An meinen Bruder Frank Wedekind
in München
Es ist dir bekannt, ich habe dir selber verschiedene
Briefevgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 19.4.1900 und 3.10.1900. in diesem Sinne geschrieben, daß ich seit Langem mit/eine/ se/St/elle mit sicherem Gehalt und genau
vorgeschriebener Tätigkeit suche. Das weniger, weil mich meine materielle Lage
dazu zwingt, als weil
ich eingesehen habe, daß ich ohne gesicherte Existenz überhaupt nicht arbeiten
kann. Daß ich die Stelle so lange Zeit nicht gefunden, liegt vielleicht daran,
daß ich so viele Zeit im Auslande verbracht, nie | lange genug an einem Platze
in Deutschland mich aufgehalten und gesucht habe, dann aber auch an meiner
gemütlichenhier „als adj. zu gemüt überhaupt […] dem gemüt angehörig, das gemüt betreffend“ [DWB, Bd. 5, Sp. 3329]. Verfassung, welche als eine Folge mein/ein/er schweren
KrankheitDonald Wedekind litt an den Folgen einer Syphilis-Infektion und deren Behandlung [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 29.12.1895]. anzusehen war.
Seit vier Wochen in Berlin, habe ich mich nach Kräften
bemüht, eine Beschäftigung zu finden. Die Hoffnungen, die mir von einer Seite
gemacht worden und zu denen mein Vertrauen von Anfang an nicht groß war, sind
geschwunden. Da traf ich gestern Herrn Dr. Paul GoldmannDer österreichische Journalist und Publizist Paul Goldmann war in Berlin als Theaterkorrespondent für die Wiener „Neue Freie Presse“ tätig. (mit dem ich während meines Hierseins schon
öfter zusammengewesen) an/und/ und er/er/ bot mir freiwillig
seine Empfehlung an, wenn ich gewisse Redaktionen in der Angelegenheit besuchen
wol|le. Heute Morgen hatte ich mit dem ersten RedakteurPerson und Zeitung nicht ermittelt. In seinem nächsten Brief berichtet Donald Wedekind von einer bevorstehenden Anstellung beim „Berliner Lokal-Anzeiger“ [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 13.5.1901], einer der auflagestärksten Berliner Tageszeitungen. einer der größten
Berliner Zeitungen eine längere Conferenz und ich kann, um nicht zu viel zu
sagen, e/c/onstatiren, daß der Mann den Fall einer Anstellung wenigstens
ernst in Erwägung zieht.
Da ich nun aber ohne Mittel war und eine längere
Hungerperiode (von denen drei Tage hinter mir liegen, vor mir können nicht mehr
viele sein, denn sonst
breche ich einfach zusammen) vor mir sah, so schrieb ich an unsern gemeinsamen
Schwager, Herrn Oschwald, ihn um eine Unterstützung bittend. Der Einfachheit
wegen lege ich den Brief beiDer beigelegte Brief ist nicht überliefert. und formulire nun mein Anliegen dahin: |
1. Da es mein eigentlicher Wunsch ist eine feste
Anstellung zu bekommen, da es aber auch bekannt ist, daß sich solche Sachen
nicht von heute auf morgen machen, da diese zweite Aussicht, von der ich eben
gesprochen, auch wieder zu Wasser werden kann und ich dann auf Neues warten
muß, so bitte ich um die Auszahlung von 200 Mark v/f/ür die Zeit von
heute bis zum 1. Juni (200 M oder 250 Franken) sei es auf einmal oder in Raten von 50 M.
2. Da ich nun anderseits allerdings die Erfahrung
gemacht habe, daß man Schriftsteller, die literarisch irgendwie eigenartig hervorgetreten
sind nicht so gerne in Redaktionen von Tageszeitungen aufnimmt, was also das
Finden einer Anstellung bedeutend erschwert, ferner, da ich glaube, daß ich
nach zweimonatlichem Suchen ohne Erfolg nicht mehr viel Zeit noch Geld zu
diesem Zweck verlieren dürfte, da ich, des Weiteren, nicht et/v/erdächtig
werden möchte, der Vorschlag sei | nur eine/zur/ Gauckelei, so bitte ich
darum, daß mir, wenn ich bis zum 1. Juni nicht fest angestellt bin, eine Rente
von je 200 M. auf 6
Monate zugesagt wird, damit ich eine größere ArbeitMöglicherweise wollte Donald Wedekind zu diesem Zeitpunkt bereits mit seinem Roman „Ultra montes“ (1903) beginnen. fertige. Letzteres ist mir
bis jetzt nicht
gelungen 1., weil ich unter einer schweren Krankheit körperlich und gemütlich
viel zu leiden hatte, zweitens weil ich darben mußte, drittens weil ich mich
unrichtigerweise zu viel im Auslande aufhielt, wo mir die nötige Anregung
(Nacheifer) fehlte. Ich setzte das größte Vertrauen auf den Erfolg einer unter in obiger Weise gemilderten Umständen
zu leistendeSchreibversehen, statt: leistenden. Arbeit, weil mir hier in Berlin die Beweise wurden, daß das
Wenige, was ich an literarischen Produkten hervorgebracht, doch nicht ganz
unbemerkt vorübergegangen.
Damit, mein lie/Br/u|der, habe ich dir meine
Pläne auseinandergesetzt. Ob du helfen kannst, oder/di/eselben
zur Realisirung zu bringen, weiß ich nicht, denn ich kenne deine Einnahmen
nicht. Um was ich dich aber bitten möchte, ist, nicht wieder aus einerm
mir unerklärlichen
Grunde durch die Verweigerung deiner Beistimmung mir auch die Hülfe der andern
zu entziehen. Morgen schreibe ich an Armin. Ohne Gruß, aber auch ohne Groll Der Satz läuft ab hier auf Seite 7 weiter und macht ihn so ab der Konjunktion „aber“ als nachträglichen Zusatz erkennbar.für dein unfreundliches Verhalten
Donald
Berlin, den 22. April 1901
8.IV. Paulsstraße
P. S. Und ich bitte dich, überlege zwei Mal, bevor du dich
entscheidest. Denn so sehr es mich auch gefreut hat und mich mit neuem Mut
versah, zu konstatiren, daß man mich doch besser kennt und mehr schätzt als ich
dachte, so fühle ich doch, daß dies hier in Berlin meine letzte Etappe ist, so
ich nicht in die Höhe komme. –