Briefwechsel

von Frank Wedekind und Alfred Richard Meyer

Frank Wedekind schrieb am 20. Oktober 1910 in Berlin
an Alfred Richard Meyer

[Hinweis,Referat und Zitat in Antiquariat M. Edelmann (Nürnberg): Katalog 69 (1962), Nr. 383:]


Wedekind, F. [...] Bln., 20.10.1910.

Lobt überschwenglich ARM’s AufsatzDer Aufsatz „Lyrisches Neuland“ von Alfred Richard Meyer in Wilmersdorf bei Berlin (Kaiserplatz 16) [vgl. Berliner Adreßbuch 1911, Teil I, S. 1927], der Wedekinds Lyrik unter der Lyrik einer Fülle anderer Autoren behandelt, ist einer Kurzbesprechung zufolge in der nationalkonservativen Berliner Tageszeitung „Deutsche Zeitung“ (Nr. 284, spätestens 20.10.1910) erschienen: „‚Lyrisches Neuland‘ nennt Alfred Richard Meyer (Deutsche Ztg. 284) eine Studie, in der er als bestimmend für die neuere Lyrik Liliencron und Nietzsche darstellt und als die bemerkenswertesten Vertreter einer neuen lyrischen Kunst Rilke, Dauthendey, Scheerbart, Mombert, Morgenstern, Greiner, Scholz, Bonsels, Vesper, Brandenburg, Wedekind, Schur, Paquet, Lissauer, Hans Carossa u.a. zusammenfaßt.“ [Das literarische Echo, Jg. 13, Heft 4, 15.11.1910, Sp. 273f.]Lyrisches Neuland“ „...auch wenn ich nicht so vorteilhaft darin beurtheilt wäre...“.

Frank Wedekind schrieb am 16. September 1911 in München folgende Postkarte
an Alfred Richard Meyer

Königreich Bayern
Postkarte


Herrn Alfred Richard Meyer
Verlag.
Berlin Wilmersdorf.
Kaiserplatz 16Ohne einen Hinweis auf den 1907 gegründeten A. R. Meyer Verlag in Berlin-Wilmersdorf ist lediglich der Schriftsteller Alfred Richard Meyer unter der Adresse Kaiserplatz 16 (2. Hinterhaus, 4. Stock) verzeichnet [vgl. Berliner Adreßbuch 1911, Teil I, S. 1927]. Insofern war die Verlagsadresse die Privatadresse.. |


Sehr geehrter Herr Meyer!

Besten Dank für M. 20. HonorarWedekind hat am 14.9.1911 im Kontobuch unter den Einnahmen notiert: „Von Alfred Meyer 20“ [Mü, L 3512] Mark. Er bedankt sich auf der Postkarte für das Honorar, das er für seine bukolische Dichtung „Felix und Galathea“ [KSA 1/I, S. 598-606; vgl. KSA 1/I, S. 1538-1553] von Alfred Richard Meyer erhalten hat, der es in seinem Verlag als Separatdruck von 15 Seiten (nicht paginiert) in der von ihm herausgegebenen Reihe „Lyrische Flugblätter“ herausbrachte [vgl. Frank Wedekind: Felix und Galathea. Berlin-Wilmersdorf: A. R. Meyer 1911]. Auf dem Titelblatt ist der Hinweis abgedruckt: „Dieses zwanzigste Flugblatt erscheint in einer Auflage von 500 Exemplaren, davon 10 Abzüge auf Kaiserlich Japan, die Oktober 1911 von der Druckerei für Bibliophilen, Berlin O 34, gedruckt wurden.“ 1913 erschien eine zweite Auflage, zugleich eine erweiterte Fassung..

Was die NotenDas Lied „Felix und Galathea“ ist in dem 1911 veröffentlichten Separatdruck (siehe oben) „als Notendruck“ [KSA 1/IV, S. 816] innerhalb der gleichnamigen Dichtung publiziert. betrifft, so halte ich es für das beste, sie setzen zu lassen, da das ein Manuskript doch wieder bis zur UnleserlichkeitIm Erstdruck der Dichtung „Felix und Galathea“ [KSA 1/I, S. 565-574], der über drei Jahre zuvor erschienen ist [vgl. Frank Wedekind: Felix und Galathea. Fragment. In: Die Schaubühne, Jg. 4, Nr. 1, 2.1.1908, S. 1-8], erfolgte der Abdruck des gleichnamigen Gedichts „in Form eines Faksimiledruckes der Handschrift Wedekinds“ [KSA 1/IV, S. 818]. Das betraf nicht nur die Noten, sondern auch den Text [vgl. KSA 1/I, S. 573]. verkleinert würde.

