Briefwechsel

von Karl Kraus und Frank Wedekind

Frank Wedekind schrieb am 30. Dezember 1892 in Paris folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[Hinweis von Karl Kraus (Kraus 1920, S. 101):]


Die Beziehung zu Frank Wedekind reicht bis in das Jahr 1892, wo er für eine damals geplante Satiren-AnthologieDie von Karl Kraus und „seinem Schulfreund Anton Lindner“ [Nottscheid 2008, S. 224] geplante Anthologie kam nicht zustande. Sie war mit einem Aufruf zur Einsendung von Beiträgen in der Zeitschrift „Die Gesellschaft“ (Leipzig) angekündigt: „Und so treten wir zwei mit der Idee vor die Öffentlichkeit, durch eine Anthologie unser Scherflein zur Verbreitung moderner Litteraturbestrebungen beizutragen. [...] wir wollen eine Anthologie von Satiren veranstalten. [...] Wir glauben, daß es eine ganze Reihe wirklicher Satiriker giebt, die nur leider nicht bekannt werden, weil sie den Fehler haben, jung zu sein und zu den berüchtigten ‚Jüngsten‘ zu gehören, die der Philister nicht kennen will, weil sie zumeist ihre Begabung dazu benutzen, den Philister zu geißeln: Detlev von Liliencron, Otto Erich Hartleben, Hans Merian, Otto Ernst, Frank Wedekind und viele andere. [...] Ungedruckte wie veröffentlichte Arbeiten sende man an Karl Kraus, Wien I, Maximilianstraße 13 I, oder an Anton Lindner, Wien I, Habsburgergasse 1 II.“ [Eine Satireanthologie. In: Die Gesellschaft, Jg. 9, Heft 1, Januar 1893, S. 136] das Manuskript „Die Hunde“ sandte.

Karl Kraus schrieb am 12. März 1903 in München folgende Visitenkarte
an Frank Wedekind

Karl Kraus
Herausgeber der „Fackel


Wien
IV., Schwindgasse 3Karl Kraus ist unter dieser Adresse als Schriftsteller und Herausgeber der „Fackel“ in Wien (IV, Schwindgasse 3) verzeichnet [vgl. Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1903, Teil VII, S. 643]..

Frank Wedekind schrieb am 29. September 1903 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus,

beiliegendDie dem Brief beigelegten Manuskripte der Gedichte „Abschied“ und „Trost“ (siehe unten) sind nicht überliefert. sende ich Ihnen zwei Gedichte, die Ihnen vielleicht zu kokett erscheinen, wenigstens zur VeröffentlichungWedekinds Gedichte „Abschied“ [KSA 1/I, S. 527f.] und „Trost“ [KSA 1/I, S. 528] waren seine ersten in der Zeitschrift „Die Fackel“ gedruckten Beiträge [vgl. Frank Wedekind: Zwei Gedichte. In: Die Fackel, Jg. 5, Nr. 143, 6.10.1903, S. 26-27], die dort beide im Erstdruck [vgl. KSA 1/I, S. 870; KSA 1/II, S. 2095] mit einer redaktionellen Anmerkung des Herausgebers Karl Kraus in der Fußnote erschienen sind: „Die ‚Fackel‘ will öfter, als sie’s bisher tat, dem literarischen Ausdruck starker, dem Philisterverständnis unbequemer und durch Cliquengunst nicht entwerteter Persönlichkeiten ein Plätzchen gönnen. Nach Peter Altenberg, der zu Wedekind’s ‚Erdgeist‘ das Wort ergriff, stellt sich Frank Wedekind selbst mit zwei Gedichten ein. Auf zahlreiche Anfragen sei hier mitgeteilt, daß die gewaltige Hetärentragödie dieses merkwürdigsten unter den deutschen Modernen: ‚Die Büchse der Pandora‘, auf die ich in Nr. 142 hinwies, in der Zeitschrift ‚Die Insel‘ Juli 1902 gedruckt wurde und demnächst als Buch erscheinen soll“ [Die Fackel, Jg. 5, Nr. 143, 6.10.1903, S. 26].. Aber ich habe nichts anderes und werde es Ihnen auch bei Leibeim Erstdruck: beileibe. nicht übel nehmen, wenn sie Ihnen für die „Fackel“ nicht zusagen. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß mir Ihre BesprechungKarl Kraus hatte Wedekind anlässlich eines Wiener Gastspiels von Max Reinhardts Berliner „Erdgeist“-Inszenierung im Sommer 1903 gegen die ablehnende Kritik an den beiden „Lulu“-Tragödien „Der Erdgeist“ und die „Die Büchse der Pandora“ in einer unbetitelte Glosse verteidigt, die mit den Worten eröffnet: „Die Frage, wer das dümmste Feuilleton über den ‚Erdgeist‘ geschrieben hat, ist schwer zu beantworten. Herzl und Burckhard kommen in die engere Wahl.“ [Die Fackel, Jg. 5, Nr. 142, Ende Juni 1903, S. 15-18, hier S. 14] Dabei hebt er hervor, „Die Büchse der Pandora“ übertreffe den „Erdgeist“ nicht nur an „dramatischer Kunst und Kühnheit“, sie mache ihn auch „erst verständlich“ [ebd.]. Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ lag im Vorabdruck im Juli 1902 in der Zeitschrift „Die Insel“ mitsamt einem Sonderdruck vor [vgl. KSA 3/II, S. 869f.] – die Buchausgabe im Verlag Bruno Cassirer war erst im Herbst 1903 für „Anfang November“ [Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 70, Nr. 249, 26.10.1903, S. 8522] angekündigt. der | „Büchse d. Pim Erstdruck: P. (mit Punkt).“ eine große Freude war, für die ich Sie bitte den Ausdruck meines aufrichtigsten Dankes entgegenzunehmen. Augenblicklich laboriere ich an einer ArbeitWedekind hatte „eine neue Arbeit begonnen“ [Wedekind an Albert Langen, 1.9.1903], die er als ein Roman-Projekt mit dem Titel „Fanny Kettler“ bezeichnete, das mit dieser „Terminarbeit“ [Wedekind an Felix Salten, 19.9.1903] gemeint sein könnte, oder aber das im selben Werkzusammenhang stehende Dramen-Projekt „Hidalla“ [vgl. KSA 6, S. 368-370, 373-376], dessen weibliche Hauptfigur Fanny Kettler heißt [vgl. KSA 6, S. 41]. Wedekind gab später im Kuvert „Was ich mir dabei dachte“ (1911/12) als Entstehungszeit für „Hidalla“ an: „Geschrieben Juli 1903 bis Februar 1904.“ [KSA 6, S. 373], die laut Contractim Erstdruck: Kontrakt. – Der Vertrag ist nicht überliefert. bis 1. December im Erstdruck: Dezember.fertig werden soll und die es mir daher nicht erlaubt, große Seitensprünge zu machen, sonst wäre ich wolim Erstdruck: wohl. imstande gewesen, Ihnen etwas besseres zu schicken. Ich hoffe aber, daß Sie an meinem guten Willen nicht zweifeln werden.

Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


29. Sept. 03.

Frank Wedekind schrieb am 15. Oktober 1903 in München folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

Carte postale
Postkarte - Cartolina postale


Herrn Karl Kraus
Wien
IV. Schwindgasse 3. |


Besten Dank für übersantesSchreibversehen, statt: übersandtes. Honorarfür den Abdruck von Wedekinds Gedichten „Abschied“ und „Trost“ in der „Fackel“ [Jg. 5, Nr. 143, 6.10.1903, S. 26f.].. ‒

Herzliche Grüße
Frank Wedekind.

Karl Kraus schrieb am 11. November 1903 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 13.11.1903 aus München):]


Ich dancke Ihnen herzlichst für Ihre liebenswürdige Theilnahme.

Frank Wedekind schrieb am 13. November 1903 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr
GrausSchreibversehen, statt: Kraus. – Karl Kraus hat die Korrektur mit Bleistift vermerkt; im Erstdruck ausgeführt.

Ich danckeSchreibversehen, statt: danke. – Die Korrektur ist im Erstdruck ausgeführt. Ihnen herzlichst für Ihre liebenswürdige TheilnahmeHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 11.11.1903.. Meinem Empfinden nach gethSchreibversehen, statt: geht. – Karl Kraus hat die Korrektur mit Bleistift vermerkt; im Erstdruck ausgeführt. es mir soweit ganz gutWedekind lag etwa seit dem 8.11.1903 für „zehn Tage zu Bett“ mit einer „Lungenentzündung“ [Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 3.12.1903], wie die Presse in Wien meldete: „Aus München wird berichtet: Frank Wedekind liegt seit drei Tagen an Lungenentzündung nicht unbedenklich krank darnieder.“ [Erkrankung Frank Wedekinds. In: Neue Freie Presse, Nr. 14084, 11.11.1903, Morgenblatt, S. 6] Durch Max Halbe ist der Verlauf der Lungenentzündung dokumentiert, die Wedekind sich bei einem Gastspiel in Nürnberg (31.10.1903 bis 5.11.1903) zugezogen hatte. Er notierte am 8.11.1903: „Erhalte gleich nach dem Aufstehen Brf. von Wedekind, daß er mich noch einmal sehen will, bin sehr bestürzt, finde ihn in sehr schlechtem Zustand. Bildet sich ein, er habe Aneurisma und müsse heute sterben. Ich suche es auszureden. Arzt kommt u. diagnostiziert Lungenentzündung“ [Tb Halbe], am 12.11.1903: „Wedekind auf dem Wege der Besserung“ [Tb Halbe], am 17.11.1903: „Wedek. fieberfrei, aber schlechter Laune“ [Tb Halbe] und am 19.11.1903 (Halbe war im Begriff, in Richtung Berlin aufzubrechen): „besuche vor der Abfahrt noch Wedek., der aufgestanden“ [Tb Halbe]., aber der ArtztSchreibversehen, statt: Arzt. – Karl Kraus hat die Korrektur mit Bleistift vermerkt; im Erstdruck ausgeführt. Wedekind dürfte von seinem Hausarzt, dem praktischen Arzt Dr. med. Johannes Hauschildt (Schackstraße 6) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1904, Teil I, S. 248], behandelt worden sein, der auch zum Bekanntenkreis Max Halbes gehörte – laut der Notiz vom 17.11.1903 „besuche Hauschild, dessen Geburtstag heute“ [Tb Halbe]. macht Troz demSchreibversehen, statt: trotzdem. – Die Korrektur ist im Erstdruck ausgeführt. noch ein ernstes Gesicht. OfenbarSchreibversehen, statt: Offenbar. – Karl Kraus hat die Korrektur mit Bleistift vermerkt; im Erstdruck ausgeführt. lästSchreibversehen, statt: läßt. – Die Korrektur ist im Erstdruck ausgeführt. sich noch nichts bestimmtes sagen.

Mit freundlichsten Grüssenim Erstdruck: Grüßen. Ihr
Frank Wedekind.

Karl Kraus schrieb am 23. Februar 1904 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 24.2.1904 aus München:]


Besten Dank für Ihre liebenswürdigen Zeilen.


Frank Wedekind schrieb am 24. Februar 1904 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus!

Besten Dank für Ihre liebenswürdigen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 23.2.1904.. Ich ersuche Sie denim Erstdruck: Sie, den. geehrten Damen des FrauenclubsPräsidentin des Neuen Frauenklubs war Helene Forsmann, die weiteren Vorstandsmitglieder Nini von Fürth, Karoline Gronemann, Yella Hertzka (Schriftfühererin), Hertha Jäger, Dr. med. Lucia Morawitz und Clara Müller (Klubleiterin). Der Neue Frauenklub (Wien I, Tuchlauben 11), der Vorträge und Lesungen veranstaltete und in seinem Klubhaus über einen Vortragssaal verfügte, war am 29.10.1903 gegründet und am 18.11.1903 eröffnet worden, unter anderem mit den Ziel, „Gelegenheit zu geistiger Anregung“ zu geben und nicht zuletzt „Zentralisierung aller ernsten Frauenbestrebungen“ [Erster Jahresbericht des „Neuen Frauenklub“ 1903-1904. Wien (1904), S. 3]. Die Presse hatte über die Eröffnung berichtet: „Die Präsidentin Helene Forsmann begrüßte die Damen, die sich überaus zahlreich eingefunden hatten, und sprach sodann von den Zielen des Klubs, die nicht nur geselliger, sondern auch kultureller Natur seien. [...] Die Leitung des Neuen Frauenklubs, der [...] heute schon ungefähr 150 Mitglieder zählt, besteht aus den Damen: Helene Forsmann, Nini v. Fürth, Karoline Gronemann, Yella Hertzka, Hertha Jäger, Dr. Lucie Morawitz und Klara Müller.“ [Der Neue Frauenklub. In: Neue Freie Presse, Nr. 14092, 19.11.1903, Morgenblatt, S. 8] Karl Kraus dürfte Wedekind in seinem nicht überlieferten Schreiben (siehe oben) ein Angebot des Neuen Frauenklubs übermittelt haben – vermutlich für einen Vortrag, für den „die repräsentativen Räume des Neuen Frauenklubs [...] als Veranstaltungsort [...] in Aussicht genommen worden“ [Nottscheid 2008, S. 125] sein könnten. meinen Dank für das für mich so ehrenvolle Vorhaben auszusprechen, mit dem ich mich gernefehlt im Erstdruck. einverstanden erkläre. Momentan | liege ich gerade in den Z letzten Zügen einer größeren Arbeit mitim Erstdruck: Arbeit, mit. – Wedekind war dabei, die Niederschrift seines Schauspiels „Hidalla oder Sein und Haben“ (1904) allmählich abzuschließen [vgl. KSA 6, S. 369, 385]. der ich in den nächsten acht Tagendas wäre bis zum 3.3.1904. fertig zu werden hoffe. Sobald ich wieder kleinere Sachen produziert werdeim Erstdruck: produziert, werde. ich sie Ihnen zukommen lassen.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


24.II 04.

Frank Wedekind schrieb am 24. März 1904 in München folgenden Brief
an , Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus!

Beiliegend die VerseDas Manuskript des Versdialogs „Hanns und Gretel. Ein Scherz“ [Florack 1996, S. 58-62], wohl die mit Tinte „geschriebene und mit wenigen Sofortkorrektuen durchsetzte Reinschrift“ [KSA 6, S. 355] von 11 Seiten, die Wedekind „zum Abdruck in der ‚Fackel‘ an Karl Kraus schickte“ [KSA 6, S. 356], aus dem 1903 geschriebenen Versdialog „Hans und Hanne“ [KSA 6, S. 29-35] für die „geplante Veröffentlichung des Stückes in Karl Kraus’ ‚Fackel‘“ [KSA 6, S. 353] umgearbeitet, liegt dem Brief nicht mehr bei. Es blieb zu Wedekinds Lebzeiten unveröffentlicht., von denen ich sehr zweifle, ob sie brauchbar sind. Ich habe damalsWann und wo Wedekind Kete Parsenow kennenlernte und ihr zum zweitenmal begegnete, ist unklar. Sie war eine Freundin von Karl Kraus, der sie im Frühjahr 1903 in Wien kennengelernt hatte und „verzückt“ war „durch die Erscheinung der jungen Schauspielerin“ [Pfäfflin 2011, S. 18], bei einem Ensemblegastspiel des Berliner Kleinen und Neuen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) vom 1.5.1903 bis 10.7.1903 (Wedekind war in dieser Zeit in München) am Wiener Deutschen Volkstheater (mit „Erdgeist“ und „Der Kammersänger“ im Repertoire), und lebte spätestens seit Sommer 1902 in Berlin, engagiert am Kleinen Theater (Schall und Rauch) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 260], dann am Kleinen und Neuen Theater in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 246], bevor sie für einige Jahre nach New York ging. Wedekind könnte sie während seines letzten Aufenthalt in Berlin, als er vom 14. bis 26.5.1902 zu einem Gastspiel an Ernst von Wolzogens Buntem Theater (Überbrettl) in der Stadt war, gesehen haben. Sein letzter Aufenthalt in Nürnberg, als dort seine Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 1.2.1904 am Intimen Theater uraufgeführt wurde, war nicht gemeint, auch wenn Karl Kraus danach gefragt haben dürfte. „Kraus hatte sich vermutlich nach der Anwesenheit von Kete Parsenow bei der Uraufführung von ‚Die Büchse der Pandora‘ [...] in Nürnberg [...] erkundigt.“ [Nottscheid 2008, S. 126] Frl. Parsenowim Erstdruck: P. nur noch ein einziges Mal gesehen und zweifle sehr ob s/S/ie in Nürnberg gewesen ist. Morgenam 25.3.1904, an dem am Königlichen Residenztheater in München um 19 Uhr das genannte Schauspiel mit Wedekinds Schauspiellehrer Fritz Basil in der männlichen Hauptrolle uraufgeführt wurde: „Uraufführung: Nebeneinander. Schauspiel in drei Akten von Georg Hirschfeld.“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 143, 25.3.1904, General-Anzeiger, S. 8] Abendim Erstdruck: abend. ist hier Pre|mière von HirschfeldNebeneinander“. Sonst giebtim Erstdruck: gibt. es nichts neues.

Mit besten Grüßen in Eile
Ihr
FrWedekind.

Karl Kraus schrieb am 26. Mai 1904 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 27.5.1904 aus München:]


[...] ich danke Ihnen bestens für Ihre liebenswürdigen Zeilen [...]

Frank Wedekind schrieb am 27. Mai 1904 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an , Karl Kraus

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 27.5.1904 aus München:]


Erlauben Sie mir, Ihnen das Exemplar der Bühnenausgabe zu dedizieren.

Frank Wedekind schrieb am 27. Mai 1904 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus,

ich danke Ihnen bestens für Ihre liebenswürdigen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 26.5.1904., und für die VorlesungKarl Kraus dürfte Wedekind in seinem nicht überlieferten Schreiben (siehe oben) eine Lesung der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ in Wien angekündigt haben, die nicht realisiert wurde. „Ein Zusammenhang besteht möglicherweise mit einem Vorhaben, von dem Wedekinds ehemalige Verlobte Frida Strindberg in einem undatierten Brief an Kraus [...] berichtet. Demnach wollte der [...] Schriftsteller Robert Scheu ‚einen Abend der ‚Büchse‘ weihen – Sie sollen lesen, Hermann Bahr soll sprechen u. irgend ein Presse-Mensch ich weiss nicht was thun.‘ [...] Der mit Kraus befreundete Robert Scheu dürfte allerdings gewusst haben, dass eine Teilnahme von Kraus in dieser Konstellation – an der Seite Hermann Bahrs – ausgeschlossen war.“ [Nottscheid 2008, S. 127] der Büchse. Erlauben Sie mir, Ihnen das Exemplar der Bühnenausgabeein verschollenes Exemplar des vervielfältigten Typoskripts „Die Büchse der Pandora. Tragödie in drei Aufzügen von Frank Wedekind. Vom Autor hergestellte Bühnenbearbeitung“ [KSA 3/II, S. 862], das dann „der von Karl Kraus veranstalteten Wiener Aufführung“ der Tragödie am 29.5.1905 „zugrundelag“ [KSA 3/II, S. 863]. Ein anderes Exemplar dieses Bühnenmanuskripts lag Emil Meßthaler für die Uraufführung der Tragödie am 1.2.1904 im Intimen Theater in Nürnberg vor, ein wieder anderes Exemplar (eingereicht am 25.9.1904 für eine Aufführung am Theater in der Josefstadt, die von der Wiener Polizeibehörde nicht bewilligt wurde) ist als Zensurexemplar in Wien erhalten [vgl. KSA 3/II, S. 862f.]. zu dedizierenzu widmen. – Hinweis auf eine nicht überlieferte Widmung (im verschollenen Exemplar der Bühnenausgabe „Die Büchse der Pandora“); erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Karl Kraus, 27.5.1904.. Gedichte habe ich leider noch keine gemacht. Daß Sie „Hans und Gretelnicht würden drucken könnenWedekind hatte, als er die „Verse“ [Wedekind an Karl Kraus, 24.3.1904], den Versdialog „Hanns und Gretel. Ein Scherz“ [Florack 1996, S. 58-62], an Karl Kraus schickte, schon vermutet, dass der Text in der „Fackel“ nicht würde abgedruckt werden können – aus Rücksicht auf das „Unverständnis des Lesers“ [Kraus 1920, S. 104]., ahnte ich ja. Ich werde gelegentlich | versuchen, den Dialog in eine hochmoralische Pastete hineinzubackenWedekind integrierte den Dialog „Hanns und Gretel“ – den Rollen ‚Herr König‘ und ‚Lisiska‘ zugeordnet – in die mittlere Szene seines Einakters „Totentanz“ [vgl. KSA 6, S. 645-647], den Karl Kraus dann im Erstdruck in der „Fackel“ veröffentlichte [vgl. Frank Wedekind: Totentanz. Drei Szenen. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 1-33].. Vielleicht wird er dadurchim Erstdruck: dann. zollfrei.

Was Hidalla betrifft soim Erstdruck: betrifft, so. weiß ich nicht genau obim Erstdruck: genau, ob. der Verleger das Buch jetzt oder erst im HerbstJulian Marchlewski ließ das Buch „jetzt“ erscheinen, wie Wedekind wohl noch am 27.5.1904 von ihm selbst erfuhr, als er den Verleger aufsuchte: „Besuch bei Marchlewski“ [Tb]. Wedekind hat am 31.5.1904 „Exemplare von Hidalla verschickt.“ [Tb] Sein Schauspiel „Hidalla oder Sein und Haben“ (1904) war bald darauf im Verlag Dr. J. Marchlewski & Co. in München als erschienen angezeigt [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 71, Nr. 132, 10.6.1904, S. 5042]. erscheinen lassen will. Im letzteren Fallim Erstdruck: Falle. würde ich mich freuen Ihnen einzelne Proben daraus überlassen zu dürfen.

Mit besten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


27 V.04Wedekind notierte am 27.5.1904 den Brief „an Kraus“ [Tb]..

Frank Wedekind schrieb am 6. September 1904 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus!

eben komme ich von Reichenhall zurückWedekind war vom 1. bis 4.9.1904 auf einer Gastspielreise in Bad Reichenhall, wo er am 1. und 3.9.1904 [vgl. Tb] im Kurtheater (Direktion: Otto Milrad) [vgl. Neuer Theater Almanach 1905, S. 539] in der Titelrolle seines Einakters „Der Kammersänger“ auftrat [vgl. Seehaus 1964, S. 376, 732]. Die beiden Vorstellungen waren im Spielplan des „Kurtheater Bad Reichenhall“ urprünglich für den 1. und 2.9.1904 angekündigt: „Donnerstag, 1. September: ‚Der Kammersänger‘ [...]; Freitag, 2.: ‚Der Kammersänger‘“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 57, Nr. 403, 30.8.1904, Vorabendblatt, S. 4]. Wedekind notierte am 4.9.1904 „Fahre Mittags nach München zurück.“ [Tb] Den vorliegenden Brief hat er frühestens zwei Tage nach seiner Rückkehr aus Bad Reichenhall geschrieben, nach dem Treffen mit Franz Blei (siehe unten). und beeile mich Ihnen das ManuscriptDie Beilage, das Manuskript „Das Lied vom armen Kind“ [KSA 1/III, S. 152-155] noch ohne Noten, das dann mit Noten in der „Fackel“ erschien [vgl. Frank Wedekind: Das Lied vom armen Kind. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 167, 26.10.1904, S. 15-17], ist nicht überliefert. zu schicken. Verzeihen Sie die Verzögerung, aber Sie wissen ja, wie wir Münchner mit Arbeit überladen sind.

Blei läßt Sie bestens grüßenFranz Blei hatte Karl Kraus bei seinem Besuch in München am 28.8.1904 gesehen, wie Wedekind notierte: „Blei Kraus Schennis und ich im Theaterrestaurant.“ [Tb] Wedekind traf Franz Blei am 6.9.1904: „Blei zahlt mir M. 200 zurück und schenkt mir seine Novelle“ [Tb], der ihm bei dieser Gelegenheit wohl erzählte, er werde noch an Karl Kraus schreiben, und Wedekind gebeten haben dürfte, Grüße auszurichten..

Mit herzlichen Grüßen
Ihr
FrWedekind.

Karl Kraus, Peter Altenberg und Peter Altenberg schrieben am 11. September 1904 in Wien folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind , Frank Wedekind

Correspondenz-Karte.


An H. w.

Herrn
Frank Wedekind
in München
Franz j/J/osefstraße 42 |


Herzlichsten DankKarl Kraus bedankt sich für das ihm von Wedekind zugesandte Manuskript „Das Lied vom armen Kind“ [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 6.9.1904]. und schönsten Gruß von

Ihrem
aufrichtig
ergebenen
Karl Kraus


Allerherzlichst

Peter Altenberg


Wien. Graben. Bitte auch Herrn Dr Blei bestens zu grüßenFranz Blei hatte durch Wedekind Grüße an Karl Kraus übermittelt lassen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 6.9.1904].!

Frank Wedekind schrieb am 3. Oktober 1904 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus,

ich hatt/b/e leider kein Klavier merim Erstdruck: mehr. in meiner Wohnung und fand daher erst eben Gelegenheit die Noten aufzuschreibenDie Beilage, die Notenpartitur zum Manuskript „Das Lied vom armen Kind“ [KSA 1/III, S. 153-155], das Wedekind bereits übersandt hatte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 6.9.1904], ist nicht überliefert.. | Hoffentlich kommen sie nicht zu spätfür das „Fackel“-Heft vom 6.10.1904. Das Lied wurde erst im nächsten Heft, „mit faksimilierter, dem Text vorangestellter Notation“ [KSA 1/III, S. 530], veröffentlicht [vgl. Frank Wedekind: Das Lied vom armen Kind. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 167, 26.10.1904, S. 15-17]..

Mit besten Grüßen
Ihr
FrWedekind.

Karl Kraus schrieb am 10. Oktober 1904 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 11.10.1904 aus München:]


Empfangen Sie meinen besten Dank für die Übersendung des Honorars M. 100, dessen Empfang ich Ihnen hiemit bestätige.


[2. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 12.10.1904 in München:]


Von Kraus Fackel Wien Honorar erhalten M. 100.

Frank Wedekind schrieb am 11. Oktober 1904 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus!

Empfangen Sie meinen besten Dank für die Übersendung des HonorarsHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 10.10.1904. ‒ Das Honorar vergütete vorab ein dann in der „Fackel“ mit Noten abgedrucktes Lied Wedekinds [vgl. Frank Wedekind: Das Lied vom armen Kind. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 167, 26.10.1904, S. 15-17] mit 100 Mark, wie Wedekind am 12.10.1904 auch für sich notierte: „Von Kraus Fackel Wien Honorar erhalten M. 100“ [Tb]. M. 100, dessen Empfang ich Ihnen hiemit bestätige. InliegendDie Beilage, ein Korrekturbogen des Textes „Das Lied vom armen Kind“ (siehe oben), ist nicht überliefert [vgl. KSA 1/III, S. 530]. die Correcturim Erstdruck: Korrektur.. Die letzte Zeile des Gedichtes würde ich gesperrt druckenKarl Kraus hat die Korrektur ausführen lassen; die letzte Liedzeile – „So ist’s der Menschheit guter Brauch“ – ist in der „Fackel“ gesperrt gedruckt [vgl. Die Fackel, Jg. 6, Nr. 167, 26.10.1904, S. 17]. | lassen, da durch diese Moral dem Gedicht der Charakter des Bissigen etwas genommen wird.

Die vierWedekind war rund fünf Tage in Berlin (siehe unten). Er reiste dem Tagebuch zufolge am 21.9.1904 um 22.10 Uhr mit dem Nachtzug von München ab („Abends 10 Uhr 10 mit Langheinrich nach Berlin gefahren. [...] 9 Stunden“) und war nach der Abreise von Berlin am 26.9.1904 abends am 27.9.1904 morgens zurück („Ankunft in München“). Tage dieim Erstdruck: Tage, die. ich in BerlinFrank Wedekind trat am 23. und 25.9.1904 im Prolog der Berliner „Erdgeist“-Inszenierung am Neuen Theater (Direktion: Max Reinhardt) auf, in der Gertrud Eysoldt die Lulu spielte, besuchte Theatervorstellungen (am 24.9.1904 die Uraufführung der tragischen Komödie „Traumulus“ von Arno Holz und Oskar Jerschke im Lessingtheater, am 25.9.1904 „Des Pastors Rieke“ von Erich Schlaikjer im Kleinen Theater) sowie diverse Lokale und traf etliche Freunde und Bekannte in Berlin, darunter Gertrud Eysoldt (siehe unten), Otto Erich Hartleben, Max Langheinrich, Emil Lind, Carl Rößler und seinen Bruder Donald Wedekind, außerdem gleich am 22.9.1904 Walther Rathenau und Maximilian Harden: „Abends mit M Harden bei Dr. Ratenau diniert“ [Tb]; einem Brief Maximilian Hardens vom 23.9.1904 an eine unbekannte Person zufolge war dies die erste persönliche Begegnung: „Gestern lernte ich Wedekind kennen; einen höchst ungewöhnlichen Menschen, dessen Talent ich, nicht ohne manches Widerstreben, ungemein schätze. Als Menschen kann ich ihn freilich noch nicht durchblicken.“ [Katalog Antiquariat Herbst-Auktionen (Detmold): https://www.herbst-auktionen.de (zuletzt abgerufen 16.8.2023)] verbrachte warenim Erstdruck: verbrachte, waren. sehr amüsant. Ich hoffe darin ein günstiges Omen für den kommenden WinterWedekind überlegte, nach Berlin zu gehen. erblicken zu können. Mit Gertrud EysoldtWedekind hat Gertrud Eysoldt dem Tagebuch zufolge in Berlin täglich – nicht nur bei den gemeinsamen Proben und Auftritten im „Erdgeist“ im Neuen Theater – gesehen; am 22.9.1904 („Probe“), 23.9.1904 („Probe. Abends Prolog gesprochen“), 24.9.1904 („Ich diniere mit Gertrud Eisoldt im Kaiserkeller, fahre mit ihr durch den Thiergarten“), 25.9.1904 („Stehe um 2 Uhr auf gehe spazieren diniere mit Gertrud Eysold im Kaiserkeller. Abends Prolog“) und zum Abschied von seinem Gastspiel am 26.9.1904 („Abschied im Neuen Theater. Ich packe“)., die wieim Erstdruck: die, wie. mir scheint eineim Erstdruck: scheint, eine. wirkliche FreundinDie Schauspielerinnen Gertrud Eysoldt und Kete Parsenow waren Kolleginnen zunächst am Kleinen Theater (Schall und Rauch) in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 260], dann unter der Leitung von Max Reinhardt am Kleinen und Neuen Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1904, S. 245f.] gewesen. Die freundschaftliche Verbindung zwischen ihnen klingt in späteren Zeugnissen an, so etwa in Kete Parsenows Brief vom 4.4.1910 aus Berlin an Karl Kraus: „Wohne von heute an Unter den Linden 43 in Frau Eysoldts Wohnung. Sie ist für längere Zeit abwesend“ [Pfäfflin 2011, S. 51]. | von Frl. Kätheim Erstdruck: K. (Kete Parsenows Vorname abgekürzt). – Kete Parsenow war eine Freundin von Karl Kraus, der sie im Frühjahr 1903 bei ihrem Gastspiel mit dem Ensemble des Berliner Kleinen und Neuen Theaters in Wien kennengelernt hatte und „verzückt“ war „durch die Erscheinung der jungen Schauspielerin“ [Pfäfflin 2011, S. 18]. P. ist, sprach ich auch viel U über Sie.

Mit bestem Gruß auf baldiges Wiedersehn
Ihr
FrWedekind.


11.X.04.

Karl Kraus schrieb am 27. November 1904 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind , Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 29.11.1904 aus München:]


[...] empfangen Sie meinen herzlichen Dank [...] für Übersendung des Honorars [...]

Karl Kraus schrieb am 28. November 1904 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind , Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 29.11.1904 aus München:]


[...] empfangen Sie meinen herzlichen Dank [...] für Ihre liebenswürdige Einladung nach Wien, [...] für Ihre freundlichen Zeilen.

Frank Wedekind schrieb am 29. November 1904 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus!

empfangenim Erstdruck: Empfangen. Sie meinen herzlichenim Erstdruck: herzlichsten. Dank erstens für Übersendung des HonorarsHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Geldsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 27.11.1904. ‒ „Das Lied vom armen Kind“, am 26.10.1904 in der „Fackel“ veröffentlicht, ist vermutlich nachhonoriert worden; 100 Mark hatte Wedekind dafür allerdings bereits vorab erhalten [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 11.10.1904]., zweitens für Ihre liebenswürdige EinladungKarl Kraus dürfte Wedekind in dem nicht überlieferten Schreiben (siehe unten) nach Wien eingeladen haben, wo er die Tragödie „Die Büchse der Pandora“ aufzuführen plante, die dort am 29.5.1905 Premiere hatte. Wedekind, der sich zuvor am 27. und 28.3.1905 in München mit Karl Kraus traf [vgl. Tb], logierte vom 27. bis 30.5.1905 in Wien [vgl. Tb] in dessen „Wohnung“ [Kraus 1920, S. 114]. nach Wien, drittens für Ihre freundlichen Zeilennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 28.11.1904..

Ihren Artikel über die Ballerinender unbetitelte Artikel in der „Fackel“ zu „Presseberichten über die geplante Besteuerung von aus Prostitution stammenden Nebeneinnahmen von Wiener Balletttänzerinnen“ [Nottscheid 2008, S. 132], der dann in dem Sammelband „Sittlichkeit und Criminalität“ (1908) von Karl Kraus unter dem Titel „Die Ballettsteuer“ nachgedruckt wurde. In diesem Artikel heißt es: „Aber der Tribut, den schöne Frauen zur Erhaltung ihrer ästhetischen Werte empfangen, wird er nicht hierzulande von Sitte und Gesetz immer noch als ‚Schandlohn‘ betrachtet? Wir können dem Fiskus dankbar dafür sein, daß er die Heuchelei der Staatsmoral entlarvte, welche den Zins von jener Prostitution einhebt, die sie ins dunkle Reich sozialer Verachtung weist. Zwischen Staat und Prostitution besteht sozusagen neben dem strafrechtlichen auch ein zivilrechtliches Verhältnis. Aber es ist nicht nur unmoralisch, sondern auch nach dem herrschenden Gesetz selbst wieder strafbar; denn der Staat, der den Liebesgewinst besteuert, zieht aus einem ‚unerlaubten Verständnis‘ materiellen Vorteil und macht sich somit der Übertretung der Kuppelei schuldig.“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 169, 23.11.1904, S. 1-6, hier S. 3] finde ich vom ersten bis zum letzten Wort entzückend, noch entzückender, wenn ich ihn nicht als Satire sondern | vollkommen ernst nehme. Warum soll die Prostitution nicht dadurch geadelt werden, daß sie Steuern bezahlt wie jeder andere bürgerliche Beruf. Auf diese Seite der Maßregel haben Sie mit allem Nachdruck hingewiesen und das ist das Herrliche daran. Darauf läßt sich weiterbauen. Die SparbüchseZitat aus dem genannten Artikel (siehe oben), in dem Karl Kraus auf den Titel von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ anspielte: „Wenn die Schauspielerin die Potenzierung der weiblichen Möglichkeiten von Anmut und Leidenschaft darstellt, so wird der Tänzerin zumeist die Entwicklung zu hausfrauenhafter Wohlanständigkeit organisch sein. Wedekind’s Lulu, der genialsten Entfaltung amoralischer Pracht, glaube ich alles, bloß das Tanzen nicht. Die Sparbüchse der Pandora...“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 169, 23.11.1904, S. 4] finde ich ausgezeichnet.

Die Karte aus Kairoanonyme Postkarte an Karl Kraus in Wien mit „Postausgangsstempel vom 11.11.1904“ [Nottscheid 2008, S. 133], die „Wedekind des Plagiats beschuldigte.“ [KSA 1/III, S. 540] Ihr Wortlaut, den Karl Kraus in einer Anmerkung zum Erstdruck referierte [vgl. Kraus 1920, S. 106]: „‚Das Lied vom armen Kind‘ist componiert von ‚Knepp Lori‘ = Dr. Nathan Sulzberger.‘ (Stockyard, Chikago, U.S.A) erschienen 1899 Breitkopf & Härtel. Selbstverlag. Text auch von ‚Knepp Lori‘. Letzterer ist ein Freund von Wedekind aus München, wo er studirt hat. / ‚Einer aus München‘.“ [Wienbibliothek im Rathaus, Karl-Kraus-Archiv, H.I.N. 139703/4] Wedekind hat diese Postkarte von Karl Kraus erhalten – „Kraus schickte die Karte zur Kenntnisnahme an Wedekind, der anhand von Schriftvergleichen entschlüsseln konnte, daß die Karte Arthur Holitscher zum Urheber hatte“ [KSA 1/III, S. 540] – und sie ihm mit dem vorliegenden Brief vermutlich zurückschickte [vgl. Nottscheid 2008, S. 131]; explizit als Beilage ist sie aber nicht bezeichnet. ist von Arthur Holitscherim Erstdruck: ... (drei Auslassungspunkte). – Wedekind war mit dem Schriftsteller und Journalisten Arthur Holitscher „seit 1895 eng befreundet“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 63], Korrespondenz ist seit 1903 überliefert (siehe die Korrespondez Wedekinds mit Arthur Holitscher)., wie Sie aus beigelegter SchriftprobeDie Beilage, ein Brief Arthur Holitschers (siehe unten), ist nicht überliefert. ersehen. Aber Holitscherim Erstdruck: ... (drei Auslassungspunkte). ist schwer nerven|leidend und offenbar sehr verbittert. Da er die Fackel gelesen hat mußim Erstdruck: hat, muß. er wissen daßim Erstdruck: wissen, daß. mein Gedicht mit dem von Kneb Lorileicht variierte Schreibweise des Pseudonyms von Dr. Nathan Sulzberger (Knepp Lori) aus New York, mit dem Wedekind der Postkarte aus Kairo zufolge (siehe oben) befreundet war, bekannt als Freund Rainer Maria Rilkes sowie Arthur Holitschers. Er war bis zum Wintersemester 1900/01 an der Universität München als Chemiestudent eingeschrieben [vgl. Amtliches Verzeichnis des Personals der Lehrer, Beamten und Studierenden an der königlich bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München. Winter-Semester 1900/1901. München 1900, S. 116], wo er promovierte und zurück in die USA ging, Europa aber immer wieder besuchte. Wedekind traf sich dem Tagebuch zufolge mit ihm in Berlin am 3.10.1905 („Abends mit Sulzberger“), 11.11.1905 („Ich konsultiere Dr. Sulzberger und diniere mit ihm bei Kempinski. [...] Nachher mit [...] Sulzberger [...] bei Habel dann Stallmann“), am 25.11.1905 („Diniere mit Meßthaler Schaumberger und Sulzberger“) sowie gemeinsam mit Karl Kraus und Arthur Holitscher am 22.6.1906 („mit Kraus Hollitscher und Sulzberger zu Treppchen“). nichts gemein hat als die ersten zwei Zeilen: „Es war einmal ein armes Kind, das war auf beiden Augen blind.“ Das weiß hier in München jedermann, ebenso daß ich das Gedicht nur der hübschen MelodieWedekind lag als Quelle für die Noten seines Liedes „Das Lied vom armen Kind“ die Komposition des gleichnamigen Liedes von Nathan Sulzberger (siehe oben) vor, das er „von e-moll (Sulzberger-Vorlage) nach a-moll transponierte“ [KSA 1/III, S. 530]. Diese Komposition Nathan Sulzbergers wurde „mit eigenem Text unter dem Pseudonym Knepp Lori“ unter „dem Titel ‚Das Lied vom armen Kind‘ [...] bei Breitkopf & Härtel, Leipzig 1899, für Gesang und Klavierbegleitung veröffentlicht.“ [KSA 1/III, S. 539] Sie ist überliefert. „Der Druck der Sulzbergerschen Komposition findet sich [...] im Nachlaß Wedekinds“ [KSA 1/III, S. 338]. wegen gemacht habe, deren Autorschaft ich nie für mich in Anspruch genommen habe, die sich aber mit dem Sulzbergerschen | TextDer Text von Nathan Sulzbergers Lied war mit Noten publiziert und ist in Wedekinds Nachlass erhalten (siehe oben). unmöglich vortragen läßt. Nun ist aber Holitscherim Erstdruck: ... (drei Auslassungspunkte). Sulzbergers (Knep Loris) bester Freund, ein steinreicher Mann und in seinem Beruf Chemiker. Alsoim Erstdruck: Aber. nicht etwa Literat oder Componistim Erstdruck: Komponist., den ich durch Absingen der Melodie in seinen Berufseinnahmen schädigte. Mit Holitscherim Erstdruck: ... (drei Auslassungspunkte). habe ich nie den geringsten Streit gehabt, im Gegentheilim Erstdruck: Gegenteil. hat er sich mir sehr oft als der anhänglichste Freund gezeigt. Aber seine Verbitterung über Enttäuschungen hat ihm offenbar stark zugesetzt. Ich würde Sie daher aufrichtig bitten, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

In einigen Tagen hoffe ich Ihnen zwei Gedichteteilweise unklar; bei dem einen der Gedichte dürfte es sich um das Gedicht „Confession“ handeln, das Wedekind etwa drei Wochen später für einen Abdruck in der „Fackel“ anbot [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 24.12.1904]. schicken zu können.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


29.XI.04.


Eben lese ich Holitschersim Erstdruck: ...’s. Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Arthur Holitscher an Wedekind, 11.11.1903. noch einmal durch. Er ist so herzlich gehalten daß ich Sie ersuche, ihn mir gelegentlich wieder zurückzuschicken und meine Bitte wiederhole, keine Folgerungen aus der Sache zu ziehen.

Karl Kraus schrieb am 17. Dezember 1904 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus , Frank Wedekind , Karl Kraus

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 24.12.1904 aus München:]


Indem ich Ihnen für den Fall Hervay [...] meinen ergebensten Dank sage [...]

Frank Wedekind schrieb am 24. Dezember 1904 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus!

Indem ich Ihnen für den Fall HervayDer Aufsatz von Karl Kraus „über die Aufsehen erregende Affäre um den Selbstmord des Beamten Franz von Hervay, den die österreichische Presse seiner Frau Leontine anlastete“ [Nottscheid 2008, S. 134], erschien zuerst in der „Fackel“ [vgl. Der Fall Hervay. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 165, 8.7.1904, S. 2-12] und dann als Broschüre, in der „Fackel“ zuerst angezeigt: „Soeben als Broschüre erschienen: Der Fall Hervay (34 Seiten stark)“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 171, 17.12.1904, S. 24]. Karl Kraus hat an einer Stelle seines Aufsatzes eine berühmte Tragödie Wedekinds „als literarische Folie des Geschehens“ [Nottscheid 2008, S. 134] benutzt: „Frank Wedekind’s ‚Erdgeist‘, die Komödie von der pathetischen Mißdeutung des Geschlechtslebens, die Tragödie der Frauenanmut [...]. Aber einer von Lulu’s Hampelmännern, der Maler Schwarz, tötet sich, weil sein geliebtes Weib nicht, wie er glaubte, von vornehmer Abkunft ist, sondern ‚aus der Gosse‘ stammt, und weil sie nicht, wie er glaubte, bei einer Tante aufgewachsen ist, sondern im Alhambra-Café barfuß Blumen verkauft hat. ‚An dem Glück, daß du gekostet, kann nichts etwas ändern. Du überschätzest dich gegen besseres Wissen, wenn du dir einredest, zu verlieren. Es gilt zu gewinnen.‘ Nützt nichts: der ‚Idealist‘ geht an dem innern Konflikt, nicht mehr lieben zu können, was er liebt, zugrunde. Es genügt das Wissen um die Vergangenheit, die Aufklärung eines Freundes wirft ihn um. Und ich glaube auch nicht, daß Franz v. Hervay an dem äußern Skandal gestorben ist.“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 165, 8.7.1904, S. 11] den ich mit großem Genuß auf der Fahrt nach StraßburgWedekind notierte am 16.12.1904: „Fahrt nach Straßburg.“ [Tb] Er war zu einem Gastspiel im Stadttheater in Straßburg (Direktion: Maximilian Wilhelmi) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 570] gereist, um dort am 19.12.1904 in einer vom Verein zur Pflege der modernen dramatischen Kunst veranstalteten Vorstellung seines Einakters „Der Kammersänger“ die Titelrolle zu spielen [vgl. Seehaus 1973, S. 185]. „Rückfahrt nach München“ [Tb] war am 21.12.1904. gelesen habe, meinen ergebensten DankHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 17.12.1904. – Karl Kraus hat Wedekind seinen Aufsatz „Der Fall Hervay“ geschickt, der als Broschüre zuerst am 17.12.1904 angezeigt war (siehe oben). „Wedekind erhielt vermutlich den broschierten Sonderdruck“ [Nottscheid 2008, S. 134]. sage, übersende ich Ihnenfehlt im Erstdruck. inliegend ein Gedicht. In Straßburg hatte ich GelegenheitWedekind traf Gertrud Eysoldt, die zu einem Gastspiel in Hugo von Hofmannsthals „Elektra“ am Stadttheater in Straßburg war [vgl. Seehaus 1973, S. 185], während seines Aufenthalts in Straßburg dem Tagebuch zufolge am 18.12.1904 („Probe. Gertrud Eysoldt kommt an. [...] Hole mit Korge Gertrud ab. Thee bei Jerschke Abends Germania. Stadler rezitiert seine Gedichte“) und 19.12.1904 („Probe. Gang durch die Alte Stadt. [...] Hole Gertrud von der Probe ab und diniere mit ihr. Abendspaziergang durchs Metzgerthor über die Wälle aufs freie Feld. Vorstellung“)., die Verse Gertrud Eysoldt vorzusprechen undim Erstdruck: vorzusprechen, und. fragte sie als ich zu Ende war, gewisser|maßen nur des Experimentes wegen, ob sie mir erlauben würde, ihr die Zeilen zu widmen Sieim Erstdruck: widmen. Sie. sagte ohne Besinnen Ja und begriff nicht daß ich darin das Zeichen großer Kühnheit erblickte. Ich sagte ihr auch daß das Gedicht voraussichtlich in Ihrer Fackel erscheinen würde und daß ich die Widmung in der Form anbringen würde, wie es in dem Manuscriptim Erstdruck: Manuskript. geschehn ist. Dann sagte ich ihr noch daß ich Sie, lieber Herr Kraus, in dem Begleitbrief bitten würde, sich durch eine Anfrage bei Gertrud Eysoldt vergewissern zu wollen, daß sich die Dinge | in der Thatim Erstdruck: Tat. so verhalten, wie ich sie Ihnen hier vortrage. –

Wenn Ihnen nun, Herr Kraus, das Gedicht aus ästätischenim Erstdruck: ästhetischen. oder kriminellen Gründen unmöglich erscheint, dann werfen Sie es bitte in den Papierkorb.

Sollte das nicht der Fall sein und sollten Sie aber in der Widmung annähernd etwas erblicken wasim Erstdruck: erblicken, was. wie Beleidigung oder grober Unfug aussehen könnte, dann würde ich Sie bitten die Widmung wegzustreichen.

Sollte aber weder das eine noch das andere der Fall sein, | dann würde ich Sie ersuchen, sich mit der erwähnten Anfrage an Gertrud Eysoldt wenden zu wollen.

Mit herzlichstenim Erstdruck: herzlichen. Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


24.XII.04.


[Beilage:]


Confessionvon Karl Kraus mit einem Punkt versehen (nach Erhalt des vorliegenden Briefes am 25.12.1904) – so dann die Fassung im Erstdruck: „Confession.“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21]
von Frank Wedekindvon Karl Kraus korrigiert: „von“ in Großschreibung („v“ durch „V“ überschrieben), nach dem Verfassernamen einen Punkt gesetzt (nach Erhalt des vorliegenden Briefes am 25.12.1904) – so dann die Fassung im Erstdruck: „Von Frank Wedekind.“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21]


An Gertrud Eysoldt.von Karl Kraus durchgestrichen (nach Erhalt des vorliegenden Briefes am 25.12.1904) – ohne die Widmung dann im Erstdruck.


Freudig schwör ich es mit freier Stirne

Vor der Allmacht, die mich züchtigen kann:

Wie viel lieber wär ich eine Dirne

Als an Ruhm und Glück der reichste Mann.Karl Kraus hat den Punkt in ein Ausrufungszeichen korrigiert (nach Erhalt des vorliegenden Briefes am 25.12.1904) – so dann die Fassung im Erstdruck: „Mann!“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21]

–––

Welt, in mir ging dir ein Weib verloren,

Abgeklärt und jeder Hemmung bar.

Wer war für das Freudenhausvon Karl Kraus korrigiert: „das“ („as“ gestrichen, darüber durch „en“ ersetzt) zu „den“, „Freudenhaus“ („haus“ gestrichen, darüber durch „markt“ ersetzt) zu „Freudenmarkt“ (nach Erhalt von Wedekinds telegrafisch übermitteltem Korrekturwunsch „den Liebesmarkt“ [Wedekind an Karl Kraus, 25.12.1904] sowie beibehalten nach Erhalt von Wedekinds erneutem und nun brieflich übermitteltem Korrekturwunsch „das Freudenfest“ [Wedekind an Karl Kraus, 26.12.1904], den Karl Kraus nicht ausführte) – so dann die Fassung im Erstdruck: „den Freudenmarkt“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21]. geboren

So wie ich dafür geboren war?

––– |

Bin ich nichtDie ab hier folgenden vier Strophen (bis „Belohnung naht.“) sind nach dem Erstdruck wiedergegeben [vgl. Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21], da die handschriftliche zweite Manuskriptseite nicht vorliegt (siehe zur Materialität). der Liebe treu ergeben

Wie es Andre ihrem Handwerk sind?

Liebt ich nur ein einzig Mal im Leben

Irgend ein bestimmtes Menschenkind?

–––

Lieben? – Nein, das bringt kein Glück auf Erden.

Lieben bringt Entwürdigung und Neid.

Heiß und oft und stark geliebt zu werden,

Das heißt Leben, das ist Seligkeit!

–––

Oder sollte Schamgefühl mich hindern,

Wenn sich erste Jugendlust verliert,

Jeden noch so seltnen Schmerz zu lindern,

Den verwegne Phantasie gebiert?

–––

Schamgefühl! – Ich hab es oft empfunden;

Schamgefühl bei mancher edlen Tat;

Schamgefühl vor Klagen und vor Wunden;

Scham, wenn endlich sich Belohnung naht. |

–––

Aber Schamgefühl des Körpers wegen,

Der mit Wonnen überreich begabt?

Solch ein Undank hat mir fern gelegen,

Seit mich einst der erste Kuß gelabt.

–––

Und ein Leib, vom Scheitel bis zur Sohle

Allerwärts als Hochgenuß begehrt ...

Welchem reinren, köstlichern Idole

Nachzustreben, ist dies Dasein werthim Erstdruck: „wert“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21].?

–––

Wenn der Knieim Erstdruck: „Kniee“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 22]. zw leiseste Bewegung

Krafterzeugend wirkt wie Feuersglut

Und die Kraft, aus wonniger Erregung

Sich zu überbieten, nicht mehr ruht!von Karl Kraus das Ausfrufungszeichen in ein Semikolon geändert (nach Erhalt des vorliegenden Briefes am 25.12.1904) – so dann die Fassung im Erstdruck: „ruht;“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 22].

–––

Immer unverwüstlicher und süßer,

Immer klarer im Genuß geschaut,

Daß es statt vor Abscheu dem Genießer

Nur vor seiner Riesenstärke graut ...

––– |

Welt, wenn ich von solchem Zauber träume,

Dann zerstiebt zu nichts, was ich gethanim Erstdruck: „getan“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 22].;

Dann preis ich das Dasein und ich bäume

Zu den Sternen mich vor Größenwahn.von Karl Kraus der Punkt in ein Ausfrufungszeichen geändert (nach Erhalt des vorliegenden Briefes am 25.12.1904) – so dann die Fassung im Erstdruck: „Größenwahn!“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 22] – – –

–––

Unrecht wär’s, wollt ich der Welt verhehlen,

Was mein Innerstes so wild entflammt,

Denn vom Beifall vieler braver Seelen

Frag ich mich umsonst, woraus er stammt.

Karl Kraus schrieb am 25. Dezember 1904 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind , Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 26.12.1904 aus München:]


[...] so hatte ich natürlich ähnliche Bedenken [...]

