München,
13.III.10.
Meine liebe Mama,
vielen Dank für Deinen lieben BriefDer Brief Emilie Wedekinds an Tilly Wedekind ist nicht überliefert.! i/I/ch freue
mich, dass Dir das Bildchenmöglicherweise das Foto von Tilly Wedekind mit der dreijährigen Pamela auf dem Arm, das Tilly Wedekind ihrer Schwiegermutter offenbar geschickt hatte. gefällt. Nicht wahr, sie ist schon sehr groß! Sie
würde Dir sicher viel Freude machen, sie ist so verständig und lebhaft. Ich habe heute Mieze
geschriebenDas Schreiben Tilly Wedekinds an Erika Wedekind ist nicht überliefert.. Vielleicht lässt es sich arrangieren, dass wir gleichzeitig nach
Lenzburg kämen. Ich würde mich sehr freuen, | mit ihr zusammen zu sein, und für
Anna Pamela wäre es natürlich auch sehr schön, an Eva Gesellschaft zu haben.
7.IV.10
Bereits wieder ein Monat vergangen, ich weiß nicht, wo die
Zeit hinkommt! Inzwischen hab’ ich auch von Mieze Nachricht erhaltenDas Schreiben Erika Wedekinds an Tilly Wedekind ist nicht überliefert., bin aber
noch nicht entschlossen. Für die herzige Osterkartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie Wedekind an Frank und Tilly Wedekind, 26.3.1910. Emilie Wedekind dürfte die Karte zu Ostern an Tilly und Frank gleichermaßen adressiert haben. noch vielen Dank; über Ostern war mein Bruder aus PragTilly Wedekinds zweitältester Bruder Dagobert Newes kam am 25.3.1910 zu Besuch nach München: „Bertl kommt zu Besuch.“ [Tb] bei
uns, worüber ich sehr vergnügt war. |
Frank war seines Verleger’s wegenWedekind hatte am 24.3.1910 eine Beleidigungsklage seines Verlegers Bruno Cassirer erhalten: „Erhalte Klage von B. Cassirer vom 10 III.“ [Tb] Der Bruno Cassirer Verlag hatte seinen Sitz in Berlin (Derfflingerstraße 16) [vgl. Berliner Adreßbuch 1910, Teil I, S. 376], zuständig war insofern das Amtsgericht Berlin-Mitte (Neue Friedrichstraße 12-17) [vgl. Berliner Adreßbuch 1910, Teil II, S. 60], das Wedekind geschrieben haben dürfte [vgl. Amtsgericht Berlin-Mitte an Wedekind, 10.3.1910]. Wedekind reiste infolge der Beleidigungsklage am 30.3.1910 „nach Berlin“ [Tb] und nahm am 31.3.1910 Kontakt zu einem Anwalt auf: „Unterredung mit Justizrat Jonas. Er übernimmt meinen Prozes“ [Tb]. Am 1.4.1910 notierte Wedekind: „Habe die ganze Correspondenz B. Cassirer durchgearbeitet.“ Kurz vor Wedekinds Rückfahrt nach München am 6.4.1910 fand eine weitere „Unterredung mit Jonas“ [Tb] statt. Der Konflikt wurde schließlich außergerichtlich beigelegt, es kam zu keinem Prozess. in Berlin. Ihr habt sicher
darüber im Berliner TageblattWedekind hatte einen offenen Brief [vgl. Wedekind an Verlagsbuchhändler, 23.3.1910] geschrieben, der im „Berliner Tageblatt“ abgedruckt wurde [vgl. Ein Wedekind-Dokument. In: Berliner Tageblatt, Jg. 39, Nr. 157, 29.3.1910, Abend-Ausgabe, S. (3)]. Wedekinds seit dem Herbst 1909 andauernde Streitigkeiten mit Cassirer dokumentierte er in seinen Notizbüchern unter dem Stichwort „Contra Cassirer“ [vgl. KSA 5/III, S. 126-141]. gelesen, leider ist die Sache noch immer nicht zum AbschlussDie Auseinandersetzung endete mit einer Ehrenerklärung Wedekinds zu Bruno Cassirer vom 17.7.1910, deren Entwurf überliefert ist [vgl. KSA 5/III, S. 140f.]. gekommen.
Aber hoffentlich wird es nun bald. Seit heute morgen ist er wieder zurückWedekind reiste mit dem Nachtzug von Berlin nach München und traf am 7.4.1910 in München ein [vgl. Tb]..
Ausserdem war er in Darmstadt, wo er mit dem Großherzog u. der Großherzogin u.
dem Prinzen Heinrich v. Preussen bei BurmesterWedekind besuchte dem Tagebuch zufolge am 28.3.1910 eine Soiree des Komponisten und Geigers Willy Burmester in Darmstadt und traf dort den Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein („Soirée bei Willy Burmester. Ich sitze neben dem Großherzog.“), dem er später noch einmal brieflich für diesen Abend dankte [vgl. Wedekind an Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein, 4.4.1910] Den Abend schilderte er seiner Frau tags darauf ausführlich in einem Brief, der er mit den Worten begann: „Es war der interessanteste Abend, den ich bis jetzt erlebt habe“ [Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 29.3.1910]. eingeladen war. Frank sagt dies
war einer der interressantesten Abende | die er bis jetzt erlebt hat.
