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[1. Briefentwurf:]
Wer will es unternehmen eSpurinnerer
Ihr FW.
[2. Entwurf der
Beilage:]
Zufall
Jeder Zufall, sei er glücklich oder unglücklich bietet den
einen Vortheil daß er solchenTrost
Mit der Bewältigung des Zufalls befaßt sich meiner
Ansicht
Ob der Zufall eine besondere Rolle in meinem Leben
gespielt hat? – Ich
Mit der geistigen Bewältigung des Zufalls befaßt sich meine s/r/
[3. Druck der Beilage
in „ Die Zeit“:]
Frank Wedekind (
Der unerklärliche Zufall war mir von jeher das Bestehen alles Bestehenden. Wo läßt sich dafür ein Schimmer von Notwendigkeit entdecken? Vielleicht in unserem alltäglichen Wohlbehagen, das durch Sintfluten von Unglück und Jammer erkauft wird?
Ob der Zufall eine Rolle in meinem Leben gespielt hat? – Ich rechne das organische Entstehen natürlich nicht zu den Zufällen. Vor allem aber rechne ich dazu die Verknüpfung meines Ichbewußtseins mit dem Lebewesen, das entstand. Ich fragte mich schon als Kind unaufhörlich, warum ich ich bin, warum ich nicht jemand anders bin, warum nicht jemand anders ich ist, oder warum mein Ichbewußtsein nicht einfach ausgeblieben ist. Denn so wahr wie sich ein bestimmtes Ichbewußtsein noch niemals wiederholt hat, sondern immer ein für allemal verschwindet, so sicher läßt sich doch auch der Zufall setzen, daß dieses Ichbewußtsein niemals entstand.
Die Kunst hat es mit der Religion gemein, daß sie sich mit der geistigen Bewältigung des Zufalls befaßt, obwohl das sicherlich nur den kleinsten Teil ihres Wesens ausmacht. Deshalb kann ein Zufall wohl der Stoff eines Kunstwerkes sein, wird aber niemals zu seinen Vorzügen gehören.
Jeder Zufall, sei er glücklich oder unglücklich, bietet den einen Vorteil, daß er sich zur Reklame ausnützen läßt. Zu diesen Zufällen darf ich wohl auch Ihre Rundfrage rechnen. Bei schlimmeren Zufällen ist dieser Vorteil aber doch wohl nur ein sehr kümmerlicher Ersatz.
Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben
Der 21.12.1909 ist als Ankerdatum gesetzt. Der Briefentwurf mit Beilage „dürfte [...] im Dezember 1909 entstanden sein.“ [KSA 5/III, S. 262] Wedekind war seit dem 6.12.1909 zu einem Gastspiel in Wien, über das „Die Zeit“ (Wien) seit dem 7.12.1909 kontinuierlich und wohlwollend berichtete – „Der Dichter ist seit einer Woche bereits in Wien“ [Die Zeit, Jg. 8, Nr. 2595, 14.12.1909, Morgenblatt, S. 3] – und Wedekind hat am 21.12.1909 möglicherweise die Redaktion (Chefredakteur war Karl Werkmann) persönlich aufgesucht: „Nachmittags Besuche auf den Redaktionen“ [Tb]. Er könnte bei einem solchen Besuch um einen Beitrag zu der Umfrage gebeten worden sein (der erste Teil wurde am 25.12.1909 publiziert, der zweite Teil mit Wedekinds Beitrag am 1.1.1910), den Beitrag mit Entwurf des Begleitschreibens noch am 21.12.1909 konzipiert und auf der Grundlage des Briefentwurfs den dann abgesandten Brief mit der Reinschrift der Beilage formuliert haben, der zwar nicht überliefert, seine Existenz aber durch den Druck der Beilage am 1.1.1910 in der Wiener Tageszeitung „Die Zeit“ mittelbar belegt ist. Am 22.12.1909 reiste Wedekind mit dem Nachtzug im Schlafwagen zurück nach München, wo er am 23.12.1909 eintraf und wieder mit anderen Dingen befasst war.
Wien
21. Dezember 1909 (Dienstag)
Ermittelt (unsicher)
Wien
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia
Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13
Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Frank Wedekind an Karl Werkmann, (Zeitung) Die Zeit, 21.12.1909. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (25.10.2025).
Ariane Martin