Frank Wedekind schrieb am 25. Dezember 1904 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[Hinweis von Karl Kraus in der Anmerkung zu Wedekinds Brief an ihn vom 26.12.1904 (Kraus 1920, S. 109):]


Das Manuskript ist nicht auffindbarDas Manuskript des Gedichts „Confession“ [KSA 1/I, S. 531-532], dem Arbeitsfassungen vorangingen [vgl. KSA 1/II, S. 1760-1769] und das als Druckvorlage für die Veröffentlichung in der „Fackel“ diente [vgl. Frank Wedekind: Confession. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21-22], galt lange verschollen, ist aber wieder aufgefunden worden; das Gedichtmanuskript umfasst 4 Seiten [Antiquariat Burgverlag (Wien), Katalog zur 50. Stuttgarter Antiquariatsmesse (2011), Nr. 132; vgl. Pfäfflin 2011, S. 31], von denen die erste Seite als Faksimile gedruckt vorliegt [vgl. Pfäfflin 2011, S. 32].. Hierin war meines Erinnerns die Fassung „das Freudenhaus“; die Abschwächung, der eine telegraphische Korrektur „den Liebesmarkt“ gefolgt sein muß, ist dann im Druck durch „den Freudenmarkt“ ersetzt.

Frank Wedekind schrieb am 26. Dezember 1904 in München folgenden Brief
an Karl Kraus , Karl Kraus

Lieber Herr Kraus,

inliegend die beiden Änderungenim Gedichtmanuskript „Confession“, das Wedekind zwei Tage zuvor für die Veröffentlichung in der „Fackel“ [vgl. Frank Wedekind: Confession. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21-22] nach Wien geschickt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 24.12.1904] und anschließend in einem nicht überlieferten Telegramm Korrekturen mitgeteilt hatte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 25.12.1904], die er in der Anlage des vorliegenden Briefs teilweise revidierte (siehe unten). Karl Kraus hat die Änderungen in einer Anmerkung zum Erstdruck des Briefes kommentiert (siehe die Hinweise zum Erstdruck). Das Gedicht hat Wedekind mehrfach umgearbeitet [vgl. KSA 1/II, S. 1760-1769; das Karl Kraus eingereichte Gedichtmanuskript war hier noch verschollen]; er teilt im vorliegenden Brief mit Anlage seinen letzten Korrekturwunsch mit. durch die das Gedicht meiner Ansicht nach nicht leidet. Auf die ganze Strophedie fünfte Strophe des Gedichts „Confession“ [KSA 1/I, S. 531], Neufassung in der Beilage mitgeteilt.: „Oder sollte Schamgefühl..“ würde ich nicht gerne verzichten.

Was die WidmungWedekind hatte für sein Gedicht „Confession“ eine Widmung für Gertrud Eysoldt vorgesehen, die zugestimmt hatte, war sich aber unsicher [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 24.12.1904]. betrifft, so hatte ich natürlich ähnliche BedenkenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben, auf das der vorliegende Brief eingeht; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 25.12.1904., und werde Ihnen wahrscheinlich zu großem Dank verpflichtet sein, wenn | Sie sie weglassen. Der einzige Umstand, daß es sich um eine Dame handelt machtim Erstdruck: handelt, macht. die Sache eben schon so gut wie unmöglich. Eine andere Widmung anzubringen halteim Erstdruck: anzubringen, halte. ich dann aberim Erstdruck: aber dann. nicht für thunlichim Erstdruck: tunlich.. „LuluGertrud Eysoldt in der Rolle der Lulu in der Berliner „Erdgeist“-Premiere am 17.12.1902 (und in zahlreichen weiteren Vorstellungen) war als Interpretin maßgeblich für den „Aufführungserfolg“ [KSA 3/II, S. 1203] der Tragödie.“ könnte als eine ganz überflüssige Reklame gedeutet werden.

In größter Eile mit den herzlichsten Grüßen und den aufrichtigsten Wünschen für das kommende Jahr und alle Zukunft
Ihr
Frank Wedekind. |


[Beilage:]


Wer war für ein FreudenfestKarl Kraus ist dem Korrekturwunsch nicht gefolgt und hat im dritten Vers der zweiten Strophe im Erstdruck des Gedichts „Confession“ die Formulierung „den Freudenmarkt“ (so von ihm zuvor im Gedichtmanuskript korrigiert) gesetzt, sich bei den Interpunktionszeichen aber am eingereichten Gedichtmanuskript orientiert: „Wer war für den Freudenmarkt geboren / So wie ich dafür geboren war?“ [Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21] Im Gedichtmanuskript steht kein Komma und ein Fragezeichen (statt Komma und Punkt) sowie die ursprüngliche Formulierung Wedekinds „das Freudenhaus“ [Beilage zu: Wedekind an Karl Kraus, 24.12.1904], die er der Erinnerung von Karl Kraus zufolge in einem nicht überlieferten Telegramm durch „den Liebesmarkt“ [Wedekind an Karl Kraus, 25.12.1904] zu ersetzen vorschlug. Karl Kraus hat sich auch daran erinnert, in der ersten Gedichthandschrift habe die Stelle „das Freudenhaus“ [Kraus 1920, S. 109] gelautet. geboren,

So wie ich dafür geboren war.

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Oder sollte Schamgefühl mich hindern,

Wenn sich erste JugendlustKarl Kraus hat die Korrektur im zweiten Vers der fünften Strophe im Erstdruck des Gedichts „Confession“ ausgeführt; er erinnerte sich, in der ersten Gedichthandschrift habe die Stelle „Jugendkraft“ [Kraus 1920, S. 109] gelautet (dieser Teil des Gedichtmanuskripts ist nicht zugänglich). verliert,

Jeden noch so seltnen Schmerz zu lindern,

Den verwegne Phantasie gebiert.

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Karl Kraus schrieb am 1. Januar 1905 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 4.1.1905 aus München:]


Herzlichen Dank für [...] die schöne Karte, deren Unterzeichnern ich Sie bitte, mich ergebenst empfehlen zu wollen.

Karl Kraus schrieb am 2. Januar 1905 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 4.1.1905 aus München:]


Herzlichen Dank für die Honorarsendung [...]


[2. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 3.1.1905 in München:]


Von Kraus erhalten für Confession M. 60.‒

Frank Wedekind schrieb am 4. Januar 1905 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus,

ich wage noch kaum, Ihnen zu sagen wie ungemein ich mich über den Druckden Erstdruck des Gedichts „Confession“ [KSA 1/I, S. 531-132] in der „Fackel“ [vgl. Frank Wedekind: Confession. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21-22]. des Gedichtes gefreut habe, in der Befürchtung es möchte noch irgend etwas in die Quere kommen.

Herzlichen Dank für die | HonorarsendungHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Geldsendung, erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 2.1.1905. – Wedekind notierte am 3.1.1905 den Erhalt des Honorars: „Von Kraus erhalten für Confession M. 60.‒“ [Tb] und die/für/ die schöne Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 1.1.1905., deren Unterzeichnernnicht identifiziert, da die Postkarte oder Bildpostkarte nicht überliefert ist (siehe oben). ich Sie bitte, mich ergebenst empfehlen zu wollen.

Mit besten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


München, 4.I.05Wedekind notierte am 4.1.1905 den Brief „an Kraus“ [Tb]..

Frank Wedekind schrieb am 7. Januar 1905 in München
an Karl Kraus

[Hinweis und Referat mit Zitat von Karl Kraus in der Anmerkung zu Wedekinds Brief an ihn vom 26.12.1904 (Kraus 1920, S. 109f.):]


Erst nach dem Druck teilte mir W. mit, daß der Anfang des Gedichts:


FreudigKarl Kraus zitiert die erste Strophe von Wedekinds in der „Fackel“ gedrucktem Gedicht „Confession“ [vgl. Die Fackel, Jg. 6, Nr. 172, 31.12.1904, S. 21]. schwör’ ich es mit freier Stirne
Vor der Allmacht, die mich züchtigen kann:
Wie viel lieber wär’ ich eine Dirne
Als an Ruhm und Glück der reichste Mann!


ursprünglich – ungleich wertvoller – gelautet hatteKarl Kraus zitiert anschließend eine angeblich erste Fassung der ersten Strophe von Wedekinds Gedicht „Confession“, über die festgestellt wurde: „Diese von Kraus referierte, aber nicht schriftlich belegte Fassung ist durch keinen autorisierten Zeugen dokumentiert.“ [KSA 1/II, S. ]:


Frei bezeugt’ ich es mit jedem Schwure
Vor der Allmacht, die mich züchtigen kann:
Wie viel lieber wär’ ich eine Hure – –


Sonderbarerweise hatte der zensurgebrannte Dichter gefürchtet, daß diese Fassung nicht druckbar wäre, und sie mich gar nicht erst kennen lassen.

Frank Wedekind schrieb am 12. Februar 1905 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus

Hier sende ich Ihnen, was ich vorrätig habe. Es ist nicht vielWedekind notierte am 12.2.1905: „Gedichte an Karl Kraus geschickt.“ [Tb] Das waren zwei Manuskripte, das Gedicht „Das Opfer“ – entstanden 1893/94 in Paris, unter dem Titel „Mein Mädel“ [KSA 1/I, S. 546] zuerst am 11.3.1902 im „Simplicissimus“ veröffentlicht und nun in „leichter Überarbeitung“ [KSA 1/II, S. 1181] eingereicht – und das Lied „Revolution“ [KSA 1/III, 158] mit Noten, eine Neufassung des 1894 komponierten Liedes „Der Anarchist“ [vgl. KSA 1/III, S. 574-578], das zusammen mit dem Gedicht „Das Opfer“ im Erstdruck unter dem Titel „Revolution“ mit faksimilierten Noten in der „Fackel“ erschien [vgl. Frank Wedekind: Zwei Gedichte. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 175, 17.2.1905, S. 22f.]. und nicht sehr aufregend.

Mit herzlichem Gruß und in großer Eile
Ihr
FrWedekind.

Karl Kraus schrieb am 28. Februar 1905 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 6.3.1905 in München:]


Von Kraus Honorarfür den Abdruck des Gedichts „Das Opfer“ und des Lieds „Revolution“ in der „Fackel“ [vgl. Frank Wedekind: Zwei Gedichte. In: Die Fackel, Jg. 6, Nr. 175, 17.2.1905, S. 22f.]. erhalten M. 50.

Karl Kraus, Mizzi Hazany, Egon Friedell, Ludwig von Janikowski, Fred Fakler und Adele Nova schrieben am 7. März 1905 in Wien folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Post-Karte.


An Herr Frank Wedekind
in München
Franz Josefstr. 42 |


Und ist erstZitat des ersten Verses der letzten Strophe aus Wedekinds Gedicht „Abschied“ (1903): „Und ist erst das Seelenleben entweibt“ [KSA 1/I, S. 528], das in der „Fackel“ erschienen war [vgl. Frank Wedekind: Zwei Gedichte. In: Die Fackel, Jg. 5, Nr. 143, 6.10.1903, S. 26]. das Seelenleben entweibt .....“
Janikowski


GRUSS AUS DEM ETABLISSEMENT RONACHERDie Bildpostkarte dürfte im bekannten Wiener Varietétheater Etablissement Ronacher (Wien I, Himmelpfortgasse 25) geschrieben worden sein [vgl. Nottscheid 2008, S. 136].

WIEN

VARIÉTÉ


Herzlichste Grüße in unbegrenzter Verehrung senden:
Karl Kraus


Fred Fakler


Mizzi Hazanynicht sicher zu entziffern; der Name wurde bisher unsicher als ‚Hartmann‘ gelesen [vgl. Nottscheid 2008, S. 30, 137].


[am linken Rand um 90 Grad gedreht:]

Egon Friedell


[am rechten Rand um 90 Grad gedreht:]

deine mit VerunglückteAnspielung auf die „Durchfallskatastrophe“ [Die Fackel, Jg. 3, Nr. 87, Ende November 1901, S. 26] der Eröffnungsvorstellung des literarischen Kabaretts Jung-Wiener Theater zum lieben Augustin (Direktion: Felix Salten) am 16.11.1901 im Theater an der Wien, das nach wenigen Vorstellungen eingestellt wurde. Wedekind trug dort unter anderem seine Lieder „Brigitte B.“ und „Ilse“ vor [vgl. KSA 1/III, S. 468]. Karl Kraus, der seinerzeit die Presseresonanz kritisierte, meinte auch, es habe „das allergeringste Verständnis für die Individualität Wedekind’s [...] Herr Salten bewiesen, indem er ihn vor ein zweitausendköpfiges Publicum hinausstellte, dessen Anblick den an intimen Kneipabenden Bewährten nach seinem eigenen, vor Wiener Freunden abgelegten Geständnis völlig aus der Fassung gebracht hat.“ [Die Fackel, Jg. 3, Nr. 86, Mitte November 1901, S. 20] Adele Nova, Schauspielerin am Jantsch-Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 608] im Prater in Wien, soll seinerzeit in der Eröffnungsvorstellung des Varietés ebenfalls „aufgetreten“ [Nottscheid 2008, S. 137] sein; ihr Name ist im Programm [vgl. https://www.theatermuseum.at/onlinesammlung/detail/81854/] und in den Besprechungen allerdings nicht genannt. des lieben Augustin Nova

Karl Kraus schrieb am 28. April 1905 in Wien folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.


RP 10 = WEDEKIND MUENCHEN
FRANZ JOSEFSTR 42 = |


Kgl. Bayer. Telegraphenanstalt München.


Aufgegeben in Wien [...]


GESTERN ENDLICH LESEPROBE. SPIELPROBENProben für die von Karl Kraus veranstaltete Wiener Premiere von Wedekinds dreiaktiger Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903), die am 29.5.1905 in geschlossener Vorstellung „auf der Bühne des Trianon-Theaters im Nestroyhof“ stattfand, „das Kraus für diesen Zweck gemietet hatte“ [Nottscheid 2008, S. 141]. ERST AB 5. MAJ. AUJFUEHRUNG ZWEITE HAELFTE MAJ. SIND SIE AB MONTAGab dem 1.5.1905; ein Besuch von Karl Kraus in München ist nicht belegt. MUENCHEN? KOMME VIELLEICHT FUER EINEN TAG HIN = HERZLICHST KRAUS.

Karl Kraus schrieb am 29. April 1905 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 9.5.1905 aus München:]


In Ihrem letzten Telegramm [...]

Karl Kraus schrieb am 6. Mai 1905 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 7.5.1905 in München:]


Karl Kraus schickt mir das Bild von Annie Kalmar.


[2. Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 9.5.1905 aus München:]


[...] Dank für das schöne Geschenk, das Sie mir mit dem Bilde von Annie Kalmar machen.

Frank Wedekind schrieb am 9. Mai 1905 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus!

ich sage Ihnen meinen aufrichtigen herzlichen Dank für das schöne GeschenkWedekind notierte am 7.5.1905: „Karl Kraus schickt mir das Bild von Annie Kalmar.“ [Tb] Das Foto von Annie Kalmar (siehe unten) war Wedekind offenbar versprochen worden, nachdem Karl Kraus ihm am 27.3.1905 in Nürnberg zahlreiche Fotografien der Schauspielerin gezeigt hatte: „Karl Kraus zeigt mir fünfzig Bilder von Annie Kalmar.“ [Tb], das Sie mir mit dem Bilde von Annie KalmarIn Wedekinds Nachlass ist die übersandte Fotografie nicht überliefert, so dass unklar bleibt, um welches Bild es sich handelte. Karl Kraus, der die Schauspielerin Annie Kalmar 1899 in Wien kennenlernte, sich „Hals über Kopf“ [Pfäfflin/Dambacher 1999, S. 72] in sie verliebte, sie in der „Fackel“ rühmte [vgl. Pfäfflin/Dambacher 2001, passim], ihr 1900 ein Engagement am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg vermittelte, wo sie, schwer krank, am 2.5.1901 starb [vgl. Fischer 2020, S. 149-156, 1043], trieb einen „Kult um die Tote“ [Wagner 1987, S. 97], ließ ihr ein Grabdenkmal „aus dem Marmor“ [Pfäfflin/Dambacher 2001, S. 5] meißeln, veranlasste 1903 ihre Umbettung von Hamburg nach Wien, war im Besitz von zahlreichen Fotos von ihr, die er am 27.3.1905 Wedekind zeigte – „Karl Kraus zeigt mir fünfzig Bilder von Annie Kalmar“ [Tb] – und veröffentlichte eines davon zum 30. Todestag zusammen mit seinem Gedicht „Annie Kalmar“ in der „Fackel“ [vgl. Die Fackel, Jg. 33, Nr. 852-856, Mitte Mai 1931, S. 49]; zahlreiche Fotoporträts sowie ein zweites Exemplar der als Grabdenkmal geschaffenen Büste von ihr fanden sich nach seinem Tod (fotografisch dokumentiert) in Wohn- und Arbeitszimmer, Bibliothek und Schlafzimmer seiner Wohnung [vgl. Pfäfflin/Dambacher 1999, S. 22-31]. machen. Ich vermisse nur Ihre Widmung am Fuß des Bildes | die Sie jedenfalls nicht verweigern werden sobald Sie wieder in München sind.

Morgender 10.5.1905, an dem Wedekind seine Abreise nach Berlin um 22.10 Uhr notierte: „Packe meinen Koffer 10.10 nach Berlin“ [Tb]. fahre ich zur GerichtsverhandlungDer erste Prozess gegen Wedekind und seinen Verleger Bruno Cassirer, die des Vergehens gegen §184 (‚Verbreitung unzüchtiger Schriften‘) in der Buchausgabe „Die Büchse der Pandora. Tragödie in drei Aufzügen“ (1903) angeklagt waren, fand am 12.3.1905 vor dem Landgericht I in Berlin statt und endete mit einem Freispruch [vgl. KSA 3/II, S. 1153-1161], wie Wedekind notierte: „Gerichtsverhandlung in Berlin. Fahre um 9 Uhr ins Gerichtsgebäude in Moabit. [...] Verhandlung Freisprechung.“ [Tb] Die Staatsanwaltschaft des Reichsgerichts in Leipzig ging dagegen am 25.10.1905 in Revision und es kam am 10.1.1906 zum zweiten Prozess vor dem Landgericht II in Berlin [vgl. KSA 3/II, S. 1161-1181]. wegen B d. P nach Berlin. In Ihrem letzten Telegrammnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 29.4.1905. waren Sie so liebenswürdig mich über G. L. zu fragenKarl Kraus hatte Wedekind in einem nicht überlieferten Telegramm (siehe oben) offenbar gefragt, ob Grete Lorma, die bei der Uraufführung von „So ist das Leben“ am 22.2.1902 in München die Rolle der Prinzessin Alma gespielt hatte (siehe unten), als Darstellerin der Lulu in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 in Betracht komme. „Bis zum letzten Moment war unklar, wer die Rolle der Lulu [...] übernehmen würde.“ [Nottscheid 2008, S. 139] Grete Lorma war Schauspielerin am Raimund-Theater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 602], ab Ende 1905 am Wiener Bürgertheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 589]. Die Rolle der Lulu in der von Karl Kraus veranstalteten Wiener Inszenierung wurde dann kurzfristig mit Tilly Newes besetzt.. Nun muß man Ihnen darüber | in Wien ja eigentlich besser Auskunft geben können, denn ich habe die Dame schließlich nur sehr selten auf der BühneGrete Lorma (siehe oben) hatte in der Uraufführung von „So ist das Leben“ (Regie: Georg Stollberg) am 22.2.1902 im Münchner Schauspielhaus [vgl. KSA 4, S. 632, 635-637] die Rolle der Prinzessin Alma gespielt [vgl. Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 90, 22.2.1902, General-Anzeiger, S. 1] und nur mäßige Kritiken bekommen (Wedekind selbst stand in einer Nebenrolle auf der Bühne): „Den Exkönig gab Herr Weigert [...], nur erschien und sprach er zu jugendlich, so daß man an die erwachsene Tochter nicht recht glauben konnte. Diese Tochter gab Fräulein Lorma ganz hübsch, aber noch erheblich farbloser, als die Gestalt schon dem Dichter gerathen ist“ [Hanns von Gumppenberg: Münchner Schauspielhaus. Zum ersten Male: So ist das Leben. Schauspiel in fünf Akten von Frank Wedekind. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 93, 25.2.1902, Vorabendblatt, S. 1-2]. „Grete Lorma jammerte die Königstochter Alma ganz passabel.“ [Münchener Ratsch-Kathl, Jg. 14, Nr. 17, 26.2.1905, S. (6)] Das Stück wurde rasch abgesetzt. Nach der Uraufführung fanden nur vier weitere Vorstellungen statt (am 23.2.1902, 3.3.1902, 8.3.1902 und 11.3.1902). gesehen und das sind jetzt schon vier oder fünf Jahre her. In dieser Zeit kann man ja allerhand lernen.

Übrigens habe ich in Stuttgart neulich die BekanntschaftWedekind hat am 15.4.1905 in Stuttgart Berthe Marie Denk kennengelernt, die im selben Hotel wie er logierte und mit ihm brieflich unter Hinweis auf ihre Lektüre der „Büchse der Pandora“ Kontakt aufnahm [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 14.4.1905]; sie trafen sich [vgl. Tb] – der Beginn einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung. einer entzückenden | Wienerin gemacht, von der ich Ihnen bei unserer/m/ nächsten Zusammentreffen allerhand zu erzählen haben werde. Sie hat sich auch mit dem Problem Lulu beschäftigtEs ging um die bis zuletzt unklare Besetzung der Lulu in der Wiener Premiere (siehe oben). Wedekind „liebäugelte“ [Fischer 2020, S. 128] mit Berthe Marie Denk für diese Rolle. Er hatte allerdings soeben einen Brief von Berthe Marie Denk mit ihrer Erklärung zur Darstellung der Lulu in „Die Büchse der Pandora“ erhalten – mit dem Hinweis, ihr nicht Karl Kraus zu schicken [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 8.5.1905], der „etwa 1902 zu ihr in engere Beziehung getreten“ war, „was Wedekind nicht wusste“ [Fischer 2020, S. 128]., gesteht aber selber der Rolle, auf der Bühne wenigstens, nicht gewachsen zu sein.

Ich freue mich sehr darauf, Sie bald wiederzusehenWedekind hat Karl Kraus dem Tagebuch zufolge nachweislich zuletzt in Nürnberg getroffen – am 26.3.1905 („Karl Kraus kommt von Wien“) und 27.3.1905 („Karl Kraus zeigt mir fünfzig Bilder von Annie Kalmar“). Ein Besuch von Karl Kraus in München ab dem 1.5.1905 [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 28.4.1905] ist nicht belegt..

Nochmals tausend Dank

Mit herzlichen Grüßen
Ihr

FrWedekind.


9.V.5.

Karl Kraus, Egon Friedell und Albert Heine schrieben am 12. Mai 1905 in Wien folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Correspondenz-Karte.


Herrn Frank Wedekind
München
Franz Josefstraße 42 |


Etablissement
K. K. VOLKSGARTEN

Restaurant und Café
JOHANN SEIDL.

Vornehmstes RestaurantDie Bildpostkarte dürfte im Restaurant im Volksgarten (Inhaber: Johann Seidl), ein „Vergnügungs-Etablissement ersten Ranges“ [Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1905, Bd. 1, Teil IV, S. 1762], geschrieben worden sein..


WIEN


Viele herzlichste Grüße von Ihrem Kraus


UnbekannterweiseWedekind hatte Albert Heine, Schauspieler am Wiener Burgtheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 593], der in der Wiener Inszenierung „Die Büchse der Pandora“ (siehe unten) Regie führte und die Rolle des Schigolch spielte [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15], noch nicht persönlich kennengelernt. sagt Gruß Albert Heine


Egon FriedellEgon Friedell spielte in der Wiener Inszenierung „Die Büchse der Pandora“ (siehe unten) den Polizeikommissär [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15].


Fassungsraum 4000 Personen.


Es wird flott geprobt!Die Bemerkung von Karl Kraus bezieht sich auf die Proben zu der von ihm am 29.5.1905 veranstalteten Premiere von Wedekinds dreiaktiger Tragödie „Die Büchse der Pandora“, die in geschlossener Vorstellung „auf der Bühne des Trianon-Theaters im Nestroyhof“ stattfand, „das Kraus für diesen Zweck gemietet hatte“ [Nottscheid 2008, S. 141].

Frank Wedekind schrieb am 31. Mai 1905 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus!

Um keine Zeit zu verlieren schicke ich Ihnen heute nurWedekind hat in einem nicht überlieferten Telegramm [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 31.5.1905] einen Dankesbrief an alle Mitwirkenden der Wiener Premiere seiner Tragödie „Die Büchse der Pandora“ angekündigt, auf den er hier anspielt, der dann in einer ersten Fassung verloren ging [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 1.6.1905] und Karl Kraus erst in einer Neufassung erreichte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 3.6.1905]. den Zoologendas (verschollene) Manuskript des Gedichts „Der Zoologe von Berlin“ [KSA 1/I, S. 535f.], das Karl Kraus zusammen mit dem Gedicht „Ave Melitta!“ in der „Fackel“ veröffentlichte [vgl. Frank Wedekind: Zwei Gedichte. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 23-26], sein Erstdruck [vgl. KSA 1/II, S. 1296f.]. Das „Fackel“-Heft enthält weitere Beiträge zu Wedekind, die Eröffnungsrede „Die Büchse der Pandora“ von Karl Kraus zur Wiener Premiere der Tragödie am 29.5.1905, den faksimilierten Theaterzettel zu dieser Vorstellung, Wedekinds offenen Dankesbrief an alle an der Inszenierung seiner Tragödie Beteiligten, Pressestimmen zu der Inszenierung sowie die Ankündigung einer weiteren Vorstellung [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 1-18, 28].. Würden Sie mir vielleicht per Carte auch die Adressen von Ed|hoferSchreibversehen, statt: Edthofer. Anton Edthofer in Nürnberg (Obere Wörthstraße 24), Schauspieler am Nürnberger Intimen Theater (Direktion: Emil Meßthaler) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 516], wo Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 1.2.1904 uraufgeführt worden war, spielte in der Wiener Premiere der Tragödie am 29.5.1905 die Rolle des Marquis Casti-Piani, die in der zweiten Vorstellung am 15.6.1905 von Arnold Korff, Schauspieler am Wiener Burgtheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 593], übernommen wurde, der in beiden Vorstellungen auch den Privatdozenten Dr. Hilti spielte [vgl. Kraus 1920, S. 113]; die Gründe für den Wechsel in der Rollenbesetzung sind nicht bekannt. und PotofSchreibversehen, statt: Potthoff. Dr. phil. Ossip Demetrius Potthoff (Wien IX, Garnisonsgasse 18), Schauspieler am Deutschen Volkstheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 600], hatte in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 die Rolle des Alwa Schön gespielt; mit der Darstellung dieser Figur war Wedekind einer späteren Erinnerung von Karl Kraus zufolge „unzufrieden“ [Nottscheid 2008, S. 140]. Karl Kraus schilderte eine „Auseinandersetzung zwischen Wedekind“ und Potthoff um die Sprechweise der Alwa-Figur vor Lulus Pierrot-Porträt „während der Generalprobe“ [Nottscheid 2008, S. 150]: „Daß der unzulängliche Darsteller des Alwa die fast feierliche Ansprache an das Bild im dritten Akt halbwegs möglich, nämlich mit Pathos sprach, schien er schlechthin nicht ertragen zu können.“ [Die Fackel, Jg. 27, Nr. 691-696, Juli 1925, S. 53]. mittheilen. Ich sehe ein daß ich keine keineSchreibversehen, statt: keine. – Im Erstdruck ist die Wortwiederholung nicht reproduziert. Ausnahmenkeine Ausnahmen – Anschreiben an die einzelnen Ensemblemitglieder der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 betreffend. Wedekind plante offenbar, wie Karl Kraus in einer Fußnote zum Erstdruck des vorliegenden Briefes anmerkte, allen „Mitwirkenden an der Aufführung der ‚Büchse der Pandora‘ [...] ein besonderes Dankschreiben“ [Kraus 1920, S. 112] zukommen zu lassen – zusätzlich zum offenen Dankesbrief an alle an der Inszenierung seiner Tragödie Beteiligten [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 3.6.1905]; überliefert sind lediglich entsprechende Briefe Wedekinds an die Lulu-Darstellerin Tilly Newes [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.6.1905] und an die Darstellerin der Gräfin Geschwitz [vgl. Wedekind an Adele Sandrock 5.6.1905]. machen darf.

Herzliche Grüße
Ihr
Frank Wedekind.


31.V.5.

Frank Wedekind schrieb am 31. Mai 1905 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[Hinweis von Karl Kraus (Kraus 1920, S. 112):]


Der telegraphisch angekündigte Dankbrief [...] war nicht eingetroffen.

Frank Wedekind schrieb am 1. Juni 1905 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[1. Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 3.6.1905 aus München:]


[...] das erste Mal dasSchreibversehen, statt: daß. mir ein Brief verloren geht!


[2. Hinweis von Karl Kraus (Kraus 1920, S. 112):]


Der telegraphisch angekündigte Dankbrief an die Gesamtheit der Mitwirkendenan der Premiere „Die Büchse der Pandora“ im Trianon-Theater in Wien am 29.5.1905; das waren Tilly Newes, Adele Sandrock, Adele Nova, Ida Orloff, Dolores Stadlon, Claire Sitty, Irma Karczewska, Ossip Demetrius Potthof, Alexander Rottmann, Albert Heine, Arnold Korff, Tony Schwanau, Anton Edthofer, Gustav d’Olbert, Wilhelm Appelt, Egon Friedell, Ludwig Ströb sowie nicht zuletzt Karl Kraus (er hatte die Inszenierung ermöglicht und die Rolle des Kungu Poti gespielt), außerdem der Maler Carl Leopold Hollitzer (er schuf das Gemälde von Lulu im Pierrot-Kostüm) [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 3.6.1906]. war nicht eingetroffen.

Frank Wedekind schrieb am 3. Juni 1905 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus,

hier ist der Brief wieder. Die ursprüngliche Fassungnicht überlieferter Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Karl Kraus, 1.6.1905. ‒ Karl Kraus merkte im Erstdruck an: „Der telegraphisch angekündigte Dankbrief an die Gesamtheit der Mitwirkenden war nicht eingetroffen.“ [Kraus 1920, S. 112] war besser und frischer. Ich verstehe den Vorfall nicht; das erste Mal dasSchreibversehen, statt: Mal, daß. – Karl Kraus hat die Korrektur im Erstdruck ausgeführt. mir ein Brief verloren geht! Und nun gerade dieser! Ich hab ihn mit einem andern zusammen selbst | in den KastenBriefkasten. geworfen. Dessen bin ich vollkommen sicher. Was werden Sie über mein vollständiges Schweigen gedacht haben!

In Eile Ihr
Wedekind.


[Beilage:]


Lieber Herr Kraus!

Die Aufführung der „Büchse der Pandora“ in Wien, die Sie mit Aufbietung so großer künstlerischer Arbeit und einer Energie ins Werk setztenKarl Kraus veranstaltete die Wiener Premiere von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903), die als geschlossene Vorstellung „vor geladenem Publikum“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15] am 29.5.1905 stattfand (eine zweite Vorstellung am 15.6.1905), in einem Trianon-Theater genannten Saal im Nestroyhof (Wien II, Praterstraße 34) [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien, Bd. 1, Teil I, S. 70], den er „für diesen Zweck gemietet hatte.“ [Nottscheid 2008, S. 141] Das war eine Bühne „mit etwa vierhundert Plätzen“ [Fischer 2020, S. 127], die erst hergerichtet und die Schauspielerinnen und Schauspieler erst gewonnen werden mussten. Karl Kraus fand dabei zwar Unterstützung, trug aber (auch finanziell) „die Hauptlast der Vorbereitungen“ [Nottscheid 2008, S. 142]. Er äußerte sich später über seinen „Anteil“ an der Inszenierung: Es habe ihm „in keinem Augenblick leid getan, mich in die Sache eingelassen zu haben“; es „war mir innerhalb eines Monates so wenig Zeit gegönnt wie zum Schlafengehen, denn ich war [...] Theaterdirektor, Mitregisseur, Dramaturg, Schauspieler und Conferencier, und als Theaterdirektor hatte ich es nicht etwa mit dem Ensemble und dem Inventar einer vorhandenen Bühne zu tun, sondern ich mußte einen Saal in ein Theater verwandeln, und außer den Schauspielern, die zwanzig verschiedenen Ensembles angehörten und zum Teil im Ausland wirkten, die Kulissen, die Dekorationen, die Kostüme, die Perücken, die Schminktöpfe und den Souffleurkasten zur Stelle schaffen.“ [Die Fackel, Jg. 14, Nr. 370-371, 5.3.1913, S. 26] Karl Kraus, der auch die kleine Rolle des Kungu Poti spielte, sprach vor Beginn der Vorstellung eine im Programmzettel „Vorlesung“ genannte „Einleitung zu der Aufführung“ unter dem Titel „Die Büchse der Pandora“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 1-15], zu der Wedekind am 28.5.1905, dem Vorabend der Premiere, notierte: „Kraus liest mir seine Conference vor.“ [Tb], um die ich Sie stets beneiden werde, ist ganz ohne Zweifel einer der bedeutungsvollsten Zeitpunkte in der Entwicklung meiner literarischen Thätigkeit. Der uneingeschrenkteSchreibversehen, statt: uneingeschränkte. – Karl Kraus hat die Korrektur 1905 im Erstdruck und im Druck von 1920 ausgeführt. Beifall, der der Vorstellung folgte, löste bei mir ein Empfinden der seelischen Erleichterung aus, für das ich wol Zeit meines Lebens Ihr Schuldner | bleiben werde.

Darf ich Sie nun aber auch bitten, unseren verehrten lieben Künstlern und Künstlerinnen, und KünstlernKarl Kraus hat in der „Fackel“ den Programmzettel der Wiener „Büchse der Pandora“-Inszenierung – der „Besetzungszettel ist legendär“ [Fischer 2020, S. 128] – faksimiliert abgedruckt, Kopf: „TRIANON-THEATER (Nestroyhof) Wien, 29. Mai 1905“, abschließend die Hinweise: „Der erste Akt spielt in Deutschland, der zweite in Paris, der dritte in London. Die Vorstellung findet vor geladenem Publikum statt. Anfang präzise ½8 Uhr“, dazwischen vor dem Personenverzeichnis: „Einleitende Vorlesung von Karl Kraus“, dann: „Hierauf: DIE BÜCHSE DER PANDORA Tragödie in drei Aufzügen von Frank Wedekind. Regie: Albert Heine.“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15] Die Darstellerinnen und Darsteller sind im Personenverzeichnis in dieser Reihenfolge aufgeführt: Tilly Newes („Lulu“), Ossip Demetrius Potthof („Alwa Schön“), Alexander Rottmann („Rodrigo Quast, Athlet“), Albert Heine („Schigolch“), Tony Schwanau („Alfred Hugenberg, Zögling einer Korrektionsanstalt“), Adele Sandrock („Die Gräfin Geschwitz“), Anton Edthofer („Marquis Casti-Piani“), Gustav d’ Olbert („Bankier Puntschu“), Wilhelm Appelt („Journalist Heilmann“), Adele Nova („Magelone“), Ida Orloff („Kadéga di Santa Croce, ihre Tochter“), Dolores Stadlon („Bianetta Gazil“), Claire Sitty („Ludmilla Steinherz“), Irma Karczewska („Bob, Groom“), Egon Friedell („Ein Polizeikommissär“), Ludwig Ströb („Herr Hunidey“), Karl Kraus („Kungu Poti, kaiserlicher Prinz von Uahubee“), Arnold Korff („Dr. Hilti, Privatdozent“), Frank Wedekind („Jack“)., die in so selbstloser Weise ihre Zeit und ihr Können in den Dienst der Aufführung stellten und deren prachtvolle Gestaltungen in allererster Linie den Beifall hervorriefen, meinen aufrichtigen und herzlichen Dank aussprechen zu wollen. Ich bitte Sie, denKarl Kraus hat 1905 im Erstdruck und im Druck von 1920 ergänzt: Sie – in der Reihenfolge des Verzeichnisses –, den. Damen Tilly NewesTilly Newes, die in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle der Lulu spielte, war Schauspielerin am Kaiserjubiläums-Stadttheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 603]; sie sollte zuerst die „Hosenrolle“ des fünfzehnjährigen Liftboy Bob“ [Wedekind 1969, S. 40] spielen, die dann Ida Orloff übernahm, da die Rolle der Lulu, deren Besetzung das „schwierigste Problem bei den Vorbereitungen“ [Fischer 2020, S. 1289] und lange unklar war, wer sie spielen könne, mit ihr besetzt wurde, die, wie sie später schrieb, „entscheidend für mein ganzes Leben werden sollte.“ [Wedekind 1969, S. 40] Ein persönlicher Dankbrief an sie ist erhalten [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.6.1905]. Wedekind heiratete sie am 1.5.1906 in Berlin., Adele SandrockAdele Sandrock, die in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle der lesbischen Gräfin Geschwitz spielte, war Schauspielerin am Kaiserjubiläums-Stadttheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 603]; sie hatte einen großen Namen noch von ihrer Zeit am Burgtheater her, war aber nicht einfach. Karl Kraus merkte zur zweiten Vorstellung am 15.6.1905 an: „Jene war noch in letzter Stunde in Frage gestellt, da morgens eine Absage der großartigen Darstellerin der Geschwitz eingelangt war. Albert Heines und meiner Anstrengung gelang es schließlich, Adele Sandrock, die unter allerlei Einflüssen die Mitwirkung, und zwar aus Sittlichkeitsgründen, verweigern wollte, zum Auftreten zu bestimmen, das zugleich ihr Abschied von einem dem großen Theater fremd gewordenen Wien war.“ [Kraus 1920, S. 115] Sie ging dann nach Berlin. Beim Wiederabdruck seiner Conference (siehe oben) erinnerte er auch an die eigenwillige Schauspielerin „Adele Sandrock (die am Tage der zweiten Aufführung aus Moralgründen einen ihrer außerordentlichsten Erfolge vereiteln wollte)“ [Die Fackel, Jg. 27, Nr. 691-696, Juli 1925, S. 43]. Ein persönlicher Dankbrief an sie ist überliefert [vgl. Wedekind an Adele Sandrock, 5.6.1905]., Adele NovaAdele Nova, die in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle der Magelone (1903 in der Buchausgabe: Madelaine de Marelle) spielte, war Schauspielerin am Jantsch-Theater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 608]., Iduschka OrloffIda Orloff, die in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle der Kadéga di Santa Croce (später: Kadidja) spielte, im Theaterzettel „Iduschka Orloff“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15], mit Tilly Newes befreundet, im Frühjahr 1905 noch in der von Albert Heine geleiteten Schauspielschule am Burgtheater „seine begabteste Schülerin“ [Wedekind 1969, S. 40], die er als Regisseur für die Rolle engagierte, wurde dann Schauspielerin am Lessingtheater in Berlin (Direktion: Otto Brahm) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 274] – ein Karrieresprung. Der Direktor saß im Publikum und Ida Orloff hat „einen solchen Eindruck auf den Zuschauer Otto Brahm“ gemacht, „daß er sie nach Berlin holt.“ [Leppmann 1989, S. 239] Durch ihren Auftritt in der Privatvorstellung „Die Büchse der Pandora“ in Wien – so Tilly Wedekind im Rückblick – „ergab sich damals für sie ein Engagement nach Berlin“ [Wedekind 1969, S. 40, Dolores StadlonDolores Stadlon spielte in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle der Bianetta Gazil; über sie ist Näheres nicht bekannt., Claire Sitty,Schreibversehen (überflüssiges Komma), statt: Sitty. – Karl Kraus hat die Korrektur 1905 im Erstdruck und im Druck von 1920 ausgeführt. Claire Sitty, die in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle der Ludmilla Steinherz spielte, war Schauspielerin am Theater in der Josefstadt in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 607]. und Irma KarczewskaIrma Karczewska, die in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des Bob spielte, eine ‚femme enfant‘, zu der Karl Kraus „eine besondere Neigung“ [Fischer 2020, S. 157] hatte und sie „später an das Cabaret ‚Nachtlicht‘ vermittelte“ [Wagner 1987, S. 136], hatte Karl Kraus wohl „unmittelbar während der Vorbereitung der Aufführung“ [Fischer 2020, S. 158] kennengelernt; er schätzte sie sehr und nannte sie „ein ungewöhnlich begabtes Geschöpf, auf dessen Entdeckung für die Bühne – sie trat vor einem Jahr in der ‚Büchse der Pandora‘ auf – ich stolz bin: die kleine Ingrid Loris (Irma Karczewska), die mit einem Blick ins Publikum mehr Leben in die Bude bringt als ein Dutzend ausgewachsener Chansonnièren mit einem Repertoire wohlstudierter Gesänge.“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 203, 12.5.1906, S. 19], so wieSchreibversehen, statt: sowie. – Karl Kraus hat die Korrektur 1905 im Erstdruck und im Druck von 1920 ausgeführt. den Herren O. D. PotoffSchreibversehen, statt: Potthoff. – Karl Kraus hat die Korrektur 1905 im Erstdruck und im Druck von 1920 ausgeführt. Dr. phil. Ossip Demetrius Potthoff, der in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des Alwa Schön spielte, im Theaterzettel unter seinem Pseudonym „O. D. Potthof“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15] ausgewiesen, war Schauspieler am Deutschen Volkstheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 600]., Alexander RottmannAlexander Rottmann, der in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des Athleten Rodrigo Quast spielte, war Schauspieler am Kaiserjubiläums-Stadttheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 603]., Albert HeineAlbert Heine, der in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Regie führte und die Rolle des Schigolch spielte, war Schauspieler am Wiener Burgtheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 593]., Arnold KorffArnold Korff, der in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des Privatdozenten Dr. Hilti spielte, war Schauspieler am Wiener Burgtheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 593]. In der zweiten Wiener Vorstellung am 15.6.1905 übernahm er zusätzlich die Rolle des Marquis Casti-Piani (1903 in der Buchausgabe: Graf Casti Piani). Karl Kraus merkte im Erstdruck dazu an: „Spielte in der zweiten Aufführung außer dem Dr. Hilti auch den Casti Piani.“ [Kraus 1920, S. 113], Tony SchwanauAnton (Toni) Schwanau, der in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des Alfred Hugenberg spielte, im Theaterzettel „Tony Schwanau“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15], der am Intimen Theater in Wien aufgetreten ist [vgl. Deutsches Volksblatt, Jg. 16, Nr. 5700, 15.11.1904, Morgen-Ausgabe, S. 10] und im Frühjahr 1905 wohl ohne Engagement, war dann als Schauspieler am Stadttheater in Bonn (Direktion: Otto Beck) engagiert [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 304], kehrte aber nach Wien zurück und spielte am Theater in der Josefstadt [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 622]., | Anton EdthoferAnton Edthofer, der in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des Marquis Casti-Piani (1903 in der Buchausgabe: Graf Casti Piani) spielte, war Schauspieler am Intimen Theater in Nürnberg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 516], wo unter der Regie von Emil Meßthaler Wedekinds Tragödie am 1.2.1904 uraufgeführt worden war. Die Rolle des Casti Piani übernahm in der zweiten Wiener Vorstellung am 15.6.1905 Arnold Korff., Gustav d’OlbertGustav d’Olbert, der in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des Bankiers Puntschu spielte, war Schauspieler am Jantsch-Theater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 608]., Wilhelm AppeltWilhelm Appelt, der in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des Journalisten Heilmann spielte, war Schauspieler am Wiener Kaiserjubiläums-Stadttheater sowie am Intimen Theater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 603, 610]., Egon FridellSchreibversehen, statt: Friedell. – Karl Kraus hat die Korrektur im Druck von 1920 ausgeführt, nicht aber 1905 im Erstdruck; im faksimiliert wiedergegebenen Theaterzettel zur Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) ist der Name „Egon Fridell“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15] geschrieben. Dr. phil. Egon Friedell, Journalist und Essayist, der die Rolle des Polizeikommissärs spielte, stand in der Wiener Premiere von Wedekinds Tragödie am 29.5.1905 als „Hobbyschauspieler“ auf der Bühne, „Karl Kraus bei der Vorbereitung dieser Aufführung assistierend und ihm damals recht eng verbunden.“ [Fischer 2020, S. 130], Ludwig StröbLudwig Ströb, der in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des Herrn Hunidey (1903 in der Buchausgabe: Mr. Hopkins) spielte, war Theaterinspizient und Schauspieler am Kaiserjubiläums-Stadttheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 603]. und nicht in letzter Linie sich selbstKarl Kraus spielte in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) die Rolle des „Negerprinzen“ [Wedekind 1969, S. 40] Kungu Poti, an die Berthold Viertel, der im Publikum saß, sich erinnerte: „Woran ich mich erinnere, ist das sprungartige Auftreten und Abgehen der grotesken Figur, das Grinsen des pausbäckigen Knabengesichts unter der dunklen Schminke, die weißen blitzenden Zähne in diesem Gesicht und die jähe ausfahrende Bewegung des langen Armes beim Niederschlagen Alwas, nicht zuletzt aber die naiv-sinnliche Galanterie, die mit der Brutalität des Ungeheuers zusammen ging. Es war etwas Grauenhaftes, aber auch Frechheit und Witz in dieser blitzschnellen Szene.“ [Nachlassmanuskript, zit. nach: Fischer 2020, S. 132] Karl Kraus bezog die Stelle auf Wedekind, der die Rolle des Frauenmörders Jack spielte, und merkte im Erstdruck dazu an: „An erster Stelle unter den Mitwirkenden stand Frank Wedekind als Jack, den er mit einer ruhigen und umso furchtbareren Sachlichkeit sprach.“ [Kraus 1920, S. 113] den Ausdruck meiner Verehrung und steten Dankbarkeit zu übermitteln. Wollen Sie bitte Herrn HofschauspielerSchreibversehen, statt: Hofburgschauspieler. – Karl Kraus hat die Korrektur 1905 im Erstdruck und im Druck von 1920 ausgeführt. Das Burgtheater in Wien hieß offiziell „K. K. Hofburgtheater“ [Neuer Theater-Almanach 1905, S. 591]. Heine für seine herrliche Regie und Herrn Kunstmaler Hollitzer für die künstlerische FörderungCarl Leopold Hollitzer hat für die Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ (siehe oben) das Lulu-Porträt als Pierrot gemalt. Karl Kraus merkte im Erstdruck dazu an: „Hatte sein Atelier als Raum für die ersten Proben zur Verfügung gestellt und das Porträt der Lulu im Pierrotkostüm, ein Requisit der Handlung, angefertigt.“ [Kraus 1920, S. 114], die er der Aufführung zutheil werden ließ, noch ganz besonders die Hand drücken.

In Verehrung und Ergebenheit
München, den 3. Juni 1905
Frank Wedekind.

Karl Kraus schrieb am 4. Juni 1905 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 5.6.1905 aus München:]


[...] ich [...] danke Ihnen für Ihre freundliche Einladung.

Frank Wedekind schrieb am 5. Juni 1905 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus!

Das ist ja ausgezeichnet. Selbstverständlich bin ich mit allem einverstanden und danke Ihnen für Ihre freundliche Einladungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 4.6.1905. ‒ Karl Kraus dürfte Wedekind zu der nach der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ vom 29.5.1905 zweiten Vorstellung eingeladen haben, die am 15.6.1905 stattfand. In der „Fackel“ war am 9.6.1905 angekündigt: „Eine Wiederholung der ‚Büchse der Pandora‘ vor geladenen Gästen wird zwischen 14. und 17. Juni stattfinden, wenn es gelingt, ihr die Mitwirkung aller jener Kräfte zu sichern, die an der ersten Vorstellung beteiligt waren und von denen manche sich zur Zeit außerhalb Wiens aufhalten. Die Kostenbeiträge werden mit 12, 8 und 4 Kronen bemessen sein. Alle jene, die die Vorstellung, in der der Dichter wieder selbst auftreten wird, zu sehen wünschen, werden ersucht, bis zum 11. Juni dem Verlag der ‚Fackel‘, IV. Schwindgasse 3 bekanntzugeben, daß und zu welchem Preise sie (auf Namen lautende) Eintrittskarten zu beziehen wünschen, und ihre genaue Adresse mitzuteilen. Nach dem 11. Juni erfolgt dann eventuell die Einladung, bezw. die Billetausgabe. Bis dahin kann kein Geldbetrag entgegengenommen werden.“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 28] Karl Kraus dürfte Wedekind zugleich dazu eingeladen haben, in Wien wieder bei ihm zu logieren, was dieser annahm (siehe unten).. Nur glaube ich nicht, daß ich bis 14.bis zum 14.6.1905. Wedekind arbeitete unter Hochdruck an seinem Einakter „Totentanz“ [vgl. KSA 6, S. 613-616], zu dem er am 10.6.1905 notierte: „Totentanz beendet.“ [Tb] Er reiste am 13.6.1905 von München ab – „Abends Abfahrt nach Wien“ [Tb] – und traf am 14.6.1905 morgens in Wien ein, wo er seinen Einakter abends im Restaurant im Volksgarten Karl Kraus und Berthe Marie Denk vorlas: „Ankunft in Wien. Ich wohne bei Karl Kraus. [...] Wir nachtmahlen mit Bertha Denk im Volksgarten. Ich lese Totentanz vor.“ [Tb] den Einakter fertig habe. Die Arbeit geht jetzt ganz verzweifelt langsam vorwärts. Ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrem TriumphKarl Kraus erreichte nach der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“, die am 29.5.1905 „vor geladenem Publikum“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15] stattfand, wie auf dem Theaterzettel angegeben ist, bei der Zensur auch die Freigabe einer weiteren geschlossenen Vorstellung, die am 15.6.1905 gespielt wurde. Er hatte sie „durchgesetzt“ [Kraus 1920, S. 115]. über Statthalterei und Polizei„Die Theaterzensur in Wien wurde in Kooperation zwischen der örtlichen Polizeibehörde und der k.k. niederösterreichischen Statthalterein ausgeübt. Durch die Theater eingereichte Stücke wurden zunächst von der Polizei geprüft und von dieser [...] an das Büro des Statthalters weitergeleitet, dem die letzte Entscheidung oblag.“ [Nottscheid 2008, S. 143]. Also auf baldiges Wiedersehen!

Mit herzlichstem Gruße
Ihr Frank Wedekind.


5.6.5.

Karl Kraus und Carl Leopold Hollitzer schrieben am 19. Juni 1905 in Wien folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Postkarte.


Herrn Frank Wedekind
in München
Wohnung Franz Josefstraße 42
Straße u. Hausnummer. |


Café Reklamedas Café Reklame (Wien II, Taborstraße 1) [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1905, Bd. 1, Teil IV, S. 1048], „das bekannte Vergnügungs-Etablissement Café Reklame, Leopoldstadt, Taborstraße 1 (an der Ferdinandsbrücke)“ [Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8312, 3.12.1905, S. 3], das Varietéprogramm bot; dort dürfte Joe Beckles (Motiv der Bildpostkarte) auf seiner Gastspielreise durch Europa 1905 in Wien engagiert gewesen sein. Die vorliegende sowie die folgende Bildpostkarte [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 21.6.1905] wurden hier geschrieben [vgl. Nottscheid 2008, S. 144]. Wedekind hat das Café Reklame nach der zweiten von Karl Kraus realisierten Vorstellung der „Büchse der Pandora“ mit Alexander Rottmann, der den Athleten Rodrigo Quast gespielt hat und wie weitere an der Inszenierung Beteiligte (Wilhelm Appelt, Tilly Newes, Adele Sandrock, Ludwig Ströb) am Wiener Kaiserjubiläums-Stadttheater engagiert war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 603], sowie Carl Leopold Hollitzer, der das Lulu-Porträt im Pierrot-Kostüm für die Wiener Inszenierung gemalt hat, am 15.6.1905 besucht: „Rottmann Hollitzer und ich gehen ins Café Reclame.“ [Tb] – Dieses Café Reklame kann leicht verwechselt werden mit dem gleichnamigen Kaffeehaus, das am 15.11.1905 ganz in der Nähe eröffnet wurde: „(Im Nestroyhofe,) Leopoldstadt, Praterstraßs 34, vis-a-vis dem Carl-Theater, wurde Mittwoch den 15. d. das Café Reklame eröffnet. Das Kaffeehaus ist mit allem Komfort der Neuzeit auf das eleganteste ausgestattet und es liegen dort die gelesensten Journale des In- und Auslandes aus. Für die Besucher des Carl-Theaters und des im Hause befindlichen Intimen Theaters wird das Café Reklame zweifellos bald ein Rendezvousort comme il faut werden.“ [Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8298, 17.11.1905, S. 2].

Viele herzliche Grüße
Kraus


Die besten Grüsse von C Hollitzer


Joe Beckles
American Negro-Comiker

Frank Wedekind schrieb am 20. Juni 1905 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[1. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 20.6.1905 in München:]


Totentanz abgeschrieben und an Kraus geschickt.


[2. Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 23.6.1905 aus München:]


Den Totentanz werden Sie erhalten haben.

Karl Kraus, Erich Schuch, Eleonore [Nachname], Alois Kohn und [Fräulein] Hansi schrieben am 21. Juni 1905 in Wien folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Postkarte.


