Briefwechsel

von Friedrich Strindberg und Frank Wedekind

Friedrich Strindberg schrieb am 17. September 1913 in Salzburg folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Hochwohlgeboren
Herrn Frank Wedekind
H/B/erlin
Neustädtische-Kirchstraße
Hotel Elite.
(Deutsches. Reich.)


Lieber Herr Wedekind!

Bin gut an Leib- +++ schlechter und trauriger an Geist hier in/a/ngelangtFriedrich Strindberg befand sich auf der Rückreise von Berlin, wo er am 16.9.1913 abends in den Zug gestiegen war: „Fritz nach München gereist“ [Tb]. Die Bildpostkarte sandte Strindberg von Salzburg aus, einer Zwischenstation auf seinem Weg nach Mondsee, wo er am 17.9.1913 um 14 Uhr ankam [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 17.9.1913] und am gleichen Tag noch einen Brief an Wedekind schrieb [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.9.1913]. In Berlin hatte sich der 16-Jährige zwei Tage lang mit seinem Vater Frank Wedekind getroffen – die erste Begegnung seit Wedekinds Besuchen bei der Mutter Frida Strindberg und dem Säugling in Tutzing im Juli 1898 [vgl. Wedekind an Beate Heine, 19. und 27.7.1898]. Friedrich Strindberg hatte den Kontakt mit seinem Vater in Berlin am 14.9.1913 telefonisch aufgenommen, wie dieser notiert hat: „Fritz Uhl telephoniert mich an. Wir lernen uns kennen“ [Tb; vgl. zur Vater-Sohn-Beziehung im Überblick: Vinçon 2014, S. 247-250].. Mich/r/ kommt alles so trüb und öd vor, die ganze Gegend entbehrt der Sonne und ist bleich. und abgehärmd/t/ und statt der Natur blickt mir in den Felsen Veit KunzFigur aus Wedekinds „Franziska“. Strindberg hatte am 15.9.1913 eine Aufführung des Stücks an den Kammerspielen des Deutschen Theaters mit Tilly und Frank Wedekind in den Hauptrollen besucht [vgl. Tb]. Auf der Rückreise las er das Drama im Zug noch einmal nach [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.9.1913]. und FranziskaTitelfigur aus Wedekinds gleichnamigem Drama. entgegen. Besonders die KätzchenszeneGemeint ist das 7. Bild im 4. Akt von „Franziska“, dessen erste Replik lautet: „Das weiße Kätzchen, das uns gestern abend aus der Stadt heraufbegleitete…“ [KSA 7/I, S. 283].. – –

Heut ist der Friede WirklichkeitZitat aus einer Replik Franziskas im 7. Bild: „Als ich heute die grünüberwachsenen Felsen im warmen Abendsonnenschein wiedersah, da jubelte es in mir: dieser Friede ist jetzt Wirklichkeit!“ [KSA 7/I, S. 284] !

Wie glücklich bin ich! Viele dankbare Grüsse
Fritz

Friedrich Strindberg schrieb am 17. September 1913 in Mondsee folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mondsee / 17.IX.13.


Lieber Herr Wedekind!

Nun bin ich von meiner ReiseAm 16.9.1913 reiste Friedrich Strindberg von Berlin über München und Salzburg nach Mondsee, wo er am 17.9.1913 um 14 Uhr eintraf [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 17.9.1913]. glücklich hier angekommenFriedrich Strindberg wuchs seit dem Sommer 1899 bei seiner Großmutter Marie Uhl in Oberösterreich auf. Die Familie besaß eine Villa in Mondsee.! Traurig war die lange Fahrt, traumselig See und Land. Mir war so leid ums Gemüt, sei es ob des AbschiedesAm 16.9.1913 abends stieg Friedrich Strindberg in den Zug: „Fritz nach München gereist.“ [Tb] oder der jetzt beginnenden Zeit. Es war ja diese kurze Spanne ZeitIn Berlin hatte Friedrich Strindberg sich am 14.9.1913 und den folgenden beiden Tagen mit seinem Vater Frank Wedekind getroffen [vgl. Tb]. allein so schön an Freuden, ich könnte sagen die liebste Zeit in den letzten Jahren, da ich Herrn Wedekind kennengelernt habe. Unvergeßlich werde ich sie in der Erinnerung behalten, all die schönen EindrückeWedekind vermerkte in seinem Tagebuch gemeinsame Unternehmungen am 14.9.1913 („Abend mit Tilly und Fritz im Hotel“, Besuch einer Aufführung von „Franziska“ an den Kammerspielen des Deutschen Theaters), am 15.9.1913 („Mit Tilly und Fritz bei Skrivonek. Spazierfahrt nach Charlottenburg. 11. Vorstellung. Mit Tilly und Fritz nachher bei Töpfer“) sowie am 16.9.1913 („Spaziergang mit Fritz. Mittag mit Tilly u. Fritz im Hohenzollern gegen über Eingang von Lindenhotel. Spazierfahrt mit Fritz“). der nun vergangenen Tage!

Wie freue ich mich schon auf WeihnachtenFriedrich Strindberg besuchte seinen Vater Wedekinds Tagebuch zufolge vom 23.12.1913 („Hole Fritz Strindberg vom Bahnhof ab“) bis zum 1.1.1914 („Bringe Fritz zur Bahn“) und unternahm mit ihm zahlreiche Ausflüge und Spaziergänge in München und Umgebung [vgl. Tb].! Da ich Sie wiedersehen kann! Als ich heute in der Bahn „Franziska“ las, da fiel mir auf, daß bei der AufführungFriedrich Strindberg besuchte am 14.9.1913 die 10. Vorstellung der Inszenierung von „Franziska“ an den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin – „Ich besorge ihm ein Billet“ [Tb] – unter der Regie seines Vaters und mit Frank und Tilly Wedekind in den Hauptrollen Veit Kunz und Franziska. ja im 4. Akt der Chor der MädchenDer Chor tritt im 4. Akt (8. Bild) von „Franziska“ auf [vgl. KSA 7/I, S. 290, 293f.]. weggelassen ward! Warum bitte? Ich las ihn und | er kam mir ganz vampyriartig vor! Besonders das Blut„Aber trinken wir einmal Blut, / Dann sind wir die mächtigen Schönen!“ [KSA 7/I, S. 290] singt der Mädchenchor bei seinem ersten Auftritt, bei seinem zweiten: „Blut haben wir getrunken, / Uns dürstet nach Blut“ [ebd., S. 293]. Das Bluttrinken findet hinter der Bühne statt. erhöht ja riesig den ganzen Eindruck! Bitte Herr Wedekind mir die BücherWedekind hatte Friedrich Strindberg offenbar die Zusendung einiger seiner Werke versprochen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 25.9.1913]. Sein Sohn erhielt nachweislich ein Exemplar des Einakters „Die Zensur“ mit Widmung [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 12.10.1913] und erwartete „Simson“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 3.11.1913]. nicht zu schicken, sondern vielleicht zu Weihnachten mir zu geben, da mir Großmama mitteilte, dass die AnstaltInhaber und Direktor der privaten Lehr- und Erziehungs-Anstalt für Schüler der Mittelschulen in Salzburg war Josef Tschurtschenthaler [vgl. Salzburgischer Geschäfts-, Volks- und Amts-Kalender für das Jahr 1913, S. 121 und die Annonce im Anzeigenteil, S. 29]., in die ich jetzt komme, sehr aufs Conservative schaut und man mir die Bücher, falls ich sie geschickt bekäme gar nicht zustellen würde.

Bitte dies zu entschuldigen!

Meine Adresse ist

F. Strindberg-Uhl / Salzburg

per ad. Prof. Tschurtschenthaler

Dreifaltigkeitsgasse, altes BorromäumDas Gebäude des Primogeniturpalastes in der Dreifaltigkeitsgasse 17/19 in Salzburg beherbergte bis 1912 ein katholisches Privatgymnasium und diente nach dessen Umzug in die Gaisbergstraße vorübergehend auch als Wohnhaus [vgl. Hans Tietze: Die profanen Denkmale der Stadt Salzburg., Wien 1914, S. 244]. Tschurtschenthalers Privatschule ist 1913 von der Imbergstraße 19 an diese renommierte Adresse umgezogen..

Herzliche Grüsse und viele Handküsse an gndg. Frau Gemahlin

In dankbarer Erinnerung
Fritz


P.S.

KerstinsFriedrich Strindbergs Halbschwester Kerstin Strindberg, Tochter von August und Frida Strindberg, geboren am 26.5.1894 im oberösterreichischen Dornach bei Grein, war drei Jahre älter als er. Die gewünschte Adresse in München lieferte Friedrich zwei Tage später [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 19.9.1913]. Adresse muß ich erst erfahren! Ich habe schon darum geschrieben.


Friedrich Strindberg schrieb am 19. September 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg / 19.IX.13.


Lieber Herr Wedekind!

Nun bin ich schon in Salzburg in der neuen AnstaltDie von Josef Tschurtschenthaler geleitete Lehr- und Erziehungs-Anstalt für Schüler der Mittelschulen in Salzburg hatte seit 1892 verschiedene Adressen, neuerdings im genannten alten Borromäum (Dreifaltigkeitsgasse 17/19).. Die schöne Umgebung wirkt wirklich gut, trotz des Schnürlregenshäufig vorkommender und meist länger anhaltender Sprüh- oder Nieselregen im Salzkammergut., der heute wütet.

Die Reise Am 16.9.1913 reiste Friedrich Strindberg von Berlin über München und Salzburg nach Mondsee, wo er am 17.9.1913 um 14 Uhr eintraf [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 17.9.1913].von Berlin war wirklich recht, recht unangenehm. Wir waren 2 in einem Coupè, ein Russe und ich. Trotz meiner tollen Glückseligkeit hatte ich einen elenden moralischen KatzenjammerNiedergeschlagenheit. mit hier her in diese engen Wände gebracht. |

Salzburg ist wirklich schön .. das Abendrot an den kahlen WändenAnspielung auf das von Friedrich Strindberg in seiner Postkarte vom 17.9.1913 erwähnte 7. Bild („Kätzchenszene“) in Wedekinds „Franziska“: „die westlichen Schloßfelsen noch von der Sonne beleuchtet […] die grünüberwachsenen Felsen im warmen Abendsonnenschein“ [KSA 7/I, S. 284]. des UntersbergesDer Untersberg (1972 m) liegt zwischen Berchtesgaden und Salzburg und ist von dort gut zu sehen. berauschend. Wenn nur nicht das ewige Einerlei und das ratschende Werkel der Alltäglichkeit wäre.

Die Addresse meiner Schwester ist

Kerstin Strindberg

München, Harlaching, Lindeng.Abkürzung für Lindengasse; hier irrtümlich für: Lindenstraße.

Pension WeiglDas von Anna Weigl geführte Familienpensionat befand sich im Münchener Stadtteil Harlaching (Lindenstraße 19/21) [vgl. Adreßbuch für München und Umgebung, 1914, S. 756]..

Wie freue ich mich schon auf Herrn Wedekind, aufs Wiedersehen; schon jetzt ist es das, an d/w/as sich alle Gedanken richten, wunderschön male ich mir das immer aus! Meine Adresse ist F. Strindberg-Uhl Salzburg / b. Prof. Tschurtschenthaler, altes Borromäum, Dreifaltigkeitsg. |

Bitte am wievielten kann ich Herrn Wedekind nach München schon schreiben!/?/ Bleiben Sie noch lange in BerlinWedekind reiste am 30.9.1913 abends nach München ab: „Abendessen auf dem Bahnhof. Fahrt nach München.“ [Tb]? Bitte was wird (noch) jetzt gespielt? Noch immer „FranziskaDie 25. und letzte Vorstellung der Inszenierung von „Franziska“ an den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin (Premiere: 5.9.1913) fand am 29.9.1913 statt.?/“/!

Wie geht es Herrn Wedekind immer? Hoffentlich gut!

Viele Grüsse
Ihr dankbarer
Fritz.


Handküsse an die gnädige Frau Gemahlin!


Frank Wedekind schrieb am 23. September 1913 in Berlin folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[1. Hinweis in Friedrich Strindbergs Postkarte an Wedekind vom 24.9.1913 aus Salzburg:]


Danke Ihnen vielmals für Ihren so lieben Brief.



[2. Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 25.9.1913 aus Salzburg:]


Danke Ihnen herzlichst für Ihren lieben Brief […]

Friedrich Strindberg schrieb am 24. September 1913 in Berchtesgaden folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Hochwohlgeb
Herrn Frank Wedekind
Berlin N.W.
Hotel Elite b. Bahnhof
Friedrichstr.


Herzliche Grüße aus BerchtesgadenFriedrich Strindberg besuchte Berchtesgaden auf einem Klassenausflug [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 25.9.1913]. Ihr
Fritz.


Friedrich Strindberg schrieb am 24. September 1913 in Salzburg folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Hochwohlgeboren
Herrn Frank Wedekind
Berlin N.W.
Hotel Elite
b. Bahnhof Friedrichstraße
Neustädtische Kirchstraße.


Mittwoch. / 24.


Lieber Herr Wedekind!

Danke Ihnen vielali vielmals für Ihren so lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 23.9.1913.. Da wir leider nur Sonntags die Gelegenheit zum Briefeschreiben haben hier, so sende ich bis 28. nur den herzlichsten Dank.
Ihr Fritz. |


Handküsse an die gnädige Frau!

Friedrich Strindberg schrieb am 25. September 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg / 25./IX.13.


Lieber Herr Wedekind!

Danke i/I/hnen herzlichst für i/I/hren lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 23.9.1913., der mich auch riesig freute, so daß ich schon lange keine solche Freude hatte! Auch komme/t/ mir Herrn Wedekinds Rat vollständig zu guter Stunde, da es wirklich jetzt nicht gut fürs Lernen wäre viel zu lesen und ich wirklich nichts versäume vom Büchermarkt. Nur in den freien Stunden wenns regnet | kommt mir hie und da die Anregung zu lesen, was allerdings mit Schwierigkeiten verbunden ist, da ich nichts habe! Darum danke ich Herrn Wedekind schon im voraus für das, das H/S/ie mir zu schicken gedenken. Bitte könnten Herr Wedekind etwas hineinschreiben, vielleicht Ihren Namen oder irgend etwas. – Bitte! Meine Freude ob Ihres Briefes können Herr Wedekind sich gar nicht vorstellen; (I) ich glaube ihn sicher hundertmal gelesen zu haben. Ich dachteZunächst in einem Wort geschrieben, dann durch einen senkrechten Strich als zwei Worte kenntlich gemacht. zurück an die TageFriedrich Strindberg hatte sich vom 14. bis 16.9.1913 mit Wedekind in Berlin getroffen [vgl. Tb]. in Berlin – wie schön waren sie doch – und freute mich aufs WiedersehenWedekind hatte Friedrich Strindberg bei ihrem Treffen in Berlin zu einem Weihnachtsbesuch nach München eingeladen; der Besuch dort fand vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 statt [vgl. Tb]. in München und Ich spüre das, was man öfters Sehnsucht nennen | hört.

Gestern waren wir mit dem Institutsleiter und i/2/. PraefectenErzieher in Internaten. in dem schönen Berchtesgaden und von da wanderten wir nach KönigseeSchreibversehen, statt: Königssee., der mit seinen Höhen und Felsen einen herrlich maiestätischenSchreibversehen, statt: majestätischen. Anblick bietet. Abends kamen wir zurück und müd legten wir uns um 9 h nieder. Es war wirklich schön inmitten der kahlen, schon weiß beschneiten Alpennatur.

Viele Grüße
Ihr dankbarer
Fritz


Handküsse an die gnädige Frau!

Friedrich Strindberg schrieb am 28. September 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 28.IX.13.


Lieber Herr Wedekind!

Also endlich komme ich dazu Herrn Wedekind wieder zu schreiben! Hier ist es sehr nett! Ich denke noch oft zurück an BerlinFriedrich Strindberg hatte sich vom 14. bis 16.9.1913 mit Wedekind in Berlin getroffen [vgl. Tb]. und die schönen Tage, die ich dort verlebt habe!

Heute schrieb mir meine Schwester aus München. Freue mich schon enorm auf (Berlin) WeihnachtenWedekind hatte Friedrich Strindberg bei ihrem Treffen in Berlin zu einem Weihnachtsbesuch nach München eingeladen, den sein Sohn vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 wahrnahm [vgl. Tb]. zu München. |

Auch denke ich täglich, wenn ich aufstehe schon daran und an das Wiedersehen.!

Hier ist Tag auf Tag dasselbe. Von Literatur und Kunst, ja von Taggesneuigkeiten bin ich vollständig angeschlossen, was auch sein Gutes an sich hat. Hier in Salzburg gibt ein gewisseSchreibversehen, statt: gewisser. Dr. EckartDr. Johannes Eckardt, Journalist und Bibliothekar des Universitätsvereins Salzburg war für die Jahrgänge 1913 und 1914 Redakteur und Herausgeber der katholisch orientierten literarischen Monatsschrift „Ueber den Wassern“, die seit 1908 erschien. Die Presse berichtete anlässlich des Herausgeberwechsels ausführlich über die Zeitschrift [vgl. Salzburger Chronik, Jg. 49, Nr. 194, 26.8.1913, S. 1-3]. „Über den Wassern“ eine literarische Zeitschrift heraus die ganz interessant ist. Vor kurzenSchreibversehen, statt: kurzem. probierte ich, ‒ bitte zu entschuldigen – ein kleines, ganz kleines StückleinManuskript nicht überliefert. zu schreiben. Es hat 2 Se/z/enen: die erste in einem Häuslein am Wiener Donaukanal: Der betrunkene Vater kommt heim, mißhandelt die kranke Frau, die am Schmerz über die Roheit des Mannes stirbt. Die 15jährige Tochter klagt am Bett der Mutter; das Zimmer füllt sich mit Leuten; ein junger, unge|fähr 25jähriger Fabrikantensohn (selbständig.) ./nimmt die gan sehr hübsche Tochter mit sich und erhält sie.

II. 5 Jahre sind vorbei: Der Fabrikantensohn macht der zur Dame gewordenen Paulin – so nannt ich sie – den Antrag einer Heirat. Sie schwankt zwischen ihm (aus Dankbarkeit) und einem Freund (aus Liebe.) Im Seelenkampf unterliegt sie und nimmt sich das Leben. Krampfhaft sinkt ihr Freund unter ihrer Leiche zusammen während der Fre elegante kl/Fa/brikantensohn seinem Geschäft nachgeht. (Das Zimmer ist nach dem Unk/g/lück mit Leuten gefüllt.)

Ich trug es meinen 3 SchlafkameradenZimmergenossen Friedrich Strindbergs in der Lehr- und Erziehungs-Anstalt für Schüler der Mittelschulen in Salzburg; Personen nicht ermittelt. vor und es gefiel. Ich freue mich schon riesig auf die Bücher, wenn Herr Wedekind so gut sind, mir etwas zu schicken,; denn hier lese ich sicherlich nicht zu viel, da ich ja nur Sonntags dazu komme. Auch sollten | wir auch nur Sonntags Brief schreiben: Es sind manche sonderbare Sitten hier aber gottseilob entfällt das viele Beten das in Skt. PaulFriedrich Strindberg wechselte 1912 vom k. k. Akademischen Gymnasium in Wien für das Schuljahr 1912/13 an das Gymnasial-Konvikt Josephinum des Benediktinerstifts St. Paul in Kärnten. Sitte war!

Noch viele Grüße
Ihr dankbarer Fritz


P.S.

Handküsse an die gnädige Frau Gemahlin; Grüße – leider unbekannterweise – bitte, an die Frl. Töchter!

Friedrich Strindberg und Frank Wedekind schrieben am 4. Oktober 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg / 4.XI.13.irrtümlich datiert; der Brief wurde am 4.10.1913 geschrieben.


Lieber Herr Wedekind!

Endlich kann ich wieder schreiben! Hoffentlich trifft Herrn Wedekind der Brief schon in MünchenWedekind reiste am 30.9.1913 abends nach München ab [vgl. Tb]. Friedrich Strindberg hatte sich am 19.9.1913 bei ihm nach der Dauer von dessen Berlinaufenthalt erkundigt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 19.9.1913].! Wie geht es immer? Hier ist es sehr nett; Gestern waren wir am GaisbergDer 1287 Meter hohe Gaisberg ist einer der Hausberge Salzburgs und liegt rund fünf Kilometer östlich des Stadtzentrums. b./ Salzburg (1200 m.) Man sah weit hinein nach Oberbayern und ich gedachte Hert/r/n Wedekinds und des Wiedersehens zu WeihnachtenWedekind hatte Friedrich Strindberg bei ihrem Treffen in Berlin zu einem Weihnachtsbesuch nach München eingeladen, den sein Sohn vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 wahrnahm [vgl. Tb].. und fühlte mich beinahe durch den Blick hinab Ihnen näher! |

Das GastspielWedekind war mit seiner Inszenierung von „Franziska“ vom 5.9.1913 bis 29.9.1913 an den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin mit 25 Vorstellungen zu Gast. ist wohl schon lang vob/r/bei! Sicherlich zu Ihrer Freude!

Von Theater und Kunst hört man hier wenig, beinahe überhaupt nichts! Ist auch während des Lernens nicht notwendig! Das Lernen fällt mir hier recht leicht!

Hier haben wir eine sehr hübsche Umgebung! Die nackten Felsmassen unterbrochen durch schwarzgrüne Waldflecken, die Burg und alles wirkt zu einem sehr hübschen Eindruck zusammen. Auch gehen wir jeden Tag spazieren meistens 1-2 h.

Vieleichbei Friedrich Strindberg häufigeres Schreibversehen, statt: Vielleicht. läßt mich Großmama Violin lernen! Würde mich sehr freuen! Freue mich schon riesig aufs Wiedersehen in München. Einen lebhaften Eindruck macht auf mich noch immer Franziska!

Viele Grüße
– Handküsse an die gnädige Frau Gemahlin
In Liebe
Ihr Fritz.


F. St-U. / Salzburg p. a. Prof. Tschurtschenthaler
Dreifaltigkeitsg. alt. Borromu/ä/um.

Frank Wedekind schrieb am 11. Oktober 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 12.10.1913 aus Salzburg:]


Danke Ihnen aufs aller-allerherzlichste für den so lieben Brief […] herzlichsten Dank für beides: Brief und Buch […]

Frank Wedekind schrieb am 11. Oktober 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 12.10.1913 aus Salzburg:]


Danke [...] für die „Zensur“ [...] mit der so lieben freundlichen Widmung.

Friedrich Strindberg schrieb am 12. Oktober 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 12 Oktob. 1913.


Lieber Herr Wedekind!

Danke Ihnen aufs aller-allerherzlichste für den so lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 11.10.1913. und für die „Zensur“ mit dem mir teuersten Schatz, mit der so lieben freundlichen Widmungnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 11.10.1913. Wedekind dürfte seinem Sohn die zuletzt bei Georg Müller in München erschienene 3. Auflage von 1912 seines Einakters „Die Zensur“ [vgl. KSA 6, S. 838] geschickt haben, versehen mit einer persönlichen Widmung.. Eine solche Freude hätte ich mir nicht, ich kann sagen träumen lassen! Und wie ich mich schon auf München freueDer anstehende Weihnachtsbesuch Friedrich Strindbergs vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 bei Wedekind in München ist bereits in der vorangehenden Korrespondenz mehrfach angesprochen worden. ist unbeschreiblich! |

Meinen EntwurfEs dürfte sich um den Entwurf von Friedrich Strindbergs Drama „Triton“ gehandelt haben, das er seinem Vater dann am 26.12.1913 in München vorlas, wie dieser notierte: „Fritz liest sein Drama Triton vor“ [Tb]. habe ich leider zwar nicht ausgeführt aber einen Tag nach meinem Briefvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 4.10.1913. dem hiesigen „RaubtierpublikumAnspielung auf Wedekinds berühmten Prolog zum „Erdgeist“, in dem am Ende das „Publicum“ das wahre „Raubthier“ [KSA 3/I, S. 317] ist, sowie auf die 3. Szene im 1. Bild von „Franziska“, in der Veit Kunz sagt: „Meine Prozente erhalte ich von den Direktoren, die das Heiligste meiner Kreaturen dem Raubtier Publikum zum Fraße vorwerfen.“ [KSA 7/I, S. 242]“ preisgegeben, in dem ich bei einer Gelegenheit mit halbwegs angehender StimmenimmittierungSchreibversehehen, statt: Stimmenimitierung. das Stücklein improvisiert habe. Zwar fand es riesigen Beifall, aber mir selbst kam es recht, recht gewöhnlich vor, während meinen KollegenFriedrich Strindbergs Mitschüler; nicht ermittelt. die Alltäglichkeit Freude bereitete.

Auf jeden Fall kenne ich nichts Bedauernswürdigeres als einen Dummkopf, der nicht an Gott glaubtZitat einer Replik Buridans aus „Die Zensur“ (2. Szene): „Auf jeden Fall kenne ich nichts Bedauernswürdigeres auf dieser Welt als einen Dummkopf, der nicht an Gott glaubt!“ [KSA 6, S. 222]

Das ganze Stück ahtmet so Menschlichkeit, daß es mir ein unergründliches | Rätsel ist, daß es nicht gröss/ß/ere Verbreitung hatt. Ich für mich glaube, daß es auf den enormen Beifall jedes IntellegentenSchreibversehen, statt: Intelligenten. rechnen muß!; denn seit ich es gelesen, habe ich eine Unmasse neuer Gedanken über den „letzten Grunt/d/.Umschreibung für ‚göttliche Ursache‘, in Anknüpfung an das Religionsgespräch in der 2. Szene von „Die Zensur“; kein Zitat.

Und ich gla/ube, ich würde – wie Lessing, von Herzen nach der Linken k/g/reifenAnspielung auf eine vielzitierte Stelle in Lessings religionskritischen Schriften: „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demuth in seine Linke, und sagte: Vater, gieb! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!“ [Lessing, Gotthold Ephraim: Eine Duplik. Braunschweig 1778, S. 11], denn die echte Wahrheit ist ja doch nur für Gott allein! Und der riesige Konflikt zwischen den Sinnen und Gott bestand ja auch in jedem Menschen, der seinen Geist nicht sklavisch knechtet!

Und jetzt noch einmal den herzlichsten Dank für beides: Brief und Buch. Wirklich unbeschreiblich ist das Mischmasch von tollster Freude, die ich empfinde – es sind die schön|sten Stunden seit ich Herrn Wedekind kennengelernt, ich kann sie mir nur schöner vorstellen, wenn ich zu Weihnachten zu i/I/hnen kommen darf. Und das/s/ ist eine kaum zu fassende Freude!! Meine Schwester schrieb mirDas Schreiben von Kerstin Strindberg ist nicht überliefert. jüngst, daß sie sich auch freue, wenn sie Herrn Wedekind kennen lernen könnte. Ich werde I ihr mit Herrn Wedekinds Erlaubnis die Adresse schreiben. –

Und nun ein Gedicht! Bitte zu entschuldigen, wenn es nicht gut ist, denn ich habe jetzt wenig, wirklich wenig wirklich stimmungsvolle Zeit. Was ich jetzt schreibe, das ist schon längeren Datums/s/: es entstand in den sonnigen Ferien und da als Schluß eines Märchens, das ich aufsetzte. | 2.Paginierung, um die Reihenfolge der beschriebenen Doppelblätter zu markieren; vom Text durch einen Haken abgesetzt. Es behandelt den Tod einer Prinzessin, die durch hervorragende Schönheit sich auszeichnete. Eben um diese zu schildern schrieb ichs. Und sie wird weit draußen außer der Stadt vom Gemahl beim Buhlen überrascht und findet gewaltsamen Tod : u. dann:

Auf der weiten, unendlichen Heide
Da lagert der harte Troß;
Sie liegt in blumigen Rasen
In ihres Gatten Schoß,
Und wo sie durchbohrt hat die Klinge
Drei Tropfen flossen dahin;
Drei Blümelein sind dort entsprungen;
Drei Blümelein: Immergrün.


Aus der weiten, unendlichen Heide
Da stand ich auf einmal
Es glühte die Sonne purpurn
Im letzten AbundstrahlSchreibversehen, statt: Abendstrahl.. |
Da fast/ß/t mich ein bitteres Wehe
Die Trähnen, sie flossen dahin;
Und wo sie die Erde getroffen,
Da wachsen die Immergrün.


Auf der weiten, unendlichen Heide,
Da wandt ich zur Erd mein Gesicht:
Ich hab schon zu lange gelebet
Und ach! Ich ertrag es nicht.
Und wie ich mit traurigem Blicke
Zum Ende der Heide mich wandt
Da hab ich zum letztenmale

Gegrüßt mein Heimatsland! –––


D/D/aß es nicht gut ist, das weiß ich! Besonderes schon gar nicht. Wohl hab ich etwas, das mir selbst gefällt: aber ick/h/ kanns nicht schicken, denn wenn es wirken soll, | könnte ich es höchstens selbst vortragen. „Nachtgedanken“ nannt ichs, da es eine paas/r/ schlaflosen Stunden entstammte. Ziehmlich lange ist es in reimlosen Jamben geschrieben: mein Bestes, was ich bis jetzt leistete. Wenn Herr Wedekind erlauben hebe ich es mir bis Weihnachten auf.

Noch den herzlichsten Dank für „d/d/ie Zensur“ die mich wieder wie „Franziska“ rasend begeisterte, viele
dankbare Grüsse mit endloser Freude
auf Weihnachten.
In Liebe Ihr Fritz.


Handküsse an die gnädige Frau Gemahlin und Grüsse an die lieben Töchterleins!

Friedrich Strindberg schrieb am 18. Oktober 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg / 16/8/.X.


Lieber Herr Wedekind!

Bitte zu entschuldigen, wenn ich erst jetzt dazu komme wieder zu schreiben umd meinen nochmaligen herzlichsten Dank für die „ZensurWedekind hatte Friedrich Strindberg spätestens am 11.10.1913 ein Exemplar seines Dramas „Die Zensur“ mit einer handschriftlichen Widmung zugeschickt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.10.1913]. auszudrücken! | Heute kann ich mit ruhigem Gewissen Herrn Wedekind ein Gedicht (zu) schicken, das etwas stimmungsvoller und bei einem Spaziergang so ziehmlich entstanden ist. Die Sonne schien zu siechen und gab mir noch die letzten Reste ihrer einstigen Schönheit uns zum Besten, nun und da geschahs! Wer der Held ist – Sommer oder Sonne – ich könnt es nicht sagen, wenn ich es auch – „an die Sonne“ nannte

–––––––––––––

Der Herbst quillt kommt nun! Es quillt die müde Sonne,
Das Scheiden rühret auch das ihre Herz
Sie geißelt sich in ihrem fahlen Schmerz
Dahin war all der Abglanz freud’ger Wonne. |

Der Herbst ist da! Das Laub, das schillert schwüle.
Ach komm doch bald! Das Scheiden wird mir schwer
Ach komm doch bald! Ich liebe Dich so sehr

Und<Loch>U<Loch> naht der Abend feucht und kalt und kühler/e/,
Dann muß ich weinen! Denn ich liebe Dich sehr!

––––––––––

So deutlich wie hier merkte ich noch nirgends das Scheiden der lieben Sonne! Es wird immer trauriger und die Nasen der Spaziergänger starren schon frostig rot umher. Zu Weihnachten hat mich Großmama eingeladen zu ihr zu kommen nach Mondsee. Mein OnkelDer bekannte Wiener Bildhauer Rudolf Weyr heiratete 1882, einen Tag vor ihrem 18. Geburtstag, Marie Uhl, die Schwester von Friedrich Strindbergs Mutter Frida Strindberg. Deren am 27.2.1884 geborener gemeinsamer Sohn Caesar Ritter v. Weyr war später Vormund Friedrich Strindbergs [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914]., der Bildhauer Weyer kaufte sich sofort nach Lektüre „Franziskas“ | sämtliche WerkeBei Georg Müller in München waren seit 1912 bereits fünf der zunächst auf sechs Bände angelegten „Gesammelten Werke“ Wedekinds erschienen. Herrn Wedekinds.

Wie geht es immer in München? Hoffentlich ist die Müdigkeit vom SpielenWedekinds letzter Auftritt als Schauspieler lag drei Wochen zurück, das war bei der 25. Vorstellung von „Franziska“ in Berlin am 29.9.1913 [vgl. Tb]. schon etwas vorrüber! Die Anstrengungen müssen wirklich riesig sein.

Viele dankbare Grüße;
Handküsse an die gnädige Frau
Gemahlin viele Grüße an die
lieben Töchter
in Liebe
Fritz.

Friedrich Strindberg schrieb am 26. Oktober 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 26. November. 13.


Lieber Herr Wedekind.

Nun kann ich wieder einmal schreiben! Freitag den 31.Der geplante Besuch bei seiner Großmutter in Mondsee für ein verlängertes Wochenende über Allerseelen (31.10.1913 bis 4.11.1913) verkürzte sich für Friedrich Strindberg wegen schulischer Konflikte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.–4.11.1913]. kann ich vielleicht zur Großmama nach Mondsee (schreib) fahren. Doch ist es nicht sicher! Die „Zensur“ ist mir ein dauerndes VergnügenSpätestens am 11.10.1913 hatte Friedrich Strindberg ein Exemplar von „Die Zensur“ mit einer Widmung von Wedekind zugesandt bekommen [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 11.10.1913]., ja ich werfe sogar – habe es schon versucht – öfters einen Blick hinein und finde oft Schmerzenstillung! Ja ich würde es als Orakel | bei seelischen Schmerzen gern gebrauchen, wenn mir nicht hie und da das traurige EndeDas Stück endet nach einer Auseinandersetzung zwischen dem Literaten Buridan und seiner Geliebten Kadidja mit dem Selbstmord Kadidjas [vgl. KSA 6, S. 232]. in die Hand fiele und ich noch betrübter werde: denn das Stück wirkt ungeheuer.!

Wenn ich so in stillen Stunden in die Zukunft blicke, so freue ich mich schon riesig auf WeihnachtenDer anstehende Weihnachtsbesuch Friedrich Strindbergs vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 bei Wedekind in München ist bereits in der vorangehenden Korrespondenz mehrfach angesprochen worden und bleibt auch in den folgenden Briefen selten unerwähnt.! meine ganze Hoffnung ruht darauf, ich erblicke in München Freude und Lust, wie ich sie noch nie erlebte, denn jetzt weiß ich was es heißt, jemand zu haben, der einem näher steht als all’ die nur spötteln, höhnen und schimpfen können. Und das ist gut!

Noch viele Grüße, Handküsse an die gnädige Frau und die lieben Töchterlein
in Liebe
Ihr Fritz.

Frank Wedekind schrieb am 27. Oktober 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[1. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 27.10.1913 in München:]


Brief an Fritz [...]



[2. Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 1.11.1913 aus Salzburg:]


Herzlichen Dank für den lieben Brief […] Bitte zu entschuldigen wenn mein Dank etwas spät eintrifft […]

Friedrich Strindberg schrieb am 1. November 1913 - 4. November 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 1.XI.13.


Liebster Herr Wedekind!

Herzlichsten Dank für die/en/ lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück Wedekind an Friedrich Strindberg, 27.10.1913., der mich zur geeignetsten Zeit antraf, um mich etwas zu heben. Bitte zu entschuldigen wenn mein Dank etwas spät eintrifft, ich erwartete mit steigendem Interesse den leider bis jetzt nicht eingetroffenen „SimsonDer Erstdruck „Simson oder Scham und Eifersucht. Dramatisches Gedicht in drei Akten von Frank Wedekind“ [KSA 7/II, S. 1274] im Verlag von Georg Müller lag vordatiert auf 1914 bereits im Spätsommer als Neuerscheinung vor [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 80, Nr. 215, 16.9.1913, S. 9278]..

Wenn ich etwas vieleichtSchreibversehen, statt: vielleicht. kleinliches schreibe, so tuheStreichung des überzähligen Buchstabens mit Bleistift. ichs, da es doch tiefen Eindruck auf mich machte. Wegen einer kleinen, unritterlichen Rauferei – und dies ist leider manchmal nötig um sich unter | den Kameraden Achtung zu verschaffen – ging es einem unschult/d/igen Pult zu Leibe, das vor Schmerz zusammenbrach. Diesen Tat trug mir den Zorn des Gebieters ein, der meine NachhausefahrtDas Verbot wurde offenbar wieder aufgehoben, wie die von Friedrich Strindberg am 3.11.1913 in Mondsee aufgegebene Postkarte belegt [vgl. Friedrich Strindberg an Frank Wedekind, 3.11.1913]. ins nahe Mondsee verbot. Zu letzterem wurde er auch durch Aufdeckung eines nächtlichen Schmauses veranlag/ß/t, bei dem ich aber gar nicht beteiligt war.

Nun liegt mir an meiner Reise nach Mondsee riesig viel daran. Das Wiedersehen mit der SchwesterFriedrich Strindbergs Großtante Melanie Samek war die Zwillingsschwester von Marie Uhl und lebte im oberösterreichischen Klam. Er kannte sie aus seinen Kindertagen, die er im benachbarten Dornach und Saxen verbrachte. meiner Großmama freute mich und dann, obwohl ich kaum sehr pietätsvoll veranlagt bin, nämlich von fremden Leichen, die Überreste meines GroßvatersFriedrich Strindbergs Großvater Friedrich Uhl war am 20.1.1906 in Mondsee gestorben. Strindberg bezieht sich hier vermutlich auf den in katholischen Regionen üblichen Brauch, an Allerseelen (2.11.) die Gräber der Verstorbenen zu besuchen. wollte ich noch gerne sehen. Und wie ich leider oft von Extrem ins Extreme falle so lag ich – viel lag mir nie an Religion – jetzt da es sich um Erfüllung eines Wunsches handelte, im Bett und rang unter den quälendsten Empfindungen (im Bett), vergaß all dessen, das mich sonst | nicht nur lebenslustig, sondern lebens,/-/ ich möchte sagen, zukunftsgierig machte und rang nach einstigem, vielleicht still irgendwo vergessennem Glück, oder zu bezeugen, daß ich ein Mensch bin; und nach meiner Überzeugung ist nur der Mensch, der Phantasie und Kunst gepaart mit Lebensmut im Hirn vereinigt hat! Ob ichs hab weiß ich selber nicht; obwohl noch jung, verzweifle ich so oft an mir: ob ich das werden kann, was ich anstrebe. Meine sonst so liebe Großmama ist, ich kann es sagen, ohne undankbar gegen sie zu erscheinnen, leider etwas überreligiös und das ist bei alten Frauen häufig. Auch hat sie, über was ich zwar nicht sprechen, noch weniger schreiben sollte einen ganz sonderbaren Ansicht über manche Dinge. So kam es, daß ich eigentlich bis jetzt außer kurzen Zeiten und die waren voll pochendem Herzen, nie eine Seele hatte der ich vertrauen konnte. So bildete ich meine | Ansichten ziehmlich frei heran. Da ich niemand hatte, dem ich mich ausspechenSchreibversehen, statt: aussprechen. konnteStreichung der ö-Punkte als Sofortkorrektur durch Friedrich Strindberg., hatte ich auch keinen Geist, denn die übrigen waren mir f/v/iel zu viel vom Alltagsrauch beschmutzt als daß mit ihnen zu disputieren wäre. Und ich nahm das Beste ihrer Phantasie, wenn sie solche hatten und speicherte sie bei mir aus/f/Überschreibung mit Bleistift ausgeführt.. Und wenn dann genügend aufgespeichert war, um 20 Kameraden verrückt zu machen dann brach es hervor und da mir jenerSchreibversehen, statt: jenes. Vertrauen fehlte, so suchte ich es mir in den höheren Sphären und wurde still religiös. Spotten war nie mein Fach, auch suchte ich mir nie Ausreden zu Zweifeln, denn mir kamen sie alle nur vor wie neue Beweise alter Abgeschmacktheit. Und das eckelhafteste ist die sachliche Beweisführung! Wollen sie beweisen, was damals gewesen oder nicht! |

2.Nummerierung des zweiten Doppelblattes durch Friedrich Strindberg.

Gut kann nur e/E/ines sein: Das Zweifeln wenn man die Wahrheit vor Augen liegen hältSchreibversehen, statt: vor Augen hält (oder: vor Augen liegen hat)., denn so LessingWie zuvor schon [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 12.10.1913] bezieht sich Friedrich Strindberg hier auf eine Stelle in Lessings theologiekritischen Schriften: „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demuth in seine Linke, und sagte: Vater, gieb! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!“ [Gotthold Ephraim Lessing: Eine Duplik. Braunschweig 1778, S. 11].: Und wenn du alle Wahrheit in der R/r/echten, und das Streben nach Wahrheit mit dem Zusatze auf immer zu irren, in der linken, ich griffe freudig nach der Linken, denn die echte Wahrheit, Vater, ist ja doch nur für Dich allein.

Und wenn auch die Wunder Tatsachen sind, darf ich, ein Mensch, sie nie sehen und soll ich mich zwingen doch zu glauben?

Leider Gottes habe ich mich jetzt in ein Gebiet verirrt, in das ich leicht hineingerate und nur schwer mehr heraus. So ist mir das Lernen in der Schule nur die Quelle zu kleinen Privatstudien, denen meistens kleine Abhandlungen entspringen. So jetzt: „Zarathustra und Hellasnicht überliefertes Manuskript.“ ein Vergleich beider Religionen als Basis der Pantheismus. | Selten findet man in der alten Literatur moderne Epen. Doch ein solches fand ich im A/a/ngelsächsischen Beowulfepisches Heldengedicht in angelsächsischen Stabreimen aus dem 8. Jahrhundert. , (Übersetz. von HerzWilhelm Hertz übersetzte 1883 unter dem Titel „Beowulfs Tod“ das Ende des Beowulf-Epos in Stabreimen [vgl. Wilhelm Hertz: Gesammelte Dichtungen. Stuttgart 1900, S. 467-477].). Eine ausgezeichnete Darstellung der FieberglutBeowulf stirbt an den Folgen eines giftigen Drachenbisses (V. 2818 f.). des Königs in Stabreimen nahe dem Schluß lockte mich zur näheren Betrachtung.


4/XI.

Nun war ich bei Großmama, die ungeheuren Gefallen an der „Zensur“ fand.

Heute bin ich wieder da, zerknirscht. Hier fiel ein kleiner Vorfall vor, der die Gefühle des Herrn Dir. unserer Anstalt tief verletzte „. Ein Gebrauch von manchen nicht salonfähigen Wörtern bei einem Spiel abends nach Tisch, dessen Anstifter ich war! Deswegen, wenn sich meine Kollegen in „diverse Sachen“ verirren muß | ich doch nicht der Verführer sein, für den mich unser Direktor haltet!

Wie lange meines Bleibens hier sein wird stellte er gestern abend nach meiner Ankunft in Frage! Was dann von mit mir geschehen wird – ich weiß es nicht!!! Wohin mich dann meine ratlose Großmama stecken wird – Gute Nacht – ! Ich wahr wohl nie etwas andres, als ein Spielball für die sowohl äußeren, als inneren Gewalten. Bin neugierig, wenn auch mir einmal das Glück lächelt – Bis jetzt noch nie. Was dann mit mir geschehen wird, S/W/ohin sie mich wieder werfen – .

Viele Grüße
Ihr dankschuldiger Fritz.


P. S.

Bitte k/d/en „Simson“ bei diesen Verhältnissen nicht zu schicken! Viele Handküsse an die gnädige Frau Gemahlin, Grüße an die lieben Töchter!

Friedrich Strindberg schrieb am 3. November 1913 in Mondsee folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

An
Hochwohlgeb. Herrn
Frank Wedekind
München
Prinzregentenstraße 50.


Liebster Herr Wedekind!

Bitte zu entschuldigen, wenn ich solange schon nicht schrieb, einerseits in Erwartung des leider bis jetzt nicht eingetroffenen „Simson“so schon am 1.11.1913 [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.–4.11.1913]. anderseits in sorglicher Freude für meine HeimfahrtFriedrich Strindberg besuchte seine Großmutter in Mondsee und reiste dazu aus dem Internat in Salzburg an. Der ursprünglich für mehrere Tage geplante Besuch [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 26.10.13] war ihm am 1.11.1913 wegen schulischer Konflikte zunächst verboten worden [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.–4.11.1913].. Großmama gefiel die Zensur“ Das von Wedekind mit einer Widmung versehene, nicht überlieferte Exemplar seines Einakters hatte er Friedrich Strindberg spätestens am 11.10.1913 zugesandt [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 11.10.1913].ausgezeichnet gut und sie freut sich sehr Herrn Wedekind kennen zu lernenÜber eine persönliche Begegnung Frank Wedekinds mit Marie Uhl ist nichts bekannt.. Herzliche Grüße, l/H/andküsse an die gnädige Frau Gemahlin und an die lieben Kleinen
Ihr Fritz..


P.S. Herzliche Empfehlungen u. Grüße von meiner Großmama & TanteMelanie Samek war die Zwillingsschwester von Friedrich Strindbergs Großmutter Marie Uhl, also seine Großtante [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.-4.11.1913]. Sie lebte im oberösterreichischen Klam und war zu Besuch in Mondsee. .

Frank Wedekind schrieb am 6. November 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 7.11.1913 aus Salzburg:]


Danke herzlichst für den lieben Brief!

Friedrich Strindberg schrieb am 7. November 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 7./XI.13.


Liebster Herr Wedekind!

Danke herzlichst für den lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 6.11.1913.!

Wenn ich nur wüßte was ich tun soll!

Wie geht es Herrn Wedekind immer? Hoffentlich, Hoffentlich sehr gut!! Als ich auf der HeimfahrtFriedrich Strindberg hatte vom 2.11.1913 bis 4.11.1913 von Salzburg aus seine Großmutter in Mondsee besucht. von meiner Großmama war, sah ich am Bahnhof einen Herrn, der bis aufs Haar Herrn Wedekind glich. Anfangs vermeinte ich aufzujauchzen, ich lief hin, etwas unschlüssig blieb ich stehen, da hört ich seine Stimme und unangenehm getäuscht | schlich ich mich lässig davon! Die ganze Fahrt dachte ich an WeihnachtenWedekind hatte Friedrich Strindberg bei ihrem Treffen in Berlin zu einem Weihnachtsbesuch nach München eingeladen, den sein Sohn vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 wahrnahm [vgl. Tb]. Die Vorfreude auf diesen Besuch formuliert Strindberg im Vorfeld in nahezu jedem seiner Briefe., vergangene lichte Tage in BerlinFriedrich Strindberg hatte sich vom 14.9.1913 bis 16.9.1913 mit Wedekind in Berlin getroffen [vgl. Tb]. tauchten vor meinem Blick auf, ich erinnerte mich der „Franziska“, der weißen Kätzchenbereits früher von Friedrich Strindberg hervorgehobenes Element aus dem 7. Bild von „Franziska“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.9.1913]. und des Selbstmordes Veit Kunzensder gescheiterte Suizid von Veit Kunz am Schluss des 8. Bildes im 4. Akt von „Franziska“ [vgl. KSA 7/I, S. 294-296].. Ein ganzel/s/ Leben grüßt mich darin mit all seiner Lust und den folternstenSchreibversehen, statt: folterndsten. Qualen. Und inzwischen blicke ich in Herrn Wedekinds Antliz, ich sah die erste Seele, der ich mich gab, der ich vertraute. Und wenn wir einst sehnsüchtig zu den diversen Töchtern hinüberblickten und Nichten, Cousinen und jungen Damen; die meisten tatens zum Zeitvertreib zum Spiel! Ich nur wenn ich verlassen dastand und wemSchreibversehen, statt: wen. fand, dem ich lieb war.

Und die Kunst? Mich riß sie nur weg von manchen fatalen Qualen; | bis jetzt mißbrauchte ich sie beinahe immer! Sie war mir nicht mehr als was dem SchmockBezeichnung für einen opportunistischen, skrupellosen Zeitungsschreiber. die Zeitung, das wäre richtiger was dem Bohème der AbsyntAbsinth galt seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Modegetränk in Künstlerkreisen. ist. Wenn mich etwas quälte, oder erhob, ich brachte es zu Papier und die tollsten Geister, roh gar nichSchreibversehen, statt: nicht. gefeilt noch weniger abgerunl/d/et tanzten am Papier. Meistens haben kleine Zettel das büßen müßen, was ich dachte und die Flamme verzehrte wessen ich überdrüssig war.

Wenn ich doch nicht unbescheiden, nur um denken zu können an das, dessen Liebe mich immer erhebt bitte ich Herrn Wedekind, vieleichtSchreibversehen, statt: vielleicht. könnte ich statt „Simson“ Friedrich Strindberg erwartete die offenbar von Wedekind zugesagte Zusendung des jüngst erschienenen Dramas [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.11.1913].eine Photographie geschickt bekommen. Wenn es auch keine Gedanken sind, ein Bild ist es doch! Ich bitte Herrn Wedekind darum, wenn | es möglich wäre. Meiner Schwester habe ich leider noch nicht geschrieben, da ich in der letzten Woche zum Briefschreiben zu ungeeignet war.

Noch viele Grüße; Empfehlungen und herzliche Grüße leider bis jetzt noch unbekannterweise von Großmama,
sendet
herzlich dankend
Fritz.


Handküsse an die gnädige Frau Gemahlin. Und viele Grüße in der Freude an die Bekanntschaft zu Weihnachten an die Töchterlein bitte zu entrichten–.

Frank Wedekind schrieb am 7. November 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 10.11.1913 aus Salzburg:]


Danke herzlichst für den Brief!

Friedrich Strindberg schrieb am 10. November 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg. / 10/XI.13.


Liebster Herr Wedekind!

