Berlin, 26/10.97.
Mein lieber, lieber Schatz!
Deinen Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Julia Rickelt, 24.10.1897., habe ich mir, heute morgen geholt, habe ihn nun jetzt zum dritten Mal gelesen und
will ihn auch sofort beantworten. Beruhige Dich vor allen Dingen, Unklugheiten
hast Du von mir keine zu erwarten, dazu bin ich doch wohl ein bischen zu
gesund. Ich kenne Dich ein bischen besser, wie Du denkst und weiss sehr gut was
ich Dir bin. Mein Glück von Dir abhängig machen und Dir irgend welche
Verantwortlichkeiten auferlegen, bin ich doch ein bischen zu bessonenSchreibversehen, statt: besonnen. und ic
habe Dich auch viel zu lieb um Dir das anzuthun. Dass ich Dich ein bischen mehr
| als nur sinnlich liebe, kannst Du, wie auch ich nicht dafür und es brauch
Dich auch vorleufigSchreibversehen, statt: vorläufig. auch nichts angehen, lass das meine Sache sein, ich
werde schon damit fertig werden. Dass ich
Dich gerne in Berlin haben möchte, wirst Du mir wohl nicht sehr übel nehmen,
ich denke da wohl weniger an unsere Liebe, wie an Deine Zukunft. Das
Einschicken Deines BuchesWedekind hat sein Lustspiel „Die junge Welt“ (1897) an das Dresdner Hoftheater geschickt [vgl. Wedekind an Nikolaus von Seebach, 24.10.1897], dann auch an den Gatten seiner Geliebten [vgl. Gustav Rickelt an Wedekind, 28.10.1897], in der Hoffnung, der befreundete Regisseur am Berliner Residenztheater interessiere sich für eine Aufführung. genügt gewiss nicht, errinnereSchreibversehen, statt: erinnere. Dich nur an das
SchicksalWedekind verhandelte mit der Literarischen Gesellschaft in Leipzig gerade über eine Aufführung seiner Tanzpantomime „Die Kaiserin von Neufundland“ (1897) [vgl. Kurt Martens an Wedekind, 9.10.1897]. Deiner PantomineSchreibversehen, statt: Pantomime.. Du musst selbst kommen und selbstredend als anständiger
Mensch (den Ausdruck brauchst Du selbst) und dazu
gebrauchst Du Geld. Das brauch ich Dir wohl nicht erst zu schreiben dass wenn
ich es hätte, ich es Dir sofort zur | Verfügung stellen würde, da dass
nun nicht der Fall ist, dass ich welches habe, so musst Du es von wo anders
verschaffen und das von Deiner Mutter. Was willst Du thun, wieder warten und
warten. Das Einzige auf was Du warten kannst ist Dresden, denn dort hast Du durch Deine
Schwesterdurch Erika Wedekind, Hofopernsängerin in Dresden., noch SchanssenSchreibversehen, statt: Chancen., aber hier ‒ Du kennst ja die Verhältnisse und dazu die Feinde die Du hier hast. Also
mein Lieb, lass uns beraten wie an Deine Mutter heranzutreten ist. Da Du ihr
doch von mir gesprochenFrank Wedekind, der seine Mutter vorab brieflich über seine heimliche Liebesbeziehung mit einer verheirateten Frau informierte (ohne den Namen zu nennen), hat mit ihr wohl auch darüber gesprochen – Emilie Wedekind war seit dem am 20.9.1897 in Dresden [vgl. Frank Wedekind an Emilie Wedekind, 8.9.1897]. hast, so wollte ich ihr gerade herrausSchreibversehen, statt: heraus. schreiben. Ihr
Deine ganze Lage inSchreibversehen, statt: im. Sommer schildern und auch, dass ich, so wie auch G., die doch etwas davon V/v/erstehen,
fest an Dein Talent glau|ben und dass wenn Du erst über die ersten
Schwierigkeiten hinaus bist, Du eine grosse Zukunft wastSchreibversehen, vermutlich statt: haben wirst., dass Du, um über die
Schwierigkeiten zu kommen, ihrer Hif/l/fe benötigst und damit sie Dir
hilft. Ich werde ihr auch schreiben, wie sie Dir helfen kann. Besser wäre es
ja, wenn ich sie sprechen könnte, nach Dresdenzu Frank Wedekind; seine Mutter Emilie Wedekind wohnte ab dem 20.9.1897 (siehe oben) für einen längeren Besuch in Dresden in der Wohnung ihrer Tochter Erika Wedekind (Struvestraße 34) [vgl. Adreßbuch für Dresden 1898, Teil I, S. 618]. zu kommen ist mir unmöglich,
vielleicht gelingt es Dir, sie unter irgend einem Vorwand nach Berlin zu
bringen,/./ d/D/enke darüber nach, es ist ja Deine Zukunft und da
sollen uns alle Mittel heilig sein. Lass alle kleinlichen Bedenken, wenn es uns
nur gelingt, das wie, ist n/N/ebensache. Deine „Junge Welt“ so weit ich
sie gelesen habe, | hat mir sehr gefallen, ich bin fest überzeugt, dass sie
Erfolg haben wird. Lieb, nun energisch darauf lossSchreibversehen, statt: los., was ich Dir helfen kann, steht Dir ganz zur Verfügung. Mein Gott!
