CAFÉ DE LA COURONNE
Grand Quai & Place du Lac
GENÈVE
Lieber Bebi.
Euere Kartenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind und Elias Tomarkin an Donald Wedekind, 18.3.1893. hat
mir Thomarkin eingeschlossen in einen Brief, den er mir bei seiner Ankunftvermutlich Elias Tomarkins Ankunft in London. Er traf am 18.3.1893 auf seiner Reise nach London in Paris ein [vgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 20.3.1893] und war auf seiner Rückreise am 28.3.1893 erneut dort [vgl. Frank Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893]. In beiden Fällen traf er sich mit Frank Wedekind. nach
Zürich sandte, zu geschickt, sie hat mich sehr gefreut. Als der OnkelDonald Wedekind hatte zu Elias Tomarkin ein Onkel-Neffe-Verhältnis etabliert, wie er in einem früheren Brief berichtete [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 10.10.1890]. kam, war
ich leider schon über die Berge, in Gef/n/f angelangt, wo ich mich
morgen immatriculirenDonald Wedekind schrieb sich in Genf im Sommersemester 1893 als Jurastudent ein, wechselte im Wintersemester dann aber für zwei Semester zum Medizinstudium nach Zürich [vgl. Matrikeledition der Universität Zürich 1833-1924, Nr. 10184 (https://www.matrikel.uzh.ch/active/static/23378.htm, abgerufen am 14.8.2023)]. lassen werde. Ich hätte gerne den Onkel abgeholtDonald Wedekind hatte erwogen, Elias Tomarkin auf dessen Rückreise von London in Paris abzuholen [vgl. Frank Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893]., aber
ich maß der Reise nach Paris nicht die Bedeutung an, wie sie sie jetzt für mich
hat. Ich kann, um hier die Examina zu machen, meine Studien auf Genf und Paris
verteilen, was mir sehr angenehm ist. Auch freue ich mich, in deiner
Bekanntschaft einen Juristennicht ermittelt. zu finden, da ich vieles mit ihm | sprechen werden
kann. Zweck meiner Reise, nach Paris, und ich bitte dich von dem nun folgenden
niemandem, auch deinen Pariser Bekannten nicht,
etwas mitzuteilen, hauptsächlich aber unsren RelationenBeziehungen, hier: Bekannten. in Zürich und
Deutschland nichts verlauten zu lassen, da mir die Sache später bei meiner
Laufbahn vielleicht etwas schaden könnte, ist, ein mir angenehmes Mädchen zu
finden, die geneigt wäre als Maitresse„Herrin; jetzt fast nur gebraucht in der Bedeutung: Geliebte, Kebsweib.“ [Meyers Konversations-Lexikon. 4. Aufl. Bd. 11. Leipzig 1888, S. 126] mir nach Genf zu folgen, wo ich schon
eingerichtet bin. Das Mädchen kann schon in Paris Dirne gewesen sein, das tut
nichts, entspricht sie nur meinem Geschmack, den du so ungefähr kennst, und
kann man auch vor ihr einmal Geld oder Wertsachen liegen lassen, ohne daß sie
es nimmt, so | bin ich zufrieden gestellt. Ich glaubte das Verlangte hier in
Genf LeichtSchreibversehen, statt: leicht. zu finden, habe mich aber getäuscht, indem hier Alles
eingewandertes, meist sogar germanisches Pack ist. Der ethische Zweck dabei ist
ungefähr folgender. Es ist mir nach meiner römischen LebensweiseDonald Wedekind hielt sich nach seinem Schulabschluss in Solothurn im Sommer 1892 vom 26.9.1892 bis 23.2.1893 in Rom auf. unmöglich,
mich dem sexuellen Genuß zu enthalten, also könnte ich gewiß sein, daß ich
während meiner Studienzeit ebenso viel in Bordells liegen lassen würde, als
mich das Mädchen zu unterhalten kosten wird. Zweitens gründe ich mir dadurch
eine Häuslichkeit, bin mehr dazu geneigt ernst zu studiren, als mit Freunden
wenn ich mit Freunden, die mir auch hier schwer zu finden wären, im Caffe oder
Bierhaus herumsitze. Drittens habe ich den Vorteil schnell französisch zu
lernen, was bei meiner Carrière sehr, sehr in’s Gewicht fällt und viertens
laufe ich kein gesundheitliches Risiko. Das sind die Gründe, die mich dazu
bewegen, und ich bin überzeugt daß ich mir auf diesem Wege einen sichern Weg
