war ich krankWedekind notierte im Tagebuch die Erkrankung von Tilly Newes – am 17.12.1905 („Tilli [...] hat starkes Fieber“), 18.12.1905 („Tilli leidet an Angina“), 20.12.1905 („Marquis v Keith [...]. Nachher mit Tilly bei Habel. Sie kommt zu mir. Morgens um 6 Uhr begleite ich sie nach Haus. Sie hat starkes Fieber“), 23.12.1905 („T hat eine Mittelohrentzündung, wird geschnitten. Abends fahr ich mit ihr zu Dr. Flatau“), 24.12.1905 („Fahre mit Tilly zu Dr. Flatau. Sie leidet fürchterlich auf dem Heimweg und zu Hause. Ich bleibe bis 9 Uhr bei ihr“), 25.12.1905 („mit Tilli zu Dr. Flatau“), 29.12.1905 („mit Tilly beim Arzt“) und 30.12.1905 („Ich begleite Tilli zum Arzt“).. Und weil Du so lieb u. gut warst mit mir, u. Dich so freutest
als ich wohler wurde, dachte ich, er hat Dich doch lieb. Und wenn Du fort warst
lag ich still, lächelte u. hatte Tränen im Auge. |
Und sah Dein Bild Tilly Newes hatte sich ein Foto von Wedekind gewünscht [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 28.8.1905 und 23.9.1905], das sie inzwischen erhalten haben dürfte. Sie und Wedekind haben sich seinem Tagebuch zufolge in Berlin außerdem von der Fotografin Aura Hertwig aufnehmen lassen – am 23.11.1905 („Tilli und ich fahren zu Frau Hertwich, die uns beide nackt photographiert“) und 29.11.1905 („Wir werden auf meinem Zimmer photographiert“); die Fotos hat Wedekind ihr am 2.12.1905 gebracht („Ich hole die Photographien bei Aura Hertwich und bringe sie Tilly Newes“). an, u. dachte: Du Lieber, Du Gutervgl. „Der Marquis von Keith“ (1901), 3. Akt (Molly Griesinger zum Marquis von Keith): „MOLLY (fällt ihm leidenschaftlich um den Hals und küßt ihn ab) – Du Lieber! – Du Großer! – Du Guter!“ [KSA 4, S. 200] Das wiederum war eine Anspielung an Gerhart Hauptmanns „Einsame Menschen“ (1891), 2. Akt, in dem Käthe Vockerat beim Abschiednehmen („An Johannes’ Halse“) sagt: „Du Lieber! Guter!“. Und heute
hast Du mir das
Ich quäle mich sehr u. kann nicht herausfinden.
Und die Tränen waren Freude, über meine Ilusion Schreibversehen, statt: Illusion., dass wir uns
lieb haben.
Und wenn ich Dich nicht mehr sehe, das
Und wenn Du fort bist, wer soll denn dann der Nächste sein? Und
wann denn schon? Wie werde ich wohl über Dich reden?
Müsste ich denn dann nicht denken, alles ist Komödie, u. ich
selbst bin auch eine Komödiantin u. Du wohl auch?
Sag’ mir doch Frank, was ich tun soll!
Bestehend aus 7 Blatt, davon 14 Seiten beschrieben
Der 1.1.1906 ist als Ankerdatum gesetzt – ausgehend von Wedekinds Notiz am 2.1.1906: „Morgens kommt T.N. zu mir nachdem sie mir einen Brief geschrieben.“ [Tb] Demnach darf angenommen werden, dass Tilly Newes diesen Brief, bei dem es sich wohl um den vorliegenden handelt, am Tag zuvor fertiggeschrieben hat, jedenfalls kurz bevor sie Wedekind am 2.1.1906 morgens aufsuchte und ihm den Brief persönlich übergeben haben dürfte.
Berlin
1. Januar 1906 (Montag)
Ermittelt (unsicher)
Berlin
2. Januar 1906 (Dienstag)
Ermittelt (sicher)
2. Januar 1906 (Dienstag)
Ermittelt (sicher)
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia
Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13
Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 1.1.1906. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (16.11.2025).
Ariane Martin