Herrn Frank Wedekind
in München
Wohnung Franz Josefstraße 42
Straße u. Hausnummer. |


Ungrad StegreifsängerAlois (Louis) Kohn; zunächst annonciert unter seinem richtigen Namen und seinem Pseudonym – „des besten Stegreifsängers Louis Kohn, genannt: ‚Herr Ungrad‘“ [Illustrirtes Wiener Extrablatt, Jg. 30, Nr. 13, 13.1.1901, S. 10] – firmierte der „Ungrad-Loisl“ [Der Ungrad-Loisl lebt. In: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 59, Nr. 21, 21.1.1925, S. 9], der in Wien eine der „populärsten Persönlichkeiten aus der Vorkriegszeit“ war, „der eigentlich Alois Kohn hieß“ und „aus der ungarischen Puszta“ stammte, „von einer vorbeiziehenden Zirkustruppe als Clown mitgenommen“ nach Wien kam, hier durch „seine originellen Reime auf bekannte Persönlichkeiten [...] große Beliebtheit“ errang, nur noch als „Ungrad, der sich seinen Künstlernamen in Selbstironie nach seiner Gestalt – er war bucklig – beigelegt hatte“ [Loisl Ungrad gestorben. In: Neues Wiener Journal, Jg. 33, Nr. 11.441, 28.9.1925, S. 2]; dieser „Urwiener“ und „bucklige Heurigendichter“ [Anton Kuh: Ein totgesagter und ein wirklich gestorbener Volkssänger. Loisl Ungrad – Josef Bauer. In: Die Bühne, Jg. 2, Nr. 3, 5.2.1925, S. 35] war ein Wiener Original und „der bekannteste Stegreifsänger Wiens“ [A. D.G.: Wiener Originale. XXVII. „Ungrad.“ In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4571, 15.7.1906, S. 2], der auch im Café Reklame (siehe unten) auftrat.


Karl Kraus


[um 90 Grad gedreht:]

Frl. Hansinicht eindeutig identifiziert (möglicherweise die Wiener Soubrette Hansi Führer).. Sängerin.


[um 90 Grad gedreht:]

Erich Schuchnicht sicher zu entziffernder Namenszug (Person nicht identifiziert); im Erstdruck ohne Namensentzifferung als „ein unbekannter Unterzeichner“ [Nottscheid 2008, S. 39] ediert.
ein von der „Büchse Begeistertervon Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1903), die in Wien am 29.5.1905 und 15.6.1905 in den Privatvorstellungen zu sehen war, die Karl Kraus veranstaltet hatte.


[um 90 Grad gedreht:]

Eleonorenicht eindeutig identifiziert.


Café Reklamedas Café Reklame (Wien II, Taborstraße 1) [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1905, Bd. 1, Teil IV, S. 1048], in dem die vorliegende wie die vorangehende Bildpostkarte [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 19.6.1905] geschrieben wurden. Wedekind hat das Café Reklame nach der zweiten Wiener Vorstellung der „Büchse der Pandora“ am 15.6.1905 besucht (mit Alexander Rottmann und Carl Leopold Hollitzer): „Rottmann Hollitzer und ich gehen ins Café Reclame.“ [Tb] Es bot Varietéprogramm und Joe Beckles (Motiv der Bildpostkarte) dürfte auf seiner Gastspielreise durch Europa 1905 in Wien dort engagiert gewesen sein; vielleicht sind auch die Sängerin Fräulein Hansi (siehe oben) und die ebenfalls nicht identifizierte Eleonore (siehe oben) dort aufgetreten. Es trat im Café Reklame jedenfalls der Stegreifsänger Ungrad (siehe oben) auf, wie ein Pressebericht über ihn und einen anderen Wiener Volkssänger belegt: „Wer kennt sie nicht, die beiden? Wer hat nicht schon bei den lustigen Stegreifvorträgen des einen oder anderen gelacht? Diese beiden besten Interpreten des Stegreifgesanges werden sich nun allabendlich in einer großen Stegreifkonkurrenz gegenüberstehen. Den Schauplatz dieser lustigen, nein, zwerchfellerschütternden Schlachten bildet das bekannte Vergnügungs-Etablissement Café Reklame, Leopoldstadt, Taborstraße 1 (an der Ferdinandsbrücke). Außer dieser Stegreifkonkurrenz findet im Café Reklame täglich ein großes Doppelkonzert mit Sängern und Sängerinnen statt.“ [Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8312, 3.12.1905, S. 3] – Dieses Café Reklame kann leicht verwechselt werden mit dem gleichnamigen Kaffeehaus, das am 15.11.1905 ganz in der Nähe eröffnet wurde: „(Im Nestroyhofe,) Leopoldstadt, Praterstraßs 34, vis-a-vis dem Carl-Theater, wurde Mittwoch den 15. d. das Café Reklame eröffnet. Das Kaffeehaus ist mit allem Komfort der Neuzeit auf das eleganteste ausgestattet“ [Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8298, 17.11.1905, S. 2].


Joe Beckles
American Negro song and dance.

Frank Wedekind schrieb am 23. Juni 1905 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus!

Herzlichen Dank für die beiden Karten aus dem Café Reclameim Erstdruck: Karten. – Wedekind bezieht sich auf zwei Bildpostkarten [vgl. Karl Kraus, Carl Ferdinand Hollitzer an Wedekind, 19.6.1905; Karl Kraus, Alois Kohn (Ungrad), Fräulein Hansi, Erich Schuch, Eleonore an Wedekind, 21.6.1905], die im Café Reklame (Wien II, Taborstraße 1) [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1905, Teil IV, S. 1048] geschrieben waren. Wedekind selbst hat das Café Reklame nach der zweiten Vorstellung seiner Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 15.6.1905 zusammen mit Alexander Rottmann (Darsteller des Rodrigo Quast) und Carl Leopold Hollitzer (siehe unten) besucht: „Rottmann Hollitzer und ich gehen ins Café Reclame.“ [Tb]. Den Totentanz werden Sie erhalten habenWedekind hatte das Manuskript von „Totentanz“ (verschollen) am 20.6.1905 nach Wien gesandt: „Totentanz [...] an Kraus geschickt.“ [Tb] Es war für den Abdruck in der „Fackel“ (siehe unten) spätestens am 24.6.1905 bereits gesetzt [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 24.6.1905].. Wenn er Ihnen für die „Fackel“ zusagt, so möchte ich Sie bitten, eine kleine KorrekturWedekinds Korrekturwunsch wurde „nicht mehr berücksichtigt.“ [KSA 6, S. 617] Im Erstdruck seines Einakters lautet die Stelle: „Casti Piani. Ihre Worte treffen die Todeswunde, die ich mit auf die Welt gebracht habe und an der ich voraussichtlich einmal sterben werde. (Er wirft sich in einen Sessel). – – Ich bin – – – Idealist!“ [Frank Wedekind: Totentanz. Drei Szenen. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 1-33, hier S. 12] Karl Kraus bemerkte dazu später (anlässlich einer Vorlesung von „Totentanz“ nach einem Auszug aus dem vorliegenden Brief): „Das Werk war inzwischen gedruckt worden und die Korrektur jener Stelle ist vermutlich weil sie zu spät eintraf unterblieben; der Herausgeber erinnert sich nicht und könnte sich nicht vorstellen, daß er sie dem Dichter widerraten habe.“ [Die Fackel, Jg. 27, Nr. 706-711, Dezember 1925, S. 89] In der ersten Buchausgabe von Totentanz“ (1905) im Albert Langen Verlag (und allen weiteren Ausgaben) ist die Stelle korrigiert; das letzte Wort lautet hier: „Moralist!“ [KSA 6, S. 111] vorzunehmen: |

Zwischen Seite 30 und 37 des Manuscriptes findet sich der Passus:

Casti Piani Ihre Worte treffen die Todeswunde e. ct. (er wirft sich in einen Sessel) – – Ich bin – – – Idealist!

Ich halte es für richtiger, s statt „Idealist“ „Moralist“ zu setzen. Wenn Sie meine Ansicht theilen, bitte ich Sie, dementsprechend zu korrigieren.

Ich denke noch immer mit Entzücken der letzten herrlichen | drei Tage in WienWedekind war vom 14. bis 16.6.1905 in Wien [vgl. Tb]: „Zur zweiten Aufführung der ‚Büchse der Pandora‘“ [Kraus 1920, S. 116] am 15.6.1905.. Man muß sich an alles zuerst gewöhnen, besonders an die Annehmlichkeiten des Lebens. Sie zeichnen sich als solche erst in der Erinnerung aus und dadurch daß einem die Alltäglichkeit verleidet wird.

Grüßen Sie bitte alle die lieben Menschen wenn Sie Ihnen begegnen und besonders Herrn Hollitzerim Erstdruck durch vier Auslassungspunkte („....“) ersetzt. – Carl Ferdinand Hollitzer, der Maler des Lulu-Porträts als Pierrot für die Wiener „Büchse der Pandora“-Inszenierung, hatte Wedekind auf einer der erwähnten Bildpostkarten (siehe oben) Grüße gesandt..

Sollte Totentanz für die | Fackel zu lang sein, so werde ich Ihnen eine Ablehnung durchaus nicht verargen.

Mit der Versicherung aufrichtigen Dankes und herzlichen Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


München 23. Juni 1905.


[Kuvert:]


Herrn Karl Kraus
Wien IV.
Schwindgasse 3.

Karl Kraus schrieb am 24. Juni 1905 in Wien folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.


WEDEKIND MUENCHEN FRANZ JOSEFSTR 42.– |


Kgl. Bayer. TelegraphenanstaltMünchen.


Aufgegeben in Wien [...]


= HEISZEN DANKKarl Kraus bedankte sich für das Manuskript von „Totentanz“, das Wedekind ihm am 20.6.1905 nach Wien gesandt hat: „Totentanz [...] an Kraus geschickt.“ [Tb] FUER TOTENTANZ. DAS HERRLICHE WERK IST SCHON GESETZTvon der Druckerei Jahoda und Siegel (Wien III, Hintere Zollamtsstraße 3), wie in jedem „Fackel“-Heft angegeben. Wedekinds Einakter erschien neun Tage nach dem vorliegenden Telegramm [vgl. Frank Wedekind: Totentanz. Drei Szenen. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 1-33]..– WUENSCHEN SIE CORRECTURWedekinds brieflich geäußertem Korrekturwunsch an einer Stelle [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 23.6.1905] wurde nicht entsprochen; unklar ist, ob er Druckfahnen seines in der „Fackel“ veröffentlichten Einakters „Totentanz“ (siehe oben) gewünscht und erhalten hat.? ALLERHERZLICHST KRAUS =“

Frank Wedekind und Berthe Marie Denk schrieben am 29. Juni 1905 in München folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

Carte Postale. Postkarte. Cartolina postale. [...]


Herrn
Karl Kraus
Wien IV.
Schwindgasse 3.


Lieber verehrten/r/ Freund, wirBerthe Marie Denk war vom 28.6.1906 bis 1.7.1905 zu Besuch bei Wedekind in München, mit dem sie ein Liebesverhältnis hatte; das Paar hat die vorliegende Bildpostkarte mit dem sprechenden Motiv eines Pferdekopfes dem Tagebuch zufolge entweder am 28.6.1905 („Wir bestellen ein Pferd in der Reitschule“) oder wahrscheinlicher am 29.6.1905 („Bertha Maria zieht ihr Reitkleid an. Wir gehen in die Reitschule“) in einer Münchner Reitschule erworben. denken Ihrer in Treue und trinken auf Ihr Wohl!

Frank


Maria.

Karl Kraus schrieb am 4. Juli 1905 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 5.7.1905 in München:]


Kraus schickt mir die Fackel mit Totentanz.


[2. Hinweis in Wedekinds Postkarte an Karl Kraus vom 7.7.1905 aus München:]


Ich danke Ihnen herzlichst für die Exemplare [...]

Karl Kraus schrieb am 6. Juli 1905 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 7.7.1905 in München:]


Von Kraus für Totentanz erhalten M. 300.


[2. Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 8.7.1905 aus München:]


[...] ich danke Ihnen sehr für Übersendung der M. 300 Honorar für Totentanz.

Frank Wedekind, Ludwig Scharf und Anton Dreßler schrieben am 7. Juli 1905 in München folgende Postkarte
an Karl Kraus

Königreich Bayern
Postkarte


An Herrn Karl Kraus
in Wien
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


Lieber Herr Kraus, morgen, sobald ich bei Langenbei seinem Verleger Albert Langen (Kaulbachstraße 91) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1905, Teil I, S. 280], der die Buchausgabe seines Einakters „Totentanz“ (1905) vorbereitete, der im Erstdruck soeben in der „Fackel“ erschienen ist (siehe unten). gewesen bin, erhalten Sie ausführlich Nachricht. Ich danke Ihnen herzlichst für die Exemplaredes „Fackel“-Heftes mit dem Erstdruck seines Einakters [vgl. Frank Wedekind: Totentanz. Drei Szenen. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 1-33]. Wedekind hat die Exemplare am 5.7.1905 erhalten (am Vortag war das Heft erschienen): „Kraus schickt mir die Fackel mit Totentanz.“ [Tb], für die entzückenden Karten aus dem Kaffe ReklameWedekind hatte sich bereits für die beiden Bildpostkarten [vgl. Karl Kraus, Carl Ferdinand Hollitzer an Wedekind, 19.6.1905; Karl Kraus, Alois Kohn (Ungrad), Fräulein Hansi, Erich Schuch, Eleonore an Wedekind, 21.6.1905] bedankt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 23.6.1905], die im Café Reklame (Wien II, Taborstraße 1) [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Wien 1905, Teil IV, S. 1048] geschrieben worden sind.. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder. Herzlichste Grüße. Meine Freunde schließen sich an.

Frank


Besten Gruß –
Ludwig Scharf.


Ergebensten Gruß sendet
Anton Dreßler.

Frank Wedekind schrieb am 8. Juli 1905 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus!

ich danke Ihnen sehr für Übersendung der M. 300 HonorarWedekind notierte bereits am 7.7.1905: „Von Kraus für Totentanz erhalten M. 300.“ [Tb] für Totentanz. Leider kann ich Ihnen keine erfreuliche Antwort auf meine Anfrage wegen Verwendung des SatzesWedekind hatte bei seinem Verleger Albert Langen, der die Buchausgabe seines Einakters „Totentanz“ (1905) vorbereitete, angefragt, ob der Satz des soeben in der „Fackel“ erschienen Erstdrucks [vgl. Frank Wedekind: Totentanz. Drei Szenen. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 1-33] verwendet werden könne. Die erste Buchausgabe „wurde jedoch in Fraktur (statt der bei Kraus üblichen Antiqua) gedruckt.“ [Nottscheid 2008, S. 148] Sie hatte fast den doppelten Seitenumfang des Zeitschriftenvorabdrucks (siehe unten). mittheilen. Der Einakter | ist ja viel splendidergroßzügiger. gesetzt als ich erwartet hatte, aber Langen sagt, der Satz müßte eben doch auf alle Fälle umgebrochen werden wegen weil sonst kein Ein-Mark-BuchDie erste Buchausgabe von Wedekinds Einakter „Totentanz. Drei Szenen“ [vgl. KSA 6, S. 623] im Albert Langen Verlag war im Herbst 1905 als erschienen gemeldet, hatte einen Umfang von 62 Druckseiten und kostete 1 Mark (gebunden 2 Mark) [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 72, Nr. 245, 20.10.1905, S. 9451]. daraus würde. Deshalb wolle er das Stück lieber neu setzen lassen.

Ich grüße Sie herzlichst und hoffe auf baldiges Wiedersehn
Ihr
Frank Wedekind.


8.7.5Wedekind notierte am 8.7.1905: „Brief an Kraus.“ [Tb].


[Kuvert:]


Herrn Karl Kraus
Wien IV.
Schwindgasse 3.

Karl Kraus, Carl Leopold Hollitzer, Berthe Marie Denk und Ernst von Lieben schrieben am 27. August 1905 in Preßburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

MAGYAR KIRÁLYI POSTA
LEVELEZÖ-LAP


Czim Herrn Frank Wedekind
Franz Josefstraße 42 München |


Pressburg, 27.8.


[am linken Rand um 90 Grad nach links gedreht:]

Gräfin PotockaBerthe Marie Denk unterzeichnet mit diesem Namen in Anspielung auf das ihr von Wedekind gewidmete Gedicht „An Bertha Maria, Typus Gräfin Potocka“ [KSA 1/I, S. 639] in der Sammlung „Die vier Jahreszeiten“ (1905), das wiederum anspielt auf die polnische Schriftstellerin Anna Gräfin Potocka (geb. Tyszkiewicz), deren Memoiren in deutscher Übersetzung in einer aktuellen Auflage vorlagen [vgl. Die Memoiren der Gräfin Potocka 1794-1820. Veröffentlicht von Casimir Stryienski. Nach der sechsten französischen Auflage bearbeitet von Oskar Marschall von Bieberstein. Mit prachtvollen Illustrationen und dem Porträt der Verfasserin von Angelica Kauffmann. Leipzig 1904], ein Buch, das Wedekind und Berthe Marie Denk gekannt haben dürften. „Wie aus der Einleitung zum Buch hervorgeht, repräsentierte Anna Potocka den Typus einer vornehmen und gebildeten Frau von aristokratischer Erziehung, die in Warschau und Paris mit führenden politischen Persönlichkeiten ihrer Zeit – allen voran mit Napoleon –, aber auch mit namhaften Künstlern in Kontakt kam und sich durch Geistesschärfe, literarische Bildung und schriftstellerische Begabung auszeichnete“ [KSA 1/I, S. 913]. Das Faksimile des Portraitgemäldes in dem Buch habe „starke Ähnlichkeit mit Photographien von Bertha Maria Denk“ [Nottscheid 2008, S. 150]..


[am rechten Rand um 90 Grad nach rechts gedreht:]

Carl Hollitzer

Ernst v Lieben

Kraus


[Zeichnung: links O. D. Potthof, rechts Egon Friedell]

[am unteren Rand:]

Im Namen des Gesetzes! Sie von Karl Kraus geschriebenes erweitertes Zitat aus „Die Büchse der Pandora“ (Worte des Polizeikommissärs am Ende des 2. Akts): „Im Namen des Gesetzes – Sie sind verhaftet!“ [KSA 3/I, S. 594] Das war der einzige Satz, den Egon Friedell in seiner kleinen Rolle als Polizeikommissär bei der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ (29.5.1905, zweite Vorstellung 15.6.1905) zu sprechen hatte. Die Erweiterung ‚wegen falschen Spiels‘ bezog sich wohl auf das Spiel „des ‚unzulänglichen‘ Alwa-Darstellers O. D. Potthof“ bei der Premiere, mit dem Wedekind „unzufrieden war“ [Nottscheid 2008, S. 150]. Dr. Ossip Demetrius Potthof, seinerzeit Schauspieler am Deutschen Volkstheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1905, S. 600], spielte den Alwa nicht so, wie Wedekind sich die Rolle dachte. Die von Carl Leopold Hollitzer (er hat das Bild Lulus für die Wiener Premiere gemalt) auf der Postkarte gezeichnete Szene sollte Wedekind wohl an eine Szene erinnern, die sich bei der Generalprobe im 3. Akt vor Lulus Bild als Pierrot ereignet hatte; Karl Kraus hat Wedekinds Reaktion geschildert: „Daß der unzulängliche Darsteller des Alwa die fast feierliche Ansprache an das Bild im dritten Akt [...] mit Pathos sprach, schien er schlechthin nicht ertragen zu können.“ [Die Fackel, Jg. 27, Nr. 691-696, Juli 1925, S. 53]sind wegen falschen Spiels verhaftet!“

Frank Wedekind, Emil Meßthaler und Victor Barnowsky schrieben am 9. September 1905 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

Postkarte – Carte postale
Weltpostverein – Union postale universelle
[...]


Herrn Karl Kraus
Wien
3. Schwindgasse 3 |


Herzlichste Grüsse Frank


E Meßthaler   Victor Barnowsky

Karl Kraus, Ludwig von Janikowski und Carl Leopold Hollitzer schrieben am 8. November 1905 in Wien folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Absender:


Korrespondenz-Karte.


An Herrn Frank Wedekind
in Berlin, Unter d. LindenAdresse des Kleinen Theaters (Direktion: Victor Barnowsky) in Berlin (Unter den Linden 44) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1906, S. 277], wo Wedekind seit dem 26.9.1905 erfolgreich als Karl Hetmann in „Hidalla“ auf der Bühne stand.
Kleines Theater. |


Beste Grüße
von Carl Hollitzer
und = [Zeichnung, Porträt: Karl Kraus]

Viele herzliche Grüße
von Ihrem
K. K.

[Zeichnung, Porträt: Ludwig von Janikowski]

Janikowski.

Frank Wedekind schrieb am 14. November 1905 in Berlin folgende Postkarte
an Karl Kraus

Die KinderfreundeDer Aufsatz von Karl Kraus erörtert „Hintergründe und Auswirkungen des Prozesses gegen den wegen sexueller Handlungen an zwei Jungen angeklagten Wiener Mediziner und Universitätsprofessor Theodor Beer“ und verweist im Zusammenhang der Ausführungen „über die Glaubhaftigkeit der Kinderaussagen“ [Nottscheid 2008, S. 153] auf die Szene II/3 mit Hänschen Rilow [vgl. KSA 2, S. 285-287] aus Wedekinds „Frühlings Erwachen“ (1891) in Verbindung mit Ibsens Drama „Die Wildente“ (im Rekurs auf die Figur des idealistischen Wahrheitsfanatikers Gregor Werle): „Man mag auch mit den Müttern dieser Verhandlung glauben, daß hysterische Knaben an Eindrücken, die sie in den Jahren der Pubescenz erlebt oder erlitten haben, sich als ‚Fanatiker der Wahrheit‘ bewähren können, daß Hänschen Rilow aus Wedekind’s […] Kindertragödie ‚Frühlingserwachen‘ ein kleiner Gregor Werle ist, der die Onanie für eine Lebenslüge hält und darum ein Venusbild, das den Schlaf seiner Nächte stört, dem Orkus des Klosetts überantwortet. Es ist nicht ganz so.“ [Die Kinderfreunde. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 187, 8.11.1905, S. 1-28, hier S. 12]. Bravo! Bravo! Bravo! Das Schönste, was ich von Ihnen kenne. Dank und herzlichste Grüße
Wedekind

Die Abhandlung ist herrlich und steigert sich so gewaltig zum Schluß. Und diese leuchtenden Blitze! Ich danke Ihnen.

Frank Wedekind schrieb am 13. Dezember 1905 in Berlin folgende Postkarte
an Karl Kraus

Postkarte


An
Herrn Karl Kraus
in Wien IV
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


Lieber Herr Kraus! Ich habe eben die Fackel durchgelesendas „Fackel“-Heft vom 11.12.1905 (siehe unten). und bitte Sie um die Freundlichkeit, die schöne PhilosophinBerthe Marie Denk, von der Wedekind zuletzt vor etwa einem Monat gehört hatte [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 12.11.1905]. Karl Kraus nimmt die Formulierung in seiner Antwort auf, womit sie sicher identifiziert ist [vgl. Karl Kraus, Berthe Marie Denk an Wedekind, 16.12.1905]. Wedekind dürfte durch den Artikel „Geld“ (siehe unten), ein an eine „verehrte Frau“ gerichteter offener Brief, charakterisiert als eine „Philosophie des Geldes“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 11] zu der Bezeichnung ‚schöne Philosophin‘ inspiriert worden sein. von mir zu grüßen, wenn Sie sich vielleicht noch gelegentlich meiner erinnern sollte. Die Vorurteile von Fridellder entsprechend betitelte Artikel von Egon Friedell [vgl. Egon Friedell: Vorurteile. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 4-11], der „am Beispiel [...] fremder Länder [...] aus Sekundärurteilen und Phantasie geschöpfte Vorurteile“ [Nottscheid 2008, S. 155] behandelt. finde ich entzückend. Zur richtigen Beurteilung von Geldunter Pseudonym veröffentlichter Artikel [vgl. Lucianus: Geld. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 11-14], dessen Verfasser der mit Karl Kraus befreundete Journalist Karl Hauer war [vgl. Kraus 1920, S. 117]. fehlt mir die nötige Ruhe und Sachlichkeit.

Mit herzlichstem Gruß
Ihr
Fr.W.


Mit wem waren Sie denn in RomKarl Kraus war mit Berthe Marie Denk in Rom; sie hat Wedekind unmittelbar vor ihrem Aufbruch nach Italien von ihrer anstehenden Reise geschrieben [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 5.9.1905] und sich nach ihrer Rückkehr von dieser Reise zurückgemeldet [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 22.9.1905]. Wedekind konnte ahnen, dass sie die Begleiterin von Karl Kraus war, denn dieser hat im „Fackel“-Beitrag von Egon Friedell (siehe oben) eine auf seine Italienreise im Herbst 1905 hinweisende Fußnote gesetzt: „Hier erlaubt sich der Herausgeber zu bemerken, daß er am Ende dieses Sommers mit Italien ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hat.“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 7]?

Frank Wedekind und Tilly Wedekind schrieben am 14. Dezember 1905 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

Eugen Steinert, Berlin W. 15
Weingroßhandlung
Kurfürstendamm 22.


Postkarte


An
Herrn Karl Kraus
in Wien
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


Gruß aus Steinerts Weinstuben Berlin W.

Kurfürstendamm 22.


Als ich nebenstehender Dame die prachtvolle Phantasie „Geldzu lesen gabden unter Pseudonym veröffentlichten Artikel „Geld“ [vgl. Lucianus: Geld. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 11-14], dessen Verfasser der mit Karl Kraus befreundete Journalist Karl Hauer war [vgl. Kraus 1920, S. 117]. entdeckte ich erst wie Sie mich gegen GoldmannPaul Goldmann, seinerzeit Korrespondent der Wiener „Neuen Freien Presse“ in Berlin, mit dem Wedekind bereits in Paris Umgang hatte [vgl. Wedekind an Otto Erich Hartleben, 15.9.1894], veröffentlichte eine umfangreiche abwertende Kritik über Wedekinds am Kleinen Theater in Berlin erfolgreich inszeniertes Schauspiel „Hidalla“ [vgl. Paul Goldmann: Berliner Theater. „Hidalla“ von Frank Wedekind. In: Neue Freie Presse, Nr. 14818, 22.11.1905, Morgenblatt, S. 1-4], „des eklen ‚Hidalla‘-Feuilletons“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 18], wie Karl Kraus die Besprechung nannte (siehe unten). Wedekind schrieb später über ihn das „Goldmannlied“ [KSA 3/III, S. 168f.], das zu Lebzeiten unveröffentlicht blieb [vgl. KSA 3/IV, S. 863-872]; das war am 22.12.1907: „Schreibe vormittags Goldmannlied.“ [Tb] in Schutz nehmenWedekind bezieht sich auf die im Anschluss an den Artikel „Geld“ (siehe oben) abgedruckte Glosse „Literat“ in der Rubrik „Antworten des Herausgebers“, in der Karl Kraus auf eine Zuschrift zu Paul Goldmanns Verriss von „Hidalla“ (siehe oben) und einer früheren Stellungnahme des Herausgebers der „Fackel“ zu diesem Kritiker antwortet – „Sie schreiben: ‚Gestatten Sie mir eine Äußerung herzlichen Dankes dafür, daß sich in Ihrem Blatt mit gebührender Promptheit die richtige Reaktion auf den neuesten Goldmann eingestellt hat. [...] Aber [...] wär’s nicht doch vielleicht angebracht gewesen, eine besondere Heldentat aus diesem Feuilleton über ‚Hidalla‘ besonders anzukreiden? Nämlich die Verdächtigung, daß die ‚Münchener Boheme‘, zu der auch Frank Wedekind gehöre, ein persönliches Interesse an dem sexuellen Verhalten der jungen Damen, daß egoistisches Verlangen nach dem Verzicht auf Jungfräulichkeit an dem Werk seinen Anteil habe ...‘ ‚Die Hauptsache ist‘, sagen Sie, ‚es scheint mir unertragbar, daß gegen unseren stärksten und wahrsten Dichter eine so unqualifizierbare Verunglimpfung, daß eine so plebejische Verdächtigung gegen die Reinheit seiner Motive ausgesprochen werden konnte. Da hofft man auf Sie!‘ Und man täuscht sich nicht, da ich Ihre Zuschrift selbst wiedergebe. Nur eins: Meine Ausräucherung des Klugschwätzers in Nr. 188 war [...] vor dem Erscheinen des eklen ‚Hidalla‘-Feuilletons geschrieben. In Nr. 189 konnte ich dann nicht mehr ausführlich werden, brauchte Herrn Goldmann bloß darüber aufzuklären, daß er den Fußtritt, den er soeben erst empfangen, als Vorschuß auf seine Gemeinheit gegen ‚Hidalla‘ auffassen könne. Man kann sich doch nicht überbieten [...]. Soll man diesem Herrn Goldmann einbläuen, daß nicht die Negation des Virginitätsideals, sondern viel eher das Virginitätsideal selbst von den Wünschen jener abzuleiten wär, die da entjungfern wollen? [...] Es ist wirklich das Zeichen einer vollkommen journalversauten Zeit, daß man sich mit einem Herrn Goldmann als kritischer Instanz auseinandersetzen muß“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 17f.] – und dann eine Passage eines kritischen Artikels über Paul Goldmann aus der Berliner „Schaubühne“ [vgl. Otto Tugenthat: Berliner Theaterkritiker. VIII. Paul Goldmann. In: Die Schaubühne, Jg. 1, Nr. 13, 30.11.1905, S. 362-365, hier S. 364f.] als „eine ganz zutreffende Charakteristik“ zitiert und knapp kommentiert [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 18f.].. Herzliche Grüße
F.W.


[am rechten Rand um 90 Grad gedreht:]

Bitte ich, nicht nebenstehender Herr, habe den Artikeldie Wedekind gegen Paul Goldmann verteidigende Glosse „Literat“ in der Rubrik „Antworten des Herausgebers“ in der „Fackel“ vom 11.12.1905 (siehe oben). entdeckt! Herzl. Gruß
Tilly Newes


Grüßen Sie EgonEgon Friedell, der in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 und 15.6.1905 die Rolle des Polizeikommisärs gespielt hat (Tilly Newes die Lulu). von mir!

Karl Kraus und Berthe Marie Denk schrieben am 16. Dezember 1905 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

[1. Briefentwurf:]


Wien, 14. im Dez. 1905


Lieber, verehrter Fr. W.!

Vielen Dank für Ihre Karte und für Ihre freundliche Kritik der letzten „Fackel“. Wenn die nur bald wieder einen Beitrag von Ihnen hätte! Der „schönen Philosophin“ habe ich soeben Ihre Grüße ausgerichtet. Ihre Frage, mit wem ich in Rom war, wäre besser mündlich – ich erhoffe baldiges Wiedersehen – zu beantworten, denn die Antwort hat eine verwickelte Vorgeschichte. Ich war mit unserer lieben Frau Maria in Rom. Sie erinnern sich, welchen Luftsprung ich that, als Sie mir in Wien erzählten, daß Sie B. B. kennen; ich hatte seit drei Jahren schon für S/s/ie geschwärmt, ihre Spur, die nach Stuttgart führte, verloren, von ihrer Rückkehr nichts gewusst ... Im Herbst, als ich hörte, sie sei eines Tages aus Ihrer Wohnung verschwunden und nach Rom Italien gereist, begann – ich weiß selbst nicht, wie das kam – meine Liebe lichterloh zu brennen; und ich führte nun den alten Plan einer Italienreise aus, als ich mich in den Zug setzte, um auf’s Gerathewohl nachzureisen ... Sie kennen Berthe Maria nicht, da Sie sie nicht im mondbeleuchteten Colosseum gesehen haben, auf | einem Trümmer des Sessels Marmorsitzes der Kaiserin. sitzend. Der ganze Zauber der Vergangenheit, den diese Ruinen einschließen, schien leibhaftig aus ihren schönen Augen zu treten, bis ein Thränenflor ihn verhüllte. Seit damals bete ich sie an ... Ich glaube nicht, daß durch meine Liebe der Ihren ein Leid geschieht, umsoweniger, als ich ja nicht weiß, wie diese Frau mit den zahllosen Seelen ihre Gefühle vertheilt ... Wenn sie – worüber ich ihr schon Vorwürfe gemacht habe – ein wenig schreibfaul ist, so ist sie zur Hälfte dadurch entschuldigt, daß sie ihre freie die Zeit, die sie nicht der Sehnsucht nach dem Colosseum und seiner gewesenen Pracht widmet, mit Strümpfestricken für ihre Großmutter zubringt. Sie kann nämlich auch das. Wenn ihre Sinne schweigen, hat verlangt sie nur mehr das Verlangen nach dem Mann im Mond. Leider kann ich ihr nicht alle ihre Wünsche erfüllen. |

Sollten Sie auch fernerhin durch Proben und Vorstellungen verhindert sein, das schöne Wesen, mit dem ich natürlich kein Verhältnis, nur ein Verhängnis habe, zu heirathen, so werde ich es – Berthe Marias Einverständnis vorausgesetzt – für Sie thun. Ich weiß, daß sie, wer immer von uns sie heirathet, keinem von beiden verloren geht.

In aufrichtiger Herzlichkeit grüßt Sie
Ihr

K. K.


Den beiden Schwestern Männern schwur ich Lieb und Treue.

Welchen nehm’ ich? Einen? Beide? Keinen?“

Edmund in „König Lear.
frei nach Shakespeare.


[2. Abgesandter Brief:]


Wien, im Dezember 1905


Lieber, verehrter Fr. W.!

Vielen Dank für Ihre Kartevgl. Wedekind an Karl Kraus, 13.12.1905. und für Ihre freundliche Kritik der letzten „Fackel“Wedekind hat seine Lektüre des „Fackel“-Hefts vom 11.12.1905 erwähnt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 13.12.1905] und nannte speziell außer dem Artikel „Geld“ von Lucianus (Karl Hauer) – ein an eine „verehrte Frau“ (sie dürfte von Wedekind als die ‚schöne Philosophin‘ Berthe Marie Denk interpretiert worden sein) gerichteter offener Brief, der als eine „Philosophie des Geldes“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 11] charakterisiert ist – den Artikel „Vorurteile“ von Egon Friedell, der „am Beispiel [...] fremder Länder [...] aus Sekundärurteilen und Phantasie geschöpfte Vorurteile“ [Nottscheid 2008, S. 155] behandelt; Karl Kraus hat hier eine Fußnote gesetzt, die auf seine Italienreise im Herbst 1905 aufmerksam macht (in Italien hat er Berthe Marie Denk getroffen, was Wedekind aus der Anmerkung schließen konnte): „Hier erlaubt sich der Herausgeber zu bemerken, daß er am Ende dieses Sommers mit Italien ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hat.“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 190, 11.12.1905, S. 7]. Wenn die nur bald wieder einen Beitrag von Ihnen hätte! Der „schönen Philosophin“Zitat aus Wedekinds Postkarte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 13.12.1905]; gemeint ist Berthe Marie Denk. habe ich Ihre Grüße ausgerichtet. Ihre Frage, mit wem ich in RomBerthe Marie Denk hat Wedekind unmittelbar vor ihrem Aufbruch nach Italien von ihrer anstehende Reise geschrieben [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 5.9.1905] und sich nach ihrer Rückkehr von dieser Reise zurückgemeldet [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 22.9.1905]. war, wäre besser mündlich – ich erhoffe baldiges Wiedersehen – zu beantworten, denn die Antwort hat eine verwickelte Vorgeschichte. Ich war mit unserer lieben Frau MariaBerthe Marie Denk, „für die Kraus hier die in der katholischen Liturgie übliche Anrede für die Heilige Jungfrau Maria benutzt“ [Nottscheid 2008, S. 156]. in Rom. Sie erinnern sich, welchen Luftsprung ich that, als Sie mir in Wien erzählten, daß Sie B. B.gemeint ist „offenbar“ Berthe Marie Denk, auch wenn die „Bedeutung der Chiffre [...] unklar“ [Nottscheid 2008, S. 157] ist. kennen, ich hatte seit drei Jahren schon für sie geschwärmt, ihre Spur, die nach StuttgartWedekind hat Berthe Marie Denk im Frühjahr 1905 in Stuttgart kennengelernt [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 14.4.1905; Wedekind an Berthe Marie Denk, 15.4.1905]. führte, verloren, von ihrer Rückkehr nichts gewußt ... Im Herbst, als ich hörte, sie sei eines Tages aus ihrer Wohnung verschwunden und nach Italien gereist, begann – ich weiß selbst nicht, wie das kam – meine Liebe lichterloh zu brennen; und ich führte nur den alten Plan einer Italienreise aus, als ich mich in den Zug setzte, um auf’s Gerathewohl nachzureisen ... Sie kennen Berthe Maria nicht, da Sie sie nicht im mondbeleuchteten Colosseum gesehen haben, auf einem Trümmer des Marmorsitzes der Kaiserin. Der ganze Zauber des Gewesenen, den diese Ruinen einschließen, schien leibhaftig aus ihren schönen | Augen zu treten, bis ein Tränenflor ihn verhüllte. Seit damals bete ich sie an ... Ich glaube nicht, daß durch meine Liebe der Ihren ein Leid geschieht, umsoweniger, als ich ja nicht weiß, wie diese Frau mit den zahllosen Seelen ihre Gefühle vertheilt ... Wenn sie – worüber ich ihr schon Vorwürfe gemacht habe – ein wenig schreibfaul ist, so ist sie zur Hälfte dadurch entschuldigt, daß sie die Zeit, die sie nicht der Sehnsucht nach dem Colosseum und seiner gewesenen Pracht widmet, mit Strümpfestricken für ihre Großmutterwohl nicht konkret gemeint (Berthe Marie Denks Großmutter mütterlicher- oder väterlicherseits). zubringt. Sie kann nämlich auch das. Wenn ihre Sinne schweigen, verlangt sie nur mehr nach dem Mann im MondKarl Kraus hat aus dieser Briefstelle später einen Aphorismus gemacht: „Wenn die Sinne der Frau schweigen, verlangt sie den Mann im Mond.“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 198, 12.3.1906, S. 1]. Leider kann ich ihr nicht alle Wünsche erfüllen. Sollten Sie auch fernerhin durch Proben und VorstellungenWedekind in Berlin stand aktuell im Kleinen Theater in der Titelrolle des „Marquis von Keith“ auf der Bühne (Premiere: 13.12.1905), die Proben dazu hatten am 2.12.1905 begonnen; davor spielte er im Kleinen Theater in „Hidalla“ den Karl Hetmann (Premiere: 26.9.1905). verhindert sein, das schöne Wesen, mit dem ich natürlich kein Verhältnis, nur ein Verhängnis habe, zu heirathen, so werde ich es – Berthe Marias Einverständnis vorausgesetzt – für Sie thun. Ich weiß, daß sie, wer immer von uns sie heirathet, keinem von beiden verloren geht.

In aufrichtiger Herzlichkeit grüßt Sie
Ihr
Karl Kraus |


Den beiden Männern schwur ich Lieb u. Treue ...
Welchen nehm’ ich? Einen? – Beide? Keinen?

(Frei nach Shakespearefrei nach dem Monolog Edmunds in William Shakespeares „König Lear“ (Szene V/1): „Den beiden Schwestern schwur ich meine Liebe, / Und beide hassen sich, wie der Gestochne / Die Natter. Welche soll ich nehmen? Beide? / Ein’ oder Keine?“ [Shakspeare’s dramatische Werke übersetzt von August Wilhelm von Schlegel und Ludwig Tieck. Neue Ausgabe in neun Bänden. Bd. 8. Berlin 1867, S. 367f.] Im Briefentwurf hat Karl Kraus das von ihm als Anspielung auf das Dreiecksverhältnis Wedekind – Denk – Kraus umgeschriebene Shakespeare-Zitat notiert, im abgesandten Brief hat Berthe Marie Denk diese Zitatadaption ihren Zeilen als Motto vorangestellt.)


Geliebter Cäsar, auf jeden Fall bleibe ich mir treu – und sende Dir nebst herzlichen Dank für l. Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Berthe Marie Denk, 13.11.1905. herzlichen Gruss. Ich ersuche Dich die Idee mit den AnsichtskartenBerthe Marie Denk hatte Wedekind ein Foto von sich geschickt [vgl. Berthe Marie Denk an Wedekind, 12.11.1905] und Wedekind schlug ihr daraufhin offenbar vor, dieses Foto als Bildpostkarte zu reproduzieren [vgl. Wedekind an Berthe Marie Denk, 13.11.1905]. nichtviermal unterstrichen. auszuführen; (es wäre auch zu viel Reclame); (wohin mit all den Heiratsanträgen?) Wann | kommst Du endlich wieder einmal nach WienWedekind war zuletzt die drei Tage vom 14. bis 16.5.1905 in Wien und hat Berthe Marie Denk täglich gesehen [vgl. Tb].? Du weisst sicher gar nicht mehr, wie ich aussehe!

Bertha Maria

Frank Wedekind schrieb am 30. Dezember 1905 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

Postkarte – Carte Postale
Weltpostverein – Union postale universelle
[...]


Herrn Karl Kraus
Wien IV.
Schwindtgasse 3 |


ASAdele Sandrock; im Erstdruck durch zwei Auslassungsstriche („– –“) ersetzt. hat Ihnen eine ganz geschmacklose Kartedie zwei Tage zuvor von Wedekind mitunterschriebene Postkarte [vgl. Adele Sandrock, Wedekind, Hans Richard Weinhöppel, Robert Eysler an Karl Kraus, 28.12.1905], von der er sich hier „distanziert“ [Nottscheid 2008, S. 159]. geschickt aus Wuth darüber, daß Sie ihre Zuschriften nicht beantworten. Ich bitte Sie mich nicht im Verdacht der Mittäterschaftwohl Anspielung auf Adele Sandrocks antisemitische Formulierung in der genannten Postkarte (siehe oben). zu halten.


Berlin   Kaiser Friedrich-Museum und Denkmal


Fröhliches Neues Jahr FW

Frank Wedekind, Carl Rößler und Tilly Wedekind schrieben am 22. Januar 1906 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

Postkarte.


An Herrn Karl Kraus
in Wien IV
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


Gebr. Habel, Hoflieferanten Sr. Maj. des Kaisers und Königs
Weingrosshandlung u. Weinstuben – BERLIN W., Unter den Linden 29/30.


Lieber Karl Kraus

Es lieben Sie folgende Menschen


Tilly Newes
heiß u. innig


Fr Ressner
kalt und hundeschäuzignach der Redensart „kalt wie eine Hundeschnauze = ohne jede Gefühlsregung“ [Nottscheid 2008, S. 160].!


Frank

Karl Kraus schrieb am 8. Februar 1906 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Tilly Wedekind , Frank Wedekind , Hans Richard Weinhöppel

[Hinweis in der von Hans Richard Weinhöppel adressierten Bildpostkarte (mitunterzeichnet von Tilly Newes und Frank Wedekind) an Karl Kraus vom 16.2.1906 aus München:]


Ihre Grüße freundlichst erwiedernSchreibversehen (von Tilly Newes), statt: erwidern. [...]

Frank Wedekind schrieb am 14. Februar 1906 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 15.2.1906 aus München:]


Über den Prolog habe ich Ihnen telegraphiert.

Frank Wedekind schrieb am 15. Februar 1906 in Berlin folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus,

hier ein kleiner Beitragdas dem Brief beigelegte Manuskript [vgl. KSA 1/II, S. 1385] des Gedichts „Die Wetterfahne“ [vgl. KSA 1/I, S. 560f.] als Beitrag für die „Fackel“, wo es knapp zwei Wochen darauf im Erstdruck erschien [vgl. Frank Wedekind: Die Wetterfahne. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 197, 28.2.1906, S. 13]. Das Gedicht war Tilly Wedekinds Erinnerungen zufolge an sie „gerichtet“ [Wedekind 1969, S. 52], wahrscheinlicher aber war es im Gedanken an Berthe Marie Denk geschrieben, um die es im vorliegenden Brief geht, als „Wedekinds Abschiedsgedicht nach einem stürmischen Jahr der Leidenschaft“ [Pfäfflin/Dambacher 1999, S. 116].. Über den Prologdas „als Prolog zu einer Benefiz-Vorstellung des Kleinen Theaters“ (Direktion: Victor Barnowski) am 16.2.1906 in Berlin „zugunsten eines geplanten Heinrich-Heine-Denkmals“ zum „50. Todestag des Dichters“ [KSA 1/I, S. 969] in Versen geschriebene Gedicht „An Heinrich Heine“ [KSA 1/I, S. 555-560]. Seine Entstehung ist im Tagebuch dokumentiert. Wedekind notierte am 10.2.1906: „Im Kleinen Theater fordert mich Barnowski auf einen Heine-Prolog zu schreiben“ [Tb], am 11.2.1906: „Schließe mit Barnowski über Heine Prolog ab“ [Tb], am 12. und 13.2.1906: „Heineprolog geschrieben“ [Tb], am 14.2.1906: „Im Nürnberger Hof schreibe ich den Prolog fertig“ [Tb], am 15.2.1906: „Prolog abgeschrieben“ [Tb] und am 16.2.1906 schließlich den Vortrag des Gedichts und das Honorar: „Heine Prolog Eingenommen M. 300“ [Tb]. Den Tag darauf wurde es im „Berliner Tageblatt“ mit einer redaktionellen Vorbemerkung gedruckt: „Dieser Prolog wurde in der gestrigen, zu Gunsten eines Heine-Denkmals veranstalteten Vorstellung des Kleinen Theaters vom Verfasser vorgetragen.“ [Frank Wedekind: An Heinrich Heine. In: Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 87, 17.2.1906, Morgen-Ausgabe, S. (2-3), hier S. (2)]. habe ich Ihnen telegraphiertHinweis auf ein nicht überliefertes Telegramm; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Karl Kraus, 14.2.1906. – Die „telegraphische Mitteilung“ betraf den Prolog „An Heinrich Heine“ (siehe oben); „worum es dabei ging, ist nicht mehr zu ermitteln.“ [KSA 1/I, S. 969] Karl Kraus äußerte sich kritisch über ein Heine-Denkmal: „Aber sollte die beschämende Denkmalsbettelei nicht doch einmal ihr Ende finden?“ [Um Heine. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 199, 23.3.1906, S. 1-6, hier S. 1]. Unserer FreundinBerthe Marie Denk, die eine Liebesbeziehung mit Wedekind und eine mit Karl Kraus hatte. Sie hatte Wedekind in Berlin besucht, war am 14.1.1906 „sterbenskrank [...] nach Wien“ [Tb] zurückgereist und Wedekind hatte von ihrer Schwester zuletzt am 13.2.1906 Nachricht erhalten, sie sei „noch lange nicht gesund“ [Ottilie Weißhappel an Wedekind, 12.2.1906]. – Die Passage („Unserer Freundin“ bis „zuweilen?“) ist im Erstdruck durch drei Auslassungspunkte („...“) ersetzt. geht es offenbar immer noch nicht gut. Sehen Sie sie zuweilen? Ich | sagte seinerzeit, daß das Weib und die Freundschaft keine guten Freunde sind, aber gegenüber solchem Schicksal schweigt wol jeder Eigennutz. Meine Rolle hierWedekinds Engagement in Inszenierungen seiner Stücke am Kleinen Theater (Direktion: Victor Barnowski) in Berlin schien beendet („Marquis von Keith“ mit Wedekind in der Titelrolle war nach der zwölften Vorstellung am 29.1.1905 [vgl. Tb] abgesetzt und „Hidalla“ mit Wedekind in der Rolle des Karl Hetmann nach der 50. Vorstellung am 23.1.1906 [vgl. Tb] nicht mehr gespielt worden) und ein Engagement am Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) war noch nicht definitiv. Wedekind notierte am 10.2.1906: „Im Deutschen Theater erfahr ich nichts Neues.“ [Tb] in Berlin scheint vorläufig ausgespielt zu sein, ich habe mir aber | schon eine WohnungWedekind wohnte seinerzeit in der Pension von Johanna Nolte (Schiffbauerdamm 6/7) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 1598]; Eigentümer des Hauses war das Neue Theater [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil III, S. 669]. gemietet und weiß augenblicklich nicht recht, wo ich zu Hause bin. Ich traf Harden hier öfterWedekind hatte Maximilian Harden in Berlin zuletzt am 4. und 26.1.1906 getroffen [vgl. Tb]. und habe ihm viel von Ihnen erzählt. Vielleicht ist Ihnen das nicht rechtKarl Kraus war bereits auf Distanz zu Maximilian Harden gegangen, bevor er ab 1907 seine großangelegten Polemiken gegen den Berliner Publizisten schrieb; soeben hatte er ihn als „der fette Stilist Harden“ [Die Fackel, Jg. 7, Nr. 195, 10.2.1906, S. 21] bezeichnet., aber ich darf doch wol meine Überzeugungen | aussprechen. Wenn es Ihnen nicht unsympatisch ist mir etwas über Bertha Mariaim Erstdruck durch drei Auslassungspunkte („...“) ersetzt. zu schreiben, werde ich Ihnen dankbar dafür sein.

Mit herzlichsten Grüßen
Ihr
FrWedekind


15 II 6.


[Beilage:]


Die Wetterfahne.


Du auf deinem höchsten Dach,

Ich in deiner Nähe;

Doch die wahre Liebe, ach,

Schwankt in solcher Höhe.

Du in deinem Herzen leer,

Ich in blindem Wahne –

Dreh dich hin, dreh dich her,

Schöne Wetterfahne!

_____


Unterhaltend pfeift der Wind,

Bläst uns um die Ohren;

Von des Himmels Freuden sind |

Keine noch verloren!

Glaubst du, daß verliebt ich bin,

Weil ich dich ermahne?

Dreh dich her, dreh dich hin,

Schöne Wetterfahne!

_____


Drehn wir uns auf hohem Turm

Immer frisch und munter!

Ach der erste Wintersturm

Schleudert dich hinunter.

Wenn dann auch verflogen wär,

Was ich jetzt noch ahne ...

Dreh dich hin, dreh dich her,

Schöne Wetterfahne!


Frank Wedekind.

Karl Kraus schrieb am 19. Februar 1906 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

VERLAGDIE FACKEL
HERAUSGEBER KARL KRAUS

WIEN, IV. SCHWINDGASSE 3.


Wien, 19. Februar 1906


Lieber verehrter Freund!

Für die entzückenden VerseWedekind hatte das Manuskript seines Gedichts „Die Wetterfahne“ geschickt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 15.2.1906]. sage ich Ihnen schönsten Dank. Sie kamen für Nr 196 um ein paar Stunden zu spät; werden in Nr 197 erscheinenDas Gedicht erschien in dieser Nummer der „Fackel“ [vgl. Frank Wedekind: Die Wetterfahne. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 197, 28.2.1906, S. 13].. Bitte grüßen Sie Tilly Newes und Ruch bestens. Ich danke allen für die lieben Kartengrüßeauf einer Bildpostkarte [vgl. Hans Richard Weinhöppel, Tilly Newes (Wedekind), Frank Wedekind an Karl Kraus, 16.2.1906]..

Zur Frage der Fragenzu Berthe Marie Denks Gesundheitszustand, nach dem Wedekind sich erkundigt hatte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 15.2.1906].: Ich sah ...Berthe Marie Denk, deren Namen Karl Kraus im Unterschied zu Wedekind nicht schreibt. seit Weihnachten nicht mehr. Dann wieder, da ich von ihrer gefährlichen Erkrankung verständigt wurde, vom Tage nach ihrer Rückkehr aus BerlinBerthe Marie Denk, die Wedekind in Berlin besucht hatte, war am 14.1.1906 „sterbenskrank [...] nach Wien“ [Tb] zurückgereist und traf dort am 15.1.1906 ein. jeden Tag im SanatoriumBerthe Marie Denk wurde am 15.1.1906 in das Wiener Sanatorium Dr. Anton Loew (Wien IX, Mariannengasse 20) gebracht [vgl. Ottilie Weißhappel an Wedekind, 15.1.1906 und 16.1.1906], wo sie bis zum 4.2.1906 blieb [vgl. Ottilie Weißhappel an Wedekind, 12.2.1906].. Dann auch noch dreimal in ihrer WohnungBerthe Marie Denk wohnte Wien V, Kettenbrückengasse 21.. Seit Samstag, 10. Februar habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich war also bei ihr in den Tagen schwerer Krankheit. Als ich sie zuletzt sah, gieng es ihr schon sehr gut, jetzt – wenngleich sie vielleicht noch liegen muss – jedenfalls ausgezeichnet. Mehr kann ich Ihnen über dieses Thema nicht schreiben. Sagen: wenn Sie glauben, dass wir uns auch in dieser Erkenntnis finden oder verstehen werden. | Mindestens möchte ich Ihnen beweisen, dass in diesem Falle, soweit es auf mich ankam, „Weib und FreundschaftBriefzitat: „das Weib und die Freundschaft“ seien „keine guten Freunde“ [Wedekind an Karl Kraus, 15.2.1906] – zugleich Anspielung darauf, dass Berthe Marie Denk eine Liebesbeziehung mit Wedekind und eine mit Karl Kraus hatte.“ immer gute Freunde geblieben sind. Und – dass wir damalszur Zeit der von Karl Kraus veranstalteten Premiere von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 und der Wiederholungsvorstellung am 15.6.1905 in Wien (Wedekind spielte die Rolle des Jack, Karl Kraus die des Kungu Poti). wirklich die Büchse der Pandora gespielt haben ... Ich werde wahrscheinlich nächster Tage in Berlin zu thun haben. Sind Sie dort?

