HÔTEL
BAUR
ZÜRICH.
Lieber Bebi,
Deine beiden Briefenicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Frank Wedekind an Donald Wedekind, 25.2.1893 und 27.2.1893. habe ich erhaltenDonald Wedekind war wahrscheinlich am 23.2.1893 aus Rom abgereist und damit frühestens am 24.2.1893 in Zürich. , ebenso den,
welchen du an Hami geschriebenvgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893. hast, gelesen. Was ihn anbelangt, so ärgere ich
mich nur des wegen, daß er immer noch nicht gelernt hat, einen jeden seinen Weg
gehen zu lassen und auch kalten Blicks zuzusehen, wie jemand in sein Verderben
rennt, sondern immer noch es für seine PflichtÜber die genaue Intervention Armin Wedekinds ist nichts bekannt, mit Sicherheit hat er seinem Bruder Donald jedoch weitere Geldzahlung aus seinem Erbe nach Rom verweigert. hält, die Leute auf seine
eigenen Wege zurückzuführen. Mag es nun ein Lob sein oder mag es ein Tadel
sein, wäre er nicht gewesen so wäre ich in einem halben Jahr für niemanden von
euch euchSchreibversehen (Wortwiederholung), statt: euch. mehr dagewesen, denn ich hätte nach der Theorie, die du mir einmal in
München im Cafe Luitpold auseinandersetztest, zum Gift gegriffen oder wäre so
aus meiner Natur herausgegangenwohl Donalds Überlegung, in den Jesuitenorden einzutreten., daß ihr mich nicht mehr als Verwandten hättet
anzuerkennen brauchen, durch welche Regeneration hier als theologischer Begriff für die Aufhebung der Trennung von Gott durch die Taufe.ich gerade vielleicht doch do
noch siegreich aus dem Kampf hervorgegangen wäre. Sei dem, wie es wolle, dank
Hami seiner langweiligen Pflichttreue, die allerdings, wie ich jetzt vermute,
noch auch allerlei andere Empfindungen mit sich führt, bin ich noch einmal vor
die Alternative gestellt, mich einem regelmäßigen Studium zu widmen | das mir
für spätere Zeiten die Garantie giebt, daß ich jederzeit der Bediente eines
Andern werden kann. Ob ich den sichern Weg zu dem wähle, was die Welt Verderben
nennt, ich aber viel eher einen liebenswürdigen Tod nennen möchte, weiß ich
nicht, wir werden es bald sehen. Dein Verhalten gegen Hami hat mir nur
gefallen, einzig daß du behauptet Schreibversehen, statt: behauptet hast (oder: behauptest).ich spiele Komödievgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893. und meine Briefe seien
verrückt, hat mich etwas gekränkt, und hemmt mir auch jetzt etwas die Feder,
aber ich weiß daß sie Hami gegenüber jedenfalls verrückt gewesen wären, während
ich gedacht hätte, daß du den Ernst erkennen würdest, der aus den tollen Sätzen
heraussprach und der für dich um so leichter erkenntlich hätte sein sollen, als
er eigentlich nur der Widerhall von deinen eigenen Worten war. Genug von alle
dem, was mich anbelangt, so kann ich dir nur sagen daß ich möglicherweise nach
Lausanne gehe um Jua/r/a zu studiren, damit ich wenigstens etwas in der
Hand habe, was mir überall nützen kann, daß ich aber auch ebensogut hier
bleiben kann oder eine Reise nach Amerika unternehme. Die Entscheidung jedoch
wird bald eintreten. Nun das andere, die Summe für das Schloß soll am 15.
laufenden MonatsDas Lenzburger Schloss wurde für 120.000 Franken verkauft [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 157], ob am 15.3.1893 ist unklar. bezahlt werden, und zwar ganz in baar, ob aber Mr. JessupDer Käufer von Schloss Lenzburg war der amerikanische Unternehmersohn August Edward Jessup [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 157]. sich
vorstellen wird, das ist fraglich. Mati reiste ohne Wissen | ihrer
VorsteherinnenEmma und Helene Dürst, die das Mädchenpensionat Les Violettes in Genf leiteten [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 13.9.1892], das Emilie (Mati) Wedekind seit dem 1.5.1892 besuchte. nach Lenzburg um an Mamas Brust zu fliegen, die vor 3 Tagen in
Lenzburg eintrafEmilie Wedekind kehrte demnach am 26.2.1893 vom Aufenthalt bei ihrer Tochter Erika in Dresden zurück nach Lenzburg.. Vor Matis Ankunft erreichte Mama aber ein Telegramm von den
DamenDas Telegramm von Helene und Emma Dürst an Emilie Wedekind in Lenzburg ist nicht überliefert., worin sie Information geben, daß Mati verschwunden seinSchreibversehen, statt: sei.. Mama kam ganz
niedergeschmettert nach Zürich und ich telegraphirtenicht überliefertes Telegramm; erschlossenes Korrespondenzstück: Donald Wedekind an Frank Wedekind, 26.2.1893. Das Telegramm von Donald Wedekind an Erika Wedekind ist ebenfalls nicht überliefert. an dich und Mieze.
Unterdessen war Mati in Lenzburg angekommen, und deine Depeschenicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Frank Wedekind an Donald und Emilie Wedekind, 26.2.1893. informierte uns
von ihrer Ankunft. In diesen Augenblicken seh ich so recht den Ruin und das
Verderben der ganzen Sache vor mir und wünschte nur wieder fort zu sein um dort
wenigstens ohne andre zu belästigen, unterzugehen. Die CopienBezug unklar. werde ich suchen angefertigt
zu bekommen, für mich sind sie allerdings nicht von Wert.
Ich weiß nicht wie lange ich noch in Zürich bleibe.
Mit Tomar, Henkell und JacobiDer sozialistische Lyriker Leopold Jacoby lebte seit 1892 nach einem Schlaganfall in Zürich und wurde dort von Karl Henckell unterstützt [vgl. Mathieu Schwann: Leopold Jacoby. In: Das Magazin für Litteratur, Jg. 65, Nr. 2, 11.1.1896, Sp. 47f.]. unterhalte ich einen recht angenehmen Verkehr und
ich bin dir immer dankbar für die Bekanntschaft alleSchreibversehen, statt: aller (oder: all). dieser Leute. Wenn du in
Not bist, sei immer sicher bei mir Hülfe zu finden, den Moment weiß ich
allerdings nicht ob das wenige, was ich habe, Hamis oder mein Eigentum ist. Aber
bald wird es sich klären. Mir ist es schließlich gleich. Tomar erwartet einen
Brief von dir. Wenn du an mich schreibst, so schicke
nach deiner eigenen Wahl an Hami oder an Tomar, ich glaube dich in diesen
Sachen schon verstanden zu haben, und schreibe nie wieder, meine Briefe seien
verrücktvgl. Frank Wedekind an Armin Wedekind, 25.2.1893., denSchreibversehen, statt: denn. sie waren Herzblut, das aus einer schweren Wunde träufelte, an
der ich jetzt bald ausgelitten hätte, wenn mich Hami nicht wieder in seiner
tölpelhaften Weise | gerettet hätte. Du kannst auch diesen Brief ihm zeigen,
aber ich glaube nicht, daß es mir oder dir dienen kann. Verzeihe wenn ich
verwirrt schreibe. Sei sicher, daß du mir mit allen Nachrichten Vergnügen
machst und daß ich immer bereit bin dir zu dienen. Ich bin mit den innigsten
Grüßen dein treuer Bruder Donald.
Zürich FebruarSchreibversehen, statt: März. 1893