Briefwechsel

von Frank Wedekind und Olga Plümacher

Frank Wedekind schrieb am 13. Oktober 1881 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Wedekind vom 15.10.1881 aus Schaffhausen:]


Ich danke Dir herzlich für Deinen Brief [...]

Olga Plümacher schrieb am 15. Oktober 1881 in Schaffhausen folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Franklin!

Ich danke Dir herzlich für Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 13.10.1881. der mir rechtes Vergnügen macht.

Du meinst man könne Alles beweisen, die Sophisten„zur Zeit des Perikles und Sokrates eine Klasse von Philosophen, welche den Unterricht in der Philosophie nicht als Sache der freien Mittheilung trieben, sondern denselben, meist von Ort zu Ort reiselnd, um Geld ertheilten. Die Sophistik, welche Platon und Aristoteles als die Kunst, mit Hintansetzung ernsten wissenschaftlichen Sinnes den leeren Schein des Wissenes zu erregen bezeichnen, entwickelte sich zunächst aus dem Streben, dem Gedanken und der Sprache durch Beigsamkeit und Gewandtheit für politische Zwecke die möglichste Kraft, nicht sowohl der Ueberzeugnung als der Ueberredung, zu geben“ [Meyers Konversations-Lexikon, 3. Auf., Bd. 14, Leipzig 1878, S. 756]. hätten das schon gewußt. Nun ja, was man so beweisen nennt! Die Beweise sind danSchreibversehen, statt: dann. auch danach. Kennst Du Die 4. Form des SylogismusSchreibversehen, statt: Syllogismus. – (griech.) logischer Schluss; Grundbaustein der Aristotelischen Logik; von den 256 möglichen Syllogismen sind nur 24 gültig, diese werden mit Merkwörtern bezeichnet.? Als ein oft | cittirtesSchreibversehen, statt: citirtes. Beispiel sophystischerSchreibversehen, statt: sophistischer. Beweis-Kunst schreibe ich ihn hier für den Fall daß Du ihn nicht kennst:

Die Gans ist ein zweibeinig Thier.
Der Mensch ist ein zweibeinig Thier.
Ergo: ist der Mensch eine Gans.

Das ist nun grob und handgreiflich, aber in der wissenschaftlichen u. philos. Polemik wird nur zu oft ähnlich „bewiesen“, und der Beweis hält gerade so lang, bis man sich die Mühe nimmt den KneuelSchreibversehen, statt: Knäuel. der falschen Sylogismen zu entwirren.

Freundlichen Gruß!
O. PlümacherOlga Plümacher, geborene Hünerwadel, war eine Jugendfreundin Emilie Wedekinds im Züricher Vorort Riesbach. Zusammen mit ihrem Mann Hermann Eugene Plümacher gründete sie Ende der 1860er Jahre die Schweizer Kolonie Beersheba Springs in Tennessee (USA). 1878 kehrte sie mit ihren Kindern Hermann und Dagmar Plümacher in die Schweiz zurück, wohnte zunächst in Lenzburg, ab Sommer 1878 in Stein am Rhein, zeitweise in Schaffhausen, wo Hermann Plümacher das Gymnasium besuchte, und wieder in Stein am Rhein, wo sie ein Mädchenpensionat führte. 1886 reiste sie mit ihren Kindern zum Ehemann nach Venezuela, wo der Sohn Hermann starb. 1888 kehrte Olga Plümacher mit ihrer Tochter zurück nach Beersheba Springs. Als Autodidaktin hatte Wedekinds ‚philosophische Tante‘ die Philosophie, insbesondere Arthur Schopenhauers und Eduard von Hartmanns studiert, veröffentlichte neben zahlreichen Aufsätzen mehrere philosophische Bücher (Der Kampf um’s Unbewusste. Berlin 1881; Zwei Individualisten der Schopenhauer’schen Schule. Wien 1881; Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtliches und Kritisches. Heidelberg 1884), von denen unter anderem Friedrich Nietzsche und Samuel Beckett beeinflusst wurden..

Olga Plümacher schrieb am 31. Januar 1882 in Schaffhausen folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Franklin!

Mit Vergnügen habe ich wiederholt vernommen, daß Du nunmehr Deine StudienWedekind, der im Frühjahr die Versetzung in die dritte Klasse des Gymnasiums nicht geschafft und ein halbes Jahr Privatunterricht auf Schloss Lenzburg erhalten hatte, war nach Ende der Herbstferien (Anfang November) an die Kantonsschule Aarau zurückgekehrt, wo er das zweite Schulhalbjahr der II. Gymnasialklasse wiederholte. in Aarau mit Freude und Intresse aufgenommen hast. Halte nun fest am Strange, laß’ Dir keine Mühe zu viel sein; die Natur (oder Gott, oder das Unbewußte, oder wie immer wir das „Große X“, welches hinter allem steht und sich dabei immer selbst im Lichte steht, nennen wollen) hat Dir einen guten Kopf mit auf die Lebensreise mitgegeben, und wenn Du nun das Deine mit Fleiß und Ausdauer dazu thust, so zweifle ich nicht, daß Du Etwas wirst woran wir, die wir Dich lieb haben unsere Freude haben können.

Du erinnerst Dich | vielleicht noch unseres Gespräches über das Kriterion des Sittlichen; ich hatte im Laufe meiner SchriftOlga Plümachers philosophische Abhandlung „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtliches und Kritisches“, die im Frühjahr 1884 in Heidelberg bei Georg Weiss erschien. an der ich jetzt arbeite (nota bene(lat.) wohlgemerkt. wenn ich nicht Strümpfe flicken, Kinder „gaumen(schweiz.) Kinder hüten [vgl. Schweizerisches Idiotikon Bd. II, 1887, Sp. 300]. – Olga Plümacher dürfte in Schaffhausen ein Mädchenpensionat unterhalten haben, so wie 1885 in Stein am Rhein [vgl. Züricherische Freitagszeitung, Jg. 1885, Nr. 43, 23.10.1885, S. 4].“ und kochen muß) Veranlaßung dieses Thema zu behandeln. Ich dachte oft dabei an Dich und freue mich Dir einmal die Schrift (so ihr ein gütig’ Geschick die Gnade des Gedrucktwerdens zu t/T/heil werden läßt!) vorlegen zu können. Ich glaube, daß es mir gelingt Dich zu meiner Ansicht zu bekehren.
Im Auftrag Hermann‘s sende Dir die Indiandergeigeeine Streichzither. Hermann Plümacher kündigte die Sendung des Instruments in seinem Brief an [vgl. Hermann Plümacher an Wedekind, 31.1.1884]. und wünsche Dir Glück zu Deinen musikalischen Studien, Deinen Mitmenschen aber gute Geduld. Auch bitte ich Dich im Intresse euerer niedlichen Katze nicht gar | zu fleißig zu üben – es könnten sonst die Mäuse auswandern, was für Pußi doch recht traurig wäre.

Neues, was Dich intressiren könnte, weiß ich nichts, und ist der Zweck dieser Zeilen lediglich der, Dir meine Theilnahme an DeimSchreibversehen, statt: Deinem. Wohlergehen auszudrücken. Und so will ich denSchreibversehen, statt: den Brief (oder: denn). jetzt schließen, denn nun muß ich meinem „BübliHermann Plümacher.“ einen Wickel um den Hals machen und ihn zur nächtlichen Ruhe weisen. Grüße Deine liebe MamaOlga Plümacher und Frank Wedekinds Mutter Emilie waren Jugendfreundinnen und kannten sich aus dem Züricher Vorort Riesbach. herzlich von mir und ebenso alle Geschwister; Du selber aber sei herzlich gegrüßt
von Deiner Dir wohlgewogenen Tante
Olga.

Frank Wedekind schrieb am 8. September 1883 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Postkarte an Emilie Wedekind vom 9.9.1883 aus Stein am Rhein (Mü, Konvolut Burkhardt):]


Auch Franklin meinen besten Dank für seinen Brief, der mir viel Freude gemacht hat. Ich sende ihm [d.] Woche den Marc. AureliusGemeint sein dürfte die zweibändige Ausgabe „Des Kaisers Marcus Aurelius Selbstbetrachtungen“, die im November 1879 als Bandnummern 1241, 1242 in Reclams Universal-Bibliothek (Reclam Leipzig) erschienen war..

Frank Wedekind schrieb am 30. September 1883 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 21.10.1883 aus Stein am Rhein:]


[...] um Dir nachträglich für Deinen hübschen, intressanten Brief zu danken.

Olga Plümacher schrieb am 21. Oktober 1883 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh den 21 October 1883.


Mein lieber Franklin!

Nur eben um Dir nachträglich für Deinen hübschen, intressanten Briefvgl. Wedekind an Olga Plümacher, 30.9.1883. zu danken und Dir zugleich zu zeigen, daß ich mit Intresse Deiner gedenke, komme ich Dir heute zu schreiben, denn in der That ich weiß rein nichts in diesem Moment, was Dich besonders intressiren könnte.

Ich will nächsten Monat für cirka 14 Tage nach Zürich gehen, hauptsächlich zum Zwecke wieder etwas Denk-Anregung zu gewinnen und neuen Stoff zu Gehirn-Gymnastik.

Ich will dann auch in den VorlesungenOlga Plümacher dürfte sich insbesondere für die Vorlesung „Psychologie als Grundlage der Ethik und Pädagogik“ (Di, Do, Fr 9-10 Uhr) des Theologie-Professors Alois Emanuel Biedermann sowie die Vorlesungen „Einleitung in die Entwicklungstheorie der Philosophie, II. Theil: Entwicklung der philosophischen Probleme“ (Mo, Mi, Do 6-7 Uhr) und „Psychologie“ (Mo, Di, Mi, Do 5-6 Uhr) des Philosophie-Professors Richard Avenarius interessiert haben. Der Philosophie-Professor Andreas Ludwig Kym hielt im beginnenden Wintersemester 1883/84 eine Vorlesung über „Logik in Verbindung mit Metaphysik“ (Mo, Di, Mi, 10-11 Uhr) und eine über „Geschichte der antiken Philosophie“ (Do, Fr, 10-11 Uhr; Sa 10-12 Uhr) [Verzeichniss der Vorlesungen an der Hochschule Zürich im Wintersemester 1883/84. Anfang am 16. October 1883, Schluss am 15. März 1884, Zürich: Zürcher und Furrer, 1883]. von Biedermann, Avenarius und Kym herumhorchen; | Das Hospitiren ist ja heutzutage auch den Weiblein erlaubSchreibversehen, statt: erlaubt. – Seit 1864 war es an der Universität Zürich (UZH) Frauen erlaubt, Vorlesungen zu hören. Andere Schweizer Universitäten folgten. In Deutschland erlaubte die Universität Heidelberg (Großherzogtum Baden) 1891 die ersten regulären Immatrikulationen von Frauen in der Mathematik, 1895 auch in der Philosophischen Fakultät. In Preußen wurden ab 1896 offiziell Gasthörerinnen zugelassen; außerdem kenne ich die zwei erstgenantenSchreibversehen, statt: erstgenannten. Herrn persönlich. Ich wollte erst schon im September nach Zürich, um noch etwas von der AusstellungAm 2.10.1883 endete die außerordentlich erfolgreiche schweizerische Landesausstellung mit Industrieausstellung und Kunsthalle in Zürich, die am 1.5.1883 eröffnet worden war, und in 153 Besuchstagen insgesamt 1.788.675 Besucher verzeichnete [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 63, Nr. 297, Erstes Blatt, 24.10.1883, S. (2)] – Olga Plümacher hatte nach ihrem Besuch auf Schloss Lenzburg im Sommer die Ausstellung besucht und insbesondere von der Kunstausstellung einen ausführlichen Bericht an ihre Freundin gegeben [vgl. Olga Plümachers Brief an Emilie Wedekind, 26.7.1883 (Mü, Konvolut Burkhardt)]. zu profitiren, aber es gab allerlei Abhaltungen.

Vom 9. bis 24 Sep. war Hermann bei mir; es schickte sich seinem PrincipalFranz Xaver Steinhauser, Kaufmann in Heilbronn, bei dem Hermann Plümacher seit 1.5.1883 als Handlungsgehilfe tätig war. nicht, daß er auf Weihnachten Urlaub nahm, da diese Zeit dem andern Lehrlingnicht ermittelt. zugesichert ist. So sind denSchreibversehen, statt: denn. leider unsere Pläne, daß auch ihr beiden Freunde euch sehen sollt, zu nichte geworden für den laufenden Jahrgang.

Nun, wenn’s ein gnädig Geschick will, so kommt Hermann im Aprill Schreibversehen, statt: April.wieder. Du wirst ohne Zweifel jetzt einen Brief | von ihmvgl. Hermann Plümacher an Wedekind, 2.10.1883. haben, ich habe ihm wenigstens tüchtig zugeredet, daß es mit bloßer freundschaftlicher Gesinnung noch nicht gethan sei, sondern daß man seinen Freunden auch schwarz auf weiß Beweise liefern müße, daß man ihrer in Lieb’ und Treu’ gedenke. Der Junge ist schrecklich schreibefaulSchreibversehen, statt: schreibfaul.; auch ich bekomme lange nicht so oft Nachricht von ihm, als ich es wünsche. Als er hier war wollte ich ihn nach Zürich senden um die Ausstellung zu besehen, aber er scheute die Strabaze Schreibversehen, statt: Strapaze.und das Gedränge. Auch fühlte er sich hier gar so wohl in einem heitern geschäftigen Müßiggange, dem man aber letztern Namen bei Leibe nicht geben durfte, handelte es sich doch um Präparationen für das Fest | des Boden-See-VereinsAm 23.9.1883 und 24.9.1883 wurde in Stein am Rhein die 14. Jahresversammlung des „Vereins für Geschichte des Bodensee’s und seiner Umgebung“ abgehalten [vgl. Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, Bd. 13, Lindau 1884, S. 2]., welches hier statt fand, und welches der Junge dann auch seelenvergnügt mitfeierte im Kreise alter Herrn, die ihn, als eifriger/n/ Käfer-Sammler, freundlich protegiren. Die Vorträge die ich auch anhörte, waren sehr inhaltsleer; das beßteSchreibversehen, statt: beste. war eine Geschichte der Stadt Stein von unserem PfarrerJohann Jakob Böschenstein, seit 1853 Pfarrer in Stein am Rhein, hielt am 23.9.1883 einen Vortrag mit dem Titel „Uebersicht der Geschichte von Stein und Hohenklingen“, der als zweiter von 4 Vorträgen in der Vereinszeitschrift abgedruckt wurde [vgl. Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, Bd. 13, Lindau 1884, S. 14-21]., die ich aber leider nur noch zur HälfeSchreibversehen, statt: Hälfte. zu hören bekam.

Da las ich heute gerade das Recept zu einem Buche: man schreibe einen guten Aufsatz und fahre dann mit der Bodenwalze darüber bis er gehörig ausgedehnt ist um ein Buch zu geben. Das ist köstlich; es paßt aber auch dem Sinne nach ganz besonders für die vielen „Vorträge“ die aller Orts bei | den Vereins-Tagen und Festen abgehalten werden müßen, und wo auch über eine Thatsache oder eine „Idee“, die man in sechs Sätzen mittheilen könnte, eine Stunden lang geredet wird.

In „Nord u. Süd“ fand ich unlängst Proben aus Vischer’s „Lyrischen GängenIm 24. Band der von Paul Lindau in Breslau herausgegebenen Zeitschrift „Nord und Süd“ (Januar-Februar-März 1883) waren unter dem Titel „Neue lyrische Gänge“ (S. 81-88) einige Gedichte Friedrich Theodor Vischers abgedruckt worden, ein Jahr zuvor hatte er die Gedichtsammlung „Lyrische Gänge“ (Stuttgart 1882, 324 Seiten) publiziert.“; ganz prachtvoll; ich habe schon Deine Mutter darauf aufmerksam gemacht. Ich selbst werde mir die Sammlung, wenn ich in Zürich bin zulegen. Besonders intressant war mir auch der Pessimismus der sich dem HegelianerAnhänger der Hegel’schen Philosophie. denSchreibversehen, statt: denn. doch auch aufdrängte.

Gegenwärtig lese ich ein schauderhaftes Buch. Der zweite Band von J. Bahnsen’s „Der Widerspruch im Wissen und Wesen | der Welt.“ Es ist erst nach dem unlängst erfolgten TodeJulius Bahnsen verstarb am 7.12.1881; dem Verlag (Th. Grieben’s Verlag) hatte er das Werk im Sommer 1881 überreicht, im April 1882 erschien es in Leipzig. des Verfaßers erschinenSchreibversehen, statt: erschienen. und mit einer in Gift getauchten Feder geschrieben. Erzürnt mit aller Welt war B. schon von jeher, nun aber erstickt der objective Inhalt förmlich unter der giftigsten Polemik. Mein Name steht auch drin, doch kann ich natürlich auf nicht mehr Anspruch machen, als auf einen gelegentlichen SeitenhibSchreibversehen, statt: Seitenhieb; – schon die Vorrede seines Buchs ist Polemik Julius Bahnsen gegen die Kritiker seiner Realdidaktik. Bezogen auf Hartmann, Plümacher und Hellenbach schreibt er: „So sehe ich mich denn zu meinem grossen Bedauern genöthigt, noch an dieser Stelle mich mit dem auseinanderzusetzen was ein E. v. Hartmann als eine ‚Idealisierung‘ meiner Lehre ausposaunen lässt. [...] ‚Idealisierung‘ nennt es ein Lazarus B. Hellenbach und ihm nach die sonst gegen diesen selbigen Herrn ein halbes Buch schreibende Olga Plumacher“ [Julius Bahnsen: Der Widerspruch im Wissen und Wesen der Welt. Zweiter Band. Leipzig 1882, S. XXII f. und XXV]. in Gemeinschaft mit Hartmann und Hellenbach. Doch das Buch muß gelesen werden, so unerquiklichSchreibversehen, statt: unerquicklich. die Lectüre ist und so wenig fruchtbare Ausbeute zu erwarten steht. Meine pess. SchriftOlga Plümachers Buch „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtliches und Kritisches“, das im Frühjahr 1884 in Hildesheim bei Georg Weiß erschien. ist so weit fertig, aber weil ich fast zwei Jahre darüber geschrieben habe, so sind | in der Zwischenzeit viele Bücher entstanden, die nun nachträglich berücksichtigt sein wollen; so lese ich denSchreibversehen, statt: denn. jetzt allerlei EinschlächtigesSchreibversehen, statt: Einschlägiges. und mache kritische Einschaltungen – keine lustige Arbeit. Ein Dichter oder ein Roman-Schriftsteller der hats gut; wenn er einmal überhaupt eine hinlängliche Allgemein-Bildung errungen hat, so braucht er nur in seine Seele hinein und in das Leben hinaus zu schauen und kann danSchreibversehen, statt: dann. frisch drauflos schreiben. Aber so armes Kritiker-Volk, das nicht sowohl etwas, als „über etwas“ schreibt, das muß sich schier dumm lesen bis um sich je „auf die Höhe“ zu stellen und all! der großen und kleinen Herrn Ideen und Theoreme am Schnürchen zu haben. Da | erhalte ich gerade auch ein Buch zur Einsichtdas am 4.8.1883 unter den Neuerscheinungen angezeigte Buch „Lessing’s Weltanschauung dargestellt von Dr. Gideon Spicker, ordentl. Professor der Philosophie an der Königl. Akademie zu Münster“, erschienen bei Georg Wigand in Leipzig [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und die mit ihm verwandten Geschäftszweige, Jg. (1883), Nr. 179, 4.8.1883, S. 3326].: „Die Weltanschauung Lessings“ von Dr. Gideon Spiker, 24 Bogen groß Octav – wenn da nicht auch die Bodenwalze zur Anwendung hat kommen müßen, so will ich Hans heißen! Gott lob, brauch ich dies Buchnicht zu lesen.

Wie geht es Dir mein lieber Franklin? Nun ist wieder ein QuartalAm 6.10.1883 endete an der Kantonsschule Aarau das zweite Quartal des Schuljahres 1883/84; nach den Herbstferien (am Montag, den 29.10.1883) begann für Wedekind das letzte Halbjahr seiner Schullaufbahn, das er mit der Matura abzuschließen hoffte. Schule hinter Dir, immer näher rückt die Zeit der Freiheit! Ich hoffe es ist gut gegangen und geht noch immer beßer und Du stürzest dich mit asketischem Eifer auf die concreten Langweiligkeiten der Realien, gestärkt durch das Bewußtsein des baldigen Endes der Schulzeit und eingedenktSchreibversehen, statt: eingedenk. des Wortes „all well what ends well!Schreibversehen, statt: „all’s well that ends well!“ (deutsch: Ende gut, alles gut!); Sprichwort nach dem gleichnamigen Schauspiel William Shakespeares (1623).[“] |

Ich habe unlängst Deiner lieben Mutter geschriebenDer Brief an Emilie Wedekind ist nicht ermittelt., aber noch keine Antwort erhalten. Ohne Zweifel ist sie sehr in Anspruch genommen durch das Einheimsen der FrüchteInsbesondere Wein wurde am Schlossberg angebaut und geerntet.; obgleich ihr Lenzburger ja leider keinen reichen Herbst habt. Hier steht es über alles Erwarten gut mit der Weinlese, so wohl bezüglich der Qualität als der Quantität. Auch Obst die Hülle und Fülle und dazu „Rüben und Räbendialektal, statt: Reben.“ und Futter aller Art für Mensch und Vieh, so reichlich wie schon lange nicht mehr. – Ich habe Deiner Mutter schon davon geschrieben: es würde mich so freuen, wenSchreibversehen, statt: wenn. sie einmal nach Zürich kommen könnte, während ich dort bin. Vielleicht könntest auch Du und FriedaFrank Wedekinds Schwester Erika wurde in ihrer Jugend Frieda genannt. mitkommen, wenn’s an einem Sonntag wäre. Es würde mich gar so | köstlich dünken einmal wieder mit Deiner lieben Mutter die Wege unserer JugendzeitOlga Plümacher und Emilie Wedekind sind gemeinsam im Züricher Vorort Riesbach aufgewachsen. zu bewandeln. Ermuthige Du sie dazu – einem Sohne hört ja so ein Mutterherz so willig zu, das habe ich kürzlich wieder süß empfunden – fast gilt da das Wort das R. Wagner den Odin von der Brunhild sagen läßt: „sie, meiner Willkür frei waltende Kürnicht ermittelt; möglicherweise ist Wotans (Odins) Brünnhilde betreffender Ausspruch „Die Walküre walte frei.“ gemeint, auf den dessen Gattin Fricka antwortet: „Nicht doch; deinen Willen vollbringt sie allein“ [Richard Wagner: Die Walküre. Vollständiges Opernbuch. Hrsg. und eingeleitet von Georg Richard Kruse. Reclam Leipzig (Opernbücher Bd. 77), S, 48 (2. Aufzug, Ende des 1. Auftritts)]. –“. Und nun zum Schluß noch zwei Scherze, die mich unlängst herzlich lachen machten und sonder Zweifel auch Deinen Beifall haben; sie fanden sich beide in den „Fliegende Blätter“. Der erste heißt „StammbuchreimUnter dem Titel „Stammbuchblatt“ befindet sich das Gedicht in der Satirezeitschrift. Der Text lautet: „Bist bei’m Examen du gefallen, / Verhehl’s nicht; / Hast einem Mädchen du gefallen, / Erzähl’s nicht; / Drängt’s dich zu lyrischen Ergüssen, / Muckse nicht; Hast dennoch Verse du gerissen, / Druck’ se nicht.“ [Fliegende Blätter Jg. 78, Nr. 1978, 1883, S. 207]“.


„Bist durchs Examen Du gefallen
verhehl es nicht;
Hast einem Mädchen Du gefallen,
so sag es nicht; |
Und fühlst Du lyrisch Dich befangen,
so dichte nicht;
Doch hast Du Verse schon begangen –
so druck ’se nicht![“]


Die Sache war mir um so lustiger, als – wie Du Dich erinnern wirst – Deiner Mama eine Gasehle (oder schreibt man „GhaseleGhasel oder Ghasele; eine lyrische Gedichtform ursprünglich erotischen Inhalts aus dem altarabischen Raum; in die deutschsprachige Literatur durch die Rezeption der persischen Ghaselendichter des 13. und 14. Jahrhunderts – zum Beispiel Hafis in Goethes Westöstlichem Diwan – eingegangen.“, oder Gaselhe?) die auf die Endungen „sage nicht“ ging so gut gefiehlSchreibversehen, statt: gefiel., daß sie sie als NamenbuchVerse für ein Stamm- oder Poesiebuch; es dürfte sich um Minna von Greyerz’ ‚Allerlei-Album‘ handeln, das im Juni und Juli 1884 wiederholt in ihrer Korrespondenz mit Wedekind erwähnt wird [vgl. Minna von Greyerz an Wedekind, 8.5.1884; 2.6.1884; 9.7.1884].-Gabe für Frl. von Greierz verwenden wollte.

Der zweite ScherzDie hier variierte Geschichte ist unter dem Titel „Backfisch-Weisheit“ abgedruckt [vgl. Fliegende Blätter Jg. 79, Nr. 1985, S. 45]. ist eine gelungene Illustration der oft bei Besucherinnen „höherer Töchterschulen“ herrschenden Begriffsverwirrung. Ein Professor steht mit seinen zwei Töchterchen vor dem Schaufenster eines Buchhändlers. Die Jüngere, etwa 10 Jahre alt liest den Titel eines neuen Buches „Sokrates“. „Wer war Sokrates?“ Papa antwortet „Deine Schwester | soll es Dir sagen“. „Ich weiß es auch nicht, Papa“! „Mädchen schäme Dich! besuchst eine höhere Töchterschule, und weißt nicht wer Sokrates war! Sokrates war der Gatte der Xantippe und ist der Vater der griechischen Philosophie. Nun, wiederhole es für Deine Schwester!“

Xantippe war die Fr. „Sokrates war der Gatte der XantippeSchreibversehen, statt: der Xanthippe., welche die Mutter der griechischen Philosophie ist.“ Papa Professor fühlt niedergeschlagen. –

Dagmar war auch unlängt/st/ bei mir auf BesuchOlga Plümachers Tochter Dagmar hielt sich im Schuljahr 1883/84 bei Pfarrer Kaspar Marthaler in Rümlang bei Zürich auf, wo sie am 6.4.1884 konfirmiert wurde [vgl. Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 8.3.1884 (Mü, Konvolut Burkhardt)].; sie ist schier so groß wie ich und gesund und vergnügt und macht sich recht brav. Sie trug mir auf alle lieben Leute auf Schloß Lenzburg herzlich von ihr zu grüßen so bald ich schreibe, was ich nun hiemit thue.

Und nun lebe wohl, mein lieber junger Freund! Wenn | mein Buch gedruckt wird, so lasse ich ein Exemplar recht schön für Dich einbinden, als Andenken an die philosophirende „Tante.“ Halte mir nur den Daumen, daß es glückt.

Bleibe gesund und frohen Muths und sei herzlich gegrüßt von
Deiner wohlgewogenen
O. Plümacher.

Olga Plümacher schrieb am 23. Dezember 1883 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh. 23/XII 83.


Mein lieber Franklin!

Ich komme heute mit einer Bitte zu Dir und möchte von Deiner Gefälligkeit zu Gunsten meines Mannes Gebrauch machen. Die Sache ist diese: mein MannEugen Hermann Plümacher war seit 1877 Schweizer Botschafter in Maracaibo (Venezuela)., der sich schon in verschiedenen Angelegenheiten der Communalität Maracaibo nüzlich und gefällig erwies, ist von der dortigen Behörde ersucht worden ein Cadeten-Corps(frz.) Cadet, Cadets; (dt.) Jüngling (Schreibweise: Kadett): Mitglied eines Kadettenkorps (einer Offiziersschule für Jugendliche). Die von der Schweizer Armee organisierte Militärausbildung für die männliche Jugend war an den Bezirks- und Kantonsschulen angesiedelt. Von der Ausbildungspflicht befreit wurden nur Jungen mit körperlichen oder gesundheitlichen Beeinträchtigungen. An der Kantonsschule Aarau fand der Militärunterricht im Sommerhalbjahr für alle Klassen jeden Mittwochabend zweistündig und an einem Samstagnachmittag im Monat statt. Auf dem Lehrplan stand „Soldaten-, Compagnie- und Tirailleurschule, Geschützbedienungs- und Zugschule. Richt- und Schießübungen mit Geschütz und Gewehr. Marschsicherungs- und Vorpostendienst. Uebungen im Kartenlesen im Terrain, im Distanzenschätzen, Recognisciren, Anfertigung von Croquis und Terrainbeschreibungen, Orientierungsübungen. Lösung leichter taktischer Aufgaben für Infanterie und Artillerie. Kleinere Gefechtsübungen.“ Im Winterhalbjahr hatten nur die Schüler der II. und III. Klassen je eine Wochenstunde Militärunterricht. Gelehrt wurde „Heeresorganisation, speciell Grundzüge der schweizerischen Militärorganisation. Kartenlehre: Signaturen und die verschiedenen Darstellungsweisen der Terrainunebenheiten, Erklärung und Vorweisung der officiellen schweiz. Militärkarten. Militärische Terrainlehre.“ [Programm der Aargauischen Kantonsschule. Schuljahr 1879/80, S. 25], nach Art der schweizerischen Cadeten, | einzurichten. Zu dem Ende hin möchte er nun gerne die Reglemente und Statuten der verschieden. noch bestehenden Cadeten-Organisationen, vorab also auch die von Lenzburg und Aarau. Meine Bitte an Dich geht nun dahin, mir, sei es durch einen Buchhändler, oder sei es durch die Gefälligkeit eines der „Häuptlinge“ des/r/, das CadentenwesenSchreibversehen, statt: Cadettenwesen. besorgenden Schulbehörde die nöthigen Drucksachen zu besorgen, wobei ich | natürlich für alle Kosten aufkomme, ohne mich dadurch weniger in Deiner Schuld zu wissen, wenn Du mir die Sache vermitteln kannst.