einschlagen kann. Da ich nur aber weiß, daß das zu finden nicht | ganz so
leicht ist, hier in Genf unmöglich ist, in Rom mir mit einem großen Geldaufwand
möglich würde, indem das betreffende Wesennicht ermittelt. allzu/e/n sehr
Anforderungen entsprach, aber einen zu großen Styl gewöhnt war, und dennoch
würde ich sie holen, wenn es nicht noch einmal dieselbe Reise wäre, und ich in
Paris zugleich etwas Neues sehe, so will ich dich zuerst anfragen, ob du, nicht
etwa die Garantie leistetSchreibversehen, statt: leistest., daß ich das Gesuchte finden werde, sondern nur dich
vor dem Risiko der Mitwisserschaft nicht zurückschreckst. Leichter war die
Sache allerdings dadurch, daß ich geneigt bin, sie, nicht etwa als
Dienstmädchen, sondern wirklich als Maitresse halten willSchreibversehen, statt: zu halten., so daß sie dem Haus
vorsteht und nicht dient, allerdings muß sie dann eben die äußerlichen
Eigenschaften haben um eine gute Figur darzustellen, und die geistigen oder
vielmehr seelischen Vermögen haben, um nicht, dadurch gelangweilt, daß ich sie
so und so oft allein lassen muß, daß ich auch sexuell nicht gerade überfließend
bin und ebenso wenig von einem tollen Tag in den andern rennen werde, auf | Abwege
gerätSchreibversehen, satt: zu geraten.. Ich glaube du weißt jetzt ungefähr, von welcher Bedeutung die Sache ist, indem ich sicher
weiß, daß pecuniärGeld betreffend. die Sache keine schlechten Folgen sondern höchstens gute
haben wird, daß ich seelisch eines solchen Umganges bedarf
und es mir meine Gemütsruhe, die ich schon lange verloren habe, wiedergeben
wird, kurz, daß dies der einzige Weg meiner Heilung ist. Daß ich dir irgendwelche
Verantwortung und Garantieleistung für einen günstigen Ausgang der Sache, wie
auch für den guten Charakter der Person, zuschieben möchte, bin ich weit
entfernt, ich schreibe dir nur vorher darüber, damit ich deiner Hülfe sicher
bin, die mir natürlich von großer Bedeutung ist, indem du vielleicht schon mit
irgendwelchen solcher KinderDass Donald Wedekind wohl eine minderjährige ‚Maitresse‘ vorschwebte, geht aus früherer Korrespondenz hervor [vgl. Donald Wedekind an Frank Wedekind, 22.1.1893]. verkehrt hast, und so ein Urteil über ihre
Charakteranlagen hast, wobei schließlich die Frage der Ehrlichkeit oder noch
besser der AnhänlichkeitSchreibversehen, statt: Anhänglichkeit., denn daraus folgt dann das erste von selbst, fällen
kannst, was mir auch wenn | ich schließlich einige Tage in Paris bleiben werde
unmöglich ist.
Glaubst du
also, mir bei der Sache behülflich sein zu dürfen, so telegraphire bitte sofort
und ich werde mit dem nächsten Zug eintreffen. Hast du etwelche(schweiz.) einige, ein paar. Bedenken, so
schreibe mir ebenso schnell, vielleicht lassen sie sich bereinigen. Ich werde
mit dem Zug reisen, der hier um 4.35 Morgens fortgeht und in Paris um 5.34
Abends angkommtSchreibversehen, statt: ankommt.. Bitte behandle die Sache nicht als eine Komödie, denn ich habe
vielleicht noch nie eine Sache so überlegt als diese und bin sicher von ihrem
Vorteil überzeugt. Telegraphiere, weil mir daran liegt, jetzt die Sache
abzuwickeln, weil fast noch keine Vorlesungen gehalten werden, während in 8
Tagen ich schon verliere. Leicht scheint es mir auch, weil ich das Kind auch in
die Pariser Semester nehmen werde, wenn sie sich gut hält. Also bitte, laß bald
etwas hören. Ich bin dein BreuerSchreibversehen, statt: treuer. Bruder
Donald.
Aber reinen
Mund.
Genf Rue Pradier No 6 III.
le 13 Avril
1893.
[um 90 Grad gedreht am linken Rand:]
Daß ich auf
keinen deiner Vorschläge eingieng, weder nach München noch Paris zum bleib. Aufenthalt gieng,
mußt du nicht übelnehmen, aber ich habe mit meinem Entschluß hier die Examen zu machen, eine
Selbstständigkeit bekommen, die Schaffensfreude einflößt. Also auf Wiedersehen.