Briefwechsel

von Adele Sandrock und Frank Wedekind

Frank Wedekind schrieb am 5. Juni 1905 in München folgenden Brief
an Adele Sandrock

Hochverehrtes gnädiges FräuleinAdele Sandrock, Schauspielerin am Kaiserjubiläums-Stadttheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 603], mit dem sie einen Jahres-Gastspiel-Vertrag hatte und zuvor von 1902 bis 1904 am Deutschen Volkstheater in Wien engagiert war [vgl. Balk 1997, S. 143]. Berühmt war sie durch ihr Engagement 1895 am Wiener Burgtheater, das sie 1898 kündigte; „dem sensationellen Schritt waren mehrere Auseinandersetzungen vorausgegangen. Pläne zur Errichtung eines eigenen Theaters scheitern.“ [Balk 1997, S. 142] Karl Kraus hatte sie als Darstellerin der Gräfin Geschwitz in der Wiener „Die Büchse der Pandora“-Premiere gewinnen können (siehe unten).! Ich kann es mir nicht nehmen lassen, Ihnen für Ihre Mitwirkung bei der Aufführung meines Stückes meinen tiefsten Dank auszusprechen. Die erschütternden Herzenstöne, die ich an jenem AbendDie von Karl Kraus veranstaltete Wiener Premiere von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903) fand am 29.5.1905 in geschlossener Vorstellung statt „auf der Bühne des Trianon-Theaters im Nestroyhof [...], das Kraus für diesen Zweck gemietet hatte“ [Nottscheid 2008, S. 141]. Wedekind lernte die Schauspielerin Adele Sandrock „anläßlich der Wiener Aufführung der ‚Büchse der Pandora‘ [...] kennen“ [KSA 5/III, S. 360] – sie spielte die Rolle der Gräfin Geschwitz [vgl. KSA 3/I, S. 548]. zum erstenmal von Ihnen hörte, werde ich wohl schwerlich in meinem Leben je vergessen. Halten Sie mich, bitte, nicht für einen Kunstbarbaren, weil ich Sie bis dahin noch nie auf der Bühne gesehen hatte. Ich war bis dahin nur zweimal in WienWedekind war ein erstes Mal mit Carl Heine und seinem Ensemble bei einem Gastspiels des Ibsen-Theaters vom 2. bis 12.6.1898 im Carl-Theater in Wien, ein zweites Mal vom 14. bis 22.11.1901 zu einem Gastspiel des Jung-Wiener Theaters „Zum lieben Augustin“ im Theater an der Wien. gewesen und war dabei selber allabendlich beschäftigt. Ich rechne es mir als ein großes Glück an, daß ich Ihre gewaltige Kunst kennen lernen durfte, und bitte Sie, daran glauben zu wollen, daß ich die Ehre, die meiner Arbeit durch Ihre Mitwirkung zuteil wurde, im höchsten Maße zu schätzen weiß. Sie scheinen mir als Künstlerin dazu auserlesen, überlebensgroße Gestalten derart zu verkörpern, daß der Zuschauer gezwungen ist, an die Wirklichkeit solcher Gestalten zu glauben. In diesem Sinne wird Ihre Kunst meinem Schaffen von heute ab ein Vorbild sein. Ich wüßte mir kein höheres Glück, als ein Menschenschicksal zu schaffen, das groß und tief genug wäre, daß Sie Ihre seelische Gewalt völlig darin ausleben könnten, und dessen Darstellung Ihnen selber dabei mehr menschliche Genugtuung gewährt als die Rolle, die Sie in meinem Stück so über alle Maßen wundervoll verkörperten. Erlauben Sie mir, gnädiges Fräulein, Ihnen den Ausdruck größter Verehrung und größter Dankbarkeit zu Füßen zu legen. Frank Wedekind.

Adele Sandrock schrieb am 16. November 1905 in Berlin folgende Postkarte
an Frank Wedekind

CENTRAL-HOTELAdele Sandrock wohnte die ersten Monate nach ihrem Wechsel von Wien (dort war sie zuletzt am Deutschen Volkstheater und Kaiserjubiläums-Stadttheater engagiert gewesen) nach Berlin im Central-Hotel (Friedrichstraße 143-149); im selben Haus befand sich außer dem Café Central-Hotel das Restaurant Zum Heidelberger [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil III, S. 221], das von Wedekind und Adele Sandrock gerne besucht wurde. Die Presse hatte bereits im Sommer gemeldet: „Adele Sandrock hat mit Direktor Reinhardt einen Engagementsvertrag abgeschlossen. Sie tritt ihr Engagement schon im Herbste an und wird durch fünf Jahre am Deutschen Theater in Berlin tätig sein.“ [Neues Wiener Tagblatt, Jg. 39, Nr. 168, 20.6.1905, S. 11] Max Reinhardt hatte sie am 22.4.1905 in einem Telegramm gemahnt, ihren Vertrag mit dem Deutschen Theater endlich zu unterzeichnen [vgl. Ahlemann 1988, S. 264f.]; ihr Engagement sollte wohl am 1.9.1905 beginnen, sie scheint aber erst am 18.10.1905 von Wien abgefahren zu sein [vgl. Balk 1997, S. 57f.], womöglich aber noch später.
BERLIN


Postkarte.


An Herrn Frank Wedekind.

in Berlin

Wohnung (Straße und Hausnummer) Schiffbauerdamm
No 6. Pension NolteWedekind wohnte in der im 3. Stock gelegenen Pension von Johanna Nolte (Schiffbauerdamm 6/7) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 1598]; Eigentümer des Hauses war das Neue Theater [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil III, S. 669]. |


CENTRAL-HÔTEL BERLIN


BERLIN NW. 7, DEN 16. November. 05.


Sehr geehrter Herr.

Carl KraussAdele Sandrock hat in der von Karl Kraus veranstalteten Wiener Premiere von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 die Rolle der Gräfin Geschwitz gespielt [vgl. KSA 3/I, S. 548]. Karl Kraus war seit 1894 mit ihr bekannt; da war die gebürtige Holländerin schon längst eine bewunderte Schauspielerin (sie spielte seit 1889 am Deutschen Volkstheater, von 1895 bis 1898 am Wiener Burgtheater und war seitdem als Darstellerin klassischer Frauenrollen berühmt). hat mich Ihrer Obhut empfolenSchreibversehen, statt: empfohlen.. Ich melde mich daher. Ich wohne Central Hotel Zimmer 482. Schreiben Sie mir wann ich Sie seh’nWedekind besuchte sie am 19.11.1905 (gleich am nächsten Sonntag also): „Abends besuche ich Adele Sandrock“ [Tb]. Das nächste Treffen fand neun Tage später am 28.11.1905 statt: „Diniere mit Adele Sandrock im Centralhotel.“ [Tb] könnte damit ich zu hause bin!

Herzlichen Gruß ASandrock.

Adele Sandrock schrieb am 30. November 1905 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Berlin. Central Hotel.
482.

