Briefwechsel

von Frank Wedekind und Walter Paetow

Frank Wedekind schrieb am 16. Juni 1892 in Paris folgenden Brief
an Walter Paetow

| selber umgehend ein Exemplar zu schicken und hätte mich bei Ihnen nur noch der langen Verzögerung wegen zu entschuldigen.

Mit der herzlichen Bitte, mir diese Zeilen, im Fall sie sich als nicht angebracht erweisen, nicht übel nehmen zu wollen, und mit der Versicherung meiner vorzüglichsten Hochschätzung
Ihr ergebenster
Fr. Wedekind.


4. rue Crébillon 4.
Paris.


[Hinweis, Zitat und Referat in Bassenge: Auktion 61 (1993), Nr. 3073:]


Wedekind, Frank [...]. Paris 16.VI.1892. [...]

(An Dr. Walter Paetow, Schriftleiter der Vossischen Zeitung in Berlin).„Vor etwa 3 Monaten schrieb mir Herr Dr. WidmannHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Joseph Victor Widmann an Wedekind, 16.3.1892. – Joseph Victor Widmann, Feuilletonredakteur der Berner Tageszeitung „Der Bund“, der dort am 22.11.1891 „Frühlings Erwachen“ rezensiert hatte [vgl. KSA 2, S. 861f.], war mit Dr. phil. Walter Paetow bekannt, der nach seinem Studium in Berlin in der Schweiz an der Universität Bern promoviert hatte [seine Dissertation ist 1892 erschienen] und „mehrere Jahre Redakteur am ‚Bund‘ in Bern“ [Das literarische Echo, Jg. 16, Heft 13, 1.4.1914, Sp. 944] war., daß mein Frühlings Erwachen das Glück gehabt, Ihr Interesse für sich zu gewinnen. Da ich nun leider nicht in der Lage bin, mich auf meinen VerlegerJean Groß in Zürich (Stadelhoferstraße 3) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1892, Teil I, S. 124], der dort gut 5 Jahre zuvor einen Verlag gegründet hatte, wie er am 1.11.1887 aus Zürich publik machte: „Hiermit beehre ich mich Ihnen ergebenst mitzuteilen, daß ich am hiesigen Platze unter der Firma Jean Groß eine Kolportage- u. Reisebuchhandlung eröffnet habe. Meine Kommission hatte die Güte Herr Otto Klemm in Leipzig zu übernehmen. Hochachtungsvoll Jean Groß.“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 255, 4.11.1887, S. 5576]. Bei „Jean Groß in Zürich“ ist im Herbst 1891 die Erstausgabe von „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 271, 23.11.1891, S. 7009] erschienen [vgl. KSA 2, S. 771f.], die Wedekind zufolge „schon im Oktober 1891 gedruckt vorlag“ [KSA 2, S. 769], wobei er selbst „die gesamten Herstellungskosten“ [KSA 2, S. 764] übernommen hatte. In den Verlag von Jean Groß trat am 16.5.1892 „Alphons Wacker als Theilhaber ein“ [Gesammt-Verlags-Katalog des Deutschen Buchhandels und des mit ihm im direkten Verkehr stehenden Auslandes. Bd. 16. Ergänzungsband. Leipzig (1894), Sp. 4015f.], was neue Verhältnisse ergab, die möglicherweise mit dazu geführt haben, dass Wedekind wenig Vertrauen in seinen Verleger hatte und er schließlich für die Zweitausgabe des Stücks 1894 zu dem ebenfalls in Zürich ansässigen Verlag Caesar Schmidt wechselte. in Zürich unbedingt verlassen zu können, beauftragte ich einen hiesigen kleinen Buchhändlernicht ermittelt., bei dem ich einige Exemplare stehen hatte, Ihnen das Buch zu übermitteln ...“ Da er aber seitdem nichts mehr in der Sache gehört habe, vermute er, daß das Exemplar nicht angekommen sei. „... Es wäre mir, wie Sie mir nicht verdenken werden, höchst schmerzlich, wenn ich Ihrer hochgeschätzten BeurtheilungWalter Paetow rezensierte die Erstausgabe von „Frühlings Erwachen“ (die Besprechung erschien in der „Vossischen Zeitung“ unter der Rubrik „Bücherschau“) und schrieb unter anderem über Wedekinds Stück: „Wie sich im Frühling schüchtern neues Leben regt, so sprießen zu der Zeit, da das Kind reift, verstohlenen Blüthen gleich, Gedanken und Wünsche, verlangende Sehnsucht und heimliches Begehren auf, durch die das Mädchen zur Jungfrau und der Knabe zum Jüngling wird. [...] Die ersten großen Kämpfe ficht das junge Menschenkind aus; es quillt und stürmt in seiner Brust, wie draußen in der Natur zur Frühlingszeit, und es spielen sich im Kreise der Jugend Dramen ab, die des bunten Wechselspiels alles Lebens: Sollen und Wollen, nur zu viel enthalten. Eine Reihe von Szenen aus diesen Dramen hat Wedekind in seinem ‚Frühlings Erwachen‘ uns geboten, nicht etwa eine fest geschlossene Tragödie, wie man vielleicht aus dem Titelzusatz schließen möchte; er giebt lauter einzelne Stimmungsbilder, die nur durch die gemeinsame Grundidee zusammengehalten werden [...]. Von der Treue und Feinheit, mit der Wedekind die Gedanken der reifenden jungen Menschenkinder wiedergespiegelt hat, von der zarten Poesie, die er aus dem Kindesleben geschöpft und über das Leben seiner Kindertragödiengestalten verbreitet hat, kann man sich nur durch das sorgsamste Lesen dieses Buches selbst ein Bild machen. Verschiedene Reden werden freilich in ihrer Ungeschminktheit manchen nicht ganz recht sein, einzelne sehr ernst gemeinte, aber kraß wirkende Abschnitte werden der Mehrzahl der Leser ‚bedenklich‘ erscheinen [...], aber wer das in vielen Szenen von unmittelbarster, gleichsam traumhafter Poesie durchzogene Büchlein nachfühlend sich zu eigen macht, wird doch die Kunst des Verfassers immer wieder bewundern müssen und die Unerschrockenheit anerkennen, mit der hier einschneidende Fragen des Kinderlebens behandelt sind.“ [W.P.: Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie. Von Frank Wedekind. Zürich, Jean Groß. In: Vossische Zeitung, Nr. 341, 24.7.1892, Morgen-Ausgabe, Sonntagsbeilage Nr. 30, S. (4)] durch eine nebensächliche Vernachlässigung verlustig gehen müßte ...“.