Danke herzlichst für den Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 7.11.1913.! Wenn ich nicht sofort antwortete so bitte ich zu entschuldigen. Herr Wedekind werden kaum wissen, wie unangenehm mir immer diese StreitigkeitenKonflikte mit seinen Mitschülern schilderte Friedrich Strindberg in seinem Etappenbrief vom 1.–4.11.1913 [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.11.1913]. sind, besonders wenn sie mit KollegenFriedrich Strindbergs Mitschüler. stattfinden. Nun werden sie gottseilob schon zu altem Gerümpel gerechnet und nur mit Humor erinnern wir uns dieser. | Auch die UnannehmlichkeitenFriedrich Strindberg wurde nach verschiedenen Vorfällen mit einem Schulverweis gedroht [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.–4.11.1913]. mit unserm Director flauen so ziehmlich ab nur hie und da gibt es jetzt immer neue Skandäle, bei denen ich gottseidank nie beteiligt war! – Die FerienFriedrich Strindberg besuchte seine Großmutter in Mondsee vom 2.11.1913 bis 4.11.1913 [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.–4.11.1913]. verbrachte ich bei meiner Großmama: Bitte zu entschuldigen, wenn ich damalsIn einem früheren Brief hatte sich Friedrich Strindberg über die Religiosität und Ansichten seiner Großmutter beklagt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.–4.11.1913]. in ungerechtfertigtem Unwillen abfällig gegen meine liebe Großmama schrieb. Jedenfalls wirklich innerlich habe ichs kaum empfunden, sonst müßte ich jetzt noch etwas fühlen. So spüre und empfinde ich nur mehr die Liebe der Dankbarkeit gegen sie, denn was ich alles von ihr habeFriedrich Strindberg wuchs seit 1899 in der Obhut seiner Großmutter in Saxen und Mondsee auf. ist mein ganzes Hab und Gut! Auch geistig! Darum war das damals sicherlich | nur momentaner Unwillen, sonst taete ich nicht klagen. –

Nun da ich so ziehmlich alles ausgetragen habe hier, bei meinen Lehrern und Kollegen – höchstens daß ich bei ersteren noch in falschem Verdachte stehe manches andre angestiftet zu haben stehe. – Natürlich ist dies nur ein Verdacht, denn nun bin ich mäuschenstill in allem und den falschen Glauben hoffe ich durch gesittetes Benehmen wieder nichtig zu machen, wie er ist!! Auch gutes Lernen soll mir hilfreich zur Seite stehen. Über Grosßmama abfällig zu urteilen | würde mir jetzt bei meinem Dankbarkeitsgefühl nicht im Traum einfallen. – Auch war ich in dieser letzten Zeit überwühlt von 1000den Eindrücken, die in Extremen Luft, Raum suchten. War Kerstin schon bei Herrn Wedekind? Ich bat sie mir alles zu schreiben – Wie ich neugierig bin und freudig auf WeihnachtenWedekind hatte seinen Sohn eingeladen, Weihnachten bei ihm in München zu verbringen. Friedrich folgte der Einladung vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 [vgl. Tb]. läßt sich kaum ermessen – Lebenslustig wurde ich seit 3 Tagenvermutlich Bezugnahme auf den letzten Brief Wedekinds [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 7.11.1913]. –! Wie ich mich an Herrn Wedekind und die lieben Töchterlein sehne!

Viele Grüsse
herzlichst
Ihr Fritz.

Friedrich Strindberg schrieb am 16. November 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg /16/XI.13.


Liebster Herr Wedekind!

Nun komme ich wieder dazu zu schreiben! Hier ist so ziehmlich alles schon in Ordnung – mit mir vollständig – höchstens mit den andern! War meine Schwester schon auf BesuchDas von Wedekind geplante Treffen mit Friedrich Strindbergs Halbschwester Kerstin in München fand vermutlich aufgrund der Warnungen Marie Uhls nicht statt [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 10.11.1913]. Kerstin Strindberg meldete sich am 24.11.1913 telefonisch bei Wedekind [vgl. Kerstin Strindberg an Wedekind, 24.11.1913]. bei Herrn Wedekind? Ich bat sie | mir sobald als möglichst darauf zu schreiben. – Bin schon so entsetzlich neuge/i/erig und wie ich mich auf WeihnachtenWedekind hatte Friedrich Strindberg bei ihrem Treffen in Berlin zu einem Weihnachtsbesuch nach München eingeladen, den sein Sohn vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 wahrnahm [vgl. Tb]. freue ist ganz unbeschreiblich!!

Hier ist entsetzliches Wetter! schon seit einer längeren Zeit!! Mit dem ViolinlernenDen Plan dazu äußerte Friedrich Strindberg einen Monat zuvor [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 4.10.1913]. ist es scheinbar nichts, denn unser Herr Direktor scheint darauf schon vergessen zu haben.

Mit meiner Großmamma korrespondiere ich auch recht fleißig und ihr | war die GeschichteVon seinen schulischen Vergehen und den angedrohten Konsequenzen berichtete Friedrich Strindberg in seinem Brief vom Beginn des Monats [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1. bis 4.11.1913]. auch recht unangenehm!! Aber Herr Wedekind können überzeugt sein, daß ich doch nicht dem Undank soviel Platz in meiner Brust ließe um gegen meine Großmama schlecht zu denken!

Noch viele Grüße
herzlichst
Fritz.

Friedrich Strindberg schrieb am 23. November 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 23./XI.


Lieber Herr Wedekind!

Bitte zu entschuldigen, wenn ich schon so lange nichts geschrieben habe! Hier in Salzburg ist wirklich schon jede UnannehmlichkeitVon seinen schulischen Vergehen und den angedrohten Konsequenzen berichtete Friedrich Strindberg in seinem Brief vom Beginn des Monats [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1. bis 4.11.1913]. beiseitigtwiederkehrendes Schreibversehen bei Friedrich Strindberg, statt: beseitigt.! Gott sei Dank!

Vor wenigen Tagen erhielt ich einen BriefDer Brief Kerstin Strindbergs an ihren Halbbruder ist nicht überliefert. meiner lieben Schwester, die mir mitteilte, daß sie diese Woche Herrn Wedekind besuchtWedekind hat vermutlich aufgrund der Warnungen der Großmutter [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 10.11.1913] von einer bereits geplanten Einladung Kerstin Strindbergs zu einem Besuch bei ihm Abstand genommen. Kerstin Strindberg meldete sich daraufhin am 24.11.1913 telefonisch bei Wedekind [vgl. Kerstin Strindberg an Wedekind, 24.11.1913].. Ich freue mich darüber sehr! Meine gute Großmama schrieb mirDer Brief Marie Uhls an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert., daß zu Weihnachten ich den ersten Teil (Samstag/Sonntag o/)/ und s/b/is ich Herrn Wedekind besuchen darf zu ihr kommen darfMarie Uhl wohnte in Mondsee, wo Friedrich Strindberg häufiger seine Ferien verbrachte., teils um meine KleiderFriedrich Strindberg trug offenbar eine Schuluniform, mit der er auch zur Weihnachtseinladung Wedekinds am 23.12.1913 nach München reiste: „Hole Fritz Strindberg vom Bahnhof ab Er kommt in Uniform. Bei Isidor Bach kaufe ich ihm Zivilkleider.“ [Tb] Marie Uhl hatte Wedekind gebeten, ihren Enkel in München neu einzukleiden [vgl. Marie Uhl an Wedekind, 20.12.1913]. dafür zu holen, teils um guten Rat und Ermahnung auf die Reise zu empfangen. Meine Ferien beginnen eben Samstag (21)Irrtum Friedrich Strindbergs, der Samstag vor Weihnachten war der 20.12.1913. und dauern bis nach Neujahr (3.) |

Der Fuß meiner Großmama, der (sich) in folge eines Sturzes anschwellte geht seiner Heilung zu!

„Simson“Der Erstdruck „Simson oder Scham und Eifersucht. Dramatisches Gedicht in drei Akten von Frank Wedekind“ [KSA 7/II, S. 1274] im Verlag von Georg Müller lag vordatiert auf 1914 bereits im Spätsommer als Neuerscheinung vor [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 80, Nr. 215, 16.9.1913, S. 9278]. sah ich bei Höllriegel, der größten Buchhandlung Salzburgs ausgestellt. Auch erinnerte ich mich einer Mitteilung meiner Großmama, die mir erzählte, einstens, da sie Herrn Wedekind nur nach dem literarischen Namen kannte, sei ein großer VerehrerIdentität nicht ermittelt. von gekommen, der berichtete meiner erstaunten Großmama, daß in Herrn Wedekind ein 2. GoetheDie Punkte über dem o wurden von Friedrich Strindberg in Sofortkorrektur gestrichen. erstanden sei! Und ich mit meinem geringen Urteil spreche dies zwar nicht, doch mir sundSchreibversehen, statt: sind. Herr Wedekind von allen nach Goetheschen der g/G/rößte, den ich las! Und dies sagenSchreibversehen, statt: dies zu sagen. wird mir schwer, doch ich empfinde es morgends in der Frühe und abends da ich mich niederlege!

Wie freue ich mich auf Weihnachten! Haben Herr Wedekind meinSchreibversehen, statt: meine. Schwester schon gut kennen gelernt? Ich empfinde für sie | viel mehr als früher, denn Kerstin ist mir erst heuer im Sommer nähergetreten. Und was immer mir freundlich entgegenkommt, seins Lehrer oder wer anderes, den habe ich lieb!

Ich bereite trotz meiner geringen Lebenserfahrung mich mit einem kleinen Stücklein für Herrn WedekindFriedrich Strindbergs Stück "Triton" ist nicht überliefert. Er las daraus am 26.12.1913 seinem Vater vor: „Fritz liest sein Drama Triton vor“ [Tb]. vor, um zu zeigen, daß was ich kann mit dem frohesten Herzen ich niederschrieb um das Wohlwollen von Herrn Wedekind mir zu erringen! Der Inhalt ist eine ganz unmythologische Begebenheit, die meiner Phantasie entschlüpfte, deutscher Studenten- und PhilisterhumorPhilister war die studentische Bezeichnung für ‚Spießbürger‘. in griechisch-klassisches Gewand gebracht. Die einzelnen Personen sprechen in ihrem Vers der ihnen zu Gesicht steht, Dystiche, Jamben, Knittelverse bunt durcheinander, Prosaeinwürfe wie es paßt, grob körnig mit Dialekt! Aber „hochdeutschen“ DialektGemeint ist hier vermutlich die Verwendung von Umgangssprache in Abgrenzung zur Mundart..

Wie geht es immer Herrn Wedekind? |

Bitte meine Rapplereivon ‚Rappel‘ = Verrücktheit. von den früheren BriefenFriedrich Strindberg bezieht sich hier vermutlich auf seine Briefe vom Anfang des Monats [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1. bis 4.11.1913]. nicht (auch) schlecht aufzufassen! Ich hab wirklich in den früheren Briefen ein bischen gesponnen. Ist aber zu meinem ureigensten Vorteil schon vorbei!!

Froh und lustig bin ich immer und der „Triton“Friedrich Strindberg benannte sein Stück vermutlich nach dem Meeresgott der griechischen Mythologie mit menschlichem Oberkörper und einem Fischschwanz als Unterkörper. so werde ich das Stücklein ohne Fadenwohl: ohne Handlungsfaden. nennen, ahtmet lustige Lebenslust; allerdings ist der Schluß etwas tragisch! Ich weiß ihn aber selbst noch nicht, nur dunkle Konturen sind es die ich allmählich ausziehe.

Viele Grüße und mit der nochmaligen Bitte mir wegen meiner früheren Briefe nicht bös zu sein
in Liebe
Fritz.

Friedrich Strindberg schrieb am 24. November 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg / 22.XI.irrtümlich datiert; der Brief wurde vermutlich am 24.11.1913 geschrieben (vgl. folgende Erläuterung).


Liebster Herr Wedekind!

Bitte tausent/d/mal zu entschuldigen, wenn gestern mein Briefgemeint sein dürfte der vorangehende Brief [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 23.11.1913]. Einen nicht überlieferten Brief Friedrich Strindbergs am 21.11.1913 anzunehmen, erscheint durch den Briefanfang am 23.11.1913 („Bitte zu entschuldigen, wenn ich schon so lange nichts geschrieben habe!“) unplausibel. ohne Marke eingetroffen ist, erst heute komme ich darauf, da mich ein KollegeMitschüler von Friedrich Strindberg; Identität nicht ermittelt. darauf erst heute aufmerksam machte! Bitte zu entschuldigen! Was ich mir für Vorwürfe deh/s/halb mache! Wie kommen denn Herr | Wedekind dazu meine Briefe++ zu übernehmen! So ein Mah/l/heur! Die Marke lag neben dem Brief und nur aus wirklich recht dummenSchreibversehen, statt: dummem.! Leichtsinn habe ich vergessen sie in der Eile darauf zu geben. Ich hatte meine Gedanken natürlich wieder gar nicht hier! Wie ich mich jetzt ärgere! Herr Wedekind können sich denken, wie peinlich mir dies ist!!!

Wie geht es Herrn Wedekind immer? Hoffe sehr gut! |

Freue mich schon riesig auf WeihenachtenWie Wedekind in seinem Tagebuch notierte, war Friedrich Strindberg vom 23.12.1913 („Hole Fritz Strindberg vom Bahnhof ab“) bis 1.1.1914 („Bringe Fritz zur Bahn“) zu einem Weihnachtsbesuch in München..

Viele Grüße, Handküsse
an die gnädige Frau Gemahlin
Ihr
Fritz.

Frank Wedekind schrieb am 24. November 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 25.11.1913 aus Salzburg:]


Danke herzlichst für den lieben Brief!

Friedrich Strindberg schrieb am 25. November 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg. 25/XI.


Liebster Herr Wedekind!

Danke herzlichst für den lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 24.11.1913.! Habe mich sehr darüber gefreut! Nein ich will meiner Großmama sicherlich keinen Schmerz bereiten! Das liegt schon in mir! von nun an besonders darauf zu achten! | Auch bin ich wirklich nicht im Geringsten durch mein Briefschreiben im Lernen beeinträchtigt!

Ja mir ist dieß ja die einzige Zerstreuung hier! Und diese ist mir wirklich nur gut! Mein „Triton“ geht immer schneller vorwärts; aus dem Spiel ward eine kleine Komödie und für das Tragische sorgt der Schluß. U. der dürstet nach einer modernen Welt. Ich bearbeite nämlich den Tod einiger hellenischer Halbgötter, das Übergehen von Gott zu Mensch von Natur zum Leiden! das dem ehemaligen Halbgott auf Erden winkt!

Noch viele Grüße mit der
frohesten Erwartung WeihnachtensWedekind hatte Friedrich Strindberg bei ihrem Treffen in Berlin im September zu einem Weihnachtsbesuch nach München eingeladen, den sein Sohn vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 wahrnahm [vgl. Tb].
in Liebe
Fritz.

Friedrich Strindberg schrieb am 30. November 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 30.XI.12.irrtümlich datiert; der Brief wurde am 30.11.1913 geschrieben.


Liebster Herr Wedekind!

Heute komme ich wieder zum Schreiben! Bin sehr froh, daß meine Briefe (keine) Herrn Wedekind nicht unangenehm waren. Jetzt kommt schon bald WeihnachtenSeit Wedekinds Einladung vom September 1913, die Weihnachtstage bei ihm in München zu verbringen, erwähnt Friedrich Strindberg seine Vorfreude auf dieses Ereignis in nahezu jedem seiner Briefe. Der Besuch fand vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 statt [vgl. Tb]. und meine Freude darauf ist sehr groß! Es sind noch gute 3 Wochen bis ich Herrn Wedekind | wieder sehen kann; mir ist jeder Tag weniger eine Freude. Hier war in den letzten Tagen schlechtes Wetter, heute aber scheint es schönes Wetter zu werden. Hoffentlich ist der MagenkatarrhAm 20.11.1913 notierte Wedekind „Magenkatarrh“ [Tb], am folgenden Tag suchte er einen Arzt auf: „Besuch bei Dr. Hauschildt wegen Magenkatarrh“ [Tb]. vorbei und Herr Wedekind fühlen sich wieder wohl! Bitte dürfte ich mit meiner damaligen BitteFriedrich Strindberg hatte sich statt des noch ausstehenden Exemplars von „Simson“ eine Fotografie von Wedekind erbeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.11.1913]. um eine Photographie hervortreten, wenn es möglich wäre! Bitte!

Heute sah ich hier in Salzburg „Freiheit“ von Max Halbe ausgestelltim Schaufenster der Salzburger Buchhandlung Höllrigl; dort sah Friedrich Strindberg auch Wedekinds „Simson“ „ausgestellt“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 23.11.1913].. Großmama oder Mama – wer weiß ich nimmer – erzählte mir einst, dass Herr Halbe mein Geburtszeuge, oder so etwas ähnlichesMax Halbe war mit Frida Strindberg befreundet und unterstützte sie gemeinsam mit Lotte Dreßler während ihrer krisenhaften Schwangerschaft mit Friedrich [vgl. Buchmayr 2011, S. 188]. Daraus resultierte Frida Strindbergs Wahl des zweiten Vornamens Max für ihren Sohn [vgl. ebd., S. 192]. Als ihre Mutter Marie Uhl über zwei Jahre nach Friedrichs Geburt auf eine katholische Taufe drängte, erwog Frida Strindberg, Max Halbe als Taufpaten zu wählen, wozu es jedoch nicht kam [vgl. ebd. 208]. gewesen | sein soll. Bitte könnten mir Herr Wedekind näheres darüber mitteilen? Hier in Salzburg ist bereits jede UnannehmlichkeitFriedrich Strindberg wurde nach verschiedenen Vorfällen mit einem Schulverweis gedroht [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.–4.11.1913]. für mich beiseitigtSchreibversehen, statt: beseitigt; so schon im Brief vom 23.11.1913 [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 23.11.1913]. und ich mache meiner lieben Großmama sicher mehr keine Sorgen!

Gegenwärtig, d.h. vor wenigen Tagen war unsere Stadt festlich geschmückt. Es galt einer nationalen DemonstrationUnter der Überschrift „Deutsche Salzburger!“ war in der „Salzburger Chronik“ [Jg. 49, Nr. 266, 21.11.1913, S. 4] ein Aufruf des Landeshauptmanns sowie des Bürgermeisters von Salzburg abgedruckt, sich an einer Unterschriftenaktion für das Lex Kolisko, ein Gesetz gegen die „Errichtung nichtdeutscher Schulen im Lande Salzburg“, zu beteiligen „und damit einem Eindringen des Slaventums in unser deutsches Land ein starkes Hindernis“ entgegenzusetzen. Alle deutschen Einwohner Salzburgs ab dem 14. Lebensjahr waren unterschriftsberechtigt. Gezeigt werden sollte auf diesem Weg, „daß ganz Salzburg deutsch fühlt und gewillt ist, einmütig für den deutschen Charakter der Stadt einzutreten. Um diese Betätigung des Volkswillens auch in feierlicher Weise zum Ausdrucke zu bringen, ergeht an die Hausbesitzer der Stadt die dringende Bitte, durch Beflaggung der Häuser zum festlichen Schmucke der Stadt beizutragen.“ gegen die Eröffnung tschechischer Schulen in durchaus deutschen Ländern. Auch wir unterschrieben alle und wir waren alle in unserm Nationalbewußtsein gestärkt! Das war schön!

Weihnachtsabend 24, Dez. DienstagDer 24.12.1913 war ein Mittwoch. Friedrich Strindberg erwähnt seinen Irrtum in einem späteren Brief [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.12.1913].; Unsere Ferien beginnen 20/1/.Friedrich Strindberg korrigierte die ursprünglich richtige Datumsangabe vermutlich als Folge seines Irrtums über den Wochentag des 24.12.1913. Möglicherweise resultieren die fehlerhaften Zuordnungen von Datum und Wochentag aus der Verwendung eines Kalenders des Jahres 1912, auf das Friedrich Strindberg den Brief eingangs datierte. Samstag |

abends.

Ich vertiefe mich sehr in die Literaturgeschichte der alt- und mittelhochdeutsch. Zeit, die übrigens zu unserem heurigen Schulstoff gehört.

Noch viele Grüße
in Liebe Fritz.


P.S.

Handküsse an die gnädige Frau; Bitte auch Grüße an die Frl. Töchterleins auszurichten.

Frank Wedekind schrieb am 4. Dezember 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 5.12.1913 aus Salzburg:]


Danke vielmals für den lieben Brief!

Friedrich Strindberg schrieb am 5. Dezember 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg / 5./XII.1913.


Lieber Herr Wedekind!

Danke vielmals für den lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 4.12.1913.! Den ZugZu seinem Weihnachtsbesuch bei Wedekind vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 reiste Friedrich Strindberg von Mondsee über Salzburg nach München und traf dort am Dienstag den 23.12.1913 um 12.20 Uhr ein [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 21.12.1913 und Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.12.1913], wo ihn Wedekind erwartete: „Hole Fritz Strindberg vom Bahnhof ab“ [Tb]. kann ich leider noch nicht angeben, da ich noch nicht sicher weiß, wann (Samstag oder Sonntagden 20. oder 21.12.1913. Friedrich Strindberg fuhr zu Beginn der Weihnachtsferien zunächst vom Internat in Salzburg zu seiner Großmutter nach Mondsee und dann von dort nach München.) ich zu Großmama komme und um wieviel Uhr von Mondsee ein günstiger Zug geht. Ich freue mich schon riesig darauf Herrn Wedekind zu sehen und ich glaube das Wiedersehen wird recht, recht freudig sein. Alle meine Gedanken richte ich schon darauf und ich freue mich schon so sehr. |

Auch hoffe ich Herrn Wedekind durch meine kleine Szene Freude zu bereitenFriedrich Strindberg las seinem Vater am 26.12.1913 in München sein Stück vor, wie dieser notierte: „Fritz liest sein Drama Triton vor“ [Tb].. Ich nannte sie „Triton“ oder „Menschwerdung“. Herzlichen Dank für die EmphehlungenSchreibversehen, statt: Empfehlungen. an meine Großmama. Es wird mir zur Freude sein sie ausrichten zu können.

Noch viele Grüße;
Handküsse an die gnädige Frau Gemahlin
und Grüße an die kleinen Töchterleins
in Liebe
Fritz.

Friedrich Strindberg schrieb am 7. Dezember 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 7 XII.13.


Lieber Herr Wedekind!

Bitte zu entschuldigen, wenn ich das letztes mal Geschriebenevgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.12.1913. verändern muß. Denn ich habe mich geirrtFriedrich Strindberg hatte angenommen, dass Heiligabend auf einen Dienstag falle [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.11.1913]. und Weihnachtsabend 24. ist Mittwoch. Bitte kann ich da einen Tag später kommen, statt Z/M/ontag nämlich Dienstag.

Ich erfuhr erst heute (d.h. gestern abend), daß wir erst Montags abend frei bekommenDer Zeitpunkt für die Erlaubnis zur Abreise aus dem Internat wurde, wie auch die weitere Korrespondenz zeigt, vom Schulleiter offenbar kurzfristig festgelegt.. Dienstag bis Mittag würde ich dann bei meiner lieben Großmama verbringen, die Herrn Wedekind übrigens viele Emphehlungenwie schon im letzten Brief [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.12.1913] Schreibversehen, statt: Empfehlungen. sendet. Nachmittag käme dann meine AbreiseTatsächlich reiste Friedrich Strindberg am Dienstag, den 23.12.1913 morgens von Mondsee nach München, wo er um 12.20 Uhr eintraf [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 21.12.1913 und Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.12.1913]..

Vorgestern feierten wir das Nikolausfest und ich stellte für den EnkelIdentität nicht ermittelt. unseres Herrn Direktor den „Krampus“ Schreckgestalt, die den Heiligen Nikolaus begleitet und unartige Kinder erschrecken soll. Zum Lärmmachen werden Kuh- und Balkenglocken mit Ketten eingesetzt. Im Adventsbrauchtum des Ostalpenraums ist der 5. Dezember, der Vorabend des Festes des Heiligen Nikolaus am 6. Dezember, Krampustag.dar. Der Kleine hatte schrecklich viel Angst; l/i/ch mußte beten und hierauf lief ich wieder kettenrasselnd hinaus.

Noch viele herzliche Grüße
in Liebe
Fritz.

Frank Wedekind schrieb am 14. Dezember 1913 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 17.12.1913 aus Salzburg:]


Bitte zu entschuldigen, wenn ich solange nicht antwortete, aber mir blieb wirklich keine Zeit über, sogleich zu antworten!

Friedrich Strindberg schrieb am 14. Dezember 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 14/XII.13.


Lieber Herr Wedekind!

Bitte zu entschuldigen, wenn ich nicht früher geschrieben habe.

Wir haben also leider erst Dienstags freiDie Erlaubnis zur Heimfahrt in die Weihnachtsferien wurde vom Schuldirektor demnach auf den 23.12.1913 festgelegt. Wedekind hatte Friedrich Strindberg im September während ihres Treffens in Berlin über Weihnachten nach München eingeladen. Dieses Vorhaben blieb seit Beginn der Korrespondenz in kaum einem Brief Friedrichs unerwähnt. Mit Überlegungen zur Anreise ist er seit Ende November beschäftigt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.11.1913]., aber Großmama wird unsern Herrn Direktor bitten, daß ich schon Montags abend nach MondseeFriedrich Strindbergs Großmutter wohnte in der Villa Uhl in Mondsee. fahren kann und dann Dienstag nachmittag nach München. Den ZugFriedrich Strindberg reiste am Dienstag, den 23.12.1913 morgens von Mondsee nach München, wo er um 12.20 Uhr eintraf [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 21.12.1913 und Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.12.1913]. kann ich leider erst nächsten Sonntag | schreiben, da ich auf die Nachricht meiner Großmama warten muß und auch auf die nähere Erlaubnis unseres Herrn Direktors.

Ich freue mich schon so auf Herrn Wedekind und denke natürlich die ganze Zeit darüber nach und freue mich schon in vorhinein! Danke vielmals daß Herr Wedekind mich vom Bahnhof abholenWedekind notierte am 23.12.1913: „Hole Fritz Strindberg vom Bahnhof ab“ [Tb]. Friedrich Strindberg hatte ihm die Ankunftszeit telegraphiert [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.12.1913]., was mir riesig lieb ist! Wir haben hier erst ein einziges Mal Sonne gehabt, sonst immer trübes Wetter!

Hoffentlich geht es Herrn Wedekind schon besser mit der MagenverstimmungWedekind hatte am 20.11.1913 „Magenkatarrh“ [Tb] und am Folgetag: „Besuch bei Dr. Hauschildt wegen Magenkatarrh“ [Tb] notiert. Weitere Arztbesuche sind am 1. und 2.12.1913 verzeichnet.. Ich lese oft und oft noch die „Zensur“Friedrich Strindberg hatte von Wedekind ein mit einer handschriftlichen Widmung versehenes Exemplar des Dramas erhalten [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 11.10.1913]. und jedes neue Lesen schafft mir neue Freude, besonders ist mir in letzter Zeit eine kleine | Ähnlichkeit der beiden Charaktere, „Franziska“Hauptfigur aus Wedekinds gleichnamigem Drama. und „Kadidja“weibliche Hauptfigur aus Wedekinds Drama „Die Zensur“; Geliebte des Literaten Buridan. besonders in der Eitelkeit aufgefallen. „Buridan“Hauptfigur aus Wedekinds Drama „Die Zensur“; Literat. lebt sehr in meiner Phantasie nach und sein Schicksal ergreift mich bei jedem neuen Lesen. Es ist zu schön!

Noch viele Grüße bis auf Weihnachten, Handküsse an die gnädige Frau Gemahlin und Grüße an die Töchterleins
herzlichst
Fritz.

Friedrich Strindberg schrieb am 17. Dezember 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mittwoch, 17.12.13.


Lieber Herr Wedekind!

Bitte zu entschuldigen, wenn ich solange nicht antwortete, aber mir blieb wirklich keine Zeit über, sogleich zu antworten!

Also jetzt rückt die freudige Zeit immer näher, nur wenige Tage mehr und dann dürfen wir fahrenDie Erlaubnis zur Heimfahrt in die Weihnachtsferien gab der Schuldirektor im Salzburger Internat für Friedrich Strindberg und seine Mitschüler offenbar kurzfristig [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.12.1913 und 14.12.1913 und Marie Uhl an Wedekind, 20.12.1913].. An welchem Tage – er/s/ ist unangenehm – wir fahren dürfen, schwankt noch | immer zwischen Montagabends, u. Dienstags frühden 22.12.1913 und 23.12.1913.. Den ZugFriedrich Strindberg reiste am Dienstag, den 23.12.1913 morgens von Mondsee nach München, wo er um 12.20 Uhr eintraf [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 21.12.1913 und Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.12.1913]., mit dem ich M/D/ienstags hoffentlich kommen kannWedekind hatte seinen Sohn im September zu einem Weihnachtsbesuch nach München eingeladen, den Friedrich Strindberg vom 23.12.1913 bis 1.4.1914 wahrnahm. werde ich Herrn Wedekind mitteilen, sobald ich es erfahre. Wie ich mich darauf freue, weiß ich nicht oft genug zu wiederholen, und immer, wenn ich daran denke fühle ich neuerdings, wie froh ich bin!

Auch auf die Bekanntschaft von den lieben Töchterleins freue ich mich sehr. Doch so denke ich nur zur freien Zeit; – wenn wir Unterricht haben, oder Studium, so lerne ich ziehmlich fleißig, besonders da mein Interesse, das ich bis vor kurzeSchreibversehen, statt: kurzer. Zeit nicht wachrufen konnte, nun auch etwas erweckt ist wurde und mich unser heuriger Stoff interessiert. Besonders die sprachlichen Gegenstände sind mir angenehm, doch auch anderes so z.B. die Ge|schichte der alten Römer ist und Griechen ist mir sehr lieb. Desgleichen Religion wo ein lebhafter GeistlicherIdentität nicht ermittelt. uns Unterricht erteilt, der aber sehr wenig mit dem Lehrstoff zu tuhSchreibversehen, statt: tun. hat, sondern da auch – was mich besonders interressiert – die Philosophie, sei es zu alter oder neuer Zeit von uns (ich habe in meiner Klasse nur einen KollegenMitschüler von Friedrich Strindberg; Identität nicht ermittelt.) besprochen wird. So siehts ungefähr bei uns in der Schule aus!

Noch viele Grüße bis zu Weihnachten
in Liebe Fritz.

Friedrich Strindberg schrieb am 19. Dezember 1913 in Salzburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Salzburg /19.13/2/.13.


Lieber Herr Wedekind!

Kaum habe ich den einen Briefvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.12.1913. abgesandt, so kommt mir ein neuer Schreck. Jetzt erst – erfahre ich (es war gestern Abends) die Zweifelhaftigkeit unserer Montaglichen AbreiseDie Erlaubnis zur Abreise in die Weihnachtsferien wurde vom Schuldirektor von Friedrich Strindbergs Internat für ihn und seine Mitschüler offenbar erst kurzfristig festgelegt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 14.12.1913].. Hoffentlich erhalte ich bis Morgen (Sonntag)Friedrich Strindberg datierte die Karte auf Freitag, den 19.12.1913 legt aber hier nahe, dass er sie am Samstag, den 20.12.1913 schrieb; dies entspricht dem Datum des Poststempels. genauere Kunde, wann wir fahren dürfen! Bitte zu entschuldigen, wenn es noch einen Tag später kommen würde, es ist s/m/ir selbst zu peinlich. Hoffentlich bleibt | es beim früheren!

Mir ist es schrecklich unangenehm dies peinliche Zögern! Es wird mir nichts anders überbleiben als am Tage vorher Herrn Wedekind zu telegraphierenvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.12.1913., wann es sicher ist! Hoffentlich bleibt es so! Ich käme um 5h…

U. wieviel m/M/inuten werde ich noch morgen schreiben! Viele herzliche Grüße in Liebe
Fritz


Hochwohlgeb. Herrn
Frank Wedekind.
München
Prinzregentenstraße 50.
Baiern.

Friedrich Strindberg schrieb am 21. Dezember 1913 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg / 21.12.

13.


Liebster Herr Wedekind!

Heute weiß ich wenigstens Gewißheit! Großmama schrieb mir in einer sehr lieben KarteDie Karte von Marie Uhl an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert. wegen meiner AnkunftFriedrich Strindberg fuhr auf Einladung Wedekinds vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 nach München [vgl. Tb].. Ich fahre hier am Montag oder Dienstag ab. In dieser Hinsicht ist meine Abreise unsicher und ich muß darum Herrn Wedekind telegraphierenvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.12.1913.. Der Zug aber ist sicher und zwar komme ich um 8’38 in Salzburg von Mondsee aus an, fahre um 9’07 ab und bin um 12’20 in München. Jedenfalls aber zur größeren Sicherheit | werde ich den Zug auch mittelegraphieren. Großmama schrieb mir nämlich ungenau und ich glaube sicher, daß meine liebe Großmama diesen Zug meint. Da in Mondsee die Post erst um 8h aufgemacht wird, glaube ich, daß das Telegramm um 11h ungefähr ankommt. Wenn dies nicht der Fall ist, so komme ich erst am nächsten Tag, am Dienstag, in dem Fall ich auch telegraphieren werde. Wie ist das umständlich und ich kann doch leider nicht anders, da ich nichts sicheres weiß! Leider kann ich auch gar nichts erfahren! wie sehr ich auch danach forsche!

Und nun nur noch wenige Tage! Dann kann ich kommen!! Wie riesig ich mich darauf freue!! Ich kanns gar nicht sagen. Die „Zensur“Friedrich Strindberg hatte von Wedekind ein mit einer handschriftlichen Widmung versehenes Exemplar des Dramas erhalten [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 11.10.1913]. habe ich schon so oft gelesen, daß – allerdings ich sie nicht auswendig kann – aber doch schon so ziehmlich, wenn man mir beginnt in/an/ | einem Satz, ich fortfahren kann. Aber vollständig sie zu verstehen kann ich mich nicht rühmen, denn z.B. über den plötzlich hereinbrechenSchreibversehen, statt: hereinbrechenden. Schluß kann ich nichts bestimmtes mir erklären. Ich freue mich schon, wenn ich aus Herrn Wedekinds eigenem Munde Aufklärung erhalte. Über was ich mich alles freue – ich kanns eben sowenig aufzählen, da es eben soviel ist we/i/e die Freude selbst.

Noch viele herzliche Grüße
über die wenigen Tage
In innigster Liebe
Fritz.

Friedrich Strindberg schrieb am 22. Dezember 1913 in Mondsee folgendes Telegramm
an Frank Wedekind

Telegramm.

[…]


= herrn frank wedekind muenchen
prinzregentenstrasze 50= |


Königlich Bayerische Telegraphenanstalt München.

[…]


kome um 12.20 dinstag mitags nach muenchenFriedrich Strindberg reiste am Dienstag, den 23.12.1913 für seinen Weihnachtsbesuch bei Wedekind von Mondsee nach München und blieb dort bis zum 1.1.1914 [vgl.Tb].

Friedrich Strindberg schrieb am 2. Januar 1914 in Mondsee folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mondsee. 2.1./14.


Lieber Herr Wedekind!

Ich bin gestern abends glücklich und zufrieden angelangtFriedrich Strindberg reiste am 1.1.1914 von seinem Weihnachtsbesuch in München zurück nach Mondsee; Wedekind notierte: „Bringe Fritz zur Bahn. Annapamela weint zum Abschied.“ [Tb].. Den ersten Teil der Fahrt spürte ich entsetzlichen Hunger, so daß ich der lieben gnädigen Frau sehr dankbar dafür bin, daß ich etwas mitbekam, das mich zur Genüge sättigte. Unglücklicherweise verwandelte sich der leibliche Hunger in einen geistigen und diese Leere dürstete nach einer Befriedigung, die mir wieder die arme „Woche“„Die Woche“ war eine seit 1899 erscheinende illustrierte deutsche Wochenzeitschrift aus dem August Scherl Verlag Berlin. stillte. So kam ich nach Salzburg – daß das Leben eine RutschbahnZitat aus dem Schlusssatz des „Marquis von Keith“: „Das Leben ist eine Rutschbahn ...“ [KSA 4, S. 228]. sei | mußte ich deutlich, zu deutlich fühlen, so daß ich das wurde, was ich schon im Auto war – sentimental und leider sehr. –

In Salzburg kam die Verzollung und die bairisch österreichischen Beamten schienen mir viel freundlicher, da ich meinen Korb gar nicht öffnen brauchte. Dann, um 5 33 gings weiter. Der kleine Wagen war voll Rauch, so daß ich selbst nicht zu rauchen brauchte –

Eine ganz neue Annehmlichkeit überhob mich der doch verflixt/trüben Abschiedsstimmung. Ich lebte mich völlig auf der Bahn in den Gedanken ein, daß ich aus Salzburg käme, (und) der Weihnachtsabend erst vor der Tür stehe und nächsten Morgen ich nach München käme. Und so verlief die Zeit in wirklicher Erwartung.

Großmama traf ich nicht ganz wohl, sie war halsleidend und ich kam völlig unerwartet, da ich un|glückseliger Weise vergaß, meiner Großmama eine 2 KarteEine Postkarte Friedrich Strindbergs an Marie Uhl ist nicht überliefert. mit meiner Ankunftszeit zu schicken.

Nun aber danke ich Herrn Wedekind nochmals und sehr, denn nichts fühle ich deutlicher, als wal/s/ s/i/ch damals sagte – wegen dem Glück, das einen langen Schatten wirftfür: sich noch lange auswirken, noch lange spürbar sein. und das, mag es auch nur kurz gewesen sein, doch viel angenehmer wirkt, als wenn es nicht voh/r/handen gewu/e/sen wäere.

Ich erinnere mich noch sehr und lieb an die schönen TageFriedrich Strindberg hatte Wedekind vom 23.12.1913 bis zum Neujahrstag 1914 in München besucht. Er unternahm mit seinem Vater zahlreiche Spaziergänge in München und Umgebung, besuchte verschiedene Lokale und ging zweimal ins Theater [vgl. Tb]. und ich bitte Herrn Wedekind auch der gnädigen Frau meinen nochmaligen herzlichsten Dank auszurichten.

Nun steht wieder das Leben vor der Tür und es heißt zu lernen; nur wenige Tage noch und es beginnt die Schule! Bitte mir v wieder nur nach Salzburg zu schreibenFriedrich Strindberg besuchte als Internatsschüler in Salzburg die private Lehr- und Erziehungsanstalt für Schüler der Mittelschulen im alten Borromäum., da ich in den nächsten D/T/agen wieder dorthin abdamphenabdampfen, umgangssprachlich für: abreisen, abfahren. | werde. Den „Triton“Friedrich Strindberg hatte das von ihm verfasste Stück seinem Vater am 26.12.1913 vorgelesen: „Fritz liest sein Drama Triton vor“ [Tb]. Der Entschluss, die Arbeit an dem Stück auszusetzen, geht auf eine Empfehlung Wedekinds zurück [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]. aber, bitte Herr Wedekind noch hierher da zu schicken, da er ruhen soll, begraben für die nächsten paar Jahre; bis ich ihn, das arme Kind, wieder aus einem Winkel hervorzerre um zu sehen was gräßliches ich da geschaffen.

Noch viele Grüße, bitte auszurichten an die lieben Kleinen, an Fanni Kadidja und Anna Pamela
In dankbarer Liebe Fritz
Friedrich.


Großmama sendet einstweilen durch mich herzlichsten Dank bis sie aus dem Bett, sich selbst bedanken kann. –

Frank Wedekind schrieb am 5. Januar 1914 in München
an Friedrich Strindberg

Königreich Bayern.
Posteinlieferungsschein


Gegenstand
[…]
BriefDer zu dem Posteinlieferungsschein gehörige, als Einschreiben aufgegebene Brief ist nicht überliefert; es dürfte sich um die Versendung des Manuskripts von Friedrich Strindbergs Stück „Triton“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 2.1.1914] gehandelt haben. Nr. 95
[…]

Betrag (bei Einschreibsendungen die Angabe E, bei Postaufträgen A) – E – M Pf.
[…]

Empfänger Strindberg b. Hofrat Uhl
Bestimmungsort Mondsee

Gebühren 40 Pf.

Postannahme […] |

Bemerkung.

Der Anspruch an die Postverwaltung auf Entschädigung erlischt nach sechs Monaten, vom Tage der Einlieferung der Sendung an gerechnet, soweit nicht für den Verkehr mit dem Ausland eine andere Verjährungsfrist festgesetzt ist.

__________

Friedrich Strindberg schrieb am 11. Januar 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 11.2.14.Friedrich Strindberg datierte den Brief irrtümlich auf Februar statt Januar; die im Brief für „Übermorgen“ erwähnte Lesung von Karl Kraus in Salzburg fand am 13.1.1914 statt (siehe unten).


Lieber Herr Wedekind!

Danke vielmals für die Zusendung mit dem lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 5.1.1914. Erhalten ist der Posteinlieferungsschein für diesen eingeschriebenen Brief Wedekinds nach Mondsee, ein Begleitbrief zu einer Sendung; man darf annehmen, dass es sich bei der „Zusendung“ um das Manuskript des Stücks „Triton“ handelte, das Friedrich Strindberg seinem Vater am 26.12.1913 in München vorgelesen hatte [vgl. Tb] und per Post zurückerwartete [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 2.1.1914]..

Der Zeitung entnahm ich, daß Friedrich Kaißler die HauptrolleFriedrich Kayßler spielte in der Uraufführung von Wedekinds „Simson“ am Berliner Lessingtheater am 24.1.1914 die Titelrolle. Das wurde in der Presse angekündigt: „Das neue Stück von Wedekind ‚Simson‘ geht am 23. Januar im Lessing-Theater in Szene. Die Titelrolle spielt Friedrich Kayßler.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 7, 5.1.1914, Abend-Ausgabe, S. (3)] spielt. Übermorgen liest hierDie erste Lesung von Karl Kraus’ in Salzburg fand am 13.1.1914 um 19.30 Uhr im Hotel Österreichischer Hof (heute: Hotel Sacher) in der Schwarzstraße statt. Die Presse wertete die Veranstaltung in den Ankündigungen als ein „literarisches Ereignis“ [Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 4, 6.1.1914, S. 1]. Karl Kraus Teile aus seiner „chinesischen Mauer“Karl Kraus’ Aufsatzsammlung „Die chinesische Mauer“ von 1910 (bei Albert Langen in München) war 1912 in zweiter Auflage erschienen. Darin war auch die Polemik „Maximilian Harden. Eine Erledigung“ von 1907 abgedruckt. vor. Überall große Aufregung. Ganz Salzburg ist begierig /ihn zu hören. Ob ich ihn kennen lernen werde? Ansehn möchte ich ihn doch „den berühmten Gegner | von Max. Harden“ wie das Salzburger Blattnicht ermittelt, das vorangehende Zitat insofern nicht nachgewiesen. In einer Ankündigung der Lesung von Karl Kraus ist eine Berliner Rezension von 1910 zitiert, in der es hieß, Kraus leuchte „der ‚Journaille‘, der Moral, der Sittlichkeit und mit besonderer Vorliebe auch dem Generalpäch[t]er dieser und aellr [!] anderen Kulturmomente, Herrn Maximilian Ha[r]den, mit einer Dialektik heim, deren funkelnde Schärfe nicht einmal von der kristallenen Klarheit seines Stils übertroffen wird.“ [Salzburger Wacht, Jg. 15, Nr. 3, 5.1.1914, S. 4] Von seinen Polemiken gegen Maximilian Harden las Kraus in Salzburg „‚Die Sprache der Konzertagentur‘ und die Glosse ‚Wenn Herr Harden glaubt‘.“ [Salzburger Wacht, Jg. 15, Nr. 10, 14.1.1914, S. 6] schrieb.

Bitte entschuldigen Herr Wedekind, wenn ich nicht sofort antwortete, doch ich erhielt den Brief am Tage meiner AbreiseFriedrich Strindberg erhielt den nicht überlieferten, eingeschriebenen Brief [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 5.1.1914] demnach am 6.1.1914 in Mondsee, seinem letzten Ferientag. von Mondsee, dort ging alles drunter und drüber und hier kam ich erst jetzt dazu.

Danke herzlichst für die Grüße der lieben Kleinen! Auf die PhotographieFriedrich Strindberg hatte Wedekind im November 1913 um die Zusendung einer Porträt-Photographie gebeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.11.1913]. freue ich mich schon riesig! Hoffentlich trifft der dieser Brief richtig die AdresseDer Brief war an das Elite Hotel in Berlin adressiert, wie Friedrich Strindberg in seinem nächsten Brief schrieb [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 18.1.1914]; dort logierte Wedekind gewöhnlich, wenn er in Berlin war, während dieses Aufenthalts aber nicht. Das Elite Hotel dürfte den Brief an die Münchner Adresse weitergeleitet haben, von wo Wedekinds Frau ihn ihrem Mann nach Berlin Hotel Habsburger Hof nachsandte [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 14.1.1914]. Am 11.1.1914 war Wedekind zu den Proben für die Uraufführung von „Simson“ am Lessingtheater nach Berlin gereist [vgl. Tb].!!

Nun heißt es wieder fleißig lernen; 13 Februar ist Prüfung über den Lehrstoff des Semesters und da muß ich jetzt – wie man sagt – stuckenumgangssprachlich für ‚lernen‘.! Zwar ist es freigestellt Prüfung zu machen oder nicht, aber ich hoffe es auf alle Fälle zu tuhn, denn sonst | müßte ich mich am Schluß des Jahres über den ganzen Stoff prüfen lassen und mir rumort der Semesterstoff schon im Kopf herum. An einereSchreibversehen, statt: eine. größere Arbeit wage ich mich auf keinen Fall mehr sobald, denn mir fehlt so ziehmlich alles, was man dazu unbedingt braucht: Mut, und Ausdauer!

Der „Triton“ ruhe in FriedenFriedrich Strindberg hatte das von ihm verfasste Stück seinem Vater am 26.12.1913 vorgelesen: „Fritz liest sein Drama Triton vor“ [Tb]. Der Entschluss, die Arbeit an dem Stück auszusetzen, geht auf eine Empfehlung Wedekinds zurück [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]., ….. lange, lange Zeit! Das ist für eine spätere, nähere Besichtigung notwendig!

Noch viele Her herzliche Grüße und die besten Glückwünsche für die Berliner „Simson“ Aufführung
in Liebe
Friedrich.

Friedrich Strindberg schrieb am 18. Januar 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 18.I.14.


Lieber Herr Wedekind!

Hoffentlich haben (mei) Herr Wedekind meinen Briefvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.1.1914. von letzten Sonntag, den ich an „Elite Hotel“ adressierteWedekind war am 11.1.1914 zu den Proben für die Uraufführung von „Simson“ am Lessingtheater nach Berlin gereist: „Abfahrt. Tilly begleitet mich auf den Bahnhof. […] Stille ruhige Fahrt Ankunft in Berlin.“ [Tb] Im Elite Hotel hatte Friedrich Strindberg sich am 14.9.1913 mit seinem Vater getroffen und ihn in den folgenden Tagen kennengelernt [vgl. Tb]., erhalten.

Nun schreibe ich zur größeren Sicherheit nach MünchenWedekind reiste am 21.1.1914 mit dem Nachtzug zurück nach München: „Abendessen im Hotel Abfahrt nach München“ [Tb], wo er am nächsten Morgen eintraf.. Dienstag hielt K. Kraus Vorlesungam 13.1.1914, wie angekündigt: „Vorlesung Karl Kraus. Dienstag abends um halb 8 Uhr liest Karl Kraus, der Herausgeber der ‚Fackel‘ im Saale des Hotel ‚Oesterreichischer Hof‘ aus eigenen Schriften.“ [Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 9, 13.1.1914, S. 2] Die Veranstaltung war in der Presse vielfach angekündigt. Karl Kraus las Glossen aus der „Fackel“ (zum Programm siehe unten). , die sehr gut besuchtDie Presse konstatierte widersprüchlich einerseits „eine zahlreiche Zuhörerschaft“ [Salzburger Wacht, Jg. 15, Nr. 10, 14.1.1914, S. 6], andererseits, dass „der Besuch verhältnismäßig schwach war“; Kraus „versammelte wenige um sich“ [Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 11, 15.1.1914, S. 2]. war. Ich konnte leider sie nicht besuchen, trotzdem sah ich Herrn Kraus einmal auf der Straße; mir kam es vor als ob er etwas gebückt gehe, doch erkannte ich ihn gleich beim ersten Blick. Seine Vorlesung soll wiederum aus den bekannten 3 Teilen bestanden H/h/aben: Presse, HardenMaximilian Harden war seit Karl Kraus’ Pamphlet „Maximilian Harden. Eine Erledigung“ [Die Fackel, Jg. 9, Nr. 234/235, 31.10.1907, S. 1-36] fortwährend Gegenstand seines Spotts. Friedrich Strindbergs Urteil deckt sich nur teilweise mit dem der lokalen Presse: „Etwas zu kurz kam Maximilian Harden, die Verdeutschung seines Desperanto wäre ein königliches Vergnügen gewesen. Kraus gab uns nur ‚Die Sprache der Konzertagentur‘ und die Glosse ‚Wenn Herr Harden glaubt‘.“ [Salzburger Wacht, Jg. 15, Nr. 10, 14.1.1914, S. 6] An anderer Stelle hieß es hingegen über Kraus’ Lesung: „Max Harden, dem Könige der Pose und Sensation, errichtet ein entartetes Geschlecht flammende Opferaltäre“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 44, Nr. 11, 15.1.1914, S. 4]. und Eigenlob. |

Trotz alledem soll er sehr großen BeifallDie Presse schrieb: „Das gesunde Empfinden der Zuhörer konnte sich dem Zauber, der von diesem unscheinbaren Menschen ausströmte, nicht entziehen und löste sich in lebhaftesten Beifall aus“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 44, Nr. 11, 15.1.1914, S. 4]. errungen haben. Das Publikum soll sehr gefällig gewesen sein nur bei einem Bahr ArtikelIn seiner Glosse „Der liebe Gott“ [Die Fackel, Jg. 15, Nr. 374/375, 8.5.1913, S. 43f.] mokierte sich Karl Kraus über den Vergleich Hermann Bahrs mit dem lieben Gott durch den Journalisten und Gründer der Wiener Volksbühne Stefan Großmann. , der in (nicht) liebenswürdiger Weise Bahr mit dem lieben GottIn seiner Glosse „Der liebe Gott“ [Die Fackel, Jg. 15, Nr. 374/375, 8.5.1913, S. 43f.] mokierte sich Karl Kraus über den Vergleich Hermann Bahrs mit dem lieben Gott durch den Journalisten und Gründer der Wiener Volksbühne Stefan Großmann. vergleicht soll man etwas ungeduldig geworden sein. Ich kannte so ziehmlich die Vorlesung, bestand sie ja hauptsächlich aus älteren ArtikelnAls Programm wurde vorab in der Presse angekündigt, Kraus werde „folgende Satiren und Glossen lesen: ‚Der Traum ein Wiener Leben‘, ‚Die Welt der Plakate‘, ‚Pfleget den Fremdenverkehr‘, ‚Das Ehrenkreuz‘, ‚Der Neger‘, ‚Die Schuldigkeit‘.“ [Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 7, 10.1.1914, S. 2] Die genannten Artikel waren zwischen 1909 und 1913 in der „Fackel“ erschienen.!

Donnerstag war PremiereDie Uraufführung von „Die liebe Not“ (1907) fand am Freitag den 16.1.1914 im Salzburger Stadttheater statt und war Teil einer zweitägigen Domanig-Gedenkfeier am 12. und 16.1.1914 [vgl. Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 14, 18.1.1914, S. 1-3]. Karl Domanig war am 9.12.1913 gestorben. von Karl Domanigs (der Dichter vor kurzem gestorben) „Die liebe Not“ ein Tiroler Stück, derb, indem man die Handlung schon im ersten Acs/t/ vollständig voraussagen konnte. Tendenz war die Religion als Zuflucht in der Not und treues Zusammenhalten von tiroler Volksmenschen, entgegengestellt dem Lug und Trug der Proletarier haßenden Gesellschaft. Aber ich glaube „alles schon dagewesen“Als Ausspruch des Rabbi Akiba zeitgenössisch verbreitete Redewendung nach Karl Gutzkows Drama „Uriel Acosta“, 4. Akt, 2. Szene: „Und alles ist schon einmal dagewesen.“ [Karl Gutzkow: Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 1912, S. 49 und öfter]! Es errang aber enormen BeifallSo auch in der Presse: „Das Haus war sehr gut besucht […]. Der Beifall war besonders nach dem 2., 4. und 5. Akt außerordentlich stark und einmütig“ [Salzburger Wacht, Jg. 15, Nr. 13, 17.1.1914, S. 6].. Ausgezeichnet besucht.