Donnerstagder 30.11.1905. Adele Sandrock resümiert abends ihr tagsüber am 30.11.1905 mit Wedekind geführtes Gespräch, das Wedekind im Tagebuch nicht vermerkt hat, sondern lediglich sein Abendprogramm (seinen Besuch der Uraufführung der Tragikomödie „Der Feiertag“ von Richard Fellinger im Kleinen Theater von 19.30 bis 21.45 Uhr, anschließend seine Vorbereitung auf einen Vortrag). Ein Treffen Wedekinds mit Adele Sandrock tagsüber am 30.11.1905 ist auch durch einen gemeinsamen versandten Kartenbrief belegt, dessen Postausgangsstempel die Uhrzeit 19 bis 20 Uhr dokumentiert, also davor geschrieben worden sein muss [vgl. Adele Sandrock, Wedekind an Karl Kraus, 30.11.1905]. Abend.


Werthe Seele!

Sie sagten mir heute so wiederlicheSchreibversehen, statt: widerliche. Dinge, daß ich gezwungen werde Sie zum MittelpunckteSchreibversehen, statt: Mittelpunkte. all meiner Gedanken zu machen, die mich diesen Abend so sehr beschäftigen. Fast möchte ich Ihre krausen Reden als eine neue Epoche in meinem Dasein aufnehmen aber hoffentlich sind diese höchst anregenden Vorläufern nur todte Ziele! So weit wäre mir ja alles erklärlich, was in Ihnen tobt, aber das Rätselhafte der Sache liegt für mich darin, „warum“ Sie sich gedrungen fühlten mich, armen Hund, durch sehr geschickt in Scene gesetzte Reden derart aufzuwühlen dasSchreibversehen, statt: daß. ich fort und fort an Siefünfmal unterstrichen. denken muß! ‒. |

Mir ist das nicht angenehm ‒ Sie waren mir durch unseren kleinen KraussKarl Kraus hat Adele Sandrock in Berlin an Wedekind empfohlen [vgl. Adele Sandrock an Wedekind, 16.11.1905]. seelisch verwandt und als ich Sie das erste Mal bei mirWedekind hat Adele Sandrock erstmals am 19.11.1905 besucht: „Abends besuche ich Adele Sandrock“ [Tb]. hatte sprach ich zu Ihnen, rund von der Leber weg, wie man zu einem guten Freunde spricht. Sie haben mir nun eine Rüge ertheilt (mit Recht) dasSchreibversehen, statt: daß. ich wohl zu offen und frei sprach!! ‒ Diese Rüge sitzt und ich hasse sie darob! Wenn ich aber einen Menschen hasse, scheint die nächste Zukunft für mich gefährlich!! Aber die Zukunft kann ja nur durch einen übereiligen Schritt der Gegenwart entstehen und darum will ich von einer Gegenwart mit Ihnen, liebe werthe Seele, Nichts wissen!

Warum? ‒ Sie haben es heute selbst in der wüsten Kneipenicht ermittelt. gesagt ‒ vielleicht | hatten Sie, ohne es zu ahnen, recht! In ruhigen Momenten sprachen Sie auch vernünftig, so theilten Sie mir mit, das O. E. H. von Ihnen ein Stück „FrühlingstraumAdele Sandrock dürfte hier entweder „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie“ (1891) gemeint haben, ein Stück, das Wedekinds im Frühjahr verstorbener Freund nachweislich schätzte [vgl. Otto Erich Hartleben an Wedekind, 25.4.1894] und das zuletzt in 3. Auflage 1903 im Verlag Albert Langen erschienen ist [vgl. KSA 2, S. 772], oder „Frühlingsstürme. Eine Exekution“ [KSA 3/I, S. 617-637], 1902 in einer Zeitschrift abgedruckt [vgl. Neue Deutsche Rundschau, Jg. 13, Nr. 8, August 1902, S. 845-858], eine Umarbeitung des 1. Akts von „Der Erdgeist“ zu einer „Parodie naturalistischen Theaters à la Ibsen und Hauptmann fürs Kabarett“ [KSA 3/II, S. 861], die 1902 zum Programm der Elf Scharfrichter gehört hat und Wedekinds Freund aus diesem Zusammenhang bekannt gewesen sein könnte. so sehr lobte. Ich will dieses Stück lesen. Wenn Sie es haben ‒ bringen Sie es mir ‒ bringen Sie mir auch noch Andere Sachen die Sie geschrieben, ich möchte alle Erscheinungen Ihrer geistigen Natur studiren! Aber, hassen thue ich Sie doch! Sie sagten heute, der Tag ist ja noch so lang! ‒ Ich fühle das intensiver als je! Ich möchte mit Ihnendreimal unterstrichen. plaudern bis zum frühen Morgen ‒ aber ich hasse Sie doch! ‒ Ich werde Sie Freitag im TheaterAdele Sandrock besuchte am 1.12.1905 eine Vorstellung der „Hidalla“-Inszenierung (Wedekind spielte seit der Premiere am 26.9.1905 die Rolle des Karl Hetmann) am Kleinen Theater in Berlin (Unter den Linden 44) und wollte sich anschließend mit Wedekind treffen, wie sie ihm dann nochmals nahelegte [vgl. Adele Sandrock an Wedekind, 1.12.1905]. seh’n! ‒ Nach der Vorstellung werde ich auf Sie warten | beim Ausgang des Theaters Unter den Linden! Kommen Sie bitte ohne Frauen und ohne „Kerle“ ‒ ich will Sie alleindreimal unterstrichen. haben ‒ ‒ weil ich Sie hasse. ‒

Ihre Bücher bringen Sie mir Samstagder 2.12.1905. Wedekind hat im Tagebuch keinen Besuch bei Adele Sandrock im Central-Hotel vermerkt. um 5 Uhr Nachmittags bitte hinauf Zimmer 482. ‒

Ich hasse Sie und dochdreimal unterstrichen. gedenke ich Ihrer in großen herrlichen Zügen! Gott gab uns doch etwas wunderbares ‒ ein Herz, ein schwer zu behandelndes vorsichtig zu gebrauchendes Herz und zwar lediglich für die Tragödie der großen Gemüthsroheit„Gemüths“ dreimal unterstrichen, „roheit“ Schreibversehen (statt „rohheit“).!!! Leben Sie wohl, Frank Wedekind! ‒ Der Gedanke dasSchreibversehen, statt: daß. ich Sie wiedersehe schlägt wie ein Blitz in die Seele der Schreiberin dieser
Zeilen!

Adele Sandrock schrieb am 1. Dezember 1905 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mensch ‒ Sie sind zu großartigdreimal unterstrichen., ich hasse SieDas hatte Adele Sandrock am Vortag betont [vgl. Sandrock an Wedekind, 30.11.1905] und erklärt nun das Gegenteil. nichtfünfmal unterstrichen. mehr!

Nach dem Theater unter den Linden vor dem Theater erwarte ich SieAdele Sandrock besuchte am 1.12.1905 die 40. Vorstellung der erfolgreichen „Hidalla“-Inszenierung unter der Regie von Victor Barnowsky am Kleinen Theater in Berlin (Unter den Linden 44), in der Wedekind die Rolle des Karl Hetmann spielte, den sie nach Vorstellungsschluss vor dem Theater erwartete; beide gingen dann in die Berliner Weinstube Gebrüder Habel (Unter den Linden 30), wie Wedekind am 1.12.1905 notierte: „Hidalla 40 Nachher mit Adele Sandrock bei Habel.“ [Tb]. Ich freue mich auf Sie. Sie sind ein Prachtmenschsechsmal unterstrichen..

Ihredreimal unterstrichen. Adele.