Frank Wedekind schrieb am 18. Juni 1892 in Paris folgenden Brief
an Walter Paetow

Sehr geehrter Herr Doctor,

ich bitte Sie tausendmal um Entschuldigung. Eben fällt es mir ein, daß ich meinen letzten Briefvgl. Wedekind an Walter Paetow, 16.6.1892. nicht richtig frankiert habe. Seien Sie höflichst ersucht, den Eindruck nicht | maßgebend sein zu lassen. Mit ergebenstem Gruß
Fr. Wedekind.


[Kuvert:]


Allemagne


Herrn Dr. Walter Paetow
2. Jerusalemer Kirche 2Unter der Berliner Adresse An der Jerusalemer Kirche 2 (3. Stock) ist der Kaufmann Franz Paetow verzeichnet [Berliner Adreßbuch für das Jahr 1893, Teil I, S. 983], der Vater von Walter Paetow..
Berlin.

Walter Paetow schrieb am 24. Juli 1892 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 25.7.1892 in Paris:]


Erhalte die KritikWalter Paetows Besprechung der Erstausgabe von „Frühlings Erwachen“ in der „Vossischen Zeitung“ unter der Rubrik „Bücherschau“, vermutlich als Zeitungsausschnitt dem nicht überlieferten Begleitbrief beigelegt; in der Kritik heißt es über Wedekinds Stück: „Wie sich im Frühling schüchtern neues Leben regt, so sprießen zu der Zeit, da das Kind reift, verstohlenen Blüthen gleich, Gedanken und Wünsche, verlangende Sehnsucht und heimliches Begehren auf, durch die das Mädchen zur Jungfrau und der Knabe zum Jüngling wird. [...] Die ersten großen Kämpfe ficht das junge Menschenkind aus; es quillt und stürmt in seiner Brust, wie draußen in der Natur zur Frühlingszeit, und es spielen sich im Kreise der Jugend Dramen ab, die des bunten Wechselspiels alles Lebens: Sollen und Wollen, nur zu viel enthalten. Eine Reihe von Szenen aus diesen Dramen hat Wedekind in seinem ‚Frühlings Erwachen‘ uns geboten, nicht etwa eine fest geschlossene Tragödie, wie man vielleicht aus dem Titelzusatz schließen möchte; er giebt lauter einzelne Stimmungsbilder, die nur durch die gemeinsame Grundidee zusammengehalten werden [...]. Von der Treue und Feinheit, mit der Wedekind die Gedanken der reifenden jungen Menschenkinder wiedergespiegelt hat, von der zarten Poesie, die er aus dem Kindesleben geschöpft und über das Leben seiner Kindertragödiengestalten verbreitet hat, kann man sich nur durch das sorgsamste Lesen dieses Buches selbst ein Bild machen. Verschiedene Reden werden freilich in ihrer Ungeschminktheit manchen nicht ganz recht sein, einzelne sehr ernst gemeinte, aber kraß wirkende Abschnitte werden der Mehrzahl der Leser ‚bedenklich‘ erscheinen [...], aber wer das in vielen Szenen von unmittelbarster, gleichsam traumhafter Poesie durchzogene Büchlein nachfühlend sich zu eigen macht, wird doch die Kunst des Verfassers immer wieder bewundern müssen und die Unerschrockenheit anerkennen, mit der hier einschneidende Fragen des Kinderlebens behandelt sind.“ [W.P.: Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie. Von Frank Wedekind. Zürich, Jean Groß. In: Vossische Zeitung, Nr. 341, 24.7.1892, Morgen-Ausgabe, Sonntagsbeilage Nr. 30, S. (4)] aus der Vossischen Zeitung nebst einem Brief von Dr. Paetow.