Ein andres StückDas Schauspiel „Frühlingsstürme“ (1907) von Viktor Otte hatte seine Uraufführung am Stadttheater Salzburg am 25.11.1913. „Frühlingsstürme“ von einem hiesigen ProfessorViktor Otte war Lehrer an der k. k. Oberrealschule für Knaben und am Mädchenlyzeum in Salzburg [vgl. Salzburgischer Geschäfts-, Volks- und Amts-Kalender für das Jahr 1913, Jg. 41, S. 116]. fiel (allerdings schon vor längerer Zeit) durchDie Presse urteilte einhellig abwertend über das Stück, das von dem vorwiegend jugendlichen Premierenpublikum allerdings positiv aufgenommen wurde. „Es ist die Aufgabe des Kritikers, den äußeren Erfolg von dem inneren Werte eines Stückes genau zu unterscheiden. Sowie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, so ist es noch lange kein wirklicher Erfolg, wenn einige hundert Schülerhände in freigibiger Weise Applaussalven niederprasseln lassen. Dem Schauspiel Ottes wurde gestern an unserer Bühne ein überaus freundlicher Erfolg bereitet.“ [Salzburger Wacht, Jg. 14, Nr. 271, 26.11.1913, S. 5]. Es war zu unmoralischEin Rezensent monierte angesichts der dargestellten Frauengestalten „den sittlichen Tiefstand des Schauspiels“ [Salzburger Chronik, Jg. 49, Nr. 271, 27.11.1913, S. 2] und hielt es wegen des vorwiegend aus Schülerinnen und Schülern bestehenden Publikums für einen „Skandal, daß Schulleitungen und Eltern diesen Kinderbesuch zuließen“ [ebd., S. 4]. sagte man. Es soll aber sehr originell und grotesk ein Problem gelöst haben, die Jugend.

Auf die PhotographieFriedrich Strindberg hatte Wedekind im November 1913 um die Zusendung einer Porträt-Photographie gebeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.11.1913]. freue ich mich schon sehr! Am 23Die Uraufführung von „Simson“ am Berliner Lessingtheater fand nicht am 23.1.1914, sondern am Samstag, den 24.1.1914 statt [vgl. KSA 7/II, S. 1331]. In der Presse wurde zunächst das falsche Datum angegeben: „Das neue Stück von Wedekind ‚Simson‘ geht am 23. Januar im Lessing-Theater in Szene.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 7, 5.1.1914, Abend-Ausgabe, S. (3)]. Wedekind, der Regie geführt hatte, war wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Theaterleiter Victor Barnowsky vorzeitig am 21.1.1913 nach München abgereist. hörte ich seir Premiere | von „Simson“ bei Barnowski. Hoffentlich findet es rechten Beifall!

Wir betreiben jetzt sehr fleißig am Abhange vom MönchsbergDer Mönchsberg (508 m) verläuft innerhalb Salzburgs am linken Salzachufer entlang; die Straße war im Winter eine beliebte Rodelstrecke. , dessen Straße eine Serpentine bildet. Wintersport. Großmama besorgte mir einen Rodel und ich fahre sehr fleißig. Trotz ziehmlich viel blauen Flecken auf Arm und Bein bin ich froh und gesund, von Kleinigkeiten abgesehen. Frohsinn und Lebenslust denke ich, ist der Haupttrieb vom ganzen Leben. 13. nächsten Monats gehts zur Prüfungdie halbjährlich stattfindende Semestralprüfung.. Ich kann kein Buch anschauen, derweil aber! –

Von morgen an gehts wieder los… ohne Rast. bis zur Woche vor 13. Da raste ich mich wieder aussich ausrasten – österreichisch für ‚sich ausruhen‘, ‚sich entspannen‘. und wenn man knapp vor der Prüfung nichts lernt gehts erfahrungsgemäß am besten! Wenn nur bald dies Monat vorbei wäre, dann gehts wieder gut! So heißts halt „büffeln“angestrengt lernen. und es ist zur Abwechslung auch nicht übel! Besonders in „Deutsch“ (Mittelhochdeutsch.) gehts recht gut.

Sonst muß es auch sein. Mathematik hat in seiner entsetzlichen Langweiligkeit auch seine | Reize aber diese z reizen zu anderm als zu lernen! Aber es muß sein.

Viele herzliche Grüße
in Liebe

Friedrich.

Friedrich Strindberg schrieb am 25. Januar 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 25.1.1914.


Lieber Herr Wedekind!

Heute komme ich endlich wieder zum Schreiben und ich habe sehr viel am Herzen.

Großmama schrieb mirDer Brief Marie Uhls an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert. vor einer Woche schon so ungefähr wegen meinem Lernen, (und) da sie gar meinte in ihrer lieben Besorgnis, daß ich infolge meiner ziehmlichen Freude nicht besonders gut lernen würde. Ich stellte meiner guten Großmama gleich dies richtig und sie war recht erfreut, daß es dessen nicht so ist! Nun aber teilte sie mir unglücklicherweise mit, daß sie diese Meinung auch Herrn Wedekind mitteiltevgl. Marie Uhl an Wedekind, 9.1.1914.. Nicht wahr Herr Wedekind werden bitte darüber nicht ungehalten sein; ich kann nur sagen, daß ich, seitdem ich Herrn Wedekind kenne, schon aus dem Grunde um Herrn Wedekinds Beifall zu erringen viel ehrgeiziger lerne als vorher und ich | durch unsere Bekanntschaft angesport/n/t werde. Dies teilte ich auch Großmama mit und sie freute sich recht über diese Wendung! Nun weiß ich wirklich noch nicht wie es mit meiner Prüfungdie halbjährlich stattfindende Semestralprüfung. Neben der obligatorischen „Prüfung am Schlusse des Schuljahres“ sah der „Erlaß des Leiters des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 2. Jänner 1909, Z. 51190 ex 1908, an alle Landesschulbehörden, betreffend die Prüfungen der Privatisten an Mittelschulen“ vor, „auf Wunsch der Eltern oder Vormünder die Privatisten allenfalls auch am Schlusse des ersten Semesters zu einer Prüfung über den Lehrstoff dieses Semesters zuzulassen“ [Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht. Jg. 1909, Stück 2, Nr. 2, Wien 1909, S. 32], um so ein Zwischenzeugnis zu erhalten. in 3 Wochen werden wird. Einerseits bin ich – da es herauskam, daß sie nicht unbedingt nötig sei – der einzige von uns 20 der es macht aus freien Willen und anderseits möchte ich meiner Großmama und auch besonders Herrn Wedekind mit einem guten Erfolg erfreuen. Ich werde die Entscheidung meiner Großmama anvertrauen!

Donnerstag waren wirFriedrich Strindberg und zwei seiner Mitschüler. (d.h. nur 3.) im Theater. Man gab „Egmont“ mit Höbling von Wiener Burg. als Gast. Ich sah Höbling zwar einmal im Josephstädter Theater bei JarnoJosef Jarno war seit 1899 Direktor des Theaters in der Josefstadt in Wien. aber hier mißfiel er mir sehr. So viel von ihm selbst; wenn er seufzte glaubte man ein Orkan durchrase das Theater. Dann kam mir vor, daß er nicht weiß was er mit seinen Händen anfangen solle. Doch er hatte eine schöne Gestalt und sehr angenehmes Organ. Die Presse zerzauste„Im Kerne seines Wesens ließ der Gast kühl“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 44, Nr. 19, 24.1.1914, S. 4]; „eine stattliche Erscheinung, gutes Organ, ordentliches Sprechen, – das allein tut’s nicht“ [Salzburger Chronik, Jg. 50, Nr. 19, 24.1.1914, S. 3]. ihn nach jeder Richtung, trotzdem er Gast war! – Schonungslos! –

Nun wie ist „Simson“ in Berlin über die Bretter gegangenDie Uraufführung von „Simson“ am Berliner Lessingtheater am 24.1.1914 fand ohne Autor und Regisseur statt – Wedekind war wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Theaterdirektor Victor Barnowsky drei Tage zuvor nach München abgereist. Die Aufführung geriet zum Theaterskandal [vgl. KSA 7/II, S. 1338-1350].? Ich denke an den besten Erfolg! | Es muß ja wirken! Die LiedchenIn die Anthologie „Deutsche Chansons (Brettl-Lieder)“ waren von Wedekind die aus der Sammlung „Die Jahreszeiten“ (1897) nachgedruckten Gedichte „Pennal“ [vgl. KSA 1/II, S. 1957], „Ilse“ [vgl. KSA 1/II, S. 1699], „Brigitte B.“ [vgl. KSA 1/I, S. 1102], „Sieben Rappen“ [vgl. KSA 1/II, S. 1370], „Der Tantenmörder“ [vgl. KSA 1/II, S. 1287], „Der Taler“ [vgl. KSA 1/II, S. 1283], „Galathea“ [vgl. KSA 1/II, S. 1622], „Christine“ [vgl. KSA 1/I, S. 1109] und „Das arme Mädchen“ [vgl. KSA 1/II, S. 1133] in dieser Reihenfolge aufgenommen. Die 1900 erstmals bei Schuster und Loeffler in Berlin und Leipzig erschienene Anthologie war zuletzt 1912 im Insel-Verlag Leipzig neu aufgelegt worden (63.–65. Tsd.), allerdings ohne die ursprüngliche Einleitung von Otto Julius Bierbaum und die Bilder der Autoren [vgl. Insel-Verlag an Wedekind, 18.4.1911]. von Herrn Wedekind in den „Chansons“ kann ich beinahe schon vollständig. Am schönsten finde ich „Ile„Ilse“. Auch am innigsten! Es erinnert mich so oft ich lese, an den Ne SilvesterabendFriedrich Strindberg hatte den Jahreswechsel bei seinem Vater in München. verbracht. Zum Abend des 31.12.1913 notierte Wedekind: „Friedenthal Marion Frau v. Satkowska kommen zum Abendessen. Silvesterfeier. Friedenthal und Marion tanzen Walzer nach der Neuen Kommunion. T.St. um 2 Uhr fahren Fritz und ich nach Haus“ [Tb]., an „Lieschen“Der Tagebucheintrag Wedekinds vom 31.12.1913 legt nahe, dass hier das Lied „Die neue Communion“ (1891/1902) [KSA 1/III, S. 121f.; vgl. KSA 1/II, S. 2123 und KSA 1/IV, S. 1017] und nicht „Mein Lieschen“ (1905) [KSA 1/III, S. 94f.; vgl. KSA 1/IV, S. 988f.] gemeint ist. „Die neue Communion“ (gekürzt und verändert unter dem Titel „Unterm Apfelbaum“ in „Die vier Jahreszeiten“, 1912) beginnt mit dem Vers: „Lieschen kletterte flink hinauf“.. Doch bringe ich, so viel ich brumme und summe, nimmer die Melodie heraus! Die „Zensur“ hoffe ich bis zu unserem nächsten Zusammenzukommen zu können. Natürlich nur den Buridanmännliche Hauptfigur in „Die Zensur“, Literat.! – Aber mit Zungen RFriedrich Strindberg folgt hier den Aufführungsvorstellungen Wedekinds, der das rollende Zungen-R in seiner Bühnendiktion benutzte. In dem Glossarium „Schauspielkunst“ (1910) schrieb er: „Als ich kürzlich in Düsseldorf auftrat, erregte ich bei den Schauspielern allgemeines Kopfschütteln und Achselzucken, weil ich Zungen-R sprach“ [KSA 5/II, S. 374]. Wedekind sprach das Zungen-R nicht nur bei seinen Auftritten als Schauspieler und Liedersänger, sondern kultivierte es auch in der Alltagsunterhaltung: Zeitgenossen berichten, Wedekind habe sich „in gewählter Redeweise, die einem keinen Buchstaben unterschlug, aber dem R – einem theaterhaft hervorgerollten Zungen-R – noch eine ganz besondere Sorgfalt widmete“ [Holm 1932, S. 58f.], ausgedrückt und „entgegen dem Stil seiner Zeit ein hochdramatisches, einstudiert rollendes Zungen-R“ gesprochen [Martin Kessel: Romantische Liebhabereien. Sieben Essays nebst einem aphoristischen Anhang. Braunschweig 1938, S. 75]. Heinz Rühmann brachte das Zungen-R Wedekinds mit dem Schauspielunterricht bei dem Hoftheaterschauspieler Fritz Basil in Zusammenhang: Basil „verkörperte noch den Hoftheaterstil mit rollendem Zungen-R. Bei ihm nahm auch der Schriftsteller Frank Wedekind Schauspielunterricht“ [Heinz Rühmann: Das war’s – Erinnerungen. Berlin, Frankfurt am Main, Wien 1982, S. 28].. Dieses macht rüstige Fortschritte!! Schon trage ich die Gedichte bei uns meistens mit diesem R vor. Aber lesen kann ich, ohne mich des öfteren zu versprechen, noch nicht damit. Aber mit der Zeit wird auch dieses gehen!!

Auf die PhotographieFriedrich Strindberg hatte Wedekind im November 1913 um die Zusendung einer Porträt-Photographie gebeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.11.1913]. freue ich mich schon riesig! Gnädige Frau sandte mirTilly Wedekinds Schreiben an Friedrich Strindberg ist ebenso wie die Photographie von Wedekinds Tochter Pamela nicht überliefert. o eine Ansichtskartenphotographie von meiner lieben Anna Pamela, die ich auch schon beantwortete.

Herzliche Grüße
in Liebe
Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 31. Januar 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 1.2.1914 aus Salzburg:]


Danke herzlichst für die liebe Karte!

Friedrich Strindberg schrieb am 1. Februar 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

1./II.14.


Lieber Herr Wedekind!

Danke herzlichst für die liebe Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 31.1.1914.! Ich war – warum weiß ich jetzt wirklich nicht – so erregt und glaubte, entweder hätte ich irgend etwas angestellt oder Herr Wedekind wären krankAm 27.1.1914 wandte sich Friedrich Strindberg mit einer Postkarte an Tilly Wedekind, da er „sehr befürchte, daß Herr Wedekind krank sei! Bitte könnten mir gnädige Frau nicht mitteilen, ob Herr Wedekind sehr krank sei, oder ob ich etwa durch irgend etwas nicht Korrektes den Unwillen erregt habe.“ [Friedrich Strindberg an Tilly Wedekind, 27.1.1914. Mü, Nachlass Frank Wedekind, FW B 165a]. Anlass für seine Sorge bot ihm die ausbleibende Post des Vaters: „Eine Woche tröstete ich mich, daß ein Brief verlorengegangen sei, die andre Woche log ich mir vor, Herr Wedekind wären krank oder verhindert mir (nach) zuschreiben. Seitdem bin ich sehr geängstigt darüber.“ [Ebd.]. Und diesen Spleenhier: fixe Idee. konnte ich mir nicht ausreden –––––

Bis heute war ich noch im Zweifel über meine Prüfungdie halbjährlich stattfindende Semestralprüfung. Bereits an Tilly Wedekind schrieb Friedrich Strindberg am 27.1.1914 (siehe oben): „Die voraussichtliche Prüfung fällt für Februar wegen vollständiger Unnötigkeit leider weg.“ Neben der obligatorischen „Prüfung am Schlusse des Schuljahres“ sah der „Erlaß des Leiters des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 2. Jänner 1909, Z. 51190 ex 1908, an alle Landesschulbehörden, betreffend die Prüfungen der Privatisten an Mittelschulen“ vor, „auf Wunsch der Eltern oder Vormünder die Privatisten allenfalls auch am Schlusse des ersten Semesters zu einer Prüfung über den Lehrstoff dieses Semesters zuzulassen“ [Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht. Jg. 1909, Stück 2, Nr. 2, Wien 1909, S. 32], um so ein Zwischenzeugnis zu erhalten., doch heute schrieb mir meine liebe GroßiKosename für Großmama., daß o ich,– da es ja gar nicht notwendig ist!! – keine Prüfung mache! Ich weiß nicht soll ich mich darüber freuen oder nicht. Ich war, trotzdem ich sehr am Zustandekommen der Prüfung, da ich der einzige war, zweifelte, doch schon | so ziehmlich vorbereitet und nun blieb sie aus!

Großimama schrieb mir auch, daß infolge JarnosJosef Jarno hatte als Eigentümer und Direktor des Wiener Lustspieltheaters bereits im Dezember 1909 ein Gastspiel Wedekinds mit den Stücken „Der Kammersänger“, „Die Zensur“ und „Musik“ organisiert. In der Wiener Neuinszenierung des „Marquis von Keith“, die am 25.8.1911 in dem von ihm geleiteten Theater in der Josefstadt Premiere hatte, spielte Jarno die Titelrolle. Ob er sich auch für die Inszenierung des „Kammersänger“ am Burgtheater eingesetzt hat, ist nicht bekannt. (?) und seiner Freunde „der Kammersänger“ in Wien in der BurgWedekinds Einakter „Der Kammersänger“ war das erste seiner Stücke, das am Wiener Burgtheater unter der Regie des Direktors Hugo Thimig aufgeführt wurde (Premiere: 31.1.1914) [vgl. Hugo Thimig an Wedekind, 21.1.1914; Wedekind an Hugo Thimig, 27.1.1914] – er wurde als erstes von drei Stücken gespielt; ihm folgten „Boubouroche“ von George Courteline (deutsch von Siegfried Trebitsch) und „Literatur“ von Arthur Schnitzler, wie der Theaterzettel [zugänglich in: https://anno.onb.ac.at/] ausweist. Die Presse urteilte: „Wedekind hat mit dem ‚Kammersänger‘ in der künstlerisch vollendeten Darstellung, die ihm das Burgtheater bot, sich als hieher gehörig erwiesen“ [Neues Wiener Tagblatt, Jg. 48, Nr. 32, 1.2.1914, S. 16]. über die Bretter geht! Also da das Wiener Hoftheather schon fähig geworden ist, wird wohl das Residenztheather auch in München nicht mehr lange aussetzen könnenDie erste Aufführung eines Stücks von Wedekind („Der Marquis von Keith“) am Münchner Residenztheater fand am 16.1.1915 statt und wurde von Protesten der Presse begleitet. Unter der Überschrift: „Frank Wedekind hoftheaterreif?!“ [Bühne und Welt, Jg. 17, Nr. 1, 1915, S. 133] schrieb L. Wilfried im amtlichen Blatt des Deutschen Bühnenvereins einen ablehnenden Beitrag und wertete den Vorgang als „unbegreiflich“ und als „Skandal“ [vgl. auch KSA 4, S. 556f.].! Ich habe mich recht darüber, über diesen neuen Erfolg gefreut! Vielleicht eine FolgeDie Uraufführung von Wedekinds „Simson“ an dem von Viktor Barnowsky geleiteten Lessingtheater in Berlin am 24.1.1914 provozierte einen Theaterskandal [vgl. KSA 7/II, S. 1338-1350]. der „Simson“-Aufführung Barnowskiys. Bitte wollten Herr Wedekind im Voraus meine herzlichste Gratulation dafür entgegennehmen!

Meine liebe Schwester ist aus München durchgebranntKerstin Strindberg wohnte zuletzt in der Familienpension Weigl in der Lindenstraße 19/21 in München-Harlaching.! – Warum? – Sie hält sich jetzt in Traunstein auf, in der schützenden Obhut vo eines KlostersDas ehemalige Kapuzinerkloster in Traunstein beherbergte eine Mädchenschule der Englischen Fräulein, die 1895 ins benachbarte Sparz umgezogen war. Kerstin Strindberg hatte die Schule seit Herbst 1904 besucht. als freiwilliger Zögling. | Es ist für mich wirklich völlig unbegreiflich!….und freiwillig noch dazu aus der Mitte der Bälle, Vergnügungen, die für ein junges Mädchen heutzutage doch der Haupttrieb allens Handelns ist!! – Vielleicht war dieser Dr. SulzbachDer Journalist und Verleger Ernst Sulzbach und Kerstin Strindberg heirateten 1917. daran schuld, von dem ich ja seinerzeit zu Herrn Wedekind gesprochen habe. Ich fürchte meine arme Schwester wird ebenso unglücklich wie Mama, von der man behauptet hier, sie habe sich in LondonFrida Strindberg hielt sich seit 1908 in London auf und leitete dort das von ihr gegründete und am 26.6.1912 eröffnete Kabarett The Cave of The Golden Calf in der Heddon Street 3-9 [vgl. Buchmayr 2011, S. 276ff.]. Von einer erneuten Eheschließung Frida Strindbergs ist nichts bekannt. verheiratet! Wenn Kerstin nur nicht auch so viele Menschen unglücklich macht….

Wir treiben sehr viel Wintersport, Rodeln Eislaufen und all dies macht ja so lustig und lebensfroh! Die Tage sind so wunderschön; Sonnenschein und Freude passen so gut zusammen!

Die besten Grüße bitte an die lieben Kleinen, Handküsse an die gnädige Frau

herzliche Grüße
in Liebe
Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 13. Februar 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 17.2.1914 aus Mondsee:]


Danke herzlichst für den lieben Brief.

Friedrich Strindberg schrieb am 17. Februar 1914 in Mondsee folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mondsee 17.2.14.


Lieber Herr Wedekind!

Danke herzlichst für den lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 13.2.1914.. Ich bin heute bei Großmama in Mondsee, schon seit Samstag. Heute, Mitt Dienstag (woch) gehts wieder abFriedrich Strindberg besuchte als Internatsschüler die Lehr- und Erziehungsanstalt für Schüler der Mittelschulen von Josef Tschurtschenthaler in Salzburg..

Ich erzählte wohl schon seinerzeit Herrn Wedekind von meinem BriefFriedrich Strindbergs Brief an Richard Dehmel und dessen Antwortschreiben sind nicht nachgewiesen. an Dehmel, der nun auch Wirk wirklich Sonntag (8.2.) abging. Schon Donnerstag erhielt ich eine entsetzlich freundliche Antwort, über die ich ungemein erfreut war.

Mit der PrüfungNeben der obligatorischen „Prüfung am Schlusse des Schuljahres“ sah der „Erlaß des Leiters des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 2. Jänner 1909, Z. 51190 ex 1908, an alle Landesschulbehörden, betreffend die Prüfungen der Privatisten an Mittelschulen“ vor, „auf Wunsch der Eltern oder Vormünder die Privatisten allenfalls auch am Schlusse des ersten Semesters zu einer Prüfung über den Lehrstoff dieses Semesters zuzulassen“ [Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht. Jg. 1909, Stück 2, Nr. 2, Wien 1909, S. 32], um so ein Zwischenzeugnis zu erhalten. ists nichts geworden; S/s/ie hat gar keinen Einfluß auf MaturaReifeprüfung nach einer höheren Schulausbildung, die ein Hochschulstudium ermöglicht. oder Universitätsstudium und ist nichts anders | als ein Examen über den Semesterstoff, nach dessen Ausgang wir ein entsprechendes Zeugnis erhalten. Nun aber genügt nach neuen Vorschriften, die mir zu WeihnachtenFriedrich Strindberg hatte Wedekind vom 23.12.1913 bis 1.4.1914 in München besucht [vgl. Tb]. Seither war die Vorbereitung auf die bevorstehende Semesterprüfung wiederholt Gegenstand seiner Briefe [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.1.1914 oder 18.1.1914]. noch unbekannt waren, die Prüfung am Jahresschlusses.

Zu Ostern haben wir die 2. Woche im April ungefächr frei. Näheres wird leider erst später bekannt gegeben.

Welch ungeheure Entwicklung ich zu Weihnachten durchgemacht habe, davon zeugt ein kleines Stücklein, das ich schrieb. Herrn Wedekinds RatFriedrich Strindberg hatte Wedekind am 26.12.1913 in München sein Theaterstück „Triton“ vorgelesen und offenbar von Wedekind die Empfehlung bekommen, an dem Stück vorläufig nicht weiterzuarbeiten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 2.1.1914]. gemäß „Triton“ (den „Schmachtfezen“Schreibversehen, statt: Schmachtfetzen; rührseliges Werk. wie ihn ein scharfer Beurteiler nannte) liegen zu lassen und an nichts so Großem mehr mich zu versuchen, schrieb ich ein kleines Stücklein „Menschentumrecht., wie man | es heute nannte. Eine unnatürliche Geschichte von einem Mann der so ist wie er „sein soll“, von seiner 2. Frau die eben nicht so ist, wie sie „sein soll“, von seinem Sohn, dessen Jugend 20 J. natürlicherweise zwischen die Ehegatten tritt und die Frau ihrem Mann entreißt, nur weil es ihm eben in seiner hi/y/sterischen LauneNicht nachvollziehbare Stimmungswechsel und unmotivierte Handlungen zählten zum zeitgenössischen Krankheitsverständnis der Hysterie. gelegen ist; der Mann, sein Vater erleidet nun Schlag auf Schlag: sein Liebchen, eine unnatürlichehier: unehelich geborene. Kellnerin fühlt sich seinetwegen „in anderen Umständen“verhüllend für: schwanger sein. Franziska im gleichnamigen Drama zu Beginn der 4. Szene im 3. Bild des 2. Aktes zu Veit Kunz: „Jetzt ist es aber allerhöchste Zeit, daß ich dir etwas gestehe. Ich bin in anderen Umständen.“ [KSA 7/I, S. 259], wie es in „Franziska“ heißt. Er ist in der Weinstube (als deren Urbild ich die TorgglstubeDie Torggelstube, ein Stammlokal Wedekinds, besuchte Friedrich Strindberg mehrfach mit seinem Vater während seines München-Aufenthalts Ende 1913, erstmals am 25.12.1913: „Dann T.St. mit Fritz und Mühsam“ [Tb]. nahm) und feiert Silvester, als er von dem Streich seiner Frau Kenntnis erhält; da er zu hauseösterreichisch für: nach Hause. kommt bricht sein Sohn Knorpel vonund Knorpel von seinem RückkratSchreibversehen, statt: Rückgrat., | bis ihn der Selbstmord der entsetzlich „alten“ Kellnerin das Messer in den Bauch stößt. Seine Frau und sein Sohn leben von da an zusammen und der letzte von den 5 Akten schildert ihren Untergang. Nun zog ich für die Frau, die an allem möglichen und unmöglichen leidet (sie ist infiziertmit einer Geschlechtskrankheit angesteckt; zeitgenössisch verbreitet waren v.a. Gonorrhö und Syphilis., da sie für ihren Stiefsohn = 2. Gatten erwerben mußte) d einen symbolischen Tod vor und wagte in einem Vergleich den Gegensatz zwischen Jugendsturm und Wirklichkeit anzudeuten, indem ich eine Hexenbande einführte; auf der Bühne sollte es ungeheuer wirken, allein schon wegen der Gestalten, die wild &. toll um die tote Frau einen Cancanin französischen Varietés von Frauen mit Beinwurf und Sprung dargebotener erotisch konnotierter Tanz im schnellen 2/4-Takt. tanzen; Jugend!).

Um aber ganz offen meine Meinung zu skizzieren (nur in so feinen Strichen, |

2.

daß man sie kaum sieht), ist der Ausgang Ironie. Die Frau schleppt sich trotz ihrer entsetzlichen Schmerzen zur Flasche in der andern Matratzengruftdurch Heinrich Heine im Nachwort zu seiner Gedichtsammlung „Romanzero“ (1851) geprägte Bezeichnung für ein jahrelanges Krankenlager.ecke und endet dabei, der Mann (Sohn) übergibt sich den Richtern, nachdem ein Dialog mit der toten Frau vorhergegangen ist und er einsieht, daß er etwa so, wenn auch auf herostratische Weisein französischen Varietés von Frauen mit Beinwurf und Sprung dargebotener erotisch konnotierter Tanz im schnellen 2/4-Takt. berühmt werden könne.

Obwohl die natural. Bühnentechnik den Monolog verwarfIn der Dramaturgie des Naturalismus war der Bühnenmonolog verpönt. Alfred Kerr nannte in seiner Beschreibung der „Technik des realistischen Dramas“ an erster Stelle den „Wegfall des Monologs“ und konstatierte: „das Ersatzmittel ist die Pantomime“ [Alfred Kerr: Das neue Drama. Berlin 1905, S. 296]. , habe ich ihn angewendet, ja er füllt eine ganze Szene aus. Das Theater darf doch nicht zur Pantomime herabsinken: dazu ist das KinoDer Tonfilm entstand erst in den 1920er Jahren. Bis dahin galt die Sprachlosigkeit des Films als entscheidendes Differenzkriterium zum Theater.. –

Auch habe ich mich entsetzlich von leeren Worten gehütet, von denen es im „Triton“ | wimmelt. Das ganze sieht schrecklich ernst aus! Nach Herrn Wedekinds Rat muß man vor dem Schildern erleben. Unreif wäre es sehr, wenn es unwahrscheinlich wäre, sei es in Wort oder Tat. Doch ich tat nichts anderes, als aus den Charakteren Konsequenzen zu ziehen und aus diesen wieder nur die Schläge heraus zu holen. Um nicht in eine (unn) widernatürliche Situation zu verfallen, wählte ich eine feste Grundlage, auf der ich aufbaute, die aber nichts andres ist, als eine undeutliche Photographie, die Herr Wedekind leicht erkennen werden und darum bitte ich mir nicht deshalb zu zürnen!

Um ja nicht auf falsche Fährte zu kommen, nahm ich sogar (wie) nach altem Goethe-BeispielVor allem in seinen frühen Werken hat Johann Wolfgang Goethe die Figurenrede mit sprachlichen Eigenheiten der realen bzw. historischen Personen gestaltet, die ihm als Vorbilder dienten, und verwendete Redewendungen, Regionalismen und Mundart; prominent vor allem im „Götz von Berlichingen“ (1773) und in „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774). von den Personen, | die ich mir verkörpert dachte, Redewendungen, ich verschonte niemandDie genannten Personen hatte Friedrich Strindberg kurz zuvor während seines Weihnachtsaufenthalts vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 bei Wedekind in München kennengelernt [vgl. Tb]. (auch nicht Herrn Dr. Friedenthal, nicht Frl. Marion, nicht H. Mühsam, der bei mir g/G/raulich heißt und nicht Herrn v. Gumpenberg); mein gutes Gedächtnis half mir fi viel und dies kleine Stücklein ist insgesamt so groß wie „Triton“ aber viel knapper, viel mehr Handlung und eigentlich sind es nur 5 kleine Arbeiten, denn sie hängen ziehmlich lose zusammen und könnten als Einakter auch existieren.

Zum Schluß bitte ich Herrn Wedekind mir diese Verkörperungen nicht übel zu nehmen, es geschah doch schließlich mehr unbewußt als bewußt und ich bin bereit sie, wenn es sein sollte, auszumerzen. Jeden|falls freue ich mich darauf dies Werklein, wenn es möglich wäre, zu Ostern vorzulesenWedekind notierte am 5.4.1914 im Tagebuch: „Er liest mir sein Drama ‚Menschenrecht‘ vor.“ Friedrich Strindberg hatte seinen Vater am Wochenende vor Ostern in München besucht., es sei ja von vollem Herzen Herrn Wedekind gewidmet!

Großmama bittet mich Herrn Wedekind die besten, herzlichsten Grüße zu übermitteln und herzliche Empfehlungen an dieder gnädigsten Frau. Sie würde sich sehr freuen, wenn Herr Wedekind heuer im Sommer in den Monaten Juli August bis zu Mitte September sie besuchenÜber einen Besuch Wedekinds in Mondsee ist nichts bekannt. wollten auf eine Zeit lang mit der gnädigsten Frau.

Herzliche Grüße,
bitte der gnädigen Frau die besten Handküsse zu vermitteln so wie den Kindern die besten Grüße
in dauernder Liebe
Friedrich Strindberg

Frank Wedekind schrieb am 24. Februar 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 1.3.1914 aus Salzburg:]


Danke herzlichst für den lieben Brief & die Photographien!

Friedrich Strindberg schrieb am 1. März 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 1.3.14.


Lieber Herr Wedekind!

Danke herzlichst für den lieben Brief & die Photographiennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 24.2.1914. Bereits im November 1913 hatte sich Friedrich Strindberg eine Porträt-Photographie seines Vaters erbeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.11.1913]. Dem nicht überlieferten Brief lagen offenbar mehrere Photographien bei, auch solche von Wedekinds Töchtern [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 15.3.1914].! Hier herrscht eine gräßliche KatzenjammerstimmungNiedergeschlagenheit und depressive Verstimmung nach übermäßigem Alkoholgenuss., die das extra unangenehme für sich hat, daß nichts vorhanden ist, was einen „Kater“ hervorrufen könnte. In der Schule haben wir jetzt sogar den „göttlichen HomerLocus classicus dieser verbreiteten Wendung ist Aristophanes: „Βάτραχοι“ (Die Frösche), Vers 1034. kennengelernt, dessen Göttlichkeit höchstens bis jetzt in den gemeinsten, schwersten Satzkonstruktionen oder Vokabeln besteht. –

Die Photographien legte ich dorthin, wohin ich am meisten schaue, in „Frühlings Erwachen“ | und in „Schloß Wetterstein“.

„Die Musik“ wurde, wie ich gelesen habe, von M. Reinhart aufs Repertoire der KammerspieleNach einer zweimaligen Aufführung von Wedekinds Drama „Musik“ im Rahmen des Wedekind-Zyklus vom 1. bis 16. Juni 1912 am Deutschen Theater wurde das Stück 1913 von Max Reinhardt in einer Neuinszenierung unter der Regie des Schauspielers Eduard von Winterstein präsentiert und hatte am 9.10.1913 Premiere: „In den Kammerspielen Berlin Musik mit Winterstein und Eybenschütz.“ [Tb] Es wurde „viermal gespielt und ist außerdem wiederholt auf Gastspielen des Deutschen Theaters zur Aufführung gelangt“ [Frank Wedekind im Repertoire der Reinhardt-Bühnen. In: Blätter des Deutschen Theaters, Jg. 3, Nr. 49, o. D. 1913, S. 792]. gebracht und zwar mit Erfolg. F. Eibenschütz soll als Klara herrlich gespieltCamilla Eibenschütz wurde für die Darstellung der Musikschülerin Klara Hühnerwadel in „Musik“ von der Presse einhellig gelobt [vgl. KSA 6, S. 820]. haben! In Wien hatt sogar „der Kammersänger“ einen kleinen RummelWedekinds Einakter „Der Kammersänger“ war das erste seiner Stücke, das am Wiener Burgtheater aufgeführt wurde (unter der Regie des Direktors Hugo Thimig; Premiere: 31.1.1914) [vgl. Hugo Thimig an Wedekind, 21.1.1914; Wedekind an Hugo Thimig, 27.1.1914] – er wurde, wie der Theaterzettel [zugänglich unter: https://anno.onb.ac.at/] ausweist, als erstes von drei Stücken gespielt; ihm folgten „Boubouroche“ von Georges Courteline (deutsch von Siegfried Trebitsch) und „Literatur“ von Arthur Schnitzler (nicht wie Friedrich Strindberg irrtümlich annahm Schnitzlers Stück „Der einsame Weg“, das am Tag darauf gespielt wurde). Die Presse urteilte: „Wedekind hat mit dem ‚Kammersänger‘ in der künstlerisch vollendeten Darstellung, die ihm das Burgtheater bot, sich als hieher gehörig erwiesen“ [Neues Wiener Tagblatt, Jg. 48, Nr. 32, 1.2.1914, S. 16]. verursacht; eine österreichische Zeitungeine österreichische Zeitung] vermutlich ist hier bereits die „Reichspost“ gemeint (siehe unten). Dort war eine Kritik des Theaterabends im Wiener Burgtheater von Hans Brecka erschienen, die mit den Worten begann: „Man wird sich ihn gut merken müssen, diesen letzten Jännertag des Jahres 1914. Ein geliebtes Theater erklärte sich an diesem Letzten bankerott“ [Reichspost, Jg. 21, Nr. 53, 1.2.1914, Morgenblatt, S. 11]. Ähnlich vernichtend die Kritik des „Novitäten“-Abends auch im „Grazer Volksblatt“, das konstatierte, „das Wiener Hofburgtheater“ gebe sich „allem Anscheine nach die redlichste Mühe, sein so schon mehr als zweifelhaft gewordenes Renommee einer ersten deutschen Bühne endgültig zu zerstören“ [Grazer Volksblatt, Jg. 47, Nr. 45, 7.2.1914, Morgen-Ausgabe, S. 1]. fällte über ihn, über Schnitzlers „Einsamen Weg“ & über „Bourburroug/ch/e“ von …. ein „Todesurteil“als Zitat nicht ermittelt; charakterisiert sein dürfte mit dem Begriff ein Leitartikel, der Wedekinds Werk zu diskreditieren suchte und dazu den Philosophen Johannes Volkelt paraphrasierte: „Was Wedekind forme, werde Mißgeburt und Fratze“, der „Geist dieser hingeschmierten pornographischen Machwerke lasse sich nur als Geist sittlicher Verworfenheit bezeichnen“, seine Stücke seien ein „Schandfleck in der Entwicklung des deutschen Geisteslebens“. Es wurde außerdem missbilligt, dass auf dem Spielplan des Wiener Burgtheaters („des vornehmsten Wiener Schauspielhauses“) „ein Stück von Wedekind: ‚Der Kammersänger‘ eingereiht“ sei, und festgestellt: „die Mehrzahl der Novitäten des gegenwärtigen Spieljahres: [...] Schnitzlers ‚Einsamer Weg‘, ‚Boubouroche‘ von Courteline haben mehr oder minder Geist von Wedekinds Geist.“ Solche „Wedekindereien im Wiener Hofburgtheater“ würden „systematisch den Ruf eines Kunstinstitutes untergraben, auf dem der Duft glanzvoller Vergangenheit liegt […] Das nichtsemitische Wien würde dem Befreier des Hofburgtheaters entgegenjubeln.“ [„Der Menschheit Würde...“. In: Reichspost, Jg. 21, Nr. 76, 15.2.1914, Morgenblatt, S. 1-2] was unter den übrigen Zeitungen ein Gelächter hervorrief! Die „Wiener Arbeiterzeitung“ schriebDas nachfolgende Zitat ließ sich bislang nicht nachweisen. Die sozialdemokratische „Arbeiter-Zeitung“ polemisierte nahezu täglich gegen die Berichterstattung der katholisch-antisemitischen „Reichspost“. : „ob die Reichspe(o)st auch aus das Gute (ihr) mit ihrer Schnautze beschnüfeln wolle“ –

Hoffentlich haben die Königsberger AufführungenWedekinds „Marquis von Keith“ hatte am 28.2.1914 am Stadttheater Königsberg Premiere und wurde dreimal aufgeführt. Frank Wedekind war mit seiner Frau Tilly Wedekind am 24.2.1914 über Berlin nach Königsberg gereist, wo sie für die vorangehenden Proben am 26.2.1914 eintrafen: „Ankunft in Königsberg. Hotel Deutsches Haus ½ 11 Uhr Probe.“ [Tb] Vermutlich hatte Wedekind seinem Sohn von den Gastspielplänen berichtet und ihm möglicherweise auch eine Adresse mitgeteilt, an die Friedrich Strindberg seinen Brief adressieren konnte. guten Erfolg! Daß Karl Kraus sich ob meiner ZuneigungOffenbar hatte Wedekind Karl Kraus mitgeteilt, dass Friedrich Strindberg gerne dessen Lesung in Salzburg besucht hätte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 13.1.1914 und 18.1.1914] und seinem Sohn von dessen Reaktion geschrieben. Wedekind hatte sich dem Tagebuch zufolge mit dem Kritiker am 13.2.1914 („Treffe Karl Kraus“) und am 14.2.1914 („Spaziergang mit Kraus“) in München getroffen. freut hat mir/ch/ sehr mit Freude erfüllt! Meine SzenenFriedrich Strindbergs Szenenfolge „Menschenrecht“ – „eigentlich sind es nur 5 kleine Arbeiten, denn sie hängen ziehmlich lose zusammen und könnten als Einakter auch existieren“ [Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]. , die ich nun langsam zusammen stelle & nun bald fertig gestellt habe, freuen mich | sehr, besonders weil sie (d. h. ihre Ideen, die für mein Alter etwas kühn sind) überall Widerspruch erfahren. Das stärkt mein Bewußtsein, da ich glaube, neue Ideen u. sogar ein neues Problem gebracht, letzteres sogar gelöst zu haben. Ich versuchte soviel als möglich Gesichtspunkte hineinzubekommen, mußte aber auch einsehen, daß eine neue Idee gerade nur zum Untergang führte,… also „pleite“ ginghier im übertragenen Sinne für: scheitern..

Üb+/er/ OsternDer Ostersonntag fiel auf den 12.4.1914. Friedrich Strindberg war zu einem Osterbesuch bei Wedekind eingeladen, er besuchte ihn jedoch eine Woche früher und reiste am 4.4.1914 für eine Übernachtung nach München [vgl. Tb]. freue ich mich schon im vorhinaus! Das Lernen ef/r/fährt natürlich durch meine kleinen Versuche nicht die geringsten Störungen, da ich übrigens nur dann schreiber, wenn ich muß; ich las jetzt in letzter Zeit Strindbergs „Vater“ und bin ganz außer mir, daß ein Mensch eine Krankheit, die er selbst hat, so sehr hart aber wahr, ja sogar mit überlegener Ironie darstellen kann. Der Verfolgungswahn des Rittmeisters ist herrlich, seine Frau ein schrecklicher Dummkopf! Mir kommt vor, daß jetzt alles gegen Hauptmann loszieht. Bei uns herüben konstatiert jedes Klatsch|blatt, daß er in seinem „Bogen des Odisseus“Gerhart Hauptmanns Stück „Der Bogen des Odysseus“ wurde am 17.1.1914 am Deutschen Künstlertheater in Berlin uraufgeführt. sein Schlechtestes gebotenDie Kritiken zu Gerhart Hauptmanns Stück „Der Bogen des Odysseus“ fielen gemischt aus. Paul Goldmann lieferte allerdings noch Wochen nach der Uraufführung einen umfangreichen Verriss [vgl. Neue Freie Presse, Nr. 17763, 7.2.1914, Morgenblatt, S.1-3]., Homer gra/e/ulich verhunzt„Kurz und gut, Hauptmann wollte eben den Homer naturalisieren, was er auch symbolisch dadurch ausdrückte, daß er die ganzen fünf Akte in und bei der Wohnung des Sauhirten Eumäos, also in unmittelbarster Nachbarschaft des Schweinekobens, spielen ließ. Ist doch das Schwein das heilige Tier des Naturalismus!“ [Deutsches Volksblatt, Jg. 26, Nr. 8993, 18.1.1914, Morgen-Ausgabe, S. 2] habe, ja man zitiert sogar NietzscheIn seinem Überblicksartikel „Deutsche Dichter in Frankreich“ schrieb Andreas Révék zur Eröffnung der Berliner Freien Bühne: „Einige Wochen später spielt man das Stück eines damals unbekannten Autors: das Drama ‚Vor Sonnenaufgang‘ von Gerhart Hauptmann. Damit beginnt der leidenschaftliche Kampf zwischen den Alten und der Moderne, dessen Ergebnis wir seit langem kennen und genießen. / Später aber flaut der Naturalismus für einige Zeit ab. Nietzsches Invektiven gegen die moderne Kultur und die ‚Bildungsphilister‘ fallen auf fruchtbaren Boden.“ [Pester Lloyd, Jg. 61, Nr. 34, 8.2.1914, S. 22]., um gegen Hauptmann aufzukommen!

Noch viele, herzliche Grüße
mit frohen Glückwünschen für
die Königsberger Aufführung
in Liebe
Friedrich Strindberg

Friedrich Strindberg schrieb am 15. März 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 15.3.14.


Lieber Herr Wedekind!

Heute bekomme ich von meiner Schwester schon eine 2. AlarmnachrichtIn einem früheren Brief berichtete Friedrich Strindberg von Kerstin Strindbergs Flucht aus München [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.2.1914]., Großmama schreibt mir nichts und alle scheinen von einem Mißverständnis ergriffen zu sein. –

Von Herrn Dehmel erhielt ich einen sehr freundlichen BriefRichard Dehmels Brief ist als Entwurf überliefert [vgl. Dehmel-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg DA:Br:S 1886 Anl.] Es ist das Antwortschreiben auf Friedrich Strindbergs Brief vom 1.3.1914, worin er richtiggestellt hatte, dass er nicht August Strindbergs Sohn ist: „Meinen Vater, den Sie vielleicht weniger gut leiden können und etwa nicht gar so gern haben, ist Herr Wedekind“ [Dehmel-Archiv DA:Br:S 1886]. Daneben mokierte er sich über den „endlose[n] Hauptmannsche[n] Elendsreigen vom Jäger der ‚Weber‘ bis zum letzten Sauhirten im ‚Bogen des Odisseus‘.“ [Ebd.] Dehmel ließ in seiner Antwort Grüße an Wedekind bestellen und stellte fest: „Er steht mir trotz all seinem Teufelsviehzeug [gestrichen: Teufelsmenagerie; Teufelsbestien] geistig näher als der göttliche Sauhirte Hauptmann, obgleich ich diesen für keinen Schweinepriester halte.“ [Dehmel-Archiv DA:Br:S 1886 Anl.], der mich sehr freute; nur wunderte mich, daß er den „göttlichen Sauhirten“Diese häufige Bezeichnung für Eumaios, Schweinehirt und Freund des Odysseus, in Homers „Odyssee“, wird hier auf Gerhart Hauptmann bezogen, der in seinem jüngsten Drama „Der Bogen des Odysseus“ die Hütte des Eumaios als Schauplatz gewählt hatte und wegen seines Umgangs mit der literarischen Vorlage kritisiert worden war, wie Friedrich Strindberg in seinem letzten Brief berichtet hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.3.1914]. Hauptmann für keinen „gar so argen Schweinepriester“ halte, ja der ganze Brief | ist so ähnlich geschrieben, wie ichs mir den alten Goethe etwas angeheitert vorstelle.

Die PhotographienIm November 1913 hatte sich Friedrich Strindberg eine Porträt-Photographie seines Vaters erbeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 7.11.1913]; diesem Wunsch entsprach Wedekind Ende Februar und legte seinem Brief mehrere Photographien bei [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 24.2.1914]. von Herrn Wedekind hängen bei mir nun a/i/m Pult, und mein Blick fällt sehr oft erinnernd auf sie, die h/H/errn Wedekind sitzend darstellt, ist mir recht ans Herz gewachsen! Auch die lieben Kleinen schau ich mir oft an!

Hier ist der ganze Frühling recht herzlich, herzig die Blumen, alles so nett – wenn man sentimental wird ist nur eine logische Folge all der Frühlingspracht – alles so freundlich, obgleich mir in meinem Innern hie und da, besonders in den letzten Tagen wegen der verfluchten Meinungs„missverständnissenbezieht sich vermutlich erneut auf die eingangs geschilderte „Alarmnachricht“. oft nicht ganz wohl ist! Aber alles ahtmetSchreibversehen, statt: athmet. hier recht heiteren Lebensmut, Lustigkeit u. Fröhlichkeit, wie man sie in den | Großstädten zur Zeit des jetztweiligen Quatschwetters nicht hat!

Wegen Ostern das ganze In u. Aus ist mir ein großes Fragezeichen, das sich aber vielleicht ausdehnen könnte … da meine sonstigen Hoffnungen sehr gering sind, habe ich ja noch von niemand eine sichere Nachricht, außer der, daß wir von 5.–15. April, (ungefähr) frei haben. Karl Kraus hat eine recht gute neue „Fackel“nummerdie zuletzt erschienene Nummer der „Fackel“ [vgl. Die Fackel, Jg. 15, Nr. 393/394, 7.3.1914]. herausgegeben, die wirklich Ausgezeichnetes enthält. Besonders der arme Hugo Salus!! 5 SeitenDer Artikel zu dem dichtenden Arzt Hugo Salus trägt den Titel „Arzt und Künstler“ und umfasst vier Seiten [vgl. Die Fackel, Jg. 15, Nr. 393/394, 7.3.1914, S. 15-18]. sind ihm gewidmet und werden sie nur halb ernst (sie sind nämlich sehr witzig) genommen, werden, dürfte man Hugo Salus kondulieren. – Auch kehrt er sich gegen: – die Universität und genauer – gegen die GermanistenIn dem Artikel „Wenn die Lehrkanzel nicht besetzt“ polemisierte Karl Kraus gegen die in der Presse genannten angeblichen Folgen des vakanten Germanistiklehrstuhls von Jakob Minor [vgl. Die Fackel, Jg. 15, Nr. 393/394, 7.3.1914, S. 18-21].!! Das freute mich!! Die Juden sind wie immer seine ärgsten Feinde, aber das mußte ihn empören, daß die „N. F. Presse“ ihrem Totschweigen ein Ende machteFriedrich Strindberg referiert hier Kraus’ Artikel „Der 29. Januar“ [Die Fackel, Jg. 15, Nr. 393/394, 7.3.1914, S. 29f.], in dem er sich auf eine Karikatur seiner Person in einer Werbeanzeige einer Firma für Schuhabsätze in der „Neuen Freie Presse“ bezieht [vgl. Neue Freie Presse, Nr. 17755, 29.1.1914, Morgenblatt, S. 9], die ihrerseits eine Reaktion auf eine Kraus-Polemik gegen eine andere Annonce dieser Firma war, in der mit Nietzsche geworben wurde [vgl. Die Fackel, Jg. 15, Nr. 391/392, 21.1.1914, S. 5f.]. Die „Neue Freie Presse“ war das Hauptangriffsziel von Karl Kraus und reagierte darauf damit, ihn in ihrer Berichterstattung zu ignorieren, so dass er triumphierte, über diesen Umweg nun doch in dieser Zeitung genannt zu werden: „Wer seit fünfzehn Jahren sein Personal im redaktionellen wie im administrativen Teil dazu anhält, aufzupassen, daß ein einziger Name nicht durchrutsche, darf über solche Befleckung seines Lebenswerkes schon aufgeregt sein.“ [Die Fackel, Jg. 15, Nr. 393/394, 7.3.1914, S. 30]., denn er erschien als Kikeriki-JudDer „Kikeriki“ war eine seit 1861 erscheinende Wiener Satirezeitschrift, die seit der Jahrhundertwende einen antisemitischen Kurs verfolgte und fortwährend entsprechend stereotype Karikaturen publizierte. Der Ausdruck ist ein Zitat aus dem genannten Kraus-Artikel: „[A]m 29. Januar tanzte bereits ein Kikeriki-Jud, dessen in die Stirn fallende Haare als ein besonderes Merkmal meiner Individualität agnosziert wurde, das Januarheft der Fackel, natürlich eine ‚Doppelnummer‘ in der Hand, auf einem Riesengummiabsatz herum, und darunter war zu lesen: Vernimm die Mär, o Publikum: / Auf ‚Berson‘ tritt Karl Kraus herum!“ [Die Fackel, Jg. 15, Nr. 393/394, 7.3.1914, S. 29] für eine Schuhabsätzefirma als – o Greuel – Reklam(!!)bild. –

Sonst ist so ziehmlich bei uns alles wohl, nur eine quälende Ungewißheit wegen den verfluchten Schrecknachrichten meiner Schwester, die wegen – einer herzigen Geschichte – aus München entwichvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.2.1914., plagt mich etwas, sonst aber bin ich recht froh und hoffe, daß auch Herr Wedekind recht gesund sind! Vielleicht wäre es möglich – ich zweifle noch etwas daran – He daß ich Herrn Wedekind zu Ostern irgendwo treffeDer Ostersonntag fiel auf den 12.4.1914. Friedrich Strindberg besucht Wedekind am Wochenende vor Ostern in München: „Am Abend kommt Friedrich Strindberg.“ [Tb, 4.4.1914]! Ich bin ja in dem Gedanken allein schon riesig froh.