Frank Wedekind und Tilly Wedekind schrieben am 8. Januar 1906 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Adele Sandrock

Postkarte


Fräulein
Adele Sandrock
Berlin
Central Hotel


Sehr geehrtes gnädiges Fräulein! Sie finden morgen Abend zwei Kartenzwei Theaterkarten für die elfte Vorstellung der laufenden Inszenierung des „Marquis von Keith“ (Premiere: 13.12.1905) im Kleinen Theater (Unter den Linden 44) am 9.1.1906 – „Marquis von Keith 11“ [Tb]. Wedekind hat Adele Sandrock am 8.1.1906 im Restaurant Zum Heidelberger (Friedrichstraße 143-149) getroffen und sie zum Besuch dieser Vorstellung eingeladen: „Im Heidelberger treffe ich Adele Sandrock [...] lade sie zum Marquis v. K ein.“ [Tb] an der Kasse d. Kleinen Theaters. Ergebensten Gruß. F.W.


Liebes Frl. Sandrock, hätten Sie Lust einmal mit uns zusammenTilly Newes und Wedekind waren erstmals am 26.1.1906 mit Adele Sandrock gemeinsam zusammen, im Weinlokal F. W. Borchardt (Französische Straße 47/48) in einer festlichen Runde mit mehreren Personen vom Deutschen Theater und aus dessen Umkreis (Max Reinhardt, Walther Rathenau, Maximilian Harden, Felix Hollaender, Felix Salten): „Abendgesellschaft bei Borchardt mit Reinhart Rathenau Harden Holländer, Salten, Sandrock und Tilly.“ [Tb] ‒ Wedekind hat Adele Sandrock seit dem letzten Treffen mit ihr am 1.12.1905 aber mehrfach allein (ohne Tilly Newes) getroffen (sie hat ihn in seiner Liebesbeziehung zu Berthe Marie Denk beraten) – so dem Tagebuch zufolge am 25.12.1905 („Diniere im Heidelberger mit Adele Sandrock und ihren Damen“), am 28.12.1905 („mit Weinhöppel und Adele Sandrock bei Habel. [...] Am Morgen erhalte ich einen Eilbrief von B M.D. sie will auf Neujahr hier sein. Ich bespreche mich darüber mit Adele Sandrock“) und schließlich am 8.1.1906 („Im Heidelberger treffe ich Adele Sandrock und ihre Damen, zeige ihr B.M. Brief lade sie zum Marquis v. K ein“), dann wieder am 15.1.1906 („Diner mit Adele Sandrock, Fritz Werner und Dr. Herz bei Skriwonek“), am 17.1.1906 („Ich schreibe im Central-Hotel an Bertha Maria, hole Adele Sandrock zum Diner ab. Wir schreiben zusammen Karten an Bertha Maria und gehen ins Café Monopol“) und 23.1.1906 („Diniere mit Adele Sandrock. Wir schreiben an Bertha Maria“). zu sein?

Herzl. Gruß
T.N.Tilly Newes (in der Rolle der Lulu) und Adele Sandrock (in der Rolle der Gräfin Geschwitz) haben beide in der von Karl Kraus veranstalteten Wiener Premiere von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 mitgespielt [vgl. KSA 3/I, S. 548] und sich kurz zuvor kennengelernt, wie Wedekinds spätere Gattin sich erinnerte: „Als ich nach Wien kam, hatte sie jedenfalls das Burgtheater bereits verlassen und spielte nun am Kaiser-Jubiläums-Theater. Dadurch lernten wir uns näher kennen“ [Wedekind 1969, S. 29f.]. |


Berlin. Schlossbrücke.

Frank Wedekind schrieb am 7. Februar 1906 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Adele Sandrock

[Hinweis in Adele Sandrocks Brief an Wedekind vom 8.2.1906 aus Berlin:]


Wissen Sie denn, welche Freude Sie mir gemacht haben mit Ihrem lieben Brief?

Adele Sandrock schrieb am 8. Februar 1906 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber, lieber Frank.

Wissen Sie denn, welche Freude Sie mir gemacht haben mit Ihrem lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Adele Sandrock, 7.2.1906.? Ich habe wieder mal so recht Ihr Herz erkanntAdele Sandrock hatte Wedekind am 6.2.1906 ihr Leid geklagt: „Diniere mit Adele Sandrock und tröste sie.“ [Tb] Sein nicht überlieferter Brief (siehe oben) dürfte bald darauf geschrieben worden sein und sie ebenfalls getröstet haben.! Heiliger Gott, „gute Menschen“ sind doch so unsagbar wohlthuend, die Güte ist doch das Herrlichste nach der Liebe! Frank. Liebster Freund bitte senden Sie mir | die Privatadresse von WeinhöppelWedekinds Freund wohnte in Berlin W15, Nachodstraße 24, Gartenhaus (= Hinterhaus), 3. Stock [vgl. Hans Richard Weinhöppel an Wedekind, 8.10.1905], ausgewiesen als Kapellmeister und Komponist [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 2428]., ich möchte mit ihm MusizierenDazu kam es wohl nicht. Adele Sandrock, die Hans Richard Weinhöppel nachweislich zuletzt am 28.12.1911 begegnet ist, wie Wedekind notiert hat: „mit Weinhöppel und Adele Sandrock bei Habel“ [Tb], war offenbar noch nicht darüber informiert, dass der Musiker Berlin verlassen würde, wie die überregionale Presse einige Tage später meldete: „Zum Nachfolger des verstorbenen Paul Haase als Gesanglehrer des Konservatorium in Köln ist Herr Richard Weinhöppel ernannt worden. Herr Weinhöppel, der gegen 40 Jahre alt ist, war [...] zuletzt am Sternschen Konservatorium in Berlin als Gesangspädagoge tätig. Er beherrscht auch im Gesange neben dem Deutschen das Italienische, Französische und Englische und wird neben dem Gesange auch Mimik und Aesthetik der Gebärden lehren.“ [Vom Kölner Konservatorium. In: Prager Tagblatt, Jg. 30, Nr. 44, 14.2.1906, Morgen-Ausgabe, S. 10].