Mit den allerherzlichsten Grüßen
ganz der Ihre
Karl Kraus

Karl Kraus schrieb am 28. Februar 1906 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 1.3.1906 in München:]


Von Kraus für Wetterfahne M 33.96 [...]

Frank Wedekind, Tilly Wedekind und Emil Gerhäuser schrieben am 9. März 1906 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

[...] Postkarte [...]
[...] Carte postale [...]
[...] Weltpostverein [...]
[...] Postcard [...]


Herrn Karl Kraus
Wien IV
Schwindtgasse 3.


Lieber Herr Kraus, ich danke Ihnen bestens für HonorarHonorar für sein Gedicht „Die Wetterfahne“ [vgl. Frank Wedekind: Die Wetterfahne. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 197, 28.2.1906, S. 13], das Wedekind bereits am 1.3.1906 erhalten hat: „Von Kraus für Wetterfahne M 33.96“ [Tb]. und grüße Sie herzlichst. Warum kommen Sie denn nicht?Karl Kraus hatte einen Besuch in Berlin in Aussicht gestellt [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 19.2.1905].?


Herzl. Gruß Tilly N.


Ergebenste Grüsse! Emil Gerhäuser |


Saharet

Karl Kraus schrieb am 22. April 1906 in Wien folgendes Telegramm
an Frank Wedekind , Tilly Wedekind

wedekindnewes berlin
schiffbauerdamm 6 =


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin, Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm [...] wien [...]


= karl kraus freut sichüber die Nachricht, Wedekind und Tilly Newes, die sich im Vorjahr im Zusammenhang mit der von Karl Kraus veranstalteten Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 kennengelernt hatten (sie spielte die Lulu, er die Rolle des Jack), hätten geheiratet. Karl Kraus hat sie einer Falschmeldung der Wiener „Neuen Freien Presse“ entnommen: „Aus Berlin wird uns gemeldet: Der Dichter Frank Wedekind hat sich mit der Schauspielerin Fräulein Niemann vermählt.“ [Neue Freie Presse, Nr. 14964, 21.4.1906, Morgenblatt, S. 4] Sie verbreitete sich rasch: „Frank Wedekind hat sich kürzlich mit der Schauspielerin Tilly Neumann-Newes vom Berliner Kleinen Theater vermählt.“ [Prager Tagblatt, Jg. 30, Nr. 110, 22.4.1906, Morgen-Ausgabe, S. 10] „Wie wir erfahren, hat sich vor kurzem Frank Wedekind mit der Schauspielerin Tilly Neumann-Newes vom Berliner Kleinen Theater vermählt.“ [Frank Wedekind – verheiratet. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4489, 23.4.1906, S. 3] Die Heirat fand erst am 1.5.1906 in Berlin statt. von ganzem herzen des gluecks das aus der buechse der pandora hervorgegangen ist =

Frank Wedekind schrieb am 23. April 1906 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[Hinweis im Brief von Karl Kraus an Wedekind vom 5.5.1906 aus Wien:]


Was ist’s mit dem versprochenen Brief?

Frank Wedekind und Tilly Wedekind schrieben am 4. Mai 1906 in Nürnberg folgende Postkarte
an Karl Kraus

Königreich Bayern
Postkarte


An Herrn Karl Kraus
in Wien IV
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


Lieber Herr Kraus, würden Sie sich von einer Aufführung von Totentanz in WienFrank Wedekind, der am 2.5.1906 in Nürnberg eingetroffen war, wo abends am Intimen Theater (Direktion: Emil Meßthaler) „Totentanz“ erfolgreich uraufgeführt wurde (er spielte die Rolle des Casti Piani, Tilly Wedekind die Rolle der Lisiska) und zwei weitere Vorstellungen am 3. und 4.5.1906 stattfanden, notierte nach der Vorstellung am 4.5.1906: „Ich schlage Karl Kraus vor Totentanz in Wien zu machen“ [Tb]. Karl Kraus, der „Totentanz“ in der „Fackel“ erstveröffentlicht hatte [vgl. Frank Wedekind: Totentanz. Drei Szenen. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 183/184, 4.7.1905, S. 1-33], unternahm zwar „intensive Bemühungen“ [Nottscheid 2008, S. 166] um eine Inszenierung in Wien, die aber der Zensur wegen nicht realisiert werden konnte. einen geschäftlichen Erfolg versprechen? Die BesetzungWedekind schlug für die geplante Besetzung der vier Rollen in „Totentanz“ Personen vor, die alle in der von Karl Kraus am 29.5.1905 veranstalteten Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ Rollen gespielt hatten. wäre:

Casti Piani – F.W.
Elfriede v. Malchus – Adele Sandrock
Lisiska – Tilly W.
Herr König – Karl Kraus.

Die Herbeischaffung der drei Mädchenso auch im Personenverzeichnis von „Totentanz“ [vgl. KSA 6, S. 101]; drei stumme Nebenrollen. müßte ich Ihnen überlassen.

Herzliche Grüsse aus Nürnberg.

Frank Wedekind.


Tilly


Ich bin morgenWedekind notierte am 5.5.1906: „Rückfahrt nach Berlin.“ [Tb] wieder in Berlin, Marienstrasse 23.

Karl Kraus schrieb am 5. Mai 1906 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

VERLAGDIE FACKEL
HERAUSGEBER KARL KRAUS

WIEN, IV. SCHWINDGASSE 3.


Wien, 5. Mai 1906


Lieber und verehrter!möglicherweise Schreibversehen, statt: verehrter Frank Wedekind!

Es ist ein merkwürdiger Zufall. Gestern las ich mit meinem Freunde Janikowski den Bericht des Berl. TageblattDas „Berliner Tageblatt“ brachte nach einer Notiz – „Im Nürnberger Intimen Theater fand gestern die Uraufführung von Wedekinds ‚Totentanz‘ mit Verfasser in der Hauptrolle statt. Das Stück fand, wie unser Korrespondent depeschiert, eine günstige Aufnahme. Sätze voll Poesie wechseln ab mit den paradoxesten Aussprüchen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 222, 3.5.1906, Morgen-Ausgabe, S. (2)] – einen Bericht: „In Ergänzung seines bereits veröffentlichten Telegramms schreibt unser Korrespondent aus Nürnberg: Wedekinds ‚Totentanz‘ hatte bei der Aufführung im Intimen Theater, wie schon berichtet, einen fast unbestrittenen Erfolg. Der geistreich freche Dialog und die Gewagtheit der Situation, deren Pikanterie durch die eben erst geschlossene Heirat des Autors mit der Darstellerin des Freuden-Mädchens Lisiska im Stücke noch erhöht wurde, täuschten über die Ungeheuerlichkeit des Stoffes und dramatische Mängel hinweg. Die Handlung, die sich aus einem Dialog des Bordellbesitzers Casti Piani mit Elfriede v. Malchus, einem Mitglied des Internationalen Vereins zur Bekämpfung des Mädchenhandels, entwickelt, gipfelt in dem Selbstmorde Castis, der als Moralist im Wedekindschen Sinne an die Sinnlichkeit als an das höchste Gut der Menschheit glaubte. Casti und Elfriede belauschen die Unterhaltung des Freudenmädchens Lisiska mit einem Herrn König; hier erkennt Casti, daß Bitterkeit die Schwester der Wollust sei, und erleidet einen geistigen Bankrott, während Elfriede nun an die Heiligkeit und das Märtyrertum des Sinnengenusses glaubt. Das Karikierte und Paradoxe in der Charakteranlage der Elfriede vermochte die Darstellerin (Fräulein Ilm), nicht zu beseitigen. Wedekind hob das Satirische in Casti Piani geschickt hervor; er ist ein guter, vielleicht der allein mögliche Interpret dieser Rolle. Tilly Wedekind spielte vortrefflich; sie gab, geschickt durch Herrn Edthofer unterstützt, der pathologischen und unwahren Figur der Lisiska beinahe ergreifende Schönheit.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 35, Nr. 223, 3.5.1906, Abend-Ausgabe, S. (2)] über die Totentanz-AufführungWedekinds „Totentanz“ wurde am 2.5.1906 am Intimen Theater (Direktion: Emil Meßthaler) in Nürnberg erfolgreich uraufgeführt (weitere Vorstellungen am 3. und 4.5.1906 ebenfalls mit Frank und Tilly Wedekind, anschließend in anderer Besetzung). Die öffentliche Uraufführung ging bei ausverkauftem Haus „anstandslos über die Bühne“ [KSA 6, S. 668] – unter der Regie von Emil Meßthaler mit Frank Wedekind als Casti Piani, Tilly Wedekind als Lisiska, Grete Ilm als Fräulein Elfriede von Malchus und Anton Edthofer als Herr König; eines der drei Mädchen spielte die Schwester von Heinrich und Thomas Mann, wie Hedwig Pringsheim am 19.5.1906 vermerkte – „Wedekinds unmöglicher ‚Totentanz‘, in dem Carla Mann ein Freudenmädchen statirte“ [Tb Pringsheim] – und am 23.5.1906 an Maximilian Harden schrieb: „Daß ich in dem einen blonden Freudenmädchen, das im ‚Totentanz‘ zum Schluß in schwarzseidenen Strümpfen und kurzem Hemdchen herausstürzt, Carla Mann [...] erkannte, war pikant.“ [Neumann 2006, S. 46] Die Nürnberger Presse äußerte sich anerkennend [vgl. KSA 6, S. 671-673]. in Nürnberg und wir besprachen eine eventuelle Wiener Besetzung: „Wedekind, Tilly W., Elfriede – am besten, wenn erreichbar, die Sandrock; und Königich.“ Janikowski: „Der liegt Ihnen doch nicht!“ Ich: „Das macht nichts! Ich spiel ihn doch!“ – – Und heute kommt Ihre Karteeine Postkarte [vgl. Frank (und Tilly) Wedekind an Karl Kraus, 4.5.1906], in der Frank Wedekind eine Aufführung von „Totentanz“ in Wien vorgeschlagen hatte (mit ihm als Casti Piani, Tilly Wedekind als Lisiska, Adele Sandrock als Elfriede von Malchus, Karl Kraus als Herr König).. Natürlich möchte ich eine solche Vorstellung arrangieren. Nur fürchte ich, dass ich im Mai nicht dazu komme. Warum? – das werde ich Ihnen gleich sagen, wenn Sie’s nicht schon wissen sollten. Zunächst: ich habe mich für alle Fälle sofort mit der Direktion des neuen BürgertheatersDirektor und Oberregisseur des am 7.12.1905 eröffneten Wiener Bürgertheaters war Oskar Fronz, sein Sohn Oskar Fronz jun. Stellvertreter des Direktors und Dramaturg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 623]. in Verbindung gesetzt. Soeben, 4 Uhr16 Uhr., hatte ich mit Herrn Direktor Fronz ein teleph. Gespräch über den Totentanz. Wir wollen’s diesmal mit | einer öffentlichen Aufführungkeine geschlossene Aufführung wie die von Karl Kraus am 29.5.1905 veranstaltete Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ (wiederholt am 15.6.1905), „die aufgrund der Zensurauflagen vor geladenem Publikum stattgefunden hatte.“ [Nottscheid 2008, S. 167] versuchen. Das Burgt Bürgertheater, das ich für einen oder mehrere Abende pachten würde, reicht morgen schonam 6.5.1906; die Presse meldete: „Die Direktion des Bürgertheaters hat Frank Wedekinds drei Szenen ‚Totentanz‘ der Zensurbehörde überreicht. Eine öffentliche Aufführung des interessanten Werkes wird Ende Mai, eventuell anfangs Juni im Bürgertheater stattfinden. Die vom Dichter selbst vorgeschlagene Besetzung ist folgende: Don Marquis Casti Piani – Frank Wedekind, Fräulein Elfriede v. Malchus – Adele Sandrock, Herr König – Karl Kraus, Lisiska – Tilly Wedekind.“ [Illustrierte Kronen-Zeitung, Jg. 7, Nr. 2281, 8.5.1906, S. 11] den „Totentanz“ bei der Censur ein. In etwa acht Tagen habe ich Bescheid. Wird’s nicht bewilligt, so bleibt dann noch immer die Vorstellung vor geladenem Publikum in einem Theatersaal. Dies ungeheuer schwierige Arrangement könnte ich mir freilich vor Anfang Juni nicht zumuthen. Ich stehe nämlich vor einer großen GerichtsaffaireKarl Kraus schildert im vorliegenden Brief Marc Henrys tätlichen Angriff auf ihn (siehe unten); eine Gerichtsverhandlung in der Sache fand am 25.5.1906 in Wien am Bezirksgericht Josefstadt statt. Karl Kraus schickte Wedekind einen der in der Presse veröffentlichten Prozessberichte als Briefbeilage [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 27.5.1906].. Wissen Sie’s noch nicht? Herrn HenryMarc Henry hatte die Elf Scharfrichter geleitet, das berühmte Kabarett in München, zu dessen Ensemble auch Wedekind gehörte, und leitete nun das von ihm begründete und am 5.1.1906 eröffnete Künstlerkabarett Nachtlicht in Wien (Ballgasse 6), in dem vor allem seine Lebensgefährtin Marya Delvard auftrat, aber auch Egon Friedell oder Erich Mühsam. hat es gefallen, mich zu überfallenKarl Kraus wurde in der Nacht vom 29. auf den 30.4.1906 im Casino de Paris, ein bei Ensemblemitgliedern und Gästen des Künstlerkabaretts Nachtlicht beliebtes Nachtlokal und Vergnügungs-Etablissement in Wien: „Kasino de Paris (früher Universum), I. Petersplatz“ [Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1906, Teil IV, S. 1269], von Marc Henry tätlich angegriffen und niedergeschlagen. Erich Mühsam, der mit Egon Friedell und Karl Kraus am Tisch saß, erinnerte sich: „Plötzlich stürzte sich Henry auf Kraus, den er buchstäblich bis zur Bewußtlosigkeit verprügelte; es war höchst widerwärtig und roh.“ [Mühsam 2003, S. 103]. Beiliegend ein lückenhafter, aber nicht gerade ganz entstellter ZeitungsberichtDer Zeitungsausschnitt liegt dem Brief nicht mehr bei.. Ganz Wien, selbst meine Feinde sind darüber einig, daß es das Ungeheuerlichste ist, was sich seit langem begeben hat. In Nr. 201 der „Fackel“ glossierte ichin der Glosse „Scharfrichter“, in der Karl Kraus aus dem Feuilleton der Marya Delvard (siehe unten) auch die Passage über Wedekind aufgriff: „Marya Delvard hat es auf die guten Ratgeber abgesehen. [...] Frank Wedekind [...] gab ihr den Rat, die Geschwitz in der ‚Büchse der Pandora‘ zu spielen. ‚Du brauchst nur dich selbst zu geben, wie du bist. Das ist genug.‘ Marya Delvard sprach dem Dichter die Rolle vor. Er hörte zu, schweigend. ‚Merk dir’s, liebe Marya, wenn sich das Publikum räuspert, muß man schneller sprechen. Das Publikum ist ungeduldig, wenn es sich räuspert ... Man darf seine Geduld nicht länger auf die Probe stellen.‘ Verdammt! Wieder ein guter Ratschlag. [...] Die Wedekind, Lenbach, Sarah Bernhardt und Yvette Guilbert, sie alle, deren Selbstsucht die Pfade der Madame Delvard kreuzen wollte, haben das Nachsehen. Und das ist recht so. Es ist der Trik aller, die selbst keine Persönlichkeit sind, sich durch eine Verbindung mit berühmten Namen Reklame zu machen.“ [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 201, 19.4.1906, S. 26-28]. Marya Delvard hat in der Uraufführung der „Büchse der Pandora“ am 1.2.1904 am Intimen Theater in Nürnberg die Rolle der Gräfin Geschwitz gespielt [vgl. KSA 3/II, S. 1255]. ein Feuilleton der DelvardMarya Delvard, ehemals Soubrette bei den Elf Scharfrichtern, die nun im Wiener Künstlerkabarett Nachtlicht auftrat, war die Lebensgefährtin von Marc Henry. Sie hat sich in einem Interview recht selbstgefällig über Ratschläge geäußert, die sie von Frank Wedekind (siehe unten), aber auch von Franz von Lenbach, Sarah Bernhardt und Yvette Guilbert, allesamt berühmte Künstlerpersönlichkeiten, erhalten habe [vgl. Marya Delvard: Die guten Ratschläge. (Aus dem französischen Manuskript übersetzt.) In: Fremden-Blatt, Jg. 60, Nr. 104, 15.4.1906, S. 25]., das ein Ausbruch tobsüchtigster Geschmacklosigkeit und Größenwahns war. Verhältnismäßig milde und delikat. Die Glosse soll die Cabaret-Clique, die gehofft hatte, geglaubt hatte, mich für so etwas wie einen Cabaret-Officiosus halten zu dürfen, wie ein Blitz aus heiterem Himmel | getroffen haben. (In dem Feuilleton der Delvard kamen Sie übrigens auch vorMarya Delvard hat über Wedekind gesagt: „Frank Wedekind hatte an mir [...] Angst vor dem Publikum gemerkt. Bei ihm war sie gleichsam zu Haß und Cynismus geworden. [...] ‚Liebe Marya, du mußt aufs Podium gehen, wie man in einen Raubtierkäfig geht. Das Publikum ist eine Bestie!‘ Er riet mir nach seiner Empfindung. Auf der Szene hatte er auch wirklich eine tragische Maske: der bleiche Teint, der bösartig zusammengekniffene Mund. Nur die Knie zitterten ihm heftig. Er drängte seine ganze Furcht in die Beine hinunter. Und für diese Furcht, die ihn knieschlottern machte, suchte er sich am Publikum zu rächen. Später ist er menschlicher geworden, als man ihn zu verstehen und zu bewundern begann. Seine Ratschläge wurden milder. Er wünschte, daß ich die Rolle der Geschwitz in seiner ‚Büchse der Pandora‘ schaffe. Ich lehnte ab; ich sei keine Schauspielerin. ‚Das schadet nicht; im Gegenteil! Du brauchst nur dich selbst zu geben, wie du bist. Das ist genug.‘ Vor der Vorstellung sprach ich ihm die Rolle vor. Er hörte zu, schweigend. ‚Merk dir’s, liebe Marya, wenn sich das Publikum räuspert, muß man schneller sprechen. Das Publikum ist ungeduldig, wenn es sich räuspert: es interessiert sich für diese Stelle nicht mehr, und man darf seine Geduld nicht länger auf die Probe stellen.‘“ [Marya Delvard: Die guten Ratschläge. (Aus dem französischen Manuskript übersetzt.) In: Fremden-Blatt, Jg. 60, Nr. 104, 15.4.1906, S. 25].)

Die Delvard gieng mit Racheplänen schwanger und brachte schließlich den Henry so weit. Der Vorwand war ein Altenberg-UlkKarl Kraus hatte mit Peter Altenberg, dem mit ihm befreundeten „legendären Bohemien“, der Marc Henry die Spielstätte des Kabaretts Nachtlicht vermittelt hatte und dem es „oblag [...], für hundert Kronen monatlich der ‚Wiener Allgemeinen Zeitung‘ seine Kabarettkritiken abzuliefern“ [Veigl 2003, S. 44f.], einen Konflikt, da dieser seine Glosse über Marya Delvard (siehe oben) kritisiert hatte, zwar ohne den Namen Karl Kraus zu nennen, aber „für Eingeweihte deutlich“ [Nottscheid 2008, S. 168]: „Schweigen ist gute Manier, aber geistreich keifen ist von schlechter Art. [...] es gibt Nörgler, die ihren Witz anbringen wollen. Also suchen sie nach Opfern!“ [P.A.: Cabaret „Nachtlicht“. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8430, 28.4.1906, S. 2] Daraufhin kam es zu jener Geldspende in der Nacht vom 29. auf den 30.4.1906 im Wiener Casino de Paris, mit der Karl Kraus den tätlichen Angriff auf ihn (siehe oben) Marc Henry zufolge provoziert habe, da sie eine Beleidigung darstelle: Kraus „schickte [...] einen Kellner an unseren Tisch, der Peter Altenberg eine Zehn-Kronen-Note übergab und dazu einen Brief, in dem stand, Kraus schicke dies als Honorar für die Glossen, die Altenberg in einem Blatte über ihn gemacht hatte.“ [Karl Kraus von Mr. Henry gezüchtigt. Eine Szene in einem Nachtlokal. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4497, 1.5.1906, S. 3] Dagegen erklärte Kraus: „Es ist unwahr, daß ich Peter Altenberg ‚einen Zettel des Inhalts sandte, ich dankte Altenberg für seine Anerkennung und sende als Antwort zehn Kronen‘. Wahr ist, daß nicht ich, sondern Erich Mühsam einen scherzhaften Brief ohne Unterschrift an ihn schrieb, dem ich ohne Nennung meines Namens ein Geschenk von zehn Kronen beilegte.“ [Karl Kraus von Mr. Henry – gezüchtigt. Die Darstellung des Geohrfeigten. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4510, 14.5.1906, S. 2], so harmlos, alltäglich und selbstverständlich, daß man bei der Erinnerung daran, wie die ganze Gesellschaft eine Geldspe Geldspende an Altenberg als „Beleidigung“ auffaßte, speien muß. Ich wollte P.A. durch die 10 Kronen versöhnen. Die Herrschaften brauchten aber einen Vorwand. Und so gieng’s los. Vor allem: Durch m/M/eine Delvard-Notiz mußte sagte der Cabaret-Clique, da daß von mir nichts zu erwarten sei. Man konnte mich aufgeben. War aber bemüht, den Conflikt zu vergrößern, um der Presse zu beweisen, daß ich ich mit dem Cabaret nichts zu schaffen habe. Nun ist aber die gegentheilige Wirkung eingetreten. Die Presse ist in dieser Sache gegen den Überfall, und Herr Henry hat nur ein Blattdas „Neue Wiener Journal“, in dem Marc Henry in einem in der Presse vielfach nachgedruckten Interview seine Version des tätlichen Angriffs auf Karl Kraus schilderte [vgl. Karl Kraus von Mr. Henry gezüchtigt. Eine Szene in einem Nachtlokal. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4497, 1.5.1906, S. 3]., in dem er die ungeheuerlichsten Dinge in Interviews über mich auftischt. Z.b. schrieb er:Es folgen Zitat und Referat einer Äußerung Marc Henrys: „Zum Krach kam es erst, als Kraus in einer Weise, die ich nur mit seiner unsinnigen Schwärmerei für gewisse Frank Wedekind-Manieren erklären kann, für zwei junge Damen öffentlich Partei nahm, die ich unliebsamer Vorkommnisse halber aus meinem Ensemble entfernen mußte.“ [Karl Kraus von Mr. Henry gezüchtigt. Eine Szene in einem Nachtlokal. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4497, 1.5.1906, S. 3] Dagegen erklärte Karl Kraus: „Es ist unwahr, daß es zwischen mir und Herrn Henry ‚zum Krach kam, als ich für zwei junge Damen öffentlich Partei nahm‘, die Herr Henry ‚unliebsamer Vorkommnisse halber aus seinem Ensemble entfernen mußte.‘ Wahr ist, daß ich lediglich gegen die von mir beobachtete Behandlung einer ohnmächtig gewordenen Künstlerin im Kabarett, nicht aber gegen die Entfernung eines Mitgliedes aus dem Ensemble Henrys Stellung nahm.“ [Karl Kraus von Mr. Henry – gezüchtigt. Die Darstellung des Geohrfeigten. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4510, 14.5.1906, S. 2] Herr Kraus nahm im Cabaret Partei für in seiner Schwärmerei für gewisse Frank Wedekind-Manieren Partei für zwei | Damen, die ich aus ganz bestimmten Gründen entlassen mußte! (Herr H. wollte einmal die DamenSophie Stöckl, Diseuse, Kabarettistin und Schauspielerin, die eine Schülerin von Albert Heine war, sowie die Schauspielerin Elfriede Rossi. Stöckl und Rossi aus einer Loge verjagen, und ich soll gesagt haben:/,/ er möge uns doch den schönen Anblick lassen). Was sagen Sie zu dieser Auffassung von „BohêmeErich Mühsam hatte sich kurz zuvor gegen eine Auffassung ausgesprochen, die Boheme als bloß modischen Habitus begreift und auf ein äußerliches Phänomen des Erscheinungsbilds reduziert: „Nein, Bohême ist eine Eigenschaft, die tief im Leben des Menschen wurzelt, die weder erworben oder anerzogen werden, noch durch die Veränderung der äußeren Lebenskonstellation verloren gehen kann. […] Ich persönlich, der ich […] das Pech habe, wo immer von mir die Rede ist, mich als das Musterexemplar eines Bohémiens bezeichnet zu finden, verwahre mich entschieden und ausdrücklich gegen diese Charakterisierung, solange sie von den äußeren Symptomen meines Wesens, etwa von meiner Haartracht oder meiner nicht eben übermäßig eleganten Toilette hergeleitet wird.“ [Erich Mühsam: Bohême. In: Die Fackel, Jg. 7, Nr. 202, 30.4.1906, S. 4-10, hier S. 8] Karl Kraus setzte hier eine Fußnote und verwies darauf, jener von Mühsam kritisierten Auffassung von Boheme könne man „im Milieu des ‚Caberets‘“ begegnen, namentlich bei „Herr Henry“, der Mühsam im Nachtlicht „mit der halb deutschen, ganz überflüssigen Conférence vorstellt: ‚Jetzt wird auftreten Erich Mühsam. Er hat kolossal lange Haare. Er ist das Prototypus von eine Bohémien. [...].‘“ [Ebd.]? Am unglaublichsten benimmt sich Herr HollitzerCarl Leopold Hollitzer, der für Marc Henry im Nachtlicht tätig war (auch dort auftrat), schlug sich in der Affäre auf dessen Seite und sagte später im Prozess gegen Karl Kraus aus [vgl. Nottscheid 2008, S. 170]. in dieser Sache. Als die Delvard mir – ich lag halb bewußtlos auf der Erde – einen Schlag gab, rief sie: „Wien werde ihr danken, wenn sie es von mir dieser Pest befreie. Und für das Cabaret werde es nur eine Reklame sein!“ Sie haben gar keine Vorstellung davon, wie die Männer des Cabarets vor dieser uninteressanten Routiniere, der s/S/ie die allabendliche Verhunzung der Brigitte B. und der HundeballadeWedekinds Lieder „Brigitte B.“ [KSA 1/III, S. 81-86] und „Die Hunde“ [KSA 1/III, S. 123] – „Die Hunde“ hatte Wedekind vor vielen Jahren als Gedicht an Karl Kraus gesandt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 30.12.1892] – wurden 1906 von Marya Delvard im Nachtlicht vorgetragen [vgl. KSA 1/III, S. 465, 724]. verbieten verbieten sollten, zittern. (Herr Henry rühmt sich übrigens, auch Sie einmal attaquiertattackiert (so die neuere Schreibweise). zu haben.) Am schlechtesten kommt der gute PeterPeter Altenberg. dabei weg – ich liebe ihn natürlich trotz dem blödsinnigen Getobe, das er gegen mich, Sie, Janikowski, Lucianus etc. fortwährend anhebt: Wenn die Leute in Wien erfahren, daß ihn eine 10 Kronen-Spende beleidigt, steht’s schlimm um ihn. Das hat er dem Herrn Henry zu verdanken. Ist auch bereits sehr unglücklich darüber, daß man ihn damals das Geschenk nicht annehmen ließ. – – Die Behörde geht in dieser Sache sehr scharf ins Zeug. Ich machte keine Anzeige. | Die Polizei selbst schritt sofort ein, und der Staatsanwalt erhebt Anklage. Ende Mai dürfte der Proceß sein.

Sie sehen, ich habe sehr wichtige und sehr peinliche Gründe, im Mai den Totentanz nicht zu arrangieren – wenigstens nicht vor geladenem Publikum. Hoffentlich aber gibt die CensurDie Wiener Zensur gab „Totentanz“ nicht frei [vgl. KSA 6, S. 674f.]. das Stück frei. Dann kann Anfang Juni die Vorstellung im Bürgertheater sein. Zu spät ist’s gewiß nicht.

Ihr Nürnberger Triumphdie erfolgreiche Uraufführung von Wedekinds „Totentanz“ am Intimen Theater in Nürnberg (siehe oben). hat mich riesig gefreut. Zugleich mit Ihrer Kartevgl. Frank (und Tilly) Wedekind an Karl Kraus, 4.5.1906. kam ein langer Brief der Ilmnicht überliefert.. War die gut als Elfriedein der Rolle der Elfriede von Malchus, die Grethe Ilm in der Nürnberger „Totentanz“-Inszenierung (siehe oben) gespielt hat.?

Und wie geht’s Ihrer lieben FrauTilly Wedekind (geb. Newes), seit 1.5.1906 mit Frank Wedekind verheiratet.? Mein Telegrammvgl. Karl Kraus an Frank Wedekind und Tilly Newes (Wedekind), 22.4.1906. war also doch verfrüht? In der „Neuen Freien Pressewar/hatte/ gestanden, die Trauung habe stattgefundenDie Falschmeldung der Wiener „Neuen Freien Presse“ lautet: „Aus Berlin wird uns gemeldet: Der Dichter Frank Wedekind hat sich mit der Schauspielerin Fräulein Niemann vermählt.“ [Neue Freie Presse, Nr. 14964, 21.4.1906, Morgenblatt, S. 4]. Hoffentlich sehe ich Sie beide recht bald! Was ist’s mit dem versprochenen BriefHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Karl Kraus, 23.4.1906. – Wedekind dürfte auf das am 22.4.1906 erhaltene Telegramm von Karl Kraus zur vermeintlichen Heirat reagiert und ihm kurz gefasst auf einer Postkarte oder ebenfalls telegrafisch einen ausführlicheren Brief versprochen haben.?

In freundschaftlichster Verehrung
Ihr
Kraus

Frank Wedekind und Tilly Wedekind schrieben am 7. Mai 1906 in Berlin folgende Postkarte
an Karl Kraus

Postkarte


An Herrn Karl Kraus
in Wien IV.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


Lieber Herr Kraus! Herzlichen Dank für Briefvgl. Karl Kraus an Frank Wedekind, 5.5.1906. Die vorliegende Postkarte bezieht sich auf diesen ausführlichen Brief., den ich hiemit nur bestätige. Die Affäre ist scheußlich aber überrascht mich nicht. Wenn ich einen Weg finde, dem Pack das Singen meiner Lieder zu verbieten, werde ich es thun. Ich denke an einen kurzen Protest in der Wiener Presse, begründet durch diese Scheußlichkeit. Es wäre ein Glück wenn man dieses Pack mit einem Schlag unschädlich machen könnte. Wie konnten Sie sich nur so damit einlassen! Aber das ist nun geschehn. An mir soll es nicht fehlen. Herzlichste Grüße sobald ich Zeit habe schreibe ich ausführlich. Ihr Frank Wedekind.


Besten Gruß Tilly Wedekind

Frank Wedekind schrieb am 9. Mai 1906 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 9.5.1906 in Berlin:]


TelegrammWedekind dürfte in dem nicht überlieferten Telegramm den gleichzeitig versandten Brief angekündigt haben [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906]. an Kraus [...]

Frank Wedekind schrieb am 9. Mai 1906 in Berlin folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr verehrter Herr Kraus.im Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Kraus!

Mit tiefer Empörung hörte ich von den gemeinen Niederträchtigkeiten, die Herr A dieser Achille Vaucheret, der mit seinem eigenen Namen auf so gespanntem Fuß steht, daß er sich schlechtweg Monsieur HenryBühnenname von Marc Henry, der eigentlich Achille Georges d’Ailly Vaucheret hieß (geboren: Achille Georges Thuret). Er leitete in München das inzwischen legendäre Kabarett Die Elf Scharfrichter und nun in Wien das am 5.1.1906 eröffnete Künstlerkabarett Nachtlicht, dessen Star seine Lebensgefährtin Marya Delvard war. nennt und seine Gefährtin Marya DelvartSchreibversehen (hier und an den weiteren Stellen im vorliegenden Brief), statt: Delvard. – So hier und an den weiteren Stellen auch im Erstdruck (und im Neudruck von 1920) korrigiert. an Ihnen begangenMarc Henry hat Karl Kraus in der Nacht vom 29. auf den 30.4.1906 im Wiener Nachtlokal Casino de Paris zusammengeschlagen [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 5.5.1906]. haben. Überrascht haben mich diese Gemeinheiten allerdings nicht. Den Monsieur Henry kenne ich aus dreijährigem geschäftlichen Verkehr aus der Zeit der Elf ScharfrichterWedekind gehörte in den Jahren 1901 bis 1903 zum Ensemble des von Marc Henry geleiteten Kabaretts Die Elf Scharfrichter, das 1904 aufgelöst wurde. als einen Menschen, der sich durch seinen unqualifizierbaren Charakter noch in jeden/r/ Situation inim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Situation, in. der er sich befunden überim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): befunden, über. kurz oder lang unmöglich gemacht hat. Und seine Gefährtin Marya Delvart suchte sich ihrer hübschen Kolleginnen bei den Elf Scharfrichtern dadurch zu entledigen, daß sie von ihnen erzählte, sie litten an ansteckenden Geschlechtskrankheiten. Sie wurde wegen solcher VerleumdungenAnspielung auf den Verleumdungsprozess, den Olly Bernhardy, seinerzeit beim Publikum beliebtes Ensemblemitglied der Elf Scharfrichter, gegen Marc Henry und Marya Delvard angestrengt hatte. Die Verhandlung fand am 19.6.1902 am Amtsgericht München I statt und endete mit einem Vergleich, wie die Presse berichtete: „Unter den Mitwirkenden bei den Elf Scharfrichtern gährte es vor einiger Zeit ziemlich stark. Die Bewegung richtete sich gegen Fräulein Oly Bernardi [...], über deren Person allerlei ihre Ehre schwer verletzende Gerüchte kursirten, die sich schließlich zur Klage wegen Beleidigung gegen Fräulein Marya Delvard und gegen Herrn Vaucheret gezwungen sah, welch’ Beide sie als Urheber bezw. Verbreiter der Gerüchte bezeichnete. Im heutigen Termin vor dem Schöffengericht regte der Vorsitzende [...] einen Vergleich an und zwar, wie er betonte, im Interesse des Unternehmens, dem die Streitstheile angehören [...]. Nach langen Verhandlungen, bei denen immer wieder betont wurde, daß die Sache im Interesse des Unternehmens beiderseits aus der Welt geschafft werden wolle, kam folgender Vergleich zu Stande: 1. Herr Vaucheret, genannt Henri, erklärt, daß er die klagsgegenständigen Aeußerungen nicht gethan habe und daß er es auf’s Tiefste bedaure, falls er durch irgend eine Aeußerung zur Verbreitung der über die Klägerin im Februar und März l. J. umlaufenden Gerüchte beigetragen habe. 2. Frl. Marie Biller, genannt Delvard, erklärt, daß sie die klagsgegenständigen Aeußerungen nicht gethan, daß sie aber allerdings durch eine Aeußerung zur Verbreitung jener Gerüchte beigetragen habe, dies auf’s Tiefste bedauere und sich verpflichte, binnen 14 Tagen eine Buße von 50 M an den Münchner Journalisten- und Schriftstellerverein abzuführen. 3. Beide Beklagte erklären, daß jene Gerüchte nach ihrer Ueberzeugung jeder thatsächlichen Begründung entbehren und übernehmen die sämmtlichen Kosten einschließlich der der Klägerin erwachsenen nothwendigen Auslagen und gestatten, daß der gegenwärtige Vergleich auf ihre Kosten einmal in den ‚M.N.N.‘ veröffentlicht werde. 4. Klage und Strafantrag werden zurückgezogen. Auf Grund dieses Vergleiches wurde sodann durch Urtheil das Verfahren gegen die beiden Beklagten eingestellt.“ [Aus dem Kreise der Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 281, 20.6.1902, Vorabendblatt, S. 4] vor etwa drei Jahren vom Landgericht München zu einer beträchtlichen | Geldstrafe50 Mark – so die in der Gerichtsverhandlung vom 19.6.1902 festgelegte Summe, die Marya Delvard zu entrichten hatte (siehe oben). Dazu kamen die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der Auslagen von Olly Bernhardy sowie die Druckkosten der Anzeige des Vergleichs. verurtheiltim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): verurteilt..

Es ist mir unter den obwaltenden Umständen nun im höchsten GeradeSchreibversehen, statt: Grade. – So auch im Erstdruck (und im Neudruck von 1920) korrigiert. widerwärtig, daß von diesen Personen im Cabaret zum Nachtlicht allabendlich Verse und Melodien von mir öffentlich vorgetragen werden. Leider bin ich Frau Delvart gegenüber vollkommen machtlos, denn wenn ich ihr den Vortrag meiner VerseMarya Delvard sang im Nachtlicht Wedekinds Lieder „Brigitte B.“ und „Die Hunde“ [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 5.5.1906]. verbiete, erndteSchreibversehen, statt: ernte. – So auch im Erstdruck (und im Neudruck von 1920) korrigiert. ich mit einem solchen Verbotfehlt im Erstdruck (und im Neudruck von 1920). bei der übermenschlichen Verachtung mitim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Verachtung, mit. der diese Dame auf jeden hinunterblickt, dem sie zu Dank verpflichtet ist, nur Spott und Hohn. Deshalb wende ich mich an Sie, verehrter Herr Kraus, mit der Bitte, Ihren geehrten Lesern und dem Wiener Publicumim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): Publikum. überhaupt, soweit es nur irgend möglich ist, mitzutheilenim Erstdruck (und im Neudruck von 1920): mitzuteilen., daß ich die von mir herrührenden Verse, die im Cabaret zum Nachtlicht vorgetragen werden, lieber nie geschrieben haben möchte, als daß sie aus dem Munde von Menschen, die sich durch solche gemeine Niederträchtigkeiten hervortun, wie Herr Henry und Frau Delvart, dem Publikum zur Unterhaltung dienen.

In der Zuversicht, daß Sie mir die Erfüllung meiner BitteDie rhetorische Bitte war durch den Abdruck des zu diesem Zweck konzipierten Schreibens als offener Brief in der „Fackel“ erfüllt, ein Freundschaftsdienst für Karl Kraus. gewähren mit herzlichsten Grüßen
Ihr

Frank Wedekind.


[Kuvert:]


Einschreiben


Herrn Karl Kraus
Wien IV.
Schwindtgasse 3.

Karl Kraus schrieb am 19. Mai 1906 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

VERLAGDIE FACKEL
HERAUSGEBER KARL KRAUS

WIEN, IV. SCHWINDGASSE 3.


Wien, 19. Mai 1906


Mein lieber und verehrter Fr. W.!

In aller Hast – 25. MaiDer Prozess „in der Nachtlicht-Affaire“ [Nottscheid 2008, S. 175] fand am 25.5.1906 in Wien am Bezirksgericht Josefstadt für Strafsachen statt [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 25.5.1906]. ist die Verhandlung gegen das PärchenMarc Henry und seine Lebensgefährtin Marya Delvard, die beiden leitenden Personen des Künstlerkabaretts Nachtlicht in Wien (und vormals der Elf Scharfrichter in München). – schreibe ich Ihnen diesen Brief. Also: Nr 203 der ‚Fackel‘Das Heft enthält die „Nachtlicht“ betitelte ausführliche Stellungnahme von Karl Kraus zur Nachtlicht-Affäre und Wedekinds gegen Marc Henry und Marya Delvard gerichteten offenen Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906], der Karl Kraus unterstützte [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 203, 12.5.1905, S. 17-24]. hat St. Francisco-mäßigmit Blick auf die Wirkung des „Fackel“-Heftes Nr. 103 (siehe oben) rhetorisch kalkulierte Anspielung auf eine unlängst geschehene Naturkatastrophe, auf das verheerende Erdbeben vom 18.4.1906 in San Francisco. gewirkt. Das Frühlingswetter allein kann’s nicht verschuldet haben, daß sich die Besucherzahl des „Nachtlicht“ plötzlich zwischen 19 und 35 bewegte. Das Cabaret, das erst am letzten Maitag seine Pforten schließen wollte, hat bereits vorgestern, am 17. Mai geschlossen. Ich erfuhr das folgende: Die Delvard zuckte bloß und sagte (wie zu erwarten war): „Das ist der Dank!“ Dies erklärte sie des Näheren mit der Versicherung, daß Frank Wedekind ihr seinen ganzen Ruhm in Deutschland zu danken habe!! „Was wäre er ohne mich!“ Stieg auf’s Podium und sangMarya Delvard hatte im Wiener Künstlerkabarett Nachtlicht ungeachtet der Streitigkeiten nochmals Wedekinds Lied „Die Hunde“ gesungen, das zu ihrem Repertoire gehörte. – die „Hundeohne Nennung Ihres Namens, an zwei Abenden, – dann nichts mehr.

Herr Henry und die Delvard erklärten allen, die’s hören wollten, nie sei die Delvard verurtheilt worden. Bei aller Anerkennung der Lügenfähigkeit, | die das Paar auszeichnet, konnte ich’s nicht glauben, dass in diesem Fall Ableugnungsversuche gemacht werden. Margarethe Beutler, die kürzlich in Wien war, und sich angesichts der Ereignisse und nach der Lektüre Ihres BriefsWedekinds offener Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906], abgedruckt in der „Fackel“ (siehe oben). weigerte im Cabaret aufzutretenMargarete Beutler war für das „Mai-Programm“ des „Cabaret ‚Nachtlicht‘“ angekündigt: „Margarethe Beutler, Dichterin.“ [Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4508, 12.5.1906, S. 15] Sie sollte zuerst am 14.5.1906 auftreten: „Montag den 14. d. werden sich [...] neue Kunstkräfte dem Wiener Publikum vorstellen: Frau Margarete Beutler, die hervorragende Schriftstellerin, wird eine Serie ihrer eigenen Dichtungen zum Vortrage bringen“ [Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8440, 11.5.1906, S. 2]., sagte mir, daß in München jedes Kind von der Verurtheilung der D.Wedekind hatte in seinem offenen Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906] auf den von Olly Bernhardy angestrengten Verleumdungsprozess am 19.6.1902 in München angespielt, in dessen Folge Marya Delvard 50 Mark zu entrichten und laut Gerichtsbeschluss auch für weitere Kosten aufzukommen hatte [vgl. Aus dem Kreise der Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 281, 20.6.1902, Vorabendblatt, S. 4]. wisse. Heute erscheint nun im größten Saublatt Wiens die beiliegende Erklärungdie Beilage zum vorliegenden Brief, ein Zeitungsausschnitt aus dem „Neuen Wiener Journal“ [vgl. Mr. Henry und Frank Wedekind. Eine Zuschrift. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4515, 19.5.1906, S. 4]. des Vaucheret. Es ist unglaublich, wie der Mensch für den Augenblickseffekt arbeitet. In einer Zuschrift an ein anderes BlattMarc Henrys Zuschrift an die Redaktion der „Wiener Allgemeinen Zeitung“, in der er über das Geschehen in der Nacht vom 29. auf den 30.4.1906 äußerte: „Es war niemand mehr im Casino de Paris außer meiner Tischgesellschaft und den Herren Kraus, Mühsam und Dr. Friedell, als der Vorfall sich ereignete und niemand von meinem Tisch hat heute in der Erinnerung, daß ich antisemitische Beschimpfungen ausgestoßen hätte. [...] Unwahr ist, daß Marya Delvard Herrn Kraus, als er angeblich ohnmächtig auf dem Boden lag, geschlagen hätte. Marya Delvard wollte in größter Aufregung mich zurückreißen und hat dabei, als sie abgehalten wurde, [...] meinen Gegner, Herrn Kraus, unwillkürlich gestreift.“ [Die Prügelszene im Casino de Paris. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8434, 4.5.1906, S. 2] Karl Kraus erwiderte daraufhin ironisch in einer eigenen Zuschrift: „Dagegen weiß ich jetzt, daß Herr Henry keine antisemitischen Beschimpfungen gegen mich [...] ausgestoßen haben will, und daß Frau Delvard einen halb ohnmächtig auf dem Boden Liegenden nicht ins Gesicht geschlagen haben will. Sie habe, als sie Herrn Henry ‚zurückreißen wollte‘, mich [...] bloß ‚unwillkürlich gestreift‘. Ob sich der Ausruf der Dame: ‚Ich muß ihn töten! Wien wird aufatmen, wenn ich es von dieser Pest befreie. Man wird Messen lesen!‘ auf [...] auf mich bezogen hat, muß demnach vorläufig unentschieden bleiben, bis Personen, deren Gedächtnis so stark ist wie anderer Menschen Fäuste, vor berufenem Forum sich darüber ausgesprochen haben.“ [Die Prügelszene im „Casino de Paris“. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8437, 8.5.1906, S. 2] hat er erklärt, daß er mich nicht beschimpft und die Delvard mich nicht ins Gesicht geschlagen hat. Daß es die Leute einen Tag lang glauben, genügt ihm. Jetzt stellt er glatt die Delvard-Strafe in Abrede. Mein AnwaltKarl Kraus dürfte den Wiener Rechtsanwalt beauftragt haben, der ihn im Prozess am 25.5.1906 (siehe oben) vertrat: Dr. Wilhelm Rosenberg. hat sofort an einen Münchener Collegennicht identifiziert. wegen Erhebung der Sache geschrieben, ich habe an die Beutler depeschiertHinweis auf ein Telegramm von Karl Kraus an Margarete Beutler, das nicht überliefert ist., sie möge mir eine Nummer der „Neuesten Nachrichten“ beschaffen, in der seinerzeit der VerhandlungsberichtDie „Münchner Neuesten Nachrichten“ berichteten über den von Olly Bernhardy gegen Marya Delvard und Marc Henry angestrengten und am 19.6.1902 in München verhandelten Verleumdungsprozess [vgl. Aus dem Kreise der Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 281, 20.6.1902, Vorabendblatt, S. 4] und druckten dazu eine vom Gericht auferlegte eine „Bekanntmachung“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 294, 28.6.1902, Vorabendblatt, S. 7 oder 8 (die Seiten fehlen im eingesehenen Exemplar)], die Karl Kraus kommentiert nachdruckte [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 27f.]. stand. Daß der Herr Vaucheret Sie oder mich geklagtmöglicherweise Schreibversehen, statt: verklagt. hat, ist gewiß unwahr. Das Gericht Die Justiz arbeitet dem Herrn zu | „langsamZitat aus der Beilage.“!! In der Verhandlung wird, wenn wir nicht bis dahin eine Abschrift des Urtheils od. dgl. in Händen haben, die Marie Biller-DelvardMarya Delvard, eigentlich Maria Joséphine Billère (Biller). sehr eindringlich befragt werden, wie’s mit der Münchner Geschichte steht. Wollen Sie gegen den beiliegenden Wisch etwas thun? Ich stehe Ihnen natürlich vollständig zur Verfügung./,/ mit jedem Raum, den Sie wünschen, und mit allen Informationen, die Sie für eventuelle Klage gegen das Blatt brauchen. Das Wirksamste wäre, wenn ich in der nächsten ‚Fackel‘ eine Copie des Urtheiles oder einen Zeitungsbericht über die damalige Verhandlung hätte. Wenn Sie sonst etwas erwidern wollen, bitte ich Sie, mir zu depeschieren, wann ich das Manuscript erhalte; die ‚Fackel‘ würde Mittwochder 23.5.1906; die nächste Nummer der „Fackel“ erschien am 31.5.1906 und enthielt keinen Beitrag von Wedekind, dafür aber von Karl Kraus kommentiertes dokumentarisches Material im Zusammenhang der Nachtlicht-Affäre [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 26-28]. erscheinen, und ich müßte bis Montag Abend – womöglich express (Eilbote) – den Brief haben. Es thut mir furchtbar leid, daß Sie durch die Hilfe, für die ich Ihnen so sehr dankbar bin, sich Unannehmlichkeiten zuziehen. Aber ich glaube, daß Sie mit einem Satz – wenn Sie’s überhaupt für nöthig halten – dem Herrn Achille die Illusion des Ehrenmannes und Vermittlers zwischen „zwei großen NationenZitat aus der Beilage („beider großen Nationen“).“ zerstören werden. Sollte nicht auch Achille | Vaucheret ein PseudonymMarc Henry war das Pseudonym von Achille Georges d’Ailly Vaucheret (geboren: Achille Georges Thuret), der es als Bühnenname für die Elf Scharfrichter und nun für das Nachtlicht benutzte. Karl Kraus „bezieht sich auf Marc Henrys Angaben zu seiner Herkunft“ [Nottscheid 2008, S. 176] in der Beilage, die er anzweifelte, die aber zutreffend waren. sein? Es geht das Gerücht, daß der „deutsch-französischeZitatversatzstück aus der Beilage, die auf die zweisprachige Zeitschrift „La Revue franco-allemande / Deutsch-französische Rundschau“ verweist, die Marc Henry 1899 bis 1901 mitherausgegeben hat.“ Schriftsteller als FlaschenzieherFlaschenöffner, hier: jemand, der Flaschen öffnet. eines Hotels und in Algier anders geheißen hat. Was den Proceß betrifft, so hat der Herr eine doppelte Taktik. Den Preßleuten – d.h. den vom „N. W. Journal“ gegenüber renommiert er damit, daß er mich „gezüchtigtZitat aus Titelformulierungen in Veröffentlichungen des „Neuen Wiener Journals“ über die Nachtlicht-Affäre [vgl. Karl Kraus von Mr. Henry gezüchtigt. Eine Szene in einem Nachtlokal. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4497, 1.5.1906, S. 3; Karl Kraus von Mr. Henry – gezüchtigt. Die Darstellung des Geohrfeigten. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4510, 14.5.1906, S. 2].“ hat. Bei Gericht ist er der arme Waisenknabe, der von nichts weiß. Er war „ganz betrunkenZitat nicht nachgewiesen. Marc Henry war nach eigener Aussage in jener Nacht im Casino de Paris „in Champagnerlaune“ [Karl Kraus von Mr. Henry gezüchtigt. Eine Szene in einem Nachtlokal. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4497, 1.5.1906, S. 3]. Franz Thurner, der Besitzer des Casino de Paris, sagte dann am 25.5.1906 im Prozess aus, „daß Henry infolge Champagnergenusses etwas angetrunken“ war, während Erich Mühsam in seiner Zeugenaussage erklärte, „daß seiner Ansicht nach Henry nicht betrunken war“ [Beilage zu Karl Kraus an Wedekind, 27.5.1906] war.“, habe/t/ nicht das Geringste gegen mich; er weiß nicht mehr, wie das alles gekommen ist. Wahrscheinlich habe ich ihn zuerst geschlagen, und Delvard hat mir überhaupt nichts gethan!!! Kurzum: er hat nichts gethan und auch das im Zustand der Volltrunkenheit. Die Wiener Presse ist dem Herrn jetzt sehr aufsässig: er hat es als der erste nach 7 Jahrenzurückgerechnet 1899, das Gründungsjahr der „Fackel“, deren erstes Heft Anfang April 1899 erschien. bewirkt, daß die Presse in einer Sache für mich sein muß. Natürlich mit Ausnahme des allgemein verachteten N. W. Journals.

Bezüglich des „Totentanz“ erwarte ich stündlich die Censur-Entscheidung„Totentanz“ wurde von der Wiener Zensur nicht freigegeben, worauf Karl Kraus aber stark gehofft hatte. Erich Mühsam rechnete fest damit, wie er Karl Kraus am 13.5.1906 schrieb: „Lassen Sie mich bitte zur Aufführung des ‚Totentanz‘ schon in Wien sein.“ [Jungblut 1984, S. 63] In der Presse war gemeldet: „Die Direktion des Bürgertheaters hat Frank Wedekinds drei Szenen ‚Totentanz‘ der Zensurbehörde überreicht. Eine öffentliche Aufführung des interessanten Werkes wird Ende Mai, eventuell anfangs Juni im Bürgertheater stattfinden. Die vom Dichter selbst vorgeschlagene Besetzung ist folgende: Don Marquis Casti Piani – Frank Wedekind, Fräulein Elfriede v. Malchus – Adele Sandrock, Herr König – Karl Kraus, Lisiska – Tilly Wedekind.“ [Illustrierte Kronen-Zeitung, Jg. 7, Nr. 2281, 8.5.1906, S. 11]. Jedenfalls – in irgendeiner Form – hoffe ich’s herauszubringen. Wäre die Sandrock bereit, nach Wien zu kommen? Gleich nach dem Proceß gehe ich an die Arbeit.

Wie geht es Ihnen und Ihrer lieben Frau?