Frank Wedekind schrieb am 18. September 1892 in Paris folgenden Brief
an Walter Paetow

| mich davon in Kenntniß zu setzen. Ich glaube mich Ihnen im Voraus des einen kundigen Führer durch die verschiedensten Regimen anempfehlen zu dürfen.

Indem ich Sie nun nochmal bitte meinen herzlichen Dank sowie die Versicherung meiner vorzüglichsten Hochschätzung entgegennehmen zu wollen
Ihr ergebenster
Fr. Wedekind.


4. rue Crébillon.


[Hinweis, Referat und Zitat in Bassenge: Auktion 55 (1990), Nr. 3073:]


Wedekind, Frank [...]. Paris 18.IX.1892. [...]

An Dr. Walter Paetow, Schriftleiter der Vossischen Zeitung in Berlin. Umfangreicher Brief über die Aufnahme der Buchausgabe seines Dramas „Frühlings Erwachen“, das Paetow in der Vossischen ZeitungWalter Paetow rezensierte in der „Vossischen Zeitung“ (unter der Rubrik „Bücherschau“) „Frühlings Erwachen“ und schrieb unter anderem über Wedekinds Stück: „Wie sich im Frühling schüchtern neues Leben regt, so sprießen zu der Zeit, da das Kind reift, verstohlenen Blüthen gleich, Gedanken und Wünsche, verlangende Sehnsucht und heimliches Begehren auf, durch die das Mädchen zur Jungfrau und der Knabe zum Jüngling wird. [...] Die ersten großen Kämpfe ficht das junge Menschenkind aus; es quillt und stürmt in seiner Brust, wie draußen in der Natur zur Frühlingszeit, und es spielen sich im Kreise der Jugend Dramen ab, die des bunten Wechselspiels alles Lebens: Sollen und Wollen, nur zu viel enthalten. Eine Reihe von Szenen aus diesen Dramen hat Wedekind in seinem ‚Frühlings Erwachen‘ uns geboten, nicht etwa eine fest geschlossene Tragödie, wie man vielleicht aus dem Titelzusatz schließen möchte; er giebt lauter einzelne Stimmungsbilder, die nur durch die gemeinsame Grundidee zusammengehalten werden [...]. Von der Treue und Feinheit, mit der Wedekind die Gedanken der reifenden jungen Menschenkinder wiedergespiegelt hat, von der zarten Poesie, die er aus dem Kindesleben geschöpft und über das Leben seiner Kindertragödiengestalten verbreitet hat, kann man sich nur durch das sorgsamste Lesen dieses Buches selbst ein Bild machen. Verschiedene Reden werden freilich in ihrer Ungeschminktheit manchen nicht ganz recht sein, einzelne sehr ernst gemeinte, aber kraß wirkende Abschnitte werden der Mehrzahl der Leser ‚bedenklich‘ erscheinen [...], aber wer das in vielen Szenen von unmittelbarster, gleichsam traumhafter Poesie durchzogene Büchlein nachfühlend sich zu eigen macht, wird doch die Kunst des Verfassers immer wieder bewundern müssen und die Unerschrockenheit anerkennen, mit der hier einschneidende Fragen des Kinderlebens behandelt sind.“ [W.P.: Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie. Von Frank Wedekind. Zürich, Jean Groß. In: Vossische Zeitung, Nr. 341, 24.7.1892, Morgen-Ausgabe, Sonntagsbeilage Nr. 30, S. (4)] besprochen hatte. Wedekind bedankt sich für das „wunderschöne Geburtstagsgeschenkzu Wedekinds 28. Geburtstag am 24.7.1892 – an diesem Tag erschien Walter Paetows Besprechung von „Frühlings Erwachen“ in der „Vossischen Zeitung“ (siehe oben).