Du bist ja auch so ein geplagter Waffenträger gewesen und kennst daher gewiß die Haupthähne auf diesem Gebiet, und wenn Du Ih ihnen den süßen Brei um den Bart streichst: es sei die Vorzüglichkeit des/r/ Lenzburger – resp. Aarauer Cadetenwesens sogar in Venezuela wohl bekannt, so werden sie Dir gewiß zum Nöthigen verhelfen. | Lieber Franklin! heute AbendMontag, den 24.12.1883 (Heilig Abend); Olga Plümacher berechnete die Ankunft des Briefs nach der üblichen Postlaufzeit von 1½ Tagen von Stein am Rhein nach Lenzburg., wenn Ihr Alledie Eltern, Friedrich Wilhelm und Emilie Wedekind, sowie die 6 Geschwister, der Student Armin, Frank, William, der in Lausanne eine Kaufmannslehre machte, Erika, Donald und Emilie. unter dem Christbaum in Liebe versammelt sindSchreibversehen, statt: seid., dann gedenkt auch freundlich meiner, die ich auch Euer Aller in herzlicher Liebe gedenke! Ich bin nun an dem mir sonst so lieben Abend ganz einsam, zum ersten Mal ohne meine lieben KinderOlga Plümachers Sohn Hermann, mit dem Wedekind korrespondierte, machte eine Kaufmannslehre in Heilbronn; für die Weihnachtszeit 1883 hatte er nicht frei bekommen. Tochter Dagmar hielt sich in der Pfarrersfamilie Marthaler in Rümlang bei Zürich auf. – ich wollte die Tage wären schon vorüber. Und doch habe ich eigentlich keinen Grund zur Klage, ist doch so weit alles in Ordnung und wie es sein soll. Von Hermann habe ich diese Woche einen Brief und eine KarteKorrespondenzen zwischen Olga Plümacher und ihrer Familie sind nicht ermittelt. gehabt, und ist er Gott sei Dank! wohl und wohlgemuth. Auch Dagmar ist hellauf und von meinem | Manne habe ich sehr erfreuliche Nachrichten. Er ist gesundEugen Hermann Plümacher hatte sich gleich zu Beginn seines Aufenthalts in Maracaibo mit dem Gelbfieber angesteckt und war gefährlich erkrankt. und hat im November von der Stadt MaracaibeSchreibversehen, statt: Maracaibo. die goldene Verdienst-MedallieSchreibversehen, statt: Verdienst-Medaille. erhalten, und ist bei der Gelegenheit mit Festeßen, Fackelzug, Musik u.s.w. beehrt worden. Das muß man den Leuten von VenezuelaDer Diktator General Antonio Guzmán Blanco regierte von 1870 bis 1889 in Venezuelas. Unter seiner Regierung wurden Handelsbeziehungen geknüpft und die Infrastruktur des Landes nach französischem Vorbild modernisiert. Er „knüpfte engere Beziehungen mit den europäischen Mächten an, führte Schulen, selbst in den indianischen Dörfern, ein, gründete wissenschaftliche Institute und eröffnete die erste Eisenbahn des Landes. Er trat 20. Febr. 1877 zurück, nachdem er noch durch ein neues Gesetzbuch das Recht des Landes wiederhergestellt hatte. Unter seinem Nachfolger aber brachen sofort wieder Unruhen aus, die 1879 mit der Rückberufung Guzman Blancos endeten.“ [Meyers Großes Konversationslexikon, 6. Aufl. Bd. 8, Leipzig 1904, S.557], die jetzt am Staats-Ruder sind zugestehen: sie haben einen großen Eifer sich zu ciwil civilisiren, und wenn jemand ihnen die Wege dazu zeigt und ihnen mit gutem Rath an die Hand geht, so sind sie | dankbar und erkenntlich dafür. Geld und Gut haben sie nicht zu geben, denSchreibversehen, statt: denn. der Staat ist in Folge der ewigen BürgerkriegeAntonio Guzmán Blanco hatte das Land aus den Bürgerkriegen der 1860er und 1870er Jahren herausgeführt. arm, (ungeachtet seiner großen natürlichen Reichthumsquellen), aber mit Ehrenbezeugungen sparen sie nicht und die „Spitzen“ schwelgen in gegenseitiger Beweihräucherung, und wenn man sich nicht gerade auf den Straßen schießt, so ist immer irgend ein Fest zu irgend jemandes Ehren im Gang.

Lieber Franklin! grüße mir die liebe Mamma |

so wie Deine Geschwister recht herzlich, und wenn der FesttroubelSchreibversehen, statt: Festtrubel. verrauscht ist, so möchte mir doch die liebe Mama auch wieder schreiben. Den KaffeeGemeint sein dürfte der besonders hochwertigen Kaffee aus den Bergregionen Venezuelas. Maracaibo war Zentrum des deutschen Kaffeehandels und größter Exporthafen Venezuelas, Hamburg einer der größten europäischen Importhäfen für Kaffee. Offenbar waren Konsul Eugen Hermann Plümacher und seine Frau Olga im Kaffeehandel aktiv. wird sie erhalten haben?

Von Hamburg erhielt ich gestern die Anzeige, daß 20 Sack für mich eingetroffen und der Bahn übergeben worden sind.

Ich recomandire mich also einem geehrten Publikum zu gefälliger Abnahme. – Einen Verleger für mein BuchOlga Plümacher hatte das Manuskript ihrer philosophischen Schrift „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart“ dem Verleger Georg Weiß in Heidelberg angeboten [vgl. Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 29.11.1883 (Mü, Konvolut Burkhardt)]. habe ich noch nicht – da heißt es eben Gedult/d/ haben. Doch nun lebe | wohl und behüte der große Geist Dich gesund. Bewahre meinem Sohn und mir auch im neuen Jahr Deine Liebe; so werden wir es halten mit Dir.

In Treue Deine

alte Freundin O. Plümacher.

Frank Wedekind schrieb am 3. Januar 1884 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis und Referat in Olga Plümachers Brief an Wedekind vom 5.1.1884 aus Stein am Rhein:]


[...] Deinen großen, interessanten Brief [...] die Gedichte [...]

Olga Plümacher schrieb am 5. Januar 1884 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh., 5 Januar 1884.


Mein lieber Franklin!

Ich danke Dir aufs allerbeßteSchreibversehen, statt: Allerbeste. für Deinen großen, interessanten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 3.1.1884., und insbesondere auch für die Mühe, die Du Dir in der Cadetten-Angelegenheit gegeben hast. Deine Mittheilungen hierüber sind bereits an meinen Mann abgegangenEugen Hermann Plümacher, der Oberst in der Unionsarmee und seit 1877 Schweizer Konsul in Maracaibo in Venezuela war, dürfte die Venezuelanische Regierung in der Armeeorganisation beraten haben [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 23.12.1883; Olga Plümacher an Wedekind, 20.1.1884]., da sie in sofern vollkommen brauchbar und genügend sind, als aus ihnen hervorgeht, daß sich die Organisation des Lenzburger und Aarauer Cadetten-Corps in keiner Weise von derjenigen unterscheidet, welche in Schaffhausen bestund; die auf das Schaffhausener Cadetten-Wesen bezüglichen Drucksachen sind aber bereits auch an meinen Mann abgegangen. Wenn Du nun gelegentlich in Aarau bei Sauerländer vorsprechen willst, und | dort den Auftrag geben, sie sollen, falls ihnen Reglemente der Aarauer C.Eine 7 Seiten umfassende Broschüre „Reglement für das Cadetten-Corps von Aarau“, herausgegeben vom Regierungsrat des Kantons Aargau (Aarau 30.3.1872) ist in der PHZH (Forschungsbibliothek Pestalozzianum Zürich, Sign. AG HL II 1) erhalten. – Im Übrigen informierten die Schulprogramme der Kantons- und Bezirksschulen über die je aktuellen aus Turn- und Militärunterricht bestehenden Inhalte der dort stattfindenden Kadettenausbildung. vorlägen, zwei Ex. an mich, gegen Nachnahme des Betrags senden, so ist mir das sehr recht – ist auch bei Sauerländer nichts gedrucktes vorhanden, nun dann hat es weiter auch nichts auf sich. – Also meinen beßten Dank für Deine Mühe! u/U/nd nun zu etwas kurzweiligerem.

Dein Urtheil über die Dramen Grabbes unterschreibe ich vollständig; Du wirst Dich übrigens vielleicht erinnern, daß ich Dir den „Faust u. Don JuanMit dem falschen Titel („Faust u. Don Juan“) zitiert Olga Plümacher das Drama Christian Friedrich Grabbes („Don Juan und Faust“, Frankfurt am Main 1829) – es war das einzige Werk, das zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurde – auch im vierten Kapitel „Der Weltschmerz und die Poesie des Pessimismus“ ihres fast vollendeten Buches „Der Pessimismus in Geschichte und Gegenwart“ (Heidelberg 1884).“ nicht deswegen zum Lesen gab, weil ich ihn für etwas schönes, für eine ästhetisch werthvolle Composition erachtete, sondern wesentlich nur als ein literarisches Curiosum.

Und daß Grabbes ungeheuerliche Trauerspiele literarische Curiosa sind, | wirst Du willig zugeben, ebenso daß sie sich prächtig dazu eigenSchreibversehen, statt: eignen., als Illustrationen einer Schilderung des Weltschmerzes, resp. des Weltschmerzlers zu dienen. Zu diesem Zwecke zog ich ja auch den „Faust u. Don Juan“ wieder aus der RummelkammerSynonym zu Rumpelkammer. meines Gedächtnisses hervor, worin es etwa 30 Jahre geruht hatte. – Daß Du Poesie und Jugend, und Jugendpoesie genießest und dabei heiter und glücklich bist, freut mich recht herzlich und wünsche ich Dir eine recht lange Reihe von Tagen und Jahre der Jugendlust. Was nun das junge Liebesblümchen„liebe erweckendes blümchen“ [DWB, Bd. 12, Sp. 943]; gemeint sein dürfte die verheiratete Blanche Zweifel, in die Wedekind sich auf einer Tanzveranstaltung im November 1883 verliebt hatte. betrifft, so schweigt sich darüber beßer als es sich spricht, oder gar schreibt. Ich danke Dir für Dein Vertrauen, und daß Du darüber zu einer alten Frau schreiben kannst ist mir auch ein großer Trost, denn es zeigt mir, daß das Blümlein keine gar zu verzweigten Herzwurzeln hat, | sondern eine ziemlich oberflächenhafte Existenz ist. Und das ist gut, sehr gut. Denn, daß so ein Liebesblümlein unter den hier vorliegenden Verhältnissen zu einem recht garstigen, lebenzerstörenden Unkraut heranwachsen kann, das weis/ß/t Du selbst ganz gut. Du weißt, daß das Spiel Deines Herzens (mehr ist’s ja noch nicht) ein gefährliches ist. Wenn Du Dich aber „TannhäuserÜberliefert ist die Reinschrift eines Gedichts („O, wie lang noch soll ich harren / Bis ich wiederum Dich seh?“), das Wedekind mit „Tannhäuser“ unterzeichnete und mit dem Titel „Frau Venus“ (für Blanche Zweifel) versah [vgl. KSA 1/II, S. 935]. Unter dem Titel „An Dieselbe (O, wie lang noch soll ich harren)“ fand das Gedicht Eingang in Wedekinds Gedichtsammlung „Lebensfreuden“ – Hintergrund ist die Sage vom Ritter Tannhauser, „der in den Berg der Frau Venus hinabsteigt und dort Spiel, Gesang und Tanz, aber auch die Freuden körperlicher Liebe genießt. Als er aus Reue über die sinnlichen Wonnen nach Rom pilgert, damit ihm seine Sünden vergeben werden, lehnt der Papst seine Bitte mit dem Hinweis ab, Gottes Gnade zu erhalten sei ebenso unmöglich, wie ein dürrer Stab frisches Grün auszutreiben vermöge. Als der Stab am dritten Tag ausschlägt, ist Tannhäuser bereits entmutigt zum Venusberg zurückgekehrt“ [KSA 1/I, S. 936f.] – Wedekind kannte den Stoff aus Richard Wagners Bearbeitung „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg. Große romantische Oper in drei Akten“ (Dresden 1845) [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 20.1.1884].“ und das junge FrauchenVenussiehe Anmerkung ‚Tannhäuser‘.“ nennst, so scheint mir das nicht ganz passend. Denn ich glaube nicht, daß Dir gerade in den Beziehungen vom des Tannhäuser’s und der Frau Venus Gefahren von einer Lenzburgerin drohen. Diese jungen Damen unserer Spießbürgerkreise sind zum Charackter der „Frau Venus“ zu klug; es gehört da doch eine ganz gehörige Portion rein-menschlicher, heidnisch-olympischer Unklugheit dazu um die Rolle | der „Frau Venus“ zu spielen. Also nicht das fürchte ich bei der Geschichte: wohl aber ein zu starkes und zu vorzeitiges Verpuffen von jugentlich-frischenSchreibversehen, statt: jugendlich-frischen. Gefühlen und Seelenemotionen, die beßer für eine spätere, gesundere Leidenschaft aufgespart blieben. Eine große zielbewußte Leidenschaft hebt den Menschen, wenn sie zur richtigen Zeit kommt, wenn der Mensch reif ist und gerüstet zum Kampf und Sturm; kommt sie zu früh, so vernichtet sie. RomeoTitelheld in William Shakespeares Drama “Romeo und Julia”. geht mit sammt der JuliaTitelheldin in William Shakespeares Drama “Romeo und Julia”. unter, weil er 18 Jahre und sie 14 Jahre alt sind; wäre er ein Mann von 30 und sie eine Dame von 22 Jahren gewesen, so hätte ihre Leidenschaft auf breiterem Seelenfundament geruht, sie hätten Zeit gefunden, sie hätten warten und die Umstände allmälichSchreibversehen, statt: allmählich. modeln können und wären endlich in den ersehnten | Hafen der EheRedewendung (in den Hafen der Ehe einlaufen) für heiraten. eingelaufen.

Leidenschäftchen, künstlich aufgepäppelte Gefühlechen, mit etwas Sinnlichkeit, etwas Poesie und etwas Langweis/l/e großgezogen sind immer ein Seelenschaden, ob sie mit 18 oder mit 40 Jahren auftreten. Also hüte Dich mein lieber Junge, vor dem Hätscheln Deiner jetzigen Empfindungen und gehe nicht der Liebe, aber dem Liebeln aus dem Wege! – Und nun die Gedichte. Was den Inhalt des ersten betrifft so gefält/l/t es mir in Bezug hierauf recht gut; das zweite ist minder.

Daß das eine mit Ach!Die Olga Plümacher vorgelegene Fassung des Gedichts ist nicht überliefert. Die Beschreibung des Silbenmaßes (hier weiter unten) stimmt exakt mit dem am 26.11.1883 entstandenen Gedicht „Blanche Zweifel“ (hebräische Lettern) überein, das mit den Versen „Wol werden meine Kühnheit Sie nicht loben; / Nein, zürnen hör ich Sie, weil heiß durchglüht“ [KSA 1/I, S. 181] anhebt [vgl. KSA 1/I, S. 1091]. das andere mit O!Dem Gedicht „O, welche Seelentiefe spricht / Aus Deiner Augen milder Gluth!“ gibt Wedekind ebenfalls den Titel „An Dieselbe“ [KSA, 1/I, S. 181]. Auch dieses Sonett ist an Blanche Zweifel gerichtet [vgl. KSA 1/1, S. 932]. Zur Identifikation als ‚zweites‘ Gedicht vgl. auch die formale Beschreibung weiter unten. anhebt will mir nicht recht behagen, es ist eine sind dies zu wohlfeile Silben und muthet/n/ daher immer leicht humoristisch an.

Nun sollen aber die Gedichte Sonette sein; die Sonette | haben aber immer 11 Silben in einer Zeile:

v -     -     -     v    -    v     -    v   -   -
„Heut lern ich Dir die Regeln der Sonette,
                                                         v   -    -
Versuch gleich eins, gewiß es soll gelinngenSchreibversehen, statt: gelingen.
                                                  v        -   -
Vier Zeilen je mit vieren zu verschlingen
                                                             v       -  -
Und dann noch sechse, daß man vierzehn hätte
u.s.w.

Du aber hast im ersten Gedicht 11, 10, 10, 11.; 10, 11, 11 10;. und in der zweiten Folge abwechselnd 11 u. 10. Im zweiten Gedicht nun hast Du gar nur immer 8 L Silben. Das ist kein Sonett. Auch soll sich reimen 1 auf 4, 5 und 8; 2 auf 3, 6 u. 7; und 9 auf 11 und 13, sowie 10 auf 12 u. 14.

Ich denke jede Poetik wird das hier gesagte bestättigenSchreibversehen, statt: bestätigen.warum ich prosaische Tante aber in dem Punct so kritisch bin? Ja, siehst Du mein lieber Neffe, es war eine Zeit, wo ich auch Sonette beging, wo ich auch Silben zählte und zwar ängstlicher als Du, weil | ich nicht viel zu sagen hatte. Die Form war bei mir alles, der Inhalt nichts; bei Dir hat Dein jung’ Herz die Form gesprengt, oder – um à la SpartsmenSchreibversehen, statt: sportsmen (engl.) Sportler; in Anspielung auf den Reitsport im weiteren Kontext des Zitats (siehe unten). zu sprechen: Deine GefühleEs folgt ein freies Zitat: „Im höchsten Zorn, im Rausch, in der Verzweiflung, hat er das Gebiß zwischen die Zähne genommen, ist durchgegangen und folgt seiner ursprünglichen Natur.“ [Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, Kap. 19, S. 216] haben das unbequeme Sonetten-Gebiß zwischen die Zähne genommen und sind durchgegangen. Deine sogenantenSchreibversehen, statt: sogenannten. Sonette repräsentiren PaegasusSchreibweise bei Shakespeare, statt: Pegasus; in der griech. Mythologie das geflügelte Pferd; Synonym für die Dichtkunst. als FolenSchreibversehen, statt: Fohlen.! Das Sonett ist eine der schwersten Formen in der deutschen Sprache; in keiner Andern läuft man so Gefahr, daß nicht man dichtet, sondern daß die ReihmeSchreibversehen, statt: Reime. einem den Inhalt aufdrängen*), *daß die Sprache für einen dichtet. wie in dieser. Lorm hat formvollendete S.Hieronymus Lorms Sonett „Das Chaos“ zitiert die ‚philosophische Tante‘ in ihrem wenige Wochen später veröffentlichten Buch [vgl. Olga Plümacher: Der Pessimismus in Geschichte und Gegenwart, Heidelberg 1884, (Kap. IV. Der Weltschmerz und die Poesie des Pessimismus), S. 120]. auch Herweg hat schöneSchreibversehen, statt: Herwegh; 52 – zum Teil zuvor in der Presse abgedruckte –Sonette veröffentlichte Georg Herwegh in seiner Sammlung „Lieder eines Lebendigen“ (2 Bde., Zürich u. Winterthur 1841)., und die „geharnischtenUnter dem Pseudonym Freimund Raimar erschienen erstmals 1814 Friedrich Rückerts „Geharnischte Sonette“ [vgl. Freimund Raimar: Deutsche Gedichte, (Heidelberg) 1814, Kap. II, S. 32-45 (24 Sonette) – Kap. IV, S. 68-79 (20 Sonette)]. von Rückert werden Dir bekannt sein. – Richtig Lorm! Er heißt Dr. Heinrich Landesmann, unter welchem Namen er phil. KritikenOlga Plümacher dürfte insbesondere an Hieronymus Lorms Rezension „Eduard v. Hartmanns Ethik“ (Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben, Bd. 15, 1879, Nr. 22, S. 343-347) gedacht haben, aus der sie einen längeren Absatz („Für die Menschenseele in ihrer ganzen Reinheit und Tiefe gibt es kein glühenderes Streben, kein höheres Sehnsuchtsgefühl als den Weltproceß zu begreifen [...]“) [ebd., S. 345] in ihrer aktuellen philosophischen Abhandlung zitierte [vgl. Olga Plümacher: Der Pessimismus in Geschichte und Gegenwart, Heidelberg 1884, S. 326]. | schreibt, aus denen hervorgeht, daß er sich zum erkenntnißtheoretischen Idealismus bekennt: d.h. er nimmt an, daß es kein positives Wissen geben kann, weil all’ unser sogenanntes Wissen über die Welt und ihr Wesen nur unsere Vorstellungen sind. Gewiß ist uns nur unser eigener jeweiliger Bewußtseinsinhalt; ob der Welt, die wir vorstellen, wirklich ein Sein entspricht, unabhängig von unserer Vorstellung, kann nie und nimmer festgestellt werden, weil der Gedanke nie aus der Haut des Gedankens fahren kann; vielleicht ist die „Welt“ und Himmel und Höll und vor allem aus die Vielheit nur ein Traum der Gottheit, der ewigen Eins. Soll man Landesmann einen Namen geben, so wäre er als Neu-Kantianer zu bezeichnen, aber eineSchreibversehen, statt: ein. feinerer, gedankenvollerer, poetisch-|sinnvollerer als der zahlreiche Troß der jetzt auf den Cathedern das große Wort führenden Neu-KantianerOlga Plümacher nennt an anderer Stelle „Lange“ (Friedrich Albert Lange), „Vaihinger“ (Hans Vaihinger) „und Andere“ [Olga Plümacher: Der Pessimismus in Geschichte und Gegenwart, Heidelberg 1884, S. 164]..

Seine Poetische poetische Weltanschauung und seine philosophische sind ein-und-dieselbe, nur werden sie verschieden dargestellt: entweder im dichterischen Bilde oder im nüchternen Begriffssystem. –

Und nun gelegentlich „Tannhäuser“ noch eins: wenn Du in Aarau zu SauerländerDie Buchhandlung H.R. Sauerländer befand sich in der Straße „Graben 220“ in Aarau. gehst, der doch wohl auch Kunsthandel hat, so frage nach dem Gabriel Max-Albumeine Sammlung von 12 Fotografien des Malers, die in Franz Hanfstaengl’s Kunstverlag (München) angeboten wurde: „Max-Album, Gabriel, 12 Blatt in Leporelloformat 14 M[ark]“; zum gleichen Preis im „Cabinetformat mit eleganter Leinwandmappe“ erhältlich und zu 30 Mark im „Folioformat mit eleganter Leinwandmappe“ [Adolph Russell: Gesamt-Verlags-Katalog des Deutschen Buchhandels, Münster i/W. 1881, S. 614]., d. h. einer Reihe Photographien nach Gemälden besagten originellen, sehr gedankentiefen jungen Münchener Malers.

Und dann suche Dir das Bild „Tannhäuser“Gabriel Max’ Bild „Tannhäuser & Venus“ war im Sommer 1878 in der ‚Permanenten Kunst-Ausstellung im königlichen Odeon‘ (München) zu sehen [vgl. Der Bayerische Landbote, Jg. 54, Nr. 173, 31.07.1878, S. (4); Nr. 189, 20.08.1878, S. (4)]. heraus und sehe es gut an, besonders auch die rechte, auf dem Treppengeländer liegende Hand des Tannhäusers. Ich bin ganz | „hin“ für das Bild. –

Doch nun genug – übrig genug! Ein paar Worte des Dankes wollte ich Dir schreiben und es wird so eine lange Epistel – und doch habe ich gegen andere so große Briefschulden! Und dann habe ich Dich auch so kritisch gezaust – nun bist Du mir vielleicht böse; und doch – nein, Du wirst nicht böse, Du bist zu gescheidSchreibversehen, statt: gescheit. dazu! Du wirst fühlen, daß es nicht Mangel an Intresse ist an Deinen dichterischen Versuchen, sondern gerade meine Theilnahme und meine Ueberzeugung, daß das Dichten bei Dir mehr ist als eine Kinderkrankheit, welche mich veranlaßte die mir übersanntenSchreibversehen, statt: übersandten; gemeint sind die beiden Sonette auf Blanche Zweifel. Proben h nicht nur auf ihren Inhalt hin, neugierig zu lesen, sondern auf ihre künstlerische Berechtigung hin zu prüfen, so gut ich es versteh – wobei ich übrigens als feststehendes Ergeb|niß meiner Selbsterkenntniß sagen muß: daß ich nur eine geringe poetische Ader habe. –

Und nun zum Schluß etwas Kaffee-ProsaOlga Plümacher und ihr in Maracaibo in Venezuela lebender Ehemann Konsul Eugen Hermann Plümacher dürften im Kaffeehandel tätig gewesen sein.: ich bemerke mit Bedauern, daß die neue Sendung Kaffee etwas geringer scheint, probirt habe ich sie noch nicht, aber die Bohnen sind verkrüppelter. Die Liebe Mama kann also den Preis des ihr übersannten Kaffees auf 86, resp. 82 (bei größen Quantitäten) herabsetzen. Wenn aber Mama für Euch selber wieder braucht, (im Frühling oder Sommer) so sende ich ihr noch vom alten, von dem ich noch 1 2/3 Sack habe und nun für mich (und Euch) behalten werde. –

Herzliche Grüße der lieben Mama und den GeschwisterSchreibversehen, statt: den Geschwistern; in Lenzburg lebten nur noch die 3 jüngeren Geschwister Erika, Donald und Emilie (Mati); Armin Wedekind studierte in Göttingen, William Wedekind machte eine Kaufmannslehre in Lausanne..
Deine Dich liebende Tante
Plümacher.


Zum Beweis, daß Du mir nicht zürnst, schickst Du mir wohl gelegentlich ein regelrechtes, ganz glatt gekämmtes 14-Silbiges Sonett, nicht wahr lieber Franklin?

Frank Wedekind schrieb am 18. Januar 1884 in Aarau folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümacher an Frank Wedekind vom 20.1.1884 aus Stein am Rhein:]


Als ich gestern Abend Deinen Brief erhielt [...]

Olga Plümacher schrieb am 20. Januar 1884 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh., den 20 Januar 84.


Mein lieber Franklin!

Entschuldige, daß ich Dir auf Conzeptpapier schreibe; mein Postpapier ist alle und es ist Sonntag, wo ich als fromme Bürgerin nicht gerne in den Laden sende. Und doch will ich heute noch ein wenig mit Dir plaudern; denn morgen gibt’s wieder allerlei sonst zu besorgen, u der Kaffeehandel geht „animirt“, drei Säcke muß ich morgen spediren und dann erwarte ich jetzt auch mit jeder Post einen endgiltigenveraltete Schreibweise für: endgültigen. Bericht von F. A. Brockhaus in Leipzig wegen der Uebernahme meines Buches; kann ich mich mit B. nicht verständigen, so bekommt G. Weiß in Heidelberg den Verlag; in jedem Fall wird die Drucklegung nächstens beginnen und zu Ostern Ostersonntag war am 13.4.1884; erst im Sommer schickte Olga Plümacher ein gebundenes Exemplar ihres frisch gedruckten Buchs „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart“ zusammen mit einem Begleitbrief an Wedekind [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 23.6.1884]. Angeboten hatte sie die philosophische Abhandlung zunächst dem Verleger Georg Weiß in Heidelberg, dessen Konditionen ihr aber nicht vollständig zusagten, so dass sie das Manuskript auch an F.A. Brockhaus in Leipzig sandte, das Buch schließlich aber doch bei Weiß publizierte.hoffe ich mein Geisteskindlein auf den Jahrmarkt des Lebens heraus treten zu sehen. –

Ich danke Dir herzlich für Deine abermalige Bemühung in der Cadettenangelegen|heit; einige der verzeichneten Schriften sind bereits an meinen MannEugen Hermann Plümacher war Schweizer Konsul in Maracaibo in Venezuela. abgegangen, andere aber sind mir noch nicht bekannt geworden und werde ich sie mir beschaffen. Also beß/s/ten Dank!

