OTTO JULIUS BIERBAUM
Tegel bei Berlin am grünen Donnerstag 94am 22.3.1894 (Gründonnerstag)..
Lieber Herr Wedekind!
Obwohl ich an einem Katarrh laboriere, der
mich stumpf und steril gemacht hat, unfähig beinahe, gute Dinge
zu goutieren, haben mich Ihre drei Rosen doch höchlich entzücktHinweis auf ein nicht überliefertes Begleitschreiben zur Manuskriptsendung; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Otto Julius Bierbaum, 20.3.1894. Wedekind hat Otto Julius Bierbaum als Redakteur der „Freien Bühne“ (siehe unten) für eine Veröffentlichung in der Monatsschrift ein „Drei Rosen“ betiteltes Manuskript geschickt, ein Prosatext, bei dem es sich um „überarbeitete Tagebuchabschnitte“ [Vinçon 1987, S. 48] handelte. Artur Kutscher lag die inzwischen verschollene Erzählung in Form von Korrekturbögen noch vor, die ihm zufolge die Malerin Louise-Cathérine Breslau sowie Emma Herwegh betreffende Episoden zum Inhalt hatte (und insofern in Paris angesiedelt war): „Aus welchem Grunde Wedekind aber diesen beiden Schilderungen in den Korrekturbogen die Überschrift ‚Drei Rosen‘ geben wollte, ist nicht einzusehen“; es handle sich um „Stellen des Originaltagebuches“, die „wörtlich verwendet“ seien, „das Ganze aber ausgearbeitet und zusammengezogen. Die Namen der beiden Frauen wurden verändert.“ [Kutscher 1, S. 286]. Ich würde sie
augenblicklich in der Freien Bühne veröffentlichen, wenn ich deren Redakteur
noch wäre. Aber ich bins nicht mehrOtto Julius Bierbaum war nicht mehr Redakteur der Monatsschrift „Freie Bühne“ im S. Fischer Verlag in Berlin (er hat demnach insgesamt vier Hefte redigiert, möglichweise auch fünf); im nächsten Heft war zum letzten Mal vermerkt: „Verantwortlich für die Redaktion: Otto Julius Bierbaum, Tegel b. Berlin“ [Neue Deutsche Rundschau (Freie Bühne), Jg. 5, Heft 4, April 1894, S. 320]. Die „Freie Bühne“ war im „Unterschied zu den übrigen Literaturzeitschriften der Epoche [...] mehr eine Verlags- als eine Herausgeber-Zeitschrift. Charakteristisch für ihr Profil [...] ist das [...] Regiment Samuel Fischers“ [Sprengel 1998, S. 133], mit dem Otto Julius Bierbaum Meinungsverschiedenheiten hatte, die zur Trennung führten.. Der Verleger hat die liebenswürdige Absicht,
aus der Monatsschrift ein Blatt „für das größere Publikum“ zu machen, und in
diesem Ziele ihn zu unterstützen, halte ich mich nicht für
berufen. Vom Mai ab wird die F. B. also unter anderer (unbestimmt noch,
welcher) RedaktionNachfolger von Otto Julius Bierbaum als Redakteur der „Freien Bühne“ wurde Oscar Bie (und blieb es über Jahrzehnte), wie im übernächsten Heft vermerkt ist: „Verantwortlich für die Redaktion: Dr. Oskar Bie“ [Neue Deutsche Rundschau (Freie Bühne), Jg. 5, Heft 5, Mai 1894, S. 544]. erscheinen.
Soll ich Ihnen nun raten, die Drei Rosen trotzdem der F. B.
anzubie|ten? Ich weiß wahrlich nicht. Jedenfalls setzen Sie sich einem Refüsrefus (frz.) = Ablehnung, abschlägiger Bescheid, Absage. aus.
Andrerseits aber giebt es, so glaube ich, sonst in Deutschland kein Blatt, wo
die Tagebuchblätterdas „Drei Rosen“ betitelte Manuskript (siehe oben). erscheinen könnten und honoriert würden. Das Gescheidteste
wäre es meiner Meinung nach, wenn Sie den drei TagenDie Handlungszeit des verschollenen Erzähltextes „Drei Rosen“ (siehe oben) dürfte drei Tage umfasst haben. vielleicht
noch drei hinzufügten und das Ganze dann als Buch (aber unkastriert!)
herausgäben. Ich will Ihnen, wenn Sie es wünschen, gerne behilflich sein, einen
zahlenden Verleger zu suchen.
Wären wir etwas weiter im Jahre, so hätte ich wol ein Blatt
für die drei Rosen. Eine Gruppe hiesiger Künstler hat mich nämlich beauftragt und
mit den nötigen Mitteln dazu ausgerüstet, ein Blatt für die
Kunstdie Kunstzeitschrift „PAN“, die lange geplant war [vgl. Otto Julius Bierbaum an Wedekind, 15.4.1893]; zu deren Finanzierung wurde eine Genossenschaft PAN gegründet, die im Rahmen einer Werbekampagne das Startkapital von 100.000 Mark aufbrachte [vgl. Tb Kessler, Bd. 1, S. 45-47]. Otto Julius Bierbaum und Julius Meier-Graefe waren mit der Redaktion beauftragt, das von ihnen verantwortete erste Heft kam aber erst im Jahr darauf heraus [vgl. PAN, Jg. 1 (1895/96), Heft 1, April/Mai 1895]. „Am 25.7.1894 wurde der Vertrag unterschrieben, durch welchen Bierbaum und Julius Meier-Graefe als Herausgeber der neuen Zeitschrift eingesetzt wurden.“ [Stankovich 1971, S. 34] auf die Beine zu bringen, – das erste und einzige seiner Art in
Deutschland, wenns zustande kommt. Es sollen dafür 50000 M. in Anteilscheinen
gezeichnet werden, 8000 ha|ben wir schon.
Aber was red’ ich Ihnen von ungelegten Eiern!
Schreiben Sie mir, was ich mit den Drei Rosen beginnen soll,
und ich thue, was Sie wünschen.
Besten Gruß!
Ihr
Otto Julius Bierbaum