Mit allerherzlichsten Grüßen
Ihr treuerg.
Kraus


Verzeihen Sie die Hast, aber meine Nerven sind caput!


[Seite 4 oben rechts, um 90 Grad gedreht:]

Beutler schreibt mirHinweis auf einen Brief Margarete Beutlers an Karl Kraus, der nicht überliefert ist., daß alle Münchner Leute empört sind. Ludwig Scharf schriebHinweis auf einen Brief Ludwig Scharfs an Karl Kraus, der nicht überliefert ist. in diesem Sinne.


[Beilage:]


Mr. Henry und Frank Wedekind.
Eine Zuschrift.


Sehr geehrte Redaktiondes „Neuen Wiener Journals“, dem der Zeitungsausschnitt entstammt [vgl. Mr. Henry und Frank Wedekind. Eine Zuschrift. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4515, 19.5.1906, S. 4].! In dem Skandalblättchen des Herrn Kraus ist letztens ein offener Brief erschienenWedekinds offener Brief vom 9.5.1906 an Karl Kraus, erschienen in der „Fackel“ [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 203, 12.5.1906, S. 23f.]., der geeignet ist, den Ruf und die Ehre zweier Künstler umsomehr zu schädigen, als dessen Absender Frank Wedekind in Wien lediglich als namhafter Schriftsteller, aber nicht als Mensch bekannt ist. Ich habe sofort die nötigen gerichtlichen Schritte gegen den Verfasser des Briefes und seinen Mithelfer unternommen, die Justiz ist aber langsamvon Karl Kraus unterstrichen und am Rand mit einem Ausrufungszeichen („!“) versehen. und als in der Oeffentlichkeit stehende Personen können wir solche Verdächtigungen nicht lange auf uns ruhen lassen.

Ich sehe mich daher veranlaßt, schon jetzt folgendes zu erklären:

1. Unwahr und verleumderisch ist, daß ich mit meinem Namen „auf gespanntem FußeZitat aus Wedekinds offenem Brief (siehe oben): „auf so gespanntem Fuß steht“ [Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906].“ lebe. Als HerausgeberMarc Henry war von 1899 bis 1901 Mitherausgeber der zweisprachigen Zeitschrift „La Revue franco-allemande / Deutsch-französische Rundschau“ (München und Paris), die sich dem deutsch-französischen Kulturaustausch verpflichtet sah. der „Deutsch-französischen Rundschau“, einer Zeitschrift, die die geistige„geistige“ bis „verfolgte“ von Karl Kraus unterstrichen. und politische Annäherung beider großen Nationen mit Unterstützung der höchsten Gesellschaftskreise verfolgte sowie als Gründer und LeiterIn den Anzeigen des „Cabaret ‚Nachtlicht‘“ ist in dieser Form auf Marc Henry verwiesen: „Künstlerische Leitung: Mr. Henry, Gründer und Leiter der Eilf Scharfrichter.“ [Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4506, 10.5.1906, S. 13] der „Elf Scharfrichter“ habe ich kein Hehl daraus gemacht, daß ich mich eines Pseudonyms bediene, und dies lediglich, weil mein Familienname für die Oeffentlichkeit in Deutschland zu fremdartig und schwer auszusprechen ist. Für die Neugierigen, die sich vonungefähr von „die sich von der Wahrheit“ bis „überzeugen wollen“ von Karl Kraus am Rand doppelt angestrichen. der Wahrheit meiner Behauptung und der Makellosigkeit meines Lebens überzeugen wollen, gebe ich hiemit meine GeneralienPersonalien. kund: Achille Georges d’Ailly-Vaucheret, in Parisvon Karl Kraus unterstrichen. 1873 geboren, katholisch, Schriftsteller von Beruf, Chansonnier aus Zufall, Conferencier aus Notwendigkeit.

2. Unwahr istungefähr von „Unwahr ist“ bis „verurteilt worden“ von Karl Kraus am Rand doppelt angestrichen., daß Marya Delvard in irgend einer Weise von irgend einem Gericht wegen irgend einer Verleumdung verurteilt worden ist. Wahr ist dagegen, daß Frank Wedekind durch unerhörte Indiskretion versucht hat, uns beide in einen Prozeß zu verwickeln, was ihm aber nicht gelang.

Meinen „unqualifizierbaren“ CharakterZitat aus Wedekinds offenem Brief (siehe oben): „seinen unqualifizierbaren Charakter“ [Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906]., den Frank Wedekind für unerträglich hält, hat er drei, respektive acht Jahre lang stillschweigend und freundlich ertragen. Der liebe Freund sandte uns noch vor einigen Wochen die herzlichsten Grüße auf offener Postkartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Marc Henry und Marya Delvard, 6.1.1906. – Die Postkarte dürfte mit Blick auf das am 5.1.1906 in Wien eröffnete Künstlerkabarett Nachtlicht geschrieben worden sein, das Marc Henry leitete und dessen Star seine Lebensgefährtin Marya Delvard war.. Heute beschimpft er uns. Keiner kann etwas anderes von einem Menschen erwarten, der unzähligemale vertrags- und wortbrüchig war und sich fast alle seine Münchener Freunde zu Feinden ge­macht hat.

Die zwischen uns vorhandenen „geschäftlichen Beziehungenfreies Zitat aus Wedekinds offenem Brief (siehe oben): „geschäftlichen Verkehr“ [Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906].“ die Herr Wedekind mit Recht nur flüchtig erwähnt, bestehen lediglich aus 100 Mark und zwei Ohrfeigen, die ich ihmgegeben, und die er mir nie zurückgegeben hat.

Dieses Geständnis muß nicht zu der Annahme führen, ich wäre ein geborener Raufbold. In meinem ganzen Leben (die Gymnasialjahre zähle ich nicht) habe ich nur zwei Menschen ins Gesicht geschlagen: Frank Wedekind und Karl Kraus. Darum sind Sie wahrscheinlich heute „Mitarbeiter“ geworden.

Wer weiß, ob Frank Wedekind, wenn wir uns demnächst in München oder Berlin treffen, mich nicht bescheiden und verlegen fragen wird, wie er einst einen von ihm schwer beleidigten Freund fragte: „Bist du mir böse?“ Ich werde ihm dann, wie damals jener antworten: „Böse? Warum? Dir kann man nicht böse sein; du hast viel zu viel Talent; du bist ein rassiger Hund, man muß dir nur nicht zu nahe kommen, nicht weil du beißen könntest, sondern weil du Flöhe hast!“

Mit bestem Danke für die Veröffentlichung
hochachtungsvollst

Mr. Henry.

Karl Kraus schrieb am 25. Mai 1906 in Wien folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

wedekind berlin marienstrasze 23 =


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin, Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm [...] wien [...]


gericht hat heute nach fast vierstuendiger verhandlungDie Gerichtsverhandlung – wegen vorsätzlicher Körperverletzung (der tätliche Angriff auf Karl Kraus in der Nacht vom 29. auf den 30.4.1906 im Casino de Paris) und Beleidigung waren Marc Henry und Marya Delvard angeklagt, gegen Karl Kraus hatte Marc Henry Ehrenbeleidigungsklage erhoben – fand am 25.5.1906 unter Vorsitz des Landesgerichtsrats Dr. Karl von Heidt am Bezirksgericht Josefstadt in Strafsachen (Wien VIII, Alserstraße 1) [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1906, Teil II, S. 98] statt. Marc Henry, Leiter des Künstlerkabaretts Nachtlicht, und Marya Delvard, seine Lebensgefährtin und Star dieses Kabaretts, wurden durch den Rechtsanwalt Dr. Ludwig Herzberg-Fränkel vertreten, Karl Kraus durch den Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Rosenberg; als Zeugen geladen waren Künstler, die im Nachtlicht auftraten oder in enger Verbindung zu diesem Kabarett standen – Peter Altenberg (nicht zur Aussage aufgerufen), Egon Friedell, Carl Leopold Hollitzer, Erich Mühsam, Alexander Roda Roda und Ladislaus Roth (Kapellmeister des Nachtlicht) – sowie Franz Thurner, der Besitzer des Wiener Nachtlokals Casino de Paris. Karl Kraus schickte Wedekind dann einen Zeitungsausschnitt mit einem Prozessbericht [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 27.5.1906]. henry zu einem monat arrest delvard zu 300 kronen geldstrafe verurtheiltGegen das Urteil (ein Monat Arrest für Marc Henry, 300 Kronen Geldstrafe für Marya Delvard, Freispruch für Karl Kraus) ging Marc Henry in Revision – in zweiter Instanz wurde ihm statt Arrest eine Geldstrafe von 600 Kronen auferlegt und die Geldstrafe seiner Lebensgefährtin auf 150 Kronen reduziert, wogegen Karl Kraus in seiner Notiz „Alkoholiker“ protestierte [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 208, 4.10.1906, S. 29-32]. mich freigesprochen allerherzlichst kraus =

Frank Wedekind schrieb am 26. Mai 1906 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[Hinweis im Brief von Karl Kraus an Wedekind vom 27.5.1906 aus Wien:]


[...] Dank für Ihre l. Depechedépêche (frz.) = Depesche, Telegramm. [...]

Frank Wedekind und Tilly Wedekind schrieben am 27. Mai 1906 in Berlin folgende Postkarte
an Karl Kraus

Postkarte


An Herrn Karl Kraus
in Wien IV.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


27./V.06.

Heuteam 27.5.1906, genau ein Jahr nach Wedekinds Ankunft in Wien zur ersten Probe für die von Karl Kraus veranstaltete Premiere der „Büchse der Pandora“ am 27.5.1905, wie Wedekind notierte: „Kraus holt mich am Bahnhof ab. Wir frühstücken [...], fahren zur Probe.“ [Tb] Hier lernte er Tilly Newes kennen, die Darstellerin der Lulu, die er am 1.5.1906 heiratete. ist es ein Jahr, daß Tilly und ich uns auf der Probe der Büchse d. P. kennen lernten. Wir senden Ihnen gelegentlich dieses Jubiläums die herzlichsten Grüße. – Ich freue mich immer noch aus tiefster Seele über den Ausgang des ProzessesIm Prozess am 25.5.1906 „in der Nachtlicht-Affaire“ [Nottscheid 2008, S. 175] wurde Marc Henry zu einem Monat Arrest und Marya Delvard zu einer Geldstrafe von 300 Kronen verurteilt, Karl Kraus freigesprochen [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 25.5.1906]., obschon es/r/ ja für Sie eine große Belästigung war, aber so hat er doch einen guten Zweck erfüllt. Wir stoßen auf Ihr Wohl an! Ihr Fr.W.


Schade, dassim Erstdruck: daß. wir übermorgenam 29.5.1906; auf die von Karl Kraus für Wien geplante „Totentanz“-Inszenierung anspielend erinnert Tilly Wedekind daran, dass „Die Büchse der Pandora“ im Jahr zuvor am 29.5.1905 in Wien Premiere hatte. nicht Totentanz spielen. Hoffentlich ein ander Mal. Herzl. Gruß T.W.

Karl Kraus schrieb am 27. Mai 1906 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

VERLAGDIE FACKEL
HERAUSGEBER KARL KRAUS

WIEN, IV. SCHWINDGASSE 3.


Wien, 27. Mai 1906


Lieber und verehrter Herr Wedekind!

In größter Arbeitshast theile ich Ihnen – mit schönstem Dank für Ihre l. Depeschenicht überliefertes Telegramm; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Karl Kraus, 26.5.1906. – mit, dass ich aus guten QuellenQuelle war wohl Erich Mühsam, der anlässlich von Wedekinds offenen Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906] in der „Fackel“ [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 203, 12.5.1906, S. 23f.] irrtümlich von einer Klage gegen Wedekind ausging sowie Kontakt mit ihm aufzunehmen suchte [vgl. Erich Mühsam an Wedekind, 29.5.1906 und 2.6.1906] und jedenfalls Karl Kraus am 8.6.1906 über den Berliner Rechtsanwalt Hugo Caro schrieb: „Caro hat also die Henry-Sache übernommen, und machte, als ich ihm die ‚Fackel‘ zeigte, ein langes Gesicht. Er fand, daß Henry die ganze Sache so dumm wie möglich angefangen hat, und meint [...], daß die Sache sicher mit einem faulen Vergleich schließen würde, in dem sich beide Beteiligte gegenseitig für Ehrenmänner erklären werden. Wenn aber Wedekind Gegenklage erhebt, so meine er [...], daß Henry bös abfahren wird und Wedekind sicher mindestens das erreichen kann, daß Henry die Kosten für die ganze Geschichte zahlen muß. W. muß also – wenn er’s noch nicht getan hat – sofort Henry wegen der ‚N.[euen] W.[iener] Journal‘-Notiz verklagen.“ [Jungblut 1984, S. 71] erfahren habe, Herr Vaucheret und die Marie Biller-Delvard hätten bereits einen Berliner AnwaltHugo Caro, Rechtsanwalt beim Kammergericht in Berlin (Friedrichstraße 198/199) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 296], war einer von Erich Mühsams „Verteidigern“ [Mühsam 2003, S. 135] und mit ihm „befreundet“ [Nottscheid 2008, S. 382]., Herrn Dr Caro, mit der Klage gegen SieEine Klage Marc Henrys gegen Wedekind „kam ebenso wenig zustande wie die hier von Kraus angeregte Gegenklage“ [Nottscheid 2008, S. 178]. betraut. Nun erlaube ich mir, Ihnen einen Anwalt zu empfehlenDr. Hugo Heinemann, Rechtsanwalt in Berlin (Kronenstraße 8/9) [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil I, S. 787], hatte Karl Kraus 1898 bei der Planung einer eigenen Zeitschrift – „Die Fackel“ kam dann 1899 heraus – beraten [vgl. Fischer 2020, S. 1043]. Ein offener Brief des Rechtsanwalts ist in einem der ersten „Fackel“-Hefte publiziert, die Anrede: „Lieber Freund“ [Die Fackel, Jg. 1, Nr. 9, Ende Juni 1899, S. 1-6, hier S. 1]., der mich öfter schon – in Berlin – in der vorzüglichsten Weise vertreten hat und der sich mit Begeisterung Ihrer Sache annehmen wird: Dr Hugo Heinemann Berlin W. Kronenstr. 8 und 9. Das „Neue Wiener Journal“ (das Diebsblattvon Karl Kraus häufig benutzter Begriff, der „sich auf die gängige Praxis vieler Zeitungen“ bezieht, „anderweitig erschienene Berichte ohne Angabe der Quelle nachzudrucken“ [Nottscheid 2008, S. 179]. beflegelt jetzt den RichterDas „Neue Wiener Journal“ hatte das am 25.5.1906 gefällte Urteil (einen Monat Arrest für Marc Henry, 300 Kronen Geldstrafe für Marya Delvard, Freispruch für Karl Kraus) des Richters Karl von Heidt (siehe die Beilage zum vorliegenden Brief) dadurch zu diskreditieren gesucht, dass es unterstellte, es handle sich um ein „Tendenzurteil“ und ausführlich einen namentlich nicht genannten Juristen („Einer unserer ersten Anwälte“, „Ausführungen des hervorragendsten Juristen“) zitierte: „Das Urteil erregt in der Tat größtes Befremden, und es hat den Anschein, als ob die Erwägungen des Richters sehr vorherrschend von Impulsen beherrscht waren, die wesentlich dem Temperament des richterlichen Funktionärs entsprangen. [...] die verhängte Strafe ist drakonisch und sicherlich in schreiendstem Mißverhältnis zur angesetzten Tat.“ [Die Züchtigung des Karl Kraus vor Gericht. Ein Urteil des Landgerichtsrates Heidt. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4522, 26.5.1906, S. 9], der das Urtheil gegen Henry und Delvard gefällt hat) liegt in Berlin in etlichen Kaffeehäusern auf. Der Nachweis der Verbreitung in BerlinKarl Kraus bezieht sich auf Marc Henrys offenen Brief an die Redaktion des „Neuen Wiener Journal“ über Wedekind [vgl. Mr. Henry und Frank Wedekind. Eine Zuschrift. In: Neues Wiener Journal, Jg. 14, Nr. 4515, 19.5.1906, S. 4; Beilage zu Karl Kraus an Wedekind, 19.5.1906]; um „aufgrund von Henrys beleidigender Stellungnahme [...] Klage erheben zu können [...], musste der Nachweis ihrer Verbreitung in Berlin, Wedekinds damaligem Wohnort, erbracht werden.“ [Nottscheid 2008, S. 179] Wedekind erhob keine Klage, in seinem Nachlass ist bei den Briefen von Karl Kraus aber ein Zeitungsausschnitt aus der Zeitung „Die Wahrheit. Freies Deutsches Wochenblatt“ [Jg. 2, Nr. 22 (mehr aus dem Ausschnitt nicht ersichtlich)] erhalten [Mü, FW B 88], die in Berlin erschien [vgl. Berliner Adreßbuch 1906, Teil II, S. 96] und in der die Ausführungen Henrys aus dem „Neuen Wiener Journal“ vollständig nachgedruckt sind. Wedekind hat mit blauem Buntstift auf den Titelseitenausriss nicht nur „Die Wahrheit“ notiert, sondern mit blauem Buntstift auch die Überschrift „Cabaretgrößen vor dem Kadi“ und den Titelnachweis („Mr. Henry und Frank Wedekind“) unterstrichen; der erste Absatz lautet: „Wie wir über eine Anzahl von den Herrschaften denken, daraus haben wir nie einen Hehl gemacht. Eine kleine Illustration unserer Auffassung sei heute hier veröffentlicht. Es handelt sich dabei um das ‚beste deutsche Cabaret‘, die ‚Scharfrichter‘. Da veröffentlichte neulich das ‚Neue Wiener Journal‘ folgende sehr amüsante Zuschrift des Herrn ‚Henry‘, Leiter dieses Instituts, unter der Spitzmarke: ‚Mr. Henry und Frank Wedekind‘:“ (es folgt der Nachdruck). wird ohneweiteres zu erbringen sein. | Und ich hoffe, daß Sie dann gleich Gegenklage gegen den Verfasser des Briefs an SieMarc Henry als Verfasser seines Wedekind betreffenden Briefs an die Redaktion des „Neuen Wiener Journal“ (siehe oben). (der hier und in München allgemeine Empörung geweckt hat) erheben werden. In der Sache Olly BernhardyOlly Bernhardy, seinerzeit in München Ensemblemitglied im Kabarett Die Elf Scharfrichter, sah sich Verleumdungen durch Marc Henry, den Leiter des Kabaretts, und Marya Delvard, Diseuse bei den Elf Scharfrichtern, ausgesetzt, gegen die sie klagte, was vor Gericht am 19.6.1902 verhandelt wurde und zu einem Vergleich führte (siehe unten), publik gemacht in einer „Bekanntmachung“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 294, 28.6.1902, Vorabendblatt, S. 7 oder 8 (die Seiten fehlen im eingesehenen Exemplar)], die Karl Kraus nachdruckte [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 27f.]. ist seinerzeit kein Urtheil gefällt worden, sondern vor dem sicheren Ausspruch einer Arreststrafe Olly Bernhardy schreibt mirHinweis auf einen Brief, der nicht überliefert ist. Dazu Karl Kraus: „‚Meiner Liebenswürdigkeit‘ – so schreibt mir Fräulein Olly Bernhardy – ‚verdanken es die Angeklagten, daß ich nicht auf dem Äußersten bestand, was ihnen eine Freiheitsstrafe eingetragen hätte. Ich hätte dadurch meine übrigen Kollegen empfindlich geschädigt, weil alsdann das Cabaret der Elf Scharfrichter unmittelbar zusammengebrochen wäre‘.“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 28], daß sie auf die Bitte der Scharfrichter-Collegen von dem Bestehen auf einer formellen Verurtheilung abließ. ein gerichtlicher AusgleichIm Münchner Verleumdungsprozess vom 19.6.1902 kam es zu einem Vergleich, ein Ergebnis, das auf richterliche Anordnung in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ publik gemacht werden musste, in einer am 28.6.1902 veröffentlichten „Bekanntmachung“ (siehe oben), die Karl Kraus nachdruckte: „In der Privatklagesache der Schauspielerin Olga Stoe, genannt Bernhardy, gegen 1. Achille Vaucheret, genannt Henry, Schriftsteller, 2. Marie Biller, genannt Delvard, Sängerin, kam in der öffentlichen Sitzung des Schöffengerichtes beim königl. Amtsgerichte München I vom 19. Juni 1902 [...] folgender Vergleich zu stande: 1. Herr Achille Vaucheret, genannt Henry, erklärt, daß er die klagsgegenständigen Äußerungen nicht getan habe und daß er auf das tiefste bedauere, falls er durch irgend eine Äußerung zur Verbreitung der bezüglich der Privatklägerin im Februar oder März l. J. umlaufenden Gerüchte beigetragen habe. 2. Fräulein Marie Biller, genannt Delvard, erklärt, daß sie die klagsgegenständigen Äußerungen nicht getan, daß sie aber allerdings durch eine Äußerung zur Verbreitung jener Gerüchte beigetragen habe, dies aufs tiefste bedauere und sich verpflichte, binnen vierzehn Tagen von heute ab eine Buße von M. 50 – fünfzig Mark –, welche an die Unterstützungskasse des Journalisten- und Schriftsteller-Vereines abgeführt werden soll, zu Handen des klägerischen Vertreters zu bezahlen. 3. Die beiden Privatbeklagten erklären weiterhin, ‚daß jene Gerüchte nach ihrer Überzeugung jeder tatsächlichen Grundlage entbehren.‘ 4. Beide Angeklagte übernehmen sämtliche Kosten des Verfahrens einschließlich der der Privatklägerin erwachsenen notwendigen Auslagen und willigen ein, daß der gegenwärtige Vergleich auf ihre – der beiden Privatbeklagten – Kosten einmal in den Münchner Neuesten Nachrichten veröffentlicht werde.“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 27f.] Die Sachlage war auch einem Pressebericht zu entnehmen [vgl. Aus dem Kreise der Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 281, 20.6.1902, Vorabendblatt, S. 4], der Karl Kraus ebenfalls vorlag, da er aus ihm zitierte. geschlossen worden. Das läuft natürlich moralisch auf dasselbeKarl Kraus über die in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ abgedruckte „Bekanntmachung“ (siehe oben) des Vergleichs: „Eine Aburteilung im technisch-juristischen Sinne ist nicht erfolgt. Gewiß eine im moralischen Sinn. Gerade die Behauptung Wedekinds ist ein Beweis dafür, daß man damals – vor vier Jahren – in allen künstlerischen und literarischen Kreisen Münchens, in denen man heute über die nachtlichtgeborenen Taten empört ist, die ‚gütliche‘ Austragung der Affaire als regelrechte Verurteilung der beiden Angeklagten empfand. Die Klägerin hat ja bei diesem Ausgleich keine andere Konzession gemacht, als daß sie nicht auf der Bestrafung bestand.“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 28] hinaus, und das Paar hat gar keinen Grund, sich in Berichtigungen aufs hohe Roß zu setzen. Olly Bernhardy sendet mir dieser Tage das Material, das ich Ihnen dann natürlich alsbald zur Verfügung stellen werde, und schreibt mir, daß sich beide, Henry und Delvard, damals zur Zahlung einer Buße von 150 Mtatsächlich 50 Mark – der von Karl Kraus nachgedruckten „Bekanntmachung“ in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ zufolge (siehe oben), bestätigt durch einen Pressebericht: Marya Delvard hatte „binnen 14 Tagen eine Buße von 50 M an den Münchner Journalisten- und Schriftstellerverein abzuführen.“ [Aus dem Kreise der Elf Scharfrichter. In: Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 281, 20.6.1902, Vorabendblatt, S. 4] an die Schriftstellercasse, zur Tragung der Proceßkosten, zur Rückziehung der Beschuldigung und zur Abbitte in vier Blättern verpflichten mußten.

Hier ein sehr lückenhafter, aber ganz anständiger | Bericht über meinen Prozeßdie Beilage zum vorliegenden Brief, ein Zeitungsausschnitt aus der „Illustrierten Kronen-Zeitung“ [vgl. Eine Prügelszene im „Casino de Paris“. Karl Kraus gegen Monsieur Henry. In: Illustrierte Kronen-Zeitung, Jg. 7, Nr. 2299, 26.5.1906, S. 11-12]. (etliche Zeugenaussagen sind gar nicht erwähnt). Die kläglichste Rolle hat Herr Karl Hollitzer, der Mann, dem wir einmal unsere Photographien gewidmet haben, in der Verhandlung gespielt. Die Klage gegen mich war die größte Gerichtsfarce und juristische Blamage, die hier seit langem erlebt wurde.

Vorgestern telephonierte mir die Polizei, daß der TotentanzDie Wiener Zensur gab „Totentanz“ nicht frei. an die Statthalterei-Censur endlich abgegangen ist. Haben Sie eine besonders günstige Journalbesprechung über die Aufnahme des Werkes in NürnbergDie Uraufführung von „Totentanz“ 2.5.1906 am Intimen Theater in Nürnberg unter der Regie von Emil Meßthaler mit Frank und Tilly Wedekind in Hauptrollen „wurde laut Kritik mit vollem Befall aufgenommen.“ [KSA 6, S. 670], die man dem Censor zeigen könnte? Der Polizeirath empfahl mir dies. Ich habe für alle Fälle die Berichte der Frankfurter Ztg., M. Neuesten Nachrichten und Berliner Tagblatt durch ein Ausschnittbureau bestellt.

Wie geht es Ihrer lieben Frau? Unser Wiedersehen in einem Ensemblebei einer erhofften Wiener Inszenierung von „Totentanz“, wie im Vorjahr bei „Die Büchse der Pandora“ (siehe unten). würde mich außerordentlich freuen. Übermorgenam 29.5.1906, an dem Wedekind notierte: „Jahrestag der Wiener B.d.P.“ [Tb] Genau vor einem Jahr – am 29.5.1906 – fand in Wien die von Karl Kraus veranstaltete Premiere der „Büchse der Pandora“ statt, mit ihm in der Rolle des Kungu Poti, Tilly Newes als Lulu und Wedekind als Jack. ists ein Jahr seit der „Büchse der Pandora“.

Die schönsten Grüße Ihnen beiden
von Ihrem herzlichst ergebenen
Karl Kraus


Der AnwaltDr. Ludwig Herzberg-Fränkel, der Rechtsanwalt von Marc Henry und Marya Delvard (siehe die Beilage zum vorliegenden Brief), der Karl Kraus zwei „Berichtigungen“ (siehe unten) zum Abdruck in der „Fackel“ geschickt hat. des Henry und der Delvard hat mir – vor der neulichen Aburtheilungdas am 25.5.1906 gesprochene Urteil im Prozess zur Nachtlicht-Affäre (siehe die Beilage zum vorliegenden Brief). – zwei Berichtigungen Ihres BriefsKarl Kraus druckte eine Berichtigung zu Wedekinds offenem Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906] in der „Fackel“ [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 203, 12.5.1906, S. 23f.] wiederum in der „Fackel“ ab, die auf Wien, 23.5.1906 datiert und mit den Worten „Ich erhalte die folgende Zuschrift:“ eingeleitet ist: „Herrn Karl Kraus, Herausgeber und verantwortlicher Redakteur der ‚Fackel‘, Wien. Im Vollmachtsnamen des Fräulein Marya Delvard ersuche ich unter Bezugnahme auf § 19 Pr. G. am Aufnahme nachstehender Berichtigung der in der Nr. 203 der ‚Fackel‘ veröffentlichten Zuschrift des Herrn Frank Wedekind, ddo. Berlin, 9/5 1906. Es ist unwahr, daß Marya Delvard sich ihrer hübschen Kolleginnen bei den Elf Scharfrichtern dadurch zu entledigen suchte, daß sie von ihnen erzählte, sie litten an ansteckenden Geschlechtskrankheiten. Es ist unwahr, daß Marya Delvard wegen solcher Verleumdungen überhaupt und insbesondere vor etwa drei Jahren vom Landgerichte München zu einer beträchtlichen Geldstrafe verurteilt wurde. Wahr ist es, daß Marya Delvard in München durch Herrn Frank Wedekind in einen Ehrenbeleidigungsprozeß verwickelt worden war, wahr ist es, daß dieser Prozeß vor Fällung eines gerichtlichen Erkenntnisses gütlich ausgetragen wurde. Hochachtungsvoll Dr. Herzberg-Fränkel.“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 26] übersendet, die ich, da sie formell ungesetzlichKarl Kraus kommentierte die von ihm abgedruckte Berichtigung des Rechtsanwalts Ludwig Herzberg-Fränkel (siehe oben): „Unkenntnis des Gesetzes schützt diesen Advokaten, der seinen Doppelnamen so gern gedruckt sieht, nicht vor der Strafe, daß ich seine Berichtigung wirklich abdrucke. Er hat mir auch ein § 19-Schreiben ‚im Vollmachtsnamen‘ des Herrn Achille Vaucheret geschickt, dessen Veröffentlichung ich jedoch taktvoll unterlasse, weil sie einer allzu grausamen Verspottung der juristischen Kenntnisse des Herrn Dr. Herzberg-Fränkel gleichkäme. Aber er hat sich nicht damit begnügt, für seine beiden Klienten ungesetzliche Berichtigungen zu verfassen, sondern freudig die Gelegenheit benützt, seinen eigenen Namen mit dem eines Frank Wedekind zu verknüpfen, und so sich persönlich unter Bezugnahme auf § 19 zum Vertreter der Unwahrheit gemacht. Wenn nämlich die Klientin dieses oftgenannten Advokaten, wenn Marya Delvard wirklich nie von einer hübschen Kollegin bei den Elf Scharfrichtern erzählt hätte, was in dem Brief Frank Wedekinds zu lesen ist, so hätte unmöglich in der Nr. 294 vom 28. Juni 1902 der ‚Münchener Neuesten Nachrichten‘ in balkendicken Lettern das Folgende erscheinen können:“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 204, 31.5.1906, S. 26f.] – es folgt die „Bekanntmachung“ (siehe oben). sind, vorläufig nicht drucke.


[Beilage:]


Eine Prügelszene im „Casino de Paris“.
Karl Kraus gegen Monsieur Henry.


Der kleine Saal des Bezirksgerichts Josefstadt bot gestern ein eigentümliches Bild. Eine dichtgedrängte Zuschauermenge, die sich aus Personen zusammensetzte, die man sonst nicht häufig im Gerichtssaal erblickt: Schriftsteller und solche, die sich dafür ausgeben, ständige Besucher der vornehmen Nachtcafés, Schwärmer für das „Cabaret“ (jene neuartige Form des „Ueberbrettl“, wobei sich das Publikum nicht unterhalten, sondern „amüsieren“ will), übermodern gekleidete und frisierte Damen. Auf der Anklagebank saßen die Größen des Cabarets „Nachtlicht“ Monsieur Henry und seine überschlanke Kollegin Maria Delvard. Diese Dame gilt bei Eingeweihten als die eigentliche Urheberin des Prozesses. Seinerzeit hatte die Delvard, deren Bescheidenheit gewiß nie sprichwörtlich werden wird, öffentlich erklärt, daß die hellsten Sterne der französischen Kunstwelt sie um ihre Vielseitigkeit beneiden. Der Kläger Karl Kraus hatte daraufhin einen Artikel veröffentlicht, in welchem er dieses Selbstlob kritisierte. Henry und die Delvard gerieten in eine fürchterliche Wut, die bald zum Ausbruche kam. Monsieur Henry überfiel einige Tage später den Kläger im „Casino de Paris“ und mißhandelte ihn derart, daß Karl Kraus ohnmächtig wurde. |

Auch Maria Delvard soll damals, trotz ihrer Zartheit, auf den wehrlosen Karl Kraus tüchtig eingehauen haben.

Der Verhandlungsbericht.

Den Vorsitz in der Verhandlung führte Landesgerichtsrat Dr. v. Heidt. Es wurde zugleich über zwei Klagen verhandelt; in der ersten war der Herausgeber der „Fackel“, Karl Kraus, der Kläger, der Direktor des Cabaret „Nachtlicht“ Herr Henry, und seine Kollegin Maria Delvard die Angeklagten. Die zweite Klage war von Henry und Delvard gegen Karl Kraus eingebracht worden. Gegenstand der ersten Klage bildet eine Szene, die sich in der Nacht vom 29. auf den 30. April im „Casino de Paris“ abgespielt hat und in der Karl Kraus von Henry leicht verletzt worden ist. Henry und die Delvard sind wegen vorsätzlicher leichter Körperverletzung, ferner wegen wörtlicher Beleidigung des Herrn Karl Kraus, dieser (in der zweiten Klage) wegen Beleidigung des Monsieur Henry angeklagt.

Der Ueberfall.

Die Anklage gegen Henry und die Delvard enthält in Kürze folgende Darstel­lung: Kraus kam mit den Herren Egon Fridell und Erich Mühsam ins Casino de Paris; an einem Nebentische saß bei der Cabaret-Gesellschaft der Schriftsteller Peter Altenberg. Kraus, der mit diesem auf gespanntem Fuße stand, behauptet nun, er habe sich mit ihm einen Scherz machen wollen, der zur Versöhnung führen sollte, und habe Altenberg ein Kuvert mit 10 Kronen Honorar geschickt. Dies habe Henry dazu benützt, aus Rache für eine Glosse in der „Fackel“, Herrn Altenberg aufzustacheln, und er habe ihn, Kraus, beschimpft. Fräulein Delvard habe ihn gleichfalls beschimpft und gerufen: „Idiot ... so ein alberner Aff’!“ Trotz seiner Erregung habe Kläger nichts erwidert. Herr Mühsam habe intervenieren wollen, doch habe Henry ausgerufen: „Ich bin Franzose und lasse mich von einem Deutschen nicht belehren, noch dazu von einem Juden.“ Kläger wollte sich mit Herrn Mühsam entfernen, wurde aber von den Kellnern zurückgerufen, „da ein Verehrer aus Ungarnvon Karl Kraus unterstrichen. mit ihm dringend sprechen wolle“von Karl Kraus nach dem Zitat in Klammern ein Fragezeichen gesetzt: wolle“ (?).. Dies habe Herr Henry zu einem weiteren Ueberfalle benützt und mit dem Rufe: „Jetzt hab’ ich den Kerl!“ auf ihn losgeschlagen; er sei gestürzt, geschleift worden und Mr. Henry habe seinen Kopf mit den Fäusten bearbeitet. Kläger sei halb ohnmächtig am Boden gelegen, als noch Fräulein Delvard herbeikam und mit den Worten: „Hier noch Eins von mir!“ ihn wütend auf Nase und Augen schlug und erklärte, ihn töten zu wollen; es sei dies nicht genug, er müsse ganz hin werden, ganz Wien würde ihr danken, von dieser Pest befreit zu sein, man würde für sie Messen lesen. Kläger wurde auf einen Sessel gesetzt, da er ohnmächtig war. Schließlich widerlegt die Klage die Behauptung, als sei Henry damals trunken gewesen, denn er habe den ganzen Vorfall gleich damals und auch am folgenden Tage verschiedenen Journalisten haarklein triumphierend erzählt.

Das Zeugenverhör.

Als erster Zeuge wurde der Schriftsteller Erich Mühsam vernommen. Er erklärte, daß sich der Angeklagte Henry über Karl Kraus in heftigen Schimpfworten ausgelassen habe, worauf Zeuge selbst aus eigenem Antriebe zu dem Tisch hinüberging und ihn ersuchte, die Beschimpfungen zu unterlassen; allein Henry habe ihm erklärt, er sei ein Franzose und lasse sich von Deutschen nicht belehren, insbesondere nicht von einem Juden. Als er (Zeuge) sich daraufhin entfernte, habe ihm Henry noch das Wort „Jude!“ nachgerufen. Was die Prügelszene selbst betrifft, bestätigt der Zeuge im Wesentlichen die Darstellung des Karl Kraus und fügt noch hinzu, daß seiner Ansicht nach Henry nicht betrunken war.

Der nächste Zeuge Schriftsteller Alexander Roda Roda erklärt, daß Henry sowie seine ganze Tischgesellschaft über Karl Kraus sehr erbost waren. Was den Hergang der Prügelszene betrifft, kann Roda Roda nur angeben, daß er plötzlich Henry über Karl Kraus, der an einer Tür lehnte, vorgebeugt sah und über beide, sowohl über Henry als auch über Kraus, habe sich dann die Delvard gebeugt. Die Delvard sei in dem Rummel herumgerissen worden, und er, Zeuge, habe sein ganzes Augenmerk darauf gerichtet, die Delvard zu schützen. Er habe sie beim Handgelenk festgehalten, sie habe sich jedoch losgerissen. Sonstiges kann Zeuge über die Szene nicht angeben. Der Zeuge bestätigt nochmals, daß der Angeklagte Henry an jenem Abend überaus aufgeregt war.

Henry rühmt sich der Tat.

Zeuge Ladislaus Roth, Kapellmeister im Cabaret „Nachtlicht“, wird vom Klagevertreter befragt, ob es richtig sei, daß Henry sich seiner Tat während der Vorstellung des Cabarets in den „KonferenzenModerationen des Conférenciers Marc Henry im Künstlerkabarett Nachtlicht.“ gerühmt habe. Der Zeuge erklärt, daß Henry tatsächlich Anspielungen auf diese Affäre gemacht habe. Zeuge habe den Eindruck gewonnen, daß Henry sich der Tat rühmen wollte.

Zeuge Thurner, Besitzer des „Casino de Paris“, gibt, über den Zustand des Henry an jenem Abend befragt, an, daß Henry infolge Champagnergenusses etwas angetrunken und gut gelaunt war. Zeuge gibt an, daß etwa acht bis neun Flaschen Champagner an dem Tisch, an dem Henry mit noch vier Personen saß, getrunken worden seien.

Besondere Roheit des Angriffes.

Der Richter, Landesgerichtsrat v. Heidt, verurteilte den Angeklagten Henry wegen Uebertretung der leichten Körperverletzung und wegen Ehrenbeleidigung zu einem Monat Arrests, die Angeklagte Delvard wegen Ehrenbeleidigung zu einer Geldstrafe von 300 Kronen.

Der Richter nahm unter anderem bei Henry als erschwerend die besondere Roheit des Angriffes an. Beide Verurteilte meldeten die Berufung an.

Monsieur Henry – kein Franzose.

Es wurde sodann anschließend an die Verhandlung über die gegen Karl Kraus von Mr. Henry erhobene Ehrenbeleidigungsklage eingegangen. Nach dem Inhalt der Klage soll Kraus dem Maler Hollitzer gegenüber sich geäußert haben, man könne mit Henry nicht verkehren, er sei kein Franzose, sondern ein polnischer Jude. Der Kläger erblickt hierin eine Beschimpfung, weil ihm ein Schwindel mit seiner Nationalität vorgeworfen werde.

Der Angeklagte Karl Kraus erklärte sich nicht schuldig; er gibt an, daß er zu der fraglichen Zeit mit dem Maler Hollitzer und noch zwei Schriftstellern im Café de l’Europe saß. Es kam die Sprache auf die Nationalität Henrys und dabei habe er vielleicht gesagt, daß Henry, wie jemand erzählt habe, ein rumänischer Jude sei. Eine beleidigende Absicht habe er hiebei nicht gehabt und insbesondere auch dem Maler Hollitzer nicht abgeraten, mit Henry zu verkehren.

Zwei Zeugen, die damals der Unterredung beiwohnten, die Schriftsteller Egon Friedell und Erich Mühsam, erklären, daß sie die inkriminierte Aeußerung nicht gehört haben und bestätigen insbesonders, daß Karl Kraus sich nie über Henry in dem Sinne geäußert hätte, als ob dieser unanständig wäre.

Zurückziehung der Klage.

Der Klagevertreter zog nun die Anklage gegen Kraus zurück, der sodann freigesprochen wurde.

Karl Kraus schrieb am 29. Mai 1906 in Wien folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

wedekind berlin marienstr 23=


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin, Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus wien [...]


herzlichsten erinnerungsgrussKarl Kraus gab zur Erinnerung an die von ihm veranstaltete Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 im Trianon-Theater in Wien das vorliegende Telegramm auf – pünktlich am ersten Jahrestag dieses Ereignisses, bei dem Frank Wedekind die Rolle des Jack und Tilly Wedekind (geb. Newes) die Lulu gespielt und das Paar sich hier kennengelernt hatte. Wedekind notierte am 29.5.1906: „Jahrestag der Wiener B.d.P.“ [Tb]. ihnen beiden sendet der darsteller des kungu potiKarl Kraus hatte in der Wiener Premiere von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 die Rolle des Kungu Poti gespielt. =“

Frank Wedekind schrieb am 5. Juni 1906 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[Hinweis von Karl Kraus (Die Fackel, Jg. 8, Nr. 205, 11.6.1906, S. 5):]


Frank Wedekind hat mir diese Studie, die [...] in einer kleinen Münchener Revue ‚Freistatt‘ [...] erschienenKarl Kraus druckte die ihm von Wedekind überlassene Fassung des Essays aus der Münchner Zeitschrift „Freistatt“ [vgl. Frank Wedekind: Schriftsteller Ibsen und „Baumeister Solneß“. Ein kritischer Essay. In: Freistatt. Kritische Wochenschrift für Moderne Kultur, Jg. 4, Heft 28, 13.7.1902, S. 285-289] nach, wie er in seiner Fußnote zum Nachdruck kenntlich macht, nach der das nicht überlieferte Schreiben Wedekinds dazu hier erschlossen ist. und weiteren Kreisen völlig unbekannt geblieben ist, für die ‚Fackel‘ überlassen.

Karl Kraus schrieb am 11. Juni 1906 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 12.6.1906 in Berlin:]


Von Kraus für Baumeister Solnes erhalten M. 50.93.

Karl Kraus schrieb am 27. Juli 1906 in Fanø folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Bildpostkarte an Karl Kraus vom 31.7.1906 aus Lindau:]


[...] besten Dank für die schöne Carte [...]

Frank Wedekind schrieb am 31. Juli 1906 in Lindau folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

Postkarte


Herrn Karl Kraus
Wien IV.
Schwindtgasse 3. |


Lindau i. B. Ehemaliger Pulverturm.


Herzliche Grüße vom BodenseeWedekind traf dem Tagebuch zufolge am 30.7.1906 um 17 Uhr in Lindau am Bodensee ein („Abfahrt von München. Um 5 Uhr in Lindau“), seiner Zwischenstation auf der Reise nach Lenzburg, die er am 31.7.1906 fortsetzte und um 18 Uhr dort ankam („Bad im Bodensee. Fahrt über den Bodensee. 6 Uhr Ankunft in Lenzburg“). und besten Dank für die schöne Cartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 27.7.1906.
Wedekind

Frank Wedekind und Tilly Wedekind schrieben am 17. August 1906 in München folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

Postkarte.


An

Herrn Karl Kraus
Fanö (Dänemark)
poste restante


Lieber Herr Kraus, wir kehren ebenFrank und Tilly Wedekind waren aus dem Urlaub in Lenzburg über München (Ankunft dort am 12.8.1906) am 17.8.1906 zurück nach Berlin gereist: „Kofferpacken. Diner im Hoftheaterrestaurant. Abendessen in der Odeon Bar. Nachtfahrt nach Berlin.“ [Tb] aus der Schweiz nach Berlin zurück. Kommen Sie vielleicht auf der Rückreise über BerlinKarl Kraus erholte sich auf der dänischen Insel Fanø – Wedekinds Tagebuch verzeichnet im Spätsommer 1906 kein Treffen mit ihm in Berlin.?

Herzlichen Gruß
Ihr
FrWedekind


Tilly |


München. Wittelsbacherbrunnen.

Karl Kraus schrieb am 12. September 1906 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

12. Sept. 06


Mein lieber und verehrter Herr Wedekind,

in größter Eile theile ich Ihnen mit: Gestern Abend habe ich in der Direktion des BürgertheatersDirektor und Oberregisseur des am 7.12.1905 eröffneten Wiener Bürgertheaters war Oskar Fronz, sein Sohn Oskar Fronz jun. Stellvertreter des Direktors und Dramaturg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1907, S. 623]. Karl Kraus war seit Monaten intensiv um eine Aufführung von „Totentanz“ am Bürgertheater in Wien bemüht (siehe seine Korrespondenz mit Wedekind seit dem 5.5.1906). energisch vorgesprochen und allerlei Entschuldigungsversuche für die Schlamperei in Sachen der Totentanz-CensurKarl Kraus erklärte in der „Fackel“ zum Wiener Zensurverbot von Wedekinds Stück: „Die Aufführung von Wedekinds ‚Totentanz‘, die ich – [...] im Bürgertheater – veranstalten wollte, hat die Statthaltereizensur verboten. Natürlich, weil Unmündige hineingehen könnten, die verdorben würden. Ein erprobtes Motiv behördlicher Dummheit.“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 209, 20.10.1906, S. 16] entgegengenommen. Am 9. August wurde dem Bürgertheater officiell Bis dahin hörten wir nur den ZeitungsklatschDie Wiener Presse hatte bereits vor dem 9.8.1906 gemeldet: „Die niederösterreichische Statthalterei hat die Szenen ‚Totentanz‘, von Frank Wedekind, zur Aufführung nicht zugelassen.“ [Theaterzensur. In: Die Zeit, Jg. 5, Nr. 1371, 20.7.1906, S. 3] „Wie verlautet, ist die im Bürgertheater projektiert gewesene Aufführung von Frank Wedekinds ‚Totentanz‘ von der Zensur verboten worden.“ [Neues Wiener Tagblatt, Jg. 40, Nr. 203, 25.7.1906, S. 9], und ich konnte absolut nichts machen, weil das Bürgertheater geschlossen warDie Spielzeit des Wiener Bürgertheaters begann am 1.9.1906 [vgl. Neuer Theater-Almanach 2007, S. 623].. zur Kenntnis gebracht, daß der Totentanz verboten sei. Man habe dies meiner Administration telephonisch mitgetheilt. Meine Administration nun hat nie eine ähnliche Mittheilung bekommen, sonst hätte sie sie mir nach FanöKarl Kraus verbrachte seinen Sommerurlaub 1906 auf der dänischen Insel Fanø. weitergegeben und ich hätte von dort aus den Recurs ans Ministerium veranlassen können. Leider ist nun die Recursfrist abgelaufen und ich muß mich | – vorläufig – mit der Versicherung des Herrn Direktors begnügen, daß er sein Personal rüffeln werde. Wir haben aber faktisch jetzt zwei Möglichkeiten, doch zu unserem Ziel zu kommen. Entweder ich versuche die polizeiliche (nicht „censurliche“) Bewilligung zur Aufführung des Totentanz in einem Saaltheater vor geladenem Publikum (wie bei der „Büchse der Pandora“) zu erlangen. Das ist wohl zu machen, aber – wie damals – eine schwierige und langwierige Geschichte (wegen der Einladungen etc.). Oder: Sie haben die Freundlichkeit, am Totentanz irgendeine äußerliche Änderung (die sich auf eine oder ein paar Stellen bezieht) vorzunehmen. Dies gäbe dem Bürgertheater die Handhabe, den Totentanz noch einmal einzureichen. | Die voraussichtliche Abweisung, das Verbot würde dann ehestens erfolgen, aber es wäre eine neue Entscheidung, und wir haben die Recursfrist offen. Vom Recurs d/a/n das Ministerium verspreche ich mir nämlich etwas. Der Reichsrathsabgeordnete Baron BattagliaRoger Freiherr von Battaglia, Jurist, Ökonom und Politiker, war am 24.4.1906 im österreichischen Reichsrat unter den „neugewählten Abgeordneten“ [Neue Freie Presse, Nr. 14967, 24.4.1906, Abendblatt, S. 2]., der mir befreundet ist, interessiert sich für die Aufführung außerordentlich und hat mir längst zugesagt, daß er sich für die Freigebung beim Minister des InnernMinister des Innern in Österreich war seit dem 2.6.1906 Richard Freiherr von Bienerth. – er war selbst früher Beamter des Ministeriums des Innern – energisch verwenden werde. Sicher natürlich ist die Freigabe nicht, aber wir haben wenigstens den Instanzenzug ausgeschöpft und können dann eventuell noch zum Verwaltungsgerichtshof gehen oder im Parlament interpellieren lassen. Die Direktion des Bürgertheaters wartet auf Ihre Entscheidung. |

Wenn Sie gewillt sind, ein paar kleine äußerliche Textänderungen oder eine kleine Weglassung (nur pro forma) vorzunehmen, bitte ich Sie, mir gf. sogleich die Stelle oder die Rollen anzugeben. Ich glaube, daß wir dann sehr bald wieder die Entscheidung der Statthalterei hätten und daß für den Fall, daß das Ministerium das Werk freigibt, die Aufführung noch in der ersten Hälfte des Oktober stattfinden könnte.

Mit recht herzlichen Grüßen an Sie und Ihre l. Frau
immer Ihr aufrichtig ergebener
Karl Kraus


Haben Sie vielleicht einen Beitrag für die wiedererscheinende „FackelDas „Fackel“-Heft Nr. 207 vom 23.7.1906 war am 17.7.1906 konfisziert worden. Karl Kraus äußerte sich darüber im nächsten Heft [vgl. Die Konfiskation der ‚Fackel‘. In: Die Fackel, Jg. 8, Nr. 208, 4.10.1906, S. 6-9], für das er Wedekind hier um einen Beitrag bittet.? Das wäre herrlich!

Frank Wedekind schrieb am 13. Oktober 1906 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

[...] Postkarte [...]
[...] Carte postale [...]
[...] Weltpostverein [...]
[...] Postcard [...]


Herrn Karl Kraus
Wien
Schwindtgasse 3.


Lieber Herr Kraus! Eben erhalte ich Fackel vom 4 OktoberDas „Fackel“-Heft vom 4.10.1906 enthält den Artikel „Die Konfiskation der ‚Fackel‘“ (das vorige Heft Nr. 207 vom 23.7.1906 war am 17.7.1906 konfisziert worden) und den Bericht „Alkoholiker“ über den Revisionsprozess am 7.9.1906 zum Prozess am 25.5.1906 (Wedekind war durch einen offenen Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906] am Rande in die Sache involviert) in der Nachtlicht-Affäre [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 208, 4.10.1906, S. 6-9, 29-32].. Ich bin todmüde, da ich gesternam 12.10.1906, an dem Wedekind unter anderen mit Maximilian Harden dinierte [vgl. Tb]; sein neues Stück „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ hatte er, anders als er Karl Kraus mitteilt, bereits am 9.10.1906 fertiggestellt: „Musik fertig abgeschrieben.“ [Tb] ein vieraktiges Stück fertig geschrieben habe. Wegen TotentanzKarl Kraus war sehr um eine Aufführung von „Totentanz“ in Wien bemüht und hatte Wedekind Vorschläge zum Umgang mit der Zensur unterbreitet [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 12.9.1906] – ohne Erfolg. Er bemerkte dazu: „Die Aufführung von Wedekinds ‚Totentanz‘, die ich – [...] im Bürgertheater – veranstalten wollte, hat die Statthaltereizensur verboten. Natürlich, weil Unmündige hineingehen könnten, die verdorben würden. Ein erprobtes Motiv behördlicher Dummheit.“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 209, 20.10.1906, S. 16] bitte ich Sie n/j/etzt nichts vorderhand nichts mehr zu unternehmen. Nächster Tage Brief. Herzlichen Gruß auch von Tilly
Ihr
Fr Wedekind. |


Frank Wedekind u. Frau

Karl Kraus schrieb am 15. Oktober 1906 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 18.10.1906 aus Berlin:]


Ich danke Ihnen sehr für Ihr freundliches Anerbieten.

Frank Wedekind schrieb am 18. Oktober 1906 in Berlin folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus!