Um auf das Sonett noch einmal zurück zu kommenvgl. Olga Plümacher an Wedekind, 5.1.1884., so weiß ich nicht ob Dir bekannt ist, daß kein Geringerer als Shakespear 14/5/4 Sonette gedichtet hat in falscher Form. Ob er die richtige nicht kannte, oder ob sie ihm zu sehr Feßel dünkte, weiß ich nicht – ein Literatur-Historiker könnte darüber ein Buch schreiben – und vielleicht, oder sogar sehr wahrscheinlich, ist es auch schon geschehen. Da mir auch nicht bekannt ob Du einen englischen Shakespear zu Handen hast, so schreib ich Dir eines der hübschesten Sonette ab. Vol (Vide Beiblatt.) Du siehst daraus, daß er nur 10 Silben in der Zeile | hat und zwei p/P/aar Reime zu viel. Der besungene Gegenstand ist wie Du weißt, keine Dame, sondern ein junger Freundnicht identifiziert.; das Verhältnißeine homoerotische Beziehung. also ähnlich wie das bei p/P/laten, dessen Sonette ja auch an Justus von Liebig gerichtet waren. Die Philister verstehen natürlich eine derartige Freundschaft nicht und haben sich daher bemüht d ihre Träger in den Coth zu ziehen. – Ich habe gestern noch an meine Freundin in ZürichEs dürfte sich um Anna Ganter-Schilling handeln, die von 1877 bis 1880 in Zürich Philosophie studiert hatte [vgl. Matrikeledition Zürich] und mit ihrem Ehemann, dem Gymnasiallehrer Dr. Heinrich Ganter-Schilling in der Asylstraße 13 im Zürcher Vorort Hottingen wohnte [Adreßbuch der Stadt Zürich 1884, S. 92]. Über einen gemeinsamen Besuch der großen Kunstausstellung in Zürich im Sommer 1883 berichtete Olga Plümacher ausführlich nach Lenzburg: „In der Kunsthalle, die ich mit Frau Dr. Ganter besuchte, kamen mir Franklins Berichte recht zu Statten. Ich erkannte sofort alle die Objecte von denen er mir erzählt und die er als in der einen oder andern Hinsicht intressant bezeichnet hatte.“ [Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 26.7.1883 (Mü, FW B 130)] geschrieben sie möge mir das Gabriel-Max-Albumeine Sammlung von 12 Fotografien des Malers, die in Franz Hanfstaengl’s Kunstverlag (München) angeboten wurde: „Max-Album, Gabriel, 12 Blatt in Leporelloformat 14 M[ark]; - Cabinetformat mit eleganter Leinwandmappe. 14 M[ark. Folioformat mit eleganter Leinwandmappe. 30 Mark [Adolph Russell: Gesamt-Verlags-Katalog des Deutschen Buchhandels, Münster i/W. 1881, S. 614]. „Tannhäuser und Venus“ (1878). für 8 Tage leihen. Sobald ich es erhalte – ich hoffe zuversichtlich, daß sie meine Bitte gewährtNachdem ihre Freundin die Ausleihe verweigerte, erwarb Olga Plümacher eine Reproduktion des Werks und schickte es mit einem Begleitbrief an Emilie Wedekind: „Meine „mich innigliebende“ Freundin hat mir ihr G. Max-Album nicht leihen mögen; solche Sachen würden einen nur verderben – meinte sie; daher habe ich das in Frage gekommene Tannhäuser-Bild gekauft und sende es anbei dem lieben Franklin mit meinem beßten Gruß, und er könne es behalten.“ [Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 6.2.1884 (Mü, FW B 130)]. – so sende ich es Dir; es hat wundervolle Sachen dabei, die kennen zu lernen gewiß auch der lieben Mama Freude machen wird. G. Max ist eben eine ganz einzigartige Individualität unserer modernen Maler. – Als ich gestern Abend Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 18.1.1884. erhielt, wußte und kannte | ich von Rudolf Baumbach noch nichts als eben den Namen und den Titel des von Dir erwähnten Buchesnicht identifiziert; an anderer Stelle nennt Wedekind mehrere Publikationen Rudolf Baumbachs (Lieder eines Fahrenden, Spielmannslieder, Abentheuer und Schwänke. Alten Meistern nacherzählt), die er gelesen habe [vgl. Wedekind an Anny Barck, 23.2. bis 12.3.1884]., da ich dieses wiederholt in Journalen angezeigt fand; auch hatte ich irgendwo eine Kritik flüchtig gestreift, worin die Gedicht Schreibversehen, statt: Gedichte.als geistvoll und formschön, wenn auch oft etwas derb und „verwegen“ geschildert wurden. Kaum aber hatte ich Deinen Brief gelesen, brachte die Bötin mir die Mappe den/s/ Lesecirkels für diese Woche, und siehe da, in „Nord u. Süd“ finde ich einige „neue GedichteUnter der Überschrift „Neue Dichtungen. Von Rudolf Baumbach – Triest –“ wurden 7 Gedichte von dem Dichter in der Zeitschrift „Nord und Süd“ (Bd. 25, Breslau 1883, S. 205-208) veröffentlicht. von Rud. Baumbach begleitet von einer Fußnote; daß eine der nächsten Nummern auch eine Beurtheilung und Charakteristik dieses Dichters bringen werde. Ich bin nun weit zurück in der Reihe derer, die an diesem Lesecirkel Theil haben; die betreffende Nummer von „Nord u. Süd“ ist Mai 83, mithin ist auch die Beurtheilung längst erschienen. Sollte sie aber auch noch | nicht zu Dir gelangt sein, so will ich sie Dir senden, sobald ich sie erhalte. Nord u. Süd ist aber nur eine Monats-bl Revue, daher es zum mindesten 4, vielleicht aber 8 Wochen geht bis mir dieses möglich ist. Von diesen „neuen Gedichten“ habe ich zwei für Dich abgeschrieben (vide Beiblatt) und sind beide wohl recht bezeichnend für seine Weise und für diese Weise ganz reizend. –

Du sagst du hättest Wagner‘s Tannhäuser-Text gelesen. Nun, Wagner’s Tannhäuser ist eine prachtvolle Oper, aber als Dichtung hat sie nicht viel zu bedeutendSchreibversehen, statt: bedeuten.. Die „Schwäche“ der Lösung ist aber insofern höchst interessant, als es eine sie re sie direct aus einer „Schwäche“, aus einer Unentschiedenheit des katholischen Dogmas hervorwächst. Die katholische Kirche beansprucht nämlich einerseits die unbedingte Macht zu „lösen und zu binden“, dem Sünder zu vergeben, ihn | im letzten Moment noch vonSchreibversehen, statt: vor. der Verdammniß zu retten, oder anderseits ihn vermittelst des Bannes aus dem dem Kreis der Gnade auszustoßen; zum andern aber bekennt sie sich durch verschiedene Concils-Beschlüße zur Lehre des Kirchenvaters Augustinus, der im Sinne des Paulus und des Johannes-Evangeliums eine Vorweltliche Prädestination zur Seligkeit oder zur Verdammniß (Johannes „Gottes- und Teufels-KinderBibelzitat: 1. Joh. 3,10.[“] annahm. Entsprechend der Prädestinationslehre kann auch die Kirche nicht weder die zur Hölle verdammen noch vor der Hölle retten, sondern alle ihre Gnadenmittel beziehen sich nur auf das Verhältniß des/r/ zum ewigen Leben Berufenen und dem Fegefeuer. Sie kann nur die Qual des Millionen und Millionen Jahre dauernden Aufenthaltes im Fegefeuer auf mindere Zeit reduciren, resp. verlängern. Natürlich | suchte man sich dadurch mit dem Widerspruch in’s Reine zu setzen, daß mannSchreibversehen, statt: man. die Fälle registrirte, wo anzunehmen sei, daß der Sündenträger ein prädestinirter Höllenkandidat, oder bloß ein der Gnadenmittel noch zugängliches irrendes Schaaf der Gottesherde sei. Der Papst hat nun eben gemeint der Sommeraufenthalt des Tannhäusers bei der Erzteufelin Frau Venus sei ein sicheres Zeichen daß Tannhäuser zu den Verworfenen gehöre und sein Spruch enthielt also keine persönliche Grausamkeit. Freilich in sofern kommt er bei Wagner schlecht weg, als er sich eben als irrender Mensch, und nicht als infallibel erweißt. Wagner hat den „Tannhäuser“ auf drei verschiedene Weisen zu Ende bringen lassen: der Papst sagt bekanntlich: „wie dieser StabZitat („wie dieser Stab in Deiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, wird aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer Dir erblühn“) aus Wagners Musikdrama „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ (III,3). in Deiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, wird aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer Dir erblühn“; die älteste Form ist nun, daß die Pilger | den Pilgerstab des Tannhäusers auf die Bühne bringen, nachdem ihm Knospen und Blätter entsproßen sind. Ueber dieses handfeste Wunder wurde gelächelt und nun liesSchreibversehen; statt: ließ. Wag. den Tann. einfach mit den Worten „heilige ElisabethZitat („heilige Elisabeth bitt’ für mich“) aus Wagners Musikdrama „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ (III,3). bitt’ für mich“ sterben, und setzte voraus, daß das Publikum anders dächte als der Papst und vollkommen beruhigt über das jenseitige Schicksals des armen Tannhäusers nach Hause gehe. Aber das gefiel an kath. Orten nicht, und so wurde das Wunder wieder eingesetzt, aber der Stab kam nicht auf die Bühne, das Hauptgewicht wurde auf die Fürbitt der heiligen Elisabeth gelegt. Nun, wie gesagt für eine Oper ist’s ja ganz gut; sonst aber könnte man aus dem Tannhäuser MytosSchreibversehen, statt: Mythos. unendlich viel mehr machen und ist das Thema durchaus noch nicht von den Dichd/t/ern erschöpft. Ich empfehle Dir für die ferne Zukunft diesen Stoff; über dasSchreibversehen, statt: das. „Wie“, wie ich es mir denke, will ich Dir einmal | mündlich auseinander setzen. –

Was nun endlich noch den erkenntnißtheoretischen Idealismus als abstrakter Monismus betriftSchreibversehen, statt: betrifft; Olga Plümacher setzt hier die philosophische Diskussion aus dem letzten Brief fort und behandelt Themen aus ihrem fertiggestellten Buchmanuskript „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart“.Schreibversehen, statt: betrifft., (d.h. als die Anschauung, daß die Welt der Vielheit eigentlich nur ein Schein, und in Wirklichkeit nur Ein Wesen sei, das gleichsam die Welt nur als seinen schlimmen Traum träume) so ist sein Zusammenhang mit dem Pessimismus oder Optimismus ein lockerer.

In der Philosophie der Indier ist der Illusionismus mit dem Pessimismus verbunden; aber der moderne Skepticismus des Neu-Kantianismus führt auch auf den Illusionismus hinaus, und doch vertreten die Neu-Kantianer den Optimismus.

Es kommt eben bezüglich Optimismus und Pessimismus nicht darauf an ob wie ich mir das Erfahrene denke, ob ich es „Sein“ oder „Schein“ nenne, es ist eben doch was es ist für die Empfindung, und es kommt einfach darauf an, ob ich die Summe | der Empfindung für überwiegend angenehm oder überwiegend unangenehm, leidvoll für die Empfindungssubjecte erachte. – Auch hierüber findest Du Einiges in meinem Buche. –

Doch nun will ich schließen. Bitte gib das BriefleinBrief Olga Plümachers an Minna von Greyerz vom 20.1.1884 – Antwort auf Minna von Greyerz’ Brief an Olga Plümacher vom 13.1.1884, den diese ihrem Brief an Frank Wedekind beilegte; – die Korrespondenz zwischen Olga Plümacher und Minna von Greyerz ist nicht überliefert. Deiner Cousine, der lieben Mama aber meine herzlichsten Grüße.

Mein lieber Franklin! Nun habe ich so lange mit Dir geschwazt – nun tu mir auch den Gefallen und schreibe bald mal meinem lieben, armen einsamen JungenWedekinds Freund Hermann Plümacher, der in Heilbronn eine Lehre zum Kaufmann machte. im Schwabenländle ein paar freundliche Worte, gelt Lieber? Man kann zwar ja mit ihm nicht philosophiren und – phantasiren – aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck und einen sehr gesunden Verstand für alles Praktische und ist so treu und so ehrlich in seiner Freundschaft, wenn er es auch nicht in schönen Worten sagen kann.

[Am rechten Rand:]

Adieu lieber Franklin! Es freut mich, daß bei Dir wieder recht klares Wetter geworden ist, und die rosenrothen NebelWedekinds Leidenschaft für Blanche Zweifel, die er in seinen Gedichten Frau Venus nannte. sich verzogen haben.

Deine Dich liebende Tante O. Plümacher


[Beilage:]


Beiblatt.


Sonnet*) CXVI by Schakespear.

(* Die Engländer schreiben „Sonnet“ u. „Sonnets“, (plur.) die Deutschen „Sonett“ und „Sonette“; welches ist richtiger? Ich habe kein italiänisches Wörterbuch zur Hand; nach dem<Loch: de> Italiänischen aber sollte man sich richten, da die Form eine aus Italien stammende ist.


Let me not to the mariageSchreibversehen, statt: marriage. of true minds
                                               ≠
Admit inpediments. Love ist not love
                                                      oo
Which alters when it alteration finds,
                                                         ≠

Or bends whith the remover to remove:
                                                      oo

O no! It is an ever-fixed mark,
                                          xx
That looks on tempests, and is never shaken;
                                                              uuuu
It is the star to every wandering bark,
                                                     xx
Whose worths unknown, althoughtSchreibversehen, statt: although. his hight be taken.
                                                                         uuuu


Love’s not time’s fool, though rosy lips and cheksSchreibversehen, statt: cheeks.
                                                                      uuuu
Within his bending sikle’s compass Come;
                                                             ...
Love alters not with his brief houersSchreibversehen, statt: houres. and weeks,
                                                                  uuuu
But bears it out even to the edge of doomSchreibversehen, statt: doome..
                                                            ...
If this be error, and upon me prov’dSchreibversehen, statt: proved.,
                                                  x
I never writ, nor no man ever lov’dSchreibversehen, statt: loved..
                                        –––––x |


Aus „Neue Dichtungen“
von Rudolf Baumbach


–––––


Die beiden HausgeisterTitel des ersten Gedichts, das unter der Rubrik „Neue Dichtungen. Von Rudolf Baumbach – Triest –“ in der Monatsschrift „Nord und Süd“ (Bd. 25, Breslau 1883, S. 205-208) abgedruckt ist.


Zwei Geister hab’ ich – wer glaubt mir das?
Daheim in meiner Klause.
Der eine ist im Tintenfaß,
Im Krug der andre zu Hause,
Im Weinkrug poltert der eine laut,
Und allzeit lustig ist er;
Der Tintengeist gar finster schaut,
Ein grämlicher Magister.


Der Schwarze raunt mir Worte zu,
mitunter ziemlich kluge.
Dann hält der andre keine Ruh’
Und hebt den Deckel vom Kruge.
Sie sind im Streite für und für,
Sie können sich nicht vertragen,
Und hab ich hinter mir die Thür,
So fassen sie sich beim Kragen,


Jüngst haben sie Frieden einmal gemacht,
das war zu meinem Fluche.
Der Lustige war um Mitternacht
Beim Schwarzen zu Besuche,
Und als ich später kam nach Haus
Und saß zu schreiben nieder,
EntfloßSchreibversehen, statt: Entflossen. meinem Kiel – o Graus!
Nur lauter Schlemmer- und Schelmenlieder |


Im Jammer hab ich imSchreibversehen, statt: am. Morgenlicht
den Greuel überlesen.
Derweilen war der Tintenwicht
Im Weinkrug Gast gewesen.
Denn als ich lechzend trank das Naß,
War’s herb und gallenbitter,
Und zornig schlug ich Tintenfaß
Und Krug in tausend Splitter.


–––––


2.)

Du bist gewarnt, nun halte WachtTitel („Du bist gewarnt, nun halte Wacht.“) des fünften Gedichts, das unter der Rubrik „Neue Dichtungen. Von Rudolf Baumbach – Triest –“ in der Monatsschrift „Nord und Süd“ (Bd. 25, 1883, S. 205-208) abgedruckt ist..


–––––


Zur Krone gewunden ist Dein Zopf,
Durchstochen von silbernenSchreibversehen, statt: silberner. Nadel.
Du trägst so stolz und hoch den Kopf,
Als wärst Du von altem Adel,
Und bist doch nur ein Bauernkind
Das Sense führt und Rechen. –
Der BaumSchreibversehen, statt: Den Baum, der. der sich nicht biegt im Wind,
Wird jäher Sturm zerbrechen.
Wie breit und tief ein Wasserbach,
Er läßt sich doch durchschwimmen;
Wie hoch und steil ein Giebeldach,
Es läßt sich doch erklimmen.
Du bist gewarnt, nun halte Wacht,
Willst Du nicht sanft Dich schmiegen. –im Original; in späteren Fassungen „fügen“.
Der Mann der Fensterladen macht
Der macht auch Leiterstiegen.


–––––                                                                                                                                    

Frank Wedekind schrieb am 16. Februar 1884 in Aarau folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 20.2.1884 aus Stein am Rhein:]


Ich danke Dir herzlich für Deinen interessanten Brief und für die Uebersendung Deines Prologes.

Olga Plümacher schrieb am 20. Februar 1884 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh., den 20/II.84.

Mein lieber Franklin!

Ich danke Dir herzlich für Deinen interessanten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 16.2.1884. und für die Uebersendung Deines PrologesDie Beilage ist nicht überliefert; ein vermutlich signierter Separatdruck von Wedekinds „Prolog zur Abendunterhaltung der Kantonsschüler“ handeln, den der Autor am Kantonsschülerfest (1.2.1884) mit großem Beifall vorgetragen hatte [vgl. KSA 1/II, S. 1983ff.] und der in einer Auflage von einigen hundert Exemplaren soeben im Aarauer Verlag H. R. Sauerländer erschienen war [vgl. Remigius H Sauerländer an Wedekind, 13.2.1881].. Ich gratulire Dir herzlichst D zu Deinen Erfolg und möge insbesondere das freundliche Entgegenkommen des Buchhändlers ein gutes OhmenSchreibversehen, statt: Omen. sein, daß Du auch in Zukunft nie die Unannehmlichkeit des Verleger-suchens erfahren müßest. Der Prolog ist „famos“, wie Ihr jungen Musensöhne es auszudrücken pflegt; Du hast Dich brillant aus der Sache gezogen und kein nahmhafterSchreibversehen, statt: namhafter. Dichter hätte es beßer machen können, denn eben darin liegt die Schwierigkeit solcher Feltichkeits-PrologeSchreibversehen, statt: Festlichkeits-Prologe., daß sie „gemacht“ werden müßen, | und daß es wohl fast eben so schwierig ist „par l’ordre de mufti(frz.) auf Befehl des Mufti (eines arabischen Rechtsprechers) – sprichwörtliche Redensart.“ zu Dichten als zu Lieben. –

Mit Deiner Besprechung der Auff.Das Liebhabertheater Lenzburg veranstaltete 3 Aufführungen von „Graf Essex“, Heinrich Laubes Trauerspiel in 5 Akten . Die letzte fand ‚auf allgemeines Verlagen‘ am Sonntag, 10.2.1884 statt [vgl. Aargauer Nachrichten 1884, Jg. 30, Nr. 30, 5.2.1884, S. (4)]. des „Graf Essex“ hast Du mich ganz „glustig(schweiz. Mundart) begierig.“ gemacht; ja, ich erinnere michNach ihrer Rückkehr aus Beersheba Springs (Tennessee, USA) wohnte Olga Plümacher mit ihren Kindern Hermann und Dagmar 1878 für einige Monate in Lenzburg. Hermann Plümacher besuchte in dieser Zeit gemeinsam mit Willy Wedekind die Bezirksschule in Lenzburg. all’ der Lenzburger HaupthähneDer Lenzburger Laienspielgruppe gehörten die wohlhabenden „Kaufmanns- und Beamtenfamilien [...] (Hünerwadel, Zweifel, Jahn, Oschwald, Ringier, Gaudard, Schwarz, Laué, von Greyerz) als Schauspieler und Sänger von Laienaufführungen, Musikveranstaltungen und Abendunterhaltungen“ [Kieser 1990, S. 116] an. noch ganz gut und macht es mir immer Freude über deren Kunstleistungen etwas zu vernehmen. Ich habe einmal nur Liebhaber-Theater in Lenz. gesehen, und da ist mir ebenfalls der fatale Accent der Meisten aufgefallen; aber auch an den hohen Stimmen der Damen habe ich mich gestoßen;. Der Lenzburger-Aargauer-Dialect bringt eine Stimmbeugung nach der Höhe zu mit sich, bei Männer u. Frauen, ganz besonders aber bei diesen bemerklich. Achte nur einmal darauf, sicherlich wirst Du herausfinden was ich meine, was sich aber nur | schwer beschreiben läßt. –

Es thut mir nur leid, daß ich Dir nicht sämtliche Bilder von G. MaxGemeint sein dürfte das Gabriel-Max-Album, eine Sammlung von 12 Fotografien des Malers, die in Franz Hanfstaengl’s Kunstverlag (München) angeboten wurde [vgl. Adolph Russell: Gesamt-Verlags-Katalog des Deutschen Buchhandels, Münster i/W. 1881, S. 614]. Nachdem ihre Zürcher Freundin Anna Ganter-Schilling die Ausleihe verweigerte, erwarb Olga Plümacher eine Reproduktion des Tannhäuser-Bildes, das sie einem Brief an Emilie Wedekind beilegte. Sie schrieb: „Meine „mich innigliebende“ Freundin hat mir ihr G. Max-Album nicht leihen mögen; solche Sachen würden einen nur verderben – meinte sie; daher habe ich das in Frage gekommene Tannhäuser-Bild gekauft und sende es anbei dem lieben Franklin mit meinem beßten Gruß, und er könne es behalten.“ [Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 6.2.1884 (Mü, FW B 130)]. senden konnte; zu jedem einzeln kann man eine ganze Geschichte voll psychologischer Probleme dichten. – Ich habe unlängst mal einen Traum niedergeschrieben; allerdings – wie das bei dichterischer oder literarischer Verwerthung eines Traumes in der Regel geschieht – sehr mit Wach-Bewußtsein corrigirt. Ich meine er gäbe ein hübsches Gedicht, sogenanteSchreibversehen, statt: sogenannte. „Gedankendichtung“, aber natürlich, so, ich kann nicht dichten; so leicht mir der RythmusSchreibversehen, statt: Rhythmus. kommt, so unmöglich schier ist es mir die Reime zu finden.

Soll ich es Dir in seiner Prosa-Gestalt senden, damit Du beurtheilen kannst ob es in poetische Form gebracht werden könnte? Aber nur wenn Deine Zeit nicht gar | zu sehr in Anspruch genommen ist. Mir liegt natürlich Deine Maturität (summa cum laude(lat.) mit höchstem Lob; wohl ironische Anspielung auf die schlechten Schulnoten Wedekinds, dessen Maturaprüfungen bevorstanden.) aufSchreibversehen, statt: aufs. angelegentlichste am Herzen, und möchte ja nicht mit daran SchudSchreibversehen, statt: Schuld. sein, daß Du eine dem Realen ge bestimmte Stunde auf den Wildpferden der Reimereiwohl in Anspielung auf das geflügelte Pferd Pegasus (griech. Mythologie), das Sinnbild der Dichtkunst. versäumen solltest. Es handelt sich übrigens um das „Gespenst der Consequenz[“]: um das solipfistische IchSchreibversehen, statt: solipsistische Ich; das Ich, das nichts außer dem eigenen Bewusstsein anerkennt; die Welt ist meine Vorstellung (Schopenhauer)..

Doch nun genug für heute!

Mögen die Musen Dir allezeit gewogen bleiben Dein Muth aber auch stehtsSchreibversehen, statt: stets. frisch und rüstig sein die nüchterne Nothwendigkeit zu bewältigen. Bald naht die Zeit der Freiheit – mach’s wie ein gutes Rennpferd, nimm noch einmal Deine volle Kraft zusammen, damit Du nicht nur das Ziel erreichst, sondern noch um die ehrenvolle „Kopflänge“ Deine Mitrenner am „Stop“ überholst.

Adieu!

Deine Dich liebende Tante

O. Plümacher.

Frank Wedekind schrieb am 18. April 1884 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 19.4.1884 aus Stein am Rhein:]


Ich danke Dir für Deinen Brief [...]

Olga Plümacher schrieb am 19. April 1884 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind , Frank Wedekind

Stein a/Rh. den 19 April 1884


Mein lieber Franklin!

Ich danke Dir für Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 18.4.1884. und gratulire Dir von Herzen dazu, daß das Examendie Maturaprüfungen; die öffentliche Zeugnisübergabe fand am 10.4.1884 in der Kantonsschule Aarau statt [vgl. Programm der Aargauischen Kantonsschule für das Schuljahr 1883/84, (Titelseite)]. bestanden ist; das „Wie“In Mathematik, Chemie und Hebräisch hatte Wedekind die Note „ungenügend“ erhalten, in Latein, Griechisch, Französisch, Naturgeschichte Physik „genügend“, in Geschichte „gut“ und in deutscher Sprache und Literatur ein „sehr gut“ [vgl. Aa, Wedekind-Archiv B, Schachtel 8, Nr. 170: Wedekinds Zeugnisse 1884]. hat nun weiter nichts mehr auf sich, es handelte sich ja doch nur um Fächer die für Deine künftigen Studien von keiner oder ser/h/r indirecter Bedeutung sind. Es freut mich auch aufrichtig, daß der frühere Plan, Dich Jurisprudenz studiren zu lassen nun aufgegebenWedekind durfte (nur) ein Semester an der Académie de Lausanne moderne Sprachen studieren. ist. Es hätte der Versuch doch nur zu verlorener Zeit und Unzufriedenheit Veranlaßung gegeben. Das Corpus jurisCorpus juris civilis (lat.); die Rechtssammlung des römischen Zivilrechts, Grundlage des europäischen Rechts., die „Bibel des EgoismusIn seinen „Memoiren“ schreibt Heine: „Welch ein fürchterliches Buch ist das Corpus Juris, die Bibel des Egoismus. Wie die Römer selbst blieb mir immer verhaßt ihr Rechtskodex.“ [DHA, Bd. 15, S. 64]“ wie Heine es nennt, wäre Dir wohl auch so unerquicklich vorgekommen wie dem „ungezogenen Liebling der | Musengeflügeltes Wort: „Aristophanes, der ungezogene Liebling der Grazien, wie ihn Goethe im Epilog zu seiner Bearbeitung der ‚Vögel‘ nennt“ [Büchmann 1879, S. 176].“ und die juristischen ColegeSchreibversehen, statt: Collegien, Collegia (lat.); Vorlesung. wären wohl gar sehr oft unbesucht geblieben; wenn aber der Studiosus nicht in’s Coleg geht, so geht er in der Regel in die Kneipe; es ist also jedenfalls beßer, wenn Du gar nicht nöthig hast unliebsame Vorlesungen zu versäumen. Bei Deiner jetzigen Studienwahl wirst Du von Beginn an viel Interessantes und f/F/eßelndes zu hören bekommen und sehe ich jetzt mit vollem Vertrauen der Zukunft Deiner Studien entgegen. – Ich bedaure es aufrichtig, daß die Zeit Dir nicht gestattet vor dem Verlaßen der Heimath einen Abstecher zu uns zu machen und Hermann theiltOlga Plümachers Sohn, der mit Wedekind befreundete Hermann Plümacher, war gerade zu Besuch in Stein am Rhein. mein Bedauern. – Ueber den Vorschlag HartmannsWie Olga Plümacher ihrer Freundin Emilie Wedekind schrieb, machte der Philosoph Eduard von Hartmann ihr „den Vorschlag eine Tour als Vorleserin, oder vielmehr Vorträgerin über phil. Themata in Deutschland zu machen und hält die Sache für paßend und lohnend und weiß die Sache für mich zu arrangiren.“ [Mü, Olga Plümacher an Emilie Wedekind, 9.4.1884] denkst Du und Deine liebe Mutter, wie auch meine Züricher FreundeBefreundet war Olga Plümacher mit Anna Ganter-Schilling, Tochter des Homöopathen Dr. Joseph und Katharina Schilling-Ganter im Züricher Vorort Hottingen die von 1877 bis 1880 an der Universität Zürich Philosophie studiert hatte [vgl. Matrikeledition Zürich], und mit dem späteren Lehrer der Kantonsschule Aarau, Prof. Dr. Heinrich Ganter, verheiratet war. | doch wohl etwas zu enthusiastisch. Der Erfolg ist durchaus nicht so sicher. Es stehen mir große Hinderniße im Wege. Erstens arbeite ich sehr langsam; es wird mir viel Mühe kosten immer neue Vorträge in Bereitschaft zu halten; zweitens habe ich ein ganz schlechtes Wortgedächniß, so daß ich es nie zum freien Vortrag bringen werde; und dieser ist doch der wirksamste; das Publikum gelangt weniger zur Kritik, wenn man ihm in die Augen schauen kann. Endlich – last but not least(engl.) zu guter Letzt. – bedenke meine harte schweizerische Sprache mein „Großraths-Deutsch“, welche Schwierigkeiten mir nur dieses bereiten wird bis ich etwas abgeschliffen habe, denn so wie ich bis jetzt gesprochen, kann ich vor einem deutschen Publikum nicht auftreten. |

In Amerika würde sich die Sache natürlich viel leichter machen laßen; und mit Rücksicht auf unsere Zukunft dort will ich mich für einen Versuch vorbereiten. „Im schlimmsten Falle fallen sie durch und niemand erfährt etwas davon“ schreibt mir Hartmann; das ist aber nicht so: nichts wird so schnell bekannt als Mißerfolg und wenn ich den Schaden des Mißlingens habe, so wird mir auch der Spott nicht fehlen, das ist eine alte Wahrheit. Trotzdem will ich den Versuch wagen, aber ich wage ihn mit schwerem Herzen. – Den „TraumDen niedergeschriebenen Traum [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 20.2.1884] legte sie ihrem Brief vom 30.6.1884 bei.“ sende ich Dir ’mal; ich möchte noch etwas dran ändern und habe jetzt keine Zeit. – Bitte grüße Deine liebe Mutter herzlich von mir; ich werde ihr nächstens schreiben. Den andern Sack KaffeeOlga Plümacher und ihr Ehemann, der amerikanische Konsul Eugen Hermann Plümacher in Maracaibo (Venezuela), waren im Kaffeehandel tätig. hat sie hoffentlich erhalten. Auch an Frieda herzliche Grüße und Glückwünsche zum neuen StandFrank Wedekinds Schwester Erika, die in ihrer Schulzeit (nach ihrem dritten Vornamen) Frieda genannt wurde, wechselte zum neuen Schuljahr (im April 1884) von der Lenzburger Bezirksschule zum Töchterinstitut und Lehrerinnenseminar nach Aarau. Sie ist für das Schuljahr 1884/85 in der I. Klasse verzeichnet: „Frida Wedekind, San Francisco (Kalifornien)“ [Zwölfter Jahresbericht über das Töchterinstitut und Lehrerinnenseminar Aarau. Schuljahr 1884/85, S. 4]. im Kreise der vollgewichtigen Erdenbürger.ab hier am linken Rand im Querformat. Lebe wohl lieber Franklin! möge es Dir in Lausanne recht gut gefallen und die Freiheit Dir wohl bekommen und von den Musen und ApolloNach der griech. Mythologie sind die Musen die Töchter des Apollon, des Gottes der Künste und der Musik. gesegnet sein.

Ich verbleibe Deine aufrichtig zugethane
O Plümacher |


Hermann sendet 1000 Grüße; er ist sehr vergnügt und in s einem SturmwagenPanzer; Hermann Plümacher dürfte vom 1. Mai bis zum 3. Juli 1884 in Zürich die Rekrutenschule der Schwadronen besucht haben [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 64, Nr. 18, Zweites Blatt, 18.1.1884, S. (2)]. geht er nach Zürich; wenn er zurück kommt, schreibt er.

                                                                                                                          

Frank Wedekind schrieb am 21. Juni 1884 in Lausanne folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 23.6.1884 aus Stein am Rhein:]


Herzlichen Dank für Deinen Brief, den ich gestern erhielt.