Mit bestem Gruß
Ihr ergebener
FWedekind.


16.9.11.

Alfred Richard Meyer schrieb am 10. Januar 1912 in Berlin-Wilmersdorf folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Tilly Wedekinds Brief an Frank Wedekind vom 11.1.1912 aus München:]


[...] ein großes Couvert, offenbar mit einem Buch von „MeyerWilmersdorf, Kaiserpl. 10 [...]

Frank Wedekind schrieb am 28. Januar 1913 in München folgenden Brief
an Alfred Richard Meyer

Sehr geehrter Herr MeyerAlfred Richard Meyer, Schriftsteller in Berlin-Wilmersdorf (Waghäuseler Straße 8) [vgl. Berliner Adreßbuch 1913, Teil I, S. 2032].!

Inliegend ein kleiner Beitrag für Buch IV und V MaiandrosWedekinds dem vorliegenden Brief beigelegtes Gedicht wurde unter dem Titel „GRAND ECART (Tanzlied)“ am 1.5.1913 in der von Heinrich Lautensack, Alfred Richard Meyer und Anselm Ruest 1912/13 herausgegebenen Zeitschrift „Die Bücherei Maiandros“ (sie erschien im Verlag von Paul Knorr, Berlin-Wilmersdorf) im Doppelheft „Das IV. und V. Buch“ [S. 63-64] veröffentlicht; das war zugleich eine von Alfred Richard Meyer herausgegebene Lyrikanthologie, in der das Gedicht publiziert ist [vgl. Der Mistral. Eine lyrische Anthologie. Hg. von Alfred Richard Meyer. Berlin-Wilmersdorf: Paul Knorr 1913 (Die Bücherei Maiandros, IV-V. Buch), S. 63-64].. Natürlich würde ich mich auch über den Abdruck älterer Gedichte freuen. Wollen Sie Frau Resi LangerResi Langer, die sich gerade als Rezitatorin des literarischen Expressionismus einen Namen machte, war von 1908 bis 1915 mit Alfred Richard Meyer verheiratet, in dessen Verlag sie mitgearbeitet hat. bitte den Ausdruck meines aufrichtigen DankesWedekind dankte Resi Langer für den Vortrag seiner Lyrik im Rahmen ihres Vortragsabends „Rokoko“ (siehe unten). Er dürfte ihr außerdem auch dankbar gewesen sein für ihre Rezitation seines Gedichtes „Felix und Galathea“ auf einem Leseabend am 7.10.1912 in Berlin, der in der Presse angekündigt war: „Der zweite Autorenabend des Verlages A. R. Meyer [...] findet [...] in der Buchhandlung Reuß und Pollack [...] statt. Else Hadwinger, Anselm Ruest, Heinrich Lautensack, Alfred Richard Meyer lesen aus ungedruckten Werken [...], Resi Langer trägt das Schäferspiel ‚Felix und Galathea‘ von Frank Wedekind vor.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 501, 1.10.1912, Abend-Ausgabe, S. (3)] nebst meinem herzlichen Glückwunsche zu dem großen Erfolg des RococoabendsResi Langer hat am 19.11.1912 um 20.15 Uhr im Kleinen Saal des Architektenhauses in Berlin (Wilhelmstraße 92/93) in historischer Kostümierung einen Vortragsabend „ROKOKO“ veranstaltet; im ersten Teil standen einer ganzseitigen Anzeige zufolge „Dichtungen von Günther / Hagedorn / Weiße / Uz / Hölty / Conz / Zachariae / Voss / Gotter / Bellmann / Goethe“ auf dem Programm, im zweiten Teil „Dichtungen von Verlaine / Giraud-Hartleben / Holz / Wedekind / A. R. Meyer u.a.“ [Das Beiblatt der Bücherei Maiandros, 1. Buch, 1.10.1912, S. (15)]. Die Rezitation wurde im expressionistischen Umfeld begeistert besprochen: Der Zeit „eines eigentlich recht irdischen und lustbedachten Geistes, lieh Resi Langer mit ihrem [...] Rokokoprogramm blühendes Leben. […] Ich hörte sie dann doch lieber (dies der zweite Teil) die jüngeren Rokokoverse der Modernen rezitieren“ [Anselm Ruest: Resi Langer, Vortragsabend „Rokoko“. In: Das Beiblatt der Bücherei Maiandros, 2. Buch, 1.12.1912, S. 17]. „Das Podium betrat eine Dame im Kostüm des ancien régime (gelb und violett) [...], ging auf und ab – und sprach. Hingegeben dem Gesprochenen, wenn sie stand, lässig erzählend und fast spöttisch spielend, im Sitzen [...]. Was in den Gedichten des ersten Teils sich selbst darstellt, war denen des zweiten Teils Stoff.“ [Rudolf Leonhard: Ueber einen Vortragsabend. In: Die Aktion, Jg. 2, Nr. 52, 25.12.1912, Sp. 1649] Unter dem Titel „Rokoko. Ein lyrisches Flugblatt anonymer Autoren von Resi Langer“ ist 1913 im Verlag A. R. Meyer in Berlin-Wilmersdorf in der Reihe „Die lyrischen Flugblätter“ ein 8 Blatt umfassendes Heft erschienen, das wohl Texte aus dem „Rokoko“-Programm aufgreift. übermitteln.