Ich danke Ihnen sehr für Ihr freundliches AnerbietenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 15.10.1906. – Karl Kraus dürfte Wedekind, der sein am 9.10.1906 abgeschlossenes Stück erwähnt hatte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 13.10.1906], eine Veröffentlichung von „Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ (1908) in der „Fackel“ vorgeschlagen haben.. Aber mein Stück ist vielmehr eine Chronik„Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ handelt vom Verhältnis eines Gesangspädagogen zu einer Musikschülerin, die von ihm schwanger und nach § 218 Reichsstrafgesetzbuch verurteilt wird, ein Stoff, den Wedekind im Münchner Freundeskreis fand, eine Affäre um Anton Dreßler, der am 1.10.1906 „seiner Stellung als Gesangslehrer an der Akademie für Tonkunst“ [KSA 6, S. 746] enthoben worden ist. als eine dramatische Arbeit und hat demnach gar keine Qualitäten im Dialog. Ich gehe jetzt nur darauf aus es möglichst gut loszuschlagen daim Erstdruck: loszuschlagen, da. ich notwendiger Weise | eine größere Summe dafür bekommen muß. Infolge meines zweimaligen UmzugesWedekind ist innerhalb Berlins zuerst im Frühjahr 1906 von einer Pension in eine Wohnung in der Marienstraße 23 (2. Stock links) gezogen und von dort am 31.8.1906 [vgl. Tb] in eine Wohnung in der Kurfürstenstraße 125 (3. Stock). in diesem Sommer bin ich stark aufs d/t/rockneim Erstdruck: Trockne. geraten. Ob nun unter solchen Umständen ein Vorabdruck„Musik. Sittengemälde in vier Bildern“ erschien zuerst in vier Folgen vom 26.6.1907 bis 19.7.1907 in der Zeitschrift „Morgen“ als Vorabdruck [vgl. KSA 6, S. 715]. Karl Kraus hatte gegen einen der Herausgeber des „Morgen“ (Georg Brandes) zwar Vorbehalte, aber er „förderte die Publikation indirekt“ [Nottscheid 2008, S. 184] durch eine „Tauschannonce [...]. Der Verlag des ‚Morgen‘ [...] schlug dem Verlag der ‚Fackel‘ einen Austausch ihrer Anzeigen vor. Eine Revue, in der das neueste Drama Frank Wedekinds erscheinen sollte, schien mir einer Anzeige in der ‚Fackel‘ nicht unwürdig und der Schaden, den ich der Literatur durch die Empfehlung eines Blattes, auf dem der Name Brandes steht, zufüge, reichlich wettgemacht durch den Nutzen, der für die Literatur durch die Empfehlung der ‚Fackel‘ in einer reichsdeutschen Revue, die in einer Auflage von 100.000 Exemplaren gedruckt werden sollte, zu erwarten war.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 232-233, 16.10.1907, S. 35f.] praktisch wäre, ist sehr die Frage. Auszüge aus dem ganzen aber würden wenig Interesse haben und ein falsches Bild geben, da schlechterdings das besteim Erstdruck: Beste. an dem Stück der Stoff ist.

Vor einigen Tagen sprach ich mit HardenWedekind sprach Maximilian Harden zuletzt am 14.10.1906: „Nachmittag bei Harden.“ [Tb] über den Plan, | den Sie mir bei unserem letzten ZusammenseinWedekind war mit Karl Kraus, der im Sommer Berlin besucht hatte, dem Tagebuch zufolge fast täglich zusammen – am 15.6.1906 („Dann kommen Kraus und Irma Karschewska“), 16.6.1906 („Am Nachmittag sind Kraus und Irma Karschewska bei uns“), 17.6.1906 („Abends mit Kraus und Albert Heine bei Kowalk“), 18.6.1906 („Steinert in Charlottenburg [...]. Um Mitternacht kommen noch Kraus und Irma Karschewska“), 20.6.1906 („Vormittags mit Kraus und Irma Karschefska bei Barnowski [...] Abends mit Kraus und Hollitscher bei Friedrich“), 22.6.1906 („mit Kraus Hollitscher und Sulzberger zu Treppchen“) und 23.6.1906 („Nachts mit Kraus im Café Bauer“). aussprachen, nach Berlin zu kommenEinen Hinweis auf Überlegungen von Karl Kraus, von Wien nach Berlin zu gehen, gibt Erich Mühsams Brief vom 28.11.1906 an Karl Kraus, der sich auf eine Postkarte von Karl Hauer bezieht: „Diesen Brief schreibe ich [...] vor allem, um mich zu erkundigen, was Hauers Bemerkung auf der Postkarte [...] bedeutet, Sie und er würden nach Neujahr nach Berlin übersiedeln. [...] Lieber K. K., wenn ich Ihnen einen freundschaftlichen Rat geben darf, überlegen Sie sich die Sache [...]. Ich habe [...] Bedenken“ [Jungblut 1984, S. 86f.]. Karl Kraus bestritt in einer Anmerkung zum Erstdruck des vorliegenden Briefes eine „Absicht, nach Berlin zu übersiedeln“ [Kraus 1920, S. 125]., und Harden erzählte mir, daß Sie ihm früher schon diese Absicht geäußert hätten. Wie steht es nun damit? Der Ausgang des HenryprozessesNach dem ersten Prozess am 25.5.1906 in der Nachtlicht-Affäre [vgl. Nottscheid 2008, S. 267-271], in die Wedekind durch eine Parteinahme für Karl Kraus in einem offenen Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.5.1906] am Rande involviert war, waren Marc Henry (verurteilt zu einer Arreststrafe von einem Monat) und Marya Delvard (verurteilt zu 300 Kronen Geldstrafe) in Revision gegangen. Im Revisionsprozess am 7.9.1906 wurde die Arreststrafe in eine Geldstrafe von 600 Kronen umgewandelt, die 300 Kronen Geldstrafe auf 150 Kronen reduziert, worüber Wedekind durch einen Artikel in der ihm vorliegenden „Fackel“ [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 13.10.1906] informiert war [vgl. Alkoholiker. In: Die Fackel, Jg. 8, Nr. 208, 4.10.1906, S. 6-9, 29-32]. bestätigte mir nur die Wahrheit Wer PechBibelzitat (alttestamentarisch): „Wer Pech angreift, besudelt sich“ (aus dem apokryphen Buch Jesus Sirach, 13,1). anfäßtim Erstdruck: anfühlt. besudelt sich. Und das Cabaret ist doch nun einmal das in Musik gesetzte Pech. Ich habe vier Jahre langWedekind hatte in den Jahren 1901 bis 1904 überwiegend durch Kabarettauftritte seinen Lebensunterhalt verdient – von 1901 bis 1903 als Mitglied der Elf Scharfrichter, dann mit Unterbrechungen 1904 und auch noch 1905 durch Gastauftritte bei den Sieben Tantenmördern und im Münchner Künstlerkabarett Intimes Theater. davon gelebt und danke Gott | daßim Erstdruck: Gott, daß. ich es los bin; aber in Wien scheint es jetzt doch fast das interessantesteim Erstdruck: Interessanteste. zu sein. Ich glaube sicher, daß Sie hier in Berlin mehr Dank von Ihrer Arbeit hätten, wenn auch natürlich das Leben weniger erfreulich ist. Mit sehr schmerzlichem Empfinden sehe ich meinen lieben Freund Weinhöppel diesen Herbst wieder zum Cabaret zurückkehrenHans Richard Weinhöppel war unter seinem Scharfrichternamen Hannes Ruch als musikalischem Leiter des am 5.1.1906 in Wien eröffneten Künstlerkabaretts Nachtlicht engagiert gewesen (Direktor: Marc Henry), das im Zusammenhang der Nachtlicht-Affäre mitsamt Prozess (siehe oben) zwischenzeitlich geschlossen war, dann aber wiedereröffnet wurde. Die Presse hatte zunächst den 15.9.1906 als Eröffnungsabend sowie die erneute Mitwirkung Weinhöppels angekündigt: „Am 15. d. wird das ‚Cabaret Nachtlicht‘ seinen ersten Abend in dieser Saison vor der Wiener Presse und einigen eingeladenen Gästen veranstalten. Während der Sommermonate wurde der Saal vollständig umgebaut [...]. Das unter der Bühne versenkte Orchester wird dem musikalischen Leiter Hannes Ruch Gelegenheit bieten, originelle Wirkungen zu erzielen.“ [„Cabaret Nachtlicht.“ In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8539, 10.9.1906, S. 3] Die Wiedereröffnung fand dann am 18.9.1906 statt und Peter Altenberg bemerkte: „Vor allem möchte ich gleich Gelegenheit nehmen, dem unvergleichlichen Liederkomponisten Hannes Ruch, Professor am Konservatorium in Köln, meine Begeisterung auszusprechen.“ [Peter Altenberg: Eröffnung des Cabaret „Nachtlicht“. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8548, 20.9.1906, S. 2] und wieder zu diesem ekelhaften GaunerpaarMarc Henry und Marya Delvard, die das im Frühjahr geschlossene Kabarett Nachtlicht am 18.9.1906 wiedereröffnet hatten (siehe oben)., von dem niemand mehr Undank | geerntet hat, als er selber. Offenbar war ihm in CölnDie Presse hatte für das Kölner Konservatorium der Musik allerdings bereits im Frühjahr gemeldet: „Herr Richard Weinhöppel ist soeben zum Nachfolger des verstorbenen Paul Haase als Gesanglehrer des hiesigen Konservatoriums ernannt worden. Herr Weinhöppel, der gegen 40 Jahre alt ist, hat seine Gesangsstudien in Italien, Deutschland und Frankreich gemacht und war bisher zehn Jahre in München, zwei Jahre in Italien, zuletzt am Sternschen Konservatorium in Berlin als Gesangspädagoge tätig. Er beherrscht auch im Gesange neben dem Deutschen das Italienische, Französische und Englische und wird neben dem Gesange auch Mimik und Aesthetik der Gebärden an der hiesigen Musikanstalt lehren.“ [Kölnische Zeitung, Nr. 155, 12.2.1906, Mittags-Ausgabe, S. (2)] Und im Winter hieß es, er habe die Professur bereits am 1.4.1906 angetreten: „Am 1. April 1906 trat Herr Hans Richard Weinhöppel aus Berlin in das Lehrer-Kollegium als Nachfolger Paul Haases ein.“ [Kölnische Zeitung, Nr. 1355, 19.12.1906, 2. Morgen-Ausgabe, S. (2)] das Glück nicht günstig.

Meine Büchse ist von der Censurim Erstdruck: Zensur. verbotendie am Deutschen Theater (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin vorbereitete Aufführung der Tragödie „Die Büchse der Pandora“, welche „die Berliner Zensurbehörde schließlich untersagte“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 50]. Felix Hollaender, Dramaturg am Deutschen Theater, hat Wedekind am 26.9.1906 über die Entscheidung von Curt von Glasenapp, Leiter der Theater- und Zensurabteilung im Berliner Polizeipräsidium, informiert: „Holländer theilt mir mit daß Glasenapp nur drei Aufführungen gestatten will“ [Tb], was den Aufwand einer Inszenierung für Max Reinhardt nicht lohnte.. Vielleicht kommt es noch zu einer Matinée. Jetzt soll Frühlings Erwachen gespielt werdenWedekind kündigt die anstehende Uraufführung von „Frühlings Erwachen“ (1891) an den Kammerspielen des Deutschen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin an (sie fand am 20.11.1906 statt). Er notierte am 24.10.1906: „Frühlings Erwachen wird frei gegeben.“ [Tb] Die Vorbereitungen liefen seit Wochen, nachdem Felix Hollaender, Dramaturg am Deutschen Theater, ihm am 28.9.1906 mitgeteilt hatte, dass „man Frühlings Erw. spielen will.“ [Tb].

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns hier wiederfänden. Ich glaube nicht nur daßim Erstdruck: nur, daß. Sie hier besseres Arbeitsmaterial sondernim Erstdruck: Arbeitsmaterial, sondern. auch bessere Freunde | fänden als in Wien. Hier stünden Sie auch wolim Erstdruck: wohl. dem Theatergenau genommen das Deutschen Theater unter der Direktion von Max Reinhardt, an dem angesichts gleichzeitiger erfolgreicher „Erdgeist“-Aufführungen zunächst eine Inszenierung der „Büchse der Pandora“ in Aussicht genommen worden war und nun „Frühlings Erwachen“ vorbereitet wurde. Karl Kraus meinte in einer Anmerkung zum Erstdruck des vorliegenden Briefs, das „Theatermotiv“ sei „wohl in einem Dialog berührt worden, aber als Wedekindscher Monolog. Er hatte es als verlockend hingestellt, ‚Regisseur bei Reinhardt‘ zu werden, und weil er glaubte, daß ich es könnte, glaubte er auch, daß ich es wollte. Nie ist mir etwas ferner gelegen“ [Kraus 1920, S. 125]. viel näher, weil mehr Platz und mehr Bedürfnis vorhanden ist. Das Beispiel Hermann BahrsHermann Bahr aus Wien, „eines der ältesten Ziele von Kraus’ Polemik“ [Nottscheid 2008, S. 186], war seinerzeit als Regisseur bei Max Reinhardt am Deutschen Theater in Berlin engagiert. ist doch wolim Erstdruck: wohl. der beste Beweis dafür. Was meinen Sie dazu?

Meine liebe Tilly sendet Ihnen die herzlichsten Grüße. | Auf baldiges Wiedersehn
Ihr
Frank Wedekind.


Kurfürstenstraße 125.

18.10.6.

Karl Kraus schrieb am 21. Oktober 1906 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

VERLAGDIE FACKEL
HERAUSGEBER KARL KRAUS

WIEN, IV. SCHWINDGASSE 3.


Wien, 21. Oktober 1906


Lieber, verehrtermöglicherweise Schreibversehen, statt: verehrter Herr Wedekind., schönsten Dank für den Briefvgl. Wedekind an Karl Kraus, 18.10.1906. und die interessante BildkarteDie Bildpostkarte zeigt eine Fotografie des Ehepaars Frank und Tilly Wedekind [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 10.10.1906].. Glauben Sie nicht, daß der Überdruß an den Wiener Verhältnissen produktiv macht und die bessere Zufriedenheit mit dem Berliner Leben unproduktiv? Ich fürchte, daß dies der Fall sein könnte und widerstehe darum immer wieder der Berliner Lockung, die in Ihrem Munde freilich besonders liebenswürdig klingt. Ich weiß, daß ich eines Tages übersiedeln werde, – wenn ich muß. Wenn der Ekel alle Möglichkeit seiner Verarbeitung übersteigen wird. Ob ich aber dann überhaupt noch schreiben werde, weiß ich nicht. Ich gienge am liebsten nach Kopenhagen, ins Land des NervenfriedensDänemark. Karl Kraus hatte seinen Sommerurlaub 1906 auf der dänischen Insel Fanø verbracht.. Berlin scheint mir für eine literarische Thätigkeit wie es die meine ist, nicht der geeignete Boden. Schon deshalb, weil ich dort nicht ein Zehntel von dem sagen dürfte, was ich hier sagen kann. Denn die hiesige Verkommenheit hat doch den Vorzug, daß auch ihre Controlle verkommen ist. In Preußen spielt man noch Staat und wer dort gegen den Staat ist, ist Anarchist. Wer hier gegen den Staat ist, ist schlimmstenfalls ein Preuße. |

Ihr Lockbrief hat ähnlich auf mich gewirkt, wie der ältere Brief eines LesersDer Brief des „Fackel“-Lesers (nicht identifiziert) liegt dem Brief nicht mehr bei. Wedekind hat ihn per Einschreiben wieder zurückgeschickt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 23.10.1906]., den ich zufällig gefunden habe und der die Gründe des geistigen Jammers, in dem wir hier leben, in einer für mich allzu schmeichelhaften Weise zusammenfaßt. Bitte lesen sie ihn, wenn Sie sich über die Stimmung eines Theils der „Fackel“-Leser unterrichten wollen, von deren stiller Sympathie ich leider weniger Muth empfange als Entmuthigung durch von den geräuschvollen Niederträchtigkeiten, denen ich hierzuland ausgesetzt bin. Ich bitte Sie sehr, mein lieber Herr Wedekind, mir diesen Brief bald gefälligst bald zurückzusenden.

Großen Wert lege ich auf Ihr Urtheil über die Nr 208 und 209die „Fackel“-Hefte Nr. 208 vom 4.10.1906 und Nr. 209 vom 20.10.1906. der „Fackel“, die ich ganz und gar allein geschrieben habe. In Nr.209 habe ich unter den „Antworten“in der „Fackel“-Rubrik „Antworten des Herausgebers.“ Hier hat Karl Kraus die Glosse „Liberaler“ veröffentlicht, in der es heißt: „Die Aufführung von Wedekinds ‚Totentanz‘, die ich – [...] im Bürgertheater – veranstalten wollte, hat die Statthaltereizensur verboten. Natürlich, weil Unmündige hineingehen könnten, die verdorben würden. Ein erprobtes Motiv behördlicher Dummheit.“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 209, 20.10.1906, S. 15-17, hier S. 16] („Liberaler“) von der/m/ Censuraction Verbot des „Totentanz“ Notiz genommen. Ich mache Sie besonders auf den Artikel „CarusoKarl Kraus stellte in seinem Artikel über das erfolgreiche Gastspiel des berühmten italienischen Tenors Enrico Caruso in Wien Sexualität und Geld als wesentlich heraus: „Die Caruso-Sensation präsentierte die Wiener Menschheit auf der tiefsten Kulturstufe. [...] Die sexuelle Anziehung, die von Individuen ausgeht, deren gut gebauter Kehlkopf das hervorstechende Merkmal ihrer Männlichkeit bildet [...]. Aber lassen wir die Menschen selbst zusehen, wie sie mit ihren Trieben fertig werden: uns obliegt bloß die Feststellung, daß ein ehrlicher Trieb die Ausrede der ‚Kunstbegeisterung‘ nicht braucht. Mag der Tenorist die weiblichen Erwartungen bis zum hohen C spannen, um gegebenen Falls zu beweisen, daß das hohe C ein Anfangsbuchstabe ist, dem keine Fortsetzung folgt – er dient seinem Zweck. Und er tut recht, auf hohe Preise zu halten. [...] Der Besitz eines hypertrophischen Kehlkopfs mag meinetwegen kein Defekt, sondern ein Verdienst sein. [...] es ist nicht notwendig, daß eine ganze Stadt rebellisch gemacht wird, weil ein italienischer Sänger die Gnade hat, uns zu versichern, daß Frauenherzen o wie so trügerisch sind. [...] Festgestellt ist, daß man durch die Ansetzung von Irrsinnspreisen die Gier des Wiener Luxuspöbels dermaßen aufgepeitscht hat, daß der inoffizielle Kartenhandel zu einer noch nicht dagewesenen Einnahmsquelle erwuchs. [...] Ein Tenorist hat unsere Stadt erobert, nicht weil er ein guter, nicht einmal weil er ein berühmter, bloß, weil er ein teurer Tenorist ist.“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 209, 20.10.1906, S. 12-15] (über das Wesen und Wirkung der Tenorstimme und über das Wesen ihres G+++++i++++eunleserlich getilgtes Wort.) aufmerksam. Er wird Ihnen die Erinnerung an Berliner GesprächeKarl Kraus war im Sommer zu Besuch in Berlin, wo Wedekind ihn dem Tagebuch zufolge fast täglich sah – am 15.6.1906 („Dann kommen Kraus und Irma Karschewska“), 16.6.1906 („Am Nachmittag [...] Kraus [...] bei uns“), 17.6.1906 („Abends mit Kraus“), 18.6.1906 („Kraus“), 20.6.1906 („Vormittags mit Kraus [...] bei Barnowski [...] Abends mit Kraus [...] bei Friedrich“), 22.6.1906 („mit Kraus [...] zu Treppchen“) und 23.6.1906 („Nachts mit Kraus im Café Bauer“). über Wiener Erlebnisse wecken. Viel hätte ich Ihnen zu diesem Thema zu sagen, was sich nicht schreiben lässt ... |

Über den „Totentanzschreiben Sie nichts Näheresim oben genannten Brief vom 18.10.1906, in dem Wedekind sich zu den Bemühungen von Karl Kraus um eine Wiener Inszenierung von „Totentanz“ nicht geäußert hat.. Sie haben jetzt wohl weder Zeit noch Stimmung zur Wiener Aufführung? Aber wäre es nicht für alle Fälle gut, das Stück vor der Censur zu retten? Es braucht bloß irgendeine Stelle geändert zu werden, damit wir die formelle Möglichkeit neuerlicher Einreichung gewinnen.

Wenn’s nur möglich, komme ich zur PremiereKarl Kraus kam zwar nicht zur Uraufführung von „Frühlings Erwachen“ am 20.11.1906 an den Kammerspielen des Deutschen Theaters nach Berlin, besuchte aber die fünfte Vorstellung, wie Wedekind am 27.11.1906 notierte: „Am Vormittag kommt Karl Kraus. Fr. Erw. 5 Nachher mit Kraus bei Treppchen“ [Tb]. von „Frühlings Erwachen“ nach Berlin.

Irgendwo möchte ich irgendwas spielen oder inscenieren.

Bitte lesen die beiliegende Reklamenotiznicht überliefert. Die Reklame des am 18.9.1906 nach der zwischenzeitlichen Schließung infolge der Nachtlicht-Affäre (siehe Wedekinds Korrespondenz mit Karl Kraus ab dem 5.5.1906) in Wien wiedereröffneten Künstlerkabaretts Nachtlicht dürfte mit Wedekinds Namen geworben haben.. Ich fühle Ihre Abneigung, sich mit der Bande weiter abzugeben. Aber durch einen einfachen Advokatenbrief ließe sich doch dem Mißbrauch Ihres Namens ein Riegel vorschieben. Zum Schluß noch eine Bitte. Ich hörte, daß die Neuausgabedie nach den Zensurprozessen stark veränderte Neuausgabe „Die Büchse der Pandora. Neu bearbeitet und mit einem Vorwort versehen. Drittes bis sechstes Tausend“ [KSA 3/II, S. 865] 1906 im Verlag Bruno Cassirer, die neben den Gerichtsurteilen aus allen drei Instanzen anstelle des Personenverzeichnisses ein Faksimile des Theaterzettels der Wiener Premiere vom 29.5.1905 enthält, der seinerzeit auch in der „Fackel“ faksimiliert war [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15]. Wedekind widmete Karl Kraus ein Exemplar und schickte es ihm zu Weihnachten [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 22.12.1906]. der „Büchse“ erschienen ist, konnte sie aber in vier Buchhandlungen nicht bekommen. Wollen Sie mir mit einem Exemplar eine Freude bereiten? Ich grüße Ihre liebe verehrte Frau herzlichst und Sie selbst.

Ganz Ihr
Karl Kraus
aufrichtig ergeb.


Ich bin wieder so dünn wie auf dem beiliegenden Bildenicht überliefert. Karl Kraus, der auf der verschollenen Fotografie schlank ausgesehen haben dürfte, schrieb am 16.1.1907 an Berthe Marie Denk: „Sommerpläne? Wahrscheinlich wieder die Nordsee. Dort bin ich plötzlich dünn geworden. Und seither noch dünner, weil ich fleißig einer Thätigkeit obliege, die mit f. beginnt, nämlich dem Fechten. [...] Alle Leute quälen mich mit der bangen Frage, ob ich denn schwer krank sei. Dabei fühle ich mich ungleich wohler als in den drei Jahren, da mir die – meinem Wesen eben gar nicht organische – Dicke anhaftete.“ [Nottscheid 2008, S. 188; Original: DLA].

Frank Wedekind schrieb am 23. Oktober 1906 in Berlin folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus,

ich danke Ihnen sehr für das ausgezeichnete Bild und Ihre freundlichen Zeilenvgl. Karl Kraus an Wedekind, 21.10.1906. Das dem Brief beigelegte Foto ist nicht überliefert.. Ich habe heute eine große Bitte an Sie von der ich Ihnen schon einmal sprach. Es handelt sich um ein Tagebuchdie Tagebücher Nr. 5 und Nr. 6 (verfasst zwischen 24.5.1889 und 22.10.1890), drei Hefte, die nur noch als Typoskripte erhalten sind [vgl. Vinçon 1989, S. 448]. Wedekind hatte diese Tagebücher, außerdem Gedichtmanuskripte und andere Aufzeichnungen (siehe unten), als er am 30.10.1898 nach Zürich floh, um der Verhaftung wegen Majestätsbeleidigung in der „Simplicissimus“-Affäre zu entgehen, in München zurückgelassen [vgl. Wedekind an Ernst Rowohlt, 31.10.1910], wo Frida Strindberg sie in ihre Obhut nahm oder – wie Wedekind am 27.12.1910 erklärte – „sie sich angeeignet hatte“ [KSA 5/I, S. 1020]. Sie hat sie ihm seinerzeit jedenfalls nicht wie andere Unterlagen und Manuskripte nach Zürich nachgesandt. oder Notizbuch, vielleicht auch andere Aufzeichnungenein Schulheft mit 20 Gedichten und einem Register aus den Jahren 1877 bis 1881, als Manuskript erhalten sowie als Typoskript überliefert [vgl. Vinçon 1989, S. 447f.], der Prosaentwurf „Eden“ (eine Vorstudie zu „Mine-Haha“, entstanden zwischen 22.4.1890 und 11.9.1892) [vgl. KSA 5/I, S. 886-914, 1024-1028], nur noch als Typoskript überliefert [vgl. KSA 5/I, S. 886-914, 1024-1028]; es handelt sich um ein „Exposé zu einem erzählerischen Werk“ [KSA 5/I, S. 1024], das wie das Romanfragment „Mine-Haha“ (zu dem es Wedekind zufolge „Notizen“ oder „Aufzeichnungen“ [KSA 5/I, S. 1020] waren) in inhaltlichem Zusammenhang mit dem Projekt „Die große Liebe“ (siehe unten) steht und Wedekind „erst 1910 wieder zur Verfügung“ [KSA 5/I, S. 1133] stand., die sich noch in den Händen von Frau Frida Uhl befinden. Ich selber weiß ihre Adresse nicht, sonst würde ich ihr vielleicht„vielleicht“ bis „beunruhigt würde“ fehlt im Erstdruck. schreiben, vielleicht auch nicht, da die Gefahr | nahe liegt, daß meine Tilly durch die Verhandlungen beunruhigt würde. Ich habe nun keineswegs die Absicht, Frida Strindberg diese Schriftstücke abzujagen. Wenn sie w/W/erth darauf legt, mag sie sie behalten, nur möchte ich gerne Abschriften davon haben, die ich gerne auf meine Kosten herstellen lassen würde. Ich wälze nämlich eben einen dramatischen Plandas umfangreich in Entwürfen überlieferte Projekt „Die große Liebe“ [KSA 5/I, S. 917-1012], unvollendet gebliebene fragmentarische Ausarbeitungen eines etwa im Herbst 1903 gefassten Plans einer kulturgeschichtlich weit ausgreifenden Gesellschafts- und Sexualutopie, den Wedekind mit Konzeptideen, Lektürelisten, Gedankensplittern, Gliederungsentwürfen und Bemerkungen zu Figuren, Ort, Handlung sowie thematischen Skizzen nach Abschluss seines Dramas „Musik“ am 9.10.1906 wieder aufnahm [vgl. KSA 5/I, S. 1132-1139]. Lektüren dazu sind ab dem 22.10.1906 nachweisbar [vgl. KSA 5/I, S. 1138f.]. Zunächst als Roman geplant, überlegte Wedekind nun, „sein Thema in Gestalt eines Dramas zu realisieren“, wobei aber im Verlauf der weiteren Arbeit daran „offenblieb, was aus dem Projekt werden sollte: Drama oder Erzählung.“ [KSA 5/I, S. 1134] Im Konvolut „Die große Liebe“ findet sich auch ein Gedicht „7 Worte“, das Wedekind dann in ein selbstständiges Gedicht umgearbeitet unter dem Titel „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ am 10.6.1907 in der „Fackel“ veröffentlichte [vgl. KSA 5/I, S. 1141]. im Kopf herum, dessen Ausführung sehr lange Zeit in Anspruch nehmen würde, zu dem ich aber gerade die erwähnten Aufzeichnungen brauche.

Ich bitte Sie daher vorläufig nur, mir wenn möglich, Fridasim Erstdruck: die. | Adresse zu schreiben. Sollten Sie dabei über meine Schriftstücke etwas erfahren können, so wäre ich Ihnen sehr dankbar. Es ist wohl möglich daß Frida Strindberg Ihre Vermittlung als kränkend empfindet. Ich w/ü/e/rde aber natürlich sofort schreiben, sobald ich orientiert wäre.

Den interessanten BriefKarl Kraus hatte Wedekind den Brief eines „Fackel“-Lesers geschickt [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 21.10.1906]., den ich mit Freude gelesen schicke ich Ihnen hiemit eingeschrieben zurück. Ein Exemplar PandoraWedekind sandte Karl Kraus erst zu Weihnachten ein ihm gewidmetes Exemplar [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 22.12.1906] der 1906 von Bruno Cassirer in Berlin verlegten Neuausgabe der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ [vgl. KSA 3/II, S. 864f.], die außer den Gerichtsurteilen aus allen drei Instanzen anstelle des Personenverzeichnisses ein Faksimile des Theaterzettels der Wiener Premiere vom 29.5.1905 enthält, der seinerzeit auch in der „Fackel“ faksimiliert war [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15]. erhalten Sie morgen oder übermorgenWedekind hat weder am 24. noch am 25.10.1906 ein Treffen mit Bruno Cassirer notiert, dem Verleger seiner Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (siehe oben); erst am 26.10.1906 hielt er zu der Neuausgabe fest: „Von Cassirer à Conto für 2. Aufl. B. Pandora M. 200.“ [Tb], sobald ich bei meinem Verleger vorgesprochen. In der Cabaretge|schichteKarl Kraus hatte Wedekind eine Reklame des Künstlerkabaretts Nachtlicht geschickt [vgl. Karl Kraus an Frank Wedekind, 21.10.1906], die vermutlich unautorisiert mit Wedekinds Namen warb (sie ist nicht überliefert). möchte ich nichts vornehmen bevor die hiesige Censur ihre Entscheidungüber die Freigabe von „Frühlings Erwachen“ für die geplante Uraufführung an den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin (sie fand am 20.11.1906 statt) durch die Zensur, was am nächsten Tag der Fall war. Wedekind notierte am 24.10.1906: „Frühlings Erwachen wird frei gegeben.“ [Tb] gesprochen

Also auf baldiges Wiedersehen mit herzlichen Grüßen
Ihr
Frank Wedekind.


23.X.6Wedekind hat am 23.10.1906 im Tagebuch ein „F“ notiert, das für ‚Fackel‘ stehen könnte, mithin für den Herausgeber der „Fackel“, Karl Kraus, vielleicht aber auch für ‚Frida‘, für Frida Strindberg, in deren Händen er seine vermissten Tagebücher und Manuskripte glaubte (siehe oben)..

Karl Kraus schrieb am 26. Oktober 1906 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

VERLAGDIE FACKEL
HERAUSGEBER KARL KRAUS

WIEN, IV. SCHWINDGASSE 3.


Wien, 26. Oktober 1906


Lieber und verehrter Herr Wedekind,

für Ihren lieben Briefvgl. Wedekind an Karl Kraus, 23.10.1906. sage ich Ihnen schönsten Dank. Ich habe die Adresse der Frau F. St., die ich wohl schon seit einem Jahr nicht gesehen habe, ermittelt: Wien III. Reisnerstraße 41. Bitte, sagen sie mir, was ich thun soll. Mit Vergnügen stehe ich Ihnen in dieser Sachedie in Wedekinds Brief vom 23.10.1906 beschriebene Angelegenheit seiner vermissten Tagebücher und Manuskripte. zu Diensten, wenn Sie glauben, daß meine Intervention erfolgreich sein könnte. Wollen Sie selbst schreiben oder soll ich nächstens hingehen und ganz direkt Ihren Wunsch überbringen. Vielleicht wäre es am besten, wenn ich – durch eine gemeinsame Bekannte – gelegentlich einer (wie zufälliges) Zusammentreffen herbeiführte und bloß sondierte? Dies natürlich nur, wenn Ihnen die Sache nicht allzu sehr eilt. Die Dame steckt voll von Mißtrauen und ich höre gelegentlich, daß sie sich | immer wieder – bei Bekannten – nach Ihnen erkundigt. Zuletzt hat sie mich in der Angelegenheit eines talentlosen Romandichtersnicht identifiziert., den sie protegierte, zum Telephon gerufen.

Ich habe damals – in der Hast der Druckereiarbeit – ziemlich unverhohlen meine Abneigung gegen eine Conferenz‚conférence‘ (frz.) = Besprechung, Unterhaltung. zum Ausdruck gebracht. Dies hindert natürlich nicht, daß ich in Ihrer Sache jeden von Ihnen gewünschten Schritt thue. Ich bitte Sie nur, mir zu sagen, wie, in welcher Form ich vorgehen soll. Um Sie über die Stimmung der Dame zu unterrichten, will ich Ihnen nur mittheilen, daß sie auf die ZeitungsnotizDie Presse hatte gemeldet: „Die Direktion des Bürgertheaters hat Frank Wedekinds drei Szenen ‚Totentanz‘ der Zensurbehörde überreicht. Eine öffentliche Aufführung des interessanten Werkes wird Ende Mai, eventuell anfangs Juni im Bürgertheater stattfinden. Die vom Dichter selbst vorgeschlagene Besetzung ist folgende: Don Marquis Casti Piani – Frank Wedekind, Fräulein Elfriede v. Malchus – Adele Sandrock, Herr König – Karl Kraus, Lisiska – Tilly Wedekind.“ [Illustrierte Kronen-Zeitung, Jg. 7, Nr. 2281, 8.5.1906, S. 11] hier, der „Totentanz“ werde unter Ihrer persönlichen Mitwirkung in Wien aufgeführt werden, mit dem Ansinnen an mich herantreten wollte, die Aufführung zu verhindern. Eine gemeinsame Bekanntenicht identifiziert. hat ihr damals – im Frühjahr – abgerathen, mir mit dieser grotesken Zumuthung zu kommen. – |

Sie schreiben zum Schluß Ihres Briefs:Es folgt ein Zitat aus Wedekinds Brief vom 23.10.1906. „In der CabaretgeschichteWedekind meinte die Reklame des Künstlerkabaretts Nachtlicht, die Karl Kraus ihm geschickt hatte. möchte ich nichts vornehmen, bevor die hiesige Censur ihre Entscheidung gesprochen“. Statt „Cabaretgeschichte“ haben Sie wohl „Totentanz“ schreib sagen wollen?

Ihrer freundlichen Antwort sehe ich entgegen.

Wollen Sie bitte Ihrer lieben verehrten Frau meine schönste Empfehlung bestellen!

Allerherzlichst
stets Ihr
Karl Kraus

Karl Kraus schrieb am 13. November 1906 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 23.11.1906 aus Berlin:]


Besten Dank für den Prozeß Riel.

Frank Wedekind schrieb am 23. November 1906 in Berlin folgende Postkarte
an Karl Kraus

Postkarte


An Herrn Karl Kraus
in Wien IV.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


Lieber Herr Kraus!

Besten DankHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur genannten Sendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 13.11.1906. – Karl Kraus hat Wedekind entweder das „Fackel“-Heft geschickt, das seinen das ganze Heft füllenden Aufsatz „Der Prozeß Riehl“ enthält [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 211, 13.11.1906, S. 1-28], oder aber „den broschierten Sonderdruck“ [Nottscheid 2008, S. 191], der vier Wochen später als „vorläufig vergriffen“ [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 214-215, 22.12.1906, S. (54)] angezeigt ist. Der Aufsatz bezieht sich auf den fünftägigen Skandalprozess gegen die Wiener Bordellbetreiberin Regine Riehl vom 2. bis 6.11.1906 wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung, Kuppelei und Mädchenhandel am Strafgericht Wien (das Urteil – 3½ Jahre Zuchthaus – wurde am 7.11.1906 verkündet) und die öffentliche Resonanz auf diesen Prozess, der auch Korruption auf Seiten der Polizei offenlegte und bürgerliche Doppelmoral erkennen ließ, was für Karl Kraus der Dreh- und Angelpunkt seiner Ausführungen war. Berthe Marie Denk schrieb er in einem undatierten Briefragment: „Der ‚Process Riehl‘, der deinen Beifall hat, hat hier das stärkste Aufsehen erregt seit der Gründung jenes Blättchens, das mich zum Sclaven meiner Freiheit gemacht hat.“ [Nottscheid 2008, S. 191; Original: DLA] für den Prozeß RielSchreibversehen, statt: Riehl. – So im Erstdruck korrigiert.. Ich habe ihn noch nicht gelesen, weil ich augenblicklich für eine ArbeitWedekind arbeitete am Projekt „Die große Liebe“, dessen Plan er bereits erwähnt hatte [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 23.10.1906]. sehr viel zu lesen habe. Zu diesem sehr vielenWedekinds in der Tat außerordentlich umfangreiche und kulturgeschichtlich weit ausgreifende Lektüren zu seinem Projekt „Die große Liebe“ [vgl. KSA 5/I, S. 1148-1237], zu dem in den Notizbüchern „Bücherlisten“ und „Notizen zur Literaturrecherche“ [KSA 5/I, S. 1138] überliefert sind. gehört aber in erster Linie auch dieser Prozeß, so daß ich sehr bald dazu kommen werde. Fr. Erw. wurde schweigend hingenommendie Uraufführung von „Frühlings Erwachen“ (1891) an den Kammerspielen des Deutschen Theaters (Direktion: Max Reinhardt) in Berlin am 20.11.1906, an dem Wedekind notierte: „Premiere von Frühlings Erwachen. Es rührt sich keine Hand.“ [Tb] Hermann Bahr notierte dazu am 21.11.1906: „Die Première war recht zuwider, weil dieses Publicum der geschlossenen Abonnementsvorstellungen zu trottelhaft ist. Es glaubt, weil es zwanzig Mark gezalt und sich wie zu einer Leiche angezogen hat, es sich nun schuldig zu sein, daß es weder lacht noch weint noch klatscht noch zischt noch irgend etwas empfindet, sondern regungslos, lautlos, gedankenlos sitzt es da, während der Akte und nach den Akten gleich stumpf und stumm, und scheint nichts zu empfinden als: Ich habe zwanzig Mark gezalt! Du kannst Dir die Nervosität des Autors und der Schauspieler denken, wenn am Ende der mit solcher Arbeit vorbereiteten Première kein Mensch weiß, ob sie nun durchgefallen sind oder einen großen Erfolg haben – was sie erst zwei Tage später, in der zweiten, für die Presse veranstalteten Vorstellung erfahren. – Ich sagte: Merkwürdige Idee von Reinhardt, sich die feinsten Stücke auszusuchen, diese mit den besten Schaupielern einzustudieren, um das Ganze dann dem ausgesucht dümmsten Publicum der ganzen Stadt vorzusetzen!“ [Tb Bahr, Bd. 5, S. 152] Die Inszenierung hatte dann aber einen überwältigenden Erfolg und markiert „den eigentlichen Durchbruch Wedekinds als Bühnenautor“ [KSA 2, S. 920].. Es hat sich buchstäblich nicht eine Hand gerührt.

Wann sehen wir uns wieder?sehr bald, vier Tage nach dem vorliegenden Brief. Karl Kraus kam, um „Frühlings Erwachen“ auf der Bühne zu sehen (er sah die fünfte Vorstellung), am 27.11.1906 nach Berlin, wie Wedekind notierte: „Am Vormittag kommt Karl Kraus. Fr. Erw. 5 Nachher mit Kraus bei Treppchen“ [Tb].

Mit herzlichen Grüßen, auch von Tilly
Ihr
FrWedekind.

Karl Kraus schrieb am 11. Dezember 1906 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 11.-13.12.1906 aus Berlin:]


Eben kommt Ihre Fackel.

Frank Wedekind schrieb am 11. Dezember 1906 - 13. Dezember 1906 in Berlin folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus,

ich hätte Ihnen schon vor einigen Tagen geschrieben wenn ich Zeit für die Sammlung gehabt hätte, die ich dazu gebraucheim Erstdruck: gebrauche (übersehen wurde die Streichung „ge“).. Ich gebe Ihnen gerne zu, daß ein Verhalten wie meines an jenem Abendam 28.11.1906, der zweite Abend des Besuchs von Karl Kraus in Berlin, von Wedekind als „Skandal mit Kraus“ [Tb] charakterisiert. Karl Kraus kam am 27.11.1906 in Berlin an, um „Frühlings Erwachen“ in den Kammerspielen des Deutschen Theater zu sehen; nach der Vorstellung war Wedekind mit ihm allein im Weinhaus Zum Treppchen (Unter den Linden 56): „Am Vormittag kommt Karl Kraus. Fr. Erw. [...] Nachher mit Kraus bei Treppchen“ [Tb]. Der zweite Abend verlief spannungsreich, was Karl Kraus betraf. Frank und Tilly Wedekind haben mit ihm zunächst im Deutschen Theater eine „Erdgeist“-Vorstellung besucht, anschließend war man gemeinsam in der Weinstube Eugen Steinert (Kurfürstendamm 22), mit dabei der Marionettenkünstler Paul Brann (der atmosphärisch keine Rolle gespielt zu haben scheint) und der Sänger Emil Gerhäuser, wobei Karl Kraus offenbar missgestimmt war und gegen später nicht mitging in die Weinstube Steinert und Hansen (Albrechtstraße 24/25). Wedekind notierte am 28.11.1906: „Erdgeist. Nachher mit Tilly Kraus Gerhäuser und Brann bei Steinert. Skandal mit Kraus. Wir andern gehen nachher noch zu Steinert und Hansen.“ [Tb] Karl Kraus kommentierte das Geschehen, insbesondere Wedekinds Verhalten (einschließlich seiner von Kraus aus dem Gedächtnis zitierten Ausdrucksweise), detailliert in der Fußnote zum Erstdruck des vorliegenden Briefs (siehe das Zitat bei den Hinweisen zum Erstdruck), „zugleich seine ausführlichste Äußerung zum ‚Menschen‘ Wedekind“ [Nottscheid 2008, S. 193]. in das Gebiet GesellschaftlicherSchreibversehen, statt: gesellschaftlicher. – So auch im Erstdruck korrigiert. Unmöglichkeiten gehört, es schien mir aber offen und ehrlich das einzige Mittel um zu einer ungezwungenen angeregten Unterhaltung zu gelangen | nachim Erstdruck: gelangen, nach. der ich ein sehr großes Bedürfnis hatte, ein Bedürfnis, das ich mit vollem Recht auch bei Gerhäuser voraussetzte, da wir uns die seltenen Male, die wir uns treffen immerim Erstdruck: treffen, immer. in sehr angeregter ungezwungnerim Erstdruck: ungezwungener. Weise unterhalten. An jenem Abend hatte ich die feste Überzeugung, daß Sie mit voller Absicht darauf ausgingen uns an einer solchen Unterhaltung zu hindern, da ich selber sehr wohl weiß wie man sich verhält, wenn man keine Stimmung und kein allgemeines Gespräch aufkommen lassen will; und da Sie außer|dem trotz meiner Fragen keine Äußerung taten, die einer solchen Absicht wiedersprochenSchreibversehen, statt: widersprochen. – So auch im Erstdruck korrigiert. hätte. Ich kann Ihnen versichern daß ich von Gerhäusers Eintreffen an wie auf Kohlen saß und es giebtim Erstdruck: gibt. doch wohl nichts Höhnischeres in der Welt als ein Vergnügen, welches keines ist. Heute bei ruhigerer Überlegung glaube ich nicht mehr daran, daß Sie eine derartige Absicht hatten, denn was hätte das für einen Zweck gehabt. Aber ebenso wenig hatte ich die Absicht, Sie irgendwiefehlt im Erstdruck. zu beleidigen oder zu kränken.

Soweit hatte ich geschriebenDie vorangehenden Ausführungen wurden am 11.12.1906 verfasst (siehe die Hinweise zur Datierung des Briefbeginns), ab hier ist der Brief am 13.12.1906 weitergeschrieben worden., | lieber Herr Kraus, als meine Tilly mir ein Mädchen schenktePamela Wedekind, das erste Kind von Frank und Tilly Wedekind, wurde am 12.12.1906 morgens in der Berliner Wohnung (Kurfürstenstraße 125) geboren – nach einer von starken Wehen der Mutter geprägten Nacht, die am 11.12.1906 begonnen hatten. Frank Wedekind notierte das Geschehen um die Niederkunft am 11.12.1906 („Um 9 Uhr Abend kommt die Hebamme. [...] Ich bleibe zu Hause“) und 12.12.1906 („Um 6 Uhr weckt mich Tilly durch ihr geschrei [...] um 8 Uhr ist Anna Pamela geboren [...]. Um Mittag tritt die Schwester an. Abends kommt Gerhäuser“) im Tagebuch, Tilly Wedekind schilderte es in ihren Lebenserinnerungen: „Es war der 11. Dezember, als die Wehen begannen. [...] Abends kam die Hebamme. [...] Im Laufe des Abends wurden die Wehen häufiger und heftiger. Ich jammerte und schrie. Frank [...] saß in seinem Arbeitszimmer und schrieb. Ab vier Uhr morgens wurde es arg. Ich schrie. [...] Gegen Morgen steigerten sich die Schmerzen ins Unerträgliche, und um 8 Uhr war das Kind da: eine Tochter.“ [Wedekind 1969, S. 98], dem ich den Namen Anna Pamela gab. Ich habe nur noch zu wiederholen, daß ich Sie an jenem Abend nur deshalb nicht aufforderte in die zweite Weinstube mitzukommen, weil ich nicht gerne auf die Unterhaltung Gerhäusers verzichten wollte, die für mich etwas ungemein Nervenberuhigendes, wohlthuendesim Erstdruck: Wohltuendes. hat. Eben kommt Ihre FackelHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 11.12.1906. – Im übersandten „Fackel“-Heft Nr. 213 vom 11.12.1906 ist Wedekind nicht erwähnt.. Ich werde sie erst lesen, wenn ich diese Zeilen abgeschickt habe. Ich sende Ihnen die herzlichsten Grüße
Ihr
Fr Wedekind.


13.12.6.

Karl Kraus schrieb am 15. Dezember 1906 in Wien folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

wedekind berlin kurfuerstenstr 125=


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin, Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm aus [...] wien [...]


herzlichst begluekwuenschtzur Geburt der Tochter Pamela Wedekind am 12.12.1906, über die Karl Kraus durch einen Brief des Vaters informiert war [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 11.-13.12.1906]. sie u ihre verehrte frau karl kraus

Frank Wedekind schrieb am 22. Dezember 1906 in Berlin folgende Widmung
an Karl Kraus

[1. Hinweis und Zitat von Karl Kraus (Die Fackel, Jg. 27, Nr. 691-696, Juli 1925, S. 44):]


[...] der Buchausgabe von 1906 (Verlag von Bruno Cassirer) [...], von der mir Frank Wedekind im Dezember dieses Jahres ein Exemplar mit den Worten gewidmet hat: „Meinem lieben Freunde Karl Kraus in dankbarer ErinnerungWedekind dokumentierte seine Dankbarkeit für die von Karl Kraus im Vorjahr veranstaltete Wiener Inszenierung seiner Tragödie „Die Büchse der Pandora“ nicht nur durch die in das Exemplar handschriftlich eingetragene persönliche Widmung, sondern auch dadurch, dass in der Neuausgabe 1906 anstelle des Personenverzeichnisses ein Faksimile des Theaterzettels der Wiener Premiere vom 29.5.1905 gedruckt ist [vgl. KSA 3/II, S. 865]; er war seinerzeit auch in der „Fackel“ faksimiliert [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15]. Der Theaterzettel war dann faksimiliert 1913 nochmals in der Ausgabe letzter Hand abgedruckt [vgl. KSA 3/II, S. 868], nun mit einem vorangestellten Dank am Ende des Vorworts versehen: „An Stelle des Personenverzeichnisses möge dem Drama der Theaterzettel der schönen, mir unvergeßlichen Aufführung vorausgehen, die Karl Kraus in Wien veranstaltete. Karl Kraus empfange auch an dieser Stelle nochmals meinen Dank dafür.“ [KSA 3/I, S. 548] an die erfolgreichste Aufführung meines Lebens“.


[2. Hinweis im Telegramm von Karl Kraus an Wedekind vom 24.12.1906 aus Wien:]


[...] dank fuer die pandoraausgabe [...]

Karl Kraus schrieb am 24. Dezember 1906 in Wien folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

wedekind kurfuerstenstr 125
berlin =


Telegraphie des Deutschen Reichs.
Berlin, Haupt-Telegraphenamt.


Telegramm [...] wien [...]


mit freudigem dank fuer die pandoraausgabeKarl Kraus bedankt sich für die Neuausgabe der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ (1906) im Verlag Paul Cassirer [vgl. KSA 3/II, S. 864f.], die er knapp zwei Monate zuvor erbeten hatte [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 21.10.1906] und nun mit einer persönlichen Widmung des Autors versehen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 21.10.1906] als Weihnachtgeschenk erhalten hat. Die Neuausgabe enthält ein Vorwort, die Gerichtsurteile aus allen drei Instanzen der Zensurprozesse um das Drama und anstelle des Personenverzeichnisses ein Faksimile des Theaterzettels der von Karl Kraus veranstalteten Wiener Premiere vom 29.5.1905, der seinerzeit auch in der „Fackel“ faksimiliert war [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.1905, S. 15]. sendet ihnen ihrer verehrten frau und anna pamela schoenste weihnachtsgruesze und neujahrswuensche kraus
herzlichste =“

Frank Wedekind schrieb am 27. März 1907 in Berlin folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

Postkarte – Carte postale
Weltpostverein. – Union postale universelle
Carolina Postale. – Postcard. – Brefkort [...]


Adresse


Herrn Karl Kraus
Wien IV.
Schwindtgasse 3.


Korrespondenz


Lieber Herr Kraus! Voraussichtlich, es ist noch nicht sicher, kommen wir Ende AprilWedekind notierte am 28.3.1907: „Ich verhandle mit Barnowsky wegen Gastspiel in Wien.“ [Tb] Erst danach dürfte klar gewesen sein, wann genau das Ensemblegastspiel des Berliner Kleinen Theaters (Direktion: Victor Barnowsky) am Wiener Bürgertheater beginnen sollte, in dessen Rahmen auch „Hidalla“ gespielt wurde – Premiere war am 27.4.1907 (mit Frank Wedekind als Karl Hetmann und Tilly Wedekind als Fanny Kettler). Frank und Tilly Wedekind brachen am 19.4.1907 abends von Berlin zu dieser Gastspielreise auf, trafen am 20.4.1907 morgens in Wien ein und blieben bis zum 9.5.1907 [vgl. Tb]. Gleich am 20.4.1907 kam es zu einem Wiedersehen mit Karl Kraus: „Ankunft in Wien [...] Besuch bei Kraus.“ [Tb] nach Wien. Ich freue mich sehr, daß wir uns in behaglicherer StimmungDie Stimmung in Berlin war sehr unbehaglich, als man sich dort am Abend des 28.11.1906 zuletzt sah: „Nachher mit Tilly Kraus Gerhäuser und Brann bei Steinert. Skandal mit Kraus. Wir andern gehen nachher noch zu Steinert und Hansen.“ [Tb] Wedekind hat dazu einen Entschuldigungsbrief geschrieben [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 12.-13.12.1906], den Kraus im Erstdruck ausführlich kommentierte., als ich hier in Berlin war, wiedersehen können. Herzlichen Gruß
Ihr

Fr. W. |


Gruß aus dem Weinrestaurant zum TreppchenWedekind und Karl Kraus hatten am 27.11.1906 – Kraus war vormittags in Berlin eingetroffen, um „Frühlings Erwachen“ in den Kammerspielen des Deutschen Theater zu sehen – nach der Vorstellung das Weinhaus Zum Treppchen (Unter den Linden 56) besucht, wie Wedekind notierte: „mit Kraus bei Treppchen“ [Tb]. Da war die Stimmung offenbar noch nicht so unbehaglich gewesen, wie den Tag darauf (siehe oben). Das Motiv der vorliegenden Bildpostkarte darf insofern als ein Zeichen gegen die Missstimmung gelten.
Berlin, Unter den Linden 56
Weingroßhandlung von Mathias Beckmann
Köln Berlin


Kgl. Schauspielhaus

Frank Wedekind schrieb am 27. April 1907 in Wien
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus, ich habe kein GlückWedekind dürfte Karl Kraus am 27.4.1907 vormittags aufgesucht, nicht angetroffen und das vorliegende Billet hinterlassen haben. wens mit Ihnen, ich wohneWedekind logierte im Hotel Tegetthoff (Wien I, Johannesgasse 23), wie er gleich am 20.4.1907 notierte: „Ankunft in Wien Hotel Tegetthoff.“ [Tb] Hotel Tegetthof. Wenn wir uns heute im Lauf des Tages nicht sehen, dann hoffe ich bestimmt nach der Vorstellungnach der Gastspielpremiere „Hidalla“ am 27.4.1907 im Bürgertheater in Wien, die um 19.30 Uhr begann und nach 22 Uhr zu Ende war: „Wiener Bürgertheater. Ensemble-Gastspiel des Kleinen Theaters zu Berlin. Zum erstenmal: Hidalla. Schauspiel in 5 Akten von Frank Wedekind. Anfang ½8 Uhr. Ende nach 10 Uhr.“ [Neue Freie Presse, Nr. 15330, 27.4.1907, Morgenblatt, S. 22] Wedekind notierte am 27.4.1907 nach der Vorstellung ein Treffen mit Karl Kraus: „Hidallapremiere im Bürgertheater in Wien. Nachher mit Kraus.“ [Tb] bei | einem Glas Bier.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr
F.W.