In Liebe
Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 20. März 1914 in München
an Friedrich Strindberg

PosteinlieferungsscheinDer Posteinlieferungsschein belegt eine Geldüberweisung an Friedrich Strindberg, zu der es einen begleitenden Brief gab [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.3.1914].

(vom Einzahler auszufüllen)
(Die Mark in Buchstaben anzugeben)

Zwanzig –

–––––––––

––– MarkPf.

Empfänger:

Friedrich Strindberg

in Salzburg.

[…]

Friedrich Strindberg schrieb am 22. März 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

22./3.14.


Lieber Herr Wedekind!

Danke herzlichst für den so lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 20.3.1914., der mir eine ungeheuer große Freude bereitet hat!

Danke Herrn Wedekind vielmals für die/a/s GeldWedekind hatte Friedrich Strindberg 20 Mark per Postanweisung geschickt, wie der Einlieferungsschein belegt [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 20.3.1914]., das – bitte Herr Wedekind verzeihen – doch nicht nötig war! Zwar habe ich mich schon seit etwa 8 Jahren nimmer abknipsenumgangssprachlich für: fotografieren; Wedekind hatte seinem Sohn das Geld für Fotoaufnahmen geschickt: „An Friedrich für Photographien“ [Kontobuch, 20.3.1914]. lassen, und daher danke ich Herrn Wedekind nochmals! Ich kann aber leider die Photographien erst zu OsternWedekind hatte seinen Sohn vermutlich schon bei dessen Aufenthalt in München über Weihnachten und Silvester 1913 [vgl. Tb] zu einem Osterbesuch eingeladen. Der Ostersonntag fiel auf den 12.4.1914. Friedrich Strindberg besuchte Wedekind am 4. und 5.4.1914. mitbringen, da ich sie erst Freitags den 3. April – auf Drängen – bekomme. Samstags aber den 4. habe ich im Sinne von hier abzureisen, aber hoffentlich gelingt es mir von hier direkt, der freundlichen Einladung folgend, nach München zu dam|pfenumgangssprachlich für das Reisen mit der Bahn oder dem Dampfschiff., was aber das eine n/N/achseitigeSchreibversehen, statt: Nachteilige. hat, daß ich etwa bis in die letzten Augenblicke nicht total sicher weiß, wann ich von hier wegkomme! Vielleicht ist es mir möglich den Zug um 9. – benützen, daß ich in München wieder um 12.20 bin, wenn nicht, so komme ich höchstwahrscheinlich erst um f 5h an.

Möglich ist aber immerhin noch, daß ich zuerst zu Großmama fahren muß (wegen irgend einer Kleinigkeit) und dann könnte ich erst Sonntags 1220 kommen. Was sein wird, werde ich Herrn Wedekind nächsten Sonntag noch genau mitteilen. Daß Herr Wedekind etwa gar in Zürich oder Stuttgart oder Darmstadt spielenWedekind hatte in der Folgezeit in den genannten Städten lediglich in Stuttgart ein Gastspiel (am Königlichen Hoftheater vom 18. bis 21.4.1914). Friedrich Strindberg begleitet ihn dabei nicht, sein Vater hatte aber anscheinend von einer solchen Möglichkeit geschrieben. und ich sogar mit Herrn Wedekind dort hinreisen könnte, bereitet mir riesige Freude, sehe ich doch (wieder) einmal das schöne Schwaben oder gar den Züricher See. Beides bedeuten für mich Freuden, die ich mir vor einem JahreFriedrich Strindberg hatte seinen Vater erst vor einem halben Jahr kennengelernt. Er nahm am 14.9.1913 telefonisch zu ihm in Berlin Kontakt auf und traf sich anschließend dort zwei Tage mit ihm – die erste Begegnung seit Wedekinds Besuchen bei der Mutter Frida Strindberg und dem Säugling in Tutzing im Juli 1898 [vgl. Wedekind an Beate Heine, 19. und 27.7.1898]. nicht träumen ließ! Überhaupt: das in der Welt h/H/erumkommen zählt bei mir zu den schönsten Begriffen, die ich kenne.

Und noch dazu mit oder bei Herrn Wedekind! Beides gleich wert, und doch mir das liebste.

Bei uns gibt es wenig Abwechslung, kaum daß man hört, was draußen in der Welt Großes & kleines vorgeht, was sich ereignet u. die übrigen Menschen erregt. Hier behauptet man der Krieg steht vor der Türe, das Kaiserhaus feiert noch schnell seine Silberhochzeitenim übertragenen Sinne für die Selbstbezogenheit des Herrscherhauses. Die letzte als „Kaiserfest“ aufwendig gefeierte Silberhochzeit des Hauses Habsburg war die zwischen Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth im Jahr 1879. und der Spießbürger genießt seine doppelte Quantität Bier oder Fusel: ein lauter Zeichen mit großen Vorbedeutungen, alles deutet auf einen Weltkrieg. Zwischen welchen Mächten aber liegt noch im Schoße der armen GötterRedensart für: ungewiss sein..

Sonst – noch zu WeihnachtenFriedrich Strindberg hatte seinen Vater in München vom 23.12.1913 bis 1.1.1914 besucht [vgl. Tb]. – war ich dem Genuße des Alkohols etwas abgeneigt, aber Herr Wedekind werden staunen, wie sehr man sich ändern kann! Im Sommer litt ich noch oft an verderblichen Seelen- (oder richtiger Kehlen-)qualen, aber im Winter verdorrte der Gaumen. Nun kann ich (kau d) kaum die enorme Menge Wasser achten, die ich bei dem hiesigen Gänseweinscherzhaft für: Trinkwasser.zwang ver|schlinge. Im Rauchen habe ich mich sogar auch entwickelt und statt einer Zigarette begnüge ich mich – allerdings auch nur hier – mit einer unaesthetischen Pfeife, wie sie bei uns üblich ist! Nun ja! Ganz abenteuerlustig wird man jetzt im Frühling, der hier mit jedem Tage immer mehr und immer schöner zum Ausdruck kommt, jeden Baum sucht man solange ab, bis man die erste Knospe gefunden, jede Wiese nach Schneeglöcklein oder blauen Veilchen. Der englische Gartenseit 1789 bestehender großer öffentlicher Park im Nordosten von München am Westufer der Isar. Wedekinds Wohnung in der Prinzregentenstraße 50 befand sich in unmittelbarer Nähe zur Südspitze des Parks. muß ja jetzt auch recht nett sein!

Herzlichen Dank auch nochmals für alles, herzliche Grüße den lieben Kleinen, Handküsse der gnädigen Frau Gemahlin

in Liebe
Friedrich Strindberg

Friedrich Strindberg schrieb am 29. März 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 29.3.14.


Lieber Herr Wedekind!

Verzeihen Herr Wedekind, wenn ich noch immer keine ganz bestimmte Nachrichtüber die Ankunft zu einem Osterferien-Besuch in München auf Einladung Wedekinds [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.3.1914]. geben kann. Heute schrieb ich Großmama, wegen Ostern, ganz freudig erregt. Die PhotographieWedekind hatte seinem Sohn Geld geschickt, damit er sich fotografieren lassen konnte [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 20.3.1914 und Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.3.1914]. ist schon halb fertig und ich bewunderte im Negativ, das ich mir beim Photographen zeigen ließ, meinen entsetzlich langen Hals, der hoffentlich auch nicht in Wirklichkeit vorhanden ist. –

Also wir dürfen – meines Wissens – erst Montags oder gar Dienstagsam 6. oder 7.4.1914. fahren, was einen kleinen Gewittersturm unserer Mei|nungen hervorrief! Wenn eine Möglichkeit einer Reise vorhanden ist, so freue ich mich auch darauf, doch die Hauptsache ist mir doch Herrn Wedekind zu sprechen. Auch auf die Kinder freue ich mich schon riesig!

Von meiner Schwester weiß ich nun, was es istÜber Kerstin Strindbergs Flucht aus München hatte Friedrich Strindberg bereits früher berichtet [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 1.2.1914 und 15.3.1914].. Der Gegenstand ihrer Aufregung war sie nämlich in eigener Person. Wegen einer Anmaßung (in der PensionKerstin Strindberg war im Herbst 1913 bei Ihrer Großmutter Marie Uhl in Mondsee ausgezogen und wohnte in einem Familienpensionat in München-Harlaching [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.9.1913].) ihrer Hausfrau, die ihr den Umgang mit ihren Freunden verbieten wollte, etwas aufgebracht, reiste sie nach Traunstein ins – KlosterDas ehemalige Kapuzinerkloster in Traunstein beherbergte eine Mädchenschule der Englischen Fräulein, die 1895 ins benachbarte Sparz umgezogen war. Kerstin Strindberg hatte die Schule seit Herbst 1904 besucht. , wo sie mit einer italienischen DameIdentität nicht ermittelt. ein unangenehm sentimentales Leben führt. Der Tod ihres VatersAugust Strindberg war am 14.5.1912 in Stockholm gestorben und dort auf dem Nordfriedhof am 19.5.1912 beigesetzt worden (Block 13A, Grab Nr. 101). geht ihr nicht aus dem Kopf, sie möchte gar zu gern hinauf zu dessen Grab wallfahrten und dortSchreibversehen, statt: um dort. ihre Seelenstimmung zu klären. Die Italienerin,| eine sehr intelligente Dame besuchte mich vor kurzem, indem sie mir von alldem Kunde brachte. Ich hatte lange nicht eine so – sagen wir – sentimental, liebenswürdige Dame gesehn. Wenn sie sprach, sprachen mehr ihre Augen als ihr Mund, sie schien trotz erheblicher Jugend schon verheiratet zu sein – kurz, sie war ein Wesen, das mir unerklärbar war.

A/W/ie freue ich mich nun schon und die wenigen Tage wollen schier nimmer vergehn; am 6, oder gar am 7.Tatsächlich reiste Friedrich Strindberg am Wochenende vor Ostern, am 4.4.1914, nach München [vgl. Tb]. also geht es los. Ich bin dann in München um 1220 oder 3h, oder 5h. Das wären 3 Daten, von denen mir aber 5h am wahrscheinlichsten dünckt. Ich werde unsern Direktor bitten, wenn er es tut, zu telegrapfierenSchreibversehen, statt: telegraphieren. Das Telegramm wurde versandt [vgl. Josef Tschurtschenthaler an Wedekind, 4.4.1914]., sicherlich schreibe ich noch vorher eine Kartevgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 3.4.1914.,| die enthält, wann ich fahre oder ankomme.

Sonst noch viele Grüße
in Liebe
Friedrich Strindberg


29.3.14.

Friedrich Strindberg schrieb am 3. April 1914 in Salzburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Lieber Herr Wedekind!

Verzeihung, wenn ich erst so spät etwas s/S/icheres über meine Ankunft berichten kann. Ich komme Montagden 6.4.1914. Tatsächlich reiste Friedrich Strindberg bereits am nächsten Tag, den 4.4.1914 (Samstag), nach München, um seinen Vater zu besuchen [vgl. Tb]., wiederum um 12.20 nach München; zwar weiß ich noch nicht sicher, ob die Märe, daß heute frei sei, wahr werde, doch dies letztere ist bestimmt. Wenn wir Samstagden 4.4.1914. frei erhalten, gehe ich für 2 Tage nach MondseeIn Mondsee wohnte Friedrich Strindbergs Großmutter Marie Uhl. , fahre Montag früh von dort ab und komme dann wie gesagt 12-20 an München.

Wie ich aus der „Fackel“ sehe, hatte MannheimIn Karl Kraus’ Pressespiegel in der „Fackel“ zu seinen öffentlichen Lesungen zitierte er aus der „Pfälzischen Post“ zu der Mannheimer Lesung im Hof- und Nationaltheater am 15.2.1914: „Der Besuch war eine Blamage für Mannheim, für dasselbe Mannheim, das auf die Ankündigung des persönlichen Auftretens Frank Wedekinds hereinfiel und bei der Aufführung des ‚Erdgeist‘ das Theater bis auf den letzten Platz füllte, weil es eine Sensation erwartete. Goethe kannte das Publikum und nannte es halb kalt und halb roh. Es wußte auch mit Karl Kraus nichts anzufangen“ [Die Fackel, Jg. 15, Nr. 395/396/397, 28.3.1914, S. 41]. Wedekinds Stück war am 13.2.1914 im Mannheimer Theater unter der Regie von Alfred Bernau aufgeführt worden. einen sehr guten Besuch aufzuweisen, worüber K. Kraus natürlich sich aufregen müßte, da in seine Matineè keine Katze außer ein paar seiner Feinde, die er ja so zahlreich hat, kamen.

Ich freue mich jetzt schon riesig auf München, noch mehr auf Herrn Wedekind und auf die Kleinen. Auch mein | neues Stück bringe ich mit. Hoffentlich ist es besser als „Triton“Friedrich Strindberg hatte sein Drama „Triton“ am 26.12.1913 während seines Münchenaufenthalts seinem Vater vorgelesen [vgl. Tb.] und offenbar den Rat erhalten, das Projekt vorläufig ruhen zu lassen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]. geraten. Inzwischen muß u. werde ich zur größeren Sicherheit Herrn Wedekind noch telegraphierenvgl. Josef Tschurtschenthaler an Wedekind, 4.4.1914., wann ich komme, (wenn) da ein Hindernis nicht ausgeschlossen ist.

Noch viele Grüße
in Liebe Friedrich
Strindberg.


3.4.14. |


Hochwohlgeboren Herrn
Frank Wedekind
München
Innere Prinzregentenstraße 50.
(Bajern.)

Friedrich Strindberg schrieb am 6. April 1914 in Mondsee folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mondsee 6.4.14.


Lieber Frank!

Wie gesagt ist auch alles eingetretenvermutlich Friedrich Strindbergs planmäßig verlaufene Reise von München nach Mondsee am Abend zuvor..

Große Beunruhigung der beiden alten DamenVermutlich war, wie schon zum Jahresende 1913, Melanie Samek, die Zwillingsschwester von Friedrich Strindbergs Großmutter Marie Uhl, über die Ostertage bei ihr zu Besuch in Mondsee., da sie mich in einem Nachtlokal in München im Geiste gesehen hatten, vereckelte natürlich den Empfang. Doch am MorgenFriedrich Strindberg war demnach am 5.4.1914 mit einem Nachtzug wieder aus München, wohin er tags zuvor gereist war [vgl. Tschurtschenthaler an Wedekind, 4.4.1914], abgefahren und in Mondsee eingetroffen. war wieder alles vergessen. Meine Schwester fährt nach SchwedenKerstin Strindberg hatte die Absicht das Grab ihres Vaters August Strindberg auf dem Stockholmer Nordfriedhof zu besuchen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 29.3.1914]. und Dr. SulzbachDer Journalist und Verleger Ernst Sulzbach und Kerstin Strindberg heirateten 1917. ist zufällig zurselben Zeit in Stockholm. Also Freude den beiden. Ich fange schon am AbschreibenNachdem Friedrich Strindberg seinem Vater am Abend zuvor aus seinem Stück „Menschenrecht“ vorgelesen hatte (siehe unten), hat Wedekind offenbar angeboten von einer Reinschrift des Stücks Kopien anfertigen zu lassen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914]. an; Karl Kraus bat ich schon heute morgen brieflichDer Brief Friedrich Strindbergs an Karl Kraus ist nicht nachgewiesen., ob er die Güte haben werde, es dann, wenn es fertig ist, durchzulesen, etwa gar – wenn es gefällt,– zu verwenden. Beiliegend sende ich 12 Ansichtskarten von mirWedekind hatte seinem Sohn Geld geschickt, damit er Photographien von sich anfertigen lassen konnte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.3.1914]., die leider etwas verbogen sind, sonst aber angehen.

Herzlichen Dank noch für den letzten, schö|nen AbendZum 5.4.1914 notierte Wedekind im Tagebuch: „Unterredung mit Friedrich Strindberg. Ich bestelle ihn in den Ratskeller. Mit Friedrich Strindberg im Ratskeller. Er liest mir sein Drama ‚Menschenrecht‘ vor. Café R.“, an den ich lange zurückdenken werde. Mein PlanWeitere Angaben zu Handlung und Darstellungsweise des nicht überlieferten Stücks finden sich in einem früheren Brief [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]. geht im Stück dahin, Lida, das Mädchen, eine Freundin Margits, im letzten Teil mit Kurt untergehen zu lassen; Kurt kommt natürlich wieder davon. Es ist eine Natur, die alles überwindet. Auch etwas mehr Sarkasmus kommt hinein; sonst wirkt es gar – i/a/m Schluß – unreif. In dem Zwischenakt, (Episode) zwischen Pastor u. Paula, wegen der l/L/ebensfreude der kleinen Margit werde ich eine dauernde Ehe skizzieren, die der Spießer-Pastor mit einer Frau hat; sie müssen streiten, denn Sklavinnen eckeln mich an! Sie sollen streiten und zeigen wie dumm dies ist; sie wollen streiten, weil sie immer aufeinander stoßen.

Noch viele Grüße
in dauernder Liebe
Friedrich.

Frank Wedekind schrieb am 10. April 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 11.4.1914 aus Mondsee:]


Danke recht herzlichst für den lieben Brief.

Friedrich Strindberg schrieb am 11. April 1914 in Mondsee folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mondsee 11.4.14.


Lieber Frank!

Danke recht herzlichst für den lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 10.4.1914.. „Menschenrecht“ liegt beiDas dem Brief beigelegte Manuskript des Dramas „Menschenrecht“ von Friedrich Strindberg ist nicht überliefert. Wedekind notierte am 12.4.1914 im Tagebuch: „Erhalte ‚Menschenrecht‘ von Fr. Strindberg zugeschickt.“; ich unterzog es der Abschrift, die aber wegen Zeitmangels nicht sehr schön geschrieben werden konnte. Gut leserlich ist sie wohl. Etwas mehr IronieFriedrich Strindberg überarbeitet und ergänzte anscheinend sein Stück noch einmal anlässlich der Abschrift für Wedekind und man darf annehmen, dass er dabei Empfehlungen seines Vaters folgte. Er hatte ihm das Stück am 5.4.1914 im Münchner Ratskeller vorgelesen [vgl. Tb.]., besonders in der ersten und in der HexensceneFriedrich Strindberg hatte in einem früheren Brief den Inhalt seines Stücks skizziert und dabei auch diese Szene erwähnt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]. taten dem Stücke recht gut. Letztere wurde, ebenso wie die Streitscene zwischen Kunz und Kurt weit kräftiger. Etwas Sing-Sang ist aber immer noch, um die Zeit zu spannen und auszupflastern, drinnen geblieben, so beim Hexenballet.

Also wenn Du so gut sein und es der Kopierung übergebenWedekind notierte am 14.4.1914 im Tagebuch: „Bringe Menschenrecht zum Abschreiben.“ Er hatte offenbar angeboten, Typoskripte von Friedrich Strindbergs Stück anfertigen zu lassen, damit er sie an Verlage und wichtige Kritiker verschicken konnte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.4.1914]. wolltest, bin ich sehr dankbar. Setze ich ja die größten Hoffnungen darauf. Kennen/st/ Du vielleicht den Wiener VerlagDer Wiener Verlag war 1899 durch Oscar Friedmann gegründet worden. 1903 wurde die Firma durch Fritz Freund übernommen, der den Verlag auf die Herausgabe moderner Übersetzungen und pornografische Titel (darunter die anonyme „Josefine Mutzenbacher“, 1906) ausrichtete. Freunds österreichische Ausgaben von Büchern, die in Deutschland als ‚unzüchtige Schriften‘ verboten waren, erreichten hohe Auflagen. Der Verlag hatte seit 1907 Zahlungsschwierigkeiten und musste seine Tätigkeit einstellen. Der Verleger Frirtz Freund wurde 1910 gerichtlich aufgefordert, das Unternehmen zu liquidieren.? Schnitzler, Bahr, Salten, u. andre waren seinerzeit, bevor sie zu Fischer gingen, hier verlegt. Er nimmt gern kräftige Stücke! Falls Kurt Wolf nicht | wollte, könnte man ja eventuell dort anfragen.

Wegen der VormundschaftAnscheinend hatte sich Wedekind nach dem für Friedrich Strindberg eingesetzten Vormund erkundigt. Das Gesetz sah vor: „§ 187. Personen, denen die Sorge eines Vaters nicht zu statten kommt, und die noch minderjährig oder aus einem anderen Grunde ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen unfähig sind, gewähren die Gesetze durch einen Vormund oder durch einen Kurator besonderen Schutz. […] § 188. Ein Vormund hat vorzüglich für die Person des Minderjährigen zu sorgen, zugleich aber dessen Vermögen zu verwalten.“ Diese Regelung galt insbesondere auch dann, wenn „ein Ausländer ein in Österreich befindliches minderjähriges Kind“ zurücklässt. [Das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für das Kaisertum Österreich. Textausgabe mit kurzen Anmerkungen und Sachregister. Hg. v. Edmund R. v. Herzfeld. Leipzig 1894, § 187-190, S. 62f.]. Zwar galt Wedekinds Sohn wegen des Zeitpunkts der Ehescheidung seiner Mutter Frida Strindberg von August Strindberg am 5.2.1897 noch als eheliches Kind [vgl. Buchmayr 2011, S. 193], jedoch forcierte Frida Strindbergs Mutter Marie Uhl, bei der die Kinder aufwuchsen, die Ernennung eines Vormunds für Kerstin und Friedrich bis zu deren Volljährigkeit, nachdem August Strindberg Österreich verlassen hatte [vgl. ebd. S. 264-267]. Die Vorstellungen, wer hier zu benennen sei, gingen dabei zwischen der Mutter und der Großmutter Friedrichs offenbar auseinander. erkundigte ich mich bei meiner Großmama. Ein Vormund ist mir seinez/r/zeit in der Person eines Wiener Malers KopallikFranz Kopallik war ein Freund von Frida Strindbergs Schwager Rudolf Weyr und bereits Kurator von Friedrich Strindbergs Schwester Kerstin. Er war 1909 von Friedrich Strindbergs Großmutter als Vormund für ihn vorgeschlagen worden, auch um Frida Strindbergs eigenen Vorschlag zu verhindern [vgl. Buchmayr 2011, S. 267]. gegeben worden; dieser legte aber wegen einer Geschichte mit der Schwester von Bildhauer Weyr Der Bildhauer Rudolf Weyr war seit 1882 mit Marie Uhl, der Tante Friedrich Strindbergs und Schwester Frida Strindbergs, verheiratet. Marie Weyr starb 1903 im Alter von 38 Jahren.die Vormundschaft nieder. Mama wollte mir damals den Wiener Advokaten GruberDr. Robert Gruber ist als Advokat in Wien (Lichtenfelsgasse 5) verzeichnet [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger […] für […] Wien 1908, Bd. 1, Nachweis IV, S. 464]. Er hatte Frida Strindberg erfolgreich als Beklagte in einem Ehrbeleidigungsprozess gegen Karl Fröhlich vertreten, den sie der Erpressung bezichtigt hatte [vgl. Neues Wiener Journal, Jg. 16, Nr. 5439, 11.12.1908, S. 9]. Im Rahmen ihres Alimente-Streits mit Wedekind hatte Frida Strindberg als Vormund außerdem „Dr. Karl Wachter Tiefer Graben 11“ [Beilage zu Wilhelm Rosenthal an Wedekind, 12.3.1908] genannt und ihre Anwälte gebeten, dies Wedekind mitzuteilen – der Notar Dr. Karl Wagner ist unter der angegebenen Adresse ebenfalls verzeichnet [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger […] für […] Wien 1908, Bd. 2, Nachweis VII, S. 1210]. als Vormund überstellen, was aber auf Widerspruch meiner FamielieSchreibversehen, statt: Familie. stieß und nun wurde der Sohn von Bildhauer Wei/y/r, Cäsar v. Weyr mein Vormund, was aber auch nur meines Wissens so und so getan wurde, da ich keinen andern bekommen konnte. Da meine Interessen mit den seinen zusammenstoßen und er überdies von meiner Großmutter so ziehmlich natürlich als ihr Enkel abhängig ist, so kommt mir vor – vielleicht auch nur mir – daß es nicht die/er/ geeignetste ist!

Kerstin hat nun einen (Berliner) Stockholmer Vormund LidforsBengt Lidforss, schwedischer Professor für Botanik in Uppsala und Lund, war ein enger Freund – kein Verwandter – August Strindbergs. , einen Verwandten Strindbergs, der sich ihrer sehr kräftig | annimmt. Nun hat man aber hier gepflogen, mich recht wenig in alles einzuweihen, was mein „Später“ anbetrifft. Soviel weiß ich daß die Besitzungen, die unsre Famielie in Wien hat, mit dem Tode Großmamas aufgeteilt wird, auf meinen (Enkel) Cousin, den Sohn von Weyr, die Mondseer Villa fällt, auf mich als 2. Enkel meines Wissens eine jährliche Rente von 1830 Mark. Das ist meine ganze Kenntnis!

Verzeihen, wenn der Brief so elend geschrieben etct. ist, aber ich bin durch das viele Schreiben beinahe ganz konfus. Dienstagden 14.4.1914; Friedrich Strindbergs Osterferien endeten demnach mit dem Ostermontag am 13.4.1914. gehts wieder nach Salzburg zurück. Bitte mir dann die Abschriften nicht in unser Institut zu senden, da sie mir scheußliche Ungelegenheiten bringen würden, sondern, wenn Du so gut sein wolltest, unter irgendeiner Chiffre postlagernd. (poste restau/n/te.) Ich versende sie dann sofort, eine an K. Kraus, eventuell, wenn eine 2. da ist an Kurt Wolf. Hoffentlich wird etwas daraus! Bitte wolltest Du nicht mir die Chiffre mitteilen, daß ich mir | es dann abholen kann. Sonst noch
viele herzliche Grüße
in Liebe
Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 14. April 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 17.4.1914 aus Mondsee:]


Herzlichen Dank für die liebe Nachricht.

Friedrich Strindberg schrieb am 17. April 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Herzlichen Dank für die liebe Nachrichtnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 14.4.1914.. Also bitteFriedrich Strindberg hatte Wedekind in seinem letzten Brief gebeten, die Abschriften seines Dramas „Menschenrecht“, die sein Vater für ihn anfertigen ließ, postlagernd nach Salzburg zu schicken, statt direkt an seine Internatsschule [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914]. Dazu hat er offenbar ein Postfach eingerichtet.: Salzburg. Postamt 4.
F. St. 144.

Sonst habe ich in letzter Zeit nur auf eine Antwort von K. KrausFriedrich Strindberg hatte Karl Kraus am 6.4.1914 geschrieben und die Zusendung seines Dramas „Menschenrecht“ angekündigt mit der Bitte um Lektüre und es, „wenn es gefällt,– zu verwenden“ [Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.4.1914]. gewartet, die natürlich ausblieb; ich bin ratlos, was zu tun!

Erst in der letzten „Fackel“ sprach er davonKarl Kraus hatte geschrieben: „Nach der 400. Nummer, die den 50. Band abschließt, wird im Erscheinen der Fackel voraussichtlich eine größere Pause eintreten, die der Korrektur der immer wieder voreilig angezeigten und der Vorbereitung weiterer Bücher gewidmet sein wird.“ [Die Fackel, Jg. 15, Nr. 395/396/397, 28.3.1914, S. 46]. Kraus pausierte das Erscheinen der „Fackel“ vom 10.7.1914 bis zum 5.12.1914. Im gleichen Heft hieß es an anderer Stelle: „Daß noch immer dumme Briefe an die Fackel, deren Herausgeber oder deren sagenhafte ‚Redaktion‘ geschrieben werden, indem sich jeder Briefschreiber für den der Ausnahme würdigen Fall hält, muß vor Ablauf des fünfzehnten Jahres bedauert werden.“ [Ebd., S. 31], die Redaktion für kleine Zeit – etwa ein paar Monate niederzulegen und auszusetzen; weiters von „dummen Briefen“ deren Absender jeder sich „als alleinigen, einer Ausnahme würdigen Fall“ hält. – So!! –

Bitte wüßten/st/ (Herr W) Du etwa – verzeihe bitte, wenn ich immer noch mit Fragen | komme – eine Stelle, die sich für einen jungen „Dichter“ nicht nur interessiert, sondern ihm auch nutzen kann? Ich habe im Sinne, nach Erhalt der SchriftenWedekind notierte am 25.4.1914 im Tagebuch: „Abschriften von Menschenrecht an Friedrich Strindberg geschickt.“ an: Kurt WolfKurt Wolff leitete seit 1913 seinen eigenen Verlag in Leipzig, den Kurt Wolff Verlag. / Leipzig zu schreiben, (nur bin ich dabei völlig unerfahren,) mit der Bitte: beiliegendes – das M. – zu lesen! Ein 2. Exemplar etwa an Karl Kraus oder, wenn er mit sich nicht reden läßt an – Max. HardenMaximilian Harden war seit 1892 Herausgeber der einflussreichen Wochenschrift „Die Zukunft“ (Berlin)., Berlin…., dessen übrige Adresse ich nicht im geringsten ahne. Wenn nur OstiniFritz von Ostini war Literaturkritiker der „Münchner Neuesten Nachrichten“ sowie Chefredakteur und Mitherausgeber der Münchner Wochenschrift „Jugend“. nicht so schrecklich wäre, wie gerne wollte ich es ihm schicken; aber so – ? Bitte, wenn Du mir etwa gar einen Rat geben könntest;/./

Hoffentlich hat das Stück, (die übrigen SzenenFriedrich Strindberg hatte Wedekind am 5.4.1914 aus seinem Stück vorgelesen: „Mit Friedrich Strindberg im Ratskeller. Er liest mir sein Drama ‚Menschenrecht‘ vor.“ [Tb] Im Anschluss an seinen Besuch in München hat er das Stück überarbeitet, ergänzt und abgeschrieben. Die Reinschrift sandte er an Wedekind, der davon Abschriften anfertigen ließ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914]. Wedekind notierte am 12.4.1914 im Tagebuch: „Erhalte ‚Menschenrecht‘ von Fr. Strindberg zugeschickt.“,) Dir gefallen. Mir war das damalsanlässlich der Lesung seines Stücks in München am 5.4.1914 [vgl. die vorige Erläuterung]. das höchste Lob, das ich finden konnte!! Ein Lob, das mich in den 7. Himmel erhob; wie gerne möchte ich droben bleiben, wenn es für mich nicht gesundheitsschädlich | wäre, von mir selbst „Großes“ oder sagen wir besser „zu Gutes“ zu denken.

Mein VortragKontext nicht ermittelt. ist über die Bretter gegangen und hat Beifall gefunden; man schimpft überall in Österreich beinahe über HauptmannKurz zuvor war unter dem Titel „Gerhart Hauptmann“ eine ausführliche Generalabrechnung mit dem Autor in der Presse erschienen [vgl. Allgemeiner Tiroler Anzeiger, Jg. 7, Nr. 83, 14.4.1914, S. 1-4; Nr. 84, 15.4.1914, S. 1f]., der am Fett seiner Vergangenheit nur mehr zehrt.

Jetzt noch vielen Dank für die große Bereitwilligkeitvermutlich Wedekinds Bereitschaft, Kopien von Strindbergs Stück anfertigen zu lassen, die sein Sohn dann an Verlage [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914] und wichtige Kritiker verschicken wollte., mit der Du mir so lieb entgegen kamst. Ich bin wiederum recht froh und glücklich über alles, ja sogar über – mich! Und das ist viel!! Beim Direktor hier habe ich noch Photos von mirWedekind hatte seinen Sohn um Fotos gebeten und ihm Geld geschickt, um welche anfertigen zu lassen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.3.1914]. Strindberg hatte ihm die Ergebnisse zugeschickt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.4.1914]. aufgetrieben, die ich, sobald ich sie kriege, nach München senden werde. Auch Korrespondenzkarten mit meiner Ansicht, wie die letzten, kämen noch hinzu! Ich konnte leider nicht alles auf einmal senden, da ich von ihrem Vorhandensein erst hier | Näheres erfuhr! Sonst geht alles gut; ich kann nicht sagen, wie sehr ich mich freue, wenn ich den ganzen Formelkram des Gymnasiums hinter mir habe. Drum lerne ich jetzt wacker, was Platz hat. Neues kann ich nichts berichten, weder meinerseits noch von der übrigen Welt. Mit großem Behagen verschlinge ich Altenberg, der mir in manchem, aber nur in manchem recht sympathisch ist. Er schreibt ja recht nett! Soll ich an R. Dehmel etwa von „Menschenrecht“ etwas schreibenIn seinem letzten Brief an Richard Dehmel vom 8.3.1914 hatte Friedrich Strindberg bereits allgemein von seinen literarischen Ambitionen berichtet: Er habe neben „Geschichtchen“ und Frühlingsgedichten „sogar kleine Dramen“ geschrieben, „zum Grauen der literaturfühlenden Verwandten, die in meinen Jugendgestalten lauter Teufelsbestien sahen“ [Dehmel-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg DA:Br:S 1887].? Ich bin mir noch recht unschlüssig!

Noch viele, recht dankbare Grüsse
in herzlicher Liebe
Friedrich Strindberg


17.4.14.

Frank Wedekind schrieb am 25. April 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[1. Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 29.4.1914 aus Salzburg:]


Bitte verzeihe, wenn ich erst nun auf den letzten, so herzlichen Briefa antworte.


[2. Hinweis in Wedekinds Tagebuch vom 25.4.1914:]


Abschriften von Menschenrecht an Friedrich Strindberg geschickt.

Friedrich Strindberg schrieb am 29. April 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 29.3.14.Friedrich Strindberg datierte den Brief irrtümlich auf März statt April. Dies ergibt sich aus dem Kontext: Er war erst seit seinem Besuch am 4. und 5.4.1914 in München per Du mit seinem Vater. Die Zusendung der Abschriften seines Stücks „Menschenrecht“ durch Wedekind erfolgte am 25.4.1914.


Lieber Frank!

Bitte verzeihe, wenn ich erst nun auf den letzten, so herzlichen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Friedrich Strindberg, 25.4.1914.a antworte. „Menschenrecht“ ist in meinem/n/ Besitz erst heuteFriedrich Strindberg hatte Wedekind gebeten, die Kopien seines Stückes postlagernd nach Salzburg zu schicken [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914]. Das Stück und die Abschriften sind nicht überliefert. gekommen, nach vielerlei Umständen. Erlaube mir, daß ich Dir nochmals meinen herzlichsten Dank hiefür ausspreche!

Mit gleicher Post erhält H. Mühsam einen D/B/rief mit einem kleinen EssayFriedrich Strindbergs Brief an Erich Mühsam und der Essay sind nicht überliefert. über die Zensurbehörde, ein Verhältnis zwischen jener und Dir. Unterzeichnet ist es mit einem PseudonymFriedrich Strindberg kombiniert seinen zweiten Vornamen mit dem Geburtsnamen seiner Mutter. (Max Uhl), da es sonderbar aussehn würde, wüßte man mein AlterFriedrich Strindberg ist zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt.. – Falls Mühsam den Artikel drucktFriedrich Strindberg hoffte auf einen Abdruck in Erich Mühsams Zeitschrift „Kain“, wo er allerdings nicht erschien. Seit dem ersten Heft vom April 1911 druckte Mühsam auf die erste Seite seiner Zeitschrift: „Die Beiträge dieser Zeitschrift sind vom Herausgeber. Mitarbeiter dankend verbeten.“, wird er sicherlich Dir eben soviele Freude machen wie mir.! Zwar ist der Aufsatz sehr scharf, bissig im höchsten | Grad, aber nur über die, die Dir in deinem so langen, erfolgreichen Ringen entgegenstanden. – Nicht wahr Du entschuldigst es, daß ich aus Liebe und Dankschuldigkeit dazu griff. Die Welt erfährt ohnehin nicht, wer der Verfasser ist. – Sie braucht es auch nicht zu wissen! –

Heute schrieb mir der Verlag der „Fackel“ im Auftrage K. Kraus’s, einen höflichen BriefDer Brief von Karl Kraus' Zeitschriftenredaktion an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert. Friedrich Strindberg hatte am 6.4.1914 brieflich die Zusendung eines Lektüreexemplar seines Stückes „Menschrecht“ bei Karl Kraus angekündigt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.4.1914]., der mich belehrte, daß Kraus, als Mann von Grundsätzen prinzipiell keine MauskripteSchreibversehen, statt: Manuskripte. liest–. (Sonst aber sprach er sehr höflich, er dankt für mein Vertrauen.

Wenn also Kraus keine getiptenSchreibversehen, statt: getippten. Manuskripte liest, so tut es eventuell Harden, der in so lieber Weise für Dich aufgetretenMaximilian Harden hatte 1906 einen großen Artikel über Wedekinds Gesamtwerk in seiner Zeitschrift „Die Zukunft“ publiziert [vgl. M.H.: Theater. In: Die Zukunft, Bd. 54, Jg. 14, Nr. 25, 13.1.1906, S. 77-86], dann wieder 1907 und 1912 [vgl. Martin 206-208, 211-220]. ist. Ich werde also bei ihm zuerst anfragen; gleichzeitig bei K. Wolff, Leipzig und bei Max Reinhard/t/. Denn führt es Reinhardt aufMax Reinhardt war seit 1905 Direktor des Deutschen Theaters in Berlin und hatte 1906 außerdem die Kammerspiele des Deutschen Theaters gegründet., so druckt es vielleicht unter der Bedingung Wof/l/ff. Auch bei Dehmel frage ich um guten RatFriedrich Strindberg schrieb am 3.5.1914 [irrtümlich datiert auf den 3.4.1914] an Richard Dehmel [vgl. Dehmel-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg DA:Br:S 1888]. an. Sonst bin ich im allgemeinen ratlos. –

Für die so beifallsreiche „Lulu“-aufführung in PragDie österreichische Presse hatte berichtet: „Aus Prag, 19. d., wird uns telegraphiert: Im tschechischen Intimen Theater fand gestern die Aufführung von Wedekinds ‚Lulu‘ statt, die von dem Berliner Regisseur Zavrel, einem gebürtigen Prager, inszeniert wurde. Wedekind, der für die Uraufführung einen Prolog geschrieben hat, wollte ursprünglich nach Prag kommen, mußte jedoch in Stuttgart seine Reise unterbrechen. Das Stück fand großen Beifall.“ [Aufführung von Wedekinds ‚Lulu‘ in Prag. In: Die Zeit, Jg. 13, Nr. 4152, 20.4.1914, Abendblatt, S. 2] Wedekinds „Erdgeist“ hatte unter dem Titel „Lulu“ am 18.4.1914 am tschechischen Intimen Theater in Prag (Smichow) unter der Regie von František Zavřel mit Ema Švandová als Lulu Premiere ‒ die erste Aufführung eines Wedekind-Stücks in tschechischer Sprache [vgl. Wedekind an František Zavřel, 4.4.1914] meine herzlichste Gratulation!! |

Mein sicherer Gedanke ist, daß das kommende Jahrhundert den Stempel eines Kampfes zwischen der Kirche und der ‚Emanzipation des Fleisches‘vom Saint-Simonismus geprägtes und von den Jungdeutschen und insbesondere Heinrich Heine aufgegriffenes Schlagwort für eine sensualistische Befreiung und die Überwindung einer rigiden Sexualmoral. trägt. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren. –

Die Abschriften sind reg recht gut ausgefallen und ich wüßte nicht, wie ich (Her) Dir am besten hiefür danken könnte. Jedenfalls bitte ich Dich, ob ich „M. –“ Dir widmen darf.

Ich erhielt nun von Großmama eine recht gut klingende Guitarre; nun geht es schon wieder, aber ich habe durch ein untätiges Jahr viel Übung verloren. Nun habe ich regelmäßigen Unterricht, zerbrichSchreibversehen, statt: zerbrech. mir den Kopf nach der gebrochenen Begleitungmusikalische Begleitung mit gebrochenen Akkorden (Arpeggios), bei denen die Töne eines Akkords nacheinander statt gemeinsam angeschlagen werden. von „Lieschen“. Auch der Text hat nachgelassen und ich habe ihn beinahe fast vergessen. Sonst muß ich halt Übung bekommen, daß ich bei unserem nächsten Wiedersehn nicht mehr dem Spielen wegen Unsicherheit auszuweichen brauche.

Über mein Stück mache ich mir keine Skrupel, Großmama weiß natürlich nichts! Das Manu|skript bitte ich nur zu behalten, solange es Dir gut dünkt. Ich bin Dir recht dankbar dafür!! Wie geht es den lieben, Kleinen?

Hoffentlich gut!

Was ist bitte das b/B/este, um „M.“ so bald als möglich gedruckt zu sehn? Ich denke, wenn es Wolff nicht tut, wende ich mich an Müller oder Fischer. Oder gar Rütten u. Löhnig? Eines muß gehen!! Mit den herzlichsten Grüßen und mit frohem Glückwunsche für das weitere Schicksal „Lulus“!!
in Liebe
Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 4. Mai 1914 in München folgenden Brief
an Friedrich Strindberg

M l. Fr.

Daß du mir dein Drama M. widmestFriedrich Strindberg hatte im letzten Brief seinen Vater gebeten, ihm das Stück widmen zu dürfen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 29.4.1914]. muß ich mir auf das allerentschiedenste verbitten. Wenn du die Gründe nicht einsiehst dann frage Andere danach oder werde erst ein alt genug um das zu wissen was du schreibst selber beurtheilen zu können, | Dafür daß Du mich in Mühsams Kain gegen die Zensurbehörde verteidigen willst Friedrich Strindberg hatte zuletzt berichtet, er habe einen Essay an Erich Mühsam versandt, der das Verhältnis der Zensurbehörde zu Wedekind zum Gegenstand hätte, und hoffe auf Abdruck unter Pseudonym [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 29.4.1914].kann ich dir schlechterdings auch nicht danken Wenn du mich gegen irgendjemanden verteidigen willst dann vertheidige mich gegen dich selber

Mit bestem Gruß
dein Frank

Friedrich Strindberg schrieb am 5. Mai 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

5.V.1914.


Lieber Frank!

Ich bin auf den Briefvgl. Frank Wedekind an Friedrich Strindberg, 4.5.1914. Der Brief ist nur als Entwurf überliefert. Der abgeschickte Brief war offenbar ausführlicher und muss auch Vorbehalte Wedekinds gegen Stoff und Handlung von Friedrich Strindbergs Drama „Menschenrecht“ enthalten haben, mit dem er seinen Namen nicht in Verbindung gebracht wissen wollte. vernichtet. –

Ich will und kann unmöglich mir gegenüber entschuldigen, was ich nicht etwa als beleidigende Tendenz, sondern als Drama, als künstliches Phantasiegebilde nahm. In Wahrheit ist es ja eine schlimme Phantasieverirrung für den, der das ganze vom subjektiven Standpunkt beurteilt. Und das sah ich früher ein: – ich schrieb nicht umsonst darin die Idee nieder, daß dieser individualistische Gegensatz zu ewigenSchreibversehen, statt: ewigem. Unfrieden, zu vernichtenden Tatsachen in der Weltgeschichte führt. Es muß zu Unheil führen: nach einem (alten) neuen Standpunkt zu schreiben und nach einem alten aufgefaßt zu | zu werden.

Auch verstehe ich nur jetzt zu gut: warum meine Großmama Unheil witterteSeine Großmutter Marie Uhl gehörte zu den von Friedrich Strindberg später genannten Personen, denen er sein Stück vorgelesen hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 9.5.1914]..

Als ich den letzten so lieben Brief erhielt, dachte ich „Menschenrecht“ werde ein Unterpfand unserer Liebe. Wenn im Drama ein bischen Kunst schlummert, – ich kann es nicht beurteilen, – so bitte ich Dich, nicht di/e/n Inhalt, der mir nur als allgemeiner Stoff diente, zu beachten.

Daß ich den Stoff wählte, danke ich einem – bei uns sagt man – Rausch, d. h. nicht von Bier, sondern diversem anderen. Weil ich nach dem hohen MusterPaul Verlaine war bekannt für seine Trunksucht und galt als der Dichter des Absinths. von Verlaine glaubte, daß das eben alles gut sein muß, was einem in benebeltem Zustand einfällt, kam ich zu dem Drama, | das mir nur dazu dienen sollte, zu sagen, wie unangenehm eventuell eine verbitterte Jugend sei (Lida.eine Figur aus dem nicht überlieferten Drama „Menschenrecht“; vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.4.1914.); auszusprechen wie der Konflickt zwischen Alt und Neu ausgeht und am Schluß, um einer inneren Notwendigkeit zu gehorchen, die mir sagte: daß ich zu schreiben habe, was,…ich schrieb eben ohne Bedenken im Gedenken einer neuen Zeit; die innere Handlung war mir ziehmlich egal. Hauptsache: Lida, und andre Personen, ja alle in ihren psychologischen Eigenheiten.

Daß aber die Widmung Du übel auffaßt, daran dachte ich nicht. Es war doch auf keinen Fall nominellgemeint ist hier: namentlich. gemeint. Sie steht noch nirgends und wenn, so würde sie wie ich mir erst | gestern zurechtlegte, lauten:
„Dem ich alles verdanke
in Liebe gewidmet.“

Ich schreibe E/e/s nur aus dem Grunde, um zu zeigen, daß mir alles ferner lag, als eine Beleidigung. Ich wollte auf keinen Fall eine anders geartete Ironie etwa gar hineinlegen.

Ich gab mich Dir immer ganz offen, nur offenZwischen den beiden Worten befindet sich ein durchgestrichener Tintenfleck., so herzlich ich eben konnte. Bitte verzeihe, aber Du wirst doch auch der Meinung sein, daß von irgendeiner BöswilligkeitFriedrich Strindberg reagierte hier anscheinend auf eine Unterstellung Wedekinds; der Vorwurf der „Bosheit und Gehässigkeit“ gegenüber seinem Sohn kehrt in späteren Briefen Wedekinds wieder [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 24.8.1914 und 17.9.1914]. nur die Rede sein kann, wenn ich es etwa so aufgefaßt hätte. Aber mir lag alles ferner als das.

Mir kommt vor, daß ich bisher recht viel Verdrießlichkeiten Dir angetan |

2.

habe, das Unangenehmste, dessen ich mich erinnere. Aber ich sage es, um mich über mich selbst nicht hinwegzuteuschenSchreibversehen, statt: hinwegzutäuschen.. Auch ich will gern um unsrer dauernden Freundschaft willen etwas entsagen.

Ich schrieb bisher an Kurt WolffFriedrich Strindbergs Brief an Kurt Wolff ist nicht überliefert., ob er es zur Durchsicht nimmt; an R. Dehmel vom VorhandenseinFriedrich Strindberg schrieb am 3.5.1914 [irrtümlich datiert auf den 3.4.1914] an Richard Dehmel: „Nun habe ich zu den Osterzeiten in München meinem Vater, Herrn Wedekind die Grüße ausgerichtet und er erwidert sie von ganzem Herzen. Zu Ostern war es auch, da ich Ihm mein Stück ‚Menschenrecht‘ vorlas; es gefiehl Ihm recht gut und auf seinen Rat wandte ich mich damit an Kurt Wolff, Verlag Leipzig, von wo ich noch auf Antwort warte. Mittlerweile wurde es in München vervielfältigt (auf Schreibmaschinen) und nun bitte ich Herrn Dehmel, ob Sie so gütig sein wollten, ein Exemplar zu lesen: – – – / Es ist im selben Dramenstil wie etwa ‚Franziska‘; nur das Allernotwendigste ist gesagt, lyrische Stellen finden sich recht häufig, Lieder etct. Ein ganzes Hexenballett ist hineingestreut und besonders der Gegensatz zwischen dem Gesichtspunkte eines jeden einzelnen ist scharf herausgearbeitet. […] Nun bitte ich, ob ich Herrn Dehmel das Stücklein senden lassen dürfte. Denn es ruht gegenwärtig in München im Büro, von wo ich es ja addressieren lassen kann, an wen ich will. […] so freue ich mich im vorhinein auf das Urteil Herrn Dehmels, das mir mehr als jedes andre gilt.“ [Dehmel-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg DA:Br:S 1888]. Die Exemplare sind bei mir verborgen und Keiner weiß bisher von Iihrem Vorhandensein. Das Manuskript ist in München, ein 2. eingesperrt in Mondseeim Haus der Großmutter Marie Uhl..

Nun bin ich bereit die Exemplare nach München zu senden – nur als Symbol etwa f/d/afür, daß ich ohne Deine weitere Einwilligung nichts zu tun | im Sinne habe. Ja: – das Stück ist etwa eine Intimität, was unser Verhältnis anbelangt. So gut. Ich stelle Dir das Stück zur Verfügung; wenn es Dir halbwegs als Genugtuung dienen kann, so bitte ich d/D/ich, verfüge darüber, wie es d/D/ir gut dünkt. Wenn das imstande ist, Dich zu versöhnen.

Ich bin zwar sicher, daß mir in meinem zukünftigen Lebenskampf (– der hoffentlich bald losgeht –) ich kein besseres Schicksal erwarten kann, als viele andre. Das ist mir eventuell gleich, denn es wird nicht zu ändern sein. Auch weiß ich nur zu gut, daß mein künftiges Lebenben i/n/icht ganz freudenreich sein wird. Ich verzichte auch auf solche Freuden, die sich manche in einemdie versehentlich zusammengeschriebenen Worte wurden durch einen senkrechten Strich voneinander getrennt. Leben zu liefern glauben, das den Geist in den Kanal schmeißt. |

Doch abgesehen davon.