Olga Plümacher schrieb am 23. Juni 1884 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh den 23. Juni 1884.


Mein lieber Franklin!

Herzlichen Dank für Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 21.6.1884., den ich gesternden 22.6.1884. erhielt. Ich glaubte wirklich ich sei Dir einen Brief schuldig, und hätte Dir auch schon lange geschrieben, wenn ich erstens Deine Adresse nicht erst vor 2 Tagen von Deiner Mutter erhalten hätte, und wenn ich zweitens nicht erst hätte mein BuchOlga Plümachers Abhandlung „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtliches u. Kritisches“ wurde am 14.6.1884 unter den neu erschienenen Büchern angezeigt [Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 51, Nr. 137, 14.6.1884, S. 2754 (Sp. 3)]. wollen einbinden laßen, damit Du es angenehmer lesen könnest, als en brochure(frz.) ungebunden; zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es noch zahlreiche Bücher, die als Broschüre erschienen und beim Buchbinder individuell eingebunden wurden., wo bei größeren Büchern gewöhnlich die Bogen auseinander fallen, wenn man die Blätter aufschneidet. Also hier ist nun das lang erwartete Machwerk! Lese es gelegentlich und kritisire es rücksichtslos, es soll mir Freude machen Deine Meinung zu hören, auch wenn sie | tadeln muß, denn „das u/U/nfehlbarseinMit dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) war die Unfehlbarkeit des Papstes im Amt, das heißt in christlichen Glaubens- und Sittenfragen, als Dogma verkündet worden. überlaßen wir dem Papst“ – wie Hartmann zu sagen pflegtOlga Plümacher war persönlich mit dem in Lichterfelde bei Berlin lebenden Philosophen Eduard von Hartmann bekannt; sie korrespondierte und besuchte ihn.. Das Buch hat mir gestern schon einen Brief eingetragen, der mich recht heiter stimmte. Schreibt mir da ein Herr Dr. August SiebenwitzSchreibversehen, statt: Siebenlist. aus Preßburg: er hätte mein Buch mit größtem Interesse und Vergnügen gelesen, aber auch mit größtem Befremden; denn; warum in aller Welt schriebe ich „keine Sterbenssylbe“ von seinem großen WerkAugust Siebenlists 447 Seiten umfassende Abhandlung „Schopenhauer’s Philosophie der Tragödie“ war 1880 bei Carl Stampfel in Preßburg und Leipzig erschienen.Schopenhauers Philosophie der Tragödie“? Er bitte mich dringend ihm doch brieflich mitzutheilen, warum ich ihn übergangen habe. Nun, ich habe dem guten Manne den Wunsch erfüllt und ihm geschrieben, daß ich einen sehr triftigen Grund gehabt: ich hätte eben bis zur Stunde nichts von der Existenz seines Buches | gewußt; wenn übrigens mein Buch eine zweite Auflage1888 erschien eine zweite Ausgabe des Buchs. erleben sollte, so wollte ich ihn berücksichtigen, falls sein Werk sich der Oekonomie meines Planes einordnen laße. – Gestern war ein guter Tag; außer Deinem Briefe (und dem erheiternden des Herrn Siebenwitz) erhielt ich auch eine sehr schöne, wohlgelungene Photographiedie Fotografie von Hermann Plümacher, der in Heilbronn eine Kaufmannslehre begonnen hatte, mit seinen Freunden ist nicht ermittelt. meines Jungen, zusamen mit zwei Freunden; beides hübsche, intelligent-blickende junge Männer; die „drei muntere Bursche“ bilden ein hübsches Kleeblatt, denn in dieser Weise sind sie aufgestellt: zwei sitzend, der Kleinste, zwischen und hinter ihnen stehend. – Aber auch sonst noch war es ein angenehmer Tag. DagmarOlga Plümachers Tochter Dagmar Plümacher. war den Tag über fort, und da das Wetter äußerst lieblich war, so gedachte ich mir einmal in freier Luft gütlich zu thun, ganz stille | und friedlich für mich allein. Ich setzte mich also im Laufe des Nachmittags in den Bahnzug und fuhr nach dem Dörflein Mannebachalternative Schreibweise im 19. Jahrhundert, statt: Mannenbach; ein Dorf im Kanton Thurgau, am Südufer des Untersees (Bodensee), keine 17 Kilometer von Olga Plümachers Wohnort Stein am Rhein entfernt und durch eine am Ufer gelegene Bahnstrecke verbunden., wo die N Bonabarte’salternative Schreibweise im 19. Jahrhundert, statt: Bonaparte’s. Charles Louis-Napoléon Bonaparte, der spätere Kaiser Napoleon III., wurde 1832 zum Ehrenbürger des Kantons Thurgau ernannt, nachdem er eine Ehrenbürgerschaft der Gemeinde Salenstein-Mannenbach – sie hätte seinen Verzicht der französischen Staatsbürgerschaft bedeutet – abgelehnt hatte. Seine Mutter Hortense Beauharnais, Stieftochter Napoleon I. und von 1802 bis 1810 Ehefrau ihres Stiefbruders Louis Bonaparte, hatte Schloss Arenenberg in Mannenbach 1817 käuflich erworben und zu ihrem und ihres Sohnes Wohnsitz gemacht. Bürger sind. Von dort stieg ich nach dem Schlößchen Arenabergalternative Schreibweise im 19. Jahrhundert, statt: Arenenberg. hinauf, um mir wieder einmal die Bilder jener vergangenen Größen zu betrachten, zugleich aber auch mich an der herlichen Aussicht zu weiden, die man von Arenaberg aus über den UnterseeTeil des Bodensees; begrenzt von den Städten Stein am Rhein, Radolfzell und Konstanz-Kreuzlingen, wo das Wasser in den Obersee fließt. hin genießt. Das Gestade ist ein Wald von Obstbäumen, besonders Mannebach liegt förmlich verstekt und verborgen in einem Hain schöner Nußbäume. Gerade vis-a-vis(frz.) gegenüber. des Arenabergs dehnt sich die Insel ReichenauhSchreibversehen, statt: Reichenau. mit ihren drei Dörfern: Ober- Mittel- und Unterzell, ihren zwei uralten KirchenDie Insel Reichenau beherbergt drei mittelalterliche Kirchen: die Basilika St Peter und Paul (Unterzell), die Kirche St. Georg (Oberzell) und das zum Kloster Reichenau gehörende Münster St. Maria und Markus (Mittelzell). und dem alten weithin leuchtenden SchloßeGemeint sein dürfte das Kloster Reichenau (siehe oben).. Darüber hinaus liegt die | Einbuchtung des Radolfzeller-Sees, im Hintergrund die Berge des Höhgaues; im Vordergrund aber Dorf an Dorf und Schloß an Schloß, alles von Reben und Obst dicht bekränzt. Es war auch eine herliche Beleuchtung, wie ich sie ganz besonders liebe: der Himmel war leicht bewölkt; gerade genug, daß man weder von grellem Licht noch von Hitze belästigt wurde, und doch nicht so stark, daß dustere Schatten auf die lachende Gegend fielen. Alles lag in silbernem Dufte da, kühl, weich und wonnig.

Im Schloße habe ich recht sehr gewünscht, daß Du und mein Junge mit dabei sein möchtest.

Bevor Du nach Deutschland gehstWedekind begann zum Wintersemester 1884/85 ein Jurastudium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München., solltest Du doch wirklich noch einmal zu mir kommen. Für längere Zeit wäre es Dir ja natürlich langweilig, aber | zwei- oder dreimal vierundzwanzig Stunden glaube ich würdest Du Dich mit der „philosophischen Tante“ ganz ordentlich amüsiren, wenn wir nach den vielen schönen Orten der Steiner Nachbarschaft unsere Entdeckungsreise machten. ArenabergÜber die Sammlungen des Schlossmuseums Arenenberg – 1855 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, 1906 dem Kanton Thurgau geschenkt – heißt es noch heute in der Selbstdarstellung: „Das Napoleonmuseum verfügt über eine umfangreiche Sammlung an Gemälden, Möbeln, Kleingegenständen, Geschirr, Graphiken, Autographen und Büchern aus dem Besitz von Kaiserin Joséphine, Königin Hortense sowie Prinz Louis Napoléon.“ [https://napoleonmuseum.tg.ch/de/napoleonmuseum/wissenschaft/sammlungen.html/8837; abgerufen am 13.4.2024] enthält eine ziemliche Anzahl Gemälde der berühmtesten Maler der/s/ ersten Drittels dieses Jahrhunderts; meistens Pa/o/rtraits der Napoleoniden, aber auch zwei große LandschaftenDie beiden Aquarelle von Alexandre Calame hängen im Billard- und im Musiksalon [freundliche Auskunft Christina Egli, Stellvertretende Direktorin des Napoleonmuseums Thurgau (Schloss Arenenberg), email vom 3.7.2024]. von Calame und etwas MytologieSchreibversehen, statt: Mythologie.. Mich intressiren nur die Portraits. Wie predigt da alles die Vergänglichkeit in diesen Räumen; warlichSchreibversehen, statt: wahrlich. das ist auch ein Capitel aus dem großen „Pessimismus-Buch“ der Weltgeschichte dieses Schlößlein am Ufer des Untersees.

Das schönste BildEine aus dem Jahr 1797 stammende Fassung oder Vorstudie des Ölgemäldes „Bonaparte au Pont d’Arcole“ („Bonaparte an der Brücke von Arcole“ bzw. „Napoleon auf der Brücke von Arcole“) von Antoine-Jean Gros [vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bonaparte_an_der_Br%C3%BCcke_von_Arcole]. dünkt mich Napoleon der erste auf der Brücke | von Arkol mit der Fahne in der Hand. Man sieht nichts als den Kopf, alles andere verschwindet vor dem Lichte des Genius, welches der Malerder Historienmaler Antoine-Jean Gros. verstanden hat hier auf die Leinwand zu zaubern. Napoleon ist hier noch ganz jung, noch ganz mager, das bloße Gesicht, mit den dunkel umrandeten, brennenden Augen ist wie aus Elfenbein genittenSchreibversehen, statt: geschnitten.; hier ist noch keiner jener harten Züge wahrzunehmen, die später, als N. stark zu werden anfing die häßlichen Eigenschaften seines Charakters andeuteten; hier ist er eben nur das Welteroberer-Genie. Eigenthümlich ist es, daß die schweisfeuchten Haare, die der Wind in die Stirne bläst dunkelblond gemalt sind. Ist das eine Phantasie des Malers, oder war N. I in der Jugend hell, wie auch sein SohnNapoleon Franz Joseph, legitimer Sohn von Napoleon I mit Marie-Louise von Österreich; 1811-1814 trug er den Titel ‚König von Rom‘ (väterlicherseits), 1814-1817 ‚Prinz von Parma‘ (mütterlicherseits), seit 1818 Herzog von Reichstadt (seitens des Großvaters Kaiser Franz I), zudem vom 22.6. bis 7.7.1815 Napoleon II, Kaiser der Franzosen. Er starb 21-jährig an Tuberkulose., der | Herzog von Reichstadt, blond war, und wie Napoleon der III.Charles-Louis-Napoléon Bonaparte, Neffe Napoleon I., Sohn von dessen Bruder Louis Bonaparte und Hortense des Beauharnais, der Stieftochter Napoleon I.; er wuchs im Schloss Arenenberg auf, war 1848-1852 französischer Staatspräsident und 1852-1870 als Napoleon III. Kaiser der Franzosen. es nach allen Berichten, die ich hörte von Leuten die ihn persönlich gekannt haben, es gewesen sein soll, obgleich er dagegen hier auf einem BildePrinz Louis Napoleon auf Arenenberg, Gemälde von Felix Cottrau aus dem Jahr 1832 [vgl. Hugentobler 1966, Tafel 13 (bei S. 41)]. sehr dunkel, fast schwarz erscheint. Es ist übrigens merkwürdig: auch die Haarfarbe ist der Mode unterworfen; und wenn nun eine Farbe gerade in der Mode ist, so ist auch bei den modischen Malern die Neigung vorhanden die Leute ein bischen dunkler oder ein bischen heller zu malen, je nach dem, um sie dem Mode-Ideal näher zu bringen. In den 30.er Jahren waren die Schwarze „Locken“ – „mild, dicht und weich“ in die Stirne „geweht“ die Mode – und ich glaube, daß Byrons Heldender „Byronic Hero“, ein literarischer Archetyp – Antiheld mit einer von Weltschmerz geprägten pessimistischen Lebenshaltung, zynisch, kulturmüde, lebensüberdrüssig, immoral, narzisstisch –, den der englische Romantiker George Gordon Byron schuf. Über die Haarpracht der literarischen Figuren heißt es in den (übersetzten) Verserzählungen Byrons: „Es wallt ihr bläulich schwarzes Haar / In Locken, wenn’s entfesselt war,“ [Der Giaur. Fragment einer türkischen Erzählung von Byron. Aus dem Englischen übersetzt von Friederike Friedmann. Leipzig 1834, S. 28] oder „Die dunkle Wang’, die Stirne hoch und bleich / Beschatten Locken schwarz und wild und weich.“ [Der Korsar. Eine Erzählung von Lord Byron. Frei übersetzt von Adolf Seubert. Leipzig (um 1875), 1. Gesang, Strophe Nr. 9, S. 13], Giaur, Korsar u.s.w. sehr mitbestimmend für | für diese Mode waren. Auf diesem Bild ist der Prinz Louis (wie man damals den spätern Napoleon III nante) ganz romantisch aufgefaßt: in einer Schnee- Sturm- und Mondschein-Nacht steigt er, den Hut in der Hand, die „schwarzen Locken“ vom „Sturm“ verweht den Schloßberg hinauf, den – natürlich auch schwarzen – schnaubenden Gaul am Zügel führend. – Aus derselben Zeit ungefähr ist ein Bild„Königin Hortense auf Arenenberg“ (Öl auf Leinwand, 162 x 116,5 cm), Gemälde von Felix Cottrau aus dem Jahr 1834 [vgl. Hugentobler 1966, Tafel 14 (bei S. 48); https://www.akg-images.de/archive/Konigin-Hortense-auf-Arenenberg-2UMEBMG6RM8S.html]. der Königin HortenceHortense de Beauharnais, Stieftochter und Schwägerin Napoleon I., Königin von Holland und Mutter von Napoleon III., erwarb 1817 Schloss Arenenberg, wo ihre Söhne aufwuchsen., das sie in Lebensgröße und ganzer Figur am Piano sitzend zeigt. Wenn man einen Sohn hat der im Mondschein mit einem schwarzen GausSchreibversehen, statt: Gauls. herum irrt, so ist man gewöhnlich nicht mehr jung; die Hortence war damals schon sehr „fadet flower(engl.) verblüht.“; das Gesicht etwas scharf und farblos. Deßhalb setzte sie der MalerFelix Cottrau. in die Nähe einer farbigen Glasscheibe, so daß | man das Gesicht jetzt durch den rosigen Lichtstreif hindurch sieht, der von der Scheibe hervorgerufen, schräg durch’s Gemach geht. Das Bild ist ganz für virtuos gemalt, die Lichteffecte, der Atlaß, der Sammt, die Juwelen, alles merkwürdig schön „gemacht“; das ganze Bild aber in der Gesuchtheit der Beleuchtung und der Abgeschmaktheit des Costüms – es soll à la MarieSchreibversehen, statt: Maria. Stuart sein – wirkt widerwertigSchreibversehen, statt: widerwärtig.. Dagegen ist ein anderes Bildvermutlich das Gemälde „Königin Hortense“ von François Pascal Simon Gérard aus dem Jahr 1805 [vgl. Hugentobler 1966, Tafel 1 (beim Titelblatt)]. von ihr, auch ganze Figur, als ganz junge Frau, im sogenant griechischen Gewande der Jahre 1790 – 1810 sehr anmuthig und auch exelentSchreibversehen, statt: excelent. gemalt. Von Winterhalter, dem berühmten Damen-Maler der 50er und 60er Jahre unseres Jahrhunderts, ist ein Portrait der Kaiserin„Kaiserin Eugenie“ von Franz Xaver Winterhalter, entstanden 1861 [vgl. https://commons.wikimedia.org/wiki/Eug%C3%A9nie_de_Montijo?uselang=de]. Eugenie, aus der ersten Zeit ihrer Ehe, da. Es ist schier von hinten aufgenommen, | so daß sie den Kopf etwas wenden muß, damit man nur eben das Profil rein sieht. Wie schön ist sie aber! Ganz weiß, wie eine weiße Rose, nicht mehr Farbe auf der zarten Wange als eine weiße Rose im innersten Kelche hat; das goldige Haar nachläßig in ein paar Locken aufgesteckt, kein Schmuck, als eine Reihe großer Perlen um den marmor weißen Hals – und das alles hingemalt, so leicht, wie nur mit ein paar Pinselzügen auf einem ebenfalls ganz leichten, silberhellen Hintergrund. Ein Bild vom PrinzenEs dürfte sich um das 1874 von Jules Joseph Lefebvre gemalte Portrait „Lulu“ handeln, das Eugene-Louis-Napoleon Bonaparte – nach seiner Proklamation als Napoleon IV. –18-jährig im Gesellschaftsanzug mit Cordon zeigt (aus dem Jahr 1878 stammt ein ganz ähnlich arrangiertes Portrait von ihm).Lulu“, als Jüngling von 19-20 Jahren gemalt, im Gesellschaftsanzug mit dem Cordon der EhrenlegionGroßes Band und Orden der Ehrenlegion; höchste Klasse des von Napoleon Bonaparte 1802 eingeführten französischen Verdienstordens., ist nur ansprechend, d.h. rührend wegen dem TraurigenEugene-Louis-Napoleon Bonaparte starb 23-jährig am 1.6.1879 als Freiwilliger der britischen Armee während des Zulukriegs in Südafrika., was sich an die Erinnerung an diesen Jungen knüpft. Das Bild war noch nicht | da, als ich das letzte mal auf Arenaberg war, und ich war neugierig darauf, weil man mir gesagt hatte, es gleiche dem HermannOlga Plümachers Sohn.. Die Ähnlichkeit ist aber nicht groß; beides sind eben hübsche junge Leute, mit dichtem Haar und feinen Brauen und gutem Gesicht. Der Prinz aber ist feiner in den Zügen, aber hat weniger Festigkeit in Mund und Kinn. – Doch genug nun! Es ist noch so viel ansprechendes und interessantes da zu sehn, daß ich noch manchen Briefbogen damit füllen könnte es zu erwähnen, und vielleicht langweilte Dich das nur – denSchreibversehen, statt: denn. Bilder und Büsten, überhaupt Kunstwerke, kann man ja doch nicht beschreiben. Interessirst Du Dich aber für das hier eingesargtezur Aufbewahrung verschlossene. Stückchen Geschichte, nun so komme eben einmal und sieh’ es Dir an. – Den „TraumVon ihrem philosophischen Traum, den Wedekind in Verse wandeln sollte, schrieb Olga Plümacher erstmals am 20.2.1884. Sie schickte eine Abschrift mit dem nächsten Brief [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 30.6.1884].“ habe ich irgend wie verlegt, will ihn | aber suchen und ihn Dir senden. Must Dir aber ja keine Gewalt anthun: wenn er Dich nicht wirklich lockt ihn in metrische Form zu bringen, so thue es ja nicht, oder benutze ihn nur als Anregung und mache etwas ganz anderes daraus. Mir liegt an der Sache weiter gar nichts dran, als daß es eben ein halbwegs gescheiter Traum war, was nicht gar zu oft vorkommt. Ich glaube Rückert sagt „den Traum magstDas Zitat („den Traum magst Du einen Spiegel nennen, darin kannst Du Dich selbst erkennen“) ist nicht ermittelt. Der Topos war lange bekannt: Der vielgelesene Volksaufklärer Franz Xaver Schmidt schrieb 1860: „So ist also der Traum im Grunde betrachtet ein Spiegel, den dir Gott vorhält, damit du dich selbst erkennen mögest.“ [(Franz Xaver Schmidt-Schwarzenberg:) Quellwasser für das deutsche Volk. Zwickau 1860, S. 51] und der Philosoph Franz Anton Nüsslein fragte auf Immanuel Kant bezugnehmend schon 40 Jahre zuvor: „Ob der Traum ein Spiegel sey, in welchem sich der Mensch selbst erkennen könne?“ [Franz Anton Nüsslein: Grundlinien der allgemeinen Psychologie zum Gebrauche bey Vorlesungen. Mainz 1821, S. 136] Du einen Spiegel nennen, darin kannst Du Dich selbst erkennen – “; wenn das so schlechtweg wahr wäre (wie es Gott lob nicht ist), so wäre ich ein böses wüstes Weib; denn in de im Traum raufe ich mich zuweilen mit den Leuten und habe auch schon Leute umgebracht. Nur in sofern ist der Traum allerdings ein Spiegel, als er | verzerrt repedirtSchreibversehen, statt: repetirt; von repetere (lat.) wiederholen; durch Wiederholung lernen. was einem im Laufe des Tages durch den Kopf geht. So habe ich schon öfters im Traume ein ganz neues phil. System aufgestellt: wenn ich dann aufwachte, und ich mochte mich noch an Einzelnes da davon erinnern, so war es nichts als Bruchstücke der Phil. d. Unb.Eduard von Hartmanns sehr erfolgreiche Schrift „Philosophie des Unbewußten. Versuch einer Weltanschauung“ (Berlin 1869), die 1882 in 9. Auflage erschienen war. Nein, ich halte gar nichts auf dem Träumen, und bin froh, wenn ich des Nachts recht tief in Nirvana„(‚das Erlöschen‘), bei den Buddhisten (und überhaupt in allen auf philosophische Spekulation gegründeten Religionssystemen der Inder) das höchste Ziel des menschlichen Strebens, das nur durch Erlangung der höchsten Erkenntnis und die Loslösung von allem irdischen Begehren erreicht werden kann.“ [Meyers Konversationslexikon. 6. Aufl., Leipzig 1905-1909, Bd. 14, S. 708] versinke.

Adieu nun lieber Franklin! Siehst Du, meine Dinte schlägt auch durchs Papier – es wird eben alles schlecht, billig und auf den Schein heut zu Tage gemacht. – Ja so, jetzt hätte ich Dir noch über NeuhausLesart unsicher; gemeint sein dürfte Neuhausen (heute, Neuhausen am Rheinfall), das von Stein am Rhein 20 Kilometer rheinaufwärts gelegen – wie Arenenberg – ein attraktives Ausflugsziel ist. schreiben sollen – das ist aber ein zu langes Thema, da will ich es auf ein ander mal verschieben. Bleibe gesund und vergnügt und glaube an Dich selbst, und denn: „der Glaube ist es der den Willen beschläußetsagt ParacelsusZitat („der Glaube ist es der den Willen beschläußet“) nach Eduard von Hartmann: „denn wie Paracelsus wunderschön sagt: ‚Der Glaube ist’s, der den Willen beschleusst.‘“ [Eduard von Hartmann: Philosophie des Unbewussten. Versuch einer Weltanschauung. Berlin 1869, S. 138].. – d.h.ab hier im Querformat (um 270 Grad gedreht) am linken Rand fortgesetzt. wer nicht glaubt, daß er etwas tüchtiges werden könne, der will Behalte liebab hier im Hochformat (um 180 Grad gedreht) am Kopf der Seite beendet. Deine alte Tante
O. Plümacher.

Frank Wedekind schrieb am 24. Juni 1884 in Lausanne folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[1. Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 30.6.1884 aus Stein am Rhein:]


Herzlichen Dank für Deinen Brief und für die Photographie.


[2. Hinweis in Frank Wedekind Brief an Minna von Greyerz vom 29.6.1884 aus Lausanne:]


Das Buch von Tante Plümacher hab ich nun richtig erhalten und ihr auch sofort ein Dankesschreiben dafür aufgesetzt.

Olga Plümacher schrieb am 30. Juni 1884 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh den 30. Juni 1884


Mein lieber Franklin!

Herzlichen Dank für Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 24.6.1884. und für die PhotographieWedekind hatte sich vor seiner Abreise nach Lausanne im Fotoatelier Fr. Gysi in Aarau ablichten lassen und 2 Probeabdrucke zur Auswahl erhalten [vgl. Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 10.5.1884; Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 11.5.1884]. In Artur Kutschers Wedekind-Biographie sind zwei Porträts aus dieser Zeit abgedruckt [vgl. Kutscher 1, nach S. 144 und nach S. 160], allerdings keines in der von Plümacher geschilderten Variante ohne Bart mit Zwicker.. Diese kam mir im ersten Moment auch etf etwas fremd vor und ich mußte Dich mir erst zusamenconstruiren. Ich habe Dich eben nur im jugendlich-flaumigen Vollbart vor meinem inneren Auge. So mit geglätteten Wangen bist Du Deinen Jahren angemessener und blickst erheblich fröhlicher in die für Dich hoffentlich noch recht lange frölicheSchreibversehen, statt: fröhliche. Welt hinein. Im Barte sahst Du aus, wie ich mir den jugendlichen FaustGemeint sein dürfte der Titelheld Dr. Heinrich Faust aus Goethes gleichnamigem Drama, der in der Handlung ein Mann in fortgeschrittenem Alter ist., als er noch mit Vatern zusammen lebte, und an den medicinischen Capazitäten des dunklen Ehrenmannes zu zweifeln anfiengveraltete Schreibweise, statt: anfing., vorstellen mußte. Oder auch erinnertest | Du mich an Tristander jugendliche Held der Tristanlegende, dessen Stoff unter anderem im mittelhochdeutschen Versroman „Tristan“ von Gottfried von Straßburg und in der Wagner-Oper „Tristan und Isolde“ (1859) bearbeitet ist., so wie er als 18jähriger Jüngling in Hartmanns TragödieCarl Robert: Tristan und Isolde. Drama in 5 Akten (1866). Gedruckt Berlin 1871. Über seine Motivation schreibt Eduard von Hartmann im Vorwort: „Der Grund, der mich bestimmte, mich an der schon öfter bearbeiteten Tristansage zu versuchen, war der Wunsch, den Stoff einmal von allen unzeitgemäßen Motiven gereinigt vor mir zu sehen.“ [Carl Robert (d.i. Eduard von Hartmann): Dramatische Dichtungen, Berlin 1871, S. 20] erscheint. (Ja so! Du weißt vielleicht gar nicht einmal, daß Hartmann, mein Hartmann, wie ich zum Unterschied von den vielen Hartmännern, die seid Hartmann von AueSchreibversehen, statt: seit Hartmann von Aue; einer der drei bedeutendsten hochmittelalterlichen Schriftsteller – neben dem oben („Tristan“) erwähnten Gottfried von Straßburg und Wolfgang von Eschenbach). geschriftstellert haben sagen muß, in seiner Jugend auch zwei Trauerspieleneben dem oben erwähnten Drama „Tristan und Isolde“ noch „David und Bathseba“; unter dem Pseudonym „Carl Robert“ und mit dem Titel „Dramatische Dichtungen“ versehen veröffentlichte Eduard von Hartmann die beiden Trauerspiele 1871 bei Wilhelm Müller in Berlin [Autopsie: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11014648?page=,1; vgl. Deutsches Zeitgenossen-Lexikon. Hg. von Franz Neubert 1905 (https://wbis.degruyter.com/biographic-document/D573-493-0/images/8)]. „begangen“ hat?) Schade ist es, daß der Nasenklemmer die Wurzelverwachsenheit der Brauen, die „Schicksals-Brauen“, versteckt, die Deinem Gesichte eben das Charakteristische verleihen. Ich weiß wohl, es ist Mode die Leute mit Kneifern oder Brillen zu photographiren, aber ich finde es ganz verkehrt und in den meisten Fällen entstellend. Trotz diesen Ausstellungen ist aber das Bild ganz gut, vor allem bist Du der richtige Wedekind darauf; die | Ähnlichkeit mit Deinen BrüderSchreibversehen, statt: Deinen Brüdern; das waren Armin (Hami), Willy und Donald Wedekind. tritt jetzt in der Bartlosigkeit recht hervor. Sobald ich nach Zürich oder Schaffhausen komme, werde ich eine Rahmestatt: einen Rahmen. kaufen, und Dich DichSchreibversehen, statt: Dich. aufstellen in der Gallerie meiner lieben Leute.

Hier erhältst Du nun den Traumvgl. die Beilage; Olga Plümacher hatte in einem früheren Brief Wedekind vorgeschlagen, diesen Traum zu einem Gedicht zu formen [Olga Plümacher an Wedekind, 20.2.2024] und später die Zusendung ihrer Abschrift angekündigt [Olga Plümacher an Wedekind, 19.4.2024].. Also bitte: thue Dir ja keinen Zwang damit an; wenn er dich nicht anspricht, so wirf ihn einfach fort; oder mache etwas ganz anderes daraus; willst Du ihn aber wirklich metrisch faßen, so preße den Inhalt so knapp zusamen als möglich: je conciserprägnanter. je beßer und um so größer die Möglichkeit, daß ich ihn für Dich bei einem Journal anbringe.

Es interessirt Dich vielleicht zu wissen, daß Hartmann gegenwärtig an einem ästhetischen Werk arbeitet. „Die Aesthetik seidSchreibversehen, statt: seit. Kant“. Bis gegen das Neujahr wird es | wohl heraus kommenEduard von Hartmanns Buch „Die deutsche Aesthetik seit Kant“ erschien als „Erster historisch-kritischer Theil“ seiner zweibändigen „Aesthetik“ erst 1886 in Berlin.. –

Es freut mich sehr zu vernehmen, daß Du im ganzen mit Deinem Aufenthalt in Lausanne zufrieden bist; treibe Dich nur tüchtig unter Menschen aller Art herum und genieße die schöne Gegend, damit Du recht frisch, und körperlich und geistig ausgeruthSchreibversehen, statt: ausgeruht. im Herbste die Universität beziehen kannst. – Verzeihe, daß ich mich heute gegenüber Deinem lieben langen Briefe so knapp faße: aber ich habe gerade viel Arbeit; nota bene(lat.) wohlgemerkt. ganz prosaische Weiberarbeit, die aber eben doch auch pflichtschuldigst abgemacht werden muß.