Karl Kraus schrieb am 28. April 1907 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Herr Wedekind,

eine Bemerkung, die Sie gestern abendsam 27.4.1907, nach der Gastspielpremiere in „Hidalla“ am Wiener Bürgertheater. Wedekind hielt sich dem Tagebuch zufolge vom 20.4.1907 bis 9.5.1907 in Wien auf und hat Karl Kraus dort fünfmal getroffen – so gleich am 20.4.1907 vormittags („Ankunft in Wien [...] Besuch bei Kraus“), am 22.4.1907 wiederum vormittags („Expediere Notiz bei Kraus“), am 24.4.1907 nach 21 Uhr („Um 9 Uhr mit Tilly im Dominikanerkeller. Dann kommt Kraus“), am 27.4.1907 abends („Hidallapremiere im Bürgertheater in Wien. Nachher mit Kraus“), der Abend, an dem das Gespräch über Maximilian Harden stattgefunden haben dürfte, sowie abends am 8.5.1907 („Abends mit Kraus“), der als Abend vor der Abreise aus Wien auszuschließen ist; ebenso die beiden Treffen während seines Kurzaufenthalts in Wien vom 19. bis 21.5.1907, bei dem er Karl Kraus am 20.5.1907 („Dann mit Kraus bei Bertha Kunz“) und am 21.5.1907 („Prachtvolle Automobilfahrt mit Kraus auf die Louisenalp und nach Einbach. [...] Rückfahrt nach Berlin“) traf. fallen ließen, drängt zur Klärung einer der persönlichen Situation zwischen unsWedekind hatte angesichts der zunehmenden publizistischen Angriffe von Karl Kraus auf Maximilian Harden (siehe unten), die er beide schätzte, versucht, „zwischen Kraus und Harden zu vermitteln“ [Nottscheid 2008, S. 219], was Karl Kraus in einer seiner Polemiken auch andeutete, als er über Maximilian Harden schrieb: „Er hat noch vor einem Jahre vor Frank Wedekind, der sich später nach Kräften um eine Versöhnung unvereinbarer Gegensätze bemühte, seine höchste Achtung meines literarischen Wesens bekundet. Die Versöhnung mußte leider an der Ungleichheit der gegenseitigen Schätzung scheitern.“ [Karl Kraus: Seine Antwort. In: Die Fackel, Jg. 10, Nr. 257-258, 19.6.1908, S. 15-48, hier S. 21f.]. Sie haben„Sie haben“ bis „streiten sie nicht mehr“ zunächst gestrichen, Streichung durch vier senkrecht gesetzte Punkte am rechten Seitenrand neben der Passage dann revidiert. ein ganz Recht: vor fünfzig Jahrenvor rund fünfzig Jahren, etwa um 1856 herum. Anspielung „auf das Todesjahr Heinrich Heines und im vorliegenden Kontext auf dessen polemische Auseinandersetzungen mit August von Platen“ [Nottscheid 2008, S. 220]. stritten die Dichter zur Freude des Publikums, heute streiten sie nicht mehr.

Ich weiß nicht, ob es Dichter

Aber

Sie haben ganz Recht: vor fünfzig Jahren

Aber ich Sie scheinen mir nicht Recht zu haben mit der Anwendung dieses

das Beispiel dieser Wandlung mir für meinirrtümlich nicht gestrichen. Verhalten gegen Herrn Maximilian Harden

nicht Recht zu haben, dieses daraus irgendwelche dieses Beispiel daraus irgendwelche Schlüsse auf mein Verhaltenzunächst gestrichen, dann durch Unterpunktung wiederhergestellt, dann irrtümlich nicht gestrichen („Verhalten zu“ ist gleich darauf eingefügt). Verhältnis zu Verhältnis zu Verhalten zu gegen Herrn Maximilian Harden zu ziehen. Denn abgesehen davonirrtümlich nicht gestrichen. daß Herr Harden bisher nur von mir angegriffen wurde, somit daran unschuldig ist, wenn, daß

Denn abgesehen davon, daß es nicht Herr Harden war bisher nur von mir angegriffenKarl Kraus, dessen erste großangelegte Polemik gegen den Berliner Publizisten im Herbst 1907 erschien [vgl. Maximilian Harden. Eine Erledigung. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 234/235, 31.10.1907, S. 1-36], hatte bis dahin „zahlreiche [...] kleinere Angriffe“ [Nottscheid 2008, S. 220] auf Maximilian Harden unternommen; sein „erster öffentlicher Angriff auf Harden“ [Nottscheid 2008, S. 220] erfolgte angesichts von dessen Stellungnahmen zu seinerzeit aktuellen Sittenskandalen [vgl. Die Fackel, Jg. 6, Nr. 166, 6.10.1904, S. 17-21]. wurde, somit von einem „Streit“ zwischen uns nicht die Rede sein kann, verstehe ich würde ich es nicht verstehen, daß die Wandlung der Umgangsformen zwischen den Lyrikern u. Dramatik auch für die Polemiker maßgebend sein sollte. Sie sagen, die „Sache“ nehme durch einen persönlichen Streit Schaden. Aber ich mir ist bekannt, daß die zwar wenn ich auch zugebe, daß der Lyriker seiner Sache besser durch Lyrik als durch einen publicistische Angriffe dient, so ist es mir andererseits aus Erfahrungen, die ich mit mir selbst gemacht habe, bekannt, daß der Polemiker seiner Sache eben am besten durch Polemik dient. Meine Sache ist der Kampf gegen Culturschädlinge. Für einen der schlimmsten halte ich Herrn Maximilian Harden. Wenn er | eine bessere Meinung von mirKarl Kraus bemerkte später in „Seine Antwort“ (siehe oben), Maximilian Harden habe „vor Frank Wedekind [...] seine höchste Achtung meines literarischen Wesens bekundet.“ [Die Fackel, Jg. 10, Nr. 257-258, 19.6.1908, S. 21] hat als ich von ihm, so ist das allein für mich noch kein Grund, von ihm eine eine so gute Meinung gute bessere zu haben. wie er von mir. Und Aber selbst wenn Sieirrtümlich nicht gestrichen. eine bessere von

Ebensowenig kann es nun Zeit für mich sein vermöchte Ihre gute Meinung über ihn meine publizistisch schlechtere zu hindern ihm gegenüberihm gegen ih beeinflussen. Wir sind jetzt beide vollständig einig darüber, was daß die eine der wichtigsten Qualität eines Pub ernstzunehmenden Publizisten ausmacht die Unabhängigkeit seines Urtheils von der Rücksicht seines eines seines gesellschaftlichen Verkehrs ausm ist. ausmacht. Daß Herr Harden diese Unabhängigkeit in Ihrem Falle gewahrt hat, als er einen gehässigen AngriffAnspielung auf Karl Schefflers Rezension von Wedekinds in den Kammerspielen des Deutschen Theaters zu Berlin von Max Reinhardt erfolgreich inszenierter Kindertragödie „Frühlings Erwachen“ [vgl. Karl Scheffler: Der vermummte Herr. In: Die Zukunft, Bd. 58, Jg. 16, Nr. 24, 16.3.1907, S. 403-407], ein „scharfer Verriss [...], den Harden als Herausgeber seiner Wochenschrift ‚Die Zukunft‘ zu verantworten hatte.“ [Nottscheid 2008, S. 221] Maximilian Harden hatte allerdings zuvor auch eine wohlwollende Besprechung der Inszenierung in seiner Zeitschrift veröffentlicht [vgl. Lou Andreas-Salome: Frühlings Erwachen. In: Die Zukunft, Bd. 58, Jg. 16, Nr. 16, 19.1.1907, S. 97-100]. gegen Sie, Ihre Sache, dessen Tendenz er so entwachsen ist – in einer Form, die stellenweise unverkennbar sein stilistisches GeprägeKarl Kraus missfiel „der schwere Brokatstil des Herrn Harden“ [Die Fackel, Jg. 8, Nr. 216, 9.1.1907, S. 20]; er verspottete den manierierten Stil des Berliner Publizisten später als ‚Desperanto‘ [vgl. Desperanto. Neuerlicher Versuch einer Übersetzung aus Harden. In: Die Fackel, Jg. 12, Nr. 307/308, 22.9.1910, S. 44-50; Desperanto. Neuer Kurs. Für Fortgeschrittene . In: Die Fackel, Jg. 14, Nr. 360/361/362, 7.11.1912, S. 56-63; Nr. 370/371, 5.3.1913, S. 35-36]. trug, aufnahmzunächst gestrichen, dann durch Unterpunktung wiederhergestellt. veröffentlichte, wollen wir rechnen wollen wir beide wir ihm beide ihm als einen Beweis publizistischer journalistischer Anständigkeit Unabhängigkeit hoch anrech

Anständigkeit hoch ansehen. Nicht immer hat erKarl Kraus hat um diese Worte eine Schleife gezogen, die bis zum Fuß der Seite reicht (bis nach „geäußert hat.“) Er hat damit vermutlich eine Streichung markiert. sie in ähnlichem Grade bewahrt, hat z.b. Herrn v. Hofmannsthals „Elektraeinen Hymnus gewidmetMaximilian Harden hatte die Buchausgabe von Hugo von Hofmannsthals „Elektra. Tragödie in einem Aufzug. Frei nach Sophokles“ (1904), erschienen im S. Fischer Verlag in Berlin, in durchaus hymnischem Ton als maßgebliches Stück der Moderne rezensiert und am Schluss resümiert: „Weit sind wir von den kleinen Götterintriguen, den Mißverständnissen und Abstraktionen des Sophokles. Irgendwo in wilder Menschenwelt.“ [M.H.: Elektra. In: Die Zukunft, Jg. 12, Nr. 48, 27.8.1904, S. 349-358, hier S. 358] Der Begriff ‚Hymnus‘ ist als „eine typisch Hardensche Formulierung“ identifiziert und seiner Rezension der „durchgehend positive Tenor“ [Nottscheid 2008, S. 222] attestiert worden., über die er sich vor privatim mit Verachtung geäußert hat, seinem einem achttägigen Verkehr mit dem Verfass ehe der, überarbeitet mit ProbenHugo von Hofmannsthal, dessen Tragödie „Elektra“ am 30.10.1903 inszeniert von Max Reinhardt mit Gertrud Eysoldt in der Titelrolle am Kleinen Theater in Berlin uraufgeführt wurde, war am 26.10.1903 zu den letzten Proben nach Berlin gereist. Er hat dort Maximilian Harden getroffen, wie sein Brief aus Berlin an den Freund Arthur Schnitzler in Wien vom 3.11.1903 belegt, den er von „Harden [...] herzlich grüßen“ [Müller/Susen/Untner 2018] ließ. überarbei beschäftigte Verfasser Zeit fand, sich im GrunewaldMaximilian Harden wohnte in einer Villa im Grunewald in Berlin (Wernerstraße 16), zugleich Sitz der Redaktion seiner Wochenschrift „Die Zukunft“ und Adresse des Verlags der Zukunft [vgl. Berliner Adreßbuch 1907, Teil I, S. 801], worauf Karl Kraus mit dem Stichwort ‚Grunewald‘ hier und auch sonst „in einigen seiner Harden-Polemiken anspielt.“ [Nottscheid 2008, S. 222] einzustellen, verächtlich mit Verachtung geäußert hat, einen Hymnus gewidmet privatim sagt abs geradezu verächtlich geäußert hat. |

Immerhin

Umso freudiger wollen wir es jedesmal begrüßen, so oft Herr Harden sich auf die vornehmste journalistische Pflicht besinnt, private Rücksichten öffentlichen Meinungen hintanzusetzenVon der ersten Silbe aus ist eine Linie nach oben zum Kopf der Seite gezogen, die entweder eine nicht ausgeführte Einfügung markieren sollte oder aber als eine Streichung der vorangehenden Zeilen interpretiert werden kann.. Ich weiß bin davon überzeugt, daß Sie meine hohe Verehrung für Ihre dichterisches dichterisch Sache

Ich Wir schaffen nicht auf das Conto unseres persönlichen Verkehres setzen stellen setzen und mir nicht zutrauen, daß ich d Frühlingserwachen oder die B.die „Büchse der Pandora“ (1903), deren Wiener Premiere Karl Kraus am 29.5.1905 veranstaltet hat. Wedekind selbst hat seine Tragödie als „die Büchse“ [Wedekind an Karl Kraus, 27.5.1904] bezeichnet oder von der „Büchse“ [Wedekind an Karl Kraus, 18.10.1906] gesprochen, ebenso Karl Kraus [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 21.10.1906]. Maximilian Harden hat zu Milieu und Handlung der „Büchse der Pandora“ angemerkt: „Das klingt widrig und riecht nach den Müllhäufchen der Hintertreppe.“ [Die Zukunft, Jg. 11, Nr. 18, 31.1.1903, S. 206] Er griff die Passage dann in seiner Neigung, seine Texte aus „Zitaten und Rückgriffen auf früher Geäußertes“ [Martin 1996, S. 205] zusammenzusetzen, neubewertend nochmals auf: „Das riecht Euch nach den Müllhäufchen der Hintertreppe? Mag sein; doch [...] das Alles muß jeder moralinfreie Kenner bewundern.“ [Die Zukunft, Jg. 14, Nr. 15, 13.1.1906, S. 79] Karl Kraus hat sich in „Maximilian Harden. Eine Erledigung“ (siehe oben) dann darauf bezogen: „Mit der ‚Büchse der Pandora‘ hat er sich erst, wie sagt man nur, ‚mählich‘ befreunden können. Zunächst gab er einmal ihren Inhalt an, verglich sie mit einem Müllhaufen und nannte sie Hintertreppenpoesie. Nach ein paar Jahren zitierte er, wie er’s öfter tut, sich selbst, zitierte die Inhaltsangabe und mit ihr ein Urteil, das die Schuld an dem Unverständnis dem Publikum gab. Es lautete etwa: Ihr glaubt, dies sei die Poesie von Müllhaufen und Hintertreppe? Nein, es ist die Vision eines großen Dichters ... Freilich hatte ich inzwischen durch die Inszenierung des Werkes nachgeholfen.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 234/235, 31.10.1907, S. 24] für

die B. Frühlingserwachenso die in der „Fackel“ übliche Schreibweise von Karl Kraus für Wedekinds Kindertragödie „Frühlings Erwachen“ [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 187, 8.11.1905, S. 12; und öfter]. Der Berliner Publizist, dem Wedekind sein Stück bereits 1892 aus Paris zugesandt hatte [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 17.6.1892], erwähnte es erstmals 1904 – die „im Geschlechtsfrühling erwachenden Kinder“ [Die Zukunft, Jg. 12, Nr. 21, 30.4.1904, S. 200] – und dann wieder ab 1906: „Die Kindertragoedie ist ein Bündel von Dialogen, ganz genialisch starken und schwächeren. [...] Das Ganze ist ohne Architektur“, aber „weist seinen Schöpfer in die vorderste Reihe der Lebenden.“ [Die Zukunft, Jg. 14, Nr. 15, 13.1.1906, S. 82] „Herr Wedekind machts freilich besser [...]. Schon wegen einzelner Szenen aus der Kindertragoedie ‚Frühlings Erwachen‘.“ [Die Zukunft, Jg. 14, Nr. 18, 3.2.1906, S. 207] Die ausführlichere Würdigung des als „Lenzmimus“ bezeichneten Stücks mit der Formulierung „Das Männern der Knaben, das Böckeln der Mädchen“ [Die Zukunft, Jg. 15, Nr. 52, 28.9.1907, S. 475, 474] war noch nicht erschienen, die Karl Kraus in „Maximilian Harden. Eine Erledigung“ (siehe oben) gleich aufgriff: „Was ist [...] Frühlingserwachen? Ein Lenzmimus. Sein Inhalt? ‚Das Männern der Knaben, das Böckeln der Mädchen‘.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 234/235, 31.10.1907, S. 14] Und in „Maximilian Harden. Ein Nachruf“ (siehe oben) meinte er über den „Mann, der ‚Frühlingserwachen‘ geschrieben hat, [...] ich bin davon überzeugt, es risse ihm die Geduld, wenn er läse, daß Herr Harden seine Dichtung einen ‚Lenzmimus‘ nennt, in dem ‚das Männern der Knaben und das Böckeln der Mädchen‘ geschildert werde.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 242/243, 31.1.1908, S. 27] für ein geringeres Werk hielte, wenn Sie jene Bemerkung, die aufhörten, unseren persönlichen VerkehrWedekinds freundschaftliches Verhältnis zu Karl Kraus war durch dessen Angriffe auf Maximilian Harden auf ein Probe gestellt und zeitigte Spannungen [vgl. Nottscheid 2008, S. 288-294], die nach Wedekinds Solidaritätserklärung für den Berliner Publizisten im Rahmen der Umfrage „Maximilian Harden“ der Berliner Wochenschrift „Morgen“ [vgl. Morgen, Jg. 1, Nr. 27, 13.12.1907, S. 850] eine neue Qualität erreichten. Karl Kraus äußerte sich dazu: „Aber ich darf es nicht unterlassen, auch die Dichter noch einmal zur Enquete zu laden, auf die Gefahr hin, durch allzu eindringliche Befragung wertvolle Freundschaften und Mitarbeiterschaften zu verlieren. Ich achte solch persönlichen Vorteil gering, wenn mir eine unterdrückte Empörung inneren Nachteil brächte. Und meine hohe Schätzung künstlerischer Potenzen bleibt unvermindert, wenn ich einmal sagen muß, daß Künstler sich in einer Sache, die ein urteilsmäßiges Denken erfordert, bis auf die Knochen blamiert haben, und wenn ich mit jedem Wort doch nur den Journalismus treffe, der künstlerisches Ansehen zu einer würdelosen Leistung mißbraucht hat.“ [Maximilian Harden. Ein Nachruf. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 242/243, 31.1.1908, S. 4-52, hier S. 19] für ersprießlich zu halten. Aber genauso wenig wie ich meine Meinung

Und wenn Sie mir glauben, daß meine Feindseligkeit gegen den Schriftsteller Harden keiner Verfeindung mit dem PrivatmannKarl Kraus schrieb entsprechend in „Maximilian Harden. Eine Erledigung“ (siehe oben): „Mein Vorurteil gegen Herrn Maximilian Harden ist gewiß unter allen Antipathien, die er sich seit der Gründung seiner Zeitschrift erworben hat, die beachtenswerteste, weil er mir persönlich so gar keinen Grund zu ihr gegeben hat. [...] In der Reihe verlorener Freundschaften, die dem Lebensweg des Herrn Maximilian Harden unberechtigter Weise das ehrenvolle Dunkel der Einsamkeit geliehen haben, bedeutet mein schroffer Abfall die bitterste Enttäuschung. [...] Bei allen anderen Verlusten konnte er die literarische Verfeindung auf die persönliche reduzieren. Meine Untreue nahm den anderen Weg. Ich habe Herrn Maximilian Harden aus blauem Himmel angegriffen.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 234/235, 31.10.1907, S. 7] entstammt, so werden Sie von mir nicht verlangen, daß ich meine Feindseligkeit gegen den Schriftsteller Harden, daß ich, irgend ein öffentliches Interesse

daß ich irgend ein öffentliches Interesse irgend einem freundschaftlichen Verkehr Verhältnis, selbst dem zwischen uns beiden, zum Opfer bringe.

Eine Bemerkung Wie gesagt, eine Bemerkung, die Sie heute Abend

Es sollte mir leid thun, wenn wirklich zwischen uns eine Uneinigkeit über die Vereinbarkeit privater und öffentlicher Interessen Sie haben gewiß nicht

Ich glaube nicht im entferntesten daran, daß Sieirrtümlich nicht gestrichen. wirklich eine so geringe Meinung von dem Ernst von mir haben, mich bez

daß Sie mich eines solchen Opfers für fähig halten und darum kann ich ernstlich nicht daran glauben, daß Sie es mir zumuthen. Trotzdem fühlte ich mich verpflichtet, diese Erklärung abzugeben, um, da eben jene flüchtige Bemerkung ein Mißverständnis verschulden könnte, verpflichtet, diese Erklärung abzugeben. Es ist mir leider nicht möglich, heute abend in den Dominikanerkellerin das Restaurant Dominikaner-Keller in Wien (Wollzeile 37) [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1907, Teil IV, S. 1347]. Wedekind suchte es während seines Aufenthalts in Wien dem Tagebuch zufolge mehrfach auf – am 22.4.1907 („Zu Mittag Dominikanerkeller. Abend im Dominikerkeller“), am 23.4.1907 („Dominikanerkeller“), am 24.4.1907 mit seiner Frau und Karl Kraus („Um 9 Uhr mit Tilly im Dominikanerkeller. Dann kommt Kraus“) sowie am Abend seiner Abreise nach Budapest am 9.5.1907 („Dominikanerkeller“). zu kommen,/./ Ich habe müßte bin soeben eine Einladung zu einem Verwandten bekommen +++++++ ++++ ++++, die ich mich bis gegen etwa 1 Uhr unmöglich ablehnen kann. festhalten wird. Ich bin aber um 1 Uhr frei u Ich würde mich außerordentlich freuen, Sie um gegen 1 Uhr um diese Zeit im Café Pucherim Kaffeehaus Pucher in Wien (Kohlmarkt 10) [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1907, Teil IV, S. 838]. Wedekind hat es dem Tagebuch zufolge am 21.4.1907 besucht und dort einen Text geschrieben („Notiz gegen Barn. im Café Pucher“), der sich auf ein von Victor Barnowsky zur Wiener Premiere von „Hidalla“ gegebenes Interview bezog und als offener Brief an Wiener Zeitungen konzipiert war [vgl. Wedekind an Arbeiter-Zeitung, Illustrirtes Wiener Extrablatt, Neue Freie Presse, Neues Wiener Tagblatt, Illustrierte Kronen-Zeitung, 21.4.1907], den er am 22.4.1907 bei Karl Kraus abgeschickt hat („Expediere Notiz bei Kraus“). zu sehen oder wo es Ihnen beliebt, zu treffen.

Mit d herz Gr
Ihr aufrich erg

Frank Wedekind schrieb am 5. Mai 1907 in Wien folgenden Zettel
an Karl Kraus

Wir sind ab 10 Uhrab 22 Uhr. Wedekind war am 5.5.1907 nach der „Hidalla“-Vorstellung im Wiener Bürgertheater unter anderen mit Max Reinhardt zusammen (nicht aber mit Karl Kraus): „Hidalla. [...] Abend mit Reinhart e.ct.“ [Tb] im Dominikanerim Restaurant Dominikaner-Keller (Wien I, Wollzeile 37), Inhaber: Franz Glanz [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1907, Teil IV, S. 1347], das Wedekind während seines Aufenthalts in Wien seit dem 20.4.1907 dem Tagebuch zufolge häufig aufsuchte, so am 22.4.1907 („Zu Mittag Dominikanerkeller. Abend im Dominikerkeller“), 23.4.1907 („Dominikanerkeller“) und 24.4.1907 („Um 9 Uhr mit Tilly im Dominikanerkeller. Dann kommt Kraus“).. Vielleicht kommen Sie auch

Fr. Wedekind

Frank Wedekind schrieb am 6. Mai 1907 in Wien folgende Visitenkarte
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus, es hat mir sehr leid gethan, daß Sie gestern Abendam 5.5.1907 ab 22 Uhr im Dominikaner-Keller (nach der „Hidalla“-Vorstellung) – Wedekind hatte auf das Kommen von Karl Kraus gehofft [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 5.5.1907]. nicht kamen. Heute Abend nach der Vorstellungnach der vorletzten „Hidalla“-Vorstellung (Wedekind spielte den Karl Hetmann) im Rahmen des Gastspiels am Wiener Bürgertheater am 6.5.1906, die wieder gegen 22 Uhr zu Ende war. kommen Sie vielleicht in meine Garderobe, damit wir verabreden | können, wo wir hingehen.

Mit herzlichsten Grüßen
Ihr
Frank Wedekind


Herrn Karl Kraus

Karl Kraus schrieb am 7. Mai 1907 in Wien folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Korrespondenz-Karte.


An Herrn Frank Wedekind
in Wien I. Johannesgasse
Hôtel Tegetthof


Absender: |


Lieber Herr Wedekind,

Ihre Nachrichtvgl. Wedekind an Karl Kraus, 5.5.1907., die mich in den Dominikaner-Keller lud, fand ich Sonntag Nachts, als ich heimkehrte, an der Thür. Ich war bis 9 Uhr abends zuhause gewesen: Sie dürften gegen ½ 10gegen 21.30 Uhr. Um diese Zeit stand Wedekind allerdings noch als Karl Hetmann im Wiener Bürgertheater auf der Bühne, wo bis gegen 22 Uhr „Hidalla“ gespielt wurde. bei mir angeklingelt haben. Montag, gestern, habe ich Sie beide vergebens im Hôtel und abends im Dominikaner-Keller gesucht; habe auch wiederholt da- und dorthin telephoniert. Hoffentlich sehe ich Sie doch noch vor Ihrer AbreiseFrank und Tilly Wedekind, die im Wiener Bürgertheater am 7.5.1907 „zum letzten Mal Hidalla“ [Tb] spielten und ihr Gastspiel damit beendeten, blieben bis zum 9.5.1907 noch in Wien, um dann mit dem Schiff am 10.5.1907 weiter nach Budapest zu reisen. Wedekind verbrachte am 8.5.1907 noch einen letzten Abend mit Karl Kraus (und dessen Freund Ludwig von Janikowski) in Wien: „Abends mit Kraus Janikowsky“ [Tb].. Ich werde im Hôtel nachfragen.

Viele herzliche Grüße
von Ihrem
Kraus

Frank Wedekind, Tilly Wedekind und Arthur Holitscher schrieben am 13. Mai 1907 in Budapest folgende Bildpostkarte
an Karl Kraus

LEVELEZÖ-LAP


Herrn Karl Kraus
Wien IV
Schwindgasse 3. |


BUDAPESTFrank und Tilly Wedekind waren vom 10. bis 15.5.1907 zu einem Gastspiel mit dem Ensemble des Deutschen Theaters zu Berlin am Lustspielhaus (Vígszínház) in Budapest (am 11. und 12.5.1907 die Vorstellungen von „Frühlings Erwachen“ mit Wedekind in der Rolle des vermummten Herrn, am 14.5.1907 eine „Benefizvorstellung“ [Nottscheid 2008, S. 199] von „Der Kammersänger“ sowie Lesung und Liedvortrag Wedekinds). Wedekind hielt am 13.5.1907 im Tagebuch fest: „Wir dinieren mit Hollitscher, besuchen das Museum, besichtigen Ofen. Tilly fährt zu einer Tante. Wir soupieren mit Hollitscher in der Pilsner Bierhalle. Dann im Hotel.“
Új díszlépcsö (Halászlépcssö)
Neue Monumentalstiege (Fischerstiege)


Herzliche Grüsse von
Tilly

Holitscher

FrWedekind.

Karl Kraus schrieb am 22. Mai 1907 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Postkarte an Karl Kraus vom 23.5.1907 aus Berlin:]


[...] ich bekomme eben die neue Fackel [...]

Frank Wedekind schrieb am 23. Mai 1907 in Berlin folgende Postkarte
an Karl Kraus

Postkarte


An
Herrn Karl Kraus
Herausgeber der „Fackel
in Wien IV.
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


Lieber Herr Kraus, ich sandte Ihnen heuteHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Manuskriptsendung (siehe unten); erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Karl Kraus, 23.5.1907. die 7. Worte„Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ [KSA 1/I, S. 562-564], als selbstständiges Gedicht umgearbeitet aus einem Gedicht „7 Worte“ aus dem Projekt „Die große Liebe“ [vgl. KSA 5/I, S. 1141], das in handschriftlichen Fassungen noch den Titel „Die sieben Worte“ [vgl. KSA 1/II, S. 1356-1358] trug. und bin Ihnen nicht böse wennim Erstdruck: böse, wenn. Sie Bedenken haben. Aber ich bitte Sie, wenn Sie sie druckenKarl Kraus druckte das Gedicht [vgl. Frank Wedekind: Die sieben Zeilen oder Die sieben Worte. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 227-228, 10.6.1907, S. 1-3], allerdings ohne die Korrektur, wie er im Erstdruck auch anmerkte: „Es ist dann doch bei ‚stirbt‘ geblieben.“ [Kraus 1920, S. 129] Erich Mühsam hat sich in seinem Brief vom 22.6.1907 an Karl Kraus begeistert über das veröffentlichte Gedicht geäußert: „Diese 7 Worte gehören zum Großartigsten, was überhaupt geschrieben ist. Sie stellen nicht nur das Extrakt aus allen Wedekindschen Arbeiten dar, sondern erweitern sie zu einer Bejahung, in der er weit über Nietzsche hinausgreift, und die Sprache dieser 60 Zeilen erhöht sie zu einem Katechismus modernen Menschentums.“ [Jungblut 1984, S. 102], im Wort VII statt stirbt schmilzt zu setzen, besonders weil im Übrigen viel von Leben und Sterben die Rede ist. Physiologisch müßte es heißen „zusammensinkt“ aberim Erstdruck: „zusammensinkt“, aber. das paßt nicht in den RhytmusSchreibversehen, statt: Rhythmus. – So auch im Erstdruck korrigiert..

Ich sitze hier allein bei TreppchenWedekind saß am 23.5.1907 im Weinhaus Zum Treppchen (Unter den Linden 56), wo er die vorliegende Postkarte schrieb: „Abends allein bei Treppchen.“ [Tb]. Berlin prangt im Frühlingsschmuck, aber es bleibt unerfreulich. Ich danke Ihnen für die schönen Abende dieim Erstdruck: Abende, die. wir in WienWedekind, der auf der Rückreise von Graz nach Berlin vom 19. bis 21.5.1907 in Wien Station machte, hat Karl Kraus dem Tagebuch zufolge am 20.5.1907 („mit Kraus bei Bertha Kunz“) und 21.5.1907 („Prachtvolle Automobilfahrt mit Kraus auf die Louisenalp und nach Einbach. [...] im Dominikanerkeller. Rückfahrt nach Berlin“) dort getroffen; davor war er mit ihm zuletzt kurz vor seiner Abreise von seinem „Hidalla“-Gastspielaufenthalt am 8.5.1907 in Wien zusammen („Abends mit Kraus“). zusammen erlebten. Heute Nachmittag las ich den Artikel über BrucknerWedekind las den Artikel von Karl Kraus über die Reaktion Anton Bruckners auf die Ablehnung seiner Kompositionen 1885 durch Wiener Musikkritiker [vgl. Anton Bruckner’s Bittschrift. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 223-224, 12.4.1907, S. 1-3], ein Kommentar zu dem als „Beilage der ‚Fackel‘ Nr. 223-224“ angefügten faksimilierten Briefentwurf „Anton Bruckner’s Gesuch an die Philharmoniker (Handschriftliches Konzept.)“. Ich kenne die Situation, vor allem Bruckner zu wenig, um darin Bescheid zu wissen. Aber ich bekomme ebenHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Sendung (das neue „Fackel“-Heft Nr. 226 vom 22.5.1907); erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 22.5.1907. die neue Fackel und freue mich darauf.

Mit besten Grüßen Ihr
FrWedekindim Erstdruck: Fr. Wedekind..

Frank Wedekind schrieb am 23. Mai 1907 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[Hinweis in Wedekinds Postkarte an Karl Kraus vom 23.5.1907 aus Berlin:]


[...] ich sandte Ihnen heute die 7. Worte [...]

Karl Kraus schrieb am 24. Mai 1907 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Postkarte an Karl Kraus vom 26.5.1907 aus Berlin:]


[...] Ihr liebenswürdiges Telegramm [...]

Frank Wedekind und Tilly Wedekind schrieben am 26. Mai 1907 in Berlin folgende Postkarte
an Karl Kraus

Postkarte


An
Herrn Karl Kraus
Herausgeber der „Fackel
in Wien IV
Wohnung (Straße und Hausnummer) Schwindtgasse 3. |


Lieber Herr Kraus, ich habe es verpudelthier: versäumt., Ihnen telegraphisch zu antworten. Wir sitzen hier bei SteinertFrank und Tilly Wedekind saßen am 26.5.1907 im Weinlokal Eugen Steinert (Kurfürstendamm 22), wo sie die vorliegende Postkarte schrieben: „Abends mit Tilly bei Steinert.“ [Tb] zusammen und deshalb beantworte ich Ihren liebenswürdiges Telegrammnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 24.5.1907. Das verschollene Telegramm dürfte unmittelbar auf das am 23.5.1907 abgesandte Gedichtmanuskript „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 23.5.1907] reagiert haben. Wedekind nimmt in der vorliegenden Postkarte Stellung zu den von Karl Kraus telegrafisch übermittelten Vorschlägen zur Drucklegung des Gedichts. von hier aus. Künstlerisch haben Sie selbstverständlich recht. Trotzdem möchte ich auf den ersten TitelKarl Kraus hat in seinem Telegramm (siehe oben) vermutlich vorgeschlagen, den Titel des Gedichts „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ um den ersten Teil des Titels zu kürzen und auf den zweiten Teil des Titels zu reduzieren. Das Gedicht wurde mit dem vollständigen Titel gedruckt [vgl. Frank Wedekind: Die sieben Zeilen oder Die sieben Worte. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 227-228, 10.6.1907, S. 1-3]. nicht gerne verzichten, eben weil er überflüssig ist und weil 60 eine heilige Zahl ist. Der Leser wird Ihren Einwand machen und diesen Einwand möchte ich nicht entbehren. Ich freue mich sehr, daß Ihnen die Verse nicht mißfallenKarl Kraus, der „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ in seinem Telegramm (siehe oben) zurückhaltend bewertet haben dürfte, äußerte in einem Brief an Karl Hauer vom 14.6.1907 Kritik an Wedekind Gedicht: „Wedekinds ‚7 Worte‘ scheinen mir ungleichwertig. Manche Zeilen sind großartig, manche aber fast banal und manche wieder schwulstig. Auch paßt der ironisch-nüchterne Titel nicht zur Pathetik der Sprüche: (Auch Weitläufigkeiten wie ‚Ich, der ich Ich bin‘ stören mich einigermaßen!)“ [Nottscheid 2008, S. 201; Original: Wienbibliothek im Rathaus, Karl-Kraus-Archiv]. Wann sehen wir uns in Berlin. Herzliche Grüße
Ihr FrWedekindim Erstdruck: Fr. Wedekind..


Lieber Herr Kraus, die Bilder der KleinenFotografien von der 1907 siebzehnjährigen Irma Karczewska, die offenbar ‚die Kleine‘ genannt wurde – so sprach Erich Mühsam beispielsweise in seinem Brief an Karl Kraus vom 28.11.1906 von „der Kleinen“ [Jungblut 1984, S. 87]. Karl Kraus dürfte Frank und Tilly Wedekind diese Fotografien am 21.5.1907 vor ihrer Abreise von Wien abends im Dominikaner-Keller gezeigt haben [vgl. Tb]. Sie kannten Irma Karczewska seit der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905, in der sie die Rolle des Bob spielte (mit ihr auf der Bühne standen Wedekind als Jack und Tilly Newes als Lulu), wie der Theaterzettel ausweist [vgl. Die Fackel, Jg. 7, Nr. 182, 9.6.19056, S. 15]. Die junge Schauspielerin war in Begleitung von Karl Kraus im Vorjahr zu Besuch in Berlin, wie Wedekinds Tagebuch am 15.6.1906 („Dann kommen Kraus und Irma Karschewska. Abend mit ihnen im Zoologischen Garten, dann bei Steinert“), 16.6.1906 („Am Nachmittag sind Kraus und Irma Karschewska bei uns“), 18.6.1906 („Um Mitternacht kommen noch Kraus und Irma Karschewska“), und 20.6.1906 („Vormittags mit Kraus und Irma Karschefska bei Barnowski“) dokumentiert. haben mir so gut gefallen, dass ich Sie bitte, mir von ihr eines zu erbitten. Herzl. Gruß Ihnen Beiden Tilly W.

Karl Kraus schrieb am 28. Mai 1907 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 29.5.1907 aus Berlin:]


[...] beiliegend die Correktur zurück [...]

Frank Wedekind schrieb am 29. Mai 1907 in Berlin folgenden Brief
an Karl Kraus

Verehrter Herr Kraus,

beiliegendim Erstdruck: Beiliegend. Dem Brief lagen die Korrekturfahne des Gedichts „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ – sie ist nicht erhalten [vgl. KSA 1/II, S. 1358] – und das Manuskript „Der Dampfhammer“ (siehe unten) bei. die Correktur zurückHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur übersandten Korrekturfahne (siehe oben); erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 28.5.1907., mit der ich einverstanden bin undim Erstdruck: bin, und. das GedichtDas Manuskript des mit dem Gedicht „Im Dampfhammer“ [KSA 1/I, S. 279f.], geschrieben im Winter 1886/87 [vgl. KSA 1/II, S. 1701f.], dann fast gleichlautenden Lieds „Der Dampfhammer“ [KSA 1/III, S. 165; vgl. KSA 1/III, S. 609-614] wurde als Lied ausgewiesen („Nach der Melodie ‚Ist denn Lieben ein Verbrechen..‘“) in der „Fackel“ erstveröffentlicht [vgl. Frank Wedekind: Der Dampfhammer. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.].. Ich würde Sie aber bitten auf jeden Fall so zu verfahren daß sieSchreibversehen, statt: sich. – So auch im Erstdruck korrigiert. die beiden SachenKarl Kraus veröffentlichte zuerst das Gedicht „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 227-228, 10.6.1907, S. 1-3], dann das Lied „Der Dampfhammer“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.]. nicht schaden. And den/r/ Veröffentlichung des Dampfhammers liegt mir gar nichts, besonders dann wäre ich nicht dafür wenn die Veröffentlichung ästätischeSchreibversehen, statt: ästhetische. – So auch im Erstdruck korrigiert. Bedenkenwohl „Befürchtungen“ angesichts „der erotischen Metaphorik des Textes“ [Nottscheid 2008, S. 202]. Wedekind hat sich im Vorjahr eine entsprechende Reaktion seines Schwagers notiert: „Walther Oschwald nachdem ich ihm den ‚Dampfhammer‘ vorgelesen: Wahrscheinlich steckt wieder irgend eine verborgene Schweinerei dahinter.“ [KSA 1/II, S. 1704] | hätte. Auf keinen Fall möchte ich daßim Erstdruck: ich, daß. der Eindruck der 7 Worte durch den Dampfhammer beeinträchtigt würde. Ich würde Sie also bitten, den Dampfhammer vorderhand noch beiseite zu legen.

Für die Angabe der EntstehungszeitWedekind gab Karl Kraus gegenüber an, „Der Dampfhammer“ sei „im November 1886 geschrieben“ [Wedekind an Karl Kraus, 12.6.1907]. Das Gedicht entstand im Winter 1886/87 in Zürich; die erste erhaltene Niederschrift stammt aus dem Jahr 1889 [vgl. KSA 1/II, S. 1702]. wäre ich sehr im Fall einer Veröffentlichung.

Meine Frau läßt Ihnen bestens danken und freut sich ungemein auf das Bildauf ein Foto von Irma Karczewska [vgl. Frank und Tilly Wedekind an Karl Kraus, 26.5.1907]..

Mit besten Empfehlungen
Ihr
FrWedekindim Erstdruck: Fr. Wedekind..


Berlin

29.V.07 |


Dem Nulla Diesprocessim Erstdruck: Nulla Dies-Prozeß. Wedekind bezieht sich auf den Aufsatz „Nulla dies...“ – ‚nulla dies‘ (lat.) = ‚kein Tag‘ – in der „Fackel“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 225, 3.5.1907, S. 1-10], eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der österreichischen Justiz, die Karl Kraus eine Anklage eintrug, wie er zu dem vorliegenden Brief anmerkte: „Auf Grund des Aufsatzes ‚Nulla dies‘ hatte die Staatsanwaltschaft vorschnell Anklage wegen ‚Aufwiegelung‘ erhoben, sie aber, sei es aus eigener Furcht vor dem zu erwartenden Freispruch durch die Geschwornen, sei es über einen Wink der Regierung, wieder fallen gelassen.“ [Kraus 1920, S. 131] Später erwähnte er angesichts einer Lesung aus diesem Aufsatz, dass er für diesen „wegen Aufwiegelung gegen die Staatsgewalt in Untersuchung gezogen wurde. Die Staatsgewalt überlegte sich’s jedoch.“ [Die Fackel, Jg. 31, Nr. 811-819, Anfang August 1929, S. 37] würde ich mit Seelenruhe entgegensehen. Ich möchte Ihnen beinahe gratulieren. Sie haben darin einen berühmten Collegenim Erstdruck: Kollegen. in Jesus Christus, der auch auf die Richter schimpfteAnspielung auf den Schluss der Bergpredigt, in der Jesus gegen das Richten spricht [vgl. Matthäus 7, 1-5; vgl. Lukas 6, 36-41]. und einen beinahe ebenso berühmten in Göthe in der Schülerscenein der zweiten „Studierzimmer“-Szene in Goethes „Faust. Der Tragödie erster Teil“ (1808), in welcher nach der Aufforderung des Mephistopheles („Doch wählt mir eine Facultät!“) und dem Bekenntnis des Schülers („Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen“) Mephistopheles über das Justizwesen ausführt: „Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen, / Ich weiß wie es um diese Lehre steht. / Es erben sich Gesetz’ und Rechte / Wie eine ew’ge Krankheit fort, / Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte, / Und rücken sacht von Ort zu Ort. / Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage; / Weh dir, daß du ein Enkel bist! / Vom Rechte, das mit uns geboren ist, / Von dem ist leider! nie die Frage.“ [V. 1968-1979].


[Beilage:]


Der Dampfhammer.

Nach der Melodie„Das Volkslied ‚Ist denn Lieben ein Verbrechen‘ ist [...] in zwei Fassungen nachgewiesen“; eine Fassung ist „vor 1810 entstanden“, eine weitere „1889“, wobei „die ältere Fassung [...] die populäre“ war. „Auf welche Quelle sich Wedekind bezog, ob er überhaupt auf eine nachweisliche Quelle zurückgriff oder ob ihm das Lied mündlich überliefert wurde, ist nicht zu belegen.“ [KSA 3/III, S. 614]: „Ist denn Lieben ein Verbrechen...“


In der Esse fliegt der Hammer

Im Zilinderim Erstdruck: „Zylinder“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19]. auf und b ab;

Gottfried in der Mägdekammer

Fliegt nicht minder auf und ab.

–––

Gottfried heißt des Schmieds Geselle,

Der gewaltige Knochen hat.

Eben schweißt er eine Stelle,

Die er selbst gebrochen hat.

–––

Und ein Mägdlein, schlank und plastisch,

Stellt für ihn den Ambos vor,

Einen Ambos, der elastisch

Wie ein Riesenbambusrohrim Erstdruck: „das dünnste Bambusrohr“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]..

––– |

Keines hört es, wie der lange

Hagre Meister tritt herein;

Eine schwere Eisenstange

Schleift der Meister mitim Erstdruck: „Trägt der Meister leicht“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. herein.

–––

Und er hält sie hoch in Lüften,

Schwingt sie, daß sie niederprallt,

Daß der Ton von Gottfrieds Hüften

Tausendfältig wiederhallt...

–––

Aus den Artmen läßt der Riese

Seine Tugendreiche nicht;

„Mädchen, lacht er, treib doch diese

Faden Jugendstreiche nicht!

–––

Möglich wär’s, daß dem Entzücken

Dein Gekitzel nützlich wär,

Wenn dein H Liebster auf dem Rücken

Wie am Leib so kitzlich wär.“

––– |

Der ich Euchim Erstdruck: „Und der ich“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. dies Lied gesungen,

Zürne mirim Erstdruck: „Schäme mich“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. und weine und

Bin von tiefster Schamim Erstdruck: „tiefstem Schmerz“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. durchdrungen,

Denn ich bin keinim Erstdruck: „ein“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 20]. Schweinehund.


FrWedekind.von Karl Kraus gestrichen und Verfassername vor der ersten Strophe eingefügt (siehe zur Materialität); so dann nach Titel und Hinweis zur Melodie im Erstdruck: „Von Frank Wedekind.“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19]

Karl Kraus schrieb am 11. Juni 1907 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 12.6.1907 in Berlin:]


Von Kraus für 7. Worte und Dampfhammer M. 120.


[2. Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 12.6.1907 aus Berlin:]


[...] besten Dank für das schöne Honorar, das Sie mir heute schicken.

Frank Wedekind schrieb am 12. Juni 1907 in Berlin folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr verehrter Herr Kraus!

empfangen Sie meinen besten Dank für das schöne HonorarWedekind notierte am 12.6.1907 das Honorar für seine in der „Fackel“ veröffentlichten lyrischen Texte „Die sechzig Zeilen oder Die sieben Worte“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 227-228, 10.6.1907, S. 1-3] und „Der Dampfhammer“ [vgl. Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.]: „Von Kraus für 7. Worte und Dampfhammer M. 120.“ [Tb], das Sie mir heute schickenHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Honorarsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 11.6.1907.. Auch für den Bacchantinnen Kopfim Erstdruck: Bacchantinnenkopf. Irma Karczewska dürfte auf der erbetenen Fotografie [vgl. Frank und Tilly Wedekind an Karl Kraus, 26.5.1907], die nun vorlag, „mit Weinblättern und Trauben in den Haaren abgebildet“ [Nottscheid 2018, S. 203] gewesen sein – wie eine der Bacchantinnen (nach: Bacchus, dem römischen Gott des Weines, gleichgesetzt mit Dionysos, dem griechischen Gott des Weines und der Fruchtbarkeit), die auf den antiken Kultfeiern zu Ehren des Dionysos, den Bacchanalien, „mit Efeu und Wein geschmückt“ ekstatisch sangen und tanzten und sich „wüsten Ausschweifungen hingegeben haben“ [Brodersen/Zimmermann 2006, S. 79]. Fritz Wittels erinnerte sich, dass Karl Kraus ihm Fotografien gezeigt hatte, auf denen sie Weinblätter und Trauben im Haar trug: „Irma was a dream of beauty. He showed me photographs of her with grape leaves and clusters in her black hair and a radiant smile on her parted lips. [...] She was [...] a miracle of a Dionysian girl born several thousand years too late.“ [Wittels 1995, S. 58] von Irma Karschewskaim Erstdruck: J. K. („J“ für „I“; gemeint ist Irma Karczewska).. Auch meine Frau läßt Ihnen herzlichst dafür danken und bittet sie das Original von uns zu grüßen. Ich schrieb Ihnen solange nicht, weil ich überhaupt nicht schrieb. |

Der Dampfhammer ist im November 1886 geschriebenWedekinds Gedicht „Im Dampfhammer“ ist im Winter 1886/87 geschrieben [vgl. KSA 1/II, S. 1701f.], was insofern auch für das fast gleichlautende Lied „Der Dampfhammer“ gelten darf, das Karl Kraus ohne Noten veröffentlichte [vgl. Frank Wedekind: Der Dampfhammer. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.] und im Erstdruck mit der Anmerkung versah: „Das Gedicht ist im Jahre 1886 entstanden.“ [Kraus 1920, S. 19], in Zürich, als ich bei MaggiWedekind arbeitete von Mitte November 1886 bis Mitte Juli 1887 als Reklametexter im Reklame- und Pressebüros der Firma Julius Maggi und Co. in Kemptthal bei Zürich [vgl. Vinçon 1992, S. 254]. war. Ich hätte aber gerne noch einige kleine ÄnderungenIm Erstdruck sind die „nicht verworfenen Korrekturen“ aus dem vorliegenden Brief, aus der korrigierten Korrekturfahne [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907] und aus einem weiteren Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 27.6.1907] alle „übernommen.“ [KSA 1/III, S. 611] gemacht. Jetzt wird es wohl zu spät sein. Ich werde sie hier aufzählen. Vielleicht können Sie S/s/ie noch anbringen.


Wie das schlankste BambusrohrIn der Korrekturfahne ist der Vers in der dritten Strophe im Wortlaut „Wie ein Riesenbambusrohr“ gesetzt, von Wedekind mit der Korrektur „das schlankste Bambusrohr“ („schlankste“ dann gestrichen und durch „dünnste“ ersetzt) versehen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907].
weil sonst Riese zweimalMotiv für die Korrekturen waren „störende Wortwiederholungen“ wie hier; es sollte „die Wiederholung ‚Riese‘ in Strophe 3 und 6 vermieden werden.“ [KSA 1/III, S. 612]. vorkommt.


Keines hört es, wie der langeIn der Korrekturfahne ist der Vers in der vierten Strophe bereits entsprechend korrigiert gesetzt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907].


Mädchen lacht erIn der Korrekturfahne ist der erste der beiden Verse („Mädchen lacht er“ bis „Jugendstreiche nicht!“) in der sechsten Strophe im Wortlaut „Mädchen, lacht er, läßt du diese“ gesetzt, von Wedekind mit der Korrektur „treib doch“ versehen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907], die er im vorliegenden Brief bereits vorschlägt., treib doch diese
Faden Jugendstreiche nicht!


und in der letzten Strophe


Schäme michIn der Korrekturfahne sind die beiden Verse („Schäme mich“ bis „Schmerz durchdrungen“) in der letzten Strophe im Wortlaut „Zürne mir und weine und / Bin von tiefster Scham durchdrungen“ gesetzt, von Wedekind vor allem mit der Korrektur „Schmerz“ (statt „Scham“) versehen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907], die er im vorliegenden Brief bereits vorschlägt. und weine und
Bin von tiefstem Schmerz durchdrungen |


Ich bin hier derweil mit Kammersänger durchgefallenWedekind notierte am 10.6.1907 seine Gastspielpremiere in der nun ungekürzten Hauptrolle des Gerardo in seinem Einakter „Der Kammersänger“ (gespielt wurde er zusammen mit „Rabbi Esra“) am Kleinen Theater (Direktion: Victor Barnowsky) in Berlin: „Kammersängeraufführung im Kleinen Theater.“ [Tb] Wedekind, verstimmt über die „Änderungen Reinhardts“ in früheren Berliner Inszenierungen, spielte die Hauptrolle des Gerardo unter „dem ausdrücklichen Vorsatz, das Berliner Publikum vom Wert eines ungestrichenen [...] ‚Kammersängers‘ zu überzeugen“ [KSA 4, S. 393]; er überzeugte zumindest die Theaterkritiker Julius Hart und Siegfried Jacobsohn [vgl. KSA 4, S. 402-404] sowie in der Einschätzung des Stücks auch Monty Jacobs [vgl. Wedekind an Berliner Tageblatt, 11.6.1907], der allerdings von Wedekinds „unzulänglicher Verkörperung“ der Hauptrolle sprach und meinte: „Frank Wedekinds schauspielerische Zurückhaltung erscheint leider nicht wie ein freiwilliger Entschluß, sondern wie das Resultat technischer Hilflosigkeit. Eine ängstliche Starrheit des Mienenspiels und ein ruckweis herausgestoßenes Sprechen machen den Zuschauer nervös. Nüancen fehlen völlig, es sei denn, daß man den Wechsel von Weste und Hose in den Entkleidungsszenen dafür ansieht.“ [M.J.: Kleines Theater. Gastspiel Frank Wedekind. In: Berliner Tageblatt, Jg. 36, Nr. 290, 11.6.1907, Morgen-Ausgabe, S. (3)]. Das schmerzt mich nicht sehr, da es mir thatsächlich nur darum zu thun war, das Stück in natürlicher Formin ungekürzter Form (siehe oben zur Aufführung „Der Kammersänger“). auf die Bühne zu bringen.

Wenn die Spielereidie Schauspielerei. Wedekind stand seinerzeit fast ununterbrochen in Gastspielen auf der Bühne. ein Ende hat, fahren wir voraussichtlich direkt nach Kannstatt bei Stuttgart, wo ich gerne acht Tage kohlensauer badentherapeutische Kohlensäurebäder nehmen. Wedekind war gesundheitlich angeschlagen. „Nie ging es ihm gesundheitlich so schlecht, wie im Frühjahr 07. Jetzt mußte er [...] kohlensaure, elektrische und Dampfbäder gebrauchen.“ [Kutscher 2, S. 210f.] Er nahm diese Bäder allerdings nicht in Cannstatt (seit 1905 Stadtbezirk von Stuttgart), sondern dem Tagebuch zufolge am 13.7.1907 in Leipzig („Kohlensaures Bad“) sowie in Frankfurt am Main am 16.7.1907 („Kohlensaures Bad“) und 17.7.1907 („Dampfbad“); er brach von Frankfurt am Main am 18.7.1907 nach Stuttgart auf, sah dort im Hotel allerdings Berthe Marie Denk und reiste daraufhin wieder ab, nach München [vgl. Tb]. möchte. Wann reisen Sie nach dem Norden?

Nochmals mit herzlichstem Gruß und Dank
Ihr
Frank Wedekind.


12.6.7.

Karl Kraus, Fritz Wittels und Ludwig von Janikowski schrieben am 23. Juni 1907 in Wien folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Post-Karte.

Drucksache.


Herrn Frank Wedekind
Berlin
Kurfürstenstraße 125


Viele herzliche Grüße, beste EmpfehlungTilly Wedekind hatte Karl Kraus und Irma Karczewska grüßen lassen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 12.6.1907]. an Ihre l. Frau! Änderung noch möglichKarl Kraus bezieht sich auf Wedekinds Frage, ob Änderungen in seinen Strophen „Der Dampfhammer“ (sie erschienen am 2.7.1907 in der „Fackel“) noch möglich seien [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 12.6.1907]..
Ganz Ihr
Kraus

(Irma Karczewska sendet viele GrüßeErwiderung der Grüße Tilly Wedekinds (siehe oben).)