Mit schönstem Gruß
Ihr ergebener
Frank Wedekind.


Die Verse passen natürlich zu einer Melodie. Es würde aber wohl zu viel Raum wegnehmen, die NotenNoten zu „Grand Ecart“ sind nicht überliefert. mitzudrucken.


München 28.I.13. |


[Beilage:]


Grand Ecart(frz.) Spagat. Wedekinds Gedicht „Grand Ecart“ [KSA 1/I, S. 689-690; vgl. KSA 1/II, S. 1633-1635] ist 1913 im Erstdruck in „Die Bücherei Maiandros“ (siehe oben) ohne den in der Handschrift formulierten Titelzusatz „(Spagat)“ präsentiert; die Unterstreichung ist durch Sperrung ersetzt, die Kreuzchen in der Handschrift („x“) sind im Druck als Sternchen („*“) umgesetzt; die Sofortkorrekturen sind ausgeführt.. (Spak/g/at.)

(Tanzlied)


Sind die Muskeln straff gespannt,

Schuh und Strümpfe gut imstand,

Dann beginn

Mitten drin,

Von vorn und hinten Königin!

Tanz, wie nie kein Weib getanzt,

Jeden Bocksprung, den Du kannst!

Linkes Bein,

Flinkes Bein ‒

Das rechte muß noch flinker sein.

Wenn die Pauke kracht,

Grand Ecart gemacht!

Mit den Hüften

Hoch in Lüften

Schafft sich kaum

der Purzelbaum.


x x x |


Als von Haus du Abschied nahmst

Und dann zum Theater kamst,

Träumtest du dir je dabei,

Daß Spak/g/at die Richtschnur sei?

Nein, du träumtest sicherlich

Hochdramatsches Fach für dich:

KlärchenHauptfigur in Johann Wolfgang Goethes Trauerspiel „Egmont“ (1788)., SapphoTitelfigur in Franz Grillparzers Trauerspiel „Sappho“ (1819)., RhodopeHauptfigur in Friedrich Hebbels Tragödie „Gyges und sein Ring“ (1856).,

Schlimmsten Falls noch SalomeTitelfigur in Oscar Wildes Tragödie „Salome“ (1893)..

Erndtet nun das tolle Ding

Nacht für Nacht mit high kicking(engl.) hochwerfen (etwa der Beine wie beim Cancan).

Ovationen,

Die sich lohnen,

Ißt sich täglich satt

Und dreht sich kollert hurtig wie ein Wagenrad

Mit/Nach/ dem höchsten Zweck

Durch den tiefsten Dreck,

Lacht immer quietschvergnügt,

Wenn hoch das Röckchen fliegt ‒ |

Hopp, hopp, spring deinen größten Freudensprung!

Der war noch zu klein,

Größer muß er sein,

Bist doch zur Belustigung

Nur einmal jung.


x x x


Wir, die unser Glück versuchen

Ohne Ring und Standesamt,

Pfeifen auf die gottverfluchten

Bonzen„Name der buddhistischen Priester in Japan, China und Hinterindien“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Aufl. Bd. 3. Leipzig 1905, S. 210]., die den Tanz verdammt.

Spreizend unser Goldgefieder,

Singend unsere lauter Luderlieder„Lieder erotischen Inhalts“ [KSA 1/II, S. 1635].

Gleiten wir zur Erde nieder

Zum Ecart entflammt.


Frank Wedekind.