“, das Paetow ihm mit der Rezension gemacht habe. Nach zweimonatigem AufenthaltWedekind war im Sommer 1892 rund einen Monat in der Schweiz. in der Schweiz, wo er mit Karl Henkell und J. Victor WidmannJoseph Victor Widmann, Feuilletonredakteur der Berner Tageszeitung „Der Bund“, war mit Dr. phil. Walter Paetow bekannt, der nach seinem Studium in Berlin in der Schweiz an der Universität Bern promoviert hatte (seine Dissertation ist 1892 erschienen) und „mehrere Jahre Redakteur am ‚Bund‘ in Bern“ [Das literarische Echo, Jg. 16, Heft 13, 1.4.1914, Sp. 944] war. zusammengetroffen sei und am Friedenskongreß teilgenommenWedekind besuchte gemeinsam mit Karl Henckell [vgl. Vinçon 1987, S. 45] und offenbar auch mit Joseph Victor Widmann den 4. Weltfriedenskongress, der vom 22. bis 27.8.1892 in Bern stattfand [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 72, Nr. 230, 17.8.1892, 2. Blatt, Beilage, S. (1)]; anwesend waren „ca. 200 Theilnehmer, wovon etwa 40 Damen.“ [St. Galler-Volksblatt, Nr. 68, 24.8.1892, S. (1)] Zum Abschluss des Berner Friedenskongresses fand am 27.8.1892 abends eine „litterarisch-künstlerische Soiree“ statt, auf der nicht nur Bertha von Suttner las, sondern auch Wedekinds Freund Karl Henckell: „Der ebenfalls am Kongreß anwesende sehr junge und schon so berühmte Dichter Karl Henkell wird ein auf den Kongreß hin verfaßtes Friedenslied vortragen.“ [Weltfriedenskongreß. Samstag-Soirée. In: Intelligenzblatt und Berner Stadtblatt, Jg. 59, Nr. 203, 27.8.1892, Samstag Morgen, S. (3)] Wedekind sei „nach dem Vortragsabend“ so angetan gewesen, dass er Bertha von Suttners „Buch ‚Die Waffen nieder‘ der Schwester Mati schenkte, als er sie mit Donald zusammen in ihrer Genfer Pension besuchte.“ [Kutscher 1, S. 268] habe, sei ihm jetzt erst nach seiner Rückkehr in ParisWedekind war am 12.9.1892 aus der Schweiz zurück in Paris [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.9.1892]. die Besprechung bekannt gewordenWedekind war Walter Paetows Besprechung von „Frühlings Erwachen“ in der „Vossischen Zeitung“ (siehe oben) bereits einen Tag nach Erscheinen bekannt geworden; er notierte am 25.7.1892 in Paris: „Erhalte die Kritik aus der Vossischen Zeitung nebst einem Brief von Dr. Paetow.“ [Tb]. „... Ich glaube IhnenHinweis auf einen nicht überlieferten Brief (am 25.7.1892 empfangen; siehe oben); erschlossenes Korrespondenzstück: Walter Paetow an Wedekind, 24.7.1892. von Herzen gern, ... daß es in Berlin der größten Routiniertheit bedarf, um etwas über eine Arbeit zu veröffentlichen, die sich im Gegensatz zu beiden herrschenden Doctrinen, zur realistischennaturalistischen (Realismus war zeitgenössisch ein Synonym für den Naturalismus). wie zur idealistischen befindet. Ich danke Ihnen für das was Sie verschwiegen ebenso wie für das was Sie in Ihrer ernst-gemessenen Beurtheilung ausgesprochen. Es läßt sich in meinem und des Buches Interesse nicht genug schätzen, daß Sie alles thun, um im großen Ganzen zu charakterisieren, um die Neugierde zu wecken, ohne weder in Anerkennung noch in Verurtheilung etwas von dem laut werden zu lassen, was geeignet wäre ... eventuell einer allerhöchsten staatlichen BevormundungZensur. in’s Auge zu springen ...“.