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Lieber  Wedekind,
heute war also  Barnowsky hier. Er hat mich Nachmittag’s in
meiner Wohnung aufgesucht. Er gefällt mir gut, hoffentlich gefalle ich ihm
auch. Ich sprach ihm den  ersten Act Der 1. Akt der „Büchse der Pandora“ (1903) spielt in der Villa des toten Dr. Schön, in dem sich Lulus Liebhaber vor ihrer Flucht nach Paris um sie versammeln [vgl. KSA 3/I, S. 479-496]. „ Büchse“ vor, ich glaube  das hat ihm sehr gefallen. Abends spielte ich eine ziemlich
unbedeutende Rollenicht ermittelt; sie habe im Frankfurter Residenztheater, auf dessen Spielplan fast ausschließlich „Boulevardstücke und Lustspiele“ standen, wie Tilly Wedekind sich erinnerte, in einem „Stück von Oscar Wilde“ eine kleine Rolle gespielt, in der sie „hauptsächlich vom Wetter und von einer Verlobung zu reden hatte“, sowie „Rollen in französischen Lustspielen“ [Wedekind 1969, S. 50f.]., er wollte aber wohl hauptsächlich wissen, wie ich aussehe.
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Es wird ihm doch keinen unangenehmen Eindruck machen, weil
Er fürchtet, dass ich für die Fanny Kettlereine der Hauptfiguren in Wedekinds Schauspiel „Hidalla“ (1904), das am 26.9.1905 im Kleinen Theater in Berlin unter der Regie des Direktors Victor Barnowsky Premiere hatte, mit Gertrud Arnold in dieser Rolle. Tilly Newes trat erstmals am 27.10.1905 in der Rolle auf, wie Wedekind im Tagebuch notierte („Hidalla [...] Erstes Auftreten von Tilly Newes“), dann aber am 30.10.1905 nochmals Gertrud Arnold („Hidalla [...]. Letztes Auftreten von Gertrud Arnold“), die sich am 31.10.1905 vom Kleinen Theater verabschiedete („Abschiedsabend von Gertrud Arnold“). Tilly Wedekind erinnerte sich: „Wedekind hatte mich gleich am Anfang für die weibliche Hauptrolle haben wollen, war aber mit diesem Wunsch nicht durchgedrungen“; sie „übernahm“ dann aber doch „diese Rolle, die mir außerordentlich lag.“ [Wedekind 1969, S. 53f.] zu Mädchenhaft,
zu wenig weiblich bin. Ach, bitte,  beruhigen
Sie ihn doch darüber!  Lulu Hauptfigur in Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903), die Tilly Newes in der Wiener Inszenierung gespielt (in geschlossenen Vorstellungen am 29.5.1905 und 15.6.1905) und Wedekind dadurch kennengelernt hat. braucht doch auch starke Weiblichkeit, u. ich
glaube, das be
Leider scheint er doch zu ahnen, dass ich Ihnen, wie soll
ich sagen, – auch sonst „ sympatisch Schreibversehen, statt: sympathisch.“ bin, auch macht er sich von der Fanny
scheinbar eine andre Vorstellung wie Sie. Aber dies alles wird ihn hoffentlich
nicht hindern, mich zu engagieren. Er will morgen | in  Berlin mit meinem
 Director telephonisch sprechen, der leider in StraßburgOtto Ploecker-Eckardt war Direktor des Frankfurter Residenztheaters und zugleich Direktor des Uniontheaters in Straßburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 378]. ist u. wird mir dann
telegraphieren.
Ich brauche Sie wohl nicht aufmerksam zu machen, von meinem
Briefe zu schweigen; er wird ja wohl gleich selbst von mir sprechen, u. dann
lieber Wedekind, beweisen Sie  ihm möglichst unauffällig, dass ich
genügend Weib bin, um die Fanny zu spielen. Ich möchte so gern. Aber jetzt, Lebwohl,
es ist schon 1 Uhr! Herzlichst
Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben
Das Schreibdatum 13.10.1905 ist durch den Briefinhalt in Verbindung mit Wedekinds Datumsnotiz zum Empfang des Briefes am 14.10.1905 sicher belegt.
                                            Frankfurt am Main
13. Oktober  1905 (Freitag)
                    
 Ermittelt (sicher)
           
                                        
                                            Frankfurt am Main
Datum unbekannt
                    
       
                                        
                                            
14. Oktober  1905 (Samstag)
                    
                                    
                                        
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Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 13.10.1905. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (31.10.2025).
Ariane Martin