Sehr geehrter HerrJosé Ferenczy, Direktor des Central-Theaters in Berlin (Alte Jakobstraße 30) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 260], wo Wedekind vermittelt durch Martin Zickel im Herbst 1901 in einem Überbrettl auftreten sollte und auch einen Vertrag unterschrieben hatte (siehe Wedekinds Korrespondenz mit Martin Zickel), aber vertragsbrüchig geworden ist und vom Direktor verklagt wurde (siehe unten).,
Ihre geehrten Zeilen vom x xnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: José Ferenczy an Wedekind, 31.3.1903. gehen von der Ansicht aus, daß
ich ebenso tief unter Ihnen stehe, wie meine Einnahmen geringer sind als die
Ihrigen. Es liegt mir fern, Ihnen diese Ansicht nehmen zu wollen. Sie halten es
für gut, Ihre Zeilen nicht anders als mit dem Wort „Hochachtend“ zu
unterzeichnen. Das kann mir in diesem Fall nicht sehr angenehm sein, indessen
glaube ich es verschmerzen zu können da Ihre Ausdrucksweise in
auffallendster Weise mit allen übrigen Briefen Zuschriften, die mir zugehen an mich gelangen contrastiert.
Daß ich Ihnen 300 Mark schuldeDie bei Vertragsbruch fällige Summe von 1000 Mark hat Wedekind bezahlt. Sie ist in dem von José Ferenczy aufgesetzten Vertrag genannt, der ein Engagement Wedekinds in einem von Martin Zickel initiierten Überbrettl-Projekt am Central-Theater in Berlin regeln sollte [vgl. Wedekind an Martin Zickel, 20.5.1901]. Noch nicht bezahlt hat er die zusätzlichen 300 Mark für die verspätete Zahlung der 1000 Mark, wie eine Pressenotiz nahelegt: „Der Schriftsteller Frank Wedekind war für das literarische Variété des Herrn Ferenczi am hiesigen Central-Theater für einen Monat gewonnen worden, wobei vereinbart war, daß Wedekind im Falle eines Nichteintreffens eine Konventionalstrafe von 1000 Mark verwirkt habe. Herr Wedekind traf auch richtig nicht ein. Da er nicht freiwillig zahlte, wurde er verklagt und im Wege des Versäumnißurtheils zur Zahlung einer Summe von 1300 Mark verurtheilt.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 31, Nr. 43, 24.1.1902, Abend-Ausgabe, S. (3)] habe ich nie in Abrede
gestellt; Sie hätten dieser
Summe wegen nicht
nötig gehabt mich aus diesem Grund zu verklagenOffenbar hat José Ferenczy Wedekind auch wegen der 300 Mark verklagt, wie zuvor auf die 1000 Mark Konventionalstrafe wegen Vertragsbruch (siehe oben).. Sie hätten d/s/ie
| Summe nur zurückzunehmen
zu brauchen als ich Sie Ihnen mit der Bitte unseren Contract zu lösenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an José Ferenczy, 18.9.1901. Wedekind, der Martin Zickel geschrieben hat, er wäre froh, wenn der Vertrag mit dem Direktor des Central-Theaters in Berlin sich lösen ließe [vgl. Wedekind an Martin Zickel, 21.9.1901], hat José Ferenczy kurz zuvor schriftlich darum gebeten [vgl. Wedekind an Berliner Tageblatt, 18.9.1901].,
zur Verfügung stellte. Augenblicklich habe ich die Summe sie nicht zur Hand.
Dagegen wird am 16 oder 18 dieses Monats in DresdenDer Termin verschob sich dann auf den 26.4.1903, wie die Presse mitteilte: „Die Sonderaufführung von Oskar Wildes ‚Salome‘ und Frank Wedekinds ‚Kammersänger‘ für die Mitglieder der literarischen Gesellschaft findet nunmehr bestimmt am 26. April mittags ½12 Uhr im Königl. Schauspielhause statt.“ [Dresdner Journal, Nr. 76, 2.4.1903, nachmittags, S. 627; vgl. Dresdner Neuesten Nachrichten, Jg. 11, Nr. 94, 4.4.1903, S. (1)] Am Aufführungstag hieß es: „Die literarische Gesellschaft gibt, wie erwähnt, Sonntag den 26. d.M. 12 Uhr mittags im Neustädter Hoftheater eine Matinee durch das Ensemble des Berliner Kleinen Theaters. Man spielt Oskar Wildes ‚Salome‘. [...] Vorher gelangt Frank Wedekinds einaktige Komödie ‚Der Kammersänger‘ zur Aufführung. Die Regie beider Stücke führt Herr Vallentin.“ [Dresdner Neuesten Nachrichten, Jg. 11, Nr. 116, 26.4.1903, 2. Ausgabe, S. (2)] ein Stück von mir aufgeführt gespielt. Ich habe meinen
Vertreter in Berlin angewiesen, Ihnen Die Einnahmen werden nicht bedeutend
sein. Ich schätze sie auf 100 ‒
150 M. und habe meinen Vertreter in Berlin der Bühnenvertrieb des Albert Langen Verlags in Berlin (Königgrätzerstraße 19) [vgl. Berliner Adreßbuch 1903, Teil I, S. 991; Teil III, S. 334], der den Einakter „Der Kammersänger“ betreute [vgl. Kutscher 2, S. 112].angewiesenHinweis auf ein nicht überliefertes Schreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Albert Langen Verlag, 1.4.1903. Das Schreiben ging nicht mehr an den noch im Vorjahr für den Bühnenvertrieb des Verlags in Berlin tätigen Arthur Langen [vgl. Wedekind an Theaterdirektoren, 4.4.1902], da der Theateragent (nicht mit Albert Langen verwandt) inzwischen entlassen worden ist. So schrieb Ludwig Thoma am 2.8.1902 an Albert Langen: „Mischeck sagte mir, daß Sie Arthur L. gebolzt haben; ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir gelegentlich über Ihre Pläne betr. Bühnenvertrieb was mitteilten.“ [Petersen 1993, S. 371f.] Albert Langen dürfte ihm die Entlassung Arthur Langens bestätigt haben (und dass er selbst nun die Sache übernehme), wie Ludwig Thomas Brief an den Verleger vom 11.8.1902 nahelegt: „Bühnenvertrieb. Ich will Ihren Verlegergefühlen nicht wehe thun, und bin damit einverstanden, daß Sie alles machen.“ [Petersen 1993, S. 375], Ihnen den mir
zufallenden Ertrag der Vorstellungen zu übermitteln. Immerhin darf ich
Sie wol bitten zwischen den Zahlungsschwierigkeiten in denen sich ein eines Geschäftsmannes, der
mit großen Summen rechnen kann und denjenigen eines Schriftstellers unterscheiden einen Unter|schied
machen zu wollen.