Nimm bitte das Stück – wenn es halbwegs noch möglich ist – nicht zu ernst. Als künstlerisches Erzeugnis ist es glaube ich nicht das schlechteste. Das Persönliche bitte ich Dich, nicht zu beachten. Überhaupt gar nicht dessen zu gedenken. Fasse also auch bitte die gedachte Widmung nicht so auf; nicht wahr, Du verzeihst, wenn ich Dich darum bitte, gedenke nicht des Vergangenen.

Erich Mühsam bitte ich gleichzeitig (der letzte Brief an Dich wurde von Seite des Direktors aufgehalten, so, daß er sich unabsichtlich verspäteteDer am 29.4.1914 geschriebene Brief erreichte Wedekind erst am 4.5.1914 [vgl. Tb]..) das Manuskript nicht zu veröffentlichenFriedrich Strindberg hatte zuletzt berichtet, er habe einen Essay an Erich Mühsam versandt, der das Verhältnis der Zensurbehörde zu Wedekind zum Gegenstand hätte, und hoffe auf Abdruck in dessen Zeitschrift unter einem Pseudonym [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 29.4.1914]. Strindberg hatte Mühsam bei seinem Weihnachtsbesuch 1913 in München persönlich kennengelernt und dort wiederholt getroffen, so am 31.12.1913: „Fritz geht ins Café Stephanie und spielt 3 Schachpartien mit Mühsam.“ [Tb]; wegen irgendeines Hindernisses. Ich finde schon etwas.

Auch sagte ich, daß es kennzeichnend für alles sei, daß man jedes Stück (in dem) das etwa schärfer sei, wie „Totentanz“ oder andre verbot. Dadurch ist es natürlich unmöglich, Dich vollends in jedem Stücke zu würdigen.

Nicht wahr, Du verzeihst dies alles; Ich weiß nicht, ob Dir alles genügt. Daß ich Dich gern habe, soll uns nicht entzweien, sondern mich Dir näher bringen. Ich sehe mich Dir nahe; nahe, daß ich nur emporschauen kann, aber nicht in kalter Bewunderung, sondern in Liebe. Denn nur die bringt angenehmes ins Leben; sei es so oder so. Über „Men.“ warte ich völlig Deine Verfügungen ab. Bitte!

In herzlicher Liebe
Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 8. Mai 1914 in Wien folgenden Brief
an Friedrich Strindberg

Mein lieber Friederich

Gestern Vor einigen TagenWedekinds Korrektur legt nahe, dass er den Erpresserbrief am 5.5.1914 (gestrichen: „gestern“) in München erhielt, einen Tag nach seinem letzten Brief an den Sohn [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 4.5.1914], und seinen Briefentwurf noch vor seiner Abreise nach Wien am 6.5.1914 notierte, den Brief aber erst von Wien aus abschickte und entsprechend korrigierte. erhielt ich aus Salzburg folgenden Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Unbekannt an Wedekind, 4.5.1914., den ich sofort dem Staatsanwalt übergab.

Sie Lumpenkerl!

Wenn Sie nicht umgehend in einfach verschlossenem nicht eingeschriebenem Brief M. 500 (fünfhundert Mark) in Banknoten an folgende Adresse schicken

Frau Dora Bühringer
Salzburg
hauptpostlagernd
Dann wird Ihrer Frau mitgetheilt daß Sie ein Verhältnis mit einer Münchner KellnerinIdentität nicht ermittelt. haben,/./ Für Ihr Verhältnis mit dieser Kellnerin, deren Namen gekannt uns bekannt ist werden Ihrer Frau die unumstößlichsten Beweise geliefert. Unterschrift bei einem Lumpenkerl wie Sie überflüssig. |

Diese u/n/erfreuliche Angelegenheit, mein lieber Friederich habe ich Deinem WeihnachtsbesuchFriedrich Strindberg hatte Wedekind vom 23.12.1913 bis zum 1.1.1914 in München besucht und mit ihm etliche Münchner Lokale aufgesucht [vgl. Tb]. bei uns und deiner dichterischen ThätigkeitIm Manuskript zu seinem nicht überlieferten Drama „Menschenrecht“ hatte Friedrich Strindberg u. a. einen Familienvater dargestellt, der eine Affäre mit einer Kellnerin hat. Für die Figuren- und Schauplatzgestaltung seines Stücks hatte er außerdem auf seine Erfahrungen aus dem München-Aufenthalt zum Jahresende 1913 zurückgegriffen und Wedekinds Stammlokal und Bekanntenkreis als Anregungen genutzt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]. Das Stück las er seinem Vater am 5.4.1914 vor [vgl. Tb], der daraufhin bereit war, es für seinen Sohn vervielfältigen zu lassen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914]. zu verdanken Ich gratuliere Dir! d

Dein Frank Wedekind.

Friedrich Strindberg schrieb am 9. Mai 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

9.5.1914.


Lieber Frank!

Ich erhielt eben Deinen Briefüberliefert ist lediglich ein Entwurf dieses Briefs; vgl. Frank Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914. und beantworte ihn sofort nach WienWedekind hielt sich vom 6. bis 15.5.1914 in Wien für ein Gastspiel von „Simson“ am Johann-Strauß-Theater auf, nicht an der Neuen Wiener Bühne, wie Friedrich Strindberg irrtümlich annahm. Der Irrtum resultierte vermutlich aus einer Zeitungsnotiz, die zwar das Eintreffen Wedekinds zur „Leitung der Proben für die Aufführungen von ‚Simson‘“ meldete, aber kein Theater nannte, so dass diese Meldung leicht dem vorangehenden Abschnitt zugeordnet werden konnte, der überschrieben war mit: „Auf der Neuen Wiener Bühne“ [Neues Wiener Tagblatt, Jg. 48, Nr. 126, 8. Mai 1914, S. 17]. Die Premiere von „Simson“ war am 11.5.1914., da ich hoffe, daß Du auf der „Neuen Wiener Bühne“ spielst.

Die Personen die den Inhalt von dem ‚so anregenden‘ Stück kennen, sind außer Dir: Meine Großma/u/tter, der ich es vorlas und die es längst verbrannt glaubt. Dann hier 2 Grazer Buben, ein Meraner, und ein WienerMitschüler von Friedrich Strindberg im Salzburger Internat; Identitäten nicht ermittelt.. Ein wenig Tau hatösterreichisch für: Ahnung haben. auch ein „sehr netter“ UngarIdentität nicht ermittelt. davon. Nun sind dies alle insge|samt sehr verschwiegene Burschen, denen alles eher als ausplaudern zuzutrauen ist und die von einer sogenannten „Verkörperung“In einem früheren Brief hatte Friedrich Strindberg seinem Vater berichtet, dass er bei der Figurengestaltung seines Dramas „Menschenrecht“ sich an Wedekinds Münchner Freundeskreis orientiert habe, den er bei seinem Besuch Ende 1913 kennengelernt hatte, und dabei „von den Personen, die ich mir verkörpert dachte, Redewendungen“ [Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914] übernommen habe. nichts wissen!! (Außer einem.) Außerdem sind wir von jedem Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen, eben wieder ausgenommen dem Ungarn, der aber ein ehrenhafter Mensch nach meiner Meinung ist. Übrigens ist und wäre mir ein Rätsel, daß man in dem Stück, das bei mir bis heute 2 gesehen haben, und auch nur von außen, auf | Dich verfallen könnte. Da/u/ sagst: Du habest den BriefDer Erpresserbrief an Wedekind ist nicht überliefert, war aber als Abschrift in dessen letztem Brief integriert [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914 sowie Unbekannt an Wedekind, 4.5.1914]. vor einigen Tagen erhalten. ErhieltsSchreibversehen, statt: Erhieltst. Du meinen Briefvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.5.1914., in dem ich mich Deinen Briefvgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 4.5.1914, in dem sich Wedekind eine öffentliche Widmung des Stücks „Menschenrecht“ an ihn verbat. gegen diese Widmung beantwortete, – er war – meines Wissens – eingeschrieben, doch ich warte noch auf das RezipissRezipisse oder Recepisse: Empfangsschein.. Selbst konnte ich wegen unserer Eingesperrtheit ihn nicht aufgeben, doch bin ich sicher, daß er aufgegeben wurde! Den Namen „RosaDie doppelte Unterstreichung legt nahe, dass Friedrich Strindberg darauf aufmerksam machen wollte, zwar eine Rosa, aber keine Dora Bühringer zu kennen, wie der Name im Erpresserbrief lautete [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]. Bühringerdenke ich einmal gehört zu haben; jedenfalls wenn, so war es auf der Post. Doch kann ich nichts sicheres sagen. | Die Staatsanwaltschaft wird das Ihre tun. Vielleicht ist es nicht ausgeschlossen, daß die Sache doch von München käme. Die:

M.Mit der dreifachen Unterstreichung des „M.“ (für Mark) legt Friedrich Strindberg nahe, dass eine österreichische Erpresserin wohl Kronen gefordert hätte. 500
wären bezeichnend.

Jedenfalls bitte ich Dich: nicht früher, wenn Du deshalb mit mir brechen willst, es zu tun, als Du den sicheren Beweis hast, daß ich daran schuld bin. Bitte!!

Ich bin so niedergeschmettert. Wenn es einem Menschen in seinem Leben übel vom Schicksal, vom Zufall zuging, so ist es mir. | Ich mußte den Stoff wählen, ich mußte zu Ostern zu frühFriedrich Strindberg hatte Wedekind am Wochenende vor Ostern, am 4. und 5.4.1914, in München besucht und ihm sein Drama vorgelesen [vgl. Tb]. Geplant war im Vorfeld ein Besuch über Ostern [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 15.3.1914]. kommen; Dir noch dazu das Werk zu widmen. Ich wundere mich, Daß Du mich noch nicht – ich mags nicht sagen, was ich ohnehin nicht tragen würde. Ich kann kaum noch weiters davon was sagen, weniger schreiben. –

Bitte wolltest Du nicht, wenn Du von Wien zurückkehrst für vielleicht eine oder 2 Stunden in Salzburg Aufenthalt nehmen; ich hätte Gelegenheit, Dir nicht nur mein Stück in | Bausch und Bogen zu übergeben, sondern könnte Dir auch gleichzeitig über die Möglichkeiten dieser Frau etwas mitteilen. Anderseits wird es ohnehin vielleicht ein Wiedersehn auf lange Zeit sein, weil ich im Sommer von Großmama höchstwahrscheinlich mit unserm Direkt. in das südlichste Tal TirolsFriedrich Strindberg verbrachte seine Schulferien mit dem Schuldirektor Josef Tschurtschenthaler in Südtirol in Sexten im Pustertal [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.7.1914]. abgeschoben werde. Es ist alles so widerwärtig und der Zufall ist so gemein. Ich kann kaum etwas anderes sagen, nur bitte ich Dich inständig, unser Verhältnis durch die Wirren im ersten | Jahr unserer BekanntschaftFriedrich Strindberg hatte seinen Vater erst im September 1913 kennengelernt. Er nahm am 14.9.1913 telefonisch in Berlin Kontakt auf und traf sich anschließend dort zwei Tage mit ihm [vgl. Tb]. nicht zu ändern.

Meine unglückliche Mutter ist weiß Gott woFrida Strindberg hielt sich seit 1908 in London auf und hatte den Kontakt zu ihren Kindern abgebrochen.. – Ich habe wie meine Schwester jede Liebe zu ihr aufgegeben und Sie nur Dir zugeeignet. Meinerseits wird (Sie) sie immer standhalten und ich fühle vielleicht, was Dir durch mich geschieht, doppelt so hart, wie Du. Und zu allen kam noch das ’hinzu. R. Dehmel bat mich DonnerstagsDer Brief Richard Dehmels vom 7.5.1914 an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert. Strindberg hatte Dehmel am 3.5.1914 von seinem Stück geschrieben und ein Lektüreexemplar angeboten [vgl. Dehmel-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg DA:Br:S 1888 sowie Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.5.1914]. von Leipzig aus, ihm das Werk zu schicken. Ich werde verneinenFriedrich Strindberg schrieb am 10.5.1914 an Richard Dehmel: „Verzeihen Sie bitte, wenn sich mein Drama etwas verspätet! Ich habe seinetwegen einige ernstliche Konflikte gehabt, da es sogar jetzt schon unangenehme Folgen im ‚Publikum‘ gezeitigt hatte. Ich erhielt Samstags nun einen diesbezüglichen Brief meines Vaters [vgl. Frank Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914], dem zufolge ich mit der ‚Veröffentlichung‘ auch Bekannten gegenüber warten soll.“ [Dehmel-Archiv der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg DA:Br:S 1889]; sobald ich mit Dir mi zu|sammen komme werde ich es Dir völlig übergeben!! Mir ist es sicher hat/r/t, aber es ist zur Vermeidung alles künftigen.

Ich bin, was weiters unsre Zusammenkunft anbetrifft für Dich, immer da. Doch wäre es nur, wenn es Dir angenehm, d. h. nicht zu unangenehm wäre. Wenn, so bitte ich Dich mir es kundtuen zu wollen. Nicht wahr? Ich bitte Dich darum; wenn Du noch so gütig/gut/ sein wolltest.

Es grüßt Dich mit der Bitte, wenn es geht mir wenigstens meine Li/B/itten zu verzeihen

In Liebe
Dein Friedrich Strindberg.

Friedrich Strindberg schrieb am 14. Mai 1914 in Salzburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Ich lese, daß Du hierin Österreich.nicht wie ich glaubteWedekind hielt sich vom 6. bis 15.5.1914 in Wien für ein Gastspiel von „Simson“ am Johann Strauß-Theater auf, nicht an der Neuen Wiener Bühne, wie Friedrich Strindberg zunächst annahm. an der N. W. Bühne – spielst. Ich richtete am 9.V. dorthin mein Schreibenvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 9.5.1914., (mit der Münchner Adresse), das Du, wenn Du es nicht erhalten hast, in München vorfinden wirst.

Ich bat Dich darin undi ich bitte auch jetzt darum, ob Du so gütig sein wolltest und in Salzburg mich besuchen könntest. Ich hätte Möglichkeit Dir mein Stück gwieder, um vorläufig weiteres Unheil zu vermeiden, zu übergebenFriedrich Strindberg hatte seinem Vater angeboten, ihm das Manuskript und die von Wedekind kurz zuvor veranlassten und übersandten Abschriften seines Stücks „Menschenrecht“ zu überlassen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.5.1914], nachdem dieser signalisiert hatte, er wolle keinesfalls mit dem Stück in Verbindung gebracht werden [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 4.5.1914]. Dahinter stand die Befürchtung Wedekinds, das Stück könne als Schlüsseldrama gelesen werden, worin er sich nach einem Erpressungsversuch wegen einer angeblichen Affäre mit einer Kellnerin – ein Handlungselement auch in Strindbergs Drama – bestätigt sah [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]. und mit Dir eine kleine Zeit verplaudernSchreibversehen, statt: Zeit zu verplaudern., da wir uns nun – sowieso – Großmama will mich für den Sommer zu unsern Direktor nach Süd-TirolFriedrich Strindberg verbrachte seine Schulferien mit dem Schuldirektor Josef Tschurtschenthaler in Sexten im Pustertal [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.7.1914]. abschieben – uns lange | nicht wiedersehn werden. Darum bitte ich Dich, wenn es Dir nicht zu unangenehm ist. Mit der Bitte, ob Du mich davon verständigen wolltest, damit ich Dich etwa abholen kann. Es grüßt Dich in Liebe
Dein Friedrich Strindberg.


14.V.14.


Er. Hwgb.

Herrn Frank Wedekind.
durch d. Dir. d. Joh. Straußtheaters.
Wien IV. Favoritenst.

Friedrich Strindberg schrieb am 24. Mai 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Vor wenigen Tagen erhielt ich von Kurt Wolff, Leipzig NachrichtDer Brief Kurt Wolffs an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert. Friedrich Strindberg hatte beim Leipziger Kurt Wolff Verlag wegen einer Publikation seines Stücks „Menschenrecht“ angefragt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 29.4.1914]., daß er infolge vollständiger Überfüllung mich vorläufig nicht verlegen kann. Von einem Wiener BesuchDie Identität des Ehepaars ist nicht ermittelt, vermutlich die Eltern von Friedrich Strindbergs Wiener Mitschülers [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 9.5.1914]. hörte ich von Deinem SpielWedekinds „Simson“ hatte am 11.5.1914 Premiere am Johann Strauß-Theater in Wien und wurde dreimal aufgeführt. Wedekind spielte den Og von Basan. Das Gastspiel war von der Presse angekündigt worden: „Frank Wedekinds Schauspiel ‚Simson‘ wird am 11. Mai in Wien zur Aufführung gelangen. Der Direktor der Volksbühne Dr. Rundt hat bekanntlich das Johann Strauß-Theater zu diesem Zweck gepachtet. Frank Wedekind spielt den Og von Basan, Tilly Wedekind die Dalila, den Simson spielt Albert Steinrück.“ [Wedekinds Gastspiel. In: Neues Wiener Abendblatt, Jg. 48, Nr. 116, 28.4.1914, S. 6] „Frank Wedekind inszenierte seine Dichtung selbst. Es ist dies das erstemal, daß der Dichter sich in Wien als Regisseur eines seiner Werke betätigt.“ [Frank Wedekinds „Simson“ im Johann-Strauß-Theater. In: Neues Wiener Tagblatt, Jg. 48, Nr. 128, 10.5.1914, S. 18] am Johan Straußtheater „Simson“, das den lebhaften Beifall jenes Ehepaares erwirkte, gepaart mit Bewunderung Deiner Kunst.

Nunmehr werde ich mich – aber erst mit Deiner Erlaubnis – an R. M. Meyer, Berlin wenden, an den gepriesenen VerlegerGemeint ist hier der Schriftsteller und Verleger Alfred Richard Meyer, dessen Initialen Friedrich Strindberg mit denen des Berliner Germanisten Richard Moritz Meyer verwechselte. Meyer führte seit 1907 den A. R. Meyer Verlag in Berlin-Wilmersdorf. Dort erschienen 1913 die „Hebräischen Balladen“ von Else Lasker-Schüler, die auf den Umschlagseiten der „Fackel“ wiederholt mit Annoncen beworben wurden. von Else Lasker-Schüler. Da Kraus ihn einst im Zusammenhang günstig für „Anfänger“ besprachÄußerungen von Karl Kraus über den A. R. Meyer Verlag ließen sich nicht nachweisen., | stach er mir in die Augen. Jedoch kann ich und werde es eventuell tun, „Menschenrecht“ Dir anheimstellen, bis es vielleicht durch die Dauer der Zeit jeden Anstrich des Persönlichen verloren hat. Ich bitte Dich mir dies nicht übelnehmen zu wollen, besonders, da ich über Deine Meinung ununterrichtetWedekind hatte nach einem Erpresserbrief den Kontakt zu seinem Sohn abgebrochen, da er ihn für mitverantwortlich hielt [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]. bin.

Gleichzeitig habe ich in den letzten Tagen den Plan eines Stückesvon einer Ausführung dieses Vorhabens ist nichts bekannt. gefaßt, das aber objektiv sein soll – im höchsten Grad! Epiphaniachristliches Fest von der Erscheinung des Herrn am 6. Januar..“ Die Ruhe einer jungen Ehe scheitert an der Frau, deren „Menschwerdung“So auch der Alternativtitel von Friedrich Strindbergs nicht überliefertem Dramenmanuskript „Triton“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.12.1913], das „das Übergehen von Gott zu Mensch von Natur zum Leiden“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 25.11.1913] thematisierte. Friedrich Strindberg hatte seinem Vater das Stück am 26.12.1913 vorgelesen [vgl. Tb]. im 2. Akt den Höhepunkt bildet. Den dritten Akt schließt eine Bluttat des wahnsinnig gewordenen Mannes, der erst durch den Mord seiner Frau die Besinnung und Ver|nunft erhält und so als „gesunde Bestie“zeitgenössisch verbreitetes Schlagwort für die animalische Natur des Menschen. sich verantworten muß über das, was er als Wahnsinniger angestellt.

Mit der Ausarbeitung warte ich, unterdrücke sogar das heiße „Muß“, da wir in den jetzigen Tagen viel zu lernen haben. Anfangs Juli haben wir PrüfungDie Prüfung am Ende des Schuljahres war in österreichischen Mittelschulen obligatorisch [vgl. Erlaß des Leiters des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 2. Jänner 1909, Z. 51190 ex 1908, an alle Landesschulbehörden, betreffend die Prüfungen der Privatisten an Mittelschulen. In: Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht, Jg. 1909, Stück 2, Nr. 2, Wien 1909, S. 32] über den ganzen Stoff eines Jahres; darum beginne ich nun schon mit den Wie/d/erholungen, die eine bittere Medizin sind. Aber man tuts, muß es doch sein! Sogar recht heftig.

Ich hätte gerne Lust im „Kain“Die erste Seite der von Erich Mühsam begründeten Zeitschrift „Kain“ trug seit ihrer ersten Nummer vom April 1911 den Hinweis: „Die Beiträge dieser Zeitschrift sind vom Herausgeber. Mitarbeiter dankend verbeten.“ einen von mir geschriebenen Aufsatz „Fatieren“bekennen, angeben, in Österreich auch: Steuer erklären. Der Aufsatz ist nicht überliefert. zu veröffentlichen, wäre nicht der HackenSchreibversehen, statt: Haken. in der Person Th. Manns, der erst vor kurzem als MitarbeiterZu der katholischen Monatsschrift „Über den Wassern“ steuerte Thomas Mann zu den ersten vier Heften des Jahrgangs 1913/14 seinen Aufsatz „Versuch über das Theater“ (1907) bei [vgl. Über den Wassern, Jg. 7, H. 1, Oktober 1913, S. 14–23; H. 2, November 1913, S. 94–100; H. 3, Dezember 1913, S. 161–168 und H. 4, Januar 1914, S. 238–244]. Die von Expeditus Schmidt 1908 begründete Zeitschrift erschien seit Herbst 1913 unter der Redaktion von Dr. Johannes Eckardt im Görres Verlag Bamberg. einer kath. Literaturzeitung Unwillen hervorriefGegen die liberalere Ausrichtung der katholischen Zeitschrift „Über den Wassern“ seit 1913 unter ihrem neuen Redakteur Johannes Eckardt, der zunehmend auch nichtkatholische und jüdische Autorinnen und Autoren als Beiträger verpflichtete, polemisierte ein mehrteiliger Aufsatz [Franz Eichert: Die Selbstvergiftung des katholischen Schrifttums. In: Der Gral. Monatsschrift für Kunstpflege im katholischen Geiste, Jg. 8, Heft 7, 1.4.1914, S. 424–434; Heft 8, 1.5.1914, S. 483–492; Heft 10, 1.7.1914, S. 617–627; Heft 11, 1.8.1914, S. 689–698]: „Die berechtigte Selbstachtung sträubt sich dagegen, daß katholische Zeitschriften von Autoren, die mit ihrem ganzen Schaffen der katholischen Geisteswelt so fremd und feindlich gegenüberstehen, wie […] ein Thomas Mann, […] die jedenfalls auf unsere religiösen Anschauungen nur mit mitleidigem Achselzucken oder gar mit Hohn und Spott herabsehen, von unsern katholischen Zeitschriften um das Almosen ihrer Mitarbeit angegangen werden.“ [S. 484f.] Bei Thomas Mann finde man „die ‚Poesie‘ der verfaulten Dekadenz“ [S. 485], die in einer solchen Zeitschrift zur „Irreführung des katholischen Publikums“ beitrage. Die „Beurteilung literarischer Fragen im Lichte und im Geiste katholischer Weltanschauung“ sei „von vornherein überall da ausgeschlossen […], wo nichtkatholischen, ihrer Geistesrichtung nach freisinnigen und im kirchlichen Sinne ungläubigen Autoren die Behandlung solcher Fragen […] zugeschoben wird (z. B. Thomas Mann, Versuch über das Theater […]).“ [S. 488]. | Denn Th. M. ist des wegen, d. h. wegen der Art, wie er es tat, unglimpflich beschrieben worden. – Doch die Sache muß noch sehr durchgedacht werden und die erste Bedingung ist: mit allen gut, praktisch auszukommen.

Indem ich Dir nun schreibe bitte ich Dich, ob Du vergessen kannst, woran ich vielleicht schuld warWedekind hatte einen Erpresserbrief wegen einer angeblichen Affäre mit einer Kellnerin erhalten und führte dies auf die literarischen Aktivitäten seines Sohnes zurück [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]. und was ich nicht nannte, um jede Erinnerung zu vermeiden.

Mit dieser stillen Bitte grüßt Dich
von ganzem Herzen in Liebe
Dein Friedrich Strindberg.


Salzburg 24.V.14.

Friedrich Strindberg schrieb am 7. Juni 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Lieber Frank!

Da Dich mein Geschick in den letzten Tagen doch interessieren dürfte, teile ich es Dir mit!

Vor knapp einer Woche fiel es meiner Großmama ein mich – Offizier werden zu lassen und mich wegen meiner „Unfähigkeit zu beinahe jedem andern Beruf“ in die Kadettenschuleweiterführende Schule, die zugleich auf eine Offizierslaufbahn vorbereitet. zustecken, wo der Mensch, wie Sie schriebDer Brief Marie Uhls an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert., moralisches Rückenmark erhält. Und das täte mir vor allem not! Ich weigerte mich, so gut ich konnte, doch es half mir | (mir) weder meine Vorliebe für einen anderen, unschwer zu erratenden Berufder des Schriftstellers. Wegen Friedrich Strindbergs nicht überliefertem Stück „Menschenrecht“ kam es zum Zerwürfnis mit seinem Vater, der einen an ihn gerichteten Erpresserbrief auf die schriftstellerische Tätigkeit seines Sohnes zurückführte [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]., noch mein momentaner Haß gegen diesen. Freitagsvermutlich am 5.6.1914. kam ich zur Stellung, wobei ich dem MilitärarzteIdentität nicht ermittelt., der mehr gutes Mitgefühl hatte, als meine Großmama, die mir erst kürzlich schriebDer Brief Marie Uhls an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert.: – „was Du eben nicht willst, will immer ich“ – meine diversen Neigungen diskret mitteilte; er erklärte mich, gottseidank, infolge kurzsichtigkeit des linken Auges als „untauglich“!

Was nun mit mir geschieht weiß ich nicht – meine Absicht ist MaturaReifeprüfung nach einer höheren Schulausbildung, die zum Studium berechtigt. (noch 3 Jahre!!!) und Universitätsstudium; – weder Jus(lat.): Recht, Sitte Gewohnheit; hier für Jurastudium. (noch) | noch irgendeine Germanistik, sondern „psychologische Medizin“Für die Etablierung des Fachs „medizinische Psychologie“ oder „psychologische Medizin“ setzte sich vor allem der Züricher Psychiater Eugen Bleuler ein. Über seinen Vortrag auf der Jahresversammlung des Internationalen Vereins für medizinische Psychologie und Psychotherapie in Wien (19. und 20.9.1913) hatte die Presse kurz zuvor berichtet: Demnach muss diese Disziplin „die direkten und indirekten psychischen Krankheitsursachen kennen lehren: sie muß zeigen, was in einem Krankheitsbilde psychisch ist und was nicht […]. Sie muß die Indikationen und die Methoden der Psychotherapie lehren und hat den Arzt dahin zu erziehen, daß er genügende Rücksicht nimmt auf den psychischen Zustand des Patienten […]. Außerdem muß gezeigt werden, was für psychische Zusammenhänge im Zusammenleben der Einzelnen wie in der Gesellschaft, in der Politik, in der Dichtung und Literatur, in Geschichte und Religion und Mythologie und Gesetzgebung existieren.“ [Wiener Medizinische Wochenschrift, Jg. 64, Nr. 21, 23. Mai 1914, S. 1154] zieht mich an; vielleicht im Gedenken dessen, daß man in der Medizin doch der Natur – dem „Stein d. Weisenhier im Sinne einer universellen Erkenntnis von Zusammenhängen, einer Lösung aller Rätsel.“ am nächsten kommt.

Ich las von der gut gelungenen „Oaha“-AufführungAuf Wedekinds Gastspiel-Premiere von „Oaha“ an den Kammerspielen des Deutschen Theaters am 4.6.1914 folgte tags darauf ein Verriss in der genannten Zeitung: „Man soll rasch darüber hinweggleiten, und man soll den anderen Wedekind, den aus der Tiefe holenden, tapfer in Schutz nehmen gegen den Autor einer Szenenfolge, die mehr ein Gezänk als eine Satire ist. […]. Das ganze Durcheinander löst sich fast nie aus dem Zustand der Detailbeobachtung und nie aus der Sphäre des persönlichen Grolles, und wenn es endlich am Schluß phantastisch werden möchte, dann fehlt der Humor. […] Auch des Dichters Regie ist dürftig. […] Wedekind gibt den Verleger Sterner, den schwächsten und geistig unbedeutendsten aus dem Album grotesker Hochstapler und Egoisten, das er uns angelegt hat. Er fängt ihn mit einem lustigen Fistelton ganz hübsch an, hört aber dann auf, sinkt ins Dilettantische und wird ganz unsicher.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 43, Nr. 279, 5.6.1914, Morgen-Ausgabe, S. (3)] im Berliner Tageblatt, (?), auch von der Berliner Plakette„Aus Berlin meldet man: Zu Wedekinds 50. Geburtstag wird ein Wedekind-Preis errichtet in Gestalt einer Wedekind-Plakette, die jährlich am 24. Juli Schriftstellern, die ein eigener Ausschuß bestimmt, zuerkannt wird. Also eine Art Wedekind-‚Orden‘ für Dichter, die seines Geistes sind.“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 44, Nr. 117, 26.5.1914, S. 8] Das Projekt wurde nicht realisiert..

Mit herzlichen Wünschen
auf Beifall allerseits grüßt
Dich
Dein Friedrich Strindberg.


Salzburg am 7. Juni 1914.

Friedrich Strindberg schrieb am 17. Juni 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

17.VI.14.


Lieber Herr Wedekind!

Ich wage es nicht mehr Herrn Wedekind „Du“ zu nennen, weil ich heute von meiner Großmama einen BriefDer Brief von Marie Uhl an Friedrich Strindberg ist nicht überliefert. bekam: „Wie Du Deinen Vater verloren hast…..

Sie war in München, wird bei Dir gewesen seinWedekind war vom 23.5. bis 16.6.1914 in Berlin [vgl. Tb], so dass ein Treffen mit Marie Uhl in München nicht stattgefunden haben kann. und erfahren haben, was ich bis jetzt nur ahnte: unsern vollständigen Bruch!

Bitte lies den Brief weiter, wenn er auch so beginnt; bitte!!

Ich will Dir nicht mein ewiges Miserere(lat.): sich erbarmen; erstes Wort des 51. Psalms: Miserere mei, Deus, secundum magnam misericordiam tuam (Erbarme dich meiner, Gott, nach deiner großen Güte). Es dient bei Vokalvertonungen des Psalms als Incipit. vorjammern, das mit meiner Mutter beginnt und kein Ende findet; ich hatte bis zu Dir keine Seele, mit der ich mich verstehen konnte, keinen Menschen, der mich wahr liebte. Mit meiner Schwester kam ich aus, seit ich Dich hatte, da sie mich um Deinethalben schätzte, eventuell…Ich wurde von meiner Großmutter aus reiner Liebe schlechter und eckela/h/after behandelt, wie ein h/H/und, nur weil ich fühle! Man drillte mir von Jugend | auf sämtliche Verrücktheiten ein, um nur ein moralisches RückkratSchreibversehen, statt: Rückgrat. zu verschaffen; dagegen wehrte ich mich unbewußt mit aller Gewalt, meine Großmama sieht in mir den menschgewordenen Satan, meine Mutter ist da draußen irgendwoFrida Strindberg hielt sich seit 1908 in London auf und hatte den Kontakt zu ihren Kindern abgebrochen. und ich?

Wenn Du halb, ein bischen Dein Wort in BerlinFriedrich Strindberg hatte seinen Vater Frank Wedekind im letzten September in Berlin kennengelernt und mit ihm dort vom 14. bis 16.9.1913 Zeit verbracht [vgl. Tb].: „Wenn Du etwas wie/l/lst, komme zu mir“ wahrmachen wolltest, verzeihe, ich komme zu Dir und bitte um: Liebe und Verzeihung. Liebe mit einem Menschen, dem das Schicksal bei jedem Gut noch einen Streich gespielt hat; VerzeihungWegen Friedrich Strindbergs nicht überlieferten Stücks „Menschenrecht“ kam es zum Zerwürfnis mit seinem Vater, der einen an ihn gerichteten Erpresserbrief auf die schriftstellerische Tätigkeit seines Sohnes zurückführte [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]. für das, was ich noch nicht weiß, für – ich glaube es ist es – für das Stück! Wie gerne fliegt es in D/d/ie Flammen, wenn ich Dich nur erhalten kann! Bedenke: ich bin kein Mädchen, das mit Schönheit und Klugheit weiter kommt; was ich war, weißt Du, was ich bin: ein Häuflein Unglück. |

Wird ein Mädchen verlassen, so geht es zu einem andern; aber ich? Ich stehe dann so nackt und bloß da, wie sonst niemand! Ich lernte, büffelteangestrengt lernen (umgangssprachlich). im heurigen Studienjahr wie ein Ochse – um später Dir mit mir Freude zu machen. Ich bin fest entschlossen, falls Du es über das Herz bringst mich wegzustoßen wie einen treuen Hund, dem man lieber eine Kugel durch den Schädel jagt, als ihn (zum) davon weist, in die weite Welt zu gehen, ohne „Einverständnis“ eine eines meiner Verwandten und zu sehen, wie man sich fortbringt oder erhungert.

Aber wenn Du das Bewußtsein hast: mir noch ein klein wenig, ein winziges Bischen zu schulden, so bitte ich Dich um alles, nimm mich wieder in Deine Liebe auf,/./ Willst Du einen Menschen, der Dir doch etwas näher steht als die andern, ganz beinahe das Leberecht nehmen; verzeihe die harten Worte aber sag mir ein gutes Wort, | woraus ich schließen kann, daß ich Dir noch ein bischen Wert bin – ich bin es ++ vielleicht gar nicht – und ich bin glückselig bis über alles! Und bin ich es nicht wert, nun dann bin ich mir auch nichts mehr wert. Leben soll der, den es freut. Ich verzichte auf das Marionettenspiel, wo man mich allseits nur mit Füßen tritt und keiner für einen armen Teufel Gefühl hat. Fallen muß ich, darum bin ich höchstwahrscheinlich geboren worden, we und der liebe Gott muß auch seine Freude haben, wenn er die Menschen quälen kann, so weit es geht. –

Ich bitte Dich, falls Du für mich auf diesen Brief ein gutes oder schlechtes Wort hast, es mir mitzuteilen. Wir reisenFriedrich Strindberg verbrachte die Sommerferien bis zum 20.8.1914 gemeinsam mit dem Direktor seiner Schule, Josef Tschurtschenthaler, in Sexten in Südtirol [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 14.8.1914]. 27. oder 28. oder 29. fort und kommen dann nimmer hierher!! Also ich bitte Dich um baldige Nachricht –
beinahe weinend
Dein Friedrich.

Friedrich Strindberg schrieb am 8. Juli 1914 in Sexten folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Frank Wedekind

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Postkarte an Wedekind vom 27.7.1914 aus Sexten:]


[…] als ich die Kunde von der Verweigerung der Annahme meines letzten Werkleins Deinerseits erfuhr.

Friedrich Strindberg schrieb am 27. Juli 1914 in Sexten folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Kaum habe ich diesen Briefvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.7.1914. rek.rekommandiert, eingeschrieben. aufgegeben, als ich die Kunde von der Verweigerung der Annahme meines letzten Werkleinsnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Friedrich Strindberg an Wedekind, 8.7.1914. Möglicherweise lag dem verlorengegangenen Brief eine von Friedrich Strindberg zuletzt erwähnten literarischen Arbeiten bei [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.5.1914], wie die Formulierung vermuten lässt. Deinerseits erfuhr.

Ich bitte Dich mir nicht weiter zu zürnen, wenn ich Dich ersuche den jetzigen Brief anzunehmen; es ist ein Notschrei aus dem tiefsten Unglück um mat. Hilfe. Nebst einigem/n/, Bitten. Du wirst sehen. Es betrifft mich und meine Großmutter. Falls | Du wirklich nichts mehr wissen willst von mir, so kann ich nichts mehr dafür. Jedem/r/ Mensch ist einmal jung! Ohne Lebensweisheit, noch
Dein
Friedrich.


Sr. Hochgb.
Herrn
Frank Wededkind. München
Prinzregentenst. 50.

Friedrich Strindberg schrieb am 27. Juli 1914 in Sexten folgenden Brief
an Frank Wedekind

27.VII.1914.


Mein lieber Frank!

So sehr peinlich es mir ist, bitte ich Dich vielmals um Entschuldigung, wenn ich Dich von allen Umständen gezwungen ersuchen muß, mir mitzuteilen, ob Du noch geneigt bist, für mich das letzte zu tun!

Die für mich – wie für Dich – so unangenehmen MißverständnisseIn seinem nicht überlieferten Stück „Menschenrecht“ schilderte Friedrich Strindberg unter anderem auch einen Familienvater, der eine Affäre mit einer Kellnerin hatte und porträtierte daneben Wedekinds Münchner Freundeskreis, wie er ihn während seines Aufenthalts Ende 1913 kennengelernt hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]. Als Wedekind einen Erpresserbrief wegen einer angeblichen Affäre mit einer Münchner Kellnerin erhielt, führte er dies auf Friedrich Strindbergs literarische Aktivitäten zurück [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914] und brach den Kontakt zu ihm ab., die aus dem Stück entsprossen, haben noch in ihren Schlußfolgerungen nicht aufgehört. Wie man nur das unreife Stückich mußte gestern vor bei der Lektüre nur lachenFriedrich Strindberg unterpunktete die Zeile („ich mußte […] nur lachen“) und unterstrich die letzten beiden Worte noch zusätzlich. – so mißverstehen kann und so übel deuten konnte, wie alle, alle; außer – mir. Ich habe innerlich damit abgeschlossen; vor 2 Wochen hielt ich noch daran fest und glaubte es druckreif. Heute würde ich es eine Komödie nennen! Dies als mein innerstes Geständnis. |

Weil wir uns entzweiten, wirft mir meine Großmutter als Sündenbock einen Einbruch in meiner Schwester Lade vor. Ich habe eine Uhr gestohlen, andere Dinge geraubt. So sagt sie. Ich schrieb ihrDer Brief Friedrich Strindbergs an Marie Uhl ist nicht überliefert. erst vor 8 Tagen von einer „schurkischen, von der Polizei nicht aufgeklärten Tat“, derenthalben wir uns entzweiten. Sie weiß aber nichts näheres von der Geschichte. Doch weil ich ihr nichts hievon schreib – habe ich also Dir anscheinende den Erpresserbrief geschrieben.

Ich machte Ihr keine Mitteilung von unserem gegenseitigen Verhältnis ober der Affaire, die ich selbst nicht mehr halten kann. MühsamFriedrich Strindberg hatte Erich Mühsam wiederholt Artikel für dessen Zeitschrift „Kain“ zugesandt. Die Korrespondenz ist nicht überliefert. Kurz vor seinem Brief hatte er Erich Mühsam anlässlich einer Theateraufführung von Studierenden von Artur Kutscher in Salzburg persönlich getroffen [vgl. Artur Kutscher an Wedekind, 11.7.1914]. hat mir den Gedanken eingeflößt, ich glaubte ihm nicht; doch er ist in Erfüllung gegangen. Aber ich wollte die alte Frau, die es voraussahMarie Uhl hielt Friedrich Strindbergs Drama „Menschenrecht“, das er ihr vorgelesen hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 9.5.1914], für kompromittierend für Wedekind und dessen Familie [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.5.1914]., nicht kränken. Meine KorrespondenzFriedrich Strindbergs Briefe an Marie Uhl sind nicht überliefert. blieb aufrecht mit ihr, deshalb schrieb ich: „Herr Wedekind spielt da, weilt dort“ u.s.w., was ich | aus den Tageblättern wußte. Daraus nach ein paar Deutungen meines Verhaltens der Schluß: „Mein Haus darfst, d/D/u nie mehr betreten“….

Der Brief liegt bei!

Und nun bitte ich Dich, wenn Du ein bischen für mich Zuneignung über hast, um eines: – Du wirst Dir auch vielleicht denken „wird ein Junge verrückt aufgezogen, wird er auch verrückt“. Und das mag ich nicht werden. 6 Jahre kämpfte ich dagegen, aber es hilft nichts. Ich muß deshalb fort!! Ich wollte es schon seinerzeit, da lernte ich Dich kennenFriedrich Strindberg hatte seinen Vater erst als 16-Jähriger im September 1913 kennengelernt. Er nahm am 14.9.1913 telefonisch in Berlin Kontakt auf und traf sich anschließend dort zwei Tage mit ihm [vgl. Tb].. In keine Stadt will ich, wo mich meine Großmutter gleich hat. Sondern nach Italien oder in die Schweiz. Oder nach Paris ohne Französisch…Weg von Deutschland. Nur fort!! |

Aber daß ich mich nicht hungernd, bettelnd bis zur nächsten Redaktion schleppen muß oder zu Fa/r/au CailleauxHenriette Caillaux, die Frau des französischen Finanzministers Joseph Caillaux, hatte am 5.3.1914 den Chefredakteur des „Figaro“, Gaston Calmette, in der Redaktion der Zeitung erschossen, nachdem dieser gedroht hatte, Liebesbriefe von ihr zu veröffentlichen. Die Presse meldete zum Prozessbeginn: „Paris, 19. Juli. Madame Caillaux wurde heute vormittag in die Conciergerie gebracht, wo sie während der Prozeßverhandlung verbleiben wird.“ [Arbeiter-Zeitung, Jg. 26, Nr. 198, 20. Juli 1914, S. 2] Zuvor war sie im Gefängnis Saint-Lazare inhaftiert. Der Prozess fand großes Interesse in der Presse. Madame Caillaux wurde am 28.7.1914, einen Tag nach Friedrich Strindbergs Brief, aufgrund vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen. (?), die ich besinge, bitte ich Dich, verzeihe mir bitte! um Geld. Ich belästige Dich nicht mehr; und wenn sie Dich fragen, so weißt Du nichts von mir. Du machst Dich mir nicht zum Mitschuldigen, sondern zum Befreier!

Auch bitte ich Dich, mir soviel zu vertrauen, daß niemand es erfährt, woher ich die Mittel habe. EnttschiedenSchreibversehen, statt: Entschieden. komme ich ebenso hier eher um, als dort, wo ich meine Kräfte anspanne, wo ich frei bin. Sonst muß ich eben ohne Deine Hilfe davongehen; denn ich gehe sicher innerhalb der nächsten 8 Tage. Bitte sende mir auch das Geld eventuell mit Namensnennung, postlagernd: Sexten, Pustertal, Tirol.

(In einem Kouvert vielleicht, rekommandierteingeschrieben., oder wie Du glaubst.)

Mit dieser dringenden Bitte grüßt Dich
Dein Friedrich.


[Beilage: Brief von Marie Uhl an Friedrich Strindberg:]


Mondsee 25. Juli 1914


Die noch nicht aufgeklärte „schurkische Tat“ ist“ so haarsträubend gräulich, wie der Einbruch in Kerstinens Kiste u. der Raub ihrer schönen Stehuhr u. weiterer Dinge……diese beiden „Taten“ sind nicht mit einem „ist schon wieder verziehn“ abgetan, sie verdienen exemplarische Strafe – dein Vater muß erfahrenMarie Uhls Ankündigung, Wedekind zu informieren, ist nicht durch weitere Korrespondenzstücke belegt. Sie mag jedoch Friedrich Strindberg bewogen haben, den Brief der Großmutter an ihn zu seiner Entlastung dem Schreiben an Wedekind beizulegen. wer sein Sohn ist – nicht allein minderwertig, nein, ein Verbrecher! Ein Nichtswürdiger! Ein andrer Räuber schont die Seinigen u. seine Woltäter, während bei diesem Schurken es sein | seinaufgrund des Seitenwechsels versehentlich wiederholtes Wort. nächstes Ziel ist das zu vollbringen. Beim geliebten Vater, bei der lieben GroßiKosename für: Großmutter.!!! der Großi, die alles für ihn getan, dem Vater, der Alles für ihn tun wird! der ihn mit so liebevollen Armen aufgenommen, der ihm sein ganzes Herz geschenkt, der vor Liebe u. Freude halbtoll geworden ist. So! Und warum, für was? Du hattest mir Alles mögliche verrechnet….nur den Hauptzweck nicht….also dafür. O du elender Wicht! Für’s Laster verkaufst Du Alle u. Alles. | Der Beweis, daß ich Dir nicht unrecht tue, ist: Du hast mir nie gesagt, daß es sich um eine schurkische Tat handle, u. hast mich immer glauben machen wollen, Du stündest in Beziehungen mit H. W. Nichts als Lug u. Trug – wofür? Damit ich nicht erfahre, daß Du ein Dieb bist, u. im trüben fischen kannst. Du wagtest nicht mir das zu sagen, weil Du weißt, daß ich sofort die Wahrheit gewußt hätte – – – aber nun – – – mein Haus darfst du nie mehr betreten, wagst Du es dennoch, so liegst Du auch schon im Zuchthaus, denn ich habe leider! aus dem Hause Jemanden des Einbruchs falsch beschuldigt. Wie konnt ich denken, daß mein eigener Enkel der Räuber ist. Ich kann u. darf’s deinem Vater nicht verschweigen, das hieße Dein Verbrechen unterstützen u. Dir freien LaufpassEntlassungsschein beim Militär; „freien Laufpass geben“ hier für: ermöglichen. geben zu weiteren „Taten“. 10 Kronen für Fischerei bekommst Du nicht. Meinst Du, ich werde zugeben, daß Du dieselben NiederträchtigkeitenZusammenhang nicht geklärt. machst wie voriges Jahr mit den armen Fischen? Ich verbiete] Schreibversehen, statt: verbitte. mir, daß Du mir nochmals schreibst. Ich habe nichts mehr mit Dir zu schaffen.

Frank Wedekind schrieb am 29. Juli 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 30.7.1914 aus Sexten:]


Ich danke Dir recht herzlich für Deinen Brief […]

Friedrich Strindberg schrieb am 30. Juli 1914 in Sexten folgenden Brief
an Frank Wedekind

Sexten, 30.7.1914.


Mein lieber Frank!

Ich danke Dir recht herzlich für Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 29.7.1914. Wedekind hatte nach dem Kontaktabbruch zu seinem Sohn Anfang Mai dessen letzten Brief vom 27.7.1914 umgehend beantwortet, vermutlich um Friedrich Strindbergs Vorhaben, die Schule zu verlassen und sich ins Ausland abzusetzen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.7.1914], noch rechtzeitig zu verhindern., der mich von meinem festen Vorsatze abbringt. Wer weiß, wie es mir draußen ergangen wäre! Mit meinem Herrn Direktor stehe ich auf ganz gutem Fuße, besonders seit ich bei ihm über die FerienFriedrich Strindberg verbrachte die Sommerferien von Ende Juni bis zum 20.8.1914 gemeinsam mit dem Direktor seiner Schule, Josef Tschurtschenthaler, in Sexten in Südtirol [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 14.8.1914]. verweile; auch daß ich bei der letzten Prüfung über das Jahr der beste seiner Schüler war, trägt dazu bei.

Laß mich Dir für Deinen Vorschlag einer Aussprache von ganzem Herzen danken. Wir bleiben hier in Sexten bis Mitte August | und reisen dann nach Salzburg. Doch bin ich auch in Salzburg noch freiIn Salzburg besuchte Friedrich Strindberg als Internatsschüler die private Lehr- und Erziehungsanstalt für Schüler der Mittelschulen von Prof. Josef Tschurtschenthaler., da unsere Schule erst 18. September beginnt.

Zur Zeit unseres letzten Aufenthaltes (Mühsams und mirFriedrich Strindberg hatte Erich Mühsam am 11.7.1914 anlässlich einer Theateraufführung von Studierenden von Artur Kutscher in Salzburg getroffen [vgl. Artur Kutscher an Wedekind, 11.7.1914].) bat ich Herrn Mühsam um Rat. Er sagte, erst dann könne ich hoffen, wenn ich das unselige StückWegen Friedrich Strindbergs Stück „Menschenrecht“ (nicht überliefert) war es zum Zerwürfnis mit seinem Vater gekommen, als Wedekind einen Erpresserbrief erhielt, den er mit Handlungselementen des Stücks in Verbindung brachte und seinen Sohn dafür verantwortlich machte [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 8.5.1914]. selbst fallen lasse. Ob innerenr Gründen! Und das ist der Fall.

Indem ich Dir nochmals für Deine Einladung und noch mehr für Deinen Rat danke, den ich gern befolge, grüßt Dich
Dein
Friedrich Strindberg

Friedrich Strindberg schrieb am 14. August 1914 in Sexten folgenden Brief
an Frank Wedekind

Sexten 14. August. 1914.


Mein lieber Frank!

Heute, da so große UnruhenMit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien am 28.7.1914 begann der 1. Weltkrieg. jeden besseren schnelleren Verkehr untergraben, bitte ich Dich, daß Du so gut sein wolltest und Du die Zeit unseres Wiedersehens bestimmen möchtest. Für den Vorschlag einer AusspracheFriedrich Strindberg hatte in seinen Briefen mehrfach um eine Aussprache mit seinem Vater gebeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 9.5.1914 und 14.5.1914], nachdem es Anfang Mai zum Zerwürfnis gekommen war. Wedekind brach den Kontakt zu seinem Sohn jedoch stattdessen ab. In seinem Brief vom 29.7.1914 hatte er dann offenbar eine „Einladung“ dazu ausgesprochen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.7.1914]. Zwischenzeitlich hatte Wedekind sich mit Joachim Friedenthal beraten: „HTR mit Friedenthal. Wir sprechen über ‚Menschenrecht‘“ [Tb, 11.8.1914]. Kurz darauf zeigt er ihm vermutlich den vorliegenden Brief Friedrich Strindbergs: „Friedenthal zu Tisch Spaziergang mit ihm. Ich zeige ihm Brief von Fr. Strbg.“ [Tb, 16.8.1914] bin ich Dir um so dankbarer, als es mein längstgehegter Wunsch war und er mich vor/n/ einer nicht ganz überlegten Tat – nämlich durchzubrennen – | abhielt. Hoffentlich ist mein Dankesbriefvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.7.1914. Tatsächlich datierte Friedrich Strindberg den Brief nicht wie hier auf den 29.7.1914, sondern auf den Tag darauf., datiert von 29. Juli nicht verlorengegangen, wie viele andre Postsendungen der letzten Zeit!

Um also jede Unsicherheit der Zeit über unsere Begegnung zu vermeiden, bitte ich Dich, (da ich annehmen muß, daß sich unter den jetzigen politischen Verhältnissen auch Deine Zeitverfügungen geändert haben) mir den Tag unserer Zusammenkunft zu bestimmen. Unsere Schule dürfte erst etwas später, Ende September beginnen.