Ich bin unendlich traurig gestimmt, in mir ist Alles grau in grau, ich bin selbst besorgt für die Zukunft meiner Seele, die hier jeden Tag schwächer wird. Schade daß ich Sie so wenig sehe, Sie können einen geknickten Menschen so famos aufrichten. Was die JournailleJournalisten, Presse (abwertend). – Adele Sandrock hatte in letzter Zeit allerhand mit der Presse zu tun, da in Pressenotizen behauptet worden ist, sie werde das Deutsche Theater in Berlin wieder verlassen und zurückkehren nach Wien zum Deutschen Volkstheater. Sie hat daraufhin eine öffentliche Erklärung abgegeben: „Adele Sandrock schreibt uns: ‚Mit Bezugnahme auf einige meine Person betreffenden Zeitungsnachrichten erlaube ich mir, Ihnen die Mitteilung zu machen, daß ich mit Direktor Max Reinhardt einen fünfjährigen unkündbaren Vertrag habe und am Deutschen Theater bleiben werde.‘“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 50, 28.1.1906, Sonntags-Ausgabe, S. (2)] Ein Wiener Blatt unterstellte ihr daraufhin, sie selbst habe die Meldung ihrer angeblichen Rückkehr nach Wien initiiert: „Die Tragödin Frl. Adele Sandrock, vom Deutschen Theater in Berlin, dementiert in den dortigen Zeitungen die von ihr lancierte Nachricht von ihrem Engagement an das Deutsche Volkstheater in Wien.“ [Der Humorist. Zeitschrift für die Theater- und Kunstwelt, Jg. 26, Nr. 4, 1.2.1906, S. 3] schrieb, bei Gott so gleichgiltig | war mir noch nie was, ich habe offen gestanden den Humbug nicht einmal gelesen, mir imponirt schon seit Jahren keine Kritikhier die Besprechungen der Uraufführung von Hugo von Hofmannsthals Tragödie „Ödipus und die Sphinx“ am 2.2.1906 am Deutschen Theater in Berlin (Regie: Max Reinhardt), in der Adele Sandrock die Königin Antiope (des Laïos Mutter) spielte. Wedekind hat sie am 2.2.1906 auf der Bühne erlebt: „Premiere von Ödipus und die Sphinx“ [Tb]. Die Rolle war ihr erster Auftritt bei Max Reinhardt nach ihrer Übersiedlung im Herbst 1905 von Wien nach Berlin, wie die Presse angekündigt hat: „Die erste Rolle, die Adele Sandrock in ihrem Engagement am Deutschen Theater spielen wird, ist die der Königin Antiope in Hofmannsthals ‚Oedipus und die Sphinx‘.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 16, 11.1.1906, Morgen-Ausgabe, S. 7] Ihre darstellerische Leistung kam in den Besprechungen teils gar nicht zur Sprache [vgl. Monty Jacobs: Der junge Oedipus. In: Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 62, 3.2.1906, Abend-Ausgabe, S. (1-2)], teils wurde sie nur vordergründig gelobt, tatsächlich aber ihr Stil als nicht mehr zeitgemäß bekrittelt – „Am prächtigsten traf Fräulein Adele Sandrock als Königin Antiope einen groß gestimmten pathetischen Ton. Die Heroine von vorgestern. Aber hier am rechten Platze.“ [Ein neuer Oedipus. In: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Jg. 45, Nr. 29, 4.2.1906, 1. (Abend-)Ausgabe, Unterhaltungs-Beilage, S. (1)] –, teils wurde sie tatsächlich gelobt: „Imposant verkörperte Adele Sandrock [...] die hochragende blinde Königsmutter des Laïos.“ [dt.: Deutsches Theater. In: Vorwärts, Jg. 23, Nr. 29, 4.2.1906, 3. Beilage, S. (1)] „Adele Sandrock gab eine von Wort zu Wort sich steigernde, hinreißend schöne und verständnisvolle Szene als Königin Antiope in der Glanzszene des Dramas.“ [Robert Saudek: Hofmannsthal’s Oedipuspremière am Deutschen Theater zu Berlin. In: Leipziger Tageblatt, Jg. 100, Nr. 61, 3.2.1906, Abend-Ausgabe, S. 1] Siegfried Jacobsohn meinte: „Wie gut, daß Reinhardt die Sandrock hat, die letzte deutsche Heroine“ [S. J.: Oedipus und die Sphinx. In: Die Schaubühne, Jg. 2, Nr. 6, 8.2.1906, S. 166], was ihr gar nicht gefallen hat, wie sie am 5.2.1906 an Hermann Bahr schrieb: „Die Kritiken sind die reinsten Nachrufe! Ich bin die ‚letzte Heroine‘ was sagst Du dazu?!“ [Ahlemann 1988, S. 279] mehr, wir wissen ja wie die gemacht wird. Pfeif drauf.

Mir war immer die Hauptsache wie sich mein Directoraktuell: Max Reinhardt, Direktor des Deutschen Theaters zu Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 271]. Adele Sandrocks Verhältnis zu ihm war äußerst problematisch, da sie unter der Vertragsklausel litt, „insbesondere ältere Frauenrollen zu spielen“ [Balk 1997, S. 84], und überhaupt kaum bei Rollenbesetzungen zum Zuge kam. zu meinen aufgesagten Worten verhält, der giebt mir armen Hund schließlich Futter und Stroh. Wenn der knurrt so wäre es vielleicht zum aufregen aber die Tintenfische ‒ pah.

Grüß Sie Gott liebster Frank, ich bin Ihnen gut von ganzem Herzen!

In treuer Freundschaft
Ihre
Adele Sandrock.


Bitte Weinhöppel’s Adresse.

Adele Sandrock schrieb am 15. März 1906 in Berlin folgende Postkarte
an Frank Wedekind

CENTRAL-HOTEL
BERLIN


Postkarte.


An Herrn
Frank Wedekind.

in Berlin.

Wohnung (Straße und Hausnummer) SchiffbauerdamSchreibversehen, statt: Schiffbauerdamm.
No 6
Pension NolteWedekind wohnte in der Pension von Johanna Nolte (Schiffbauerdamm 6/7) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 1598]; Eigentümer des Hauses war das Neue Theater [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil III, S. 669].. |


CENTRAL-HÔTEL BERLIN

BERLIN NW. 7, DEN


Theurer, liebster Freund.

Senden Sie mir bitteAdele Sandrocks dürfte „Franziskas Abendlied“ [vgl. KSA 1/I, S. 418-420, 653-654; KSA 1/III, S. 98-99] – zuletzt als Gedicht 1905 in der Sammlung „Die vier Jahreszeiten“ erschienen [vgl. KSA 1/I, S. 1597f.], als Lied 1901 in Programmheften der Elf Scharfrichter und 1902 in „Das Moderne Brettl“ [vgl. KSA 1/IV, S. 823] – für die Vorbereitung einer Nachtveranstaltung des Neuen Theaters benötigt haben (vermutlich für die Vorzensur), die zunächst früher hätte stattfinden sollen, dann aber auf den 24.3.1906 verschoben worden ist: „Die von den Mitgliedern des Ferienfonds des Deutschen und Neuen Theaters geplante Nacht-Vorstellung ist auf den 24. März verschoben worden. Sie findet im Neuen Theater statt. Für die bisher in Aussicht genommenen Programmnummern ist die Mitwirkung der Damen Höflich, Sandrock, Sorma, Mangel und der Herren Arnold, Engels, Schildkraut, Waßmann und Frank Wedekind gesichert.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 126, 10.3.1906, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Bei der Nachtveranstaltung am 24.3.1906 im Neuen Theater, die um 23 Uhr begann, ein „Theater-VARIETE-Ball“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 141, 18.3.1906, Sonntags-Ausgabe, 5. Beiblatt, S. (2)], waren unter den Mitwirkenden Adele Sandrock und Wedekind, der das Lied selbst vorgetragen haben dürfte: „Frank Wedekind wird eigene Lieder zum Vortrage bringen.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 132, 20.3.1906, Morgen-Ausgabe, S. 9] Wedekind notierte am 24.3.1906: „Nachtvorstellung im Kleinen Theater.“ [Tb] Er dürfte „Franziskas Abendlied“ der Freundin am 18.3.1906 persönlich übergeben haben: „Mit Adele diniert.“ [Tb] von Frank Wedekind, Franziskas Abendlied. Wenn möglich sofort. Tausend Grüße Ihrer treuen
Adele.


Gruß für Tillichen.

Frank Wedekind schrieb am 1. April 1906 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Adele Sandrock

[Hinweis in Adele Sandrocks Brief an Wedekind vom 18.4.1906 aus Berlin:]


Verzeihen Sie mir daß ich nicht sofort Antwort schickte [...]

