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MÜNCHEN 39
GERNERSTRASSE 4Otto Julius Bierbaum nutzte ein altes Briefpapier mit einer früheren Wohnadresse (Gernerstraße 4) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1901, Teil I, S. 50] im Briefkopf; er hat zuletzt zwar in München gewohnt (Wotanstraße 50) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1902, Teil I, S. 52], war eigentlich aber wieder auf dem Schloss in Eppan in Südtirol ansässig oder logierte in wechselnden Orten – wie aktuell in Stein am Rhein in der Schweiz.
Stein am Rhein
d. 20.8.1902
Lieber Herr WedekindOtto Julius Bierbaum antwortet auf eine nicht überlieferte Anfrage; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Otto Julius Bierbaum, 18.8.1902. Der Geschäftsführer des Insel-Verlags hatte Wedekind zu dieser Anfrage geraten [vgl. Rudolf von Poellnitz an Wedekind, 16.8.1902], nachdem Wedekind sich bei ihm nach Honorarzahlungen für seine in der Zeitschrift „Die Insel“ abgedruckte Tragödie „Die Büchse der Pandora“ erkundigt hatte [vgl. Wedekind an Rudolf von Poellnitz, 12.8.1902].!
Es ist sehr unrecht von Blei, daß er Ihnen bestimmte
VersprechungenDr. phil. Franz Blei, Schriftsteller in München (Arcisstraße 19) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1903, Teil I, S. 59], der während der Abwesenheit Otto Julius Bierbaums die Redaktionsgeschäfte der Zeitschrift „Die Insel“ führte, hatte Wedekind bei Annahme der Tragödie „Die Büchse der Pandora“ für den Vorabdruck im Juli ein im September auszuzahlendes Honorar zugesagt [vgl. Wedekind an Rudolf von Poellnitz, 12.8.1902], dessen Höhe aus Sicht der Verlagsleitung mehr als fraglich war [vgl. Rudolf von Poellnitz an Wedekind, 16.8.1902]. gemacht hat, wo höchstens die Möglichkeit
hingestellt werden konnte, daß, wenn etc. Wie heute die Sachen liegen, kann ich
Ihnen Bestimmtes nicht sagen, | so gerne ich es möchte. Ich will Erkundigungen
einziehen und, je nachdem, wie Sie ausfallen, dafür Sorge tragen, daß Ihnen
etwas zukommtOtto Julius Bierbaum konnte eine Auszahlung von 100 Mark an Wedekind erreichen [vgl. Wedekind an Otto Julius Bierbaum, 29.8.1902]., und zwar so bald als möglich. Es ist ein Jammer, daß ich nicht
mehr thun kann. Denn ich wüßte Niemand, dem ich lieber einem derartigen
Gefallen erwiese, als Ihnen.
Es bleibt doch dabei, daß Sie nach Wien übersiedelnZusammenhang nicht ermittelt (über einen Plan Wedekinds, nach Wien überzusiedeln, ist nichts bekannt); vielleicht hat Wedekind angesichts der breiten Debatte über „Münchens Niedergang als Kunststadt“, die ein so betitelter Aufsatz am 14.4.1901 in der Berliner Tageszeitung „Der Tag“ ausgelöst hatte (Berlin habe München überflügelt), an der Wedekind sich mit einem ironischen Feuilleton „Münchens Niedergang als Kunststadt“ im „Simplicissimus“ vom 7.9.1902 beteiligte [vgl. KSA 5/II, S. 189-190; KSA 5/III, S. 577-579], in seinem nicht überlieferten Brief (siehe oben) scherzhaft geäußert, er könne auch nach Wien übersiedeln.? Ich werde
schon am 1. Sept. | dorthin gehenOtto Julius Bierbaum, der bereits für die Wiener Wochenzeitung „Die Zeit“ geschrieben hatte, plante am 1.9.1902 nach Wien zu reisen, fuhr aber zunächst nach München – seine Ankunft meldete die Presse: „Schriftsteller Otto Julius Bierbaum, Berlin. (Hotel Grünwald.)“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 55, Nr. 420, 11.9.1902, Vorabendblatt, S. 3] – und war Ende des Monats in Wien (belegt durch seinen Brief aus Wien vom 29.9.1902 an Alfred Walter Heymel [DLA, A: Heymel, Alfred Walter]), um an der Wiener Tageszeitung „Die Zeit“ (aus der Wochenzeitung hervorgegangen) mitzuarbeiten; er ist dann zwar neben Isidor Singer und Hans Kanner als Mitherausgeber verzeichnet [vgl. Kürschners deutscher Litteratur-Kalender auf das Jahr 1903, Teil II, Sp. 1630), wurde als solcher aber offenbar nicht tätig, wie die Erklärung in der ersten Ausgabe nahelegt, in der sein Name nicht fällt: „Umgeben von einem erlesenen Stabe von Journalisten, von glänzendsten Federn unterstützt, [...] wird unser Blatt [...] das Unterhaltungs- und Bildungsbedürfniß des Publicums zu befriedigen befähigt sein.“ [Dr. Heinrich Kanner, Prof. Dr. J. Singer: Unser Blatt. In: Die Zeit, Jg. 1, Nr. 1, 27.9.1902, Morgenblatt, S. 1] Chefredakteur der Wiener Tageszeitung „Die Zeit“ war anfangs Hans Koppel.. Schade, daß Blei sich die Sachenicht ermittelt; vermutlich war Franz Blei wie Otto Julius Bierbaum eine führende Mitarbeit an der Wiener Tageszeitung „Die Zeit“ angeboten worden (siehe oben). hat entgehen
lassen.
Mit bestem
Gruße
Ihr
Otto Julius Bierbaum