Grüße Deinen Bruder WillyFrank Wedekind wohnte während seines Lausanner Aufenthalts zusammen mit seinem Bruder Willi bei der Familie des Tierarztes Emile Gros. herzlich von mir und empfange Du selber die herzlichsten Grüße und Wünsche
Deiner Dich liebenden
Tante O. Plümacher.


Von Deiner Mama hatte vorgestern einen langen Brief; sie befindet sich laut demselben nun wieder ganz wohl.

Ich schreibe morgenDie Korrespondenzen sind nicht ermittelt. an sie u. an Minna v. Greyerz.


[Beilage:]


Ein Traum.

1. Ich hatt’ am Tage brafSchreibversehen, statt: brav. studirt und lag zu Bett nun, müd’ doch froh; froh des negativen Resultates des Nachdenkens der Gedanken älterer und neuester Denker. Still wars um mich, still auch in mir, als wäre ich allein in dieser Welt, als wäre ich reiner Geist. Das Nachtlicht brannte mit s/k/leiner Flamme, mein Auge hing des s/S/ehens satt, an meiner grünen Tapette. Dort in der Ecke – das hatte ich früher nie bemerkt – dort zeigte sich ein feiner Strich im Muster, der nicht hinzugehören schien; fest haftete mein AucheAuche: Schreibversehen, statt: Auge. darauf – wie sonderbar, daß ich das früher nie gesehen –. Aber, war das wirklich nur ein Fehler im Tapettenmußter? Himmel – nein! Das war ein Riß – ein Riß nicht in der Tapette, ein Riß im Schleier der MajaDas von Arthur Schopenhauer thematisierte principium individuationis, die Vielfalt der menschlichen Wahrnehmungen der Welt, worauf Olga Plümacher anspielt, verdeckt, der Schleier der Maya, dem unreflektierten Bewusstsein die metaphysische Einheit der Welt, die Welt als Wille. Wer durch einen Riss des Schleiers hindurch sieht, erkennt das principium individuationis, die Welt als Vorstellung. Olga Plümacher schreibt „Wer aber den Schleier der Maja zerrissen, wer weiss, dass er als Individuum nur eine Truggestalt ist, für den giebt es nur eine Schuld, und das ist die Schuld des Absoluten.“ [Olga Plümacher: Der Pessimissmus in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichtliches und Kritisches. Heidelberg 1884, S. 22]!

2. Da erhob sich ein Klang, g erst ein ganz ferner Orgelton, dann stärker und stärker anschwellend, ein Septime-Ackord – und/wie/ von tausend Posaunen gezogen – und der kam mitten aus meinem Herzen. Der Riß im Schleier der Maja wurde breiter, blendendes Licht entströmte ihm, und draus hervor trat eine Luftgestalt. EntzetzenSchreibversehen, statt: Entsetzen. packte mich: jene Luftgestalt war ja ich, das waren ja meine Züge – und doch war es wieder nicht michSchreibversehen, statt: ich. selbst, wie ich mein Bild im Spiegel sah. Das war nicht die alternde Gestalt mit so und so viel Fuß und Zoll, (als wie im Reisepaß zu lesen), und nicht der schäbige schwarze Rock, den eine witzige Freundin einst „die Base von Diogenes MantelDer Philosoph Diogenes von Sinope soll aus freien Stücken das Leben eines Bettlers gelebt und als Kleidungsstück einen Wollmantel besessen haben, auf dem er auch schlief [vgl. Diogenes Laertius von den Leben und den Meinungen berühmter Philosophen. Aus dem Griechischen von D. L. Aug. Borheck. Bd. 1. Wien und Prag 1807, S. 347].“ nante; nein, das war eine Lichtgestalt über die ein Maaß keine Gewalt mehr hatte, und in der Hand hielt einen Spiegel sie, der schimmerte wie tausendfach geschliffener Diamant.

3. Da rafte ich mich auf und frug: wer bist Du? Und die Gestalt erwiderte: Ich bin das Gespenst | der Consequenz; ich bin was still gefürchtet wird, und laut verhöhnt; was immer Du gesucht und nie zu finden doch gewünscht, was Du herbei gezerrt und doch geflohen hast – ich bin das solipsistische IchNach René Descartes (1596-1650) kann sich der Mensch nur seines denkenden Ichs gewiss sein (cogito ergo sum). Das auf sich selbst sich beziehende, auf sich selbst bezogene und auf sich selbst beziehbare Ich ist erkenntniskritisches Thema der Philosophie des Pessimismus (Arthur Schopenhauer, Eduard von Hartmann) und der Ich-Philosophie Max Stirners (1806-1856).!

[„]Doch warum trägst Du meine Züge?“ so stammelte ich, erstaunt, verwirrt von diesem unerwarteten Besuch.

„O dumme Frage“ – lacht nun das Gespenst – „ich trage das Gesicht von „Dir“ und „ihm“ und „ihr“ und „es“, von „ihnen“ und von „euch“ – da in den Spiegel blicke – bin ich noch Du, bist Du noch ich?“

Da streckt den Fliegenaugen gleichen Spiegel mir der St SpuckSchreibversehen, statt: Spuk. entgegen; ein Sturm erhob sich in meinen Sinnen und ein Strom von GesichterGesichtern. ging an mir vorüber; auch das Gespenst erschien in einem Augenblick in tausend Formen; und Eines blieb sich gleich: das Sehnen, das als brausender Septime-Ackord dem Herzen zu entströmen schien. |

4 Da senkt den Spiegel das Gespenst und zu der Frage finde ich den Athem: „wer sind die wechselnden Gestalten?“ Und neckisch tönt es mir zurück: „Es sind was man so obenhin die „lieben Nächsten“ nennt – und was die sind – frag’ Deine Weisheit doch! Du hast’s am Schnürchen ja: Zeit und Raum sind nur die Formen unserer Anschauung und sind principia individuationis(lat.) Prinzip der Individuation (Sonderung eines Allgemeinen in Individuen) der Existenzgrund von Einzelwesen oder Besonderheiten, ein zentrales Thema der Philosophie, das eng mit der Frage verbunden ist, ob es ein Allgemeines wirklich gibt (Universalienstreit)., und das Gesetz der Causalitätauch: Kausalitätsprinzip (jedes Geschehen hat eine Ursache.) gilt nur in uns, im Kreis des Denkens herrschts allein! – was folgt daraus? Wahn sind die Vielen, Trug sind „Du“ und „er“, nur Bilder sind’s, von Deiner Lieb’ getragen, von Deinem Haß gefeßelt. Gefällt’s Dir nicht? Du schauderst, wie? und hast Dich heut doch noch so stolkSchreibversehen, statt: stolz. gewiegt – Kreuzspinnen gleich – in dem GespünnstGespinst, Geflecht, einem Spinnennetz gleich. der Subjectivität!“

5. Gewaltsam faßt ich mich und rief: | „Wohlan, ich geb’ sie hin – doch wer bin ich, so wie ich faße mich in Lust und Leid, und jetzt im Grauen vor Dir – und wer bist Du, verfluchter Spuk?“ Da – wie ein/der/ Sturmwind eine Wolke faßt und wandelt ihre Form, daß sie die selbe ist und ist nicht – so schwankt und flattert das Gespenst in seinen Linien; doch stehts noch Rede mir und spricht: „Du bist nicht was Du scheinst, Du scheinst nicht wie Du bist; Du bist als Sein nur Schein, und bist im Schein nur Sein; Du scheinst durch mich allein, und durch Dein Schein bin ich: ein Sein das scheint.“

„Und hinter Dir, und hinter mir Du falsches Du, Du falsches ich –“ so rufe ich – „was schafft den Schein des Seins?“ „Das ist der Humbug als das Weltprincip!“ – so grinst der Spuck mich an und ich – erwache!

Frank Wedekind schrieb am 1. Dezember 1884 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 21.12.1884 aus Stein am Rhein:]


Beßten Dank für Deinen lieben interessanten Brief.

Olga Plümacher schrieb am 21. Dezember 1884 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh den 21/XII 1884.

Mein lieber Franklin!

Beßten Dank für Deinen lieben interessanten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 1.12.1884.. Es hätte von Deiner Seite durchaus keiner Entschuldigung wegen spätem Schreiben gebraucht. Die Correspondenz mit mir soll Dir durchaus keine Last und keine übernommene Pflicht sein. So sehr mich Deine Briefe freuen, bin ich doch nicht so selbstsüchtig, um solche zu beanspruchen. Fühlst Du Dich angeregt dazu mit mir über Gesehenes, Gehörtes, Gelesenes oder Empfundenes zu plaudern, so ist es mir eine Freude und ein Genuß und kannst du meiner Theilnahme immer gewiß sein; wenn Dich aber das Leben lustig schaukelt auf blauen Wogen des geistigen und ästhetischen Genußes, dann | nimmt’s die philosophische Tante auch nicht schief, wenn Du sie mal für einige Wochen oder Monate vergißest.

Also Du gefällst Dir in MünchenWedekind hatte zum Wintersemester 1884/85 ein Jurastudium an der Münchener Universität aufgenommen. hast viel schönes gesehen und viel interessantes gehört und findest auch Jurisprudentia nicht gar zu ledern. Das freut mich alles herzlich. Dein Fachstudium kann dir in jedem Falle nur nützen, auch wenn Du bestimmt sein solltest in ganz anderem Gebiete dereinst zu schaffen und zu wirken. Gottf. Keller, Conrad Ferd. Meier waren Juristen; so die Philosophen Lasson und v. Kirchmann; nicht minder der geistvolle JournalistFranz von Holtzendorff; Strafrechtler, seit 1872 Professor an der Universität München, Herausgeber juristischer und allgemeinwissenschaftlicher Periodika. v. Holzendorf und der Dichter und Culturhistoriker Felix Dahn – und so noch sehr viele bedeutende Schriftsteller und Dichter. Also nur gedultigSchreibversehen, statt: geduldig. auch das Trockene an dem Fache mit geschluckt – es giebt daneben auch so viel Historisch- und Kulturhistorisches in diesem Gebiete, | das sich auch dichterisch sehr gut verwerthen läßt. – Was Du mir über G. Max schreibst, war mir sehr interessant. Bezüglich des Mädchens mit dem Tod im AugeDas Bild ist nicht ermittelt., hast Du vollständig recht; das ist nicht mehr Kunst, sondern Kunststückchen, das ästhetisch nicht höher steht als jene dreifachen Bilder, die man oft in der Schweiz bei Bauern und kleinen Bürgern in der Stube hängen sieht, und von vorne gesehen den Luther, von links den Calvin, von rechts den Zwingeauch: Zwingel; andere Schreibweisen für Huldrych (Ulrich) Zwingli aus Zürich, dem Begründer der Schweizer Reformation und Wegbereiter des Genfer Reformators Johannes Calvin. Zusammen mit dem Initiator der Reformation Martin Luther sind sie die Namensgeber der drei reformatorischen Kirchen. (oder Kaiser, Bismark und MolkeWilhelm I. von Preußen, seit der Reichsgründung 1871 erster Kaiser des Deutschen Reichs, sein Reichskanzler Otto von Bismarck (zuvor Ministerpräsident in Preußen) und Generalstabschef, ab 1871 Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke. u.s.w.) sehen laßen Du kennst sie gewiß! Ich hoffe, daß es Dir nicht an Gelegenheit fehlen wird noch andere Stücke von R. Wagner zu hören als RienziAm Sonntag, den 30.11.1884, wurde von 18.30 bis gegen 22.30 im Königlichen Hof- und National-Theater München „Rienzi“, Richard Wagners „Große tragische Oper in fünf Aufzügen“ aufgeführt [Neueste Nachrichten und Münchener Anzeiger, Jg. 37, Nrn. 335 u. 336, 30.11.1884, S. 3]. und die MeistersingerRichard Wagners Oper „Die Meistersinger“ wurde am 23.11.1884 im königlichen Hoftheater in München aufgeführt [vgl. Neueste Nachrichten und Münchner Anzeiger, Jg. 37, Nr. 328 u. 329, 23.11.1888, S. 3]., und daß Du dann einen beßern Eindruk von Wagner und seiner Kunst erhalten wirst. Rienzi ist noch kein Drama nach Wagners TheorieRichard Wagner entwickelte seine Ideen von einer ‚neuen, wahren Kunst‘ für die zuvor alles Alte zerstört werden müsse, und von einem ‚Gesamtkunstwerk‘ erst Jahre später in seinen kunsttheoretischen Schriften [vgl. Richard Wagner: „Die Kunst und die Revolution“ (Leipzig 1849), Das Kunstwerk der Zukunft (Leipzig 1850), Oper und Drama (3 Tle., Leipzig 1852)].; im Anfang der 40 Jahre„Rienzi, der letzte der Tribunen“ wurde am 20.10.1842 am Hoftheater Dresden uraufgeführt. | entstanden, ist es noch ganz nach dem Muster und Recept der „grand opera“, wie sie Meierbeer für Paris erfand (in den 30 Jahren) gearbeitetEin Bonmot, Richard Wagners Freund Hans von Bülow zugeschrieben, nennt „Rienzi“ die beste Oper Giacomo Meyerbeers [vgl. Martin Gregor-Dellin: Richard Wagner. München 1982, S. 131] Der gefeierte Komponist der Grand Opera, der Wagner in Paris verschiedentlich finanziell unterstützte, wurde von diesem anfänglich bewundert, später in seinen kritischen Schriften antisemitisch diffamiert [vgl. „Das Judentum in der Musik“ (1850); „Oper und Drama“ (Leipzig 1852)].. Um „Rienzi“ gerecht zu werden, muß man dieses Stück mit Meierbeer’sHugenotten“, „Robert der Teufel“ und „Prophet“, mit Auber’s „Stummen“ und „Halevy’s „Jüdin“ vergleichen. Dann erkennt mannSchreibversehen, statt: man., wie der junge Wagner schon die Alt-Meister überragte. „Tannhäuser“ ist dann das Werk, wo Wagner’s Genius die Form der grand opera sprengt und in „Lohengrin“ hebt er zum ersten mal unbehemmtSchreibversehen, statt: ungehemmt. die Schwingen.

Ich bin fest überzeugt, wenn Du diese Stücke siehst und hörst, dann beginnst Du auch für Wagner zu schwärmen, denn hier ist er eben schon ganz Wagner der Einzige, und doch bewegt er sich noch in solchen Bahnen der Musi musikalischen Form, daß ihn gewöhnliche Ohren, | d.h. das Ohr das nicht vorher schon für seine Werke herangebildet ist, unmittelbar f genießend folgen kann. Von seinen späteren Werken kenne ich leider so gut wie nichts. Bloß noch die Einleitung z. Parsifal – die mich entzückte und die noch immer ganz lebendig in mir lebt. Die Ouvertüre zu den „Meistersinger“ habe ich auch gehört, weiß aber nichts davon, als daß sie verworren, und sehr herbe und hart klang. Sehr viele Leute stoßen sich an den Meists. und an den selben Scenen wie Du. Das Werk ist wohl auch nicht aus einem Guße. Es wurde conceptirt in den 40. Jahren, als es Wagner, nach bösen Jahren, in Dresden anfing wohl zu werden im Frieden bürgerlicher Auskömmlichkeit; dann kam die Revolution (49)Richard Wagner hatte sich im Dresdner Maiaufstand den Aufständischen angeschlossen, wurde seit dem 16.5.1849 steckbrieflich gesucht und floh in die Schweiz nach Zürich, wo er bis 1858 im Exil lebte. und es folgten die künstlerisch so fruchtbaren Jahre des Schweizer|exiles. Aber in diesen Jahren gingen die Wogen der Tragik hoch, und erst als W. amnestirtDurch König Johann von Sachsen erhielt Wagner im August 1860 eine Teilamnestie, 1862 die vollständige Amnestie. war und wieder deutsches Land betrat, wurde rasch die/a/s seidherSchreibversehen, statt: seither. liegen gelaßene humoristische Opus wieder hervorgezogen und nun vollendet. „Tristan u. Isolde“ wirst Du wahrscheinlich auch Gelegenheit haben zu hören; es wird von Vielen über die Niebelungen gestellt und nebst „Parsifal“ als das Schönste was W. geschaffen erklärt. – Wenn Du wieder in die Schack’sche Gemälde-Gall. gehstDie Gemäldesammlung des Grafen Adolf Friedrich Schack befand sich in seinem Palais an der Brienner Straße 19 und war seit 1865 öffentlich zugänglich [vgl. https://www.pinakothek.de/de/sammlung-schack]., so sieh’ doch mir zu liebe nach Bildern von Böcklin um. G. Schack hat nämlich Böcklin sozusagen entdeckt und sehr protegirt1859 vermittelte der Dichter Paul Heyse „den Kontakt zu Arnold Böcklin, von dem Schack zwischen 1863 und 1874 insgesamt 16 Gemälde erwirbt. Er wird damit zum wichtigsten Förderer der noch jungen Karriere dieses Künstlers.“ [(Geschichte) https://www.pinakothek.de/de/sammlung-schack], und wenn Du mir dann wieder einmal schreibst, so sage mir was Du gesehen und s was für einen Eindruck Dir das Geschaute gemacht hattSchreibversehen, statt: hat.. – |

Ich danke Dir und Deinem Bruder ArminFrank und Armin Wedekind studierten im Wintersemester 1884/85 beide in München, Frank Jura, Armin Medizin. herzlich für die freundliche Einladung meines Jungens. Ich sende ihm heute genügend Geld, daß er nach München reisen kann, wenn sein Principal ihm Urlaub geben kann. Ich weis aber noch nicht wie es damit stehen wirdSchon am 10.12.1884 hatte Hermann Plümacher den Freunden absagen müssen, da er von seinem Prinzipal Franz Xaver Steinhauser keinen Urlaub über die Weihnachtszeit erhielt [vgl. Hermann Plümacher an Frank Wedekind, 10.12.1884].. –

Anbei sende Dir ein Büchleinvielleicht der 1884 herausgekommene Roman „Der fahrende Geselle“ (Leipzig 1884) oder der Roman „Vor dem Attentat“ (Dresden 1884), der 1883 schon in der Zeitschrift „Über Land und Meer“ (Deutsche Roman-Bibliothek) erschienen war. von H. Lorm; die Sachen von Lorm, noch mehr als sie einem direct geben, regen sehr wirksam zum Denken an.

Und nun lebe wohl lieber Franklin! Sammle Weisheit und genieße das Schöne in vollen Zügen! Hoffentlich hat/b/en Dir der/ie/ frischen Winde, der/ie/ in München wehen sollen, die SpinnegewebeSchreibversehen, statt: Spinnengewebe. etwas {etwelchen} g ungesunden EmpfindensAnspielung auf die im September 1884 begonnene Liebschaft zwischen Wedekind und der verwitweten Bertha Jahn [vgl. die Korrespondenz]., welche sich in Lenzburg um Dein junges Herz zu legen drohten, radikal fortgemacht. –

Wenn mein Junge zu Euch | kommt, so verführt mir ihn nicht; zeigt ihm nicht gar zu hübsche MünchenerinenSchreibversehen, statt: Münchnerinnen. und schwärmt ihm nicht gar zu schönes vor vom freien Studentenleben, damit ihm, zurückgekehrt, seine Schreibstube nicht gar zu grau vorkommt! Also adieu, u. mögen Dich die Musen und die Gracien – aber die echten, klassischenin der griech. Mythologie sind die neun Musen die Schutzgöttinnen der Künste, und ihre Schwestern, die drei Grazien, Göttinnen des Frohsinns (Euphrosyne), der Jugendlichkeit (Thalia) und des Glanzes (Aglaja)., nicht die mit den Riegelhaubenschöne, junge Frauen; hier wohl in Anlehnung an die berühmte Münchner Schönheit Helene Sedlmayr, deren Porträt in Münchner Bürgertracht und Riegelhaube – einer Frauenhaube aus Leinen mit Gold- und Silberstickerei – zu den ersten 17 Bildern der Schönheitengalerie König Ludwig I. von Bayern gehörte.unter ihren Schutz u. Schirm nehmenRedewendung antiken Ursprungs: sub tuum praesidium (lat.) unter deinen Schutz und Schirm.!

Empfehle mich Deinem Bruder Armin.

Ich verbleibe Deine Dich aufrichtig liebende Tante
O. Plümacher.

Frank Wedekind schrieb am 8. November 1885 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 15.11.1884 aus Stein am Rhein:]


Herzlichen Dank für Deinen lieben interessanten Brief.

Olga Plümacher schrieb am 15. November 1885 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh den 15 Nov. 1885


Mein lieber Franklin!

Herzlichen Dank für Deinen lieben interessanten Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 8.11.1885.. Es freut mich Dich wieder in MünchenFrank Wedekind, der die Semesterferien in Lenzburg verbracht hatte, trat – so seine Absicht – erst zu Semesterbeginn am Montag, 2.11.1885, die Rückreise nach München, wo er für Jura immatrikuliert war, an [vgl. Frank Wedekind an Willi Wedekind, 28.10.1884; Frank Wedekind an Bertha Jahn, 9.11.1884]. zu wissen, wo Du so viel zu hören und zu sehen bekommst, was Dir hoffentlich nicht nur für den Moment des Genußes willkommen ist, sondern auch Deiner geistigen und gemüthlichen Entwickelung zu Gute kommen wird. Herzlich leid thut es e/m/ir aber, daß ich nicht das Vergnügen haben konnte Dich auf der Hinreise begrüßen zu können. Wenn Du nun aber das nächste mal nach der Heimath kommst, dann sollst Du mir nicht entgehen, | und wenn ich mich in RomanshornIn Romanshorn trafen die Schweizer Bahnlinien (Lenzburg) Zürich–Romanshorn (1855 eröffnet) und die über Stein am Rhein führende Bodenseelinie Rorschach–Konstanz (1869 eröffnet) mit der Fährverbindung über den Bodensee nach Lindau (Deutschland) zusammen. Von dort ging es für Wedekind mit der Allgäubahn der Königlich Bayerischen Staats-Eisenbahnen über den Knotenpunkt Buchloe weiter nach München. auf die Lauer stellen müßte und Dich wegschnappen. Als Du nach Berlin München reistest, da war ich noch in Berlin, respective in Groß-Lichterfelde bei Berlin, aber allerdings im Begriff abzureisen. Am 29 Oct. reiste ich dort fort und bin am 1 Nov. hier angekommen, recht erkältet durch die ziemlich unangenehme Heimreise. Bin auch seidherSchreibweise Olga Plümachers, statt: seither. unwohl gewesen von Halsweh und Husten geplagt; doch geht es jetzt wieder ganz ordentlich. Mit meiner Reise bin ich in jeder Beziehung zufrieden. Auf dem Hinweg habe ich mich 2x24 Stunden in Heilbronn aufgehalten und Hermann gesund und frohen | Muthes angetroffen. Am 1 Feb. wird er seiner LehreHermann Plümacher machte in Heilbronn eine Kaufmannslehre bei Franz Xaver Steinhauser, Präsenzgasse 16, 1. Stock [vgl. Adressbuch der Stadt Heilbronn a. Neckar 1885, S. 105]. entlaßen, dann wollen wir sehen was die Welt mit ihm anfangen kann. Ich mußte ihm viel von Dir erzählen; wenn seine Schreibefaulheit ihn auch verhindert sich Dir bemerklich zu machen, so bleibt er Dir doch herzlich ergeben und zugethan. Am ersten Tage regnete es den ganzen Tag Bindfäden, am nächsten Tag aber schien die Sonne und wir fuhren hinaus nach Jagstfelde, Wimpfen im Thal und Wimpfen am Berg. Letztere zwei Orte sind interessant und sehr malerisch anzusehen, aber erschrecklich verkommene, verlotterte Ortschaften – da ist Stein a/Rh noch eine herrliche Stätte moderner Cultur gegen dieses | während des 30.jährigen Krieges1618 bis 1648; Wimpfen mit den Ortsteilen Wimpfen im Thal (um 100 nach Christus als römisches Kastell gegründet) – und Wimpfen am Berg (um 1200 Stauferpfalz und mittelalterlicher Bergstadt) war während des Dreißigjährigen Kriegs wiederholt großen Zerstörungen, Brandschatzungen und Plünderungen ausgesetzt, von denen sich der historische Ort erst durch den aufkommenden Bäder- und Kurbetrieb ab Ende der 1860er Jahre erholte. verstorbenen, und seidher im Verwesungsprocesses befindlichen Wimpfen am Berg. Des Abends setzte ich mich in den Schnellzug und war am folgenden Morgen in Berlin und – nachdem ich den ersten Lokalzug versäumte – um 11 Uhr bei Hartmanns. Diese wohnen in der Villencolonie Groß-Lichterfeldeauch Carstenn’sche Villenkolonie genannt; eine der ersten Villenkolonien im Deutschen Reich, enstanden ab 1860 nach dem Vorbild britischer Villenviertel. Eduard von Hartmann wohnte in Großlichterfelde, Marienstraße 7a. in einer hübschen aber durchaus nicht luxuriösen Villa, die sie im Spätsommer gekauft haben, auf behaglichen aber nicht herrschaftlichem Fuße. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen und es ist mir grundwohl bei ihnen gewesen, so wohl, daß ich mich immer erst plagen und necken laßen mußte, bis ich mich et entschloß nach Berlin zu gehen, um etwas zu sehen oder zu hören, | Eines war freilich ein Dämpfer auf mein Vergnügen das ich empfand bei meinem lieben Philosophen zu sein: nämlich die Wahrnehmung, daß dieser in den 5 Jahren, wo ich ihn nicht gesehen hatte, um 10 Jahre gealtert war. Geistig und gemüthlich natürlich ganz unverändert und im Besitze einer gerade zu erstaunlichen Arbeitskraft, ist er körperlich doch sehr herunter gekommen; er hat sich von den Folgen der schlimmen OperationEin Sturz, durch den seine schon in jungen Jahren gequetschte Kniescheibe erneut in Miteidenschaft gezogen war, hatte Eduard von Hartmann dazu veranlasst, sich drei – letztlich erfolglosen – Operationen zu unterziehen; er konnte schließlich nur noch liegend arbeiten [vgl. Wilfried Hartmann: Hartmann Eduard von, in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 738 (http://www.deutsche-biographie.de/.html)]., der er sich vor 2 Jahren zu unterziehen hatte, doch nie mehr ganz erholt; er ist eben ein vorzeitig gealterter und kranker Mann, der sein relatives Behaglichfühlen und seine Arbeitsfähigkeit nur bei der größten Sorgfalt und mit Verzicht auf fast allen Lebens|genuß erhalten kann. Die Tagesordnung ist die regelmäßigste und gleichförmigste, und da eine solche, wo sie, wie wie hier gehoben wird durch vollste ungestörteste Heiterkeit und erleuchtet durch Humor und geiste/i/ge Anregungen verschiedener Art, gerade meinen Wünschen und Neigungen entspricht, so war es mir bei ihm so wohl wie einem Engelein beim lieben Gott: so wunschlos und so ohne alles BegerenSchreibversehen, statt: Begehren., ohne alles Fürchten und ohne alle Sorgen lebte ich die Stunden und Tage dahin. Frau v. H.Bald nach dem frühen Tod seiner ersten Ehefrau hatte Eduard von Hartmann die Großkaufmannstochter, Oberlehrerin und philosophische Schriftstellerin Alma Lorenz aus Bremen geheiratet (4.11.1878). ist ein reizendes Weib, die mir mit herzlicher Offenheit entgegen kam und mit der ich mich auf’s beste verstand.