Ihre geehrten Zeilen habe ich Herrn Doctor Zickel
zugeschicktHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Martin Zickel, 1.4.1903. Martin Zickel in Charlottenburg (Grolmanstraße 55) [vgl. Berliner Adreßbuch 1903, Teil I, S. 2020] war inzwischen stellvertretender Direktor und Oberregisseur an Ernst von Wolzogens Buntem Theater (Überbrettl) [vgl. Neuer Theater-Almanach 1903, S. 269]., ohne dessen Vermittlung es mir wol schwerlich je im Leben
eingefallen wäre mit Ihnen in geschäftliche Beziehungen zu treten. ich wol
schwerlich je in meinem Leben in geschäftliche Conflicte mit Ihnen gerathen
wäre. Ich kannte Herrn Dr. Zickel bis dahin nur als einen Vorkämpfer der
modernen Literatur und konnte mir nicht träumen lassen unter seinen Auspicienunter Martin Zickels Obhut. in Verbindung mit einer Posse
auftreten zu sollen wie sie damals bei Ihnen vorgelesen wurde und deren
geschmacklose Banalität, wenn mich der Eindruck nicht getäuscht hat, Sie zum |
mindesten ebenso anekelte wie mich.
In dieser Zusammenstellung lag der Grund meines
Contractbruches Wenn Sie sich mir schreiben, ich hätte in dem ProceßDer von José Ferenczy gegen Wedekind angestrengte Prozess dürfte der Pressenotiz vom 24.1.1902 zufolge (siehe oben) etwa Mitte Januar 1902 in Berlin stattgefunden haben.
leere Ausflüchte gesucht, dann glauben Sie das selber nicht. Bei Ihnen die
schmähliche Rolle zu spielen, die Detlev v. Liliencron bei BausenweinDer Lyriker Detlev von Liliencron hat sich im Spätsommer 1901 von Victor Bausenwein, Direktor des nun auch als Buntes Brettl firmierenden Berliner Secessionstheaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1902, S. 262], dafür gewinnen lassen, jenes Bunte Brettl, „das sich den Namen Detlev v. Liliencrons als Reklameschild erwählt hat“ [Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Jg. 41, Nr. 244, 17.10.1901, S. 2], zu leiten (ein Konkurrenzunternehmen zu Ernst von Wolzogens Buntem Theater): „Litterarischer Oberleiter: Freiherr Detlev v. Liliencron“ [Neuer Theater-Almanach 1902, S. 262]; bereits Anfang 1902 „hat er die Schnauze davon voll“ [Joachim Kersten, Friedrich Pfäfflin: Detlev von Liliencron entdeckt, gefeiert und gelesen von Karl Kraus. Göttingen 2016, S. 74], die Presse meldete, „Liliencrons ‚Buntes Brettl‘ ist eines sanften Todes entschlafen“ [P–n: Berliner Brief. In: Westfälische Zeitung, Jg. 92, Nr. 107, 9.5.1902, 1. Beilage, S. (1)]. Victor Bausenwein konnte die Gagen nicht mehr bezahlen, das Niveau fiel ab, das Secessionstheater (und mit ihm das Bunte Brettl) musste schließen (1903 hat es nicht mehr existiert). Detlev von Liliencron reflektierte die beschämenden Umstände in seinem soeben veröffentlichten Gedicht „Buntes Theater“ [vgl. Neue Deutsche Rundschau (Freie Bühne), Jg. 14, Heft 4, April 1903, S. 427-441], von der Presse als „ein amusantes Nachspiel-Quodlibet“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 151, 31.3.1903, Morgen-Ausgabe, S. 9] registriert. gespielt
hat, dazu war ich mir schlechterdings zu gut; das werden Sie mir zu
allerletzt verdenken. Ich kann mir übrigens auch nicht vorstellen wie ein
anständiger Mensch einen Mann von Verdienst zu einer solchen Rolle nötigen
kann.
Sie schreiben mir in ziemlich abfälligem Ton, daß ich mich
aufs | Bitten verlege. Ich habe mich dessen nicht zu schämen. Das thun Ihre
Collegen mir gegenüber auch.
Hochachtungsvoll
Frank W.