hätte ich nur ein paar tausend Mark, wie freudig wollte ich sie Dir geben Ich
habe heute in SimplicisimusSchreibversehen, statt: Simplicissimus. Dein politisches LiedIm aktuellen Heft der illustrierten Wochenschrift „Simplicissimus“ war unter dem Pseudonym Hieronymus Jobs Wedekinds Gedicht „Ein politisch Lied“ [KSA 1/1, S. 462-466] ‒ unter demselben Titel publizierte Wedekind seine seit Juli 1897 im „Simplicissimus“ veröffentlichten politischen Gedichte [vgl. KSA 1/II, S. 2235] ‒ abgedruckt; es erzählt vom Abschied von einer Redaktion (auf die Redaktion des „Simplicissimus“ und Konflikte mit dem Albert Langen Verlag anspielend), enthält aber die redaktionelle Anmerkung: „Hieronymus Jobs hat sich wieder eingefunden. Wir danken ihm.“ [Simplicissimus, Jg. 2, Nr. 31, S. 246] Gustav Rickelt hat sich ebenfalls über das Gedicht geäußert und mitgeteilt, er habe es am 27.10.1897 mit nach Hause gebracht und seiner Frau vorgelesen [vgl. Gustav Rickelt an Wedekind, 28.10.1897]; sie las es dem vorliegenden Brief zufolge schon einen Tag davor. gelesen, weinen wo/hä/tte
ich mögen, dass d/D/u so etwas schreiben musst, um 50 Mark zu verdienen.
Es ist wirklich eine Schande für a/A/lle die
Dich kennen und noch mehr für Diejenigen, die Dir helfen könne/t/en so
etwas nicht zu brauchen. Lieb so handle doch, rä/e/ge Dich doch, es | ist
ja rein zum Verzweifeln, wie Du alles dem Zufall überlässt. Antworte mir nun sofort
auf meinen Brief. Donnerstagder 28.10.1897. werde ich mir die
Antwort holen, lass mich nicht umsonst gehen. Von Liebe t will ich gar
nichts hören; was Du vor hast, was Du für Deine Zukunft thust, das schreibe
mir. Ich will, Du musst, etwas erreichen, das Zeug dazu hast Du um ein
berühmter Mann zu werden, nur mehr Selbstbewusstsein und
That. Adresse: S.W. 1864.
Postamt 23das Postamt in der Lessingstraße 6 in Berlin, das Julia Rickelt bereits in früheren Briefen an Wedekind angab, dorthin möge er ihr postlagernd schreiben [vgl. Julia Rickelt an Wedekind, 9.10.1897 und 23.10.1897].. Berlin N.W.
Hast Du einen anderen Ausweg um | Dir zu helfen
so thue es, ich will keine Rolle spielen, ich will nur helfen damit Du ans Ziel kommst. Dass ich für Dich alles von Herzen gern thue,
das weisst Du und somit Aufwiedersehen.