Daß ich da gar kein Verlangen nach den Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt empfand wird Dir begreiflich | sein. Hartmann geht nirgends mehr hin, zuweilen für ein paar Stunden in’s FreiSchreibversehen, statt: Freie. in seinem Rollwagen, das ist alles – so sind wir denSchreibversehen, statt: denn. auch einmal 2 ½ Stunden zusamen herum gezogen und haben die zum Theil höchst verwunderlichen Bauten besehen die jetzt „stilvoll“ errichtet werden. Da gibt es Villen die einer pappendeckligen Ritterburg ähnlich sehen, andere einer indischen Pagode, wieder andere einer Begräbnißkirche im romanischen Bogenstil u.s.w. u.s.w. Dazwischen hinein auch wieder viel hübsches und klug ausgedachtes, besonders solche bescheidenere Gebäude, die eben nichts anderes sein scheinen wollen als was sie sind: ein behagliches Heim für den wohlhabenden Mittelstand. – | Mit Frau v. H. war ich ein paar Mal in der Stadt und habe das Kunstgewerbe-MuseumÜber das Museum – heute unter dem Namen Martin-Gropius-Bau bekannt – heißt es im Anhang II („Statistik und Sehenswürdigkeiten von Berlin“) des Berliner Adreßbuchs: „Das Kunst-Gewerbe-Museum, Königgrätzerstr. 120. Die Sammlung ist in 36 Sälen aufgestellt und täglich, Montags ausgenommen, von 10-3 Uhr, Sonntags von 12-3 Uhr geöffnet. Das Museum umfaßt bedeutende Sammlungen von Möbeln u. Holzarbeiten, Stickereien und Webereien, Metallarbeiten, Erzeugnissen der Keramik, Gläsern etc. und von Gipsabgüssen, sowie eine aus 26 Klassen bestehende Unterrichts-Anstalt und eine täglich von 10-3 Uhr u. außerdem Montags, Dienstags, Freitags, Sonnabends von 7 ½ bis 9 ½ Uhr geöffnete kunstgewerbliche Bibliothek. 1867 wurde das Museum von einem Verein gegründet.“ [Adreßbuch für Berlin, Anhang II, S. 160] und die National-GallerieDie Beschreibung des Museumsbaus und der Sammlung lautet: „Die National-Galerie auf dem Platze am Neuen Museum, nach Stüler’s Entwurf von Erbsam und Strack ausgeführt 1867-1876. Das in Form eines griechischen Tempels korinthischer Ordnung aufgeführte Gebäude bildet ein Rechteck von 60,3 Mtr. Länge bei 32, 17 Mtr. Breite mit 3 Stockwerken von 20,19 Mtr. Höhe. Es enthält 40 kleinere und 3 große Oberlichtsälte; das Material besteht aus Nebra-Sachstein. Schwarze und rothe Marmorsäulen mit goldbronzenen Capitälen, reich dekorirte Decken und Fußböden schmücken das Innere des Prachtbaues. / [...] Die Galerie umfaßt außer der ehemals Konsul Wagener’schen Sammlung nur Werke der deutschen Kunst unseres Jahrhunderts (Gemälde, Skulpturen, Kartons, Zeichnungen) und zwar sind die Hauptmeister desselben fast sämmtlich mehr oder minder reich vertreten. / Die Abtheilung der Kartons enthält die Kartons von Cornelius für die Wandgemälde in der Glyptothek in der Ludwigskirche in München, sowie die nicht ausgeführten zum Campo santo in Berlin.“ [Adreßbuch für Berlin, Anhang II, S. 160] besucht. Nach dem Kunstge. M. gingen wir um die Schliemann’schen FundeDer Archäologe Heinrich Schliemann, der seit 1868 auf der Suche nach den Orten und Personen der Homerischen Dichtungen in Griechenland und dem osmanischen Reich Grabungen unternahm, schenkte seine als Sammlung „trojanischer Alterthümer“ bezeichneten Funde 1881 dem deutschen Volk. zu sehen: da waren sie bereits eingepackt, um nach dem nächsten Monat zu eröffnenden Ethetnologischen Ethnologischen-MuseumÜber die vor der Eröffnung stehende staatliche Sehenswürdigkeit heißt es: „Museum für Völkerkunde, Königgrätzerstr. 120, erbaut in den Jahren 1881-1884 durch den Baurath Ende und den Bau-Inspektor Klutmann. Dasselbe enthält in den Sälen des Erdgeschosses die praehistorische anthropologische und die Schliemann’schen Sammlungen. Im ersten, zweiten und dritten Stockwerk befinden sich die ethnographischen Sammlungen. Eingangsvestibül in dem Rundbau an der Ecker der Königgrätzer- u. Berl. Zimmerstraße, darüber ein großes Auditorium und die Bibliothek. / Die Eröffnung des Museums wird im Frühjahr dieses Jahres erfolgen.“ [Adreßbuch für Berlin, Anhang II, S. 160] überführt zu werden. In der N. Gallerie sah ich ein Bild von Gabriel Maxeinen Christus als JünglingDas 1884 in München entstandene Bild „Christus heilt ein krankes Kind“ von dem erfolgreichen Historienmaler Gabriel von Max, das die Nationalgalerie Berlin erworben hatte, ist seit 1945 verschollen., den ein Weib zu sich heranruft, die auf einem Prellstein sitzend einen kranken Knaben im Schoose hält. Beim ersten Blick auf das Bild erkannte ich dessen Meister, so gut hattest Du und Prof. Hipenmaiervermutlich der Möbelschreiner und Bildhauer Julius Hippenmeier von Gottlieben, der von 1884 bis 1913 an der Gewerbeschule in Zürich Fachzeichnen unterrichtete und im Vorort Riesbach in der Florastraße 30 wohnte [vgl. Geschäftsbericht der Zentralschulpflege 1913-1914, S. 95; Adreßbuch der Stadt Zürich für 1885, Abt. 1, S. 125; Abt. III, S. 30]. mir seine Malweise, resp. die Eigenthümlichkeit seines Colorites beschrieben. Es ist ein feßelndes | Bild, das man wohl möchte in seinem Zimmer hängen haben. Das Mitleid in dem Gesichte Jesu, das Vertrauen in dem des Weibes und besonders das gedultige, reflexionslos-seg resignirte Leid ein/des/ kleinen Dulders sind schön und rührend dargestellt.

Auch einen großen „Böcklin“ haben sich die Berliner unlängst angeschaft für schweres GeldFür 12.000 Mark war das mit „A. BÖCKLIN 1878“ signierte Originalgemälde „Gefilde der Seligen“, Stilrichtung Symbolismus, von der Direktion der Nationalgalerie Berlin bestellt und angekauft worden [vgl. Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jg. 115, Nr. 325, 21.11.1878, S. 4799]; das Original ist verschollen [vgl. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/HJX4LAPSWAG3YUGJEQV2ILQ6PEFQOHMK, abgerufen: 15.7.2024].; „Die Gefilde der Seligen.“ Ein sehr schön eingedämmter, schön gerader Kanal fließt zwischen schön grasgrünen Dämmen dahin. Auf ihm schimmenSchreibversehen, statt: schwimmen zwei Schwäne; ein paar heitere, mit etwas rother und violeter Gazée bekleidete Weiblein wollen ein Spazierritt auf einem gutmüthigen ZentauerSchreibversehen, statt: Zentaur; in der griech. Mythologie ein Mischwesen, halb Mensch (Oberkörper mit Kopf), halb Pferd (Rumpf mit den vier Beinen). unternehmen. Die Besteigung findet auf der linken Seite des Bildes statt. | Auf der andern Seite des Kanales stehen einige Bäume, darunter einige Pappeln (wofür B. eine Vorliebe zu haben scheint) und einige menschliche Figuren – durch die Entfernung ganz klein – stehen um einen Altar. Da mit dem besten Willen an dem großen Geschmiere als Composition nichts zu rühmen ist, so meinen die Berliner: die Schwäne seien eigentlich doch recht schön weiß; und das Wasser, das sei doch eigentlich recht schön blau, und auch so eigenthümlich mettalisch – wirklich, eigentlich doch recht genial! Nun ja! Das Bild hat über 10,000 M. gekostet, da ist es doch gut, daß doch etwas daran zu rühmen ist! – Und dann war ich in der Oper und hörte die Walküre mit dem Niemann als | Sigmund, der Sachse-Hofmeister als Sigellinde und der LeemannIn der Presse wurde die letzte Vorstellung Lilli Lehmanns für Montag, den 19.10.1885 angekündigt: „Fräulein Lehmann nimmt nächsten Montag als Brünhilde von uns Abschied, um zunächst in England zu konzertiren und dann in Amerika ihr Bühnengastspiel zu absolviren.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 14, Nr. 528, 18.10.1885, Morgen-Ausgabe, 1. Beiblatt, S. 4] als Brunhild. Ich hatte natürlich nicht viel an der Aufführung auszusetzen, daß ich überhaupt etwas hatte, war mir selber verwunderlich; eigentlich sollte so eine Kleinstädterin mehr „hin“ sein, wenn sie in Berlin in der Oper ist, noch dazu bei höchsten Preisen, wo die ersten Kräfte wirken. Natürlich treffen meine Aussetzungen auch nicht die Sänger, sondern nur das Walküren-EnsambleSchreibversehen, statt: Ensemble. und einiges Scenisches; die beiden Damen sangen mit per/ra/chtvollen Stimmen (die Sachse-Hofmeister hat einen himmlischen hohen Sopran) ihre Rollen in der Perfexion/ctio/n, und auch NiemanSchreibversehen, statt: Niemann. sang gut, obgleich er mit seiner Stimme bereits | abgewirthschaftet hat, und sich immer erst zum Singen durch Brüllen vorbereiten müße. Die Decorationen waren sehr schön, nur den „Granedas Pferd Brünhildes in Richard Wagners Oper „Walküre; angelehnt an den Schimmel „Grani“ aus der nordischen Mythologie, der Siegfried, den Drachentöter, auf seinen Abenteuern begleitet.“ hätte man weglaßen sollen – er hat nichts dabei zu thun, und er stört nur – man glaubt nicht daran, daß er ein Götterroß ist, wenn er dreimal so herzhaft gähnt, wie er an dem Abend gethan.

Von bekannten Leuten habe ich Lasson Der Philosoph und Gymnasiallehrer Adolf Lasson war seit 1877 Privatdozent der Philosophie an der Universität Berlin.und Otto Pfleiderer gesehen; dieser war einmal Sonntags zum Thee bei uns mit seiner FrauDer Philosoph und Theologe Otto Pfleiderer, seit 1870/71 Professor an der Universität Jena, seit 1874 an der Humboldt-Universität in Berlin, hatte 1868 seine zweite Frau, Marie Kornbeck, geheiratet.. Baron Goeler von Ravensburg, Privatdocent der Kunstgeschichte und u/U/nter-Director der National-Gallerie wünscht erst noch ein berühmter Mann zu werden, ist aber nach Hartmanns Meinung zu faul dazu. Dieser ist ein | großer Bewunderer von Hartmann als Mensch; seine Werke zu lesen findet er gewöhnlich keine Zeit, und meint auch es friere ihn dabei; H. sei ihm in seinen Büchern, nicht im persönlichen Verkehr, zu frostig. Und dann habe ich einen Dichter, einen echten Dichter von p/Pr/ofession gesehen: den Oskar Lincke. Kennst du etwas von ihm? Wenn nicht, so verschaffe Dir einmal seine „Versuchungen des heiligen AntoniusOskar Linkes Dichtung „Versuchung des heiligen Antonius“ (Minden 1885), das den gleichen Titel trägt wie das Triptychon von Hieronymus Bosch, das wiederum des Kirchenhistorikers Athanasius Legendenerzählung über Antonius, den Großen, zum Vorbild hatte. Andere berühmte literarische Bearbeitungen des Themas finden sich in E.T.A. Hoffmanns „Die Elixire des Teufels“ (1815/16) und in Gustave Flauberts Roman „La tentation de Saint Antoine“ (1874) und der hier erwähnten Bildergeschichte Wilhelm Buschs.. Man kennt diese letztern gemeinlich hinveraltet: gemeiniglich; modern: gemeinhin. nur als von Busch „gedichtet“. Hier ist’s natürlich ein Bischen anders, aber wirklich sehr des Lesens werth, wenn es mir auch (für einen Dichter ersten Ranges denSchreibversehen, statt: der. er sein möchte) etwas an der Höhe und der Tiefe zu fehlen | scheint. Reizend sind auch seine KinderliederGemeint sein dürfte Oscar Linkes Gedichtsammlung „Blumen des Lebens. Fünf Bücher Gedichte“ (240 S.; Berlin 1876). Separatdrucke von zweimal 2 Gedichten („Lied“, „An ***“, „Dein blaues Auge“ und „Die Hoffnung“) erschienen noch im selben Jahr [vgl. „Deutsche Romanbibliothek zu Über Land und Meer“, Jg. 4, Bd. 2 (Juli – Dez.), Nr. 35, 1876, S. 797; Nr. 39, 1876, S. 894]., obwohl er einem den Eindruck macht, als ob er gar kein Aug für Kinder haben sollte. Er soll sich sehr vor Damen, besonders vor jungen fürchten, und die „höhere“ Liebe noch nicht practisch kennen. Er trank bei uns den Thee und war recht stockig und absprechend, sprach ziemlich viel und hörte nur auf Herrn von H.; Frau v. H. war kaum, ich gar nicht für ihn vorhanden, so daß wir ganz stumm dasaßen, was unsern Strickstrümpfen zu gute kam, uns aber nicht sehr für ihn einnamSchreibversehen, statt: einnahm.. Frau v. H. meinte, sie möge ihn nur, weil er ihren Mann so bewundere (er liest aber seine eigentlich phil. Werke nicht), sonst aber müße sie immer wieder von Zeit zu Zeit eines seiner lieblichen Kinderlieder lesen, um ihm nicht gram zu werden. |

Doch nun zu Dir! Zu Dir Du nicht-Damen- und nicht Liebe-scheuer Dichter-Practikant-der Unsterblichkeit! Das sind mir schöne Geschichten Wedekinds Affäre mit der Apothekerwitwe Berta Jahn in Lenzburg [vgl. Wedekinds Korrespondenz mit ihr].was Du mir da schreibst! Ein Uebel wird kaum mit einem schlimmern Uebel geheilt. Du must die Frau sanft und mit möglichster Schonung aus ihrem unseligen und unsinnigen Dusel aufwecken. Lange kann das ja nicht gehen und eine solche Comödie ist Deiner unwürdig und thut ihr doch nur HarmKummer; Schmerz.. Sie soll lernen sich an Deiner Freundschaft genügen zu lassen auf mehr hat sie keinen Anspruch. Die Unlust, welche Dir aber die Lösung dieses unnatürlichen Verhältnißes verursacht (je größer diese Unlust ist um so mehr macht es Dir Ehre) die sollst Du gedultig auf Dich nehmen | als eine noch immer viel zu gelinde Strafe und Buße Deines Antheiles an dem Wahnsinn. Als ich die gute alte Tante diesen Herbst sah, da dachte ich: nun Gott sei Dank, jetzt nach dem die arme Frau den SchlaganfallBertha Jahn hatte einen ersten Schlaganfall etwa Anfang Juli 1884 [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 24.7.1884]. Die erotische Beziehung zwischen ihr und Frank Wedekind begann erst 2 Monate später. – Von einem weiteren Schlaganfall 1885 ist nichts bekannt. gehabt, jetzt wird F. nichts mehr von anakronistischen Gefühlen zu fürchten haben. Ich dachte eben nur an Dich, nur an Dein Empfinden, war zufrieden Dich wieder Befreit aus dieser Phantasieverirrung zu wissen. Daß sie Dir den Rückzug in die Position der Freundschaft erschweren könnte dachte ich nicht. Und nun doch! Die Ärmste! Die Sache wäre lächerlich, wenn es nicht so traurig wäre, und traurig, recht herzlich traurig ist es, wenn so ein unbegertes und darum aufgespartes | Liebesvermögen so entschieden verspätet auftreten muß, sich und andern zur Last, wo es zur richtigen Zeit und an das richtige Object gewendet hätte so beglückend sein können – wo bleibt da die Weisheit des Unbewußten? Ohne Zweifel nur in der Unlust die dadurch geschaffen wird. Du wirst nun wohl auch nicht mehr so kühn mit dem Feuer unter der Asche spielen und sie – ? Jedenfalls must Du die Sache auf vernünftigen Grund zurük stellen. Dichte sie an, laß Dich andichten – vorläufig! – schwör ihr ewig Freundschaft, mache S/s/ie zur Vertrauten deines Herzens – aber gestehe ihr so bald als möglich, daß Du für eine schöne 17jährige Münchnerin in Flammen stehest. Es wird ihr weh’ thun, | aber es ist vernünftig, und alles Gute ist dies letzten Endes nur deswegen, weil es vernünftig ist.

So mein lieber Franklin, nun habe ich geredet wie ein Beichtvater, nicht wahr? und einem solchen nimmt man es nicht übel, wenn er schon sagt, was einem nicht gefällt; also nimm’ es mir auch nicht übel, und sei versichert, daß es herzlich gut gemeint ist, und auch ganz ernsthaft empfunden, wenn auch leicht hin ausgedrückt.

Im/n/ den zwanziger Tagen dieses Monates gehe ich für einige Tage nach Zürich; da sehe ich wahrscheinlich auch Deine liebe Mama.

In Zürich soll auch die Walküre dran kommen diesen WinterSo lautete eine kurz zuvor bekannt gemachte Pressemeldung: „Wagners ‚Walküre‘ soll im Dezember im Aktientheater zur Aufführung kommen. Es werden dafür ganz neue Koulissen nach dem Muster der deutschen Bühnen erstellt.“ [Züricherische Freitagszeitung, Jg. 212, Nr. 44, 30.10.1885, S. (2)].

Na, das wird werden! |

Doch nun adieu lieber Franklin, studire fleißig was Du sollstdie Rechtswissenschaften. und fleißig was Du magstPhilosophie, Literatur und das kulturelle Angebot der Großstadt., dann wirst Du nicht umsonst in München gewesen sein. Nicht nur lachen und gähnen, auch küßen kannst Du nun ungenirter, seiddem Du Dich der Verschönerungsoperationnicht ermittelt; möglicherweise im Zusammenhang mit den kariösen Zähnen stehend [vgl. Friedrich Wilhelm Wedekind an Frank Wedekind, 31.12.1885]. unterzogen hast. Mache doch darauf ein Gedicht, poetische Ungezogenheiten sind ja jetzt Mode – der Oskar Lincke exellirt Schreibversehen, statt: excellirt (sich hervortun).auch darin.

Ich verbleibe mit vielen herzlichen Grüßen Deine
Dich liebende Tante
O. Pl. |


N.S. Wenn Du mir eine Gefälligkeit erweisen willst, so gehe doch gelegentlich zum Redacteur (resp. Herausgeber) der „Gesellschaft“, und frage ihn in meinem Namen an, wann der Aufsatz Vermutlich handelt es sich um Olga Plümachers Aufsatz „Das Verhältnis von Tugend und Glück in seiner geschichtlichen Entwicklung“, der in 2 Teilen im Juli- und Augustheft 1886 in der Monatsschrift „Die Gesellschaft“ (Bd. 2, 1886, S. 31–34 u. S. 111-114) erschien.Ethik u. Glückseligkeit“ von O. Plümacher, eingereicht durch E. von Hartmann zum Abdruck kommen werde; derselbe liegt nun schon etwa 10 Wochen dort.

Ferner würdest Du mich verbinden, wenn Du mir die AdresseDer Adresseintrag der Zeitung lautet vollständig: „Humoristische Blätter. Redakt. u. Verlag Gg. Schuh u. Comp., für den Inseratentheil M. A. Sauer. Expedition Windenmacherstr. 5, Redaktion Isarthorplatz 1b“. Die Wohnung befand sich im 1. Stock. [Adreßbuch für München 1886, Tl. III, S. 86] der „humoristischen Münchener Blätter“ mittheilen wolltest, wozu eine Postkarte genügt.

Frank Wedekind schrieb am 22. Dezember 1885 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Postkarte an Frank Wedekind vom 1.1.1886 aus Oehningen:]


Beßten Dank für Deinen lieben interessanten Brief und für die schönen und interessanten Photographien.

Olga Plümacher schrieb am 1. Januar 1886 in Öhningen folgende Postkarte
an Frank Wedekind

DEUTSCHE REICHSPOST.
POSTKARTE.


An
Herrn Franklin Wedekind stud. jur.
in München.
Schellingstraße 27.III. |


Lieber Franklin! Beßten Dank für Deinen lieben langen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 22.12.1885. und für die schönen und interessanten PhotographienEs dürfte sich um Fotografien von Gemälden handeln. Frank Wedekind hatte seinen Eltern berichtet, dass er sein „Bude“ durch „einige Photographien nach alten Meistern“ veredelt habe [Frank Wedekind an Emilie und Friedrich Wilhelm Wedekind, 21.12.1885].. Dieselben machen mir großes Vergnügen; es war noch niemand so vernünftig mir Photographien zu schenken, die doch eine Quelle viel dauerndern Vergnügens sind als manch anderer Schnick-schnack, den man wohl etwa geschenkt bekömmt. Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute und Wünschenswerthe aufs neue Jahr, vor allem gute Gesundheit und reichen geistigen Gewinn in beiden Gebieten Deines Studiums: dem der Pflichtdas Jurastudium. u. dem der Neigungdas Literatur- und Philosophiestudium.. Seid SamstagSchreibversehen, statt: Seit Samstag – das war der 19.12.1885. vor Weihnachten ist Hermann hiervermutlich in Stein am Rhein, dem Wohnort Olga Plümachers; der Ort Öhningen, wo die Postkarte abgestempelt ist, liegt am Untersee (Bodensee) auf der gegenüberliegenden Uferseite von Stein am Rhein., aber leider unwohl; ein zu lange nicht beachteter Husten ist bösartig geworden und erfordert nun längere Pflege u. Schonung. Nach Neujahr schreiben wir Dir zusammen eine lange Epistel; für heute auch von ihm nur eben viele herzliche Grüße u. GlückswünscheSchreibversehen, statt: Glückwünsche; gemeint sind Glückwünsche zum Neuen Jahr.. Mit der KatzengeschichteWedekind bemühte sich um die Publikation der offenbar von Olga Plümacher stammenden Geschichte [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 2.5.1886]. handle nach Gutdünken. Wenn Du sie gelegentlich anbringst ist’s Recht, sonst schadet es auch nichts. Ich verbleibe Deine Dich liebende Tante O. Pl.

Olga Plümacher schrieb am 8. März 1886 in Stein am Rhein folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Postkarte
Carte postale. Cartolina.


Herrn Franklin Wedekind
stud. jur.
München.
Schellingstraße 27. |


Mein lieber Franklin!

So viel mir bekannt beginnen nächstens die Osterferien. Für den Fall, daß Du nach Hause reisest hoffe ich, daß Du bei mir einkehrst. Ich habe es lebhaft bedauert, daß ich letzten Herbst durch die Fortdauer meiner AbwesenheitOlga Plümacher hatte im Herbst 1885 für einige Zeit den befreundeten Philosophen Eduard von Hartmann und dessen Frau Alma in Groß-Lichterfelde bei Berlin besucht [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 15.11.1885]. von Hause Deinen Besuch verlor. Nun ist auch Hermann hier der eben so erfreut sein würde Dich bei uns zu seinSchreibversehen, statt: sehen.. Der arme Junge leidet sehr durch die Gefangenschaft und die Weltabgeschiedenheit zu der ihn seine Krankheit Über den Beginn der Erkrankung schreibt Olga Plümacher zum Jahreswechsel [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 1.1.1886].verurtheilt. Sobald der Lenz seinen Einzug hält soll er nach Gersau; jetzt aber regirt der Winter noch und wir vegitirenSchreibversehen, statt: vegetiren; – ab hier am linken Rand senkrecht zur Schreibrichtung fortgesetzt (über den Brieftext geschrieben). im Ofenwinkel. Komme zu uns und bringe Heiterkeit und geistige Anregung mit Dir. Mit herzlichem Gruß
O. Plümacher.

Frank Wedekind schrieb am 3. April 1886 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 2.5.1886 aus Stein am Rhein:]


[...] beßten Dank für Deinen Brief vom III. April.

Olga Plümacher schrieb am 2. Mai 1886 in Stein am Rhein folgenden Brief
an Frank Wedekind

Stein a/Rh d. 2 Mai 1886.


Mein lieber Franklin!

Empfange meinen beßten Dank für Deinen Brief vom III. Aprilnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 3.4.1886.. Es freut mich daraus zu vernehmen, daß Du wohl bist und ein reges inneres Leben führst, viel aufnehmend und verarbeitend. Ebenso freut es mich, daß Du noch längerFrank Wedekind hatte seinen Vater darum gebeten, das Sommersemester 1886 noch in München studieren zu dürfen [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Wilhelm Wedekind 26.3.1886]. in München bleiben kannst, wo Dir so viel Kunstgenüße zu theil werden.

Was nun Deine tragisch-komische PosseFrank Wedekind beendete die erste Fassung seiner tragisch-komischen Posse „Der Schnellmaler“ am Karfreitag (23.4.)1886. betrifft, so wünsche ich dieser bucklichen Gracie (denn eineSchreibversehen, statt: ein. solches Gebilde dünkt mich eine tragisch angehauchte Posse) alles | Gute auf ihren Lebensweg. Möge sie Gnade finden vor den Augen eines Schauspielintendanten oder Directors und vor das Publikum gelangen. Hast Du nur einigen Erfolg damit, d.h. wenn sie nur überhaupt aufgeführt wird, nicht ausgezischt wird und so viel Honorar einträgt, daß es Dir das Papier und die bei deren Unterbringung ausgelegten Porto-Unkosten und abgelaufenen StiefelsolenSchreibversehen, statt: Stiefelsohlen. zahlt, so brauchst Du gar nicht so ängstlich die Anonymität der Autorschaft zu wahren. Denn wenn man eine wirkliche witzige Posse zu schreiben vermag, so ist das ein Zeichen, daß man ein ganz gescheiter Bursch ist, und wohl das Zeug dazu besitzt auch | auchSchreibversehen, statt: auch |. auf einem andern Felde seinen Gaulscherzhaft für Pegasus, das auch als Dichterross bezeichnete geflügelte Pferd der griech. Mythologie. zu tummeln. Was nun Deine Eigenthümlichkeit betrifft, daß aus den als Novellen geplantenvielleicht die beiden im Sommer 1885 begonnenen, nicht namentlich genannten Novellenfragmente [vgl. Wedekind an Bertha Jahn, 5.9.1885] „Der Kuss“ [KSA 5/I, S. 314-319; zu den Fassungen S. 451-461] und „Trudi“ [KSA 5/I, S. 320-326; zu den Fassungen S. 786-795] sowie die wohl 1886 entstandene Novelle „Fanny“ [KSA 5/I, S. 14-19; zur Identifizierung der 3 Novellen vgl. KSA 5/I, S. 594f.]. Geschichten Romane (dem Umfang nach) werden, so ist das eben eine Wirkung der zu ungebändigten jugendlichen Sprudelkraft des Geistes: es will alles was in Kopf und Herz gärt mit einem mal heraus strömen in die eine Form, die dann, dafür sich zu rege erweist, und auseinander getrieben wird. Dazu kommt vielleicht noch ein Anderes. Kannst Du, wenn Du die Hand auf’s Herz legst, mit gutem literarischen Gewissen sagen: „ich weiß den Unterschied zwischen demjenigen, | was ein richtiger Romanstoff, und demjenigen was ein Novellenstoff charakterisirt; ich weiß ganz genau den Unterschied zwischen Roman u. Novelle, so daß auch meine längste Novelle kein Roman, mein kürzester Roman keine Novelle wird?/!/ Kannst Du so sagen? Vielleicht nicht; es giebt sehr gute, und sehr beliebte Schriftsteller, die es nicht können. InsbesondersSchreibversehen, statt: Insbesondere. Frauen können keine Novellen schreiben, und die meisten englischen „Novells“ sind richtige Romane. Dagegen werden in Amerika für die feinern „Periodicals“ reizende, ganz knapp gehaltene Novellen geschrieben. Ich vermuthe es | hängt etwas von der Nationalität ab, ob es einem fabulirenden Geiste näher liegt eine Novelle oder einen Roman zu produciren. Hast Du Freude an Deinem Stoff, so lasse ihn ja nicht deßwegen liegen weil er Dir die Novellenform gespregtSchreibversehen, statt: gesprengt. hat. Schreibe einen (im Detail nur flüchtig ausgearbeiteten) Roman; und dann wenn dieser (aus dem Groben, im Rohguß) fertig ist, dann concentrire und destilire ihn im Geiste zur Novelle – wenn‘s geht. In sehr vielen Fällen gehts; in vielen Fällen aber wird der Roman den Stoff zu verschiedenen Novellen bieten. Will beides nicht gelingen, dann ist der Stoff auch kein Romanstoff, sondern er bildet | nur eine Erzählung. Aber eine Erzählung ist auch was schönes; sind doch die liebenswürdigsten sogenanten Novellen von Gottfried Keller nichts anderes als Erzählungen. So in den „Züricher-Novellen“, die alle sammt u. sonders keine Novellen sind, sondern Erzählungen, oder „Geschichten“ wie diejenigen der „Leute von Seldwyla“. Die Novelle ist die nächste VerwanteSchreibversehen, statt: Verwandte. zum Drama; so wenig wir uns nun auch veranlaßt sehen können für die reichen Stoffe, welche unser modernes Bewußtsein verlangt, um daran Genuß finden zu können, an der klassisch-zopfigen Regel von der „Einheit der Zeit u. des Ortes“ | festzuhalten, eben so wenig streng können wir diese Regel auf die „Novelle“ anwenden. Aber ganz vergeßen, daß diese Regel doch ihre Berechtigung, daß sie eines der grundlegendsten Charakteristiconslatein-griechische Mischform für Charakteristik. für Drama u. Novelle bildet, das dürfen wir nicht. Götz v. Berlichingen ist eine dramatisirte Rittergeschichte und kein Drama, gerade so wie „Romeo u. Julia auf dem Lande“ („Leute von Seldwyla„Romeo u. Julia auf dem Dorfe“ gehört zu den bekanntesten Erzählungen aus Gottfried Kellers Novellenzyklus „Die Leute von Seldwyla“.“) keine Novelle, sondern eine Erzählung, wenn auch eine, in der zweiten Hälfte novellistisch krystallisirte Geschichte, resp. Erzählung ist. Einheit von Zeit u. Ort bleibt für das Drama wie für die Novelle die ideale Forderung, d.h. derjenige | Stoff ist der beßte Stoff für das eine oder das andere, der sich willig dieser Regel fügt; Ein Stoff, dessen Handlung innerhalb eines ganz engen/r/ räumlichen/r/ und zeitlicher Grenzen verläuft ist ein Novellenstoff, wenn er hauptsächlich innerlich und durch bloßes Reden vermittelt verläuft; er ist ein Dramenstoff, wenn er dabei in energischen Handlungen sich kundgiebt.
Verzeihe, wenn ich da Dinge geschwazt habe, die Dir natürlich auch geläufig sind. Aber ich meinte meine durch Deinen Brief erregten Gedanken aussprechen zu müßen, weil das zuweilen das schon längst bekannte u. gewußte in anderer Form | und zu anderer Zeit wieder vernommen eine andere Wirkung hat. Es ging mir darum Dich dadurch zu ermuthigen der/ie/ begonnenen Arbeit des/ß/wegen nicht liegen zu lassen, weil sie ein Roman zu werden drohe, statt einer Novelle; denn vielleicht ist der Roman, den sie in erster Linie vorstellt nur der punctirte und roh zurecht gehauene Block, aus dem dann erst unter der Hand des Bildhauers die Statur, respective unter der concentrirenden Bearbeitung die Novelle entsteht. –––

Ich hätte Dir schon früher geschrieben, aber es ist eine so gar kummervolle Zeit für | mich mit Hermanns ErkrankungOlga Plümachers Sohn Hermann war an Weihnachten 1885, an Tuberkulose erkrankt, aus Heilbronn zurückgekommen. angegangen. Mein Herz war all’ die Monate so schwer belastet, daß auch mein Kopf dadurch behindert ward; ich habe nur immer die eine bange Frage ventilirt: wie soll es mit meinem armen Jungen werden. So habe ich denSchreibversehen, statt: denn. nicht nur nicht an meinem BucheEs dürfte sich um Olga Plümachers unvollendetes Buchprojekt „Geschichte des Begriffes des unbewußten Geistes“ handeln [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 28.12.1888]. gearbeitet, sondern auch meine Correspondenz hat darunter leiden müßen; nur das Nothwendigste wurde erledigt. Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Hermann Plümacher, 3.4.1886. an Hermann habe ich sofort an denselben weiter dirigirt; er ist seidSchreibversehen, statt: seit. dem 20 März in GersauSeit 1860 war Gersau – am Vierwaldstättersee gelegen – ‚Klimatischer Kurort‘. Die Kursaison begann am 15. März: „Die Kurmittel. Klima. Dasselbe ist mild und doch leicht anregend, gleichmäßig, mit geringen Temperaturschwankungen. Die Luft ziemlich feucht. Schutz gegen kalte Luftströmungen und Windstille. [...] Inhalationen, pneumatische Apparate und andere medizinische Hülfsmittel“ [vgl. Robertus Ferdinandus Flechsig: Bäder-Lexikon. Darstellung aller bekannten Bäder, Heilquellen, Wasserheilanstalten du klimatischen Kurorte Europas und des nördlichen Afrikas in medizinischer, topographischer, ökonomischer und finanzieller Beziehung, S. 406]. und lauten die zwei letzten Briefe etwas | tröstlicher als die früheren. Er habe auch wieder 2 Pfund an Gewicht zugenommen – immerhin ein gutes Zeichen.