Inzwischen haben wir einen Brief von Matinicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Emilie (Mati) Wedekind an Frank und Tilly Wedekind, 5.4.1910. bekommen, in dem
sie uns ihre VerlobungÜber ihre Verlobung mit Eugène Perré unterrichtete Emilie (Mati) Wedekind auch ihren Bruder Armin aus Paris am 5.4.1910: „ich […] bekam […] von Eugène einen Geburtstagsbrief mit einem Heiratsantrag, den ich aber erst, da er so sehr überraschend kam nicht so ganz ernst nehmen konnte. Doch hatte ich Zeit darüber nach zu denken und als ich in Genf war, kam bald ein zweiter Brief, in dem er mir den Ernst seiner Absicht versicherte und mich bat hierherzukommen, da er des Großen Geschäftes wegen, das nun nach dem Tode seines Vaters ganz auf ihm liege nicht gut weg könne. So packte ich zusammen und reiste her, wo wir nun einig geworden sind. Verlobungsanzeigen werden keine geschickt aber zu Mamas Geburtstag wird nun alles versammelt sein.“ [AfM Zürich, Nachlass Armin Wedekind, PN 169.05:168] Die Trauung fand am 9.7.1910 in Neuilly-sur-Seine bei Paris statt. mitteilt. Ich danke Dir vielmals für I/i/hre Adresse, ich habe ihr heute
gleich telegraphischDas Telegramm Tilly Wedekinds an Emilie (Mati) Wedekind ist nicht überliefert. Frank Wedekinds Antwort auf die Verlobungsnachricht ist nur als Entwurfsfragment überliefert [vgl. Frank Wedekind an Emilie (Mati) Wedekind, 7.4.1910]. gratuliert. Ich freue mich wirklich von ganzem Herzen
darüber, hoffentlich wird sie recht glücklich! Auch für Dich war das sicher
eine große Freude,
meine liebe Mama! Wie ist denn das so plötzlich gekommen? Wusstest Du was
davon? Ich bin natürlich sehr | neugierig etwas Näheres zu erfahren.
Es wäre ja sehr schön, wenn ich mit Mieze zusammenErika Wedekind traf mit ihrer Tochter Eva Oschwald während Frank und Tilly Wedekinds Lenzburg-Aufenthalt (s. u.) am 7.8.1910 in Lenzburg ein: „Wir holen Mieze am Bahnhof ab.“ [Tb] Mutter und Tochter blieben bis zum 20.8.1910: „Mieze und Eva verreisen in aller Frühe.“ [Tb] in
Lenzburg wäre, aber erstens ist mir die Zeit ein bischen zu früh, dann ist es
wohl zu viel Trubel auf einmal für Dich. Und ich werde mich auch ganz gewiss
nicht langweilen, wenn wir allein sind! Im Gegenteil! Im Juli spielen wir hier
jeden Abend im SchauspielhausAm 1.7.1910 eröffnete das „Gastspiel von Frank Wedekind u. Frau“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 63, Nr. 302, 1.7.1910, General-Anzeiger, S. 2] am Schauspielhaus München mit der Premiere von „So ist das Leben“. Bis zum Monatsende folgten täglich Aufführungen von Stücken Wedekinds: „Marquis von Keith“, „Der Erdgeist“, „Musik“, „Zensur“, „Der Kammersänger“ und „Hidalla oder Sein und Haben“. Das Gastspiel endete am 31.7.1910. , den ganzen Monat durch, dass wirdSchreibversehen, statt: das. mich wohl, so
wie voriges | Jahr sehr angreifen. Dann einige Wochen bei DirTilly und Frank Wedekind fuhren am 6.8.1910 nach Lenzburg: „Abfahrt zur Bahn. [...] Ankunft in Lenzburg. Mama und Eva holen uns vom Bahnhof ab. Wir beziehen die neuen Zimmer.“ [Tb] Die Rückreise erfolgte am 2.9.1910: „Abreise von Lenzburg. In Zürich begrüßen uns Emma und Armin junior am Bahnhof. […] Um 6 Uhr in München.“ [Tb] im Steinbrüchli
zu sein, denk ich mir wunderschön! Natürlich darfst Du durch uns absolut nicht mehr Arbeit haben! Was wir
brauchen besorge ich selbst, oder wenn Du es für besser hältst nehme ich ein
Mädchen mit. Anna Pamela braucht nicht viel Arbeit, ich versorge sie hier auch ganz allein.
Aber das sind zu schöne Luftschlösser! Hoffentlich | werden
sie nicht zu Wasser. Ich hoffe auch sehr, dass Frank wenigstens für eine
Zeitlang mitkäme.
Was machen die ZüricherArmin Wedekind und Familie.? Bist Du jetzt nicht sehr allein im
Steinbrüchli? Ich will heute noch Annapamela baden und muss daher schließen.
Viele Grüße von Frank! In herzlicher Liebe umarmt Dich
Deine Tilly
Liebe Großmama,
viele Küsse, ich freue mich sehr auf Lenzburg.
Deine Annapamela.Für den Gruß der Enkelin dürfte ihr Tilly Wedekind die Hand geführt haben. |
Liebe Mama!
ich sendeSchreibversehen, statt: Ich sende. Dir die herzlichsten Grüße. Über Matis Verlobung
habe ich mich ungeheuer gefreut. Mit den besten Wünschen für Dein Wohlergehen
Dein treuer
Frank.
[Kuvert:]
Frau Dr. Emilie
Wedekind
Lenzburg Ct. Aargau
Schweiz Steinbrüchli