Mit meiner Großmama stehe ich | etwas besser. Doch bewahrheitete sich meine Ansicht, daß s/S/ie mir sofort die ErpressungWedekind erhielt Anfang Mai einen anonymen Erpresserbrief wegen einer angeblichen Affäre mit einer Münchner Kellnerin [vgl. Unbekannt an Wedekind, 4.5.1914; Wedekind an Friedrich Strindberg. 8.5.1914]. Er führte dies auf Friedrich Strindbergs Stück „Menschenrecht“ zurück und nahm offenbar an, es sei als Schlüsseldrama gelesen worden. in die Schuhe, schob. „Es ist ein Komplott, von mir angeregt, um mit der Summe die Drucklegung meines geheimnisvollen Dramas –“ meine Großmama weiß nicht, daß es das lächerliche „Menschenrecht“ ist – „zu bewerkstelligen“.

Im Anschluß daran wird mir selbst mein Stück immer – ich muß es gestehen – eckelhafter: Das Stück selbst und die Folgen und ich danke Dir, daß Du mir dennoch eine Aussprache gewährt hast. Wir bleiben hier in Sexten bis 20. Dann reisen wir nach Salzburg. Ich | weiß noch nicht, ob mich Großmama zu sich kommen läßtMarie Uhl hatte ihrem Enkel in ihrem Brief vom 25.7.1914 das Haus in Mondsee verboten: „mein Haus darfst du nie mehr betreten“ [Beilage zu Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.7.1914].. Auch über den Ort unserer Aussprache bitte ich Dich zu verfügen, da Dir Zeit und Dauer (von mehr) wohl weniger zur Verfügung stehen als mir. Auch freue ich mich, mich Dir anvertrauen zu können, daß wir uns hoffentlich wieder etwas näher kommen. Näher in Liebe und Freundschaft.

Auf ein fröhliches Wiedersehen mit Handküssen an die gnädige Frau und vielen Grüßen an die lieben Kleinen
in Liebe Dein
Friedrich.

Frank Wedekind schrieb am 24. August 1914 in München folgenden Brief
an Friedrich Strindberg

24.8.14


Mein l/L/ieber Friederich. Unsere ZusammenkunftWedekind hatte sich zuletzt zu einem Treffen mit seinem Sohn bereit erklärt, um sich über das seit Anfang Mai andauernde Zerwürfnis wegen Friedrich Strindbergs Drama „Menschenrecht“ auszusprechen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.7.1914]. Friedrich hatte ihn um eine Festlegung von Termin und Ort des Treffens gebeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 14.8.1914]. kann jetzt leider nicht stattfinden. Der Krieg hat mich meiner sämmtlichen Einkünfte beraubt; deshalb habe ich vorderhand wichtigere Dinge zu thun. Außerdem kann ich mir ein „fröhliches Wiedersehen“, wie Du dich ausdrückst schreibstvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 14.8.1914. nicht gut mit jemandemvon Wedekind umgestellt, ursprünglich: mit jemandem nicht gut. vorstellen der in seinen Arbeiten das höchste Maß nur/von/ Bosheit und Gehässigkeit zum Ausdruck bringt, das jemals gegen mich aufgewandt wurde. Ich halte eine Aussprache aber für notwendig, da ich dich über gewisse Irrtümer aufklären muß, die die durchaus unrichtigen unzutreffenden Voraussetzungen Deiner Arbeit bilden. Zum Schluß bitte ich Dir/ch/, dir in deinen an mich gerichteten Briefen an Mich „Handküsse“ an eine Dame zu ersparen, die Du in der gemeinsten Weise verdächtigt hastFrank Wedekind erkannte in der Darstellung der Figur „Frieda“ in Friedrich Strindbergs Drama „Menschenrecht“ seine Frau Tilly Wedekind wieder [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.9.1914]..

Mit bestens G/g/rüßend

Dein

Frank Wedekind

Friedrich Strindberg schrieb am 11. September 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg, 11. September.


Lieber Frank!

Du teilst mir in Deinem letzten Briefevgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 24.8.1914. mit, daß unsere ZusammenkunftWedekind hatte das zugesagte Treffen mit seinem Sohn, um sich über das seit Anfang Mai andauernde Zerwürfnis wegen Friedrich Strindbergs Drama „Menschenrecht“ auszusprechen, in seinem letzten Brief auf unbestimmte Zeit verschoben [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 24.8.1914]. nicht stattfinden könne. Auch mir wäre eine Aussprache sehr erwünscht gewesen, da ich Dich gerne über die näheren Entstehungsgründe des „Menschenrecht“ aufklären wollte.

Es wäre tatsächlich zu weitläufig, wollte ich die ganze Auseinandersetzung zu Papier bringen. Aber ich bitte Dich | mir Glauben zu schenken, wenn ich Dich versichere, daß meine Frieda nicht Deine gnädige Frau g/G/emahlin ist. Eine solche Verdächtigung ist mir nicht im Sinne gelegen und ich faßte auch Deine Worte zu OsternFriedrich Strindberg hatte am Wochenende vor Ostern seinen Vater in München besucht und ihm am 5.4.1914 aus seinem Stück vorgelesen: „Unterredung mit Friedrich Strindberg. Ich bestelle ihn in den Ratskeller. Mit Friedrich Strindberg im Ratskeller. Er liest mir sein Drama ‚Menschenrecht‘ vor.“ [Tb] als Scherz auf: „meine Frau, die du Frieda nennst…“

Bei unserer Aussprache wäre mir in erster LienieSchreibversehen, statt: Linie. daran gelegen, Dir m/D/eine Überzeugung von meiner Bosheit und Gehässigkeit zu nehmen. Denn nicht als dies darfst Du „Menschenrecht“ werten, sondern | als ein Werk jugendlichen Übermutes und mißlungener Phantasie. Daß ich es heute nicht mehr aufrecht halten kann und ich mich seiner schäme, ja die „Verkörperungen“In einem früheren Brief hatte Friedrich Strindberg seinem Vater berichtet, dass er bei der Figurengestaltung seines Dramas „Menschenrecht“ sich an Wedekinds Münchner Freundeskreis orientiert habe, den er bei seinem Besuch Ende 1913 kennengelernt hatte, und dabei „von den Personen, die ich mir verkörpert dachte, Redewendungen“ [Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914] übernommen habe. , mit den Reden für gänzlich unstatthaft halte, sei Dir Beweis. Du warst ja auch einmal in diesem Alter und wirst wissen, wie wenig man da von der Tragweite dieses oder jenes Wortes weiß, bis man sich nicht einmal den Kopf blutig gehauen! – Wie ich jetzt.

Und nun bitte ich Dich, mir zu schreiben, was Du denkst – über mich. Ich glaube, daß eine solche Verständigung und mein offenes Gereständnis | uns vielleicht wieder etwas näher bringen können. Wie ich glaube muß ja alles im Leben erkämpft werden; ich hoffe, daß es mir auch noch gelingen werde, Deine Freundschaft zu erringen. Umso mehr, da Du mich jetzt verlassen und verstoßen – als Bruder des Teufels – von meiner Großmama siehst. Ich habe sie 5 mal um Verzeihung gebeten – aber nein…. Auch ihr waren die verschwiegenen Folgen des Stückes zu viel.

Und mit der Bitte mich jetzt nicht geistig zu verlassen,
grüßt Dich
Dein Friedrich.

Frank Wedekind schrieb am 17. September 1914 in München folgenden Brief
an Friedrich Strindberg

17.9.14Am 17.9.1914 notierte Wedekind im Tagebuch: „Bleibe zu Hause. Brief an Friedrich St.“

Lieber Friedrich Strindberg

Zwei Gründe hindern mich deine Zeilen vom 11.9vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.9.1914. ausführlich zu beantworten, erstens der Umstand, daß ich den Brief offenBriefe ins Ausland durften im Deutschen Reich aufgrund der kriegsbedingten Postüberwachung mit Kriegsbeginn am 28.7.1914 nur unverschlossen verschickt werden, um Kontrollen zu ermöglichen. senden abschicken muß zweitens der Zweifel ob Dir sein Inhalt nicht nur wieder dazu dient, Dich schriftlich oder mündlich über mich lustig zu machen mich nachzuäffen. Du schreibst aber: „Ich hoffe, daß es mir auch noch gelingen werde, Deine Freundschaft zu erringen.“ Darin lege ich Dir nichts in den Weg. Nur wäre es wol ratsam dabei nicht mit den den sehr anfechtbaren Behauptungen deiner FamilieFriedrich Strindberg hatte in seinem letzten Brief berichtet, dass seine Großmutter ihn als „Bruder des Teufels“ [Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.9.1914] betrachte. Daneben hatte sie ihn des Diebstahls und der Erpressung bezichtigt [vgl. Beilage zu Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.7.1914 und 14.8.1914]. zu rechnen, sondern lieber damit mit den Grundbedingungen jedes anständigen Verkehrs/e/s

Das Verhalten Deiner GroßmutterMarie Uhl hatte ihren Enkel auf immer des Hauses verwiesen [vgl. Beilage zu Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.7.1914]. ist sicher nur durchaus verständlich. Sie legt Deine Erziehung aus der Hand nachdem sich/e/ sich in einer Weise derart hintergangen sieht,Friedrich Strindberg hatte seiner Großmutter das seit Anfang Mai 1914 bestehende Zerwürfnis mit Wedekind wegen seines Dramas „Menschenrecht“ verschwiegen, nicht zuletzt, da der Konflikt von ihr vorausgesehen worden war [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.7.1914]. daß sie nicht mehr weiß was sie tun soll. |

Die Überzeugung von Deiner Bosheit und Gehässigkeit kannst du mir durch keinerlei Aussprache nehmen und wenn sie drei Tage dauert, sondern nur da durch dein Verhalten mir gegenüber daß du mir gegenüber die Achtung bezeugst die jeder anständige Mensch vor dem andern wahren muß

Infolge der Veränderungen, die der Krieg mit sich brachte ist es mir jetzt leider nicht/un/ möglich dich nach München einzuladen. Vielleicht komme ich in den nächsten WochenZu einem Treffen zwischen Wedekind und Friedrich Strindberg in Salzburg kam es am 26. und 27.9.1914 [vgl. Tb]. einmal nach Salzburg. Ich werde Dich dann rechtzeitig benachrichtigen.

Friedrich Strindberg schrieb am 22. September 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Du weißt, wieviel mir immer seit wir uns kennenFriedrich Strindberg hatte mit seinem Vater am 14.9.1913 in Berlin Kontakt aufgenommen und sich daraufhin mit ihm getroffen: „Fritz Uhl telephoniert mich an. Wir lernen uns kennen.“ [Tb] und bevor ich Dich kennen lernte an m/D/einer Freundschaft gelegen ist. Und ich kann den Vorwurf der „Nachäfferei“vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 17.9.1914. nicht zurückweisen. Ich habe mich so während der kurzen Zeit, da wir uns kennen, in Dich hineingelebt; Du hast mich in allem und jeden so beeinflußt, wie Du es am besten im „Triton“Das nicht überlieferte Stück hatte Friedrich Strindberg seinem Vater während seines Weihnachtsbesuchs in München vorgelesen: „Fritz liest sein Drama Triton vor“ [Tb, 26.12.1913]. an manchen Stellen siehst. Daß ich Dich unbewußt dann viel nachahmte, ja in meinen Briefen an Dich, bitte ich Dich mir nicht | anzurechnen.

Lieber Frank, du sprichst von den Behauptungen unserer FamielieSchreibversehen, statt: Familie., nämlich meiner und meiner Mutter Famielie. Ich erfahre und muß es erst heute hören, noch dazu von Dir, daß sie anfechtbarWedekinds Bemerkung von „den sehr anfechtbaren Behauptungen deiner Familie“ [Wedekind an Friedrich Strindberg, 17.9.1914] war vermutlich eine ironische Replik auf den Vorwurf von Friedrich Strindbergs Großmutter, ihr Enkel sei ein „Bruder des Teufels“ [Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.9.1914]. Friedrich Strindberg bezieht die Bemerkung seines Vaters hier überraschenderweise auf seinen Status als dessen Sohn. sind. Würde ich mich nach meinem „Menschenrecht“Figurenzeichnung und Handlungselemente in Friedrich Strindbergs Drama „Menschenrecht“ (nicht überliefert) führten zum Zerwürfnis mit seinem Vater, der das Stück als Schlüsseldrama verstand. Insbesondere in der Figur Frieda erblickte Frank Wedekind ein kompromittierendes Porträt seiner Frau Tilly Wedekind [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 24.8.1914; Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.9.1914]. schämen, Deiner gnädigen Frau Gemahlin ohne Entschuldigung meines Verhaltens unter den Augen zu erscheinen, so muß ich Dich bitten mir zu glauben: Ich kenne mich nicht mehr aus. Und das fasse bitte nicht als Achtungslosigkeit auf; nein! 15 Jahre glaubte ich dies; Frank, was kann ich hiefür, wenn ich Dir dann freudig in die Arme lief. | Ich weiß über meiner Mutter LebenFriedrich Strindberg wuchs in der Obhut seiner Großmutter Marie Uhl auf und hatte zu seiner Mutter Frida Strindberg nur sporadisch Kontakt. Mit ihrer Übersiedlung nach London 1908 brach er vollends ab. nichts, nicht soviel als ein Sohn wissen sollte. Und höre dann von fremden Leuten Vorwürfe, die ich Dir bei unserer Zusammenkunft erzählen werde. Was verschuldet von meiner Mutter wurde. –

Und ich hörte aus Deinem Munde nie einen Vorwurf; Du nahmst mich in Dein Haus auf, und ich vergalt es in einem halben Jahre so –. Und daß Du mirch dennoch nicht verläßt und mir Gelegenheit gibst, Deine Freundschaft wieder zu erringen, danke ich Dir tief. Insbesondere, da ich erst jetzt von Tag zu Tag immer mehr einsehe, was das „Menschenrecht“ enthielt.

Am 1.am Donnerstag, den 1.10.1914. beginnt unsere Schule. | Ich habe da immer Samstag, Sonntag Zeit, kann mich aber auch sonst durch die Güte des Herrn Direktor freimachen am Nachmittag. Ich danke Dir sehr, daß Du trotz der jetzigen Umstände mich besuchenWedekind traf sich ein Wochenende lang mit Friedrich Strindberg in Salzburg. Am 26.9.1914 notierte er: „Fahrt nach Salzburg. Hotel de l’Europe. Treffe Friedrich Strindberg bei Tisch. Mittag in der Traube. Spaziergang auf den Mönchsberg Aussprache. Hohensalzburg. Theaterkafe Augustiner Bräustüble. Peterskeller Cafe Tomaselli“ [Tb]. Und tags darauf, am 27.9.1914: „Friedrich weckt mich Frühstück im Hotel Spaziergang. Mittag in der Traube. Fahrt nach Hellbrunn Steintheater. Café Krimel Abendessen im Bahnhof. Rückfahrt.“ [Tb] wirst.

Und nun zum Schlusse bitte ich Dich die Versicherung entgegen nehmen zu wollen, daß ich alles was ich kann, tun werde, um Deine Freundschaft wieder zu erlangen. Und wenn Dir in meinen Briefen unbedachtsame Stellen unterkommen, so bitte ich Dich inständig sie zu entschuldigen.

Mit Liebe
Dein dankschuldiger

Friedrich.


Salzburg, 20/2/. September 1914.

Friedrich Strindberg schrieb am 25. Oktober 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg, 25.10.1914.


Mein lieber Frank!

Nicht wahr, Du bist mir nicht böse, daß ich Dir solange nicht schrieb. Also Neues: auf meine Anfrage, ob man geschlossene Pakete ins AuslandAufgrund der kriegsbedingten Postüberwachung durften Postsendungen ins Ausland seit dem 25.7.1914 in Österreich nur unverschlossen verschickt werden, Paketsendungen zudem keine schriftlichen Mitteilungen enthalten. schicken dürfte erfuhr ich: nein! Bitte wolltest Du mir mitteilen, ob ich Dir das „Menschenrecht“ offen sendenFriedrich Strindberg hatte Wedekind angeboten, ihm sämtliche Manuskripte und Abschriften seines Stücks „Menschenrecht“ (nicht überliefert) zu überlassen, nachdem es wegen Handlung und Figurengestaltung im Stück zum Konflikt mit seinem Vater gekommen war, der sich und seine Familie kompromittiert sah, würde das Drama veröffentlicht [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.5.1914 und 9.5.1914]. soll oder es Dir bei unserer nächsten Zusammenkunft übergeben könnte.

An meinem StückVermutlich handelt es sich um das Stück, das Friedrich Strindberg unter dem Titel „Epiphania“ konzipierte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.5.1914]. arbeitete ich in der letzten Zeit nicht sehr viel. | Das Lernen ist mir wichtiger, als die Überhudlungvon österreichisch „hudeln“: übereilt und mit mäßiger Sorgfalt vorgehen. im Schreiben. Auch denke ich viel zuerst herum, bis ich es niederschreibe. 5 Akte, 25 Szenen bitte erschrick nicht. Bitte würdest Du mir gestatten, es Dir bei unserer nächsten Zusammenkunft, wenn es auch bis dahin lange wäre, zu übergeben. Ich hoffe, daß das Stück d/D/ir gefallen werde, wenn es auch ganz aus der Art geschlagen ist. Zum Vorbild war mir, was ich über Shakespeare las und nicht was ich bei ihm fand. Denn ich muß gestehen, daß ich mit seinen Werken ebenso wie mit denen Schillers auf denkbar | schlechtestem Fuße stehe. Und auch hütete ich mich soviel als möglich VerkörperungenIn seinem Stück „Menschenrecht“ hatte Friedrich Strindberg etliche Personen aus Wedekinds Münchner Freundeskreis in seinen Figuren ‚verkörpert‘ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914], so dass es in den Augen Wedekinds den Charakter eines Schlüsseldramas bekam, den er missbilligte. zu „machen“; ich setzte allerdings einem früheren Freund ein Denkmal und der liebe PaterVermutlich der Inspektor der Stiftskellerei Pater Leander Itzlinger [vgl. Salzburgischer Geschäfts-, Volks- und Amts-Kalender 1913, S. 110]. vom PeterskellerDer Stiftskeller St. Peter ist ein traditionsreiches Weinlokal und Restaurant in der Benediktinerabtei St. Peter in der Salzburger Altstadt. Wedekind besuchte es, als er sich mit Friedrich Strindberg in Salzburg traf [vgl. Tb, 26.9.1914]. diente mir zu einem „Bruder Martin“Figur aus Goethes Drama „Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand“ (1773)., wie ihn Goethe darstellt, allerdings mit neueren Ideen, wenn nicht älteren.

Lieber Frank, wie geht es Dir immer. Wir (hierzun) hierzulande begeistern uns alle um kein schlechtes Beispiel zu bieten an der Haltung der deutschen SozialdemokratenNachdem die SPD zu Beginn des Ersten Weltkriegs noch zu Massendemonstrationen gegen den Krieg aufgerufen und sich für eine Friedenspolitik eingesetzt hatte, stimmte sie am 4.8.1914 im Reichstag den zur Kriegsführung benötigten Kriegskrediten zu und schlug sich unter der gemeinsamen Parole ‚Gegen den Zarismus‘ auf die Seite der Kriegsbefürworter. In der Presse wurde dieser Schritt in der Folge in zahlreichen Beiträgen gerechtfertigt, so auch kurz vor Friedrich Strindbergs Brief. Philipp Scheidemann schrieb: „Wir in Deutschland hatten die Pflicht, uns gegen den Zarismus zu wehren, hatten die Aufgabe zu erfüllen, das Land der am meisten entwickelten Sozialdemokratie zu schützen vor der drohenden Knechtschaft durch Rußland. […] Ein von dem Zaren geknechtetes Deutschland hätte die sozialistische Bewegung der ganzen Welt, nicht nur die Deutschlands, um Jahrzehnte zurückgeworfen.“ [Arbeiter-Zeitung, Jg. 26, Nr. 293, 22.10.1914, S. 4] Die gleiche Zeitung druckte „Das Testament eines sozialdemokratischen Kriegers“ ab, in dem es hieß: „Und nun zur neuen Aufgabe: Es gilt dem Despotismus und Zarismus. Es geht aufs Ganze, bis zur vollständigen Vernichtung. Es gilt unsere und auch unserer russischen Volksgenossen Befreiung von diesen Blut- und Henkersknechten. […] falle ich in diesem Ringen, so kann ich mir keinen schöneren Tod denken: Mit dem Volk, für das Volk! Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein!“ [Arbeiter-Zeitung, Jg. 26, Nr. 295, 24.10.1914, S. 5], von denen einer mir gegenüber äußerte: er hät|te es in unseren Zeiten nicht für möglich gehalten, daß noch ein so großes „Viehschlachten“ stattfinden könne. Aber es handelt sich ja um die Freiheit der russischen Brüder, um ihnen zu zeigen, daß sie es unter deutscher Herrschaft besser haben könnten.

Nicht wahr, Du zürnst mir nicht, wenn ich den Versuch unternehme nahe an Dich heranzukommen, daß Du keine bitteren Gedanken mehr hast, wenn wir das nächste mal uns wiedersehen.

Und in dieser Hoffnung grüßt Dich
Dein
Friedrich.

Friedrich Strindberg schrieb am 30. November 1914 in Bad Ischl folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Ich sitze hier am Bahnhof und warte den Nachtzug ab. Mein StückVermutlich handelt es sich um das Stück, das Friedrich Strindberg unter dem Titel „Epiphania“ konzipierte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.5.1914]. habe ich vollendet und im Köfferchen liegt es neben einer Hose, neben 2 Hemden, 2 Unterhosen u. s. w.

Es ist wahr: ich bin durchgebrannt und habe 2 KameradenIdentitäten nicht ermittelt. mit mir gerissen. 16 Kronen als Rest von 20 in der Tasche, gespendet von einer mitleidigen DameIdentität nicht ermittelt.. So gehts in die Welt hinaus. Wo ist meine Welt? – Ich weiß es nicht. Es geht um meine kleine Existenz.

Wir Menschen haben ein kurzes Leben und jeder Augenblick ist darin kostbar, jeder verleidete Moment ein unersetzlicher Verlust. Darum bin ich davon. Ich zweifle sehr, daß es mir gut gehen wird; aber wir glauben alle unverwüstlich zu sein.

Mit Recht oder Unrecht | kann niemand entscheiden. Ich schreibe Dir, liebster Frank, nicht, wohin ich reise. Ich möchte Dich nicht zum Mitschuldigen machen. Aber schon gehn. meine liederlichen Gedanken mir durch und ich kann nur hoffen, nur hoffen. Es wirkt mit der Zeit jämmerlich, ewig den Unschuldsengel zu spielen, wie ich es tat. Aber die Zukunft ist groß. U. noch recht herzl. Grüße Dein Strindberg.


Snr. Hogb.

Herrn F. Wedekind.

München.

Prinzregentenst. 50.

Friedrich Strindberg schrieb am 1. Dezember 1914 in Wien folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Du wirst meine gestrige Kartevgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.11.1914. aus IchlSchreibversehen, satt: Ischl. erhalten haben. Nun bin ich nach Wien gekommen und bemühe mich irgendwo unterzukommen. Ich fragte schon bei H. Kraus an und erwarte seine Antwort: wo ich ihn sprechen könne. Im Inst. Tschth. war es nicht mehr zum Aushalten. Zu dritt sind wir davon. Warum es nicht mehr zum aushalten war, will ich Dir gern später auseinandersetzen. Zurück gehe ich auf keinen Fall. Lieber noch verhungern! Ich stehe ratlos hier in Wien. Wenn Du mir einen Rat zukommen könntest lassen, vielleicht eine Empfehlung an irgendeinen Deiner so vielen | Bekannten, wäre ich Dir sehr, sehr dankbar. Bitte wolltest Du mir vielleicht an H. S. WörnhartUnter der genannten Adresse verzeichnet das Wiener Adress-Buch: Josef Wörnhart, Rechnungsrat an der statistischen Zentralkommission [vgl. Lehmanns Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger für Wien 1914, Bd. 2, Teil VII, S. 1521]. Möglicherweise hatte Friedrich Strindberg Sepp Wörnhart im Jahr zuvor in Salzburg bei dessen Vortrag im Gartensaal der Sternbrauerei zu einer Sedanfeier des alldeutschen Wählervereins am 2.9.1913 oder beim Salzburger Turnverein am 12.9.1913 kennengelernt [vgl. Salzburger Volksblatt, Jg., 43, Nr. 196, 28.8.1913, S. 6 und Nr. 206, 10.9.1914, S. 8]. schreiben, Wien III. Ungargasse 25/52/, den ich hier getroffen habe und der mir sicherlich Deine Antwort zukommen läßt. Nicht wahr, Du verläßt mich jetzt nicht, es grüßt Dich herzlich

Dein Fried. Strindberg


Snr. Hwgb.

Herrn

Frank Wedekind

München

Prinzregentenst. 50.

Friedrich Strindberg schrieb am 20. Dezember 1914 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg, 20.XII.1914.


Mein lieber Frank!

Nun habe ich bereits aus der Zeitung erfahrenDie Presse meldete: „Aus München, 11. d. M. wird uns telegraphiert: Frank Wedekind, der vor kurzem an einer leichten Blinddarmentzündung erkrankt ist, befindet sich auf dem Wege der Besserung. Er dürfte schon in einigen Tagen das Bett verlassen.“ [Oesterreichische Volks-Zeitung, Jg. 60, Nr. 343, 12.12.1914, S. 6] Wedekind notierte in seinem Tagebuch erste Symptome (3.12.1914: „Leide stark an Blähungen. Versuche mir den Leib zu massieren.“ 4.12.1914: „Bauchmuskulatur entzündet.“ 5.12.1914: „Bleibe zu Bett. Hofrat von Skanzoni kommt am Abend“) und schrieb dann über die Seiten vom 6. bis 11.12.1914 und vom 13. bis 23.12.1914: „krank“. Am 29.12.1914 folgt der Eintrag: „Werde mit dem Sanitätswagen in die Klinik gebracht und operiert.“, daß es Dir mit der Blinddarmreizung besser geht. Ich will Dich nicht mit den Gründen belästigen, weshalb ich Salzburg auf 7Friedrich Strindberg war am 30.11.1914 mit zwei Mitschüler aus seinem Salzburger Internat getürmt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.11.1914] und über Bad Ischl nach Wien gefahren. In seine Schule war er demnach am 6.12.1914 zurückgekehrt. Tage verließ – nur kannst Du sicher sein, daß es nicht grundlos und am wenigsten folgenlos war. Bei meiner Ankunft in Wien stand ich am Westbahnhof mit 20 Heller Barschaft. Eineinhalbtägiges Hungern brachte mich dazu mein StückVermutlich handelt es sich um das Stück, das Friedrich Strindberg unter dem Titel „Epiphania“ konzipierte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.5.1914]. Während er im vorliegenden Brief die Übernahme des Titels seines Vorgängerdramas, „Menschenrecht“ erwog, nennt er später den Titel „Kampf“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.2.1915]. Einzelne Szenen dieses Stücks hatte er Wedekind bereits bei dessen Besuch in Salzburg am 26. und 27.9.1914 gezeigt (siehe unten). Ausgearbeitet hat er das Stück aber erst im November [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 25.10.1914] und berichtete am Ende des Monats von seinem Abschluss [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.11.1914]. irgendjemandem – der es brauchen könne – zu veräußern. Von meinen besseren Bekanntennicht ermittelt. waren die wenigsten hier. Der eine eingerückt, der zweite verreist und mein Freund, bei dem ich die erste Nacht übernachtete, krank. Ihm meine finanziellen Schwierigkeiten mitzutenSchreibversehen, statt: mitzuteilen. hatte ich nicht im Sinne. So hungerte und fror ich tüchtig und lernte im Allgemeinen mehr Menschen kennen, als in anderen Umständen vielleicht in einem Jahre. Ich muß aufrichtig gestehen: obwohl ich die Folgen meiner „Untat“die einwöchige Flucht aus dem Salzburger Internat am 30.11.1914. zu wenig bedachte, bin ich froh, sehr froh sie begangen zu haben. Schaden war mir immer der beste Lehrmeister. Von meiner Großmama bin ich für Weihnachten eingeladen und ich werde höchstwahrscheinlich Donnerstagden 24.12.1914. 5.15 h. abreisen. (Nach Mondsee.) Auf eine Woche.

Im Wiener BurgtheaterFriedrich Strindberg besuchte am 3.12.1914 im Burgtheater einen Abend mit drei Stücken. Gespielt wurden Wedekinds „Der Kammersänger“ mit Georg Reimers als Gerardo und Anna Kallina als Helene Marowa; Artur Schnitzlers Lustspiel „Literatur“ und Felix Saltens Komödie „Auferstehung“ mit Harry Walden als Konstantin Trübner. Die Vorstellung begann um 8.30 Uhr, wie der Theaterzettel [zugänglich in: https://anno.onb.ac.at] ausweist. sah ich den „Kammersänger“ mit Herrn Reimer – ich glaube wenigstens – als Gerardo. Frl. Kallina als Helene. Das Spiel war meiner Ansicht nach – wenn meine Ansicht in Betracht kommt – nicht gut. Es fehlte D/d/as innere Verständnis | für die Figur und die irrigen Ansichten Gerardos über Kunst bringt R. so hervor, daß das Publikum sie für Deine hielt, so wie ich mich durch Fragen meiner liebenswürdigen Nachbarinnicht ermittelt. überzeugte. Sehr stark ergriff mich Saltens „Auferstehung“, eine prachtvolle Komödie. Harri Walden spielte die Hauptrolle besser als sie irgendein andrer spielen könnte. Schnitzlers „Literatur“ zeigte dem Publikum, was man unter Literatur nicht verstehen solle und das Pup/b/likum verstand das Mißverständnis. Und dann Herrmann Bahrs „Querulant!“Während Friedrich Strindbergs Wien-Aufenthalt wurde Hermann Bahrs Komödie „Der Querulant“ zweimal am Theater in der Josefstadt gespielt, am 2. und 4.12.1914. Es waren die 26. und 27. Aufführung des erfolgreichen Dramas in der Besetzung mit Hansi Niese, Gisela Werbezirk, Willi Thaller und Josef Jarno, das dort am 30.10.1914 Premiere hatte. So viel ich erfahren konnte, ist das Stück Dir zugeeignetDie Widmung lautet: „Meinem lieben Frank Wedekind in herzlicher Freundschaft zum fünfzigsten Geburtstag“, datiert „Salzburg Pfingsten 1914“ [Hermann Bahr: Der Querulant. Komödie in vier Akten. Berlin 1914, S. (5)]. Herrmann Bahr hatte die Widmung Wedekind vorab angekündigt [vgl. Wedekind an Hermann Bahr, 1.5.1914 und 3.5.1914].. Nicht wahr, Du verzeihst mir, wenn ich trotzdem mein Urteil darüber abgebe.

Man weiß wahrlich nicht, wer sonderbarer ist. (H. Ba. wenn er) Der GuggelbauerDie Figur aus Hermann Bahrs „Der Querulant“ heißt Mathias Gunglbauer, kurz: Hias, ein ehemaliger Soldat und Wegmacher. Nachdem ein Forstmeister seinen Hund erschossen hat und es wegen Rechtsbeugung durch den Richter zu keiner Verurteilung kommt, verübt er einen Mordanschlag auf Marie, die Tochter des Forstmeisters: „Wegen dem nämlich daß die Fräul’n Marie ja dem Herrn Forstmeister grad so viel is wie der Schlüfl mir, und also – nur gerecht! Eben – Hat nur aber doch meine Kurasch nöt bis ans End’ g’langt.“ [Hermann Bahr: Der Querulant. Komödie in vier Akten. Berlin 1914, S. 162], wenn er Menschen und Hunde gleichsetzt, oder Herrmann B., wenn er glaubt, daß solche Leute existieren. Daß das Stück sich aber hält, beweist nichts für den Dichter n/s/ondern sehr viel gegen das Wiener Publikum. Mir war es aufrichtig gesagt paradox. Für die Schwächen dieses Werkes hatte ich sehr offene Augen. Der betreffende Abend hat mich geradezu enttäuscht.

Ich gab mein Stück dem Dir. WeisseAdolf Weisse war seit 1902 Direktor des Deutschen Volkstheaters in Wien und setzte sich für die Aufführung von Werken zeitgenössischer Autoren ein, darunter Wedekind, dessen Stück „Musik“ am 14.10.1913 am Deutschen Volkstheater Premiere hatte und bis zum 7.11.1913 gespielt wurde. Am 14.5.1914 besuchte Wedekind auf Einladung Weisses eine weitere Aufführung von „Musik“ am Deutschen Volkstheater [vgl. Wedekind an Adolf Weisse, 9.5.1914]., von dem ich hoffte, er werde sich des Erstlingswerkes annehmen. Aber sein Dramaturg fand, daß die Technik zu „wild“ sei. – Und nun gab ich es Herrn Salten, dem mich meine Tantevermutlich Charlotte Harnwolf, Gattin des Hofrats und Finanzsekretärs Dr. Siegmund Harnwolf, wohnte am Althanplatz 8 im IX. Bezirk Wiens. Sie war die Schwester des Ehemanns von Melanie Samek, der Zwillingsschwester von Friedrich Strindbergs Großmutter Marie Uhl. Friedrich Strindberg erwähnt sie in einem späteren Brief als „Tante“ und Helferin während seiner Flucht aus Salzburg [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.4.1915]. empfahl. Für Dich, lieber Frank, habe ich mein Stück zusammengeschmolzenIn einem früheren Brief hatte Friedrich Strindberg als Umfang des Dramas noch „5 Akte, 25 Szenen“ [Friedrich Strindberg an Wedekind, 25.10.1914] genannt. und in 4 Theaterakten erwartet es Dein Urteil, an dem mir das meiste gelegen ist. Auf eine Aufführung kann ich nicht rechnen. Es enthält das meiste jener zwei Szenen, die ich Dir ins Hotel d’Europe brachteWedekind übernachtete vom 26. auf den 27.9.1914 im Hotel d’Europe in Salzburg und traf sich dort mit seinem Sohn: „Fahrt nach Salzburg. Hotel d l’Europe. Treffe Friedrich Strindberg bei Tisch.“ [Tb]. Eine Veröffentlichung würde mich anscheinend mit | derselben Behörde in Berührung bringen, demer die „Pandora“ anheimfielWedekinds Drama „Die Büchse der Pandora“ (1903) war fortwährend Gegenstand von Zensurverboten [vgl. KSA 3/II, S. 1205-1207]. Eine öffentliche Aufführung war erst posthum nach Aufhebung der Zensur 1918 möglich.. Ich glaube, lieber Frank, daß mein Stück eine starke Wirkung ausüben würde, wenn auch vieles sehr naiv und derb gedacht ist. Ich erwarte Dein Urteil mit der größten Spannung und würde Dir sehr, sehr dankbar sein, wenn wir uns wieder einmal sehen könnten. Hier in Salzburg ist alles wieder in Ruhe. Man hat mein Durchbrennen aufgenommen, wie man eine jugendliche Dummheit aufzunehmen pflegt.

Was mein erstes StückFriedrich Strindberg spricht hier nicht von seinem ersten Stück „Triton“, sondern von seinem zweiten, „Menschenrecht“, über das es zum Zerwürfnis mit seinem Vater gekommen war. verbrochen hat, diese beispilspielloseste Dummheit, die ich selber kenne, hoffe ich durch mein zweites gutzumachen. Der Held meines 2. Stückes wird nämlich erhenkt. Nur eines bitte ich Dich mir zu verzeihen. Den Titel: „Menschenrecht“Dass Friedrich Strindberg sein neues Stück nicht wie ursprünglich angekündigt „Epiphania“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.5.1914] nannte, sondern hier mit dem gleichen Titel versah wie das vorherige, zurückgezogene Stück, mag daher rühren, dass er ein Stück mit diesem Titel bereits bei verschiedenen Personen angekündigt und deren Interesse geweckt hatte, so bei Richard Dehmel oder Kurt Wolff [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 5.5.1914 und 9.5.1914].. Der Titel ist ironisch gemeint. „M….“, die Komödie einer Generation. Du wirst staunen, daß ein 17½jähriger soviel erbitterte Gedanken, eine solche Unzahl Sarkasmen, wütender Sarkasmen, Enttäuschungen aufzubringen vermag, wie ich bei dieser Gelegenheit. Und nun hoffe ich zum Schlusse, daß mein neues Stück das Gegenteil des letzten bedeutet. Daß es mich einen gewaltigen Schritt Dir, mein lieber Frank, näher bringt. Das wäre mein schönstes Ziel.

Mit recht herzlichen Grüßen wünscht Dir baldige Besserung in aufrigtigerSchreibversehen, statt: aufrichtiger. Liebe
Dein
Friedrich Strindberg.

Friedrich Strindberg schrieb am 27. Dezember 1914 in Mondsee folgende Bildpostkarte
an Frank Wedekind

Snr.
Hochwohlgeb.
Herrn Frank Wedekind.

München.

Prinzregentenst. 50.
(Bayern.)


27.XII.14.


Mein lieber Frank!

Anbei gestatte ich mir Dir die besten Grüße zum neuen Jahr zu senden nebst den herzlichsten Wünschen baldiger Besserung Deiner gesundheitlichen VerhältnisseFrank Wedekind war seit dem 3.12.1914 an einer Blinddarmentzündung erkrankt und wurde am 29.12.1914 operiert [vgl. Tb]. Die Presse berichtete zur Monatsmitte in etlichen Blättern: „Frank Wedekind ist, wie aus München berichtet wird, schwer erkrankt.“ [Schwere Erkrankung Frank Wedekinds. In: Neue Freie Presse, Nr. 18068, 11.12.1914, Abendblatt, S. 1]. Großm. und ich verleben hierFriedrich Strindbergs Großmutter lebte in einer Villa in Mondsee. gemeinsam recht friedliche Tage. Ich hätte die größte Freude, wenn ich Dir mein StückOffenbar überarbeitete Friedrich Strindberg sein Theaterstück, das er bereits für abgeschlossen erklärt hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, am 30.11.1914], noch einmal. Er hatte das Stück unter dem Titel „Epiphania“ konzipiert [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.5.1914], später jedoch auch andere Titel dafür erwogen: „Menschenrecht“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 20.12.1914], wie das Vorgängerdrama, oder später „Kampf“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.2.1915]., das Ende Feberösterreichisch für: Februar. beendet sein dürfte (4 Theaterakte.), irgendwie mitteilen dürfte. Wolltest Du es bitte vielleicht als kleine, verspätete Weihnachtsfreude dann entgegennehmen. Noch herzl. Grüsse Dein Friedrich Strindberg.


[um 90 Grad gedreht:]

Mondsee – Fürstin Ignatia v. Wrede-Brunnen von WeyrDer Bildhauer Rudolf Weyr war Friedrich Strindbergs Onkel und mit Marie Uhl, der Schwester seiner Mutter Frida Strindberg, bis zu ihrem Tod 1903 verheiratet. Von ihm stammt die Bronzeplatte an dem 1913 in den öffentlichen Anlagen am Marschall-Wredeplatz in Mondsee errichteten Brunnens, der auf der Bildseite der Karte zu sehen ist..

Frank Wedekind schrieb am 28. Dezember 1914 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 10.1.1915 aus Salzburg:]


[…] Deine liebe Karte vom Krankenbett habe ich erhalten […]

Friedrich Strindberg schrieb am 10. Januar 1915 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank! Wenn ich Dir jetzt schreibe, so bitte ich Dich vorerst mit aller Herzlichkeit mein jetziges Schreiben nicht als arge Belästigung zu deuten; die Feiertage sind vorbei, Deine liebe Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 28.12.1914. vom KrankenbettFrank Wedekind war am 3.12.1914 an einer Blinddarmentzündung erkrankt und am 29.12.1914 ins Krankenhaus gebracht und operiert worden [vgl. Tb]. Am 9.1.1915 wurde er entlassen: „Mit dem Sanitätswagen nach Hause gebracht.“ [Tb] habe ich erhalten und ehe Dein Brief eintriftSchreibversehen, statt: eintrifft. möchte ich Dir eben gerne alles mitteilen, was Neues geschehen und Dir mit einer kleinen Beigabedas unten folgende Gedicht „Ich nicht…“ auch eine ganz kleine Weihnachtsfreude bereiten.

Die Weihnachtsferien verbrachte ich bei meiner GroßmamaFriedrich Strindbergs Großmutter Marie Uhl lebte in einer Villa in Mondsee. in wirklichem Frieden, wie ich ihn mir mein Leben lang nie vorgestellt habe, daß er möglich wäre. Silvester feierten wir nicht und ich hatte auch keine Sehnsucht danach. Geistig vertiefte ich mich in Strindberg. Ich wollte aus der „Beichte eines Toren“ aus „Entzweit“, „Inferno“, „Einsam“ sein InnenlebenDie genannten Texte von August Strindberg haben autobiographischen Charakter. In der 4. Abteilung der bei Georg Müller in München und Leipzig erschienenen deutschsprachigen Gesamtausgabe der Werke August Strindbergs finden sie sich in den Bänden 3 bis 5 der fünfbändigen Abteilung „Lebensgeschichte“ (Deutsch von Emil Schering); sie waren 1909 bzw. 1910 erschienen. etwas kennen lernen und kam kaum über die „Beichte“In der „Beichte eines Toren“ schildert August Strindberg die konflikthafte Beziehung zu seiner ersten Ehefrau, der Schauspielerin Siri von Essen. Seine zweite Ehe mit Frida Uhl, der Mutter von Friedrich Strindberg, wird in „Inferno“ thematisiert. hinaus. Erinnerte mich Deines AusspruchesIn der „Beichte eines Toren“ schildert August Strindberg die konflikthafte Beziehung zu seiner ersten Ehefrau, der Schauspielerin Siri von Essen. Seine zweite Ehe mit Frida Uhl, der Mutter von Friedrich Strindberg, wird in „Inferno“ geschildert. in der „Franziska“: Der Kampf der Geschlechter kommt direkt nach dem Kampf mit den Dienstboten – und dachte mir, Strindberg hätte sich damit viel Kummer und Sorge erspart.

Und anbei ein kleines Gedichtchen von mir, das ein Herr Dr. Johannes Eckardt, Herausgeber einer kath. Revue, vielleicht in eine Kriegslieder AnthologieJohannes Eckardt hatte 1914 eine Sammlung mit „Kriegsbriefen“ und eine mit „Kriegsflugblaettern“ in zwei Salzburger Verlagen herausgegeben, die auszugsweise auch in einzelnen Heftchen erhältlich waren. Eine Anthologie mit Kriegsliedern ist unter seiner Herausgeberschaft in der Folge nicht erschienen, wohl aber 1915-17 eine mehrbändige vom Sekretariat Sozialer Studentenarbeit in Mönchengladbach. Vorab waren daraus Gedichte in Einzelheftchen erschienen, von denen Johannes Eckardt neben Heinrich Lersch mehrere herausgab. aufnehmen wird. Ich bin voll Hoffnungen darauf, die höchstwahrscheinlich alle wieder scheitern werden. Warum –, beginnt | beginntaufgrund des Seitenwechsels versehentlich doppelt. mir ganz langsam klar zu werden. Wenn Dir dies Gedichtchen gefällt, so bitte ich Dich recht innig, es als kleines Weihnachtslied anzunehmen; als ein winziges „Weihnachtsfreud’chen“…


Ich nicht…


Wir haben Kraft, wir haben Mut
Und haben auch ein Schwert;
Ein deutsches Schwert, und das ist gut!
Wir opfern Kraft und unser Blut
zum Schutz für Deutschlands Herd!

Und raucht der Herd, wir weichen nicht!
Wir achten nicht der Not!
Bricht auch der Herd, wir weichen nicht
Trotz Pulverdampf und Pulverlicht
Und unsre Wehr ist Gott!

Was pochst du Herz mit wehem Sinn?
Blickst hin zum Sarg, mein Herz?
Der eigne Sohn liegt still darin…
Mein eigner Sohn! fahr hin.. stirb hin..
Wir kennen keinen Schmerz!

Und wenn das Herz in Flammen bricht
Durchbohrt von Haß und Spott –; |
2.Nummerierung des zweiten Blattes in der rechten oberen Ecke.

wir hassen auch! und weichen nicht
in Glut und Blut und Pulverlicht,
Denn unsre Wehr ist Gott.

Warum ich hier „Ich nicht..“ geschrieben, weiß ich ebenso wenig als warum im Original „Wir!“ steht. Ich glaubte aufrichtiger zu z/s/ein aber dieses „Ich nicht..“ ist ebenso Stimmungssache als das „Wir“ und Tatsache ist, daß hinter dem Gedicht im Notesvermutlich am Englischen orientierte Abkürzung für Notizbuch. ein Lied eines Revolutionärs steht, worin es heißt:

„Heut kämpfen wir noch für die Kronengespenster
Und morgen hängen wir sie vor das Fenster u.s.w.“, worin ich wiederum mit dem „Wir“ absolut nicht einverstanden bin.

Aber lieber Frank – nicht wahr, Du zürnst mir nicht wegen dieser Anrede – ich schreibe immer nur von mir und denke so oft an Dich, wenn Du auch in Deinen Briefen immer darauf – nämlich auf mich als Gesprächsstoff – eingehst; ich schreibe so viel von mir ohne Dich je gefragt zu haben, ob Dir dies nicht längst schon – und zwar mit Recht! – etwas zu langweilig ist. In Deinem nächsten Brief werde ich hören müssenOffenbar hatte sich Wedekind, der seit dem 3.12.1914 krank war, noch nicht zu Friedrich Strindbergs Flucht aus seinem Internat in der ersten Dezemberwoche geäußert [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.11.1914 und 1.12.1914] und lediglich die eingangs erwähnte Karte versandt, in der er einen später folgenden Brief ankündigte., daß ich recht unüberlegt und ungerecht handelte, was ich selbst einsehen mußte. Aber nicht wahr, Du schreibst mir dann auch von Dir, wie es Dir geht; was Du immer machst und was Du eben so gütig bist mir nicht ungern zu sagen. Ich freute mich schon so sehr, wieder über Dich etwas zu erfahren. Bitte nimm mir das nicht übel. |

Ich stehe momentan so ziehmlich mit allen Verwandten in recht gutem Einvernehmen. Montags, 11. (morgen) besucht mich mein CousinCäsar Ritter von Weyr war Leutnant der Reserve im Landwehr-Infanterieregiment Nr. 4., der Sohn des verstorbenen R. Weyr; er ist im serbischen Feldzug mit einer Bauchwunde davon gekommen und ich trage große Sorge um ihn, da ich ihn gern habe, weil er auch mein Vormundvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 11.4.1914. ist –. Auch Herr Direktor TschurtschenthalerJosef Tschurtschenthaler war Schul- und Internatsleiter der von Friedrich Strindberg in Salzburg besuchten Privatschule., dem ich Deine Empfehlungen ausrichtete, ist so fein und läßt mir meine E ehemalige Schandtatdie einwöchige Flucht Friedrich Strindbergs mit zwei seiner Mitschüler nach Wien in der ersten Dezemberwoche 1914. nicht (an)merken. Sonst geht alles, ich glaube auch das Lernen, gut, wieder gut.

Also noch recht herzliche Grüße und Wünsche auf eine recht baldige Besserung sendet Dir

in Liebe
Dein
Friedrich Strindberg.


Salzburg, 10. Jennerösterreichisch für Januar.. 1915.

Frank Wedekind schrieb am 24. Januar 1915 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 6.2.1915 aus Salzburg:]


Danke Dir recht herzlich für Deinen freundlichen Brief.

Friedrich Strindberg schrieb am 6. Februar 1915 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg, 6.2.1914Schreibversehen, statt: 1915.


Mein lieber Frank!

Danke Dir recht herzlich für Deinen freundlichen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 24.1.1915.. Ich wollte mit der Antwort warten, bis ein von. H. Dr. Johannes Ekardt in seinen „Kriegsliedern“Das Sekretariat Sozialer Studentenarbeit in Mönchengladbach sammelte Kriegslieder und publizierte sie vor der Buchpublikation in einzelnen Heftchen, von denen Johannes Eckhardt neben Heinrich Lersch mehrere herausgab. Der erste Band der „Kriegslieder“ erschien als Buchpublikation im August 1915 im Volksvereins-Verlag Mönchengladbach [vgl. Börsenblatt des Deutschen Buchhandels, Jg. 82, Nr. 180, 6.8.1915, Bibliographischer Teil, S. 4534], 1917 folgte ein zweiter Band. gedrucktes Gedichtleinnicht überliefert. erscheint, um es Dir zu senden; der Druck verzögerte sich aber anscheinend, denn ich bekam noch kein Exemplar in die Hand. Nun möchte ich Dich mit einem kleinen Problem bekanntmachen, das mir in der letzten Zeit nahe trat: Der Besucham Montag, den 11.1.1915 [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 10.1.1915]. meines Vormundes Herrn Dr. Weyrs verlief sehr freundlich; er ist aber zu seiner inneren Freude nicht in der Lage, dem Kriege weiterhin fern zu bleiben. Außer der DekorationFolgt man den Mitteilungen der Presse, hat Cäsar Ritter von Weyr nicht die silberne Tapferkeitsmedaille, sondern nur das Militärverdienstkreuz erhalten: „Der Kaiser hat dem vor dem Feinde gefallenen Leutnant des Landwehrinfanterieregiments Nr. 4 Dr. Cäsar Ritter v. Weyr, eingeteilt beim Grenzschutzbataillon Nr. 6, das Militärverdienstkreuz dritter Klasse mit der Kriegsdekoration in Anerkennung tapferen Verhaltens vor dem Feinde verliehen.“ [Neue Freie Presse, Nr. 18116, 29.1.1915, Morgenblatt, S. 10] Die Presse hatte, wie hier, Cäsar Weyr vor seiner erneuten Einberufung mehrfach als gefallen gemeldet [vgl. z. B. Wiener Zeitung, Nr. 22, 28.1.1915, Amtlicher Teil, S. 1 und Beilage Wiener Abendpost, S. 3]. An anderer Stelle war man zur gleichen Zeit besser informiert: „Leutnant Dr. Cäsar Ritter von Weyr, der einzige Sohn des berühmten, im letzten Sommer verstorbenen Bildhauers und langjährigen Vorstandes der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens Rudolf Ritter von Weyr und seiner ihm im Tode vorausgegangenen Gemahlin, der Schriftstellerin Marie Weyr, geb. Uhl, der gegenwärtig in Tauffenberg in Obersteiermark der Genesung seiner auf dem südlichen Kriegsschauplatz erlittenen Verwundung entgegensieht, erhielt in Anerkennung tapferen Verhaltens vor dem Feinde das Militärverdienstkreuz dritter Klasse mit der Kriegsdekoration.“ [Sport und Salon, Jg. 18, Nr. 6, 6.2.1915, S. 10] Cäsar Weyr tauchte dann erneut als Kriegsopfer in der Verlustliste Nr. 146, ausgegeben am 22.3.1915 [Prager Tagblatt, Jg. 40, Nr. 46, 27.3.1915, Morgen-Ausgabe, 2. Beilage, S. 3] auf. Mit Wirkung zum 1.9.1915 wurde er posthum zum Oberstleutnant befördert [vgl. Wiener Zeitung, Nr. 197, 26.8.1915, S. 16]., der silbernen Tapferkeitsmedaille und dem Verdienstkreuz hindert ihn seine Einberufung für 10. Feberösterreichisch für Februar.. Nun machte er mich bekannt, daß auch ich binnen KurzenSchreibversehen, statt: Kurzem. mich zu stellen haben werde. Diesen Monat kommen die 96erdie 1896 Geborenen. daran und für März erwartet man allgemein die Einberufung der 97erFriedrich Strindberg war am 21.8.1897 geboren und wäre daher als noch nicht 18-Jähriger von dieser Regelung betroffen gewesen.. Um aber nicht völlig nach einer 6 wöchentlichen militärischen Ausbildung | uns junges Material als Kanonenfutter verwerten zu müssen, errichtete man in den größeren hiesigen Städten JungschützenchöreGemeint sind die Jungschützenkorps, die Jugendliche ab 16 Jahren militärisch und insbesondere an Waffen unterrichteten. Der Beitritt erfolgte freiwillig. Die Korporationen wurden mit Appellen an Patriotismus, Vaterlandsliebe und Opfermut beworben [vgl. etwa den „Aufruf an die patriotische Jugend zum Eintritte in das Jungschützenkorps!“ URL: https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/pageview/472630; abgerufen am 9.6.2022]., mit der Bestimmung nicht in die Presse gelangenvermutlich ist hier gemeint: nicht auf die in der Presse regelmäßig veröffentlichten Listen der Gefallenen kommen. zu dürfen; man genießt die militärische Ausbildung an schulfreien Tagen und – falls die gleichen Alters an die Front müssen, treten auch die Jungschützen die Reise an ihr Bestimmungsziel an. Italiens und Rumäniens EingreifenItalien und Rumänien erklärten sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges für neutral. Obwohl Italien im Dreibund, einem Defensivbündnis, mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich verbündet war, trat es am 23.5.1915 auf Seiten der Entente-Mächte mit einer Kriegserklärung gegen Österreich in den Krieg ein. Die Kriegserklärung Rumäniens an Österreich folgte am 27.8.1916. Der Kriegseintritt der beiden Länder wurde in der Presse antizipiert und im Vorfeld vielfach diskutiert. hängt von der Anzahl der Tage abwohl für: ist nur noch eine Frage der Zeit.. Die galizische FrontGalizien war der zentrale Schauplatz des Krieges zwischen Österreich-Ungarn und Russland an der Ostfront. mit Truppenabzügen schwächen, hieße Österreich zum Selbstmord raten. Nun hat der Staat die Pflicht für den Fall des Eingreifens einer jetzt noch neutralen Macht unverzüglich frische Truppen bereit zu halten. Tatsache ist, daß bei dem jetzigen Stand der Dinge für uns kein Aussehn istösterreichisch für: keine Aussicht besteht., für die 17jährigen heil davonzukommen. Übrigens hätten wir nur sehr große Vorteile, was Schule anbetrifft, davon. – Darum riet mir eben mein Vormund H. Dr. Weyr mich dem Jungschützenchor anzuschließen. Und Dich bitte ich, lieber Frank, ob Du nicht so gütig wärest mir Deine Ansicht darüber mitzuteilen, was Du für das Beste hältst mir zu raten; tauglich bin ich nun einmal und daran läßt sich nichts mehr ändern. |

Die Tage vergehen hier wie immer zu langsam. Ich habe kaum die Hand an mein StückDas unter dem Titel „Epiphania“ konzipierte Stück [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.5.1914], sollte zwischenzeitlich wie das Vorgängerdrama „Menschenrecht“ heißen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 20.12.1914], später dann „Kampf“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.2.1915]. Friedrich Strindberg wollte es bis zum Monatsende fertigstellen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.12.1914]. gelegt; nur zu sehr vielen Kriegsgedichtennicht überliefert. konnte ich mich begeistern, die aber der Mehrzahl nach in schroffem Gegensatz zu meiner künftigen Einberufung stehen; ebenso zu dem letzt Dir gesandten Gedicht„Ich nicht…“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 10.1.1915]. . Meine Beschäftigung besteht jetzt zum größten Teile aus lateinischen und griechischen Privatübersetzungen; ich bemühe mich über Vergil und auch etwas Homer; und ein Zufall wollte mir weismachen, daß wir heut’ zutage ein völlig verfehltes Versmaß haben, an das wir unsere Ohren mit jeglicher Pedanterie gezwungen haben. Der biedere OpitzIn seinem „Buch von der Deutschen Poeterey“ (1624) plädierte Martin Opitz für eine Reform von Prosodie und Metrik in der deutschen Dichtung und orientierte sich dabei an der antiken Poetik und ihren Versmaßen. „Eine von Martin Opitz bis heute und namentlich am Anfang des 19. Jahrh. unter dem Einfluß des klassizistischen Geschmacks viel verhandelte Hauptfrage ergibt sich aus der beschränkten Möglichkeit, einen Kompromiß zwischen der quantitierenden antiken und der modernen Verskunst zu schließen, in der die Führung dem Akzent zufällt“ [Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. Bd. 13. Leipzig 1908, S. 716f.]. machte den Anfang zu dieser Dummheit. Meine Ansicht wäre eine Mischung von antikem und modernem Silbenmaß – meine Ansicht, die aber vorläufig noch so ziehmlich aus der Luft gegriffen ist. Sonst gibt es hier wenig Neues. Ich las vor kurzem einen alten offenen BriefNachdem in einer St. Petersburger Zeitschrift ein gefälschtes Interview mit Arthur Schnitzler erschienen war, das abfällige Äußerungen über Tolstoi, France, Maeterlinck und Shakespeare enthielt, provozierte dies am 10.9.1914 einen offenen Brief Alexander Kuprins an Schnitzler in der Moskauer Tageszeitung „Russkoe slovo“ [vgl. Elisabeth Heresch: Schnitzler und Russland. Wien 1982, S. 117-122]. Als Schnitzler davon erfuhr, veröffentlichte er am 22.12.1914 in der „Neuen Zürcher Zeitung“ [Jg. 135, Nr. 1700, 22.12.1914, 2. Mittagsblatt, S. 2] eine Antwort, die Romain Rolland für das „Journal de Genève“ [Jg. 85, Nr. 350, 21.12.1914, 3. Ausgabe, S. 1] parallel dazu ins Französische übersetzte, wo sie am Tag zuvor publiziert wurde. In Deutschland erschien Schnitzlers offener Brief unter dem Titel „Protest“ im Dezemberheft von Wilhelm Herzogs Zeitschrift „Das Forum“ [Jg. 1, Heft 9, 1914, S. 489-491]. Schnitzler schließt darin seine Eloge der angeblich von ihm geschmähten Autoren aus den Nationen der Kriegsgegner mit den Worten: „Doch später einmal, wenn der Friede wieder da ist, wollen wir uns mit schmerzlichem Staunen erinnern, daß es eine Zeit gab, in der wir genötigt waren, über die Grenzen hinüber einander die Versicherung zuzurufen, daß wir zwar jeder unsere Heimat geliebt haben, daß wir aber trotzdem Gerechtigkeit, Urteil und Dankbarkeit niemals verlernt, daß wir, um es kurz zu sagen, auch in dieser ungeheueren Epoche der Verwirrung niemals gänzlich den Verstand verloren hatten.“ [ebd., S. 491] In der Folge kam es in der Presse zu antisemitischen Angriffen auf Schnitzler, die er am 26.1.1915 vermerkte: „Die unsäglich verlogenen antisem. Angriffe gegen mich (Türmer, Reichspost, oesterr. Volkspresse – D.T.Z. [Deutsche Tageszeitung] anläßlich meines Protestes. Mit O. darüber. Die ‚läuternde‘ Wirkung des Kriegs ― Feuilletonistenphrase.― Der ‚Burgfriede‘.“ [Tb Schnitzler] Schnitzlers in einer Schweizerzeitung; der Dichter des patriotischen „jungen Medardus“Arthur Schnitzlers monumentales Geschichtsdrama „Der junge Medardus“ (1909) bringt das besetzte Wien unter Napoleon im Jahre 1809 auf die Bühne. Die Titelfigur soll zum heldenhaften Attentäter Napoleons werden, scheitert jedoch. Das Stück wurde am 24.11.1910 am Wiener Burgtheater unter der Regie von Hugo Thimig uraufgeführt und hatte dort anhaltenden Erfolg. Weniger erfolgreich war die deutsche Erstaufführung am 24.10.1914 am Berliner Lessingtheater. Das Stück hielt sich dort kaum zwei Wochen. mußte sich verteidigen, weil er Shakespeare und Anatole France nicht schmäht. Und G. Hauptmann schreibt noch immer offene BriefeGerhart Hauptmann hatte sich in einem offenen Brief gegen die von Henri Bergson am 8.8.1914 in einer Rede vor der Académie des sciences morales et politiques in Paris gegenüber Deutschland geäußerten Vorwürfe der Barbarei, Brutalität und des Zynismus gewandt und behauptet: „Der Krieg, den wir führen und der uns aufgezwungen ist, ist ein Verteidigungskrieg.“ [Gegen Unwahrheit! In: Vossische Zeitung, Nr. 431, 26.8.1914, Morgen-Ausgabe, S. 2] Daneben leugnete er die von Maeterlinck angeprangerten Kriegsverbrechen, wie die Zerstörung Löwens, durch deutsche Soldaten beim Überfall auf Belgien. Dies wiederum veranlasste Romain Rolland zu einem offenen Brief an Hauptmann [vgl. Journal de Genève, Jg. 85, Nr. 241, 2.9.1914, S. 1], datiert auf den 29.8.1914, in dem er zunächst Deutschland als Kulturnation verteidigte, dann jedoch den verbrecherischen Charakter der deutschen Kriegsführung hervorhob und Hauptmann aufforderte, dagegen öffentlich zu protestieren. Eine Übersetzung dieses Briefes erschien eine Woche später zusammen mit der eingeforderten Antwort Hauptmanns, der freilich alle Vorwürfe zurückwies: „Gewiß sind Ihnen unsere heldenmütigen Armeen furchtbar geworden! Das ist der Ruhm einer Kraft, die durch die Gerechtigkeit ihrer Sache unüberwindlich ist. Aber der deutsche Soldat hat mit den ekelhaften und läppischen Werwolfgeschichten nicht das allergeringste gemein, die Ihre französische Lügenpresse so eifrig verbreitet, der das französische und belgische Volk sein Unglück verdankt.“ [Vossische Zeitung, Nr. 460, 10.9.1914, Abend-Ausgabe, S. 3] Hauptmanns Artikel „Gegen Unwahrheit!“ war eine Quelle für Wedekinds Kriegsrede in den Kammerspielen am 18.9.1914 [vgl. KSA 5/III, S. 506]. Möglicherweise bezieht sich Friedrich Strindberg hier aber auch auf die jüngste öffentliche Äußerung Gerhart Hauptmanns zu den Kriegsgegnern mit dem Titel „Weihnachten 1914“ [Neue Freie Presse, Nr. 18082, 25.12.1914, Morgenblatt, S. 1] – ähnlich wie Stephan Großmann im MärzStefan Großmann, Feuilletonredakteur der „Vossischen Zeitung“, berichtete in seinem Beitrag „Georg Brandes und sein stolzes Gemüt“ zu der Münchner Zeitschrift „März“ [Jg. 8, Bd. 4, S. 255-257], wie er sich wegen der „lügnerischen Meldungen“ in der dänischen Zeitung „Politiken“ über das angeblich „zerfallende, von Hungersnöten gepeinigte, von Rebellen aufgewühlte Wien“ [ebd., S. 255] in einem offenen Brief an den Literaturkritiker Georg Brandes, Mitarbeiter und Bruder des Redakteurs dieser Zeitung, gewandt hatte. Brandes wies diesen „Angriff“ öffentlich zurück und zitierte später in einem Artikel in „Politiken“ aus einem privaten Brief Großmanns, dessen Schlusspassage zur Haltung des Auslands gegenüber Deutschland er als Bestechungsversuch bzw. Drohung wertete. Großmann antwortete nun wiederum mit seinem Beitrag im „März“ und warf Brandes vor, für „Deutschland-Oesterreichs heroischen Kampf […] nur ein kleines, still ironisches Lächeln, das er sich vor vierzig oder fünfzig Jahren bei französischen Skeptikern angeschafft hat“ [ebd., S. 256], übrigzuhaben. an den ihm unbekannten Georg Brandes. – Schauderbar! |

Was sonst den Besuch meines VormundestSchreibversehen, statt: Vormundes. anbetrifft, so äußerte H. Dr. Weyr, er sehe seine vormundschaftliche Aufgabe darin: mir soviel als möglich Freiheit zu geben –, die nicht zu mißbrauchen ich mir als Pflicht denke. Auch lud er mich falls er noch lebe für ein Jahr nach meiner MaturaReifeprüfung nach einer höheren Schulausbildung, die zum Studium berechtigt. zu ihm nach Wien ein; was ich ihm sehr danke. Er würde mich in Gesellschaft führen, um mir eine Berufswahl zu bieten. Mich persönlich interessiert sehr das medizinische Studium, da ich es noch gar nicht kenne.

Mit Literatur komme ich hier wenig in Berührung. Ich hörte nur, daß Hauptmann für tapferes Verhalten vor dem Feind (Romain Rolland) den AdlerordenDie Presse berichtete über die „Ordensverleihung an bekannte Dichter“ – es wurden insgesamt 12 Autoren ausgezeichnet: „Kaiser Wilhelm hat aus Anlaß seines Geburtstages nachstehenden Schriftstellern den Roten Adlerorden 4. Klasse mit der Krone verliehen: Dr. Richard Dehmel in Blankenese, Dr. Gerhart Hauptmann […] und Rudolf Alexander Schröder in Wangeroog. Die Auszeichnung wurde den Dichtern für ihre den Krieg behandelnden Dichtungen zuteil, die mit dazu beigetragen haben, die Begeisterung des deutschen Volkes für den heiligen Kampf zu entflammen.“ [Teplitz-Schönauer Anzeiger, Jg. 55, Beilage zu Nr. 18, 29.1.1915, S. 2] Friedrich Strindberg sah die Ordensvergabe an Hauptmann als Folge seiner öffentlichen Auseinandersetzung mit Romain Roland (siehe obige Anmerkung). erhielt.

Hoffentlich bessert sich Dein GesundheitszustandWedekind war am 29.12.1914 wegen einer Blinddarmentzündung operiert worden und litt an den Folgen einer zögerlichen Wundheilung, so dass alle zwei Tage der Verband gewechselt werden musste [vgl. Tb]. recht bald! Daß Du mir trotz Deiner Schmerzen beim Schreiben schreibst, hat mich von ganzem Herzen erfreut und ich danke es Dir recht, aber recht! Und mit den besten Wünschen auf baldige, baldigste Besserung grüßt Dich
in Liebe Dein
Friedrich Strindberg.

Friedrich Strindberg schrieb am 27. Februar 1915 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg 27.II.1915.


Lieber Frank!

Auf meinen Brief vor 14 Tagenvermutlich der drei Wochen zurückliegende Brief Friedrich Strindberg an Wedekind vom 6.2.1915. kann ich Dir heute gottseilob sagen, daß meine BefürchtungenIn seinem letzten Brief hatte Friedrich Strindberg die Befürchtung geäußert, eingezogen zu werden [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915]. unbegründet oder wenig begründet waren. Hoffentlich hast Du nun bereits das Bett endgültig verlassenWedekind war am 29.12.1914 am Blinddarm operiert und am 9.1.1915 aus der Klinik entlassen worden. Am 12.1.1915 notierte er im Tagebuch: „stehe auf, nehme mir den Bart ab.“ und befindest Dich wieder wohl. Wenn ich Dir heute schreibe, so liegt hinter mir eine Woche, glücklich wie ich selten seit vergangenem Jahre eine verbracht habe. Und was war daran schuld? – Nicht wahr, Du nimmst es mir nicht übel, wenn ich Dir alles erzähle – hoffentlich freut es Dich auch ein wenig wie es mich freut Dir, lieber Frank, alles zu erzählen. Nun, vergangenen Sonntag, nach einer Stunde Ärger und Angst nicht befreit werden zu können gelangte ich außer unsere Mauer, in der Hand eines jener Dingerchen hald/t/end, die bei uns „Urlaubsscheine“ heißen. Er machte mir die Finger heiß, weil ich zu Verwandten eines meiner Kollegender Mitschüler, die besuchten Frauen sowie deren Eltern konnten nicht ermittelt werden. eingeladen war, angeblich zu dessen Eltern, in Wirklichkeit zu seinen Schwestern und einer andern jungen Dame, die meine Jugendseligkeit nun am Gewissen hat. Sie ist recht freundlich und hat eine schönere Seele„Schöne Seele (nach Rousseau in der ‚Neuen Heloise‘ und Goethe in ‚Wilhelm Meisters Lehrjahren‘), das moralisch wie ästhetisch feinfühlende Gemüt“ [Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon, 5. Aufl. Bd. 2. Leipzig 1911, S. 650]., d.h. sie „draht“österreichisch für drehen; hier für tanzen. – wie man hier sagt, mit ihrem | Papa, wie ich eben erfahre, täglich bis 2h., was nach hiesigen Begriffen das Maß bedeutet. Ein chinesisches SchauspielIn seinem nächsten Brief berichtet Friedrich Strindberg bereits vom Abschluss des Dramas mit dem Titel „Der verlorene Gatte“ [vgl. Friedrich Strindberg, 14.3.1915]. soll ich für die junge Dame schreiben, wo sie ein alter, häßlicher Lautenschläger sein muß. Sonst ist sie zu schön. In drei Wochen soll es fertig sein. Unmöglichkeit hinauszukommen ein zweites mal, dasSchreibversehen, statt: da. unser Herr Direktor etwas gewittert hat. Also: mit 10 Seiten Vergilübersetzung muß ich mir den Ausgang bei einem meiner Herrn Präfekten erkaufen. Teuer: 10! Seiten! Vergill! – man muß sich alles verdienen und unser Herr PräfektErzieher in Internaten; Identität nicht ermittelt. meint es sicher gut mit mir, daß er mirSchreibversehen, statt: mich. so viel lernen läßt. Er wird ja ahnen wie gern ich es schon tue. Nur die Tage vergehen zu langsam.

Sonst ist alles beim alten. Ich habe mich anfangs sehr geängstigt, als ich von einer OperationWedekinds erste Blinddarmoperation am 29.12.1914 [vgl. Tb]. las und freue mich umso mehr, daß alles anscheinend gut abgelaufen ist. Mit Großmama stehe ich im besten Einvernehmen, die Frucht einiger ernstgemeinter Aufsätzenicht überliefert. von mir, die ich ihr vorlas. Ich konnte unmöglich ahnen, daß der Umstand, daß ich über einige Dinge nachdenklich wurde, so ernste freundliche Folgen haben könne. Solange die Großmama zu mir lieb ist, habe ich sie sehr gern, habe ich ihr ja soviel zu danken. |

Mein StückDas als „Epiphania“ geplante Stück [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.5.1914] hat Friedrich Strindberg zwischenzeitlich für abgeschlossen erklärt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.11.1914], danach aber noch mehrfach umgearbeitet und umbenannt. habe ich zu einem EinackterSchreibversehen, statt: Einakter. umgeformt und wenn er mir wieder nicht behagt, möchte ich es am liebsten verbrennen. Aber es ist mir doch noch lieb. Hat es ja so viel, drinnen, was ich mit voller Seele hinschrieb; nun stellt es einen Pechvogel da, dem alles mißlingt, schließlich sogar sein Selbstmord. Ich versuchte zum erstenmal an fremden GestaltenAls Friedrich Strindberg in den Figuren seines ersten Dramas mit dem Titel „Menschenrecht“ vorwiegend Personen aus Wedekinds Münchner Freundeskreis darstellte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914], war es zu einem mehrmonatigen Zerwürfnis mit seinem Vater gekommen, der sich und seine Familie kompromittiert sah [vgl. Wedekind an Friedrich Strindberg, 24.8.1914]. mein Glück. Herr Salten hat meine Frühere Fassung völlig verurteiltFriedrich Strindbergs Korrespondenz mit Felix Salten ist nicht überliefert. Er hatte seinem Vater in einem früheren Brief mitgeteilt, dass er sein Stück an Salten zur Lektüre gegeben habe [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 20.12.1914].. Er hatte ganz recht, und d tat er es ohne Ahnung, daß ich längst wußte, was ich zu hören bekäme und worauf ich leider beim Schreiben vergessen habe. Meine Urmenschen sprachen nämlich nicht menschlich sondern göttlich und bevor sich ein junger Mann an einem Mädchen vergriff, erzählte er ihr ein pathetisches Gleichniß von einer Meereswoge, die gegen Himmel spritzt, der Himmel treibt mit ihr Schabernack u.s.w. Auch ist ein weiterer Unterschied, daß einem Lustmörder früher der Kopf abgeschnitten wurde und nun träumt er es nur. SchlißlichSchreibversehen, statt: Schließlich. kommen statt sieben Gehängten nur eine Ertrunkene vor und deshalb taufte ich es „Kampf“. – Ich wollte es Dir sogerne vorlesen, und wäre so gespannt Dein Urteil zu hören, aber ich glaube es werden wenig Aussichten sich bieten. Nach Deutschland hinaus kann ich nicht mehrDie „Verordnung des Ministers für Landesverteidigung und des Ministers des Innern vom 25. Juli 1914, betreffend die Verhütung von Wehrpflichtverletzungen durch Grenzüberschreitung“ in Österreich sah vor: „§ 1. Den Wehrpflichtigen ist die Überschreitung der Grenzen der Monarchie nach dem Auslande verboten.“ [Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate vertretenen Königreiche vertretenen Königreiche und Länder, Jg. 1914, 81. Stück, Nr. 166, Wien, S. 841], vielleicht, lieber Frank, wenn Du einmal wieder Salzburg im Frühlingskleid besuchen wolltest. Bitte, sei mir nicht böse, ich will Dich nicht um Dinge bitten, die Du ja | Selbst am besten – für Dich und mich – einrichten wirst. Nicht wahr, Du verzeihst mir diese obige Unbescheidenheit, die ich niederschrieb.

Hier gibt es wenig Neues, Anna Bahr-Mildenburg singtDie berühmte Sopranistin Anna von Mildenburg (Gattin Hermann Bahrs) trat am 17.2.1915 gemeinsam mit dem Kammersänger Leo Slezak bei einem „Außerordentlichen Konzert“ im Großen Saal des Mozarteums auf „zu Gunsten des ‚K. k. Truppenspitals‘ u. der ‚Notstandsaktion der Stadtgemeinde‘“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 45, Nr. 36, 15.2.1915, S. 8]. Die Presse erklärte die Veranstaltung „zu einem musikalischen Ereignisse des ersten Ranges. Zwei Kunstgrößen von europäischem, ja man kann sagen von Weltruf, […] ermöglichten durch ihre selbstlose Mitwirkung dem Mozarteum das Zustandekommen eines Konzertes für Zwecke der Kriegsfürsorge […], das in seinem glänzenden Verlaufe wohl noch lange in der Erinnerung aller Teilnehmer bleiben wird. Der Saal war überfüllt; was in unserer Stadt Namen und Rang besitzt, alle musikfreundlichen Kreise waren vertreten und schwelgten in den auserlesenen Genüssen, die der Abend bot. Frau Bahr-Mildenburg sang, lebhaft begrüßt, mit dem ganzen Wohllaut ihrer machtvollen Stimme Lieder von Schubert, H. Wolf und J. Brahms und als stürmisch aufgenommene Zugabe ‚Schmerzen‘ von Richard Wagner. Der künstlerisch vollendete, durch echt dramatischen Ausdruck belebte Vortrag rief nach jeder Nummer einen wahren Beifallssturm hervor“ [Salzburger Volksblatt, Jg. 45, Nr. 39, 17.2.1915, S. 7f.]. am Mozarteumdie 1841 gegründete Salzburger Musikschule., O. A. H. SchmitzGemeint ist hier nicht der Schriftsteller Oscar Adolf Hermann Schmitz, sondern der Münchner Musikwissenschaftler und -kritiker Eugen Schmitz. Er war Ende Mai 1914 als Nachfolger von Robert Hirschfeld als Direktor des Mozarteums berufen worden, verlor dieses Amt jedoch bereits wieder am 13.2.1915. Sein Vertrag war bereits am 13.11.1914 gekündigt worden. Eugen Schmitz gab zu dem Vorgang in der Presse eine Erklärung ab [vgl. Salzburger Volksblatt, Jg. 45, Nr. 35, 13.2.1915, S. 7f.] und nannte als Hauptgrund seiner Entlassung den in der Presse formulierten Vorwurf, das Mozarteum habe einen Nichtösterreicher berufen. Offiziell wurden materielle Gründe genannt, die Presse vermutete daneben aber auch interne Intrigen von Konkurrenten um den Direktoriumsposten [vgl. Salzburger Wacht, Jg. 16, Nr. 25, 1.2.1915, S. 5f.]. wurde unfreiwillig aus Salzburg hinausgebracht – er war Leiter des Mozarteums, das ihm kündigte –; Hermann Bahr sieht man jeden Sonntag an der Kommunionbank. Ein hiesiger kathol. Kritikervermutlich Johannes Eckardt, der Herausgeber der katholischen Literaturzeitschrift „Über den Wassern“, mit dem Friedrich Strindberg in Kontakt stand [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915]. verglich ihn mir gegenüber demSchreibversehen, statt: mit dem. „munteren Seifensieder“Hermann Bahrs „Der muntere Seifensieder. Ein Schwank aus der deutschen Mobilmachung“ wurde am 18.1.1915 am Stuttgarter Hoftheater uraufgeführt und erschien Ende des Monats als Buch. Die Anspielung zielt wohl weniger auf die Figur des Kommerzienrats und ehemaligen Seifensieders Johann August Naeseke in Bahrs Drama, als auf die tradierte Figur des genügsamen und selbstzufriedenen Johann, den munteren Seifensieder, wie sie durch das gleichnamige Singspiel von Wilhelm Nothammer (Wien, 1719) oder das Gedicht „Johann der Seifensieder“ (1738) von Friedrich von Hagedorn populär geworden war., sein ganzes Leben lächelnd und unschuldig. Ich lese gegenwärtig den Jörn Uhl von Frennsen und finde ihn etwas lg/a/ngweilig. Tolstois „lebender Leichnam“ hat mir sehr behagt und die „Hedda Gabler“ erinnerte mich sehr lebhaft an meine liebe Kerstin, die mir erst neulich ihr liebes Skiphoto sandteDas Foto von Friedrich Strindbergs Schwester Kerstin und die zugehörige Korrespondenz sind nicht überliefert..

Aber einstweilen meine herzlichsten Grüße
Dein
Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 12. März 1915 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 14.3.1915 aus Salzburg:]


[…] meinen besten Dank für Deinen lieben Brief […]

Friedrich Strindberg schrieb am 14. März 1915 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg, den 14. März 1915.


Lieber Frank!

Schon habe ich mich hingesetzt, um Dir meinen besten Dank für Deinen lieben Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 12.3.1915. auszusprechen. Der Tag an dem ich Deinen Brief erhielt und heute, da ich diesen schreibe, sind die glüklichstenSchreibversehen, statt: glücklichsten. Stunden in dieser Woche. In der letzten Zeit habe ich ein kleines chinesisches Lustspielnicht überliefert. „Der verlorene Gatte“, das ganze in Reimen, vollendet, um es eben bekannt machen zu können. Eine ganz leichte Arbeit, angeregt von den köstlichen JapanstudienZwischen 1905 und 1910 erschien bei Rütten und Löning in Frankfurt am Main eine sechsbändige Ausgabe des irisch-griechischen Schriftstellers Lafcadio Hearns mit seinen Schriften und Geschichten über Japan in der Übersetzung von Berta Franzos und mit einem Vorwort von Hugo von Hofmannsthal sowie Illustrationen von Emil Orlik. Die Ausgabe bestimmte maßgeblich das Japanbild der Jahrhundertwende im deutschsprachigen Raum. Drei der Bände kündigen im Titel neben „Geschichten“ auch „Studien aus Japan“ an. Lafcadio Hearns. Ich hatte die Gedanken gar nicht beisammen und in hingeworfenen, sprunghaften Dialogen ließ ich die Handlung ganz Nebensache werden. Die Verse sind stark vom deutschen Peer GyntHenrik Ibsens Versdrama „Peer Gynt“ (1876) war 1881 in der Übersetzung von Ludwig Passarge erstmals auf Deutsch erschienen, die zweite, umgearbeitete Auflage 1887 als populäres Reclamheft. 1901 folgte im Rahmen der Ausgabe der „Sämtlichen Werke“ Ibsens bei S. Fischer in Berlin in Band 4 eine weitere Übersetzung durch Christian Morgenstern. beeinflußt, es finden sich arge Verstöße gegen jede Metrik aber „beschwichtigten“ auf „besichtigten“ zu reimen gehört eben zum Lustspiel. Seine Pflicht hat es getan. Und das macht mich eben heute so froh. Eine ganze Glückseligkeit mit einer über den Haufen geworfenen Menschenkenntnis. Ich glaubte bis heute, daß die ganze Welt nur Hedda GablersGeneralisierung durch Plural. Hedda Gabler die Titelfigur aus Henrik Ibsens gleichnamigem Drama galt den Zeitgenossen als ‚unweibliche‘ und verhängnisvolle Frauengestalt. oder, wenn es gut geht, ein paar seelenlose, im Gefühl aufgehende JulienGeneralisierung durch Plural. Julie aus August Strindbergs Trauerspiel „Fräulein Julie“, ist eine weitere, von den Zeitgenossen aufgrund ihrer ‚männlichen‘ Erziehung und Triebhaftigkeit negativ beurteilte Frauengestalt., vielleicht eine Maria StuartTitelfigur in Friedrich Schillers gleichnamigem Trauerspiel, das vermutlich zu Friedrich Strindbergs Schullektüre zählte, eine schöne Gattenmörderin, die anschließend den Mittäter heiratete. darunter. Und darum freue ich mich auch schon so entsetzlich | wenn Du nächstes mal nach Sb. kommst. Ich werde jetzt schon beginnen nachzudenken, wohin wir mitsammen gehen können; ich glaube Du hast das MuseumDas 1834 gegründete Städtische Museum Salzburgs, trug seit 1850 den Namen Carolino-Augusteum. Die populäre „Aufstellung der Musealgegenstände in malerische Gruppen und kulturhistorische Bilder nach einem von der bisherigen Ausstellungsart in Museen abweichenden Prinzipe“ [Führer durch die Sammlungen des städtischen Museum Carolino-Agusteum in Salzburg. Salzburg 1888, S. 5] ging auf den Münchner Landschaftsmaler Jost Schiffmann zurück, der das Museum von 1870 bis 1911 leitete. noch nicht gesehen, vielleicht auch nicht die Peterskirche neben dem Peterskeller. Und ist dann Frühling und sind die Tage schön, besuchen wir, wenn Du vielleicht willst, den MönchsbergDer Mönchsberg (508 m) verläuft rund eineinhalb Kilometer innerhalb Salzburgs am linken Salzachufer entlang. und sehen herab auf Salzburg, auf der HumboldswarteDie Humboldtterasse ist eine der zahlreichen Aussichtspunkte auf dem Mönchsberg und wurde auf einer Geschützplattform aus dem Dreißigjährigen Krieg über dem Klausentor angelegt., wo der berühmteA. v. H. den AusspruchDer Alexander von Humboldt zugeschriebene, aber frei erfundene Ausspruch lautet: „Die Gegenden von Salzburg, Neapel und Konstantinopel halte ich für die schönsten der Erde.“ Er wurde seit 1870 durch den Abdruck in Reiseführern rasch populär [vgl. Robert Hoffmann. Die Entstehung einer Legende. Alexander von Humboldts angeblicher Ausspruch über Salzburg. In: Humboldt im Netz, Bd. 7, Nr. 12, 2006; URL: https://doi.org/10.18443/hinvol7iss122006] von Salzburg, Konstantinopel u. Neapel tat. Hoffentlich ist Deine WundeDie Wundheilung nach Wedekinds Blinddarmoperation am 29.12.1914 gestaltete sich langwierig und machte häufige Verbandwechsel notwendig, die Wedekind im Tagebuch am 8.3.1915 („Bei Skanzoni zum Verbinden“), 15.3.1915 („Bei Skanzoni. Er führt die Sonde ein“) und 16.3.1915 („Eiterung wird stärker. Ich kann kaum gehen“) notierte. bis dahin schon recht, recht gut beisammen, daß Du dich auch wieder mit vollem Herzen der wunderschönen Natur hier freuen kannst. Letzten Sonntagam 7.3.1915. war Herr WeyrFriedrich Strindbergs Cousin und Vormund Cäsar Ritter von Weyr war Leutnant der Reserve und bereits eingezogen worden. Nach einer Verwundung befand er sich auf Heimaturlaub [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 10.1.1915]. da und ich fuhr mit ihm nach Mondsee zu Großmama, die uns recht freundlich aufnahm. Er muß im April dann wieder ins Feld. Seine Wunde ist schon so ziehmlich völlig geheilt. Von unserem Besuch in Mondsee habe ich mir nur eingeprägt, daß Großmama tief bekümmert sagte, daß ich sehr schlecht aussehe. Aber ich glaube Großmama irrte sich und sie sagte es ja nur aus vorsorgender Liebe, die ich jetzt erst langsam ermessen lerne und fest danacht strebe sie mir dauernd zu erhalten. Heute werde ich zum erstenmal demSchreibversehen, statt: an den. freiwilligen SchützenübungenSein Cousin Cäsar Ritter von Weyr hatte Friedrich Strindberg vorgeschlagen, sich bei einem Jungschützenkorps militärisch ausbilden zu lassen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915]. teilnehmen. Ich bin schon sehr neugierig darauf. Aber daß wir | Trient hergebenItalien verhandelte mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn über die Abtretung des zu Österreich gehörenden, vorwiegend italienischsprachigen Trentinos mit der Hauptstadt Trient an Italien als Bedingung für die Beibehaltung seiner neutralen Haltung. Die Presse im Deutschen Reich berichtete darüber, als sei die Abtretung so gut wie entschieden, die österreichische Presse schwieg zu den Verhandlungen. müssen, ärgert mich schrecklich. Gegen die Italiener kann ich mich nicht genug zornig äußern: feig, weil sie sich zum Krieg gegen uns doch nicht trauen, niederträchtig weil sie jetzt erst anfangen, ihre Forderungen bekannt zu machen.

Über das Kriegs-TagebuchWedekind vermerkte am 8.2.1915: „Kutschers Kriegstagebuch gelesen.“ [Tb] Nach der Lektüre zeigte er sich tief beeindruckt gegenüber Kutscher und bemühte sich bei seinem Verleger Georg Müller um eine Publikation [vgl. Wedekind an Artur Kutscher, 22.2.1915]. Der erste Band von Artur Kutschers „Kriegstagebuch“ erschien dann im September 1915 bei Beck in München [vgl. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 82, Nr. 203, 2.9.1915, S. 5017] mit dem Untertitel: „Namur, St. Quentin, Petit Morin, Reims, Winterschlacht in der Champagne“ (noch im selben Jahr in 2. Auflage), ein zweiter Band „Kriegstagebuch. Vogesenkämpfe“ folgte 1916. Offenbar hatte Wedekind das Buch seinem Sohn angekündigt und empfohlen. Herrn Dr. Kutschers hörte ich von Dir das erste mal. Er ist im Umgang so vielseitig, daß sicherlich er der richtigste war, die Erlebnisse aufzuzeichnen. Bitte wolltest Du so gütig sein ihm meiner beste Gratulation zu seiner Ernennung als ProfessorKutscher war am 2.2.1915 zum außerordentlichen Professor der Universität München ernannt worden [vgl. Kutscher 1960, S. 111]. Die Nachricht wurde ihm an die Front übermittelt und erreichte ihn am 12./13.2.1915. Im „Kriegstagebuch“ schließt eine Bemerkung dazu an Schilderungen von Kämpfen im Schützengraben an: „Ich bekomme die Nachricht, daß ich Professor geworden bin. O mei!“ [Kutscher 1915, S. 250] (zu machen). auszudrücken. Ich freue mich darüber aus ganzem Herzen, daß es auch einem kühnen Germanisten neuer GeistesrichtungArtur Kutscher galt als der Begründer der neuen Disziplin der Theaterwissenschaft. In seinen Lehrveranstaltungen behandelte er auch Gegenwartsautoren und brachte sie mit seinen Studierenden zusammen. Daneben organisierte er mit ihnen Theateraufführungen. gegönnt ist als Professor zu einer begeisterten Jugend zu sprechen. Hoffentlich überlebt er gut den Krieg, um nachher an Erfahrungen bereichert in die Lage zu kommen, auch mich voraussichtlich einmal unter seinen Hörern zu finden.

Literarisches. Neues weiß ich nichts. Ich entsetze mich nur über die neuen FackelhefteDie letzten beiden Nummern der „Fackel“, Nr. 404 und Nr. 405, waren im Dezember 1914 und Ende Februar 1915 erschienen. und stehe nach meiner früheren Leidenschaft Kraus sicher vorurteilsfrei genug gegenüber, um seine – nun schrecklich ans Licht tretenden – Schwächen in klarer Beleuchtung zu sehen. Jedes zweite Wort ist so unnatürlich, daß es mit der Zeit lächerlich wirkt, wenn er behauptet: „Das Pressegezücht müsse schweigen lernen“als Zitat nicht nachgewiesen. In seinem Artikel „Der Ernst der Zeit und die Satire der Vorzeit“ im jüngsten Heft der „Fackel“ ging Karl Kraus auf sein eigenes Schweigen angesichts des Weltkrieges ein und konstatierte: „Und noch so weit ließ ich mich in der Selbstbeherrschung hinreißen, zu schweigen vor dem Sprachgesindel, dem der Anblick unnennbaren Grauens nicht die Zunge gelähmt, sondern flott gemacht hat; stumm zu sein vor der verächtlichsten Brut, die sich je in ein Hinterland verkrochen hat, den Dichtern und Denkern und aller wortbereiten Unzucht, die den Morgen und den Abend schändet und von der ich im Innersten überzeugt bin, daß ohne ihr Dasein, ohne ihre grausamste antikulturelle Wirkung, neben der keine Geistesmacht der Zeiten standhielt, dieser Krieg der berauschten Phantasiearmut nicht entbrannt und nicht ins Überunmenschliche entartet wäre.“ [Die Fackel, Jg. 16, Nr. 405, 23.2.1915, S. 14f.] Schon im Heft zuvor hatte Kraus gefordert: „Wer Taten zuspricht, schändet Wort und Tat und ist zweimal verächtlich. Der Beruf dazu ist nicht ausgestorben. Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!“ [Die Fackel, Jg. 16, Nr. 404, 5.12.1914, S. 2] – er selbst aber immer weiter spricht u. seinen „alten glühenden Haß erneuert“als Zitat nicht nachgewiesen. Im letzten Heft der „Fackel“ hatte Karl Kraus geschrieben: „Nur damit kein Zweifel aufkomme und kein Verdacht, als ob ich etwa meiner falschen Optik untreu geworden wäre und die Grundlagen dieses Jahrhunderts plötzlich nicht wiedererkennen würde, erneuere ich das Gelöbnis meines Hasses.“ [Die Fackel, Jg. 16, Nr. 405, 23.2.1915, S. 3] „Nein, ich bin nicht verpflichtet, den Haß zu arretieren, wenn die Schande am Tage bloß geht!“ [Ebd., S. 18]. W. Herzogs KampfGegen Thomas Manns Artikel „Gedanken im Kriege“ [Die Neue Rundschau, Jg. 25, Heft 11, November 1914, S. 1471-1484], der den Krieg als Befreiung feierte und als Kampf deutscher Kultur gegen westliche Zivilisation begriff, wandte sich Wilhelm Herzog mit seinem Artikel „Die Überschätzung der Kunst“ [Das Forum, Jg. 1, Heft 9, Dezember 1914, S. 445-458]. Er beginnt mit der Frage: „Sind Künstler verpflichtet, Geist zu haben? Muß einer, der Leinwandflächen bemalt, oder einer der die Idee eines Romans zu verwirklichen strebt, Einsicht in die Wirrnis politischer Probleme genommen haben und auch als Politiker Farbe bekennen, oder täte er besser daran, auf ein Urteil zu verzichten und zu schweigen, weil er das Material nicht beherrscht, also nichts zur Sache äußern, sondern nur hineinpfuschen könnte?“ [Ebd., S. 445] Und kommt zu dem Schluss: „Zu welchen puerilen Ausschweifungen ein Künstler kommen kann, wenn er sich auf ein Gebiet locken läßt, dessen glatter Boden seinem sonst wachen Verstand ungeahnte Möglichkeiten zum Ausrutschen bietet – das zeigt der Fall Thomas Manns.“ [Ebd., 454f.] „Der Friede – das Element der zivilen Korruption, die der deutschen Seele amüsant und verächtlich scheint. Man muß es zweimal lesen, man muß sich die Worte eines von uns hochbewerteten Dichters wiederholen, um dann zum rücksichtslosesten Mißtrauen aufzurufen gegen diese literarisch manikürte Irrlehre von der deutschen Seele.“ [Ebd., S. 452] gegen Th. Mann als Politiker ist entschieden zu begrüßen, dar Herzog sehr mutig spricht. Ob er aber Gehör findet scheint mir unsicher. Auch finde ich es schön von ihm, wenn er Romain Rolland nicht fallen läßtRomain Rolland publizierte bis zu ihrem Verbot am 11.9.1915 wiederholt in Wilhelm Herzogs Zeitschrift „Das Forum“, zuletzt im März 1915 mit dem Beitrag „Unser Nächster, der Feind“ [Jg. 1, Heft 12, März 1915, S. 639-644].. Nue/r/ ist mir unverständlich, daß er nicht konfisziert wird. Wenn er bei uns dies sagte, wäre er schon längst im ärgsten Konflikt mit dem Staatsanwalt. Hier darf man alles heraussagen, aber gar nichts niederschreiben. Bis gestern wußte man über die ItalienkriseZu den Forderungen Italiens nach einer Abtretung des zu Österreich gehörenden Trentino (siehe oben) hatten die österreichischen Zeitungen geschwiegen. Am 13.3.1915 erschienen dann verschiedene Artikel, die die Zugehörigkeit dieses Gebiets zu Italien historisch zu widerlegen suchten: „Da es seit den alten Römern bis 1861 kein selbständiges Italien gegeben hat, so hat Trient eigentlich seit dem Untergang des weströmischen Reiches im Jahre 476 nicht mehr zu Italien gehört, also seit beinahe eineinhalb Jahrtausenden.“ [Steirische Alpenpost, Jg. 31, Nr. 11, 13.3.1915, S. 6] „Es gibt auch bei uns Leute, welche glauben, das mit so viel Aufdringlichkeit genannte ‚Trentino‘ bilde ein geschichtlich und geographisch, ethnographisch, wirtschaftlich und landschaftlich in sich abgeschlossenes Gebiet mit einer einheitlichen italienischen Bevölkerung, welche sich darnach sehne, von der österreichischen Herrschaft ‚erlöst‘ und mit Italien vereinigt zu werden. In all diesen Beziehungen entspricht genau das Gegenteil den Tatsachen.“ [Der Tiroler, Jg. 34, Nr. 59, 13.3.1915, S. 2] überhaupt nichts aus inländischen Zeitungen. Beiliegend ein kleines Gedichtlein aus der Sammlung „Beben“nicht überliefert., die in der letzten Zeit entstand. Ich brenne schon darauf Dein Urteil über meinen „Kampf“zu dem als „Epiphania“ skizzierten und mehrfach umgearbeiteten und umbenannten Stück vgl. zuletzt Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.2.1915. u. über die anderen Sachenmöglicherweise die Aufsätze (nicht überliefert), die Friedrich Strindberg seiner Großmutter vorgelesen hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.2.1915]. zu hören. Unsere Osterferien beginnen am 28. III.Sonntag, den 28.3.1915; der Ostersonntag fiel auf den 4.4.1915. Über ein paar Tage werde ich nach Mondsee fahren. Nicht wahr, lieber Frank, Du bist so gut und teilst mir vielleicht mit, wann Du kommst, – wenn Dir es möglich ist, – daß ich nicht zufällig in Mondsee bin.

Nun aber meinen allerherzlichsten Dank, daß Du an ein Wiedersehen denkst und nimm bitte meine besten Wünsche auf recht baldige Genesung entgegen, in Liebe
Dein
Friedrich Strindberg.


[Beilage:]


Vor dem weißen Haus.

Ich träume so bang in die Zukunft hinaus
auf dem Unglück verheißendem Posten
und wache so manche Nacht vor dem Haus,
erwarte ein Lichtlein im Osten.

Das weiße Haus liegt so stille da,
ganz kahl, nur Röslein am Fenster,
Erinnerungsblumen, was einstens mir nah’
und als Vogelschreck für die Gespenster.

Sie kamen so oft im Frühlingsschein,
für den Sommer belebend die Gassen,
doch im Herbst, nach so mancher schier endlosen Pein
wurd’ ich immer wieder verlassen.

Und der Frühling kommt – Ich träumte schon lang
auf dem Unglück verheißendem Posten
und wiederum starr’ ich im Herzen so bang
nach dem nächsten Lichtlein im Osten. |

2.)

Doch die Sonnengegend trägt dunklen Flor,
das Röslein verwelkt an den Fenstern,
da stehe ich auf und öffne das Tor
nun wieder den alten Gespenstern.
__________

Friedrich Strindberg schrieb am 22. März 1915 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg, 22. März 1915


Mein lieber Frank!

Nicht wahr, Du bist mir nicht bös, wenn ich heute mich wieder an Dich wende mit der Bitte, es nicht als Zudringlichkeit oder Belästigung aufzufassen, wenn ich Dich ersuche, mir mitzuteilen, ob Du vielleicht in der Zeit von 28. März bis 6. April nach Salzburg kommst. Ich weiß nämlich noch nicht, wie sich die Sachen treffen; da wäre es sehr leicht nämlich möglich, daß ich Sonntag den 28. März für die Osterferien von Salzburg nach Mondsee fahre, weil ich von Großmama für | die Osterferien eingeladen bin. Anderseits wäre es (mich) mir das größte Vergnügen Dich gesund zu meiner Ferialzeitösterreichisch für Ferienzeit. zu sehen, da ich da weder durch Rücksichten auf Schule noch auf sonst etwas gebunden wäre. Nicht wahr, Du bist also so gut mir vielleicht, wenn Du Zeit hast, bis Sonntag vormittag 28. irgendwie mitzuteilen, ob ich Dich vielleicht in Sbg. erwarten könnte, oder etwa von Mondsee nach Sbg. kommen könne. Aber ich bitte Dich recht Dir unseres Wiedersehens halber, das Dir hoffentlich auch ein bischen Freude bereiten möge, ja nichts etwa für Deine GenesungWedekind litt seit seiner Blinddarmoperation am 29.12.1914 an den Komplikationen einer schleppenden Wundheilung, die im Tagebuch dokumentiert ist, so am 15.3.1915 („Bei Skanzoni. Er führt die Sonde ein“), am 16.3.1915 („Eiterung wird stärker. Ich kann kaum gehen“) und am 17.3.1915 („Fühle mich sehr schwach. Am Mittag bessert sich mein Zustand“). – deren baldige Rückkehr wichtiger als alles andre ist – Ungelegenes aufzubürden. Nicht wahr, lieber Frank, Du nimmst mir diese Bitte nicht übel und wenn sie etwas | ungeschickt herausgebracht ist, so nimm’ bitte den herzlichen Sinn statt der kalten Worte. Bitte!

Hier haben wir seit Freitag wunderschöne Tage, wie man sie in Sbg. gar nicht gewohnt sein darf. Dazu kommen für mich noch meine militärischen „Jungschützen-ÜbungenFriedrich Strindberg hatte sich auf Anraten seines Cousins und Vormunds Cäsar Ritter von Weyr einem Jungschützenkorps angeschlossen, das sich die militärische Schulung von Jugendlichen zur Aufgabe machte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915].“, die mir sehr viel wert sind und das in bescheidenem Maße, was das schöne Wetter heiter macht und dem Ganzen erst den liebenswürdigen Reiz des Lebenslustigen verleiht. Die stille Ruhe, wie ich sie bei Goethe in seinen Annalenautobiographische Aufzeichnungen Goethes von 1749 bis 1822. In Cottas Goethe-Jubiläumsausgabe (1902-1907) in 40 Bänden finden sich die „Annalen oder Tag- und Jahreshefte“ in Band 30. finde, dazu ein paar freundliche Mädchenköpfe, die ein Rubens gemalt haben könnte, wenn sie nicht lebten u. die Du hoffentlich sehen wirst, verleihen mir eine Sorglosigkeit | und eine innere Freudigkeit, die viel wert ist und wie ich sie selten hatte. Daß dabei meine guten Beziehungen mit Dir, mit Großmama, meinem Vormund u. meinen Lehrern eine günstige Rolle spielen, beruhigt mich auch über unsere politische Zukunft, (wie ich sie seit) die nach Berichten von Nord u. Süd schlechter steht, als man glauben könnte. In Serajevo sind die Schulen geschlossenDie Presse berichtete: „In Serbien wurden wegen der Seuchen sämtliche Schulen geschlossen und die Lehrer und Lehrerinnen als Krankenpfleger in die Spitäler beordert.“ [Grazer Tagblatt, Jg. 25, Nr. 79, 20.3.1915, S. 11] Die Soldaten erkrankten vor allem an Fleckfieber („Flecktyphus“), das durch Kleiderläuse übertragen wird. u. aus Trient werden unsere Truppen nach Norden geschicktMeldungen über einen österreichischen Truppenabzug aus Trient vor dem Kriegseintritt Italiens aus Seiten der Entente-Mächte am 23.5.1915 ließen sich nicht belegen. Italien verhandelte mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn über die Abtretung des zu Österreich gehörenden, vorwiegend italienischsprachigen Trentinos mit der Hauptstadt Trient an Italien als Bedingung für die Beibehaltung seiner neutralen Haltung. Österreich stellte eine solche Kompensation eigener Gebietsgewinne auf dem Balkan frühestens mit einem Ende des Krieges in Aussicht.. Ein Maior, Graf M.nicht ermittelt. schrieb seiner Frau, dass er bei seiner Rückkehr an die Front vor ein bis 2 Wochen alles in bösem Zustande fand.

Aber einstweilen meine herzlichsten
Grüße mit der recht freudigen Hoffnung
auf unser Wiedersehn
Dein Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 28. März 1915 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 15.4.1915 aus Salzburg:]


[…] Dein Telegramm […]

Friedrich Strindberg schrieb am 15. April 1915 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg den 15. April 1915.


Mein lieber Frank!

Ich muß mich nun wirklich bei Dir entschuldigen, daß ich solange mit meiner Antwort auf Dein Telegrammnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 28.3.1915. Wedekind hatte darin seinem Sohn offenbar mitgeteilt, dass ein Treffen in Salzburg, das sich Friedrich Strindberg für die Osterferien erhofft hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.3.1915], nicht möglich sei. warten lasse. Mein Vormund, der ebenfalls von mir für die Tage nach OsternDer Ostersonntag fiel auf den 4.4.1915. Friedrich Strindbergs Ferien begannen in der Woche vor Ostern und dauerten mindestens bis zum 6.4.1914 [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.3.1915]. erwartet wurde, blieb aus, da er eben von Seiten der Militärbehörde versetzt wurde. Die Osterfeiertage verbrachte ich bei Großmama in Mondsee und wir vertrugen uns recht herzlichst. Großmama hat gegenwärtig eben einen unangenehmen Prozeß zu erledigen, den ihr MieterIdentität nicht ermittelt. gegen sie angestrengt hatte. Obwohl die Sache in manchen Augenblicken nicht ungefährlich schien, löste sie sich doch anscheinend zu Ihren Gunsten. Auch sonst hatte mein Osterurlaub viele AhnnehmlichkeitenSchreibversehen, statt: Annehmlichkeiten.. Eine Sonntagnachmittagpartie brachte mich in die Nähe herum und voll der angenehmsten Hoffnungen verlief der Ostersonntagnachmittag so angenehm, daß ich ihre Nichterfüllung gar nicht besonders schmerzlich spürte.

Literarisches habe ich wenig Neues. Nur gelang mir in Mondsee ganz zufällig zu dem Liedchendas Gedicht „Vor dem weißen Haus“ [vgl. Beilage zu Friedrich Strindberg an Wedekind, 14.3.1915], das ich Dir letzthin | sandte, eine Melodie mit Gitarrenbegleitung, die Großmama außerordentlich gefiel und die (ich) mich besonders freuen würde Dir sie m vorzuspielen. Nur ein paar Akkorde in D dur mit dem gewöhnlichen A-Septimenwechselhäufiger Wechsel bei der Akkordbegleitung auf der Gitarre von D auf A7; zum Beispiel in „O Tannenbaum“ zwischen dem ersten und zweiten Vers.. Mit meinem „Kampf“ habe ich ganz sonderbare Schicksale. Herr Doktor Eckard, den ich durch sein freundliches Wesen hier recht lieb gewinnen lerne, (er ist Herausgeber von „Über den Wassern[“]) sagte: er könne über das Stück kein Urteil abgeben. Er fand die darin ausgesprochenen Gedanken besser als die häufigen papierenen Dialoge – was mich gar nicht gar so arg entmutigt – und mit meiner Einwilligung unterbreitete er es der zuständigen Seite, einem katholischen Theologieprofessor Dr. SeipelIgnaz Seipel, seit 1909 Professor für Moraltheologie an der Universität Salzburg, war maßgeblich beteiligt am innerkatholischen Literaturstreit zwischen den katholischen Zeitschriften „Über den Wassern“ und „Gral“. Seipel antwortete im Juli 1914 mit seinem Aufsatz „Literarische Polemik und katholische Moral“ [Über den Wassern, Jg. 7, Nr. 10, S. 673-697] auf einen Beitrag Franz Eicherts im „Gral“ mit dem Titel „Die Selbstvergiftung des katholischen Schrifttums“ [Jg. 8, Heft 7, 1.4.1914, S. 424–434; Heft 8, 1.5.1914, S. 483–492; Heft 10, 1.7.1914, S. 617–627; Heft 11, 1.8.1914, S. 689–698], den Friedrich Strindberg wegen der darin formulierten Angriffe auf Thomas Mann in einem früheren Brief erwähnt hatte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.5.1914]. , der hier in Salzburg unter der katholischen Welt trotz seiner liberalen Ansichten (– er ist ein Verehrer von Dir –) eine sehr angesehene Stellung einnimmt. Wenn ich auch schon neugierig auf das Urteil eines Universitätsprofessors bin – er ist noch sehr jungIgnaz Seipel war zu diesem Zeitpunkt 38 Jahre alt. –, so würde mich Dein Urteil, lieber Frank, unvergleichlich mehr freuen und interessieren in jeder Richtung. Dann schrieb ich noch eine kleine Novelle im Wertherstil „Das gebrochene Herz“, Tagebuchblätter, wozu mir ein paar Salzburger DamenIdentitäten nicht ermittelt. in ihrem äußeren Wesen | Modell stehen mußten. Meine Erlebnisse sind spärlicher geworden und ich war so grenzenlos egoistisch – jetzt da es vorbei ist kann ich es mir ja gestehen – mir eine Neigung vorzugauckelnvermutlich zu der in einem früheren Brief genannten „jungen Dame“ [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.2.1915]., um – bessere Liebessachen schreiben zu können. Das war nicht schön von mir. Aber hie und da denke ich, es hätte leicht ernst werden können, wären durch unsere Kettenum das Salzburger Internat verlassen können, benötigten die Schüler eine schriftliche Genehmigung des Schuldirektors [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 27.2.1915]. – poetischer Ausdruck für Gartenmauer – wir nicht so von der Außenwelt getrennt. Doch es hat wirklich sein Gutes.

Aber, lieber Frank, sei mir bitte nicht böse, wenn ich so viel von mir spreche; hoffentlich ist Deine WundeAm 15.4.1915, dem Schreibdatum des vorliegenden Briefes wurde Wedekind wegen der Komplikationen bei der Wundheilung seiner Blinddarmoperation vom 29.12.1914 im Münchner Josephinum ein zweites Mal operiert [vgl. Tb]. auf einem schnelleren Wege der Besserung begriffen, daß wir uns recht bald, recht bald wiedersehen können. Rechne es mir, wenn ich das so gerade ausspreche, bitte nicht als Unbescheidenheit an. Es möge mir ein kleines Zeichen meiner Freude sein, Dich wiederzusehen! In München muß es wirklich nicht mehr gemütlich sein. Bei uns in Österreich, darf man ja alles sagen – aber wehe dem, der Mund und Feder verwechselt! Geschrieben (in der Zeitung) darf gar nichts werden. Ich staune jeden Monat, daß Wilhelm Herzog noch nicht sitztIn seiner seit April 1914 monatlich erscheinenden Zeitschrift „Das Forum“ verfolgte Wilhelm Herzog von Anfang an eine antimilitaristisch-pazifistische, europäische Haltung, die vom Pressereferat des bayerischen Kriegsministeriums als mangelnder Patriotismus gedeutet wurde und zu zahlreichen Konflikten mit der Zensur führte, die den Autor in die Nähe des Hochverrats rückte. Am 11.9.1915 wurde die Zeitschrift schließlich verboten. Wedekind hatte dort im April 1914 „Weltlage“ und im Juli 1914 „Schriftsteller Ibsen und ‚Baumeister Solness‘. Ein kritischer Essay“ publiziert. Außerdem sind etliche Beiträge über Wedekind im „Forum“ erschienen.. Draußen scheint man beinahe alles schreiben zu dürfen. Mit der offenen Sprache scheint es bei uns besser zu sein. |

Nun bin ich also schon über einen Monat bei den Jungschützen SalzburgsFriedrich Strindberg hatte sich auf Anraten seines Cousins und Vormunds Cäsar Ritter von Weyr einem Jungschützenkorps angeschlossen, das sich die militärische Schulung von Jugendlichen zur Aufgabe machte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915].. Wir exerzieren und es ist wirklich gut, vom soldatischen Geist, der heute die Welt zu regieren scheint, ein wenig Ahnung zu bekommen. In Reih und Glied hört jedes „Einzelfühlen“ auf. Auch die Disziplin hat ihren nicht zu unterschätzenden Wert.

Über Liebknecht, Lebedourirrtümlich für Ledebour., Rosa Luxembourg etc. ist man hier recht entrüstetvermutlich in Anspielung auf eine kurz zuvor publizierte Zeitungsmeldung: „Die Herrn Liebknecht und Genossen haben […] ihren bisherigen Taktlosigkeiten eine neue zugefügt. Sie haben auf dem Umwege über Holland der Pariser ‚Humanité‘ ein Manifest der Minorität der deutschen Sozialdemokratie zur Veröffentlichung übersandt, dessen Form und Inhalt charakterisiert wird durch Ausführungen, wie folgende: ‚Die Opposition gegen diesen verabscheuungswürdigen Krieg ist in Deutschland ständig im Wachsen. Wenn wir auch, unter dem eisernen Drucke der Kriegsgesetze stehend, daran gehindert sind, öffentlich unsere Meinung auszudrücken, so kann uns doch die Zukunft eine Ueberraschung bringen. Von der Haltung unserer sozialistischen Genossen in Frankreich, England und Belgien hängt für uns die Möglichkeit einer Aktion gegen den Krieg ab.‘ Die Verfasser des Manifests, zu deren Gruppe nach der ‚Humanité‘ neben Karl Liebknecht auch Ledebour, Rühle, Franz Mehring, Klara Zetkin und Rosa Luxemburg zu rechnen sind, versichern den französischen Genossen, daß das deutsche Proletariat durchaus nicht einverstanden sei mit den Erklärungen eines Scheidemann eines Heine, ‚eines Dutzends Führer, die durch den Krieg vollständig verrückt gemacht worden sind‘“. [Liebknecht und Genossen. In: Salzburger Volksblatt, Jg. 45, Nr. 81, 12.4.1915, S. 10] und man wundert sich, daß man diese Leute nicht einfach wie bei uns den Tschechen Klovač aufgehängt hatDer sozialistische tschechische Abgeordnete Václav Klofáč war Mitglied des Österreichischen Abgeordnetenhauses und des Böhmischen Landtages. Er wurde bei Kriegsbeginn wegen des Verdachts auf Hochverrat inhaftiert. Die Presse meldete: „Wie berichtet, wurde gestern in der Wohnung des Abg. Klofač eine eingehende Hausdurchsuchung vorgenommen. Die Durchsicht der mit Beschlag belegten Briefschaften scheint belastendes Material ergeben zu haben. Auf Grund des Ergebnisses dieser Sichtung wurde die Verhaftung Klofačs angeordnet. Die Ergebnisse der Hausdurchsuchung werden nunmehr den Gegenstand einer militärgerichtlichen Amtshandlung bilden.“ [Prager Tagblatt, Jg. 39, Nr. 224, 5.9.1914, Abend-Ausgabe, S. 12] Von einer Verurteilung oder geplanten Hinrichtung des Abgeordneten ist nichts bekannt. Václav Klofáč wurde im Zuge der Amnestie politischer Gefangener durch Kaiser Karl I. vom 2.7.1917 ohne Urteil entlassen.. Deutschland muß in manchen Dingen ein Wunderland sein. Schon einmal diese strenge Einhaltung der BrotkartenDer Kauf von Brot und Mehl war seit dem 11.4.1915 in Österreich nur gegen das Vorzeigen einer wochenweise gültigen Brotkarte möglich, die abschnittsweise entwertet wurde. Die Einführung der Karte und mögliche Komplikationen wurden von der Presse im Vorfeld breit diskutiert, die ersten Tage nach ihrer Einführung dann aber als reibungslos geschildert. In Berlin war die Brotkarte bereits am 22.2.1915 eingeführt worden.! Und so vieles mehr.

Aber hoffentlich bessert sich Dein Befinden recht rasch, und hoffentlich ist der Punkt der Gefahr schon befriedigend überwunden!

Das wünscht Dir aufrichtig und von ganzem Herzen
in Liebe
Dein
Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 23. April 1915 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 24.4.1915 aus Salzburg:]


Danke […], daß Du mir […] schriebst! […] als ich […] auf der Karte las […]

Friedrich Strindberg schrieb am 24. April 1915 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg, 24.IV.1915.


Mein lieber Frank!

Danke dir recht herzlich, daß Du mir trotz Deines Leidens schriebst! Ich erschrak in hohem Maße, als ich von Deiner neuerlichen OperationWedekind unterzog sich nach seiner ersten Blinddarmoperation (29.12.1914) am 15.4.1915 einer zweiten „Operation“ [Tb]. Sein zweiter Klinikaufenthalt dauerte vom 14.4.1915 bis 9.6.1915. auf der Karte lasnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 23.4.1915.; wähnte ich Dich ja schon vollends genesen. Da bitte ich Dich recht mir meine sicherlich ungestümen und vielleicht auch unbescheidenen Bittenvgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 22.3.1915., mich zu Ostern zu besuchen, zu entschuldigen. Auch danke ich Dir einstweilen für Deine Empfehlungen an Herrn Doktor Eckardt und freue mich schon recht sie ihm morgen auszurichten. Er ist ein sehr netter und gebildeter Herr, der trotz seiner LeitungJohannes Eckardt leitete seit 1913 die katholische Literaturzeitschrift „Über den Wassern“. Innerhalb der konfessionell gebundenen Literaturkritik stand er für eine vergleichsweise liberale Haltung gegenüber nicht-katholischer Literatur, was zu Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Zeitschriften wie dem „Gral“ führte. von „Über den Wassern“ die gediegensten Ansichten und auch nicht im geringsten rückständig, besitzt und verteidigt.

Erst vor kurzem sandte ich 4 kleine politische Gedichtleinnicht überliefert. an die Redaktion des „Forum“. Auf Rat Herrn Doktor E. werde ich auch meine kleine, neue Novelle „Das verlorene Herz“, eine Lei|densgeschichte an die „Aktion“ von Hanns Pfemfertirrtümlich für Franz Pfemfert, den Herausgeber der seit Februar 1911 wöchentlich erscheinenden expressionistischen Zeitschrift „Die Aktion“ (Berlin). senden. Erst kürzlich aber erfuhr ich von Herrn Doktor von Deinem „Bismark“Schreibversehen, statt „Bismarck“, Wedekinds „Bismarck. Historisches Schauspiel in fünf Akten“ [KSA 8, S. 153-232], das im Vorabdruck noch den Untertitel „Bilder aus der deutschen Geschichte“ trug. Am 26.3.1915 berichtete die Presse: „Frank Wedekind hat unter dem Titel ‚Bismarck‘ soeben eine dramatische Studie in sechs Bildern im Manuskript vollendet. Dieses Bismarck-Drama ist keineswegs in dem Gedanken an den hundertsten Geburtstag des Altkanzlers erdacht und geschrieben. Die leitende Idee bildet das Problem der politischen Diplomatie. Die sechs Bilder zeigen sechs historische Tage aus dem politischen Leben Bismarcks in den Jahren 1863–1866, jener Zeit, von der Bismarck selbst einmal äußerte, daß sie dazu geschaffen, aus ihr ein Drama zu machen.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 44, Nr. 156, 26.3.1915, Morgen-Ausgabe, S. (3)] Wedekinds historisches Schauspiel erschien erst im Dezember 1915 als Buch. Zum Zeitpunkt des vorliegenden Briefs von Friedrich Strindberg war als Vorabdruck „Erstes Bild. Bismarck und Karolyi“ erschienen [vgl. Der Neue Merkur, Jg. 2, Heft 1, April 1915, S. 1-12; vgl. KSA 8, S. 660, 683]. Die 2. Szene aus diesem Bild ist außerdem am 1.4.1915 im „Berliner Tageblatt“ veröffentlicht worden mit dem Hinweis: „Vor einigen Tagen haben wir mitgeteilt, daß Frank Wedekind eine dramatische Studie in sechs Bildern ‚Bismarck, Bilder aus der deutschen Geschichte‘ vollendet hat. Aus den uns zur Verfügung gestellten Aushängebogen veröffentlichen wir heute die zweite Szene des ersten Bildes.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 44, Nr. 168, 1.4.1915, Abend-Ausgabe, S. (2)]. Du kannst Dir kaum denken, wie erstaunt ich war und ich freue mich schon recht darauf! Vorläufig aber ist die Hauptsache, daß Du lieber Frank, bald und völlig wieder gesundest und ich bitte Dich recht, Dich beim Briefschreiben an mich nicht zu bemühen. Solange Du krank bist und Dir das Schreiben schwerfällt, bedarf ich ja keiner Antwort. Schonung, die Du sicherlich so nötig hast, besteht ja aus lauter Einzelheiten, und nicht wahr Du siehst es nicht schlecht an, wenn ich Dich von ganzem Herzen darum bitte.

Von uns in Österreich weiß ich recht wenig Neues. Erst kürzlich wurde der Begriff LandsturmBezeichnung für alle wehrtauglichen Männer außerhalb des aktiven Militärdienstes; die Landsturmpflicht entsprach der Wehrpflicht. Die Presse berichtete, es sei angesichts des fortschreitenden Krieges „in Aussicht genommen, die Landsturmpflicht in beiden Staaten der Monarchie in Hinkunft schon mit dem Jahre, in dem das 18. Lebensjahr vollendet wird, beginnen und bis zum Ende des Jahres der Vollstreckung des 50. Lebensjahres währen zu lassen. Auch soll das erste Aufgebot die Jahrgänge bis zur Vollstreckung des 42. Lebensjahres umfassen und die Möglichkeit geboten werden, in ganz besonderen Ausnahmefällen auch die dem zweiten Aufgebot Angehörenden zu Zwecken der Ergänzung des Heeres und der Landwehr heranzuziehen.“ [Erweiterung der Landsturmpflicht in Oesterreich-Ungarn. In: Neues Wiener Journal, Jg. 23, Nr. 7716, 18.4.1915, S. 3] von 17 – 50 Jahre erweitert. Der nächste Jahrgang, der höchstwahrscheinlich Anfang Juni seine Stellungösterreichisch für Musterung. hat (oder schon Ende Mai.), sind die 97er, das sind wir. Es ist sehr leicht möglich, daß ich behalten werde, und deshalb muß ich fleißig lernen, um noch vor der Stellung die Prüfung über die 6. Klasse, die die EinjährigenberechtigungDie Berechtigung zum Dienst als Einjährig-Freiwilliger war ein höherer Schulabschluss, mindestens der Mittelschule. „Die Institution der Einjährigen-Freiwilligen hat den Zweck, jene Wehrpflichtigen, die sich höheren Studien widmen, durch die dreijährige Präsenz-Dienstzeit nicht in einer für ihre spätere Laufbahn empfindlichen Weise zu schädigen. Gleichzeitig soll durch die Einjährig-Freiwilligen der im Kriegsfalle eintretende grosse Mehrbedarf an Subaltern-Officieren, Cadetten, Aerzten u. s. w. gedeckt werden. Als Bedingung zum Eintritt als Einjährigen-Freiwilliger ist die Absolvierung einer inländischen Mittelschule oder einer dieser gleichgestellten Lehranstalt, eventuell die bei einem Truppen-Divisions-Commando abzulegende Vorprüfung in gleichem Umfange des Wissens nothwendig.“ [Alfons Freiherr von Wrede: Geschichte der K. u. K. Wehrmacht. Bd. 1. Wien 1898, S. 92] Die freiwillige Meldung als Einjähriger entband in Kriegszeiten nicht vom Frontdienst. mit der | Bestimmung weiter zu studieren mit sich bringt, ablegen zu können. Falls ich hinaus muß, macht es mir nicht das Geringste. Ich glaube es drobengemeint ist hier vermutlich auf der Landkarte oben (siehe noch einmal unten); die russisch-österreichische Hauptfrontlinie verlief nordöstlich von Österreich-Ungarn in Galizien und den Karpaten. sehr leicht nehmen zu können. Auch freue ich mich, daß es endlich mit Italien loszugehenDas neutrale Italien trat am 23.5.1915 auf Seiten der Entente-Mächte mit einer Kriegserklärung gegen Österreich in den Krieg ein. scheint! Nur die Idee eines SeparatfriedensGerüchte eines österreichischen Separatfriedens mit Russland wurden von der ausländischen Presse erörtert und von der österreichischen Presse zurückgewiesen. mit Rußland ist gräßlich! Romain Rollands FrageNach der Zerstörung Löwens durch deutsche Truppen schrieb Romain Rolland in seinem offenen Brief an Gerhart Hauptmann: „Nicht zufrieden mit Euren Taten gegen das lebende Belgien, führt Ihr auch noch Krieg gegen die Toten, gegen jahrhundertalten Ruhm. Ihr bombardiert Mecheln, Ihr steckt Rubens in Brand, Löwen ist nicht mehr als ein Aschenhaufen – Löwen mit seinen Schätzen der Kunst und der Wissenschaft, die heilige Stadt! – Aber wer seid denn Ihr? Und mit welchem Namen wollen Sie, Hauptmann, daß man Euch gegenwärtig nenne, der Sie den Titel Barbaren zurückweisen? Seid Ihr die Enkel Goethes oder Attilas? Führt Ihr Krieg gegen die Armeen oder gegen den Menschengeist?“ [Vossische Zeitung, Nr. 460, 10.9.1914, Abend-Ausgabe, S. (2)] „ob wir Deutschen von Goethe oder Attila abstammen“ wäre dann entschieden – wenigstens für unsere Nachbarn im Westen.

Mein Vormund Herr Doktor v. Weyr muß jetzt bald wieder auf den Kriegsschauplatz. Da ich im Falle meiner Einberufung zu seinem Regiment nach Klagenfurt zu kommen suche, hätte ich große Freude oben unter sein Kommando zu kommen. Mit Großmama stehe ich auf sehr gutem Fuß, ebenso mit meiner Tante, Frau HarnwolfFrau Harnwolf] Charlotte Harnwolf, Gattin des Hofrats und Finanzsekretärs Dr. Siegmund Harnwolf, wohnhaft am Althanplatz 8 im IX. Bezirk Wiens, war die Tochter von Melanie Samek, der Zwillingsschwester von Friedrich Strindbergs Großmutter Marie Uhl. Sie hatte für Friedrich Strindberg einen Kontakt zu Felix Salten hergestellt [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 20.12.1914]., die sich meiner auf meiner „Flucht“Friedrich Strindberg war am 30.11.1914 mit zwei Mitschülern aus seinem Salzburger Internat ‚getürmt‘ und für eine Woche nach Wien gefahren [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.11.1914 und 1.12.1914] seinerzeit so freundlich annahm, der es jetzt aber recht bös geht. Sie liegt schon 10 Jahre ungefähr krank darnieder und wandert von Sanatorium zu Sanatorium. |

Von Kerstin läßt sich gar nichts hören. Sie schweigt sich uns allen recht gründlich aus.

Aber hoffentlich findest Du recht bald Besserung; falls irgend ein etwas von mir gedruckt wird, würdest Du mir eine recht große Freude machen, wenn ich es Dir senden dürfte. Nicht wahr, Du weist es bitte nicht zurück? – aber zuerst muß ich etwas haben. Eben genieße ich in vollen Zügen die Schönheit Tizians. (MonographieDer „Tizian“-Band von Hermann Knackfuß war 1912 in der Reihe Künstler-Monographien als Band 29 bei Velhagen und Klasing in Bielefeld und Leipzig in 7. Auflage erschienen. von Velhagen u. Klassing.) Die FloraDas nach der römischen Göttin der Blüten – Flora – benannte Ölgemälde (1515) des italienischen Renaissancemalers Tizian, das eine leicht bekleidete Frau zeigt, ist seiner erotischen Ausstrahlung wegen berühmt geworden. Es ist auf Seite 35 des von Friedrich Strindberg genannten Tizian-Bandes (siehe vorherige Anmerkung) abgebildet. und alle seine Frauen scheinen mir zwischen „Himmel u. Hölle“gemeint sein dürfte: zwischen Unschuld und Laster. zu schweben. So herrlich schön sind sie. Voll klassischem RhytmusSchreibversehen, statt: Rhythmus..

Aber einstweilen herzliche Grüße mit demSchreibversehen, statt: den.
herzlichsten Wünschen baldiger Genesung!
Dein

Friedrich Strindberg.

Friedrich Strindberg schrieb am 9. Mai 1915 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg, 9. Mai 1915.


Mein lieber Frank!

Also heute schreibe ich wieder und zwar in Deine Wohnung, mit der Hoffnung, Du mögest schon gesundWedekind unterzog sich nach seiner ersten Blinddarmoperation (29.12.1914) am 15.4.1915 einer zweiten „Operation“ [Tb]. Sein zweiter Klinikaufenthalt dauerte vom 14.4.1915 bis 9.6.1915., wenn nicht wiederhergestellt sein.

Die letzten 14 Tage verliefen ungefähr täglich unter denselben Eindrücken; nur, daß ich mich vorletzte Woche mehr mit meinen literarischen Versuchen beschäftigte, diese mit den Eindrücken, die drohend vom SüdenDas neutrale Italien trat am 23.5.1915 auf Seiten der Entente-Mächte mit einer Kriegserklärung gegen Österreich in den Krieg ein. Zuvor formulierte die Regierung Ansprüche auf österreichische Gebiete und erwartete deren Abtretung (siehe auch unten Friedrich Strindbergs den Brief abschließende Bemerkung). kommen. Letzten, d.i. vorletzten Mittwochden 28.4.1915. besuchte ich Herrn Universi. Professor Dr. Seipel. Herr Dokt.s Eckardts Liebenswürdigkeit hatte mich mit dem sehr kunstverständigen Geistlichen zusammengeführt, der im Fache der Kunst, seine Theologie völlig schweigen läßt. Meine Gedichte berück|sichtigte er nicht. Der Eindruck des Gelesenen sei im IhnenSchreibversehen, statt: in ihnen. noch zu stark. Wohl erregte mein „Kampf“, der Einakter, sein Interesse, der aber, ebenso wie eine Novelle von mir „Das gebrochene Herz, eine Leidensgeschichte“ den Mangel des „Befreienden“ – wie er es nannte – aufweist. Unn/d/ er legte mir klar, daß jede Kunst ein Alp von der Brust nehmen müsse. Ich bat ihn um ein modernes Beispiel und er nannte den „Marquis von Keith“. Herr Doktor Seipel führte aus, daß der Marquis, trotz der Gewöhnlichkeit des Hochstapplertums das Ni für jede Kunst Typische besitze. Und dann nannte er den „König Nikolo“ als Dein reizendstes Stück, überhaupt ein Werklein „das entzückend ist“. Ich versuchte dieses „Typische der Kunst“ näher kennen zu lernen und Herr Dr. Seipel verwies mich auf das Übermenschliche der Gestalten, das den Zuschauer erhebt. Der Fehler meiner 2 Stücke, die ich ihm gab, der Novelle und des Dramas sei, daß sich der Held in beiden passiv verhalte, also wohl unsre Teilnahme, weniger aber unser Mitgefühl erregen könne, weil dem Willensschwa|chen der handelnde, Teilnahme erregende, starke Wille fehlt. Nach einer ein-einhalbstündigen, sehr interessanten Unterredung, bei der ich sehr viel profitierte, verließ ich ihn. Die Folge davon war eine völlige Umgestaltung meines Dramas, die mir jetzt wirklich nötig erschien. Ich führte sie in wenigen Tagen durch

Ich denke jetzt aber sehr oft an Deine Genesung und bitte Dich meine besten Wünsche dazu entgegenzunehmen. Mit Herrn Dr. Eckardt bin ich leider Zeitmangels halber seit 3 Wochen nicht zusammengekommen; er sandte mir vor wenigen Tagen ein GedichtleinIn der Reihe „Kriegslieder“, einer vom Sekretariat Sozialer Studentenarbeit in Mönchengladbach herausgegebenen Heftfolge, war in Heft 11 als letztes von 10 Gedichten Friedrich Strindbergs Gedicht „Totenkopfhusaren“ erschienen: „Das Band herab! Heraus den Säbel! / Der Feind ist da; auf, drauf und dran! / Seht ihr die Massen dort vor den Bergen? / Das sind die feindlichen Henkerschergen! /Für unser Volk! Auf! drauf und dran! // Der Rappe stampft, die Erde zittert, / Und blutig brechen wir uns Bahn. / Hei! und mit furchtbar pfeifendem Schwingen / Sausen unsere guten Klingen. / Für unsern Kaiser! Auf! drauf und dran! // Die Luft zischt von dem Eisenhagel; / Gesiegt! Ein neuer Tag bricht an! / Hurra! Wir haben uns durchgeschlagen, / Wert unseres Namens, den wir tragen! / Für unsern Gott! Auf! drauf und dran!“ [Kriegslieder. Heft 11. Mönchengladbach 1915, S. 15] Die Heftreihe erschien später im Verlag Volksverein als Anthologie [vgl. Sekretariat Sozialer Studentenarbeit (Hg.): Kriegslieder. Band 1. Mönchengladbach 1915]. Neben Heinrich Lersch stellte Johannes Eckardt mehrere der Hefte zusammen. von mir in seinen Kriegsliederheftchen zu, das er druckte. Ich freue mich schon recht, es DirSchreibversehen, statt: Dich. lesen zu lassen. Aber hoffentlich macht Dein Gesundwerden nun rüstige Fortschritte, daß die Arbeit am „Bismark“Schreibversehen, statt: Bismarck. – auf den ich im gleichen Maße mich freue, wie neugierig bin – keine zu große Verzögerung erleidet. Er möge viel, viel Glück haben und Dir endlich bringen, was man Dir solange mit Un|recht vorenthielt! Das ist mein kleiner, bescheidener Wunsch! Aber auch sonst alles Beste!

Was unsere Stellungösterreichisch für Musterung. betrifft, scheint sie verschoben worden zu sein. Jedenfalls dürfte sie Juni oder Juli stattfinden, wenn wir JungschützenFriedrich Strindberg hatte sich auf Anraten seines Cousins und Vormunds Cäsar Ritter von Weyr einem Jungschützenkorps angeschlossen, das sich die militärische Schulung von Jugendlichen zur Aufgabe machte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915]. nicht eher an die Grenze müssen. Erst gestern erhielt unser Korps Uniformen. Die Übungen nehmen ihren regelrechten Verlauf. In einem Monat dürfte die AbrichtungIn Österreich zeitgenössisch verbreiteter militärischer Terminus für den Erwerb soldatischer Fähigkeiten etwa durch Exerzierübungen: „Die Abrichtung gehört nur für mechanische Fertigkeiten und Geschiklichkeiten, die dem Manne so zur zweiten Natur werden müssen, daß er sie im rechten Augenblike, ohne zu denken, gleichsam instinktmäßig ausübt.“ [Oesterreichisches Militär-Konversations-Lexikon. Hg. v. J. Hirtenfeld und H. Meynert. Bd. 1. Wien 1851, S. 10] beendet sein. Und dann – ? –.

Auch bitte ich Dich Herrn Professor Kutscher meine besten Empfehlungen auszurichten. Ich freue mich schon darauf, ihn nach dem Krieg wieder einmal zu sehenFriedrich Strindberg hatte Artur Kutscher bei einer Theateraufführung mit seinen Studierenden in Salzburg kennengelernt [vgl. Artur Kutscher an Wedekind, 11.7.1914].. Hier gibt es wenig Neues. Seit Monaten schon ist unseren österr. Blättern jeder Bericht über die Haltung Italiens verboten. Die deutschen Zeitungen haben starke Kontrolle und werden leicht konfisziert.

Aber noch recht herzliche Grüße und Wünsche
recht baldiger Genesung!
Dein
Friedrich Strindberg.

Friedrich Strindberg schrieb am 30. Mai 1915 in Salzburg folgenden Brief
an Frank Wedekind

Salzburg, 30. Mai 1915.


Mein lieber Frank!

Nicht wahr, Du zürnst mir nicht, wenn ich heute mit einer aufgespeicherten Menge ungelöster Fragen komme, deren Lösung weder mich noch kaum Dich befriedigen wird. Es handelt sich um das ebenso traurige wie freudige Faktum der Einberufung der 97erdie Wehrpflichtigen des Geburtsjahrganges 1897, zu denen Friedrich Strindberg zählte.. Meine Zuständigkeit zum frwl. JungschützenkorpsFriedrich Strindberg hatte sich auf Anraten seines Cousins und Vormunds Cäsar Ritter von Weyr einem Jungschützenkorps angeschlossen, das sich die militärische Schulung von Jugendlichen zur Aufgabe machte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915]. erlaubt mir allerdings, augenblicklich, ja sogar später der Musterung meines Jahrganges fern zu bleiben. Da aber die Zeit, die ich im Dienste meines Corps verbringe, ich für verlorene Zeit ansehe, bin ich gezwungen jetzt | schon womöglich mein EinjährigesSchulabgänger der Mittelschule konnten nach bestandener Prüfung am Ende der 10. Klasse durch freiwillige Meldung als sogenannte Einjährig-Freiwillige ihre Militärzeit von drei Jahren auf ein Jahr verkürzen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.4.1915]. Die Einheit, bei der sie für das Präsenzjahr einrückten, konnte in der Regel frei gewählt werden. Am Ende der Dienstzeit erhielten die Einjährig-Freiwilligen den Rang eines Unteroffiziers. zu machen. Bei einer guten Absolvierung meiner Klasse ist dies möglich. Daß ich nun aber über Hals und Kopf lernen muß ist das Gräßliche, mir wenigstens das Gräßlichste. Bis zur Prüfung, die zwischen Mitte und Ende Juni fallen wird bin ich bei unserem Korps beurlaubt. Anstatt aber dann meinen Dienst – das wäre Überwachung von Depots u. s. w. – antreten zu wollen, gedenke ich mein Einjähriges beim Regimente meines VormundsCäsar Ritter von Weyr war Leutnant beim Landwehr-Infanterieregiment Nr. 4 Klagenfurt und dort dem Grenzschutzbataillon Nr. 6 zugeordnet. in Klagenfurt zu machen. Und dies ist die unbefriedigende Lösung einer Frage, von der ich Dich bitte mir zu verzeihen, daß sie mir am Herzen liegt: unser Wiedersehn, das sich durch Deine neue OperationWedekind hatte sich nach seiner ersten Blinddarmoperation (29.12.1914) am 15.4.1915 einer zweiten „Operation“ [Tb] unterziehen müssen. Sein zweiter Klinikaufenthalt dauerte vom 14.4.1915 bis 9.6.1915. so verzögert hat. |

Hoffentlich hast Du die Operation recht gut überstanden und ich bitte Dich meine besten Wünsche zu einer recht baldigen Genesung entgegen zu nehmen! Du wirst mir nicht böse sein, wenn ich schon begierig bin über Dein Befinden näheres zu erfahren. Auch daß ich mich um Deine Genesung recht geängstigt bin, bitte ich Dich, mir nicht zu verargen. Ich wünsche ja so sehr, daß diese böse Krankheit ohne Folgen für Deine Kunst und die Bühne bleibe! Hoffentlich hat auch die Arbeit am BismarkSchreibversehen, statt: Bismarck. nicht zu viel Verzögerung bekommen. Mir war es leider bisher noch nicht möglich ihn in die Hände zu bekommenDie Buchausgabe von Wedekinds Schauspiel „Bismarck“ wurde erst im Dezember 1915 ausgeliefert (vordatiert auf 1916). Vorab erschienen mit dem Untertitel „Bilder aus der deutschen Geschichte“ zwischen April und Dezember 1915 aus dem Drama sechs Bilder in der von Efraim Frisch herausgegebenen Münchner Monatsschrift „Der Neue Merkur“. Zum Schreibdatum des vorliegenden Briefs waren das 1. Bild „Bismarck und Karolyi. 24. November 1863“ [Der Neue Merkur, Jg. 2, Heft 1, April 1915, S. 1-12] und das 2. Bild „Die Londoner Konferenz. 17. Mai 1864“ [ebd., Heft 2, Mai 1915, S. 129-137] erschienen [vgl. KSA 8, S. 660f., 683f.]. Friedrich Strindberg bezieht sich hier also auf die beiden Zeitschriftendrucke., da ihn Herr Dr. Eckardt Herrn Professor Seipel verliehen hat und i(hn) ich ihn erst dann erhalte. |

Zu neuen Erlebnissen hatte ich wenig Gelegenheit, meine NovelleVon dem Plan, seine „Leidensgeschichte“ „Das verlorene Herz“ an Franz Pfemfert zu schicken, berichtete Friedrich Strindberg in einem früheren Brief [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.4.1915]., die ich an die „Aktion“ sandte, lehnte Pfemfert zwar ab, mit dem Hinweis, daß sie für die A. zu lang wäre, schickte mir aber zugleich ein paar nette BilderFranz Pfemfert hat Friedrich Strindberg zwei Bildpostkarten aus der Künstlerpostkarten-Serie der Zeitschrift „Die Aktion“ geschickt, die beide auch als Illustrationen in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift veröffentlicht worden waren, die eine mit dem Aufdruck „HEINRICH MANN / für die AKTION gezeichnet von MAX OPPENHEIMER“ [vgl. Max Oppenheimer: Bildnis des Heinrich Mann. In: Die Aktion, Jg. 2, Nr. 51, 18.12.1912, Sp. 1617f.], die andere ohne Beschriftung, wobei aber das Todesjahr des am 5.9.1914 bei Villeroy gefallenen französischen Schriftstellers Charles Péguy in das Porträt integriert ist, das in der Zeitschrift als Titelzeichnung reproduziert ist [vgl. Egon Schiele: Bildnis des gefallenen Dichters Charles Péguy. In: Die Aktion, Jg. 4, Nr. 42/43, 24.10.1914, Titelblatt] von Mann und Peguy mit der freundl. Einladung ihm anderes Kürzeres zu senden. Doch meine gänzliche Erlebnislosigkeit hat mich zu gar nichts in der letzten Zeit angeregt. Ich hoffe, daß mein Einjähriges mir wieder aushelfen wird.

Indem ich Dir nochmals alles Beste zu einer baldigen, recht baldigen Genesung wünsche
grüßt Dich herzlichst
Dein
Friedrich Strindberg.

Friedrich Strindberg und Josef Tschurtschenthaler schrieben am 18. Juni 1915 in Salzburg folgende Postkarte
an Frank Wedekind

S. H.
Herrn Frank Wedekind.
München
Prinzregentenst. 50. |


Lieber Frank!

PrüfungZum Schuljahresende fand eine obligatorische Prüfung über den Stoff des Schuljahres statt, mit der Friedrich Strindberg zugleich die Mittelschule abschloss (10. Schuljahr). Von ihrem Ergebnis hing ab, ob Friedrich Strindberg für den Dienst als Einjährig-Freiwilliger zugelassen würde [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.4.1915 und 30.5.1915]. eben mit Vorzug bestanden! Hoffentlich gewährt mir Deine GenesungWedekind hatte sich nach seiner ersten Blinddarmoperation (29.12.1914) am 15.4.1915 einer zweiten „Operation“ [Tb] unterziehen müssen. Er war am 9.6.1915 nach einem siebenwöchigen Krankenhausaufenthalt entlassen worden: „Aus der Heilanstalt Josephinum entlassen, fahre mit Tilly nach Haus. [Tb] ein baldiges Wiedersehen!

Herzl. Grüße!
Dein
F. Strindberg.


Jos. TschurtschenthalerDer Schuldirektor bestätigte durch seine Unterschrift und den Vermerk von Tagesdatum und Tageszeit („18. Abends.“) offenbar die Kontrolle der Korrespondenz seines Schülers.

18. Abends.

Friedrich Strindberg schrieb am 24. Juni 1915 in Mondsee folgenden Brief
an Frank Wedekind

Mondsee, 24. Juni 1915.


Mein lieber Frank!

Hoffentlich hast Du meine Kartevgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 18.6.1915. erhalten, die Dir den so unerwartet günstigen Verlauf meiner Prüfung anzeigte. Seit letzten Sonntagden 20.6.1915. halte ich mich nun in Mondsee auf, um mich von den letzten Studien und für die kommende Militärzeit gründlich auszurastenösterreichisch für auszuruhen.. Ich warte noch auf die legalisierte BewilligungDa Friedrich Strindberg sich als Einjährig-Freiwilliger melden wollte [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.4.1915 und 30.5.1915], galt für ihn folgende Regelung: „Jünglinge, die das 17. Lebensjahr erreicht haben und freiwillig zum Militär gehen wollen, haben ein diesbezügliches Gesuch an das Kommando jenes Regiments zu richten, in welches sie einzutreten wünschen. Dem Gesuch haben sie beizulegen: Den Eintrittschein der zuständigen politischen Bezirksbehörde und die schriftliche, von der Bezirksbehörde des Aufenthaltsorts beglaubigte Zustimmung des Vaters oder des Vormundes.“ [Unser ist Sieg. In: Welt-Blatt, Jg. 42, Nr. 74, 1.4.1915, S. 17] meines Vormunds, um dann der Meldung meines, in der Allgemeinheit schon eingezogenen JahrgangesÜber die Abfolge von Meldung, Musterung und Einberufung berichtete die Presse: „Die Musterung der Achtzehnjährigen das sind die im Jahre 1897 Geborenen, findet in der Zeit vom 16. Juni bis 1. Juli 1915 statt. Da über diese Landsturmpflichtigen noch keine Landsturmrolle besteht, muß zunächst ihre Verzeichnung erfolgen. Es haben sich daher alle in der Zeit vom 1. Jänner bis 31. Dezember 1897 geborenen männlichen Personen, die österreichische oder ungarische Staatsbürger sind oder ausländische Staatsangehörigkeit nicht nachzuweisen vermögen, bis längstens 10. Juni 1915 im Gemeindeamte (beim Magistrat) ihres Aufenthaltsortes zur Zeit der Erlassung der betreffenden Einberufungskundmachung – d. i. am 24. Mai 1915 – zu melden. […] Bei der Meldung erhält jeder ein Landsturm-Legitimationsblatt, welches auch als Bestätigung der Meldung dient, sorgfältig aufzubewahren und zur Musterung mitzubringen ist. Die Einberufung der bei der Musterung geeignet befundenen wird für einen späteren Zeitpunkt erfolgen.“ [Volksfreund, Jg. 26, Nr. 22, 29.5.1915, S. 8] nachzukommen. |

Die letzten Tage in Salzburg zählten nicht zu den angenehmsten; es galt sehr viel zu lernen und ich bitte Dich zu entschuldigen, wenn ich Dir so wenig schreiben konnte. Auch über den Stand Deiner Gesundheit bin ich so wenig orientiert. Hoffentlich geht es Dir schon besser, als Deine letzte liebe Karte vom Krankenlagernicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück Wedekind an Friedrich Strindberg, 23.4.1915. es befürchten ließ! Ich verweile jetzt noch 10–14 Tagn/e/ in Mondsee bei Großmama. Dann werde ich einrücken müssen, voraussichtlich nach Steiermark in derie Nähe von Graz. (FrohnleitenIn Frohnleiten war im April 1915 eine neue Abteilung von k. k. freiwilligen Schützen eingerichtet worden [vgl. Grazer Volksblatt, Jg. 48, Nr. 220, 1.4.1915, Morgen-Ausgabe, S. 6].?)

Und nicht wahr, Du bist mir nicht böse, wenn ich Dich nun frage, ob sich Dein Gesundheitszustand schon soweit gebessert hat, daß wir in Sbg. zusammenkommen könntenein Treffen Friedrich Strindbergs mit seinem Vater kam, soweit bekannt, vor dessen Tod am 9.3.1918 nicht mehr zustande.. Froh mitsammen verlebte Stunden, wenn es Deinem Genesen ja nicht nachteilig wäre, würden für mich vor meinem Einrücken die größten Freude bedeuten. Du könntest mir ja – worum ich Dich in dem Falle recht bitte – D die Zeit Deiner Ankunft schreiben oder falls die Zeit dazu nicht mehr reicht, drahten, daß ich mit Rad oder Bahn noch rechtzeitig die kleine Strecke von Mondsee nach Salzburg komme. Aber nicht wahr, Du zürnst mir nicht, wenn meine Bitte übereilt war, da Du vielleicht noch krank bist, oder Deine Erholung unsrer Zusammenkunft durch Reisebeschwerden im Wege steht.

Eben habe ich Th. Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ gelesen, wovon mir Kerstin so viel vorgeschwärmt hatte. Wie Du vielleicht weißt, schildert er den | Tod eines Schriftstellers, der sich durch die Liebe zu einem Knaben abhalten läßt, das Choleradurchwütete Venedig zu verlassen. Mann zergliedert die Seele und bemüht sich nun durch Zusammensetzen der einzelnen Teile ein möglichst oft verschiedenes, disharmonisches Ganzes in recht komplizierter Form zu finden. Dabei sehr kunstvoller Satzbau und halbseitenlange Perioden. Ich konnte mich dafür nicht begeistern. Seinem Bruder schien erversehentliche Zusammenschreibung durch einen Schrägstrich in Sofortkorrektur aufgehoben. mir weit nachzustehen.

Nun aber muß ich leider schließen. Hoffentlich sehen wir uns nochmals,

mit recht herzlichen Grüßen
wünscht Dir eine baldige Besserung
Dein
Friedrich Strindberg.

Frank Wedekind schrieb am 28. Juni 1915 in München folgendes Erschlossenes Korrespondenzstück
an Friedrich Strindberg

[Hinweis in Friedrich Strindbergs Brief an Wedekind vom 29.6.1915 aus Mondsee:]


Entschuldige also bitte meine unbescheidene Bitte an Dich vor Erhalt Deiner lieben Karte […]

Friedrich Strindberg schrieb am 29. Juni 1915 in Mondsee folgende Postkarte
an Frank Wedekind

Mein lieber Frank!

Entschuldige also bitte meine unbescheidene BitteFriedrich Strindberg hatte in seinem letzten Brief, wie schon in der Korrespondenz zuvor, um ein Treffen mit Wedekind gebeten [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 24.6.1915]. an Dich vor Erhalt Deiner lieben Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Friedrich Strindberg, 28.6.1915., für die ich Dir recht herzlichst Danke, ebenso für Deine lieben Glückwünschezur erfolgreich bestandenen Schulabschlussprüfung nach der 10. Klasse an der Mittelschule [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 18.6.1915].. Reise nun am 2.am Montag, den 2.8.1915. nach Frohnleiten bei Graz zum Regiment meines VormundsFriedrich Strindbergs Vormund Cäsar Ritter von Weyr war zuletzt Leutnant im Landwehr-Infanterieregiment Nr. 4 Klagenfurt und dort im Grenzschutzbataillon Nr. 6. Über eine Stationierung des Regiments in Frohnleiten ist nichts bekannt., H. Dr. Weyr. Bin allerdings schon etwas unschlüssig, da ich von der großen „Gemeinsamkeit“ nur eine gesetzliche „Vergewaltigung“ der Persönlichkeit erwarte. Doch es wird auch Gutes hoffentlich mit sich bringen! Mir ist sehr leid, daß es Dir mit Deinem Befinden so sehr schlechtWedekind war nach seiner zweiten Blinddarmoperation am 15.4.1915 und einem siebenwöchigen Krankenhausaufenthalt am 9.6.1915 entlassen worden [vgl. Tb], nach wenigen Tagen aber dann auch zu Hause noch über Wochen bettlägerig. Am 16.8.1915 notierte er im Tagebuch: „Zum ersten Mal aufgestanden.“ geht. Hoffentlich stellt uns auch meine Rückkehr aus dem Krieg wieder gesund zusammen. Freue mich schon sehr darauf; denn auf etwas muß man sich | freuen.

Habe die letzten Tage fleißig zur Ruhe benützt; trotzdem bin ich besorgt, ob ich mich den körperl. Anstrengungen gewachsen zeigen werde.

Noch meine herzlichsten Glückwünsche zu baldiger Besserung u. Vollendung des BismarkSchreibversehen, statt: Bismarck. Wedekinds „Bismarck“-Drama erschien im Dezember 1915 bei Georg Müller in München (vordatiert auf 1916), nachdem es von April bis Dezember 1915 in der Zeitschrift „Der Neue Merkur“ vorabgedruckt worden war [vgl KSA 8, S. 679-692].,

Dein treuer
Friedr. Strindberg.


29.6.15.


S. H.

Herrn Frank Wedekind

München

Prinzregentenst. 50

Friedrich Strindberg schrieb am 25. Juli 1915 in Göß bei Leoben folgenden Brief
an Frank Wedekind

S. H.
Herrn
Frank Wedekind
München
Prinzregentenst. 50 |


Absender:

Strindberg, Einj. Freiw. SchuleFriedrich Strindberg hatte die Möglichkeit, sich nach erfolgreichem Abschluss der Mittelschule als Einjährig-Freiwilliger zu melden und so seine Wehrpflichtzeit von drei Jahren auf ein Jahr zu verkürzen. Das Vorhaben erwähnte er in früheren Briefen [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 30.5.1915]. Die einjährige Militärzeit endete für die Freiwilligen mit dem Rang eines Unteroffiziers. In Kriegszeiten wurden die Einjährig-Freiwilligen, ebenso wie die gewöhnlichen Landsturmpflichtigen, auch an der Front eingesetzt.
Göß bei Leoben. |


Mein lieber Frank! Bitte verzeihe, wenn ich erst jetzt u. zw. in so großer Eile dazu komme Dir zu schreiben. Wir sind jetzt in Leoben u. das Leben beim Militär ist viel schöner als im CorpsFriedrich Strindberg hatte in Salzburg freiwillig ein Jungschützencorps besucht, das der militärischen Ausbildung von Jugendlichen diente [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 6.2.1915 und später].. Ich genieße meine endlich erlangte Freiheit, so weit ich sie genießen kann. Die Anstrengungen sind zwar nicht besonders angenehm, doch man muß sie ertragen. Hoffentlich komme ich noch zu Zeiten des Krieges (in 3–4 Monaten) hinaus ins Feld – Wir sehnen uns alle danach. Nicht des Vaterlandes halber sondern meiner selbst willen. Mir tut es sehr leid, daß wir uns nicht sehen konntenFriedrich Strindberg hatte seit Anfang 1915 und vor seinem Eintritt ins Militär mehrfach um ein Treffen mit seinem Vater gebeten, das aber krankheitsbedingt nicht stattfand.. Doch wie geht es Dir bitte nun Hoffentlich hat sich Dein BefindenWedekind hatte sich nach seiner ersten Blinddarmoperation (29.12.1914) am 15.4.1915 einer zweiten „Operation“ [Tb] unterziehen müssen. Sein zweiter Klinikaufenthalt dauerte vom 14.4.1915 bis 9.6.1915. Nach seiner Entlassung war er auch zu Hause noch über zwei Monate ans Bett gefesselt [vgl. Tb]. schon um Vieles gebessert Nicht wahr lieber Frank, Du entschuldigst mich, wenn ich Dich bitte mit der Antwort zu warten, da sie mich hier in Leoben nicht mehr erreichen würde. In dieser Woche übersiedeln wir nach Friesach in KärntenDort gab es ebenfalls eine Einjährig-Freiwilligenschule., von wo ich Dir mit Deiner Erlaubnis meine Adresse mitteilen werde.

Noch recht herzliche Grüße!
Dein alter
Friedrich Strindberg.


25. Juli 15.