Berlin, 20.I.1897.
Lieber Freund,
reicher als von Ihnen kann ich von keinem Könige beschenktWedekind hat Geschenke von seinem Freund erhalten (Zigaretten, Zigarren, eine Flasche Wein), die Frida Strindberg wohl aus München mitbrachte (siehe unten).
werden. Ihre Freundschaft zu mir wird für Sie zu einem theuren Luxus, so gerade
umgekehrt wie ich es wünschte. Die 30 MkWedekind hatte die 30 Mark schon einige Tage früher erhalten [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 17.1.1897]. habe ich eingesteckt, ohne sie einmal
umzudrehen, und fühlte dabei nur, daß es sehr schlimm mit mir stand. Und nun
kommen Sie noch mit solchem Gefolgemit den wohl von Frida Strindberg mitgebrachten Geschenken; zugleich metaphorisch Fortführung der mit dem König zum Auftakt eingeführten höfisch zeremoniell imaginierten Bildwelt, die den Freund adelt.. Ich rauche Ihre Cigaretten, indem ich
schreibe. Die VirginiasZigarren der Tabaksorte Virginia. habe ich schon gestern Abendam 19.1.1897, an dem Frida Strindberg am Anhalter Bahnhof in Berlin eingetroffen sein dürfte und Wedekind sie dort abgeholte hatte (siehe unten); im Gepäck hatte sie wohl die Geschenke seines Freundes für ihn aus München. angebrochen und die
Flasche Graverecte: Graves. Wedekind hat eine Flasche französischen Wein erhalten – Graves sind „weiße und rote Bordeauxweine des Depart. Gironde. Sie sind körperreich und dauerhaft“ [Meyers Konversations-Lexikon. 5. Aufl. Bd. 7. Leipzig, Wien 1894, S. 892] wird heute auf Ihre Gesundheit und das Gelingen all Ihrer Plänenicht ermittelt (darunter Reisepläne).
geleert.
Von dem Augenblick an, da ich den Anhalter Bahnhof betratWedekind dürfte Frida Strindberg, die ihn in Berlin besuchte, am 19.1.1897 am Anhalter Bahnhof, dem wichtigsten Berliner Fernbahnhof für Verbindungen aus Süddeutschland, abgeholt haben.,
fühlte ich thatsächlich ein neues Leben in mirmöglicherweise auch Anspielung auf die Schwangerschaft von Frida Strindberg; der gemeinsame uneheliche Sohn Friedrich Strindberg kam am 21.8.1897 auf die Welt. und heute bin ich ein neuer
Mensch. Die liebe gute Frida! Es ist um ein großes Herz doch keine Kleinigkeit.
Ich werde vielleicht meine ganze Weltanschauung ändern müssen.
Eh bien(frz.) Nun ja., ich habe doppelt doppelt so viel Vertrauen auf
einen guten Erfolg meiner Reisenach Berlin, wohin Wedekind gereist war, um dort in Theaterkreisen Aufführungen seiner Stücke in die Wege zu leiten [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 17.1.1897]; seine Bemühungen waren letztlich nicht erfolgreich.. Wenn mir einer hundert Besuchebei Theaterleuten (siehe oben)., die einem
solchen Ereignisdie geplante Uraufführung von Wedekinds Komödie „Die junge Welt“ durch die Dramatische Gesellschaft im Berliner Residenztheater [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 17.1.1897], die nicht zustande kam. vorausgehen, erleichtern kann, so ist es Frida. Wenn mir
jemand aus meiner zehnjährigen Arbeit endlich blankes Gold münzen kann, so ist
es Frida.
Und nun stellen Sie mir Ihre Reise nach Berlinnicht angetreten. noch in
Aussicht. Das kann für Sie so entscheidend werden wie für mich, denn daß hier
mehr Entgegenkommen, mehr Chance ist als in München, ist gar keine Frage.
Vielleicht steigen wir wie Phönix aus der AscheRedewendung, um eine Neuanfang nach einer Niederlage zu beschreiben (nach dem antiken Mythos vom Vogel Phönix, der verbrennt und aus seiner Asche neu ersteht). als bessere und vollkommenere
Menschen aus dieser allgemeinen Pleite empor. Das möge Gott walten.
Frida sagt mir, daß Sie mein – d.h. Ihr ZimmerHans Richard Weinhöppel nutzte Wedekinds Wohnung in München (Türkenstraße 69, 2. Stock rechts) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1897, Teil I, S. 539; Teil II, S. 526], um dort zu arbeiten [vgl. Wedekind an Hans Richard Weinhöppel, 17.1.1897], nämlich wohl Dramaturgie zu unterrichten; er selbst wohnte in München (Corneliusstraße 4) verzeichnet als Musiklehrer [Adreßbuch von München für das Jahr 1897, Teil I, S. 542]. zu
dramatischem Unterricht benützen. Ich habe der Mühlberger, die übrigens das
unbegrenzteste Vertrauen in Sie setzt, geschrieben, daß sie Sie ja in Ihrem
Vortrag nicht stören soll, indem eben alles Theater sei. Ich habe ihr
geschriebenHinweis auf einen nicht überlieferten Brief; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Anna Mühlberger, 20.1.1897. Anna Mühlberger in München (Akademiestraße 21) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1897, Teil I, S. 332] war Wedekinds Zimmerwirtin seiner Münchner Wohnung in der Türkenstraße 69 (siehe oben), wo Wedekind vom 23.8.1896 bis 25.1.1897 gemeldet war [vgl. EWK/PMB Wedekind]. Sie hatte ihm früher Zimmer vermietet (in der Akademiestraße 21) [vgl. Wedekind an Anna Mühlberger, 14.8.1891]., daß Sie meistens in Gesellschaft kommen werden.
Auf baldiges Wiedersehn! Glück auf! Tausend Dank für Ihre
Herzensgüte. Ihr getreuer
Frank.