Ich erlaube mir Dir hier einige Zeilennicht ermittelt. – In dem Korrespondenzstück dürfte Olga Plümacher die ausstehende Publikation ihres Aufsatzes „Das Verhältnis von Tugend und Glück in seiner geschichtlichen Entwicklung“ thematisiert haben [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 29.5.1886]. an Conrad von der „Gesellschaft“ einzulegen, mit der Bitte dieselben gelegentlich abzugeben und Antwort in Empfang zu nehmen. Die Katzengeschichtenicht überlieferte Erzählung, wohl Olga Plümachers, um deren Veröffentlichung Wedekind sich bemüht hatte [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 1.1.1886]. kannst Du im Sommer mit zurück bringen; es liegt weiter ja nichts daran, und bedaure nur Dir damit so viel Mühe gemacht zu haben.

Doch nun will ich schließen, denn irgend etwas Neues weiß ich Dir doch nicht zu berichten: mein Leben ist von | der größten Einförmigkeit; ich sticke den größten Theil des Tages, Abends spaziere ich mit Dagmar und Louisevermutlich Pflegetochter Olga Plümachers, die im Herbst 1885 in Anzeigen um Pensionärinnen geworben hatte: „Für Eltern und Vormünder. Töchter finden mütterliche Pflege, Nachhülfe bei den Schulaufgaben oder allseitige Weiterbildung in einer kl. Familie, wohnhaft in einer kleinen Stadt a. Rh. Gesunde Lage; gute Schulen; billigste Pension. Adresse: Frau Consul O. Plümacher, Stein a. Rh., Kanton Schaffhausen.“ [Züricherische Freitagszeitung, Jg. 213, Nr. 38, 18.9.1885, S. (4); 2.10.1885, S. (4); 23.10.1885, S. (4)] ein Bischen und Aben nach dem Thee lese ich noch ein wenig (Zeller’s Geschichte d. griechischen Phil.Eduard Zellers „Grundriss der Geschichte der griechischen Philosophie“ (Leipzig 1883) war 1886 in zweiter Auflage erschienen. Mit der Publikation kam Zeller dem Wunsch einer kurzen Bearbeitung [vgl. ebd., S. III] seiner mehrbändigen Schrift „Die Philosophie der Griechen. Eine Untersuchung über Charakter, Gang und Hauptmomente ihrer Entwicklung“ (Tübingen 1844-1852) nach. Von beiden Werken existieren zahlreiche Neuauflagen und Nachdrucke.) und dann danke ich Gott, daß wieder ein Tag abgelaiert ist – und wenn’s der letzte wäre, so wäre es mir auch sehr gleichgültig, denn die Zukunft liegt grau in grau vor mir.

Lebe wohl mein lieber Franklin; genieße das Leben in vollen Zügen, so lange es Dir noch genüßlich erscheint; producire lustig drauf los: erst aus dem rohen und vollen, und nachher seihe u. sichte und scheide aus, was beßer anderweitig verwerthet werden kann, nach dem Worte: „in der Beschränkung zeiget sich der Meister“!

Schreibe mir auch gelegentlichab hier am linken Rand im Querformat beschrieben. wieder; junge Briefe thun meimmeinem. alten, müden Kopfe wohl.

Deine alte Freundin O. Plümacher.

Frank Wedekind schrieb am 29. Mai 1886 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 7.6.1886 aus Öhningen:]


Beßten Dank für Deinen Brief [...].

Olga Plümacher schrieb am 7. Juni 1886 in Öhningen folgende Postkarte
an Frank Wedekind

DEUTSCHE REICHSPOST.
POSTKARTE.


An
Herrn Franklin Wedekind stud. jur.
in München.
Schellingstraße.

Die angebogene Karte ist für die Antwort bestimmt. |


Mein lieber Franklin!

Beßten Dank für Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 29.5.1886. u. besonders auch für die Vertretung meiner AngelegenheitEs dürfte sich um die Publikation ihres Aufsatzes „Das Verhältnis von Tugend und Glück in seiner geschichtlichen Entwicklung“ handeln; er erschien in 2 Teilen im Juli- und Augustheft der Monatsschrift „Die Gesellschaft“ (Bd. 2, 1886, S. 31–34 u. S. 111-114). – Olga Plümacher hatte Wedekind darum gebeten, ihren Brief an Michael Georg Conrad, den Herausgeber der „Gesellschaft“ – Quaistrasse 3, 4. Stock rechts [vgl. Adreßbuch für München 1886, Tl. 1, S. 75] –, zu überbringen und dessen Antwort ihr zuzusenden [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 2.5.1886]. bei Conrad. Der Zweck meiner h. Zeilen ist nur Dir zu sagen, Du mögest doch nicht gleich die Flinte in’s Korn werfen, weil ein Th. D. nicht hat anbeißen wollenGeorg Lang, der Direktor des Gärtnerplatztheaters in München, dem Wedekind seine Posse „Der Schnellmaler“ zur Aufführung angeboten hatte, gewährte ihm eine Unterredung am 29.5.1886 (11 bis 12 Uhr) [vgl. Georg Lang an Frank Wedekind. München, 28.5.1886]. Zu einer Aufführung kam es nicht [vgl. KSA 2, S. 619f].. Es giebt ja ihrer so viele im Deutschen Reiche. Muthig mit dem Kindlein in die Welt – was dem Einen nicht zusagte, gefällt vielleicht gerade dem Andern. Nur nicht gleich nachlaßen – das Postporto ist ja nicht mehr so hoch, wie zu Schillers Zeiten, wo von Berlin nach Wien ein Brief einen Thaler kostete. – Wenn Du wieder heim kommst, wollen wir einmal zusamenSchreibversehen, statt: zusammen Stoffe – sichten. Dich stört bei der Production der Stoffüberfluß, aber das ist ein Fehler der zu einem großen Vorzug werden kann. Drum nur ja nicht den Muth verlohren. Ich schreibe bald einmalAb hier vom Seitenrand aus im Querformat beschrieben des längeren; es macht mir in dieser trüben Zeit Vergnügen im Geiste theilzunehmen an den Bestrebungen der heiteren Kunst,

Die alte Tante
O. Pl.

Frank Wedekind schrieb am 11. November 1888 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[1. Hinweis in Olga Plümachers Postkarte an Frank Wedekind vom 1.12.1888 aus Beersheba Springs:]


Herzlichen Dank für Deinen Brief.


[2. Hinweis in Olga Plümachers Brief an Frank Wedekind vom 28.12.1888 aus Beersheba Springs:]


Beßten Dank für Deinen Brief mit dem Berichte über Deines Vaters TodeFriedrich Wilhelm Wedekind starb am 11.10.1888..

Olga Plümacher schrieb am 30. November 1888 in Beersheba Springs folgende Postkarte
an Frank Wedekind

UNITED STATES
POSTAL CARD.
ONE CENT
NOTHING BUT THE ADDRESS TO BE ON THIS SIDE.


Franklin Wedekind, Esq.(engl.) Landjunker.
Castle of Lenzburg
Lenzburg, Aargau
Switzerland, Europe. |


Lieber Franklin! Herzlichen Dank für Deinen Brief. Ich werde nächstens an Dich und Deine l. Mutter des Längern schreiben; z. Stund bin ich mit häuslicher Arbeit belastet. Sende Dir heute einen Aufs. über MaracaiboOlga Plümachers Aufsatz „Maracaibo“ erschien in der Stuttgarter Wochenschrift „Das Ausland“ in drei Oktober-Nummern (Jg. 61, Nr. 40, 1.10.1888, S. 781-785; Nr. 41, 8.10.1888, S. 812-818; Nr. 42, 15.10.1888, S. 836-839). im „Ausland“. Habe die Güte u. sende denselben nachdem ihr ihn gelesen an Frau Dr. Schilling, WolfbachstraßeDie Arztwitwe Dr. Katharina Schilling, geb. Ganter, wohnte im Wolfbachfussweg 23 (Parterre) in Hottingen: „Schilling, Kath., Wwe., Part., Wolfbachfussw.[eg] 23 Ho.“ [Adressbuch Zürich 1889, S. 275] Hottingen. Viele, viele Grüße an Euch Lieben alleGemeint sind die Mutter Emilie Wedekind und die 6 Geschwister (Armin, Frank, William, Erika, Donald und Emilie (Mati).! Deine alte Freundin O. Pl.

Olga Plümacher schrieb am 28. Dezember 1888 in Beersheba Springs folgenden Brief
an Frank Wedekind

Beersheba Springs, 28 Dezember 1888.


Mein lieber Franklin!
Beßten Dank für Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Olga Plümacher, 11.11.1888. mit dem Berichte über Deines Vaters TodeFriedrich Wilhelm Wedekind starb am 11.10.1888.. Das Geschick war ihm günstig; er hat einen raschen, kampflosen Tod gehabt; das ist ein großer Trost für die Hinterlaßenen, wenn der Preis, den wir alle endlich für das „Glück“? gelebt zu haben zahlen müßen, in nicht gar zu erschreckender Form eingefordert wird. ––

Also Du hast mir nicht geschrieben, weil Du mir keine „Geistesthat“ zu berichten hattest! O, wie verkehrt! Ich hatte Dich lieb gewonnen als Du noch | ein recht fauler Schulknabe warst, der zwar KnitelverseSchreibversehen, statt: Knittelverse; – Paarreime mit meist vierhebigem Vers und unterschiedlich vielen Senkungen. verfaßte, der aber deßwegen noch durchaus keinen künftigen Schiller oder Shackespear in Aussicht stellte. Und später, als aus dem Knaben ein Jüngling, und aus dem Jüngling ein Mann wurde, da freute es mich, daß Einem, dem ich gewogen war um seines ganzen Wesens willen eine auf’s Ideale gerichteSchreibversehen, statt: gerichtete. Begabung eignete; nicht aber warst Du mir lieb und werth weil Du dichterisch begabt warst und gesonnen warst als Schriftsteller Deinen Platz in der Gesellschaft auszufüllen. Deine Briefe wären mir ganz gleich willkommen gewesen, wenn Du schon nicht Leistungen zu melden hattest. MannSchreibversehen, statt: Man. wird | eben nicht Schriftsteller, wie man Schuster oder Schneider wird in zwei Jahren. Der Eine schießt den Vogel runter mit zwanzig Frühlingenmit 20 Jahren., der andere kommt in’s Schwabenalter„A.[lter] von 40 Jahren, da vor dieser Zeit nach dem Sprw. die Schwaben nicht zum Verstand kommen.“ [Schweizerisches Idiotikon, Bd. I, Sp. 207] – die Geister reifen nicht in so gleichmäßigen Tempo wie die Kirschen. Ich habe mir übrigens gedacht es möchte so etwas hinter Deinem Stillschweigen stecken; an Deiner Freundschaft habe ich nicht geweifeltSchreibversehen, statt: gezweifelt.; und ebenso wenig an Deinem Talente, trotzdem, daß Du einige Zeit im Nebel herum geirrt hast. Du bist nicht der e/E/rste und wirst nicht der Letzte sein, der zick zack wandert bevor er auf den richtigen Weg gelangt. Nun bist Du also die Juristerei losFrank Wedekind hatte – vom Vater vor die Wahl gestellt, Medizin oder Jura zu studieren – sich im Wintersemester 1884/85 in München für Jura immatrikulieren lassen, bald aber das Interesse am Fach verloren. Im Herbst 1886 musste er die Universität verlassen und durfte seit dem Sommersemester 1888 das Studium an der Universität Zürich fortsetzen, von der er dann (mit Zeugnis vom 29.11.1888) abging. und da sie Dir gar so widerwärtig war, so gratulire ich Dir dazu. |

Sonst findt ich sie, wie überhaupt ein Brodstudium oder einen gewöhnlichen Beruf nicht als ein Hinderniß für die höhere geistige Entwicklung. Im Gegentheil es gewährt Gemüthsruhe. Wenn man sich sagt: „so, jetzt will ich ganz meinem Genius leben, nichts thun als nur den Eingebungen meiner Muse folgen“ so knüpft sich hieran unmittelbar die Erwartung, daß nun auch wirklich etwas geschaffen werde an dem man selbst und auch die Freunde Freude haben. Ist die Muse nun spröde und will der Genius noch vor dem völligen Erwachen ein bißchen „duseln“ – wie wir’s ja auch gern thun am Morgen vor dem Aufstehen – dann wird man leicht ärgerlich über, und irre an sich selbst und der Menschheit gegenüber fühlt man sich in Schuld. Dieses geistige Un|behagen aber ist das allerschlimmste für den Geist; die productive Stimmung verlangt Gemüthsruhe und Selbstzufriedenheit und Selbstvertrauen, und besonders auch gänzliche Gleichgültigkeit gegen die Dauer, welche eine Production in Anspruch nimmt. Hat nun der Mensch einen Beruf, den er pflichttreu, wenn auch halbwegs unlustig erfüllt, so stört ihn erstens das Gefühl der Leistungsschuldigkeit nicht, und zweitens, wenn sich sein Genius sehr Zeit läßt mit der Hervorbringung eines Kunstwerkes, so hat er die Entschuldigung der so schmal zugemessenen Zeit. So bleibt der Mensch zufrieden und der Herr | Gerichtsschreiber, oder Asseßor, oder Seidenhändler oder Consul überrascht eines Tages alle Welt mit einer gezeitigten Meisterleistung, die ihn mit einemmal in die Reihen der Ersten ranschirtSchreibversehen, statt: rangirt.. Scheffel, Keller, Reuter und so viele andere waren Juristen, Con. Ferd. Meier, RitterhausSchreibversehen, statt: Rittershaus., Freitag, Schmid-„Dranmor“ waren Kaufleute, auch die Reihen der Lieutenants haben manchen vorzüglichen Schriftsteller gestellt, vom „Schumach-er und Poet dazuDas Zitat befindet sich in Johann Friedrich Schinks historischem Dreiakter „Hanswurst von Salzburg mit dem hölzernen Gat“ als Zweizeiler in einer Anmerkung zu Hans Sachs (I,12): „Die Herren Genies werden nicht schamroth werden, daß schon lange vor ihnen ein Mann war, / Ein großer Mann ein Schu / macher und Poet dazu / der seinen Schauspielen solche Coups du Genie einwob, die die damalgen dummen Leute für albern schalten, weil sie keinen Begrif von Urkraft des Genies hatten.“ [Johann Friedrich Schink: Marionettentheater, Wien, Berlin, Weimar 1778, S. 38]. – In Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ singt Meistersinger Hans Sachs in „Jerum! Jerum“ (II,6) die zitierte Passage – orthographisch leicht abgewandelt („Hans Sachs ein Schuh-/macher und Poet dazu.“)– [Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg (Zweite, für die Aufführung bestimmte Ausgabe), Mainz 1868, S. 66].“ und von der „Aurora, das ijst die hymmlische MorgenrötheDer Schuster Jakob Böhme in Görlitz schrieb 1612 handschriftlich sein Erstlingswerk ‚Morgenrot‘ Unter dem Namen „Aurora, das ist: Morgenröthe im Auffgang und Mutter der Philosophie“ wurde das Werk erstmals 1634 (Amsterdam) postum veröffentlicht. Spätere Ausgaben variieren im Titel.“, die auch in der Schusterwerkstätte aufging ganz zu schweigen. Dieser Weg aus dem „DusterDunkelheit, Düsternis.“ bürgerlicher WakerkeitSchreibversehen, statt: Wackerheit. auf die Höhen wo der Lorbeer und die anständigen Honorare blühen ist der leichteste und sanfteste; | aber die sanften, glatten Wege sind ja nicht Jedermanns Sache; mancher will absolut „’s Leiterli(auch: Leiterliweg) schwierige Wanderung von Leimbach durch einen Hohlweg, auf den Grat zum Uetliberg, dem Züricher Hausberg.“ herauf statt mit der Eisenbahn auf den „UetliSeit 1875 führte die Uetlibergbahn (9130 Meter) vom Hauptbahnhof Zürich auf den Uetliberg.“ zu fahren. Also, mein lieber Franklin, klettere über Stock und Stein; an „Stöcken“ wird’s Dir nicht fehlen, das sind die Philister, die gleich sagen „aus dem wird nichts,“ wenn Einer ein wenig nebulirt; und die „Steine“ werden Dir die Kritiker auch in den Weg legen. Verliere aber deßwegen den Muth nicht und eile Dich nicht und laß dich nicht eilen durch die gänzlich falsche Idee: Du seiest Deinen Freunden eine Geistesthat schuldig. Sag’ aber um Gotteswillen keinem der Schweizer-Philister Du gehest nach Berlin um ein Stück auf die Bühne zu bringen und Deiner | Muse zu leben. Sag ihnen eher Du gingest um die Runkelrübenkultur zu studiren, weil Du später auf dem Schloß Landwirthschaft treiben wollest; oder, wenn Dir das zu prosaisch ist, sag’ lieber Du gehest um zu – lumpen, um das freie Leben frei zu genießen. Die Ehrbaren machen dann ’s Kreuz hinter Dir, aber Du bist dann doch den Druck los, daß in aller Eile etwas von Dir erwartet wird. Deine Mutter ist so klug und gut, daß sie Dir nicht unbequem wird, e die Andern laß es Dir nicht werden. –

Wenn Du nach Berlin gehst mußt Du zu Hartmann’sDer Philosoph Eduard von Hartmann war in zweiter Ehe mit Alma Lorenz aus Bremen verheiratet. Das Ehepaar wohnte in Lichterfelde bei Berlin in ihrem Haus am Wilhelm Platz 9 im Parterre [vgl. Berliner Adressbuch 1888, Bd. 2, Anhang (Adress- Buch von Charlottenburg, Boxhagen- Rummelsburg, Friedenau, Friedrichsberg, Lichtenberg, Wilhelmsberg, Gr. Lichterfelde, Pankow, Plötzensee, Reinickendorf, Rixdorf, Schöneberg, Stralau, Tempelhof, Treptow, Weißensee und Wilmersdorf für das Jahr 1888), S. 66].; ich geb Dir einen BriefDer Brief aus Beersheba Springs ist überliefert [vgl. Olga Plümacher an Alma von Hartmann, 9.6.1889 (Mü, FW B 130)]. Olga Plümacher sandte ihn an ihre Freundin Emilie Wedekind, die das Korrespondenzstück ihrem Brief an den Sohn beilegte [vgl. Emilie Wedekind an Frank Wedekind, 25.6.1889]. mit und Du wirst Dir dort gefallen; sie üben eine sehr angenehme, „heimelige“ Gastfreundschaft, und sehen gerne junge Leute bei sich. |

Gleich nach Neujahr schreibe ich an Deine Mutter. Gieb ihr heute meine aller herzlichsten Grüße. Ebenso grüße Deine SchwesternErika (Mieze) und Emilie (Mati). und Bruder DoctorArmin (Hami) Wedekind hatte sein Medizinstudium am 15.12.1887 erfolgreich an der Universität Zürich beendet und praktizierte in Zürich. Mit einer Doktorarbeit „Die Pocken im Kt. Zürich während der Jahre 1873-87“ promovierte er sich am 20.12.1888 [vgl. Vincon 2021, Bd. 2, S. 296]. wenn Du ihn siehst! –

Ich bat seiner Zeit Frau Dr. GanterAnna Ganter-Schilling, die Ehefrau des Gymnasiallehrers Prof. Dr. Heinrich Ganter (1848-1915) an der Kantonsschule Aarau, mit dem sie 1886 von Zürich nach Aarau gezogen war. Sie war die Tochter von Olga Plümachers Zürcher Freundin Katharina Schilling-Ganter und von Dr. Joseph Schilling-Ganter, und hatte von 1877 bis Herbst 1880 an der Universität Zürich Philosophie studiert (Abgangszeugnis 14.10.1880) [vgl. Matrikeledition Uni Zürich]. mir Deine FeuilletonsDas waren aus dem Jahr 1887 erstens „Der Witz und seine Sippe. Betrachtungen“ [KSA 5/II, S. 82-93], erschienen vom 4. bis 6.5.1887 [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 67, Nr. 123, 4.5.1887, 2. Blatt, S. (1-2), Nr. 124, 5.5.1887, 2. Blatt, S. (1-2), Nr. 125, 6.5.1887, 2. Blatt, S. (1-2)], zweitens „Zirkusgedanken“ [KSA 5/II, S. 94-106], erschienen am 29. und 30.7.1887 [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 67, Nr. 209, 29.7.1887, 1. Blatt, S. (1-2); 2. Blatt, S. (1-2); Nr. 210, 30.7.1887, S. (1-2); vgl. auch KSA 5/III, S. 901] und drittens die Charakterskizze „Gährung“ [KSA 5/I, S. 21-36], erschienen vom 13. bis 18.10.1887 [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 67, Nr. 285, 13.10.1887, 1. Blatt, S. (1-2); Nr. 286, 14.10.1887, 1. Blatt, S. (1-2), Nr. 287, 15.10.1887, S. (1-2), Nr. 290, 18.10.1887, 1. Blatt, S. (1-2)]. 1888 erschienen der Beitrag „Im Zirkus“ [KSA 5/II, S. 108-110] am 2. und „Im Zirkus II. Das hängende Drahtseil“ [KSA 5/II, S. 111-114] am 5.8.1888 [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 68, Beilage zu Nr. 215, 2.8.1888, S. (5); Beilage zu Nr. 218, 5.8.1888, S. (5)]., die sie mir rühmte, zu senden; es geschah nicht. Wenn Du entbehrliche Ex. hast, würden mich solche recht freuen. Solltest Du aufgelegt sein mit Deiner alten, jetzt leider ja so einsamen und an Herzensfreude verarmten Freundin zu plaudern, so sollte es mich sehr freuen und bitte Dich doch nicht abhalten zu lassen, weil Du noch keinSchreibversehen statt: keinen. Anspruch auf einen Paragraphen in der Literaturgeschichte für höhere Töchter hast. | Meine „Geistesthat“ ist auch immer noch nicht abgeschoßenSchreibversehen statt: abgeschloßen.. Meine „GeschichteDie Abhandlung („Geschichte des Begriffes des unbewußten Geistes“) erschien nicht. Zur Thematik veröffentlichte Olga Plümacher zwischen 1888 und 1893 mehrere kleine Aufsätze insbesondere in der Leipziger Monatsschrift „Sphinx“, so zum Beispiel „Die theosophische Weltanschauung und die Philosophie des Unbewussten“ [vgl. Sphinx, Bd. 7, 1892, Nr. 80, S. 289–301]. des Begriffes des unbewußten Geistes“, wo ich beim Thales anfing um beim Hartmann zu enden ist auch noch immer Embrio; sie wird wohl kaum zur Reife kommen, mir fehlt der Glaube an der Nützlichkeit meiner Arbeit und der Frohmuth der Seele, der erste Bedingung zu geistiger Arbeit ist. Ich bin nicht mehr die ich war seidSchreibversehen, statt: seit. mein Junge mir entrißenOlga Plümachers Sohn Hermann war am 8.12.1886 in Beersheba Springs verstorben. ist. – Adieu nun lieber Franklin; laß’ also in jedem Fall von Dir hören bevor Du nach Berlin gehst. Wie stellst Du Dich zum neuen Realismus? Ich habe manches in dieser Richtung gelesen in neuester Zeit; könntest mal Deine Meinung hierüber von StappelSchreibversehen, statt: vom Stapel. laßen. Deine alte
Tante O. Plümacher.


[Im Querformat über den Text geschrieben:]

Erinnerst Du Dich des Arnold Hünerwadel’s? Er hat diese WocheArthur Arnold Hünerwadel heiratete am 23.12.1888 in Beersheba Springs die 4 Jahre ältere Wilhelmine Hegé [vgl. Die Nachkommen des Hans Martin Hünerwadel in Lenzburg 1609 1937, S. 40, Nr. 128 (Stadtarchiv Lenzburg III X4, V Nr. 1b)]. hier in Beersheba eine schöne Farm geheirathet und eine Frau dazu übernommen, die 4 Jahre älter ist als er. Das ist auch Realismus.

Frank Wedekind schrieb am 1. Februar 1889 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Olga Plümachers Brief an Wedekind vom 20.2.1889 aus Beersheba Springs:]


Deine Feuilletons sowie auch Deinen Brief v. 1 d. Ms. habe ich erhalten [...]

Olga Plümacher schrieb am 20. Februar 1889 in Beersheba Springs folgenden Brief
an Frank Wedekind

Beersheba Springs 20 Februar 1889.


Mein lieber Franklin!