Adele Sandrock schrieb am 18. April 1906 in Berlin folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber, lieber hochverehrter theurer Frank.

Mein sehnlichster Wunsch bei Ihrer HochzeitFrank Wedekind und Tilly Newes haben am 1.5.1906 in Berlin geheiratet [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 15f.] – und Adele Sandrock war am Hochzeitstag unter den Gästen (neben Emil Gerhäuser, Dagobert Engländer, Julius Greve, Curt von Glasenapp, und Ida Orloff): „Um 10 kommt Gerhäuser. Onkel Dagobert. Trauung. Greve. Zoologischer Garten. Diner im Savoyhotel. Glasenapp. Iduschka Adele.“ [Tb] zugegen zu sein, kann sich leider, leider nicht erfüllen. Ich habe solche schreckliche Unannehmlichkeiten mit dem Transport meiner Möbel von Wien nach BerlinAdele Sandrock war im Herbst 1905 von Wien nach Berlin gekommen und hatte in Berlin zunächst einige Monate im Central-Hotel (Friedrichstraße 143-149) gewohnt; nun zog sie in eine Wohnung in Charlottenburg (Leibnizstraße 60) [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 2042], in der sie bis an ihr Lebensende wohnen blieb. daß ich wie ein gehetztes Wild seit einigen Tagen von Advokat zu Advocat laufe.

Ich soll dem elenden Gesellen 1200 Mark | mehr bezahlen als ausgemacht wurde und da ich nun klagbar gegen dieses Scheusal vorgeh’n muß, hat er mir bis zur heutigen Stunde meine Möbel, Kisten und Koffer noch nicht ausgeliefert und somit habe ich keine Hochzeitstoilettedreimal unterstrichen.!

Ist das nicht unsagbar traurig!

Wäre ich in der Lage, hätte ich mir selbstredend sofort eine Toiletteelegante Damenbekleidung. Tilly Wedekind erinnerte sich an ihren Hochzeitstag und an Adele Sandrocks Garderobe: „Heute, zu unserer Hochzeit, war sie in ihrem besten Staat ausstaffiert, äußerst elegant im Stil der Jahrhundertwende, der ja damals immerhin schon einige Jahre zurücklag.“ [Wedekind 1969, S. 72] bestellt, aber bei diesen horrenden Ausgaben | die ich jetzt habe ist das unmöglich.

Wegen diesenSchreibversehen, statt: diesem. Galgenvogel kann ich nun nicht kommen, denn ich habe nur meine Wintersachen da, Alles Andere steht beim Spediteur!

Ich habe ja so schreckliche Aufregungen lieber Frank und bin bei Gott trostlosdreimal unterstrichen. daß ich meine Toiletten nicht habe. Sie werden den Grund gewiß auch bedauerlich finden, denn Sie und Tilly wissen, wie wahnsinnig anhänglich ich Ihnen bin.

Ich werde nun im Geiste bei Ihnen sein und sende Ihnen und Ihrer lieben lieben Braut meine allerinnigsten Herzenssegenswünsche. Mögen Sie | das Glück in Zukunft so recht innig und froh genießen, wie ich es Ihnen von ganzer Seele wünsche!

Verzeihen Sie mir daß ich nicht sofort AntwordtSchreibversehen, statt: Antwort. – Hinweis auf eine schon etwas länger zurückliegende schriftliche Einladung zur Hochzeit; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Adele Sandrock, 1.4.1906. – Mündlich dürfte Adele Sandrock längst über die Heiratspläne von Wedekind und Tilly Newes informiert worden sein. schickte, ich dachte noch bis gestern AbendWedekind und Tilly Newes waren am 17.4.1906 mit Adele Sandrock im Restaurant Zum Heidelberger (Friedrichstraße 143-149): „Abends mit Tilly und Adele im Heidelberger“ [Tb]. dasSchreibversehen, statt: das. sich die Angelegenheit ordnen wird, aber ich erhielt BescheidtSchreibversehen, statt: Bescheid. und vor drei Wochen werde ich kaum zu meinen Sachen gelangen. Oh wie gerne hätte ich Ihnen und Tilly an dem Tage die Hand gedrückt ‒ seh’n Sie so ist das elende Leben ‒ wegen solch einer Lumperei muß ich fern bleiben ‒ oh ich bin vom Unglück verfolgt. Ich danke Ihnen daß Sie meiner so lieb gedacht haben und bin mit den allerinnigsten Wünschen für Ihr künftiges Glück Ihre treue
Adele Sandrock


An Tilly 1000000 innige Grüße

Adele Sandrock schrieb am 17. Juni 1906 in Charlottenburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber theurer Freund Frank.

Bitten Sie doch per Rohrpost dasSchreibversehen, statt: daß. der Herr Gerhäuser, der edle SängerWedekinds Freund Emil Gerhäuser war Opernsänger, ein Tenor, der aber aktuell auch ein Opernlibretto verfasst hat, wie die Presse gerade über ihn berichtet hatte: „An der Dresdener Hofoper wird [...] für die nächste Spielzeit die musikalische Tragödie ‚Moloch‘ von Max Schillings vorbereitet. Die Dichtung hierzu, frei nach Hebbels ‚Moloch‘-Fragment verfaßt, stammt von Emil Gerhäuser, dem Operntenoristen. der vornehmlich aus seiner Wirksamkeit an der Münchener Hofoper und bei den Bayreuther Festspielen bekannt ist. Gerhäuser behandelt in seiner Dichtung nach dem Plane Hebbels das Entstehen von Religion und Kultur. Während aber bei Hebbel der Moloch eine Symbolisierung der Religion überhaupt bedeutet, ist er in Gerhäusers Libretto als Symbolisierung der starren Dogmatik gefaßt, der die innere Religiosität entgegengesetzt wird.“ [Der Tenorist als Operndichter. In: Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 300, 16.6.1906, Morgen-Ausgabe, S. (3)] mit uns Abends beisammenFrank Wedekind notierte am 18.6.1906 ein Beisammensein von ihm, Tilly Wedekind, Adele Sandrock und Emil Gerhäuser im Berliner Weinlokal A. Steinert (ab 20 Uhr, um 24 Uhr kommen dazu Karl Kraus und Irma Karczewska, die in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 die Rolle des Bob gespielt hatte): „Tilli und ich holen Adele Sandrock ab und gehen mit ihr zu Steinert in Charlottenburg, wo Gerhäuser auf uns wartet. Um Mitternacht kommen noch Kraus und Irma Karschewska.“ [Tb] ist. Also auf Wiederseh’n Montagder 18.6.1906 (siehe oben). 8 Uhr. tausend herzinnige Grüße für Tilly u. für Sie von Ihrer
treuen
Adele Sandrock

Adele Sandrock schrieb am 27. Juni 1906 in Charlottenburg folgenden Brief
an Frank Wedekind , Tilly Wedekind

Also Kinder ‒ das ist von Euch eine GemüthsroheitSchreibversehen, statt: Gemüthsrohheit.. Ich, armer kranker Hund schleppe mich da hinaufDie dem Tagebuch zufolge am 8.5.1906 endgültig bezogene gemeinsame Wohnung („Wir essen zum ersten Mal zu Hause zu Abend“) von Frank und Tilly Wedekind in der Kurfürstenstraße 125 lag im 3. Stock [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 2583]. glaube Euch zärtlich zusammen anzutreffen und Ihr Vergnügungssüchtigen Leutchen seitSchreibversehen, statt: seid. fort geflogen.

