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Nov 1883)
Zuerst
dies lesen!
„
Einsam
und hülflos stand die junge Menschheit Der allgewaltigen, schrecklichen Natur
gegenüber | und wußte nicht, wohin das Auge wenden, um nicht Grauen und
Schauder zu empfinden. Da sehnte sich ihr zages Herz nach einem trauten
Freunde, dem es sich offenbaren, bei dem es Hülfe suchen durfte. Ach, es fand
ihn nur in eigenen Träumen und Hoffen. So entstand Gott. Aber der unerbittliche
strenge Verstand prüfte mit pedantischer Genauigkeit das Treiben seines Meisters.
Mißtrauisch erforschte er deßen Gedanken. „ Besser Das Zitat („Besser gar kein Freund als ein falscher Freund“) dürfte an die Redewendung „Ein offenbarer Feind ist besser als ein Falscher Freund.“ [Wander 1867, S. 967, Nr. 59] angelehnt sein. gar kein Freund als ein falscher Freund“! Und
dann verbannte er auf ewig den frommen Kinderglauben aus meiner (!) arglosen
Seele. Doch kein Unglück
ohne Segenin Anlehnung an das Sprichwort: „Kein Vnglück ist ohn Glück“ [Wander 1870, Bd. 4, Unglück, Nr. 185].: Mit der Verzweiflung an Gott wuchs in mir der Glaube an die
Menschheit und das Verlangen, mit ihr zu verkehren, sie kennen und lieben zu
lernen. Ich glaube nicht, daß mein Herz den Tausch zu bereuen hat. – Soweit die
Theorie. Und die Praxis? ––– |
Das Sonett, welches ich Dir mit diesem Briefe sende Wedekinds Gedicht „Blanche Zweifel“, dessen Titel er in hebräischen Lettern schrieb: „כלנֺש צויפל / Wol werden meine Kühnheit Sie nicht loben; / Nein, zürnen hör ich Sie, weil heiß durchglüht / Von wildem Feuer meine Rede sprüht. / Doch hoff’ ich Glück, wenn Sie das Wort erproben. // Denn wem im Herzen laut’re Freundschaft blüht / Vom Dufte zarter Harmonie umwoben, / Deß Seele fühlt sich stolz emporgehoben, / Und süße Freud verkläret sein Gemüth. // Vertrauensvoll vor Ihnen ausgebreitet / Sehn Sie mein Herze. – Noch kein Stern verlieh / Ihm jenes Licht, das uns auf Erden leitet. // Doch was in Winterskälte nicht gedieh, / Das athmet auf vom Frühlingshauch begleitet / Im warmen Sonnenglanz der Poesie.“ [KSA 1/I, S. 181] Zum Verbleib der nicht überlieferten Beilage äußerte sich Minna von Greyerz zwei Wochen später [vgl. Minna von Greyerz an Wedekind, 10.12.1883]. entstand letzten Montag Morgenam 26.11.1883.. Du erhältst es
nun zu strenger, rücksichtsloser Kritik. Schone es so wenig, wie ich deine LiederWedekind hatte in dem Gedicht „Die ästhetische Caffeevisite“ eine nicht überlieferte Gedichtsammlung seiner Cousine kritisiert [vgl. Wedekind an Minna von Greyerz, 27.10.1883]. schonte: „Aug um AugGleiches mit Gleichem vergelten nach dem biblischen Rechtsspruch des Alten Testaments: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ [Exodus 21,23].“! Zahn um Zahn!
sei unser Wahlspruch in dieser Sache. – An
Vielleicht
giebt dir der Titel
Aufschluß. Die Veranlaßung war der
Tanzabend bei Hünerwadels Über den Rahmen der Festivität am Abend des 25.11.1883 schrieb Frank Wedekinds Vater: „ein Ball für nur junge Leute, gemeinschaftlich von Fritz Hünerwadels und Wilhelm Schwarzes und im Hause der erstren, von welchem Bebi erst heute früh nach 3 Uhr heimkam.“ [Friedrich Wilhelm Wedekind an Armin Wedekind, 21., 26., 28.11.1883 (Familienarchiv Wedekind, Leichlingen)].
Ich bitte dich, zeig es niemandem, obschon ja durchaus nichts Schlimmes darin
steht und ich für jedes Wort mit Leib und Seele einstehen möchte. Doch könnte
es immerhin auf keinen Fall etwas nützen. Vielleicht daß mir das Schicksal ein
ander Mal günstiger ist und die Damen von Lenzburg nicht im Frauenverein versammelt hältDer Lenzburger Frauenverein traf sich am Donnerstag, den 29.11.1883 [vgl. Minna von Greyerz an Wedekind, 2.12.1883]. – Sein Gründungsjahr ist unbekannt, eine kleine Mitteilung in der Presse bestätigt für das Jahr 1877 seine Existenz: „Aargau. Der Regierungsrath hat dem Frauenverein Lenzburg die Verloosung von Gaben zu Gunsten der Mädchenerziehungsanstalt Friedberg bewilligt.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 57, Nr. 485, 16.10.1877, Erstes Blatt, S. (2)] Als sich am 22.4.1889 in Aarau der SGF (Schweizerischer gemeinnütziger Frauenverein) gründete, wurde mit Gertrud Villiger-Keller eine Lenzburger Frauenrechtlerin zur Präsidentin gewählt. [vgl. Der Bund, Jg. 40, Nr. 175, 27.6.1889, S. (2); Heidi Neuenschwander: 101 Jahre Schweizerischer Gemeinnütziger Frauenverein – 100 Jahre Sektion Lenzburg. In: Lenzburger Neujahrsblätter, Jg. 61, 1990, S. 52-59]., wenn ich
ausgehe, um Visiten zu machen. O, mein verwünschtes Pech!! –––––
Soll
ich dir noch mehr gestehen? – Nun warum denn nicht. – Es war besonders das |
unruhig leuchtende und doch so freundliche Feuer, es waren die wenigen Worte,
die mich einen überlegenen Verstand ahnen ließen, was mir solch tiefen Eindruck
machte. Wie willkommen war mir doch Mamas Gedanke, ich könnte sie besuchen und mich nach ihrem
Befinden erkundigen! Das lebhafte, vernünftige
–––
Höre, wenn meine Gefühle anderer Natur wären, so möchtest du darin Recht haben.
Aber sie sind nicht das, wofür sie die Welt halten würde, wenn sie auch nur
eine Ahnung davon hätte. Deswegen spreche | ich sie auch so offenherzig aus und
hoffe, nicht misverstanden zu werden. –
–––––
Mit
besten Grüßen, auf Wiedersehn.[
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Der 30.11.1883 ist als Ankerdatum gesetzt – das früheste mögliche Schreibdatum, das nach den beiden erwähnten Ereignissen – 25.11.1883 („Tanzabend bei Hünerwadels“) und 29.11.1883 (Versammlung des Frauenvereins) – liegt. Das späteste mögliche Schreibdatum – die Nacht auf den 2.12.1883 – ist durch den Antwortbrief [vgl. Minna von Greyerz an Wedekind, 2.12.1883] begrenzt.
Lenzburg
30. November 1883 (Freitag)
Ermittelt (unsicher)
Lenzburg
Datum unbekannt
Datum unbekannt
Stadtarchiv Lenzburg
CH 5600 Lenzburg
Schweiz
Rathaus
Wir danken dem Stadtarchiv Lenzburg für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Frank Wedekind an Minna von Greyerz, 30.11.1883. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (07.12.2025).
Anke Lindemann
Tilman Fischer