Deine FeuilletonsDas waren aus dem Jahr 1887 erstens „Der Witz und seine Sippe. Betrachtungen“ [KSA 5/II, S. 82-93], erschienen vom 4. bis 6.5.1887 [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 67, Nr. 123, 4.5.1887, 2. Blatt, S. (1-2), Nr. 124, 5.5.1887, 2. Blatt, S. (1-2), Nr. 125, 6.5.1887, 2. Blatt, S. (1-2)], zweitens „Zirkusgedanken“ [KSA 5/II, S. 94-106], erschienen am 29. und 30.7.1887 [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 67, Nr. 209, 29.7.1887, 1. Blatt, S. (1-2); 2. Blatt, S. (1-2); Nr. 210, 30.7.1887, S. (1-2); vgl. auch KSA 5/III, S. 901] und drittens die Charakterskizze „Gährung“ [KSA 5/I, S. 21-36], erschienen vom 13. bis 18.10.1887 [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 67, Nr. 285, 13.10.1887, 1. Blatt, S. (1-2); Nr. 286, 14.10.1887, 1. Blatt, S. (1-2), Nr. 287, 15.10.1887, S. (1-2), Nr. 290, 18.10.1887, 1. Blatt, S. (1-2)]. Daneben könnte Wedekind seinen 1888 in 2 Teilen am 2.8.1888 u. 5.8.1888 abgedruckten Beitrag „Im Zirkus“ [KSA 5/II, S. 108-110] und „Im Zirkus II. Das hängende Drahtseil“ [KSA 5/II, S. 111-114] mitgesandt haben [vgl. Neue Zürcher Zeitung, Jg. 68, Beilage zu Nr. 215, 2.8.1888, S. (5); Beilage zu Nr. 218, 5.8.1888, S. (5)]. sowie auch Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Olga Plümacher, 1.2.1889. v. 1 d. Ms. habe ich erhalten und danke ich Dir sehr für Dein rasches EntgegenkommenOlga Plümacher hatte Ende 1888 um die Zusendung gebeten [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 28.12.1888].. Zu diesen Feuilletons kann man Dir gratuliren; sie sind eben so geistvoll wie liebenswürdig und gefällig. Die stehen nicht nur ein gutes Theil höher als das normale anständige Feuilleton einer anständigen Zeitung, sondern auch ha/o/ch über Deinen Arbeitenvermutlich die 1885/86 entstandenen Novellen „Der Kuss“, „Trudi“ und „Fanny“ [vgl. KSA 5/1, S. 14-19 und S. 314-326 sowie Kommentar S. 450-462, S. 594-599, und S. 784-796], die zu Romanen auszuarten drohten, wie Wedekind in einem nicht überlieferten Brief schrieb und worüber Olga Plümacher in ihrer Antwort Stellung nahm [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 2.5.1886]; außerdem wahrscheinlich auch die erste Fassung von Wedekinds tragisch-komischer Posse „Der Schnellmaler“, beendet am 23.4.1886 [vgl. KSA 2, S. 545]., die Du mir vor 3 Jahrenvor Olga Plümachers Abreise im Herbst 1886 zu ihrem Ehemann nach Venezuela; von dort kehrte sie 1888 zurück nach Beersheba Springs. mittheiltest. Du hast die Form beherrschen gelernt und haushalten mit den Gedanken. | Beides giebt sich nur durch Uebung: im Anfang möchte man immer gleich alles was einem Kopf und Herz bewegt in ein Opus hineinpacken und so wird das selbe formlos – statt eines prunkvollen Gemaches wird’s eine Rumpelkammer, wo ein Prunkstück dem andern vor dem Lichte steht. Meine zwei erstenVon Olga Plümacher wurden 1879 die Aufsätze „PESSIMISM“, unterschrieben mit „O. Plumacher“ [in: Mind. A Quarterly Review of Psychology and Philosophy, Jg. 4, Nr. 13, Jan. 1879, S. 68–89] und anonym „Die Philosophie des Unbewußten und ihre Gegner“ [in: Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart, Jg. 15, 1879, 1. Hälfte, S. 321–346] publiziert. gedruckten Arbeiten waren die eine doppelt, die andere dreifach so umfangreich in der ersten Faßung, bis sie dann endlich zurechtgestutzt und die zu langen Brühen, in denen die Gedanken servirt waren, abgedampft wurden. Ich bin sehr gespannt auf Deinen „SchnellmalerDie Erstausgabe von „Der Schnellmaler oder Kunst und Mammon. Große tragikomische Originalcharakterposse in drei Aufzügen“ erschien im Frühjahr 1889 bei J. Schabelitz in Zürich. Das früheste datierte Widmungsexemplar ist als Abschrift überliefert [vgl. Wedekind an Oskar Schibler, 7.4.1889].; wenn er in seinem Gebiet den „Cirkus-Gedanken“ gleichwertig ist, so wird ihm der Erfolg nicht fehlen; | und selbst wenn ihm der BühnenerfolgDer „Schnellmaler“ wurde erst 1916 uraufgeführt [vgl. KSA 2, S. 618-627]. ausbleiben sollte, so wäre darin noch kein Grund zur Entmuthigung für Dich als Schriftsteller. Kennst Du A. Fitger’s TragödienDer Bühnenerfolg der Trauerspiele „Von Gottes Gnaden“ – 1883 im Erstdruck und 1895 in 3. Auflage erschienen – sowie „Die Hexe“ – 1876 im Erstdruck und 1896 in 6. Auflage erschienen – des Bremer Malers, Dichters und Dramatikers Arthur Fitger litt unter den Zensurbeschränkungen. „Von Fitgers Dramen hat auf der Bühne nur ‚Die Hexe‘ einen Erfolg gehabt, und sie mußte diesen durch den Verzicht auf eine der wirksamsten Scenen, mindestens aber durch Milderung derselben erkaufen. Denn die Theatercensur gestattet das von Fitger vorgeschrieben Zerreißen des Bibelbuches nicht [...] ‚Von Gottes Gnaden‘ würde vielleicht eine noch mächtigere Bühnenwirkung erzielen, als ‚Die Hexe‘. Aber hier ist die Aufführung noch weniger zu erwarten. Die geschilderten Verhältnisse und die Art, in welcher sie geschildert werden, würden gewisse Kreise bitter verletzen, und gerade diese Kreise haben die Macht, die Aufführung zu verhindern.“ [Raphael Löwenfeld: A. Fitger und seine Dichtungen, in: Nord und Süd. Bd. 35. Oktober, November, Dezember 1885, S. 348]von Gottes Gnaden“ u. „die Hexe“? Ich finde sie prachtvoll, ästhetisch hoch über allem was Ibsen geschrieben stehend und doch, trotz der packenden Gewalt dieser Stücke hätten sie auf der Bühne nur „Anstands-Erfolge“ erlebt – so schreibt mir Hartmannder Philosoph Eduard von Hartmann, mit dem Olga Plümacher seit wenigstens einem Jahrzehnt persönlich bekannt war; die Korrespondenz ist nicht ermittelt.. Was Du über den „jüngstdeutschen“ „Realismusvon Michael Georg Conrad geprägter Begriff; die von ihm begründete Zeitschrift „Die Gesellschaft“ galt als „Hauptorgan des ‚jüngstdeutschen‘ Realismus“ [Brockhaus‘ Konversations-Lexikon, 14. Auflage, Bd. 4, München 1894, S. 480]. Die Bezeichnung war umstritten: „Wenn man doch nur wüßte, was man eigentlich darunter zu verstehen hat! Da flattern Worte wie Real-Idealismus, berechtigter, unberechtigter, sympathischer und unsympathischer, künstlerischer und unkünstlerischer Realismus in der allgemeinen Debatte umher. Was soll man mit alledem anfangen? Buntschillernd eine theoretische Seifenblase nach der anderen!“ [Johannes Schlaf: Realistische Romane? In: Freie Bühne für modernes Leben, Jg. 1, H. 3, 18.2.1890, S. 68] Dem jüngstdeutschen Realismus wurden von seinen Kritikern „die deutschen Nachbeter der skandinavischen Bühnennaturalisten“ und die „Zolaisten deutscher Zunge“ [Das Magazin für die Literatur des In- und Auslandes, Jg. 59, Nr. 17, 26.4.1890, S. 264] zugerechnet.“ sagst ist vorzüglich und sehr geistreich gesagt – „die Hungerkur“ ist sehr schön gesagt, das werde ich Hartmann berichten. Von Ibsen kenne ich „Nora“ (zuerst durch Dich damit bekannt gemacht) „Stützen d. Gesellschaft“; „Rosmersholm“, | RBrand“, „Gespenster“ u „Die Wildente“; „Peter Gynt“ ist mit andern Neuigkeiten auf dem Wege zu mir. (Hartmann ist nämlich mein Bibliothekar: was mir von jedes Jahr von G. Weiß als meine Hälfte des Reinertragsder mit ihrem Verleger Georg Weiß in Heidelberg vertraglich vereinbarte Anteil am Verkauf von Olga Plümachers Buch „Der Pessimismus in Vergangenheit und Gegenwart (1884), von dem 1888 eine zweite Auflage erschienen war. des „Pess.“ zukömmt, geht an H., der mir dafür allerlei Neuigkeiten kauft u. sendet; dazu sendet er mir aber immer noch allerlei, was er entweder auch gratis bekommen hat oder gekauft hat, aber nicht zu behalten wünscht. So gehts weit mit dem Gelde – alle paar Wochen erhalte ich eine Sendung.) Von Doctojewskyder russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski. kenne ich gar nichts; auch nichts von Max KretzerDer Schriftsteller Max Kretzer, „der oft der deutsche Zola genannt wird“ [Hans Merian: Die sogenannten „Jungdeutschen“ in unserer zeitgenössischen Literatur. Leipzig 1888, S. 27], galt als „der Schöpfer des wirklich realistischen Berliner Romans.“ [Brümmer 1913, Bd. 4, S. 111]. Von Bijörnsonder norwegische Schriftsteller und spätere Literaturnobelpreisträger Bjørnstjerne Bjørnson, dessen Roman „Thomas Rendalen“ Wedekinds Kindertragödie „Frühlings Erwachen“ beeinflusste [vgl. KSA 2, S. 804]. manches, aber „Thomas Ra/e/ndalen“ nicht. An Ibsen bewundere ich die „Mache“, die photographische | Treue mit der er seine Figuren zeichnet; trotz der Wahrheit im Einzelnen sind seine Stücke doch keine wahren Bilder des modernen Lebens als solchem, wofür sie übereilte Ibsen-Schwärmer nehmen. Sie sind nur das photographische Bild des kranken Gliedes am Gesellschaftsorganismus des Mittelstandes. Es ist freilich schlimm, wenn ein Glied so erkrankt ist, aber deshalb braucht der Organismus im Ganzen doch noch nicht als hoffnungslos aufgegeben zu werden. Charakterlosigkeit und Verlogenheit sind allerdings eine Thatsache; aber Thatkraft und werkthätige Menschenliebe, Wahrheitssinn und Herzensreinheit sind auch noch Thatsachen und es giebt | auch noch Idealisten, die dabei nicht Narren sind, wie Gregor WerleGreger Werle, der Protagonist in Ibsens Schauspiel „Die Wildente“ (1884). oder Schwächlinge wie RosmerJohannes Rosmer, ehemaliger Pfarrer und Besitzer von Rosmersholm, dem Gut in Henrik Ibsens Schauspiel „Schloss Rosmersholm“ (1886). oder verworrene Fanatiker wie Brandein junger Vikar, der Antiheld in Ibsens gleichnamigem Drama „Brand“ (1879), wird von einer durch ihn ausgelösten Lawine verschüttet, nachdem er alleine in die Berge gegangen war., dem’s Recht geschieht, daß seine Gemeinde ihn im Schnee sitzen läßt, da er doch nicht weiß wohin er sie führen will, weder im Geist noch im Leib. Ibsen ist Nihilist; er ist absolut negativ. Er weiß „alles was bestehtZitat aus Johann Wolfgang Goethes „Faust“; Mephistopheles zu Faust: „denn alles was entsteht / Ist werth daß es zu Grunde geht“ [Johann Wolfgang Goethe: Faust. Eine Tragödie. Tübingen 1808, S. 86]. (– nämlich in der Gesellschaft wie sie sich in seinem Kopfe spiegelt –) ist werth daß es zu Grunde geht“ aber – und das ist eben das CharakteristikonSchreibversehen, statt: Charakteristikum. des Nihilismus – er hat nichts dafür an den Platz zu setzen; er hat kein faßbares Ideal, sondern nur ein Nebelphantasma an Stelle eines solchen, das nicht Stand hält der Betrachtung, dem also erst RechtSchreibversehen, statt: erst recht. nicht nachgestrebt werden kann. | Man kann ein geistreicher Philosoph sein auf dem Standpunct der Skepsis, aber ein Dichter oder ein Künstler muß, um Kunstwerke darzustellen einen positiven Stand haben, denn nur das Positive ist ästhetisch zu genießen, das Negative ist nur für den diskursiven Verstand da. Die Ibsen-Bewunderer täuschen sich, wenn sie glauben seine Dramen ästhetisch zu genießen; dieselben reitzen nur ihren Verstand und befriedigen ihr psychologisches Interesse u. s. w.; d. h.: ihr „Genuß“ (– mir wären Stücke wie z. B. die Wildente und Nora u. Gespenster eine Qual anzusehen –) ist kein ästhetischer, sondern ein intellectueller gleich dem beim Anhören eines geistreichen Vortrages über Psychologie, Psychiatrie, Moralstatistik u. s. w. u. s. w.

Mir fällt dabei noch Eines | auf, worüber ich gerne Deine Meinung vernehme. Mich dünkt nämlich, daß die Uebereinstimmung der Norwegischenhier und im Folgenden orientiert sich Olga Plümacher in der Großschreibung von Nationalitäten wohl am Englischen. Gesellschaft mit der Deutschen überschätzt wird. Es macht mir den Eindruck, als ob der von Ib. als Durchschnitt angenommene Geistesstandpunct ein niedrigerer, der intellectuelle HorizonSchreibversehen, statt: Horizont (oder engl. Schreibweise). ein engerer wäre als bei den selben Ständen in der Schweiz und Süd-u. Mittel-Deutschland. Die Nord-Deutsch. Gesellschaft kenne ich zu wenig; meine Nord-D. Bekannten sind mehr oder minder AusnahmsmenschenOlga Plümacher dürfte an die akademisch gebildeten Berliner Freunde und Bekannten um Eduard und Alma von Hartmann denken. – Spitzen nicht Durchschnitt. Solche „blinde Hessen„seit dem 16. Jahrh. belegte spöttische Bezeichnung der Hessen, auf ihre angebliche geistige Blindheit bezüglich und wahrscheinlich auf üble Nachrede der Nachbarstämme zurückzuführen.“ [Meyers Konversations-Lexikon. 5. Aufl. Bd. 3. Leipzig, Wien 1893, S. 90] Die Redewendung geht zurück auf die Sage wonach sich Hessen, die die Stadt Mühlhausen belagerten, von aufgestellten Soldatenattrappen auf den Wällen der Stadtmauern vertreiben ließen [vgl. Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staats. Bd. 1. Glogau 1867, S. 371f.].“ wie sie in Rosmersholm und „Brand“ herum fackeln die sind bei uns um 50 – 100 Jahre hinter „der Mode“ zurück. – Ueber „Peer Gynt“ habe ich äußerst günstige Besprechungen gelesen; ich bin gespannt darauf, vielleicht bringt es mir Ib. näher. ––– |

Daß die Frau Fanny OswaldSchreibversehen, statt: Oschwald; Fanny Oschwald-Ringier war die Mutter Walther Oschwalds und Schwester von Wedekinds Tante Bertha Jahn; sie schrieb zunächst unter Pseudonym Erzählungen und Novellen für Zeitschriften, später auch Theaterstücke für das Lenzburger Laientheater und Schwänke in Aarauer Mundart [vgl. Martha Ringier: Fanny Oschwald-Ringier 1840-1918. In: Lenzburger Neujahrsblätter Bd. 13, 1942, S. 15ff.]. Eine ihrer ersten Publikationen soll 1888 die Geschichte „Opfer der Verhältnisse“ im Sonntagsblatt der Tageszeitung „Der Bund“ gewesen sein [vgl. ebd., S. 24]. Der Text ist nicht ermittelt. Schriftstellerin geworden ist intressirt mich und mußt Du mir etwas von ihr nennen, damit ich es per Probe lesen kann. Vielleicht eine zweite Marlitdie unter dem Pseudonym E. Marlitt in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“ publizierende Schriftstellerin Eugenie John zählte zu den meistgelesenen Romanautorinnen ihrer Zeit. oder „C. WernerPseudonym der Schriftstellerin Elisabeth Bürstenbinder (auch: E. Werner), die ebenfalls vorwiegend Fortsetzungsromane in der „Gartenlaube“ publizierte.“ Was Du über den Grund der Sicherheit u. Schnelligkeit und gewisser Zutrefflichkeit weiblicher Romanschriftstellerinnen sagst ist ganz vorzüglich, und gerade deswegen kann es mich gar nicht gelüsten mich auch auf diesem Felde zu versuchen: meine Lebenseinsicht ist philosophisch zu verschärft und zu sehr erweitert um mich mit der Oberfläche zu begnügen und um aus dem Tiefsten heraus zu produciren dazu fehlt mir die dichterische Begabung. Wer | seinen Geist an Hegel u. Hartmann geschult hat, der kann keine Frauenromane mehr schreiben. Als Mann kann ich eben nicht dichten, weil ich keiner bin erstlich, und wohl hauptsächlich; und weil ich eben kein Dichter bin und als Mann Philosoph geworden wäre oder Naturforscher nicht aber Dichter oder Künstler. So eine Anekdote zu einer Novelette(engl.) Novelle. formen wie z. B. die „verl. Zähr“Anspielung unklar; vermutlich ironischer Bezug auf die Titel der „Gartenlaube“-Literatur, die genannten „Frauenromane“, möglicherweise auch verballhornter Titel von Friedrich Schillers Erzählung „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ (1792)., das kann jeder der überhaupt seiner Muttersprache völlig mächtig ist. Mir fehlte übrigens auch die Lust längere Fabeln auszuspinnen; mehr Spaß machten mir Reiseberichte, wenn eben Reisen im Bereich meines Könnens läge. Uebrigens muß man, um zu Schriftstellern noch an der Welt hangen; muß entweder glauben man könne | die Welt „beßern u. belehren“, welcher GlaubeSchreibversehen, statt: welchen Glauben. ich nicht hege; oder man muß an den Werth des Ruhmes glauben, was auch nicht mein Fall ist. Mit voller Treu kann ich sagen, daß ich nicht den leisesten Wunsch habe mir einen Namen zu machen. Geld machen würde ich nicht ungern, nicht für meine Person, aber um freier in meinen Handlungen gegen meine Nächsten zu sein. Daß man aber Geld mit Schreiben macht, dazu braucht es nicht nur Talent, sondern auch Glück; es hängt ungemein viel davon ab, ob die Erstlingsarbeiten einem Verleger in die Hände fallen, dem die spezielle Art u. Weise des Autors sympathisch ist; das ist Zufall oder Schicksal – man kann ein M. S. 50 Buchhändlern senden, die | alle sagen „Dutzendware“ – „wage es nicht“ u. s. w., und in einer andern Straße derselben Stadt wohnt vielleicht einer den man vergißt und der „etwas ganz besonderes“ – , „etwas geheimnißvoll anziehendes“ etwas „unerklärlich feßelndes“ in dem Opus ausfindet/n/ würde, es nimmt/ähme/ und damit für sich u. den Autor Geld machte. Ich kann meine Zeit nicht darauf hin wagen, ich kann nicht in diese LoterieSchreibversehen, statt: Lotterie (oder französische Schreibweise). setzen, obgleich der Einsatz nur (?) Zeit ist, da ich zu viel Hausfrauen Pflichten habe. Mit der philosophischen Abhandlung ist es etwas ganz anderes. Wenn man wirklich einen phil. Geist hat, so glaubt man zwar auch nicht damit etwas gutes zu thun; Geld bringt sie nicht ein und Ruhm auch | auchSchreibversehen (Wortwiederholung beim Seitenwechsel), statt: auch. nicht, wenn man nicht eine Kraft ersten Ranges ist, und auch in diesem Falle, ist die Berühmtheit mit so viel Befeindung verbunden, daß die daraus erwachsende Annehmlichkeit fast aufgehoben wird durch den Aerger sich mißkanntveraltet für: verkannt. zu sehen, den auch der Phil. nicht umhin kann zu fühlen.

Aber eine phil. Abh. schreibt man, weil einemSchreibversehen, statt: weil einen. das intellectuelle Gewissen drängt; der Geist läßt einem keine Ruhe bis man fixirt hat was ihn bewegt – in diesem Punct ist sich die Phil. u. die Lyrik ähnlich: die Befriedigung liegt in dem Genüge thun einem aus dem innersten Wesenskern erwachsenden Dranges. Ich muß auch noch | einmal sagen, was ich zu sagen habe; und im phil. Gebiet habe ich wirklich etwas zu sagen, alles andere wären Velleitätenkraftlose Bemühungen, tatenloses Wollen. ohne Werth und ohne Berechtigung auf Erfolg irgend einer Art. ––– Also im Mai gehst Du nach BerlinWedekind war seit dem 18.5.1889 in Berlin [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 19.5.1889] und zog von dort am 5.7.1889 nach München um.. Du bist bereits bei HartmannsDer mit Olga Plümacher befreundete Philosoph Eduard von Hartmann und seine Frau Alma (geb. Lorenz) wohnten in Lichterfelde bei Berlin (Wilhelmplatz 9, Parterre) [vgl. Berliner Adreß-Buch für das Jahr 1890, Teil V, S. 76]. angekündigt und bereits ist die Antwort da, daß Du willkommen seist und daß Du Dir wahrscheinlich in dem Kreise gefallen werdest, da gerade jetzt viel jüngere, zum theilSchreibversehen, statt: zum Theil. recht bedeutende Männer bei ihnen verkehrten. Als alter Freund und fast jeden Sonntag Theegast findest Du dort einen Mann, der Dir vielleicht recht von Nutzen sein kann; nämlich den Director der National-Gallerie, Dr. Ka Fritz, Baron von Göler von Ravensburg, ein sehr liebens|würdiger Mann, feinste gesellschaftliche Form mit der völligen Unbefangenheit und Einfachheit des Gelehrten verbindend, dabei eben ein Süddeutscher, voll Humor und Lebensbehagen. Er und Hartmann sind gewöhnlich anderer Meinung, vertragen sich aber auf’s beßteSchreibversehen, statt: beste. und meint Göler es sei eben ganz verzwickt, so lange man bei H. sitze meine man immer er habe doch recht, wenn man vor- und nachher doch nicht umhin könne eine abweichende Meinung zu haben. G. ist hoffähig (die Göler von Ravensburg sind ein uraltes Geschlecht im Badischen; der VaterFreiherr August Göler von Ravensburg war Großherzoglicher badischer Kammerherr, Stadtdirektor und Kreishauptmann von Baden-Baden; er war bereits 1886 gestorben. dieses Dr. G.’s ist Oberpolizei-Director des Großh. Badens und in hohen Gunsten beim Großherzog; aber die Güter sind MajoratÄltestengut; mittelalterliches Erbrecht, nach dem der älteste Sohn das Majoratsgut als Ganzes erbt. und Dr. Fritz ist der Jüngste; da er sich als Knabe | den Fuß abgeschoßen hatte, konnte er nicht Militair werden, so studirte er und ging als Privatdozent für Kunstgeschichte nach Berlin, wo er danSchreibversehen, statt: dann. den Posten bekam.) aber – wenigstens vor 3 JahrnSchreibversehen, statt: Jahren.– gingen sie nicht zu Hofe, weil die Finanzen es nicht erlaubten. Seine FrauElisabeth Göler von Ravensburg (geb. Ludewig) hatte Friedrich Göler von Ravensburg am 1.7.1884 in Berlin geheiratet [vgl. Heiratsregister Berlin III 1884, Zweitregister, Nr. 371]. ist hübsch und eine etwas kokette Weltdame, Tochter eines LeibarztesDer Heiratsurkunde zufolge war Elisabeth Göler von Ravensburg die „Tochter des zu Funchal auf der Insel Madeira verstorbenen, zuletzt zu Vorsfelde wohnhaften Gerichts-Assessors Georg August Leopold Ludewig und dessen Ehefrau Henriette Georgine Charlotten Artemise geborene Ludewig, wohnhaft zu Braunschweig.“ [Heiratsregister Berlin III 1884, Zweitregister, Nr. 371 (1.7.1884)] Bei dem nicht näher identifizierten Leibarzt handelte es sich also möglicherweise um einen Stiefvater. eines kleinen Fürstennicht identifiziert. (hab’s vergessen welchen), und ist zu Hofe dort aufgewachsen. Sie sieht Geister, träumt wahr und kann hypnotisirt, suggestionirtim Fühlen und Denken beeinflusst werden. u. was weis ich noch sonst werden und fällt in „Trance“ wenn sie in einer mediumistischen Sitzungeine Zusammenkunft, in der mit Geistern Kontakt aufgenommen werden soll. ist. Aber – natürlich nur unter uns gesagt. – Hart. hält sie für einen hübschen Humbug, dem man nicht ja nicht glauben schenkenSchreibversehen, statt: Glauben schenken. darf, den | aberSchreibversehen, statt: den er aber (oder: den man aber). duldet, weil sie dabei lustig und witzig ist und es sich gut mit ihr plaudert. Durch Baron Göler kannst Du vielleicht mit dem IntendantenGeneral-Intendant der Königlichen Schauspiele Berlin war als Nachfolger Botho von Hülsens seit 1886 Bolko von Hochberg. des König. Schauspielh. bekannt werden. Ferner findest Du bei H. als regelmäßige Besucher: Pfleidererder Philosoph und Theologe Otto Pfleiderer, seit 1870/71 Professor an der Universität Jena, seit 1874 an der Humboldt-Universität in Berlin., Prof. der Dog. u. Rel. Gesch., ein Württemberger; grundgelehrtes Haus und heiter im Umgang; Lasonder Philosoph und Gymnasiallehrer Adolf Lasson, seit 1877 Privatdozent der Philosophie an der Universität Berlin., ebenfalls Prof. der Dogmatik u. Phil.; v. DöringAugust Döring, Philosoph, zunächst Lehrer und Gymnasialdirektor in Dortmund, seit 1885 Privatdozent für Philosophie in Berlin mit zahlreichen Publikationen zur Philosophiegeschichte, Pädagogik und Ästhetik. , Schuldirector u. Schriftsteller; Oskar Linkder Schriftsteller Oskar Linke, den Olga Plümacher zuvor bereits ausführlich charakterisiert hatte [vgl. Olga Plümacher an Wedekind, 15.11.1885]., ein Dichter der die Frauen haßt, ein wenig angenehmer Mann, aber H. recht treu zugethan. Dann einige Mediziner, darunter ein Judenicht identifiziert. als Dutz-FreundSchreibversehen, statt: Duz-Freund u. Schulkamerade. H.’s Tochter | erster Ehe, MarieMarie von Hartmann, Tochter aus Eduard von Hartmanns erster Ehe mit Agnes Taubert. Die Heirat fand am 3.7.1872 in Charlottenburg statt. Agnes von Hartmann starb am 8.5.1877., ist jetzt 16 Jahre, nicht hübsch und geistig völlig unbedeutend aber ein gutes Kind mit einem gewantenSchreibversehen, statt: gewandten. Berlinermundstück. Verliebst Du Dich in sie, so ist’s kein Unglück, denn sie erbt ein schönes Vermögen von ihrer Großmutter der verwitweten Oberst Taubert, und die Stiefmutter wäre wohl nicht abgeneigt sie früh zu verheirathen. Dagegen ist Frau v. H.’ SchwesterSchreibversehen, statt: v. H.’s Schwester. Klara, genannt „Pepi“, die jedes Semester von Bremen herüber zu Besuch kommt eine gefährliche Person, insofern sie hübsch, geistreich und weltgewantSchreibversehen, statt: weltgewandt. ist, dabei aber sehr verwöhnt und anspruchsvoll und kein Vermögen hat. Kurz es wird Dir dort schon gefallen. – Doch Du mein Gott! was schwatze ich da alles zusamen! es wird | Zeit, daß ich ende, sonst sagst Du: o über die alten Weiber! Also: nochmals schönen Dank für die Feuilletons. „Zirkus-G.[“] und „ü. d. Witz“ geht mit dem Brief an Dich heute zurück; „Gährungen“ – die ganz reizend sind – behalte ich noch oder – wenn Du mehr Ex. hast – überhaupt. Und nun adieu lieber Franklin; schreibe mir noch einmalFrank Wedekind schrieb Olga Plümacher am Karfreitag, den 19.4.1889 (nicht überliefert), wie aus einem Brief an die Mutter hervorgeht [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 10.7.1889]. bevor Du nach B. gehst. Den Brief zur Einf.Aus dem April oder Mai 1889 ist kein Empfehlungsbrief Olga Plümachers für Frank Wedekind überliefert; erhalten ist dagegen ein Brief vom 9.6.1889 an Alma von Hartmann [vgl. Mü, FW B 130], den Frank Wedekind am 26.6.1889 während seines kurzen Berlinaufenthalts (18.5.1889 bis 4.7.1889) erhielt. Im Tagebuch hielt er fest: „Mama schickt mir eine Empfehlung von Tante Plümacher an Frau Hartmann. [...] Ich bin noch unentschlossen ob ich davon Gebrauch machen soll.“ [Tb 26.6.1889] Am 5.7.1889 ging Frank Wedekind nach München. Da das Schreiben an Alma von Hartmann in Wedekinds Nachlass verblieben ist, kann davon ausgegangen werden, dass er das Ehepaar nicht besuchte. sende ich im April. Hier in Amerika möchte ich Dich ja nicht sehen, so gerne ich Dich habe und so unendlich gerne ich mit Dir wieder einmal plauderte. Aber für Deine vortreffliche Mutter ist es just genug Sorge, daß sie zwei Söhne in zwei fremden WelttheilenWilliam Wedekind war bis vor Kurzem noch in den USA gewesen und plante die Auswanderung nach Südafrika im Herbst des Jahres. Donald Wedekind war im Februar 1889 zu Verwandten seiner Mutter in die USA gereist. hat; bleib Du bei ihr als ihre Freude und Stütze. | Auch taugt A. nicht für Dichter und Künstler; Geld können sie machen unter Umständen, leiden aber Schaden an ihrer Seele. Wenn Mißerfolge Dich quälen u. Dir die europ. große Welt verleiden sollte – was wir aber nicht fürchten wollen – so sitze auf Deiner Väter Schloß und werde Oekonom und bist Du dabei ein guter Mann, so bist Du Manns genug. Die Araber sagen: ein Mann sollverbreitete Wendung, wonach die „Lebensregel der Araber [sei], dass der Mensch das Leben benützen soll, entweder einen Baum zu pflanzen, oder ein Kind zu zeugen, oder ein Buch zu schreiben.“ [Carl du Prel (Hg.): Immanuel Kants Vorlesungen über Psychologie. Leipzig 1889, S. LXIV] einen Baum pflanzen, ein Kind zeugen, ein Buch schreiben; jedes einzelne ist eine gute That; u. an der That liegts, nichts am Erfolg. Adieu nochmals. An Mama schreib ichDer Brief Olga Plümachers an Emilie Wedekind ist nicht überliefert. heute ebenfalls. Deine alte Tante
O. Plümacher.

Frank Wedekind schrieb am 19. April 1889 in Lenzburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 10.7.1889 aus München:]


Läßt Tante Plümacher in ihrem Brief an dich nicht von einem solchen verlauten, den sie von mir erhalten? Ich schrieb ihr zuletzt am Charfreitag und fürchte daß meine ganze Sendung verloren gegangen.

Frank Wedekind schrieb am 13. Juli 1889 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher , Olga Plümacher , Olga Plümacher , Olga Plümacher , Olga Plümacher ,

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 13.07.1889 in München:]


Brief an Tante Plümacher.

Olga Plümacher schrieb am 1. Januar 1892 in Beersheba Springs folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 21.1.1892 aus Paris:]


Von Tante Plümacher erhielt ich einen äußerst lieben Brief. […] Da sie den Brief über Lenzburg geschickt setze ich voraus, daß sie dir gleichfalls geschrieben hat.

Frank Wedekind schrieb am 21. Januar 1892 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher , Olga Plümacher , Olga Plümacher , Olga Plümacher

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 21.1.1892 aus Paris:]


Von Tante Plümacher erhielt ich einen äußerst lieben Brief. Ich hatte einige Tage vorher angefangen an sie zu schreiben und schloß daher mit meiner Antwort auf ihre Fragen.

Frank Wedekind schrieb am 17. Mai 1892 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher , Olga Plümacher , Olga Plümacher , Olga Plümacher , Olga Plümacher , [Herr] Schröder

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 17.5.1892 in Paris:]


Endlich den Brief an T. Plümacher geschrieben.

Olga Plümacher schrieb am 5. Juni 1892 in Beersheba Springs folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 17.6.1892 in Paris:]


Finde einen Brief von Tante Plümacher [...] im Fach.

Frank Wedekind schrieb am 1. November 1892 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Olga Plümacher

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 14.11.1892 aus Paris:]


Vor vierzehn Tagen schrieb ich an Tante Plümacher […]

Olga Plümacher schrieb am 27. Dezember 1892 in Beersheba Springs folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind , Frank Wedekind

[Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 7.1.1893 aus Paris:]


Auch Tante Plümacher hat mir wieder geschrieben.

Olga Plümacher schrieb am 27. August 1893 in Beersheba Springs folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 10.9.1893 in Paris:]


Ich gehe nach HauseWedekind hatte sich am 5.9.1893 in Paris im Hotel Mont Blanc, Rue de Seine 63, 2. Stock eingemietet [vgl. Tb 5.9.1893]., finde auf meinem Tisch [...] einen Brief von Tante Plümacher […]


[2. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Emilie Wedekind vom 12.9.1893 aus Paris:]


Tante Pl. schreibt mir einen dicken Brief.