Mit ergebenstem Dank für die freundliche Erwähnung meiner belanglosen Arbeitein unter Pseudonym veröffentlichter Aufsatz über die strafrechtliche Verfolgung des Schwangerschaftsabbruchs des Arztes, Psychoanalytikers, Schriftstellers und „Fackel“-Autors Fritz Wittels [vgl. Avicenna: Das größte Verbrechen des Strafgesetzes. (Das Verbot der Fruchtabtreibung.) In: Die Fackel, Jg. 8, Nr. 219-220, 22.2.1907, S. 1-22], auf den Wedekind zwei Tage zuvor in seinem Aufsatz „Mutter und Kind“ [vgl. KSA 5/II, S. 247-249], einer Einführung zum Vorabdruck seines die Folgen des § 218 behandelnden Stücks „Musik“ (in der Zeitschrift „Morgen“), hingewiesen hatte: „In § 218 des Deutschen Strafgesetzbuches wird das Verbrechen gegen das keimende Leben mit Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren bedroht. Dieser Paragraph ist meiner Ueberzeugung nach das Ergebnis einer abgefeimten Heuchelei [...]. In Nr. 219-220 der von Karl Kraus in Wien herausgegebenen ‚Fackel‘ behandelt Herr Dr. Fritz Wittels die Bestrafung des Verbrechens gegen das keimende Leben so erschöpfend, daß ich die Vorkämpferinnen für weibliche Unabhängigkeit nur bitten kann, diese Auseinandersetzungen zum Kriegsgesang zu erheben.“ [Frank Wedekind: Mutter und Kind. In: Morgen, Jg. 1, Nr. 2, 21.6.1907, S. 61f.] Karl Kraus wiederum zitierte in einer Notiz „Feminist“ die Stelle aus Wedekinds Artikel mit der Erwähnung des Aufsatzes von Fritz Wittels in größerem Kontext [vgl. Die Fackel, Jg. 8, Nr. 229, 2.7.1907, S. 21]..
Ihr
Fritz Wittels


Ergebenste Grüsse!
Janikowski |


Erzherzog Ludwig Victor-Palais. Wien, I., Schwarzenbergplatz.

Österr. ung. Staats-Eisenbahngebäude.

Frank Wedekind schrieb am 26. Juni 1907 in Berlin
an Karl Kraus

Über Auftrag des Herrn Karl Kraus übersenden wir diesen KorrekturabzugIm Erstdruck [vgl. Frank Wedekind: Der Dampfhammer. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.] sind die „nicht verworfenen Korrekturen“ aus der vorliegenden Fahnenkorrektur, einem früheren Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 12.6.1907] sowie einem späteren Brief [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 27.6.1907] alle „übernommen.“ [KSA 1/III, S. 611].


BUCHDRUCKEREIIn den „Fackel“-Heften ist jeweils auf der letzten Seite unten nach dem Herausgeber Karl Kraus die Wiener Buchdruckerei Jahoda & Siegel (Wien III, Hintere Zollamtsstraße 3) angegeben, mit deren Inhaber Georg Jahoda er „befreundet“ und die für die Zeitschrift „seit Oktober 1901 in enger Zusammenarbeit mit dem Herausgeber für Herstellung, Verlag und Administration [...] zuständig“ [Nottscheid 2008, S. 205f.] war.
JAHODA & SIEGEL
WIEN


Der Dampfhammer.

Nach der Melodie„Das Volkslied ‚Ist denn Lieben ein Verbrechen‘ ist [...] in zwei Fassungen nachgewiesen“; eine Fassung ist „vor 1810 entstanden“, eine weitere „1889“, wobei „die ältere Fassung [...] die populäre“ war. „Auf welche Quelle sich Wedekind bezog, ob er überhaupt auf eine nachweisliche Quelle zurückgriff oder ob ihm das Lied mündlich überliefert wurde, ist nicht zu belegen.“ [KSA 3/III, S. 614]: „Ist denn Lieben ein Verbrechen ..“

Von Frank Wedekind.


In der Esse fliegt der Hammer
Im Zylinder auf und ab;
Gottfried in der Mägdekammer
Fliegt nicht minder auf und ab.


Gottfried heißt des Schmieds Geselle,
Der gewaltige Knochen hat.
Eben schweißt er eine Stelle,
Die er selbst gebrochen hat.


Und ein Mägdlein, schlank und plastisch,
Stellt für ihn den Ambos vor,
Einen Ambos, der elastisch – so
Wie ein Riesenbambusrohr.   –– das schlankste dünnste Bambusrohr


Keines hört es, wie der lange
Hagre Meister tritt herein;
Eine schwere Eisenstange
Schleift der Meister mit herein.


Und er hält sie hoch in Lüften,
Schwingt sie, daß sie niederprallt,
Daß der Ton von Gottfrieds Hüften
Tausendfältig wiederhallt ...


Aus den Armen läßt der Riese
Seine Tugendreiche nicht;
„Mädchen, lacht er, läßt du diese   – treib doch
„Faden Jugendstreiche nicht!


„Möglich wär‘s, daß dem Entzücken
„Dein Gekitzel nützlich wär,
„Wenn Dein Liebster auf dem Rücken
„Wie am Leib so kitzlich wär.“


Der ich Euch dies Lied gesungen,   – Und der ich
Zürne mir und weine und
Bin von tiefster Scham durchdrungen,   – m   –– Schmerz
Denn ich bin kein Schweinehund.   – ein


Beste Grüße und Dank für freundliche Zeilenauf einer Bildpostkarte [vgl. Karl Kraus, Fritz Wittels, Ludwig von Janikowski an Wedekind, 23.6.1907].. (In StropheIm Erstdruck fehlt der gestrichene Satz. 3 entsteht ja allerdings eine Wiederholung, die ja aber vielleicht durch die Steigerung gerechtfertigt ist. Ein Schweinehund scheint mir aufrichtiger, ehrlicher

Frank Wedekind schrieb am 27. Juni 1907 in Berlin folgenden Brief
an Karl Kraus

Lieber Herr Kraus,

wenn es noch Zeit ist möchteim Erstdruck: ist, möchte. ich Ihnen noch folgende Correkturim Erstdruck: Korrektur. Sie ist im Erstdruck ausgeführt [vgl. Frank Wedekind: Der Dampfhammer. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 229, 2.7.1907, S. 19f.]. vorschlagen:


Keines hört es, wie der lange
Hagre Meister schleicht herein;
Eine schwere Eisenstange
Trägt der Meister leicht herein.


Es ist gezwungener, scheint mir aber um vieles vornehmer als die vorige Fassungdie Fassung der Korrekturfahne von „Der Dampfhammer“, in welcher der vierte Vers der vierten Strophe lautet: „Schleift der Meister mit herein.“ [Wedekind an Karl Kraus, 26.6.1907].. Verzeihen Sie die Belästigung. Sie werden meine Unermüdlichkeit komisch findenKarl Kraus merkte hier im Erstdruck an: „Schon damals war niemand im deutschen Sprachbereich weniger geneigt und geeignet, solche Unermüdlichkeit komisch zu finden.“ [Kraus 1920, S. 133].

Herzliche Grüße
Ihr
FrWedekindim Erstdruck: Fr. Wedekind. Es folgt der sich auf den letzten Vers von „Der Dampfhammer“ in der Korrekturfahne beziehende Zusatz [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 27.6.1907]: „Beste Grüße und Dank für freundliche Zeilen. Ein Schweinehund scheint mir aufrichtiger, ehrlicher.“.

Karl Kraus schrieb am 22. September 1907 in Bad Ischl folgenden Brief
an Frank Wedekind

Ischl, Sonntagder 22.9.1907..


Lieber Herr Wedekind,

ich bin nach achttägigem AufenthaltKarl Kraus ist am 12.9.1907 „nach Venedig gereist, wo er mit Fritz Wittels und Irma Karczewska zusammentraf“ [Nottscheid 2008, S. 206]. in Venedig wieder nach Ischl zurückgekehrt, um hier eine Arbeit zu beendenArbeiten an dem Sammelband „Sittlichkeit und Kriminalität“, die Karl Kraus im Juli „während seines Sommeraufenthaltes in Norderney“ [Sophie Schick: Die Vorarbeiten zu „Kultur und Presse“. In: Kraus Hefte, Heft 2, April 1977, S. 12-16, hier S. 13] begonnen hatte, das Buch aber erst zu Beginn des nächsten Jahres im Verlag der Buchhandlung L. Rosner (Inhaber: Carl Wilhelm Stern) erschien [vgl. Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. Wien und Leipzig 1908 (= Ausgewählte Schriften. Band 1)].. Der Zweck meines heutigen Schreibens ist aber nicht diese, sondern eine Mittheilung, die Sie mehr interessieren dürfte. Ich habe für die „Büchse der Pandoranicht nur in WienKarl Kraus hatte die Premiere von Wedekinds Tragödie „Die Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 in Wien veranstaltet und setzte sich nun für eine Aufführung am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg (Direktion: Alfred von Berger) ein, die nicht zustande kam [vgl. Nottscheid 2008, S. 275-280]., sondern auch in Hamburg gewirkt. Von befreundeter Seitevon Fritz Schik, Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 397], der seinerzeit mit Alfred von Berger nach Hamburg gegangen ist (das Deutsche Schauspielhaus wurde am 15.9.1900 eröffnet) und Karl Kraus über das Befinden von Annie Kalmar unterrichtete, war lebenslang mit Karl Kraus eng befreundet. Fritz Schik hatte Karl Kraus am 3.9.1907 geschrieben: „Vielleicht führen wir doch im Winter einen Wedekind auf; ich habe es angeregt.“ [Nottscheid 2008, S. 207; Original: Wienbibliothek im Rathaus, Karl-Kraus-Archiv], die auch dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg nahesteht und der ich in diesem Sommer wiederholt die Aufführung eines Ihrer Werke auf der Bühne des Baron BergerAlfred von Berger, ebenfalls seit vielen Jahren mit Karl Kraus befreundet, war Direktor des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 397]. Er hatte allerdings Vorbehalte gegen Wedekinds Tragödie, wie Briefe von ihm an Ernst Koehne, den stellvertretenden Direktor des Deutschen Schauspielhauses [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 397], zeigen, dem er am 3.9.1907 über eine Kontaktaufnahme mit dem für Zensur zuständigen Hamburger Polizeidirektor Gustav Roscher schrieb: „Was ‚Die Büchse der Pandora‘ betrifft, so ist es möglich, daß sie auch für das Mittwoch-Publikum zu stark ist. Jedenfalls muß ich den Brief an Hrn. Roscher erst erwägen; denn, wie Du meintest, aussprechen, daß mir an der Aufführung des Stückes gelegen ist, mich dafür sozusagen exponieren, das kann ich nicht, das würde mir, wenn es ausgebeutet wird, schaden.“ [Nottscheid 2008, S. 207; Original: Theatersammlung, Universität Hamburg] Alfred von Berger schrieb dann am 13.9.1907 an Ernst Koehne: „Beiligend ein Brief an Hrn. Polizeidirektor Roscher wegen der ‚Büchse der Pandora‘. Vielleicht übergibst Du ihn oder sendest Hrn. Schik. [...] Ich bin in der Sache nicht ohne Skrupel. Wenn das Stück nicht allzu viel Geld einbringt oder allzu argen Skandal erregt, so werden vielleicht manche, die mich jetzt zur Aufführung antreiben, mir Vorwürfe machen, gegen die ich nicht einmal immun bin, da ich das Stück für nicht so genial halte, um die Frechheit des Stoffes zu rechtfertigen. Es erregt mir im Grunde nur Langweile und Ekel.“ [Ebd.] ans Herz gelegt habe, ergeht das telegraphische ErsuchenDas Telegramm von Fritz Schik an Karl Kraus, aufgegeben am 20.9.1907 in Hamburg, lautet: „bitte sofort wedekind veranlaszen dem deutschen schauspielhaus vertrag über büchse der pandora einzusenden.“ [Nottscheid 2008, S. 207; Original: Wienbibliothek im Rathaus, Karl-Kraus-Archiv] an mich, Sie zur Einsendung eines Vertrags über die Büchse der Pandora an die Direktion des D. Sch. in Hamburg aufzufordern. Am Ende Vielleicht spiele ich also noch den Kungu PotiKarl Kraus hatte in der Wiener Premiere der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 (und in der Wiederholungsvorstellung am 15.6.1905) die Rolle des Kungu Poti, „kaiserlicher Prinz von Uahube“ [KSA 3/I, S. 478], gespielt. in Hamburg! Herzlichste Grüße an Sie und
Ihre liebe Frau
von Ihrem
Karl Kraus


(IschlIm Hotel zur Post war gemeldet: „Karl Kraus, Schriftsteller, Wien.“ [Fremden-Liste Bad Ischl, Nr. 75, 24.9.1907, S. (1)] Gleichzeitig logierte auch Fritz Wittels, Arzt aus Wien und Beiträger der „Fackel“, mit dem Karl Kraus in Venedig war (siehe oben), in diesem Hotel [vgl. Kur-Liste Bad Ischl, Nr. 61, 1.10.1907, S. (1)]., postlagernd)

Frank Wedekind schrieb am 25. September 1907 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Königreich Bayern
Kartenbrief


An
Herrn Karl Kraus
Redacteur der Fackel
in Ischl Oesterreich
Wohnung (Straße und Hausnummer) postlagernd |


Adresse des Absenders: |


Verehrter Herr Kraus, ich danke Ihnen sehr dafür, daß Sie sich in Hamburg für mich verwendetKarl Kraus hat sich für eine Aufführung der „Büchse der Pandora“ am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg eingesetzt, wie er Wedekind brieflich mitteilte [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 22.9.1907]. haben. Das Thaliatheater hat aber schon letzten WinterWedekind dürfte mit Leopold Jessner, Oberregisseur am Hamburger Thalia-Theater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 400], wo unter dessen Regie eine erfolgreiche „Erdgeist“-Inszenierung (Premiere: 27.9.1906) stattgefunden hatte [vgl. KSA 3/II, S. 1229f.], außer über eine Tournee mit „Erdgeist“ auch über eine mögliche Inszenierung der „Büchse der Pandora“ gesprochen haben, als er ihn am 22.11.1906 in Berlin traf: „Leopold Jeßner bespricht mit mir seine Erdgeisttournee.“ [Tb] mit mir über eine eventuelle AufführungWedekind hatte seiner Frau zehn Tage zuvor mitgeteilt, das Hamburger Thalia-Theater (Direktion: Max Bachur), an dem Leopold Jessner stellvertretender Direktor und Oberregisseur war [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 400], werde seine Tragödie „Die Büchse der Pandora“ aufführen [vgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 15.9.1907] und zugleich Leopold Jessner für die Inszenierungspläne gedankt [vgl. Wedekind an Leopold Jessner, 15.9.1907]; eine Aufführung dort kam aber erst Jahre später zustande – die Premiere fand am 23.4.1911 unter der Regie von Leopold Jessner statt [vgl. KSA 3/II, S. 1262]. von Pandora gesprochen. Außerdem habe ich wenig Zutrauen zur Berger’schen Regieim Erstdruck danach kein Komma. Vorbehalte Wedekinds gegen die Regieleistungen von Alfred von Berger, seit 1900 Direktor des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1908, S. 397], stammen wohl aus der Zeit, als der mit ihm befreundete Carl Heine dort gerade Regisseur geworden war; so bemerkte er, man munkele, „daß Berger etwas verkitscht sei“ [Wedekind an Beate Heine, 10.3.1902]., die für mich der Inbegriff der Schulmeisterlichkeit ist. Das alles hindert natürlich nicht, daß Sie den Kungu PotiKarl Kraus hatte die Rolle in der Wiener Inszenierung der „Büchse der Pandora“ am 29.5.1905 und 15.6.1905 gespielt und in Erwägung gezogen, sie auch in Hamburg zu spielen [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 22.9.1907]. | spielen. Übrigens bin ich eben dabei eine dankbarere Rolledie Rolle des Dr. Cajetan Prantl, „Sekretär des Beichtvaters Seiner Majestät“ [KSA 6, S. 207], im entstehenden Einakter „Die Zensur“ [vgl. KSA 6, S. 827], die zu spielen Wedekind Karl Kraus für geeignet hielt [vgl. KSA 6, S. 830]. Er hat sich am 23. und 24.9.1907 (dann nochmals am 26.9.1907) mit dem Franziskanermönch Pater Expeditus (Dr. Carl Hermann Schmidt) getroffen [vgl. Tb] und über die Gestaltung dieser Figur gesprochen hat – der Pater „diente Wedekind als Gesprächspartner“ und zugleich „als Modell für die Figur des Dr. Prantl“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 70], deren Rollenname anspielt auf den Hegelianer, Religionsgegner und Philosophieprofessor Carl von Prantl [vgl. KSA 6, S. 859]. für Sie zu schreiben. Deshalb antworte ich Ihnen auch so kurz, da ich nur noch acht Tagebis zum 3.10.1907, an dem Wedekind nach Berlin reiste [vgl. Tb]. für die Arbeit übrig habe.

Auf baldiges WiedersehnWedekind sah Karl Kraus am 8.11.1907 in Berlin wieder: „Nachmittags kommt Karl Kraus.“ [Tb] mit besten Grüßen Ihr
FrWedekindim Erstdruck: Fr. Wedekind..


Amalienstraße 86.

25.9.7.

Karl Kraus schrieb am 26. September 1907 in Bad Ischl folgenden Brief
an Frank Wedekind

Ischl, 26. Sept.


Lieber Herr Wedekind,

für Ihr Schreibenvgl. Wedekind an Karl Kraus, 25.9.1907. danke ich Ihnen bestens. Ich möchte Ihnen aber, ehe ich nach Hamburg Antwort schicke, doch eines zu bedenken geben. Es scheint mir kaum möglich, daß das ThaliatheaterWedekind hatte von einer möglichen Inszenierung der „Büchse der Pandora“ am Hamburger Thalia-Theater berichtet [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 25.9.1907], als Karl Kraus ihm das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg für eine solche Inszenierung nahelegte [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 22.9.1907]. die Büchse der Pandora freibekommt. Dies eine Moment schon müßte Ihnen über alle Bedenken helfen. Nun aber der Regie-PunktWedekind hatte Vorbehalte gegen die Regieleistungen von Alfred von Berger, Direktor des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, geäußert [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 25.9.1907].. Ich glaube mich zu erinnern, daß Sie mir in Wien gesagt haben, Sie hätten selbst noch keine Vorstellung am Deutschen Schauspielhaus gesehen. Ich habe deren viele gesehen. Und in der Fackel die Ansicht ausgesprochen, daß Baron Berger ein Regisseur allerersten Ranges ist. Dies schrieb ich in einem Artikel über „SalomeKarl Kraus hatte die erste öffentliche Inszenierung von Oscar Wildes „Salome“ (1893) am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg unter der Regie von Alfred von Berger (Premiere: 10.2.1903) gelobt und gegen die von der Zensur freigegebene Inszenierung von Max Reinhardt am Neuen Theater in Berlin (Premiere: 29.9.1903) hervorgehoben: Alfred von Berger sei „ein Regisseur [...], dessen befeuernder Theaterblick eine Gesamtheit von Künstlern, von denen die meisten einem Burgtheatervergleich gewiß nicht Stand halten könnten, zu unvergleichlich höheren Wirkungen geführt hat, als man sie [...] in Berlin gewohnt ist: Berger in Hamburg […]. Die somnambule Stimmung einer aus Wollust und Grauen bereiteten Vision; das rhythmisierte Tempo des aus schwüler Ruhe zur Katastrophe eines Zeitalters hastenden Fiebertraums; die aus dumpfen Seelen, aus einer Zisterne und aus dem Himmel dräuende Wende zweier Welten, der unsichtbare Galiläer und ein stilisierter Mond, der vom blanken Rund zum scharlachfleckigen Ungetüm alle Phasen irdischen Unheils begleitet, – die Unregelmäßigkeit der aus den Fugen gebrachten Natur: all dies ist auf der Hamburger Bühne, wo die erste öffentliche Aufführung der ‚Salome‘ stattfand, möglich gewesen.“ [Salome. In: Die Fackel, Jg. 5, Nr. 150, 23.12.1903, S. 1-14, hier S. 11], die bei Berger unvergleichlich besser herausgebracht wurde als in Berlin bei Reinhardt. Ich habe Berger auch selbst | Regie führen gesehen – im ersten JahrKarl Kraus hat nach Eröffnung des Hamburger Deutschen Schauspielhauses am 15.9.1900, wo eigentlich Annie Kalmar hatte spielen sollte (Karl Kraus hatte ihr das Engagement bei Alfred von Berger vermittelt), aber ihrer Krankheit wegen nie aufgetreten ist, die verehrte kranke Schauspielerin, die er „leidenschaftlich geliebt“ [Fischer 2020, S. 152] hat, in Hamburg bis zu ihrem Tod am 2.5.1901 mehrfach besucht [vgl. „Wie Genies sterben“. Karl Kraus und Annie Kalmar. Briefe und Dokumente 1899-1999. Hg. von Friedrich Pfäfflin und Eva Dambacher in Zusammenarbeit mit Volker Kahmen. Göttingen 2001, S. 20]. des Deutschen Schauspielhauses –, ich war zugegen, als dieser und jener Theaterkitsch (wie Alt-HeidelbergWilhelm Meyer-Försters erfolgreiches Bühnenstück „Alt-Heidelberg“ (1901) hatte am 24.1.1902 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Premiere [vgl. Neue Hamburger Zeitung, Jg. 7, Nr. 38, 23.1.1902, Abend-Ausgabe, S. (8)], Regie führte der mit Wedekind befreundete Carl Heine (nicht Alfred von Berger, wie Karl Kraus meinte): „Die Regie des Herrn Dr. Carl Heine hat in der Anordnung der schwierigen Massenscenen mit ihrem Radau und tollen Scherzen ein Meisterstück geliefert.“ [M.L.: Deutsches Schauspielhaus in Hamburg. „Alt-Heidelberg.“ In: Altonaer Nachrichten, Nr. 42, 25.1.1902, Abend-Ausgabe, S. (3)]) unter seinen Händen fast zur Dichtung wurde. Herr HardenMaximilian Hardens Äußerung in einem der Hefte seiner Wochenschrift „Die Zukunft“ (Berlin), auf die sich Karl Kraus hier bezieht, ist nicht ermittelt., auf dessen Urtheil in Theaterdingen ich mich gewiß nicht allzu gern berufeKarl Kraus hatte schon seit einiger Zeit Maximilian Harden in der „Fackel“ bissig glossiert; die erste große Polemik gegen den Berliner Publizisten erschien rund einen Monat darauf [vgl. Karl Kraus: Maximilian Harden. Eine Erledigung. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 234-235, 31.10.1907, S. 1-36]., ist ganz derselben Ansicht und hat Berger in der „Zukunft“ für den bedeutendsten unter den lebenden Theatermännern und für die stärkste Regisseur-Persönlichkeit seit Dingelstedt erklärt. Wenn Sie Aufführungen im Deutschen Schauspielhaus gesehen haben, dann kann ich allerdings gegen Ihre Meinung nichts vorbringen. Ich erinnere mich aber nur, dass wir in WienWedekind und Karl Kraus haben sich zuletzt am 20. und 21.5.1907 in Wien gesehen [vgl. Tb]. über Berger’s Fähigkeiten bloß im Zusammenhang mit einem abfälligen UrtheilFelix Salten hat sich zuletzt in einem größeren Beitrag in der Wiener Tageszeitung „Die Zeit“ (er war dort Feuilletonredakteur) abfällig über Alfred von Berger geäußert, über einen Artikel von ihm, den er eine „lächerliche Nichtigkeit“ nannte, und erwähnte ihn auch als Hamburger Theaterdirektor: „Der Herr Baron Berger ist ein eifriger Mann. Seit drei Dezennien bemüht er sich, Burgtheaterdirektor zu werden. Und seine Anstrengungen, dieses Ziel zu erreichen, sind oft possierlich genug. Er produziert sich in Hamburg als Bühnenleiter und depeschiert seine ‚sensationellen‘ Erfolge nach Wien. Noch nie vorher hat die ‚Neue Freie Presse‘ so viel Hamburger Theatertelegramme gebracht, als seitdem Baron Berger dort den exilierten Burgtheaterretter spielt.“ [F.S.: Die Erinnerung des Baron Berger. In: Die Zeit, Jg. 6, Nr. 1762, 21.8.1907, S. 2] des Herrn Salten gesprochen haben. Das Urtheil des Herrn Salten bewegt sich gerade in der Richtung der neuberlinischen TheatermeinungAuffassungen vom Theater, wie sie Max Reinhardt in Berlin vertrat, im Unterschied zum alten ‚großen Stil‘, wie er durch das Burgtheater in Wien tradiert war., die sich gegen alles auflehnt, was irgendwie an den großen Stil anknüpft. Überdies: Sie | wollen Berger kein Werk überlassen, weil Sie zu seiner Regie kein Vertrauen haben. Herr Salten aber spricht sich gegen den Theatermann Berger aus, nachdem ihm ein Stücknicht ermittelt. vom Deutschen Schauspielhaus abgelehnt worden ist. Ehe er es einreichte, hat er – dies kann ihm nachgewiesen werden – nicht genug LobFelix Salten lobte Alfred von Berger wenige Wochen bevor am 15.9.1900 in Hamburg das Deutsche Schauspielhaus (Direktion: Alfred von Berger) mit Goethes Tragödie „Iphigenie auf Tauris“ (1787) – in der Titelrolle Stella Hohenfels, Wiener Hofburgschauspielerin und Alfred von Bergers Gattin – eröffnet wurde: „Binnen kurzer Frist wird in Hamburg das neue Schauspielhaus eröffnet, zu dessen Leitung Freiherr Alfred Berger berufen ist. Ein emsiger, vernünftig strebender Mann gelangt da in eine von jeher gewünschte Thätigkeit [...]. Berger’s Zuneigung zum Theater hat sich schon durch ihre ungewöhnliche Ausdauer als ein wirklich innerer Beruf legitimirt. Wer nur seine eigene Person durchsetzen will, wird es auf mancherlei Arten versuchen. Aber nur Derjenige, der in einem Fach etwas Wesentliches zu sagen hat, besteht so geduldig darauf, zu einer ganz bestimmten Sache das Wort zu erlangen, wie Berger auf seinem Willen zum Theater verharrte.“ [Felix Salten: Milieu und kein Ende. I. In: Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 6699, 8.7.1900, S. 2] für den außerordentlichen Kopf aufbringen können, aus dem die Frau Hohenfels die Auffassung der Iphigenie bezog u. dgl.

Ich glaube, es wäre jammerschade, wenn Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen ließen, die Pandora am Deutschen Schauspielhaus, unter der Regie Bergers, aufgeführt zu sehen. All dies sage ich natürlich in der Voraussetzung, daß Ihr Mißtrauen keiner persönlichen Erfahrung entspringt. Ich bitte Sie sich in Ihrer Arbeit nicht stören zu lassen und mir auf diesen Brief nur mit einer Zeile zu antworten, wenn Sie sich die Angelegenheit in meinem Sinne überlegt haben. Sollten Sie von Ihrem ablehnenden | Standpunkt nicht abgehen, so bedarfs der Mühe eines Antwortschreibens nicht. Ich würde in jedem Fall Montag nach Hamburg schreiben, da ich einem Freundedem Dramaturgen Fritz Schik [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 22.9.1907]., der bei mir anfragte, Antwort schulde. Sie sind sicherlich davon überzeugt, daß ich – sollten auch unsere Ansichten über Berger grundverschieden bleiben – Ihr Interesse zumal in Sachen der „Pandora“ so gut zu wahren bemüht bin wie Sie selbst.

Mit den herzlichsten Grüßen,
auch an Ihre l. Frau
Karl Kraus


Ischl postlagernd

Karl Kraus schrieb am 30. November 1907 in Wien folgenden Brief
an Frank Wedekind , Frank Wedekind

Lieber Herr Wedekind,

ein sehr ernstzunehmender Kritikernicht identifiziert. schreibt mir: „Ich lese auf Plakatennicht ermittelt; das dort annoncierte Auftreten Wedekinds dürfte Werbeanzeigen in der Wiener Presse entsprochen haben, in denen für die „Musik- und Theater-Ausstellung“ in Wien – Veranstaltungsort: „k.k. Gartenbausäle, I. Parkring 12“ – angekündigt war: „Sensationelle Gastspiele: 8. und 9. Dezember. Frank Wedekind mit Frau und Ensemble ‚Totentanz‘ und ‚Kammersänger‘“ [Die Bombe. Insertionspresse, Nr. 48, 1.12.1907, S. (3)]., daß Wedekind in der „Theater- und Musikausstellungdie Musik- und Theaterausstellung in Wien, „ein Unternehmen des Wiener Konzertveranstalters Hermann Benke“, die vom 5. bis 22.12.1907 stattfinden sollte, aber „bereits nach wenigen Tagen abgebrochen“ [Nottscheid 2008, S. 212] wurde. In der Presse war angekündigt: „Das Komitee der Musik- und Theaterausstellung hat folgende Gastspiele vorbehältlich abgeschlossen: Für die Abende am 8. und 9. Dezember Frank Wedekind mit Frau und Ensemble (‚Totentanz‘ und ‚Kammersänger‘), 11. und 12. Dezember ‚Berliner Puppenspiele‘ des Münchener Bildhauers Hecker (‚Tod der Tintagiles‘ von Maeterlinck und ‚Salome‘-Parodie), 13. und 14. Dezember Miß Mabel Allice (‚Ho-Ko-Jeng‘), Tänze, Lieder und Deklamationen in deutscher, englischer, französischer und chinesischer Sprache.“ [Musik- und Theaterausstellung. In: Die Zeit, Jg. 6, Nr. 1857, 24.11.1907, Morgenblatt, S. 4] Wedekinds angeblicher Auftritt war möglicherweise bereits zuerst für den 7.12.1907 angekündigt, wie ein Pressebericht nahelegt: „Vorgestern wurde eine sogenannte ‚Musik- und Theaterausstellung‘ in der Gartenbaugesellschaft [...] eröffnet. [...] Heute hätte Frank Wedekind gastieren sollen. Abgesagt.“ [Was man in Wien eine Ausstellung nennen darf. In: Arbeiter-Zeitung, Jg. 19, Nr. 336, 7.12.1907, Morgenblatt, S. 5]“ (Gartenbaudas Gartenbaugebäude der Gartenbaugesellschaft in Wien (I, Parkring 12), auch Gartenbausäle oder Blumensäle genannt.) auftreten wird – „Kammersänger“ und „Totentanz“. Ich halte diese Ausstellung für ein schwindelhaftes Geschäftsunternehmen. Wedekind weiß das offenbar nicht und wird sich arg kompromittieren. Nach ihm kommt eine Salome-Parodieeine Parodie auf Oscar Wildes „Salome“ (1893)., später eine „Tänzerindie Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Mabel May-Yong, deren Name in unterschiedlichen Schreibweisen durch die Pressemeldungen geisterte; so ist etwa von „der chinesisch-deutschen Sängerin und Tänzerin Miß Mabel Allis Hokijong“ [Illustrirtes Wiener Extrablatt, Jg. 36, Nr. 326, 27.11.1907, S. 12], von „Miß Mabel Alice (‚Ho-Ki-Yong‘)“ [Wiener Allgemeine Zeitung, Nr. 8900, 25.11.1907, S. 3] oder „Miß Mabel Allice (‚Ho-Ko-Jeng‘)“[Die Zeit, Jg. 6, Nr. 1857, 24.11.1907, Morgenblatt, S. 4] die Rede.. So wird es wieder ein Geschimpfe geben. Könnten Sie nicht Wedekind nicht rechtzeitig warnen? Er soll Krankheit vorschützen. Schon die Art der Ankündigung, an den Straßenecken und marktschreierisch, ist unwürdig.“ Der Schreiber dieses Briefs ist ihr bester Anhänger. Ich fühle mich verpflichtet, ihn weiterzubefördern an Ihre Adresse zu gebenKarl Kraus hat den nicht überlieferten Brief des nicht identifizierten Kritikers, aus dem er zitiert, offenbar dem vorliegenden Brief beigelegt.. Auch ich habe nichts GutesKarl Kraus äußerte sich später ausführlicher über die Musik- und Theaterausstellung (ohne Wedekind zu erwähnen), in einem Essay, in dem es heißt: „Die Geschichte von der Ausstellung, die mit der feierlichen Eröffnung von ‚Schwierigkeiten‘ ihren Anfang nahm, die Veranstaltung eines Defizits zum Zweck hatte und schneller geschlossen wurde, als ein ordentlicher Krach braucht, um gehört zu werden, ist ein Possenstoff, dessen Brachliegen für die Verarmung des Wiener Geistes besser zeugt als fünfhundert Aufführungen des ‚Walzertraums‘.“ [Karl Kraus: Eine Musik- und Theaterausstellung. In: Die Fackel, Jg. 9, Nr. 239/240, 31.12.1907, S. 34-40, hier S. 38] von dieser „Ausstellung“ gehört.

Viele herzl. Grüße von Ihrem
ergebensten Kraus.


Beste Empfehlungen an Ihre l. Frau!

Karl Kraus schrieb am 9. Juni 1913 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind , Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Brief an Karl Kraus vom 18.6.1913 aus München:]


Empfangen Sie meinen herzlichen Dank für „Nestroy und die Nachwelt“ [...]

Frank Wedekind schrieb am 18. Juni 1913 in München folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr verehrter Herr Kraus!

Empfangen Sie meinen herzlichen DankWedekind bedankte sich für die Gedenkrede „Nestroy und die Nachwelt“, die Karl Kraus „am 2.5.1912 im Rahmen einer vom Akademischen Verband für Literatur und Musik in Wien veranstalteten Nestroy-Feier gehalten“ [Nottscheid 2008, S. 213] hatte und in der „Fackel“ veröffentlichte [vgl. Karl Kraus: Nestroy und die Nachwelt. Zum 50. Todestage. In: Die Fackel, Jg. 14, Nr. 349/350, 13.5.1912, S. 1-23], aber zugleich auch als „broschierten Sonderdruck“ [Nottscheid 2008, S. 214], den er Wedekind am 7. oder 8.6.1913 (siehe unten) in Wien überreicht haben dürfte. für „Nestroy und die Nachwelt“, das ich am Tag der letzten Vorstellungam 12.6.1913, an dem Wedekind die letzte Vorstellung seines „Franziska“-Gastspiels am Deutschen Volkstheater in Wien (6. bis 12.6.1913) vermerkte: „3. Vorstellung Franziska.“ [Tb] Er notierte dann am 13.6.1913 seine Reise zurück nach München, wo er abends eintraf: „Abfahrt von Wien. Abendessen zu Haus.“ [Tb] morgens im Bett mit größtem Genuß verschlang. Abgesehen von dem höchst ehrenvollen PlatzEine Passage in „Nestroy und die Nachwelt“ (siehe oben) ist Wedekind gewidmet, in der es heißt: „In Nestroy ist so viel Literatur, daß sich das Theater sträubt, und er muß für den Schauspieler einspringen. Er kann es, denn es ist geschriebene Schauspielkunst. In dieser Stellvertretung für den Schauspieler, in dieser Verkörperung dessen, was sich den eigentlichen Ansprüchen des Theaters leicht entzieht, lebt ihm heute eine Verwandschaft, die schon in den geistigen Umrissen der Persönlichkeit hin und wieder erkennbar wird: Frank Wedekind. Auch hier ist ein Überproduktives, das dem organischen Mangel der Figur durch die Identität nachhilft und zwischen Bekenntnis und Glaubhaftigkeit persönlich vermittelt. Der Schauspieler hat eine Rolle für einen Dichter geschrieben, die der Dichter einem Schauspieler nicht anvertrauen würde. In Wedekind stellt sich [...] ein Monologist vor uns, dem gleichfalls eine scheinbare Herkömmlichkeit und Beiläufigkeit der szenischen Form genügt, um das wahrhaft Neue und Wesentliche an ihr vorbeizusprechen und vorbeizusingen. [...] die Analogie im Tonfall witzig eingestellter Erkenntnisse [...]. Der Tonfall ist jene Äußerlichkeit, auf die es dem Gedanken hauptsächlich ankommt, und es muß irgendwo einen gemeinsamen Standpunkt der Weltbetrachtung geben, wenn Sätze gesprochen werden, die Nestroy so gut gesprochen haben konnte wie Wedekind.“ [Die Fackel, Jg. 14, Nr. 349/350, 13.5.1912, S. 8f.] den Sie mir in der Abhandlung | anweisen, finde ich die Schrift prachtvoll, voll von Gedanken, die ebenso schön sind wie der von dem bis zur Schönheit veränderlichen GesichtIn „Nestroy und die Nachwelt“ (siehe oben) heißt es: „Bei Nestroy [...] lassen sich in jeder Posse Stellen nachweisen, wo die rein dichterische Führung des Gedankens durch den dicksten Stoff, wo mehr als der Geist: die Vergeistigung sichtbar wird. Es ist der Vorzug, den vor der Schönheit jenes Gesicht hat, das veränderlich ist bis zur Schönheit. [...] die Lyrik [...] ist nie polemisch, immer schöpferisch [...]. Wie ist sie die wahre Symbolik, die aus den Zeichen einer gefundenen Häßlichkeit auf eine verlorene Schönheit schließt und kleine Sinnbilder für den Begriff der Welt setzt!“ [Die Fackel, Jg. 14, Nr. 349/350, 13.5.1912, S. 10f.]. Von Herzen beglückwünsche ich Sie zu diesem Werk. Sie kämpfen für den Geist, der Ernst und Komik von mit gleicher Meisterschaft beherrscht, den Geist in dem „Faust“ und „Kabale und Liebe“ sich decken und der in unserer schulmeisterlich | pedantischen engherzigen Zeit der tiefsten Verachtung preisgegeben ist.

Leider ergab es sich, daß wir nach der letzten Vorstellung sofort abreisen mußten, sonst wäre ich sicher noch zu Ihrer TafelrundeKarl Kraus dürfte Wedekind eingeladen haben, den Abend des 12.6.1913 nach der letzten „Franziska“-Vorstellung (siehe oben) mit ihm im Bekanntenkreis zu verbringen. gekommen. Für die liebenswürdige GastlichkeitKarl Kraus war mit Wedekind während dessen Aufenthalt in Wien vom 4. bis 13.6.1913 Wedekinds Tagebuch zufolge an zwei Tagen zusammen, am 7.6.1913 („Fahrt mit Kraus per Auto auf den Kobenzl“) und am 8.61913 mit Franz Werfel, Walter Hasenclever und Adolf Loos („Café Imperial Kraus Werfel Hasenklever Loos e.ct.“). mit der Sie mich empfingen sage ich Ihnen herzlichsten Dank

Mit schönsten Grüßen
Ihr ergebener
Frank Wedekind.


[Kuvert:]


Herrn Karl Kraus
Wien
Lothringerstrasse 7irrtümliche Hausnummer. Karl Kraus, Schriftsteller und Herausgeber der „Fackel“, wohnte seit 1912 im I. Bezirk Wiens in der Lothringerstraße 6 [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1913, Teil VII, S. 680]. Den Postzustellvermerken auf dem Kuvert zufolge konnte der Brief in Wien nicht zugestellt werden und wurde nach München zurückgeschickt..

Frank Wedekind schrieb am 22. Juli 1916 in München folgende Postkarte
an Karl Kraus

Sehr verehrter Herr Kraus! Nachdem ich eben wieder mit großem Vergnügen die „Fackel“ gelesenwohl das zuletzt herausgekommene Heft [vgl. Die Fackel, Jg. 18, Nr. 426-430, 15.6.1916]., übersende ich Ihnen mit gleicher PostWedekind notierte am 22.7.1916 mit Rotstift: „Überfürchtenichts an Karl Kraus geschickt“ [Tb]. Karl Kraus schrieb später über Wedekinds Sendung: „In einem der Kriegsjahre sandte er der Fackel das Manuskript seines Dialogs ‚Überfürchtenichts‘“ [Briefe Frank Wedekinds. In: Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 101]. Seiner Freundin Sidonie Nádherný hatte Karl Kraus am 26.7.1916 geschrieben: „Von Wedekind ein Manuskript erhalten, das ich nicht brauchen kann.“ [Pfäfflin 2005, S. 408] eingeschrieben ein Manuscriptein Typoskript [vgl. KSA 8, S. 934] – Wedekinds Notiz vom 17.7.1916 zufolge: „Überfürchtenichts diktiert“ [Tb]; eins der „fünf Exemplare“ [Wedekind an Ludwig Friedmann, 23.7.1917].Überfürchtenichts“ mit der Anfrage ob es sich vielleicht zum Abdruck in der „Fackel“ eignen würde. Darf ich noch dazu bemerken: Da es eine Art Einakter ist, würde ich ein einzelnes Bruchstück daraus nicht gerne abgesondert veröffentlicht sehen. | Ihrer geschätzten Benachrichtigung entgegensehend
mit schönsten Grüßen
Ihr alter
Frank Wedekind.


Königreich Bayern
Postkarte


Herrn Karl Kraus
Herausgeber der Fackel
Wien III 2
Hintere Zollamtsstrasse 3

Frank Wedekind schrieb am 26. Juli 1916 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Karl Kraus

[1. Hinweis von Karl Kraus (Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 101):]


In einem der Kriegsjahre sandte er der Fackelvgl. Wedekind an Karl Kraus, 22.7.1916. das Manuskript seines Dialogs „Überfürchtenichts“, das er wieder zurückzogHinweis auf das hier erschlossene Telegramm (siehe unten)., noch ehe ich ihm mitteilen konnteHinweis auf die nicht überlieferte Antwort (siehe unten) auf Wedekinds Anfrage, ob „Überfürchtenichts“ in der Zeitschrift „Die Fackel“ gedruckt werden könne [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 22.7.1916]., daß kein fremder Beitrag mehr in der Fackel erscheine.


[2. HinweisEs handelt sich bei dem Hinweis um den Wortlaut der Fußnote im Erstdruck zu Wedekinds Postkarte, in der er Karl Kraus den Abdruck des „Überfürchtenichts“ anbot [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 22.7.1916]. von Karl Kraus (Die Fackel, Jg. 23, Nr. 583-587, Dezember 1921, S. 31):]


Die telegraphische Zurückziehungein Telegramm, das hier erschlossene Korrespondenzstück. kreuzte sich mit der bedauernden Antwortnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Karl Kraus an Wedekind, 26.7.1916., daß die Fackel für fremde Beiträge keinen Raum mehr habe.

Karl Kraus schrieb am 26. Juli 1916 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[1. Hinweis von Karl Kraus (Die Fackel, Jg. 21, Nr. 521-530, Januar 1920, S. 101):]


In einem der Kriegsjahre sandte er der Fackel das Manuskriptvgl. Wedekind an Karl Kraus, 22.7.1916. seines Dialogs „Überfürchtenichts“, das er wieder zurückzogHinweis auf ein nicht überliefertes Telegramm (siehe unten)., noch ehe ich ihm mitteilen konnteHinweis auf das hier erschlossene Korrespondenzstück., daß kein fremder Beitrag mehr in der Fackel erscheine.


[2. HinweisEs handelt sich bei dem Hinweis um den Wortlaut der Fußnote im Erstdruck zu Wedekinds Postkarte, in der er Karl Kraus den Abdruck des „Überfürchtenichts“ anbot [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 22.7.1916]. und Referat von Karl Kraus (Die Fackel, Jg. 23, Nr. 583-587, Dezember 1921, S. 31):]


Die telegraphische Zurückziehungein nicht überliefertes Telegramm; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Karl Kraus, 26.7.1916. kreuzte sich mit der bedauernden Antwortdas hier erschlossene Korrespondenzstück., daß die Fackel für fremde Beiträge keinen Raum mehr habe.

Karl Kraus schrieb am 22. August 1916 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 24.8.1916 in München:]


Erhalte Überfürchtenichts von WienWedekind hatte „Überfürchtenichts“ für eine Veröffentlichung der Zeitschrift „Die Fackel“ angeboten und ein Typoskript nach Wien geschickt [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 22.7.1916], das Angebot dann aber telegraphisch zurückgezogen [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 26.7.1916] und eine Absage erhalten [vgl. Karl Kraus an Wedekind, 26.7.1916]; er dürfte das seinerzeit an Karl Kraus versandte Typoskript nun von dem Herausgeber der „Fackel“ zurückerhalten haben. – Leo Schidrowitz, dem Wedekind „Überfürchtenichts“ für eine Veröffentlichung in der Monatsschrift „Die Ernte“ nach Wien geschickt hat [vgl. Wedekind an Leo Schidrowitz, 7.8.1916], kommt als Absender nicht in Frage, da die Druckvorlage noch benötigt wurde; der Druck in der „Oktobernummer“ [„Die Ernte“. In: Berliner Tageblatt, Jg. 45, Nr. 502, 30.9.1916, Abend-Ausgabe, S. (2)] der „Zeitschrift [...] die ‚Ernte‘ [...], die unter der Leitung von Leo Schidrowitz steht“ [Neues Wiener Journal, Jg. 24, Nr. 8229, 26.9.1916, S. 11], stand noch in Aussicht und zur Debatte [vgl. Wedekind an Leo Schidrowitz, 6.10.1916]. zurück [...]

Frank Wedekind schrieb am 1. August 1917 in Zürich folgende Visitenkarte
an Karl Kraus

Sehr verehrter Herr KrausWedekind, der sich seit dem 10.5.1917 in Zürich aufhielt [vgl. Tb], hatte Karl Kraus, der im Sommer 1917 eine „ausgedehnte Autoreise durch die Schweiz“ [Nottscheid 2008, S. 215] unternahm und gerade in Zürich Station machte, am 30.7.1917 dort zufällig getroffen: „Mit Anna Pamela in der Stadt treffe Karl Kraus auf der Post“ [Tb]. Karl Kraus erinnerte „ein zufälliges Wiedersehen im Spätsommer in Zürich“ [Kraus 1920, S. 135].!

Dürfte ich Sie ersuchen, wenn Sie um Mittag ins Hotel kommen, meine Frau durch Bäckerei Kaiserdie Bäckerei des Bäckermeisters Wilhelm Kaiser (Dolderstraße 15) [vgl. Adressbuch für die Stadt Zürich 1917, Teil I, S. 271; Teil II, S. 17], in einer Parallelstraße zu der Straße gelegen, in der Wedekinds Wohnung (Schönbühlstraße 14) lag. Telephon 5617 wissen zu lassen, ob wir Sie heute Nach|mittag um vier Uhrum 16 Uhr. Ob Karl Kraus am 1.8.1917 nachmittags bei Wedekind zu Besuch war, ist unklar; er besuchte ihn jedenfalls vor dem 9.8.1917 [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 9.8.1917]. bei uns erwarten dürfen. Mit schönsten Grüßen Ihr
Frank Wedekind
(Schönbühlstraße 14 III)

Frank Wedekind schrieb am 9. August 1917 in Zürich folgenden Brief
an Karl Kraus

Sehr geehrter Herr Kraus! Herzlichen Dank für das schöne Geschenk, daßrecte: das. Sie mir mit den Kriegsnummern der „FackelKarl Kraus dürfte bei seinem Besuch bei Wedekind (siehe unten) die letzten Hefte seiner Zeitschrift „Die Fackel“ mitgebracht haben. Er hat „während des Ersten Weltkriegs zu den wenigen Publizisten gehört, die von Beginn an konsequent gegen das Kriegstreiben auftraten“ [Nottscheid 2008, S. 216]. zugedacht, deren meiste ich schon kenne, deren Lektüre mir aber täglich neue Herzstärkung bietet. Wir alle freuen uns noch über Ihren lieben BesuchKarl Kraus hat Wedekind entweder am 1.8.1917 nachmittags besucht oder an einem der dann folgenden Tage [vgl. Wedekind an Karl Kraus, 1.8.1917]. Bei diesem Besuch dürfte über den Krieg gesprochen worden sein. Karl Kraus bemerke rückblickend angesichts von „Stimmen, der Dichter habe in der Schweiz Vorträge für die deutsche Kriegspropaganda gehalten“ [Nottscheid 2008, S. 216]: „Diese Propaganda-Tätigkeit hat Wedekind in Gesprächen, die ich ebendort mit ihm über deutsches Wesen und deutsche Art geführt habe, vor mir streng zu verbergen gewußt.“ [Die Fackel, Jg. 20, Nr. 474-483, 23.5.1918, S. 73]. Mit schönsten Grüßen von meiner Frau und mir
Ihr alter Frank Wedekind.

Frank Wedekind schrieb am 16. September 1917 in Zürich folgenden Brief
an Karl Kraus

Zürich 16. September 1917.

Schönbühlstraße 14 III.


Lieber verehrter Herr Karl Kraus!

Ihre Gedichtedie Gedichtbände „Worte in Versen“ (1916) und „Worte in Versen II“ (1917) von Karl Kraus, beide im Verlag der Schriften von Karl Kraus (Kurt Wolff) in Leipzig erschienen. waren mir eine schöne große Überraschung. Inhalt und Form halten einander die Wage durch Würde und künstlerische Vornehmheit. Seit drei Wochengenau zurück gerechnet seit dem 26.8.1917; Karl Kraus dürfte Wedekind seine beiden Gedichtbände (siehe oben) geschickt haben. lese ich sie mit gesteigertem Genuß. So aktuelSchreibversehen, statt: aktuell. viele von | ihnen sind, stehen sie alle außerhalb und über der Zeit. Sie haben sich eine eigene lyrische Form geschaffen; manches erinnert an den „West-östlichen Divanan Johann Wolfgang Goethes berühmte umfangreiche Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ (1819, erweitert 1827).. Aus jungen TagenGedicht aus dem Gedichtband „Worte in Versen“ (1916) von Karl Kraus (siehe oben)., Abenteuer der ArbeitGedicht aus dem Gedichtband „Worte in Versen II“ (1917) von Karl Kraus (siehe oben). sind mir bis jetzt die liebsten, aber vielleicht wirken andere Gedichte noch stärker, wenn ich Ihnen näher gekommen bin. Der | Ratgeber“ und „GebetGedichte aus dem Gedichtband „Worte in Versen II“ (1917) von Karl Kraus (siehe oben). erscheinen mir von einer Plastik, Innigkeit und Größe die an Beethovensche Musik gemahnt. Soviel ich den beiden Sammlungen bis jetzt an Genuß und Erhebung verdanke, ich lese immer wieder mit neuer Freude darin. Mit meinem Dank sende ich Ihnen die herzlichsten Glückwünsche | zu Ihren „Worten in Versen“. Die Bescheidenheit dieses Titels steht in prachtvollstem Gegensatz zu der Monumentalität der Form und der Wucht ihres Inhalts.

Einstweilen spielen wir nochFrank und Tilly Wedekind gaben seit dem 12.9.1917 in Zürich ein „Erdgeist“-Gastspiel, dessen nächste Vorstellung am 20.9.1917 im Pfauentheater stattfand: „Frank und Tilly Wedekind werden kommenden Donnerstag ihr Gastspiel in ‚Erdgeist‘ wiederholen.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 138, Nr. 1719, 17.9.1917, 2. Morgenblatt, S. (2)] Die letzte Vorstellung am 25.9.1917 wurde im Stadttheater gegeben: „Im Stadttheater gelangt am Dienstag Wedekinds ‚Erdgeist‘ zum letztenmal, diesmal im großen Hause, zur Aufführung. Wieder werden Frank und Tilly Wedekind selbst mitwirken.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 138, Nr. 1770, 24.9.1917, 2. Morgenblatt, S. (2)] Sie gaben dann noch ab dem 27.9.1917 ein „Franziska“-Gastspiel, dessen letzte Vorstellung am 4.10.1917 – Wedekind notierte „Franziska“ [Tb] – stattfand: „Im Pfauentheater geht am Donnerstag nochmals Wedekinds Mysterium ‚Franziska‘ in Szene. Zum letztenmal werden bei dieser Gelegenheit Frank und Tilly Wedekind die Hauptrollen des Werks spielen.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 138, Nr. 1844, 4.10.1917, 1. Morgenblatt, S. (3)] in Zürich. Anfang OktoberFrank und Tilly Wedekind reisten am 7.10.1917 zurück nach München [vgl. Tb]. denken wir nach München zurückzukehren.

Mit schönsten Grüßen von meiner Frau und mir
Ihr ergebener
Frank Wedekind.

Karl Kraus schrieb am 24. September 1917 in Wien folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis im Brief von Karl Kraus an Sidonie Nádherný vom 31.10.1917 in Wien (Pfäfflin 2005, S. 505):]


Heute erhalte ich auf ein Telegramm vom 24. Sept. an Wedekind die „Dienstnotiz“, daß Adressat abgereistWedekind reiste erst am 7.10.1917 von Zürich ab [vgl. Tb]; weshalb ihm das Telegramm am 24.9.1917 nicht zugestellt wurde, ist unklar. sei.