Na ‒ ich halte | es nun doch für die höchste Zeit das wir uns endlichdreimal unterstrichen. mal wiederseh’nWedekind hat Adele Sandrock, Mitglied im Ensemble des Deutschen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 287], beruflich zuletzt bei den Proben zur geplanten Inszenierung der „Büchse der Pandora“ gesehen, die er seit dem 18.9.1906 besuchte [vgl. KSA 3/III, S. 1260], bei der Adele Sandrock die Rolle der Gräfin Geschwitz spielen sollte, ausweislich des Tagebuchs vom 10.9.1906 („Pandoraprobe. Adele fehlt“) und 18.9.1906 („Pandoraprobe. Adele hat sich mit dem Sonnenvogel verzankt“) aber wohl Probleme mit einem Ensemblemitglied hatte (zensurbedingt kam eine Aufführung nicht zustande und Max Reinhardt entschied sich, stattdessen „Frühlings Erwachen“ aufzuführen, was Wedekind am 28.9.1906 von Felix Hollaender mündlich mitgeteilt wurde); privat hat Wedekind sie zuletzt am 17.10.1906 getroffen („Mittags treffe ich Welti und später Adele“), seine Frau wurde von ihr am 14.12.1906 („Adele Sandrock und Lou Andreas Salomé besuchen Tilly“) und 31.12.1906 („Adele kommt zu Tilly“) besucht (nach der Geburt der Tochter Pamela am 12.12.1906); ein gemeinsamer Abend mit Frank und Tilly Wedekind ergab sich erst wieder am 16.1.1907 („Am Abend kommt Adele, die ich nach Hause begleite“).. Kommt doch heut Abend so um 7 zu mir ‒ ausgeh’n kann ich nicht weil ich krank bin. Frank ‒ der grüne | Federhalter von dirvermutlich ein Geburtstagsgeschenk Wedekinds für Adele Sandrock. Frank und Tilly Wedekind haben den 43. Geburtstag der Freundin am 19.8.1906 mit ihr verbracht: „Adeles Geburtstag. Abends mit Adele und Tilli im Biergarten“ [Tb]. macht mich wahnsinnig. Ich denke ich habe einen Frosch in der Hand. Was macht mein Stück, Musikironische Anspielung auf das „Parodistische des Titels“ [KSA 6, S. 750] von Frank Wedekinds „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ (1907), den Tilly Wedekinds Erinnerungen zufolge Adele Sandrock vorgeschlagen hat: „Er hatte damals gerade ein neues Stück beendet, das er ironisch ein ‚Sittengemälde‘ nannte. Der Titel zu diesem Stück stammt übrigens von Adele Sandrock. Er hatte ihr eines Abends im ‚Heidelberger‘, einem großen gemütlichen Eßlokal in einem Keller in der Friedrichstraße, den Inhalt des Stückes erzählt. [...] Als er [...] die Geschichte zu Ende erzählt hatte, nickte Adele Sandrock nachdenklich mit dem Kopf und dann sagte sie in ihrem hochdramatischen Burgtheaterton, den sie oft ganz bewußt ironisch anwandte: ‚Musik!‘“ [Wedekind 1969, S. 56] Der Autor dürfte Adele Sandrock den Inhalt seines geplanten Stücks, das er vom 19.7.1906 bis 21.9.1906 niederschrieb und am 9.10.1906 mit der fertiggestellten Reinschrift abschloss [vgl. KSA 6, S. 715], seinem Tagebuch zufolge noch vor dem Beginn der Niederschrift erzählt haben, am 17.4.1906 („Abends mit Tilly und Adele im Heidelberger“), denn die verbürgten früheren Besuche im Restaurant Zum Heidelberger mit ihr am 25.12.1905 („Diniere im Heidelberger mit Adele Sandrock und ihren Damen“) und 8.1.1906 („Im Heidelberger treffe ich Adele Sandrock und ihre Damen“) kommen zeitlich nicht in Frage, zumal Wedekind den Titel schon nutzte, als er den Beginn der Niederschrift am 19.7.1906 notierte („Ich beginne an ‚Musik‘ zu schreiben“).? Warum bekomme ich das nicht zum lesenWedekind hatte nach einer Überarbeitung der Arbeitshandschrift die Reinschrift von „Musik“ am 9.10.1906 abgeschlossen [vgl. KSA 6, S. 715, 723]; wann er Max Reinhardt diese Fassung seines Stücks zur Lektüre übergeben hat, ist unklar.? Reinhardt sprach mir davonMax Reinhardt dürfte Adele Sandrock nicht nur von der Lektüre eines „Musik“-Manuskripts erzählt haben, sondern auch von seinem Plan, das Stück aufzuführen, den die Presse erst Wochen später publik machte: „Frank Wedekind hat soeben ein neues Stück vollendet. Es ist eine Komödie, die den Titel ‚Musik‘ führt. Das Stück wird zu Anfang der nächsten Saison in den Kammerspielen zum ersten Male aufgeführt werden.“ [Ein neues Stück von Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 64, 5.2.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Die angekündigte Inszenierung von „Musik“ an den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin kam nicht zustande.. GratulireAdele Sandrock dürfte Wedekind zu dem überwältigenden Theatererfolg seines am 20.11.1906 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters unter der Regie von Max Reinhardt uraufgeführten Stücks „Frühlings Erwachen“ gratuliert haben. zu deinem letzten großen Erfolg. Ich habe es nicht geseh’n weil ich | krank zu Bett lag.

Ich grüße Euch von ganzer Seele und bin und bleibe Eure
Adele Sandrock

Adele Sandrock, Wilhelmine Sandrock, Christel Sandrock und Johanna Simonetta Sandrock schrieben am 28. Juni 1906 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Eugen Steinert, Berlin W. 15
Weingroßhandlung
Kurfürstendamm 22


Postkarte


An Herrn Frank Wedekind.
Schriftsteller.
in München
Wohnung (Straße und Hausnummer) SchauspielhausFrank und Tilly Wedekind sind am 25.6.1906 aus Berlin zu einem Gastspiel am Münchner Schauspielhaus abgereist, das am 2.7.1906 begann und bis zum 28.7.1906 dauernd sollte [vgl. Tb]. Die auch in Berlin greifbaren „Münchner Neuesten Nachrichten“ meldeten (am 28.6.1906, im Vorabendblatt einen Tag vordatiert): „Frank Wedekind und Gemahlin beginnen am 2. Juli ihr Gastspiel; für diesen Tag und für 3. und 4. Juli ist ‚Hidalla‘ angesetzt. Für 5., 6. und 8. Juli ist ‚Rabbi Esra‘ in Aussicht genommen, hierauf folgen Vorträge von Wedekind und zum Schluß der Einakter ‚Der Kammersänger‘.“ [Münchner Schauspielhaus. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 59, Nr. 299, 29.6.1906, Vorabendblatt, S. 2].
Maxemilian StrasseAdresse des Münchner Schauspielhauses war Maximilianstraße 35 [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil III, S. 94].. |


Gruß aus Steinerts Weinstuben Berlin W.

Kurfürstendamm 22.


LiebenSchreibversehen, statt: Liebe. Freunde!

Ein kräftiger Schluck gilt Euch. Hoch, hoch, hoch!
Eure Adele.


Dem jungeSchreibversehen, statt: jungen. PaarFrank und Tilly Wedekind als junges Ehepaar (Heirat am 1.5.1906).! Hoch.
Chr. SandrockChristoph Sandrock (auch Christian oder Christel genannt), Kunstmaler in München (Widenmayerstraße 8) mit Atelier (Theresienstraße 75) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1906, Teil I, S. 456], war in Berlin zu Besuch bei seinen Schwestern (Adele und Wilhelmine Sandrock) und seiner Mutter (Johanna Simonetta Sandrock).


Viele Grüße
Willy SandrockWilhelmine Sandrock war wie ihre jüngste Schwester Adele Sandrock Schauspielerin, trat aber auch als Sängerin auf.


Gruss MamaDie ehemalige Schauspielerin Johanna Simonetta ten Hagen (auch Nancy oder Nans genannt), geschiedene Boeijé, geschiedene Sandrock, wohnte bei ihren Töchtern in der Leibnizstraße 60 in Charlottenburg [vgl. Ahlemann 1988, S. 274]. Adele Sandrock „lebte mit ihrer Schwester Wilhelmine und ihrer Mutter in einer gemeinsamen Wohnung“ [Balk 1998, S. 61] und kam allein für deren Unterhalt auf..


[Um 180 Grad gedreht:]

Wie geht es Euch? Schreibt mir. Die GeschwitzAdele Sandrock hat bei der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 – also vor rund einem Jahr – die Rolle der Gräfin Geschwitz gespielt [vgl. KSA 3/I, S. 548] [vgl. KSA 3/I, S. 548]. Diese Rolle sollte sie auch bei Max Reinhardt spielen, der eine Inszenierung der „Büchse der Pandora“ am Deutschen Theater plante, wie seit einigen Tagen klar war. Wedekind notierte noch in Berlin am 15.6.1906: „Im Deutschen Theater wird die Arrangierprobe der B.d.P. festgesetzt.“ [Tb] Das Stück wurde dann aber von der Zensur nicht für die Aufführung freigegeben [vgl. KSA 3/II, S. 1206]. ist meine erste Rollehier im Sinn von: Paraderolle.! Freue mich.

Frank Wedekind schrieb am 5. Oktober 1911 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Adele Sandrock

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 5.10.1911 in München:]


Musik an A. Sandrockan Adele Sandrock in Charlottenburg (Leibnizstraße 60) [vgl. Berliner Adreßbuch 1912, Teil I, S. 2585]. Wedekind sandte ihr ein Exemplar von „Musik“ – sie hatte 1906 den Titel für dieses Stück gefunden [vgl. Wedekind 1969, S, 56]; ob es sich dabei um die im Herbst 1907 im Verlag Albert Langen veröffentlichte Erstausgabe „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ (1908) gehandelt hat [vgl. KSA 6, S. 724], ist fraglich, obwohl danach keine Buchausgabe mehr nachgewiesen ist. Wedekind notierte allerdings am 20.9.1911: „Musik zum Binden.“ [Tb] Was das für Exemplare waren, die Wedekind hier binden ließ, ist ungeklärt; eines davon aber hat er wohl an die Freundin in Charlottenburg versandt. geschickt.

Adele Sandrock schrieb am 20. Oktober 1911 in Charlottenburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Charlottenburg. 20 Oct.

Leibniz Str 60.


Lieber, lieber Meister.

Theurer Frank.

Schreibe mir einen Sketch für das VarietéAdele Sandrock hat gut ein Jahr zuvor auch Arthur Schnitzler um die Abfassung einer Szene für das Varieté gebeten, wie er am 13.10.1910 notierte: „Brief von der Sandrock: Reinhardt habe sie gekündigt; kein Ausweg; solle ihr eine Varietéscene schreiben.“ [Tb Schnitzler] „Herr Direktor Reinhardt“ hat „mich auf die Straße gesetzt“, hatte sie Arthur Schnitzler am 5.10.1910 geschrieben, außerdem: „nachdem ich [...] jetzt tatsächlich am Hungertuch mit meiner Familie nage – so habe ich mich entschlossen bevor ich zur Kugel greife – ans Varietetheater zu geh’n [...]. Die Sache muß immerhin vornehm und literarisch sein. Schreiben Sie mir eine Sache mit wenig Personen, oder eine Soloszene, die für mich paßt tragisch oder lustig, aber schreiben Sie mir was – denn dann bin ich gemacht, und mir steht mit der Sache die Welt offen, und ich brauche nicht zu hungern.“ [Wagner 1983, S. 249f.] Arthur Schnitzler hat die Szene – ebenso wie Wedekind – nicht geschrieben.s/!/!!!!

Toll, dirnenhaft, lasterhaft ‒ gemein, brutal, verwerflich. Spielzeit 30 Minuten. Höchstens 2 ‒ 3 Personen. Alter eine Frau von 30 JahrenAdele Sandrock war am 30.8.1911 gerade 48 Jahre alt geworden und hatte darunter gelitten, dass ihr Vertrag mit Max Reinhardt sie dazu verpflichtete, wie es im Zusatzpassus des Vertragstextes heißt, „insbesondere ältere Frauenrollen zu spielen.“ [Ahlemann 1988, S. 262]! Ich habe die Absicht zum Varieté zu geh’n ‒ nachdem für mich an einer Kunststätteein Theater (und eben kein Varieté), wie Adele Sandrock meinte. kein Brod mehr zu verdienen ist. Es kann auch ein Prechcoupletentweder Begriffsbildung durch Wortzusammensetzung aus ‚prêche‘ (frz.) = ‚Predigt‘ und ‚Couplet‘ = Lied; ein Couplet ist ein Strophenlied, das „seinen Witz aus der Mehrdeutigkeit“ bezieht, „die der Refrain durch die jeweils voraufgehende Strophe erhält“ [Budzinski/Hippen 1996, S. 67] ‒ oder möglicherweise Schreibversehen (oder Verballhornung), statt: Sprech-Couplet. vorkommen drin ‒ die du ja so meisterhaft schreibst. Ich bitte dich geliebter Frank thue mir diesen Freundschaftsdienst, | damit ich auf meine alten Tage nicht verhungern mußAdele Sandrock hatte auch Arthur Schnitzler ähnlich am 5.10.1910 geschrieben (siehe oben).. Ein Sketch von Dir, dazu mein Name, und meine Kunst, und wir verdienen Beide viel, viel Geld. So eine Art Scene Lulu, dritter AktDer 3. Aufzug der dreiaktigen Tragödie „Die Büchse der Pandora“ handelt in der elenden Dachkammer in London und endet mit der Ermordung Lulus [vgl. KSA 3/I, S. 520-549]; das letzte Wort in der Tragödie hat die Gräfin Geschwitz (diese Rolle hatte Adele Sandrock in der Wiener Premiere am 29.5.1905 gespielt): „O verflucht!“ [KSA 3/I, S. 540] Büchse der Pandora! Ich habe einen tüchtigen Impresarionicht identifiziert., und kann, wenn ich mich so wie Harry WaldenHarry Walden trat seinerzeit erfolgreich als Gast im Apollo-Theater auf, einem Berliner Varietétheater. Der „durchschlagende Erfolg, den das Auftreten Harry Waldens im Apollo-Theater vom ersten Tage an zu verzeichnen hatte“, und die „abendlich stets vollen Häuser“ seien „ein Beweis für die Popularität dieses geschätzten Künstlers“, meinte die Presse über „das reizende Vaudeville ‚Sein Herzensjunge‘“, in dem er auftrat; das von ihm in diesem Stück „vorgetragene Gedicht ‚Ein Walzer klingt‘“ wurde gelobt als „ein Kabinettstück darstellerischer und mimischer Kunst, sowie das von ihm und seiner temperamentvollen Partnerin Claire Kretschmer mit ebensoviel Drolerie wie Pikanterie gesungene Duett, wobei ein da capo-Vers nach dem andern eingelegt werden mußte, [...] lösten wahre Beifallsstürme aus.“ Das Vaudeville war aber nur eine „Nummer des Varieté-Programms“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 361, 4.8.1911, Morgen-Ausgabe, S. 5]. Es wurde weiter gespielt, bis Harry Waldens Vertrag am 31.8.1911 endete: „Im Apollo Theater ist heute der vorletzte Sonntag des August-Programms; den Clou des Abends bildet noch immer Harry Walden in dem Vaudeville ‚Sein Herzensjunge‘. Harry Waldens Gastspiel endigt ebenfalls mit Ablauf dieses Monats.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 389, 20.8.1911, Morgen-Ausgabe, S. 6] noch einige Jahre darauf verlege mir endlich noch ein schönes Einkommen zusammentingeln. Ich habe nicht das Vermögen um mir hier eine Stellung als TragödinAdele Sandrock hatte in Wien als Tragödin geglänzt, auch bei ihren wenigen Auftritten bei Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin, aber dort „im Laufe der Vertragszeit [...] nur wenige Rollen zu spielen“ [Balk 1997, S. 61] bekommen. zu kaufen, und gehe ich zum Varieté, dann kann ich alle Leute auslachen. Ich bitte Dich | Frank, schreibe mir eine Sensationssache, denn ich habe schwere Sorgen, und auf diese Art, kann ich mir ein Vermögen machen! Thue mir diesen großen Freundschaftsdienst. Ein sarkastisches Prechcouplet wäre großartig dort angebracht ‒ und bis 1 Januar möchte ich den Sketch haben. Vielleicht hast du eine Idee die du dazu verwenden kannst, ich mache dann eine ganz gehörige Reclame, und ziehe von Stadt zu Stadt, und wenn ich von dir einen Sketch spiele, so ist das ein aufgelegtes, großesdreimal unterstrichen. Geschäft. Thue mir diesen Gefallen Frank ‒ ich werde dir die allerhöchsten Tantiemen zahlenEr werde „Tantiemen erhalten“ [Wagner 1983, S. 251] hatte Adele Sandrock auch in ihrem Brief vom 5.10.1910 (siehe oben) Arthur Schnitzler in Aussicht gestellt.. ‒ Bittedreimal unterstrichen.! | Was macht meine geliebte Tilly? Und deine süßen KinderchenWedekinds Töchter Pamela (geboren am 12.12.1906) – sie war das Patenkind von Adele Sandrock und ihre Schwester Wilhelmine, wie Wedekind am 29.5.1907 in Berlin festhielt: „A. Pamela wird in der Mattiaskirche getauft. Adele und Wilhelmine Sandrock als Taufpaten“ [Tb] – und Kadidja (geboren am 6.8.1911).? Seit Ihr Alle wohl? Wie geht es dir? Hoffentlich gut. Ich sende Euch Allen herzinnige Grüße und Küsse. Auch Mama und Willy grüßen herzlich!

Schreibe mir bitte sogleich deine Ansicht darüber ‒ und hilf mir lieber Frank, damit ich nicht betteln brauche auf meine späteren Tage. Sage noch Niemanden was, denn die Sache soll wie eine Bombe einschlagenAdele Sandrock hatte ähnlich auch an Arthur Schnitzler am 5.10.1910 geschrieben (siehe oben): „wenn ich den Varieteschritt tue, dann muß es wie eine Bombe einschlagen.“ [Wagner 1983, S. 251], wenn ich deiner Hilfe sicher bin.

Herzlichst, wie stets, deine getreue
Adele Sandrock.


Leibniz 60. Charlottenburg

Adele Sandrock schrieb am 7. November 1914 in Charlottenburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Werthe Seele.

VerzeihungAdele Sandrock befürchtete offenbar, Frank Wedekind werde ihre Anfrage als störend empfinden. Während Tilly Wedekind in letzter Zeit bei Gastspielaufenthalten in Berlin die Freundin besuchte oder von ihr besucht wurde, so dem Tagebuch zufolge am 29.9.1913 („Fahre mit Tilly nach Charlottenburg. Sie besucht Adele Sandrock“), 7.6.1914 („Zum Thee kommt Adele Sandrock“) und 15.6.1914 („Tilly besucht Adele“), hat er selbst sie eher zufällig und sporadisch getroffen, so am 19.9.1913, als er ihren Besuch einer „Franziska“-Vorstellung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters registrierte („Adele Sandrock im Theater“), und im Rahmen des Wedekind-Zyklus an den Berliner Kammerspielen am 7.6.1914 wiederum nach einer „Franziska“-Vorstellung mit ihr sowie František Zavřel mit Gefährtin gesellig beisammen war, nachdem er sie bereits nachmittags gesehen hatte („Zum Thee kommt Adele Sandrock Franziska [...] Vorstellung bei Töpfer mit Zavrel und Frau und Adele“)., wenn ich Sie störe! Wo wohnt Hermann Bahr?Hermann Bahr, den Adele Sandrock seit den 1890er Jahren in Wien sehr gut kannte (er war seinerzeit mit ihrer Schwester Wilhelmine Sandrock liiert), dann aber nach 1907 wohl keinen näheren Kontakt mehr hatte, ist 1912 von Wien nach Salzburg (Schloss Bürgelstein) [vgl. Kürschners Deutscher Literaturkalender auf das Jahr 1914, Teil II, Sp. 49] übergesiedelt. bitte meiner DienerinResi (Nachname nicht ermittelt); seit Ende 1913 hatte Adele Sandrock „die neue Zofe Resi, die [...] sie [...] durch ihre Maulfaulheit täglich zur Weißglut bringt.“ [Ahlemann 1988, S. 324] die Post auszurichten.

Herzlichst
Ihre Sandrock.

Adele Sandrock schrieb am 17. Januar 1918 in Charlottenburg folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Frank Wedekinds Brief an Tilly Wedekind vom 18.1.1918 aus München:]


Inliegend der Brief von Adele Sandrock.


[2. Hinweis und Referat in Tilly Wedekinds Brief an Adele Sandrock vom 19.1.1918 aus München (Vinçon 2018, Bd. 2, S. 370):]


Frank zeigte mir Deinen Brief. [...] Du fragstAdele Sandrock hat Frank Wedekind offenbar in dem nicht überlieferten Brief Fragen gestellt zum Selbstmordversuch Tilly Wedekinds am 30.11.1917 in München, von dem ihr Ehemann in Zürich durch einen Brief von ihrer Schwester Martha vom 5.12.1917 benachrichtigt wurde und daraufhin am 8.12.1917 nach München reiste [vgl. Vinçon 2018, Bd. 2, S. 32]., ob ich nicht an meine Kinder dachte?