Mein lieber Frank!
Ich habe gestern an Mieze geschriebenDer Brief Donald Wedekinds an Erika Wedekind vom 8.12.1900 ist nicht überliefert. und sie gebeten
mir für das Jahr 1901 eine Rente von 250 M. monatlich auszusetzen. Ich habe in dem Brief darauf
hingewiesen, daß ich mich, wenn Du in der Lage wärst das Geld aufzubringen, an dich gewandt hätte, daß
ich ihr für das Geld Schuldner bin, was nicht ganz gehaltlos ist, da ich in
demselben Briefe da|rauf hinweise, daß die Unterstützung dazu dienen soll mir
ein Jahr Arbeitszeit zu gewähren, damit ich mich aus meiner Misère herausbringe. Ich fügte des
Weiteren bei, daß auch du vielleicht geneigt wärst, für die Wiedererstattung
einzustehen. Das Alles nur, damit, so man sich vielleicht an dich wendet, du
weißt, worum es sich handelt und was mein nicht wankend zu machender Wille ist. Ich habe von Mieze
dann auch in dem Sinne d/A/bschied genommen, daß ich ihr er|klärte eine
Nichtbeachtung, eine nur teilweise Erfüllung oder vollständige Zurückweisung
meines Wunsches würden meinen Tod in der Nacht von 1900 auf 1901 zur Folge
haben, daß ich die Regelung der Sache gerne bis Weihnachten sähe um wenigstens
meine letzten Festtage mit dem Bewußtsein der Entschiedenheit meines Looses zu verleben.
Ich bemerkte ferner, wie ich auch dir gegenüber gerne betone, daß, wenn ich zum
Äußersten komme, ich solches ausfüh|ren werde ohne Groll gegen sie, ich
wiederhole dasselbe in Bezug auf das Verhältniß von dir zu mir, niemand trägt
Schuld daran, niemand,
niemand, niemand ...
Ich war mit zu wenig Kräften ausgestattet um eine
freie Laufbahn betreten zu können, wie du sie für mich ausgesucht, anderseits
habe ich vieles genossen, was ich, wäre ich auf dem meinen Anlagen entsprechenden Wege
geblieben, nicht hätte tun können und weshalb ich auch jetzt leicht sterbe
Zerbrich dir nicht | den Kopf darüber, was du für mich
tun kannst. Das Einzige, mich in München in deiner Nähe zu unterhalten, kann
ich nicht annehmen,
das ist mein Stolz, vielleicht auch nur meine Eitelkeit. Unterstütze
meine Bitte bei Mieze in jeder Hinsicht, das ist Alles, lieber Frank, Alles,
was ich verlange.
Und nimm nochmals die Versicherung entgegen, daß ich
niemals einen ernstlich bitteren Gedanken gegen dich gehegt, niemals hegen
wer|de und daß ich heute noch, da ich vor der letzten Scene meiner leeren
Lebensfarce stehe, dir dankbar bin für eine gewisse Weitsicht, durch die ich
doch vielleicht etwas mehr als das gewöhnliche Menschenvieh zu genießen
vermochte. Damit und mit treuem, brüderlichem Kuß dein
Donald
Mailand, Via Medici 